PE 6 - 3000 - 127/18 (5. Oktober 2018) © 2018 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Im Anschluss an ein Gutachten des Fachbereichs1 zum Vorschlag über die Einführung einer sog. Euro-Dividende2 wird um Beantwortung von Fragen zur Umsetzung eines solchen Vorhabens ersucht . Insbesondere soll geprüft werden, ob die Europäische Union die Möglichkeit hätte, den Mitgliedstaaten vorzugeben, dass die als Grundeinkommen verstandene Euro-Dividende nicht auf nationale (eigene) Sozialleistungen angerechnet werden darf. Hierzu ist zunächst auf das Ergebnis des erwähnten (ersten) Gutachtens zu verweisen. Danach erscheint es zweifelhaft, ob das gegenwärtige Primärrecht der EU über hinreichende Grundlagen zur Einführung eines solchen Vorhabens auf Unionsebene verfügt.3 Vor diesem Hintergrund lassen sich dem primären Unionsrecht erst recht keine sicheren Vorgaben zur eventuellen Umsetzung bzw. Ausgestaltung eines solchen Vorschlags entnehmen. Dies folgt vor allem aus dem Umstand , dass sich die erwähnten Zweifel nicht nur auf die einnahmeseitigen Aspekte der vorgeschlagenen Euro-Dividende, sondern auch auf das Vorhandensein einer primärvertraglichen Rechtsgrundlage für die (ausgabeseitige) Einführung einer solchen Leistung beziehen. Diese Rechtsgrundlage wäre nämlich auch für Fragen der Ausgestaltung entscheidend. Versteht man unter der Euro-Dividende im Kern eine soziale Leistung, könnte man zwar grundsätzlich an die Kompetenzgrundlage des Art. 153 AEUV aus dem EU-Politikbereich „Sozialpolitik “ (Art. 151-158 AEUV) denken. Diese Vertragsvorschrift ist allerdings sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht sehr restriktiv ausgestaltet.4 Materiell käme ggf. Art. 153 1 „Unionsrechtliche Fragen zum Vorschlag einer ‚Euro-Dividende‘“, PE 6 – 3000 – 54/17 vom 15. August 2017 (im Folgenden: PE 6-Gutachten). 2 Philippe van Parijs, The Euro-Dividend, vom 3. Juli 2013, abrufbar auf den Seiten von „Social Europe“ (letztmaliger Abruf am 05.10.18). 3 PE 6-Gutachten (Fn. 1), S. 11. 4 Soweit die EU nach Art. 153 Abs. 2 AEUV befugt ist, inhaltlich in diesem Bereich tätig zu werden, darf sie dies nur in Form von Richtlinien, die zudem lediglich Mindestvorschriften enthalten können. In der Mehrzahl der konkreten Regelungsbereiche dürfen Richtlinien nur einstimmig erlassen werden (vgl. Art. 153 Abs. 2 Buchst. b Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Zu Fragen nach dem Bestehen unionrechtlicher Vorgaben zur Umsetzung einer „Euro-Dividende“ Kurzinformation Zu Fragen nach dem Bestehen unionrechtlicher Vorgaben zur Umsetzung einer „Euro-Dividende“ Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 Abs. 1 Buchst. c AEUV in Betracht, wonach die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten u. a. auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer unterstützen und ergänzen kann.5 Allerdings liegt zu diesem Tätigkeitsfeld bisher – soweit ersichtlich – keine Rechtsprechung vor. Es ist daher unklar, ob eine Leistung wie das nicht an eine Erwerbstätigkeit geknüpfte Grundeinkommen im Sinne der vorgeschlagenen Euro-Dividende hiervon erfasst wäre. Zudem ist zu beachten, dass die Zuständigkeitsbestimmungen nach Art. 153 Abs. 1 Buchst. c AEUV in Verbindung mit Art. 153 Abs. 2 AEUV ersichtlich auf eine (Mindest-)Angleichung mitgliedstaatlichen Sozialrechts zielt.6 Bei der Euro-Dividende soll es sich hingegen um eine (soziale ) Leistung des Unionsrechts handeln, die aus Unionsmitteln finanziert wird und neben autonome mitgliedstaatliche Sozialleistungen tritt. Dass die genannten Vertragsbestimmungen auch eine solche Konzeption tragen können, erscheint höchst zweifelhaft.7 Mit Blick auf das ausgabeseitige finanzielle Moment der Euro-Dividende könnte man ferner an die Strukturfonds der EU (vgl. Art. 175 Abs. 1 AEUV) und dort insbesondere an den Europäischen Sozialfonds (vgl. Art. 162 bis Art. 164 AEUV) denken. Eine Verortung des Vorhabens in diesem Bereich begegnet jedoch ebenfalls gewichtigen Zweifeln. Diese ergeben sich erstens aus der Zielrichtung des Europäischen Sozialfonds nach Art. 162 AEUV. Danach soll dieser nämlich zum einen dazu dienen, die berufliche Verwendbarkeit und die örtliche und berufliche Mobilität der Arbeitskräfte zu fördern und zum anderen die Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse und an Veränderungen der Produktionssysteme insbesondere durch berufliche Bildung und Umschulung zu erleichtern. Das Anliegen der Euro-Dividende ist jedoch gerade nicht erwerbsbezogen . Zweitens werden die Strukturfonds bisher in der Regel zur finanziellen Förderung mitgliedstaatlicher Vorhaben eingesetzt, auch wenn die EU die inhaltlichen Schwerpunkte der Förderung bestimmt und die jeweiligen Bedingungen, unter denen sie erfolgt. Ob man die ein- UAbs. 3 AEUV). Darüber hinaus darf das Tätigwerden der EU auf Grundlage des Art. 153 AEUV generell „nicht die anerkannte Befugnis der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien ihres Systems der sozialen Sicherheit festzulegen , [berühren,] und das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme nicht erheblich beeinträchtigen“ (vgl. Art. 153 Abs. 4 Spgstr. 1 AEUV). Siehe hierzu etwa Benecke, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 153 AEUV (56. Erglfg. April 2015), Rn. 5 ff., 68 ff. 5 Die anderen in Art. 153 Abs. 1 Buchst. a bis k AEUV genannten Tätigkeitsbereiche dürften entweder thematisch nicht in Betracht kommen (Buchst. a bis i) oder weil der EU jegliche materielle Gestaltung untersagt ist (Buchst. j und k in Verbindung mit Art. 153 Abs. 2 Buchst. a AEUV). 6 Siehe etwa Kocher, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV, GRC und AEUV, 2017, Art. 153 AEUV, Rn. 1, 4, 9, die in Art. 153 AEUV sogar eine Spezialvorschrift zu Art. 114 AEUV sieht. Vgl. etwa auch das im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellte Rechtsgutachten von Kingreen, Ein verbindlicher EU-Rechtsrahmen für soziale Grundsicherungssysteme in den Mitgliedstaaten, S. 10 ff. (letztmaliger Abruf am 05.10.18). In diesem wird erörtert, ob die EU auf Grundlage der erwähnten Vorschriften die Kompetenz hätte, Mindestvorgaben für die sozialen Grundsicherungssysteme der Mitgliedstaaten zu erlassen. 7 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 2.05.2006, Rs. C-436/03 (EP/Rat), Rn. 40 u. 44, wonach die Schaffung neuer europäischen Rechtsformen wie der Europäischen Genossenschaft, die die nationalen Rechtsvorschriften über Genossenschaften überlagert und nicht angleicht, nicht auf die Harmonisierungskompetenz des Art. 114 Abs. 1 AEUV gestützt werden kann. Diese Erwägungen dürften auch für die Kompetenzgrundlage des Art. 153 Abs. 2 AEUV gelten. Kurzinformation Zu Fragen nach dem Bestehen unionrechtlicher Vorgaben zur Umsetzung einer „Euro-Dividende“ Fachbereich Europa (PE 6) Seite 3 schlägigen Bestimmungen zu den Strukturfonds vor diesem Hintergrund als Rechtsgrundlage sowohl für die materielle Einführung der Euro-Dividende als auch ihre vollständige Finanzierung aus EU-Mitteln heranziehen kann, erscheint daher sehr fraglich.8 Ist davon auszugehen, dass die Euro-Dividende weder auf Grundlage des Art. 153 AEUV noch den Bestimmungen zu den Strukturfonds gestützt werden kann, könnte in einem letzten Schritt an die sog. Vertragsabrundungskompetenz des Art. 352 AEUV gedacht werden. Auf diese Vertragsvorschrift kann dann zurückgegriffen werden, wenn es an ausdrücklichen Rechtsgrundlagen fehlt, ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Politikbereiche aber erforderlich ist, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen. Obgleich die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift der EU zum Teil einen weiten Spielraum für ein Tätigwerden einräumen, bestehen jedoch auch hier Zweifel, ob die Einführung einer Euro-Dividende zur Erfüllung der sozialpolitischen Anliegen der EU erforderlich wäre. Denn anders als etwa hinsichtlich des von der EU zu errichtenden Binnenmarktes (vgl. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 EUV)9 sind die sozialen Ziele der Union deutlich zurückhaltender formuliert. Nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 EUV ist die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Dass die Einführung gerade einer Euro-Dividende zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist, kann – auch im Lichte der nach Art. 153 AEUV bestehenden Handlungsmöglichkeiten der EU im Bereich des Sozialen – bezweifelt werden. Darüber hinaus gibt es in der bisherigen Rechtssetzungspraxis – soweit ersichtlich – keine Beispiele für EU-Maßnahmen, die vergleichbar der Euro-Dividende autonome Unionsleistungen als auch deren Finanzierung nur aus EU-Mitteln regeln. Vor diesem Hintergrund und im Lichte der übrigen Erwägungen zu den hier relevanten ausdrücklichen Kompetenzgrundlagen stellt sich die Frage, ob für ein solches Vorhaben nicht zunächst die EU-Verträge geändert werden müssten. Würde man davon ausgehen müssen, wäre in jedem Fall auch eine Anwendung der Vertragsabrundungsklausel des Art. 352 AEUV gesperrt.10 Ungeachtet der rechtlichen Zweifel ist eine endgültige Bewertung der Frage nach einer Rechtsgrundlage für die Einführung einer Euro-Dividende gleichwohl nicht möglich, da es insoweit an einschlägiger Rechtsprechung der Unionsgerichte zu den hier in Frage kommenden Bestimmungen bzw. ihren Tatbestandsmerkmalen mangelt. Ließen sich die rechtlichen Zweifel ausräumen und erachtete man etwa einen Rückgriff auf Art. 352 AEUV unionsrechtlich zulässig, dann dürfte 8 Erörtert wird indes, ob man die Kohäsionsfonds zur finanziellen Unterstützung der Mitgliedstaaten auch dann einsetzen könnte, wenn die EU auf Grundlage von Art. 153 Abs. 1 Buchst. c AEUV in Verbindung mit Art. 153 Abs. 2 AEUV einen Mindestrahmen für soziale Grundsicherungssysteme in den Mitgliedstaaten vorgibt. Siehe hierzu Kingreen (Fn. 6), S. 32 f. 9 In diesem Zusammenhang wurde etwa die Einführung unionaler und grenzüberschreitend agierender Rechtsformen wie die der Europäischen Aktiengesellschaften oder der Europäischen Genossenschaft auf Art. 352 AEUV gestützt, da die insoweit bestehenden Kompetenzgrundlagen der EU nur eine Angleichung des binnenmarktrelevanten EU-Rechts vorsehen, nicht aber die Schaffung eigenständiger unionaler Rechtsformen. Vgl. EuGH, Urt. v. 2.05.2006, Rs. C-436/03 (EP/Rat), Rn. 36 ff. Siehe hierzu auch Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 114 AEUV, Rn. 24. 10 Vgl. EuGH, Gutachten 2/94 vom 28. März 1996 (EMRK-Beitritt I), Rn. 28 ff., insbs. Rn. 35. Siehe zu dieser Grenze für die Anwendung des Art. 352 AEUV auch Frenz, in: Pechstein/Nowak/Häde (Fn. 6), Art. 352 AEUV, Rn. 31. Kurzinformation Zu Fragen nach dem Bestehen unionrechtlicher Vorgaben zur Umsetzung einer „Euro-Dividende“ Fachbereich Europa (PE 6) Seite 4 allerdings auch die Ausgestaltung einer Euro-Dividende in den Händen der Union liegen und diese über eventuelle Anrechnungen dieser auf mitgliedstaatliche Sozialleistungen bestimmen können. – Fachbereich Europa –