© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 126/13 Europäische Rahmenbedingungen einer nationalen Zuwanderungsgesetzgebung Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 2 Europäische Rahmenbedingungen einer nationalen Zuwanderungsgesetzgebung Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 126/13 Abschluss der Arbeit: 17. Dezember 2013 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragen zur Freizügigkeit für Staatsangehörige aus Bulgarien und Rumänien innerhalb der Europäischen Union 4 1.1. Grundsätzlich unbeschränkte Geltung unionsrechtlicher Freizügigkeitsregelungen 4 1.2. Übergangsbestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer 5 1.2.1. Einseitige Modifikation der Übergangsbestimmungen 6 1.3. Bilaterale Modifikation der Übergangsbestimmungen 6 1.3.1. Völkerrechtliche Zulässigkeit einer bilateralen Modifikation der Übergangsbestimmungen 7 1.3.2. Unionsrechtliche Zulässigkeit einer bilateralen Modifikation der Übergangsbestimmungen 7 2. Zusammenfassung und Folgerungen für die europäischen Rahmenbedingungen einer nationalen Zuwanderungsgesetzgebung 8 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 4 1. Fragen zur Freizügigkeit für Staatsangehörige aus Bulgarien und Rumänien innerhalb der Europäischen Union 1.1. Grundsätzlich unbeschränkte Geltung unionsrechtlicher Freizügigkeitsregelungen Am 1. Januar 2007 wurden Bulgarien und Rumänien Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). Die Bedingungen des Beitritts und die durch die Aufnahme der neuen Mitgliedstaaten notwendigen Änderungen der Unionsverträge wurden durch ein multilaterales Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EU und den beitretenden Staaten geregelt (Art. 49 Abs. 2 S. 1 EUV a.F.).1 Das Inkrafttreten des Beitrittsvertrages2 bedurfte gemäß Art. 49 Abs. 2 S. 2 EUV a.F. der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten. Dabei bezeichnet Ratifikation die einseitige, völkerrechtlich verbindliche Erklärung, durch den Beitrittsvertrag gebunden zu sein. Der völkerrechtlichen Erklärung ging in jedem Mitgliedstaat und im Beitrittsstaat ein innerstaatliches Zustimmungsverfahren voraus, dessen Anforderungen sich nach dem jeweiligen Verfassungsrecht richteten. In Deutschland erfolgte die Zustimmung durch den Bundestag in Form eines Gesetzes auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG.3 Alle anlässlich des Beitritts abgeschlossenen Vereinbarungen zwischen den ursprünglichen Mitgliedstaaten und den beitretenden Staaten zählen nach ihrem völkerrechtlichen Inkrafttreten zum Primärrecht der Union. Das Inkrafttreten des Beitrittsvertrags bewirkt, dass der neue Mitgliedstaat automatisch das gesamte zu diesem Zeitpunkt in Geltung befindliche Primär- und Sekundärrecht der Union, den acquis communautaire, übernimmt und sich der räumliche Geltungsbereich des Unionsrechts umfassend auch auf den neuen Mitgliedstaat erstreckt (Art. 3 des Beitrittsvertrages ). Unabhängig von etwaigen Übergangsregelungen stehen dem neu aufgenommenen Staat mit dem Wirksamwerden des Beitrittsvertrages sämtliche Rechte und Pflichten aus der Mitgliedschaft zu. Mit Inkrafttreten des Beitrittsvertrages gelten somit alle unionsrechtlichen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft und die Grundfreiheiten auch für die Staatsbürger Bulgariens und Rumäniens. Die Staatsangehörigen Bulgariens und Rumäniens können als Unionsbürger damit grundsätzlich von ihren aus den Grundfreiheiten resultierenden Freizügigkeitsrechten sowie von ihrem Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europaischen Union (AEUV) nach Maßgabe der Richtlinie 2004/38/ EG4 Gebrauch machen. 1 Vgl. BT-Drs. 16/2293. 2 Im Folgenden werden mit dem Begriff des Beitrittsvertrages zusammenfassend alle Regelungen (vgl. BT-Drs. 16/2293, S. 48) bezeichnet, die im Zuge des Beitritts zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den neuen Mitgliedstaaten vereinbart worden sind. 3 Gesetz zu dem Vertrag vom 25. April 2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (BGBl II, Nr. 30, 2006, S. 1146 ff.); vgl. BT-Drs. 16/3155. 4 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten , zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. Nr. L 158 S. 77, ber. ABl. Nr. L 229 S. 35), umgesetzt durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) v. 30.7.2004 (BGBl. I S. 1950), Zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Änd. des FreizügigkeitsG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 (BGBl. I S. 86), vgl. hierzu BT-Drs. 17/7701, S. 19; BT-Drs. 17/8724, S. 26. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 5 1.2. Übergangsbestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer Im Hinblick auf die mit dem Beitritt zur EU uneingeschränkte Wirkung und Anwendung der Grundfreiheiten und der allgemeinen Freizügigkeit sieht der Beitrittsvertrag jedoch zeitlich befristete Übergangsregeln für die vollständige Anwendung des Primärrechts und des Sekundärrechts insbesondere in den Bereichen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit vor.5 Übergangsregeln widersprechen zwar dem Grundsatz der einheitlichen Geltung des Unionsrechts und der Gleichheit der Mitgliedstaaten. Die Rechtfertigung für solche Ungleichbehandlungen ergibt sich aber aus den besonderen Bedingungen der Beitrittssituation. Die Übergangsregeln sichern daher einen fließenden Übergang, der es neuen und alten Mitgliedstaaten erlaubt, die notwendige Anpassung an die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der größer gewordenen Union zu leisten. Die zeitliche Befristung der Übergangsregeln stellt sicher, dass nach Ablauf der Frist die Einheitlichkeit des Unionsrechts und die Gleichheit der Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit wurde mit Bulgarien und Rumänien eine dreiphasige Übergangsfrist von bis zu sieben Jahren (sog. „2+3+2-Modell“) vereinbart. Während dieser Zeit können die alten Mitgliedstaaten restriktive nationale Regelungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt beibehalten, und das Recht der Staatsangehörigen von Rumänien und Bulgarien als Unionsbürger auf Ausübung einer Beschäftigung bleibt eingeschränkt:6 In den ersten beiden Jahren nach dem Beitritt eines Landes zur EU wurde der Zugang seiner Arbeitnehmer zu den Arbeitsmärkten der Länder, die vor seinem Beitritt bereits Mitglied der EU waren, durch deren jeweilige nationalen Rechtsvorschriften und Politik geregelt, so dass seine Arbeitnehmer möglicherweise eine Arbeitsgenehmigung benötigen (Erste Phase: 1.1.2007 – 31.12.2008). Wollte ein Land derartige Beschränkungen darüber hinaus für weitere drei Jahre beibehalten, musste es die Kommission darüber vor Ablauf der ersten beiden Jahre unterrichten (Zweite Phase: 1.1.2009 – 31.12.2011). Danach können die Länder diese Beschränkungen für weitere zwei Jahre aufrechterhalten , wenn sie der Kommission mitteilen, dass ihr nationaler Arbeitsmarkt mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert ist (Dritte Phase: 1.1.2012 – 31.12.2013), wovon die Bundesregierung Gebrauch gemacht hat. In jedem Fall dürfen sich die Zugangsbedingungen nach der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags nicht verschlechtern, und die Beschränkungen müssen entspre- 5 Art. 23 der Beitrittsakte (ABl. L 157/203, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:157:0203:0220:DE:PDF) sowie Anhang VI (Bulgarien, ABl. L 157/104, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:157:0104:0128:DE:PDF) und VII (Rumänien, ABl. L 157/138, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:157:0138:0188:DE:PDF). 6 Vgl. „Arbeitnehmerfreizügigkeit nach der Osterweiterung der Europäischen Union“, Infobrief der Wissenschaftlichen Dienste v. 4.3.2011, WD 6 – 3010 – 001/11; Bericht der Kommission an den Rat über die Anwendung der Übergangsregelungen für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus Bulgarien und Rumänien, KOM(2011) 729 endg. vom 11. November 2011, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0729:FIN:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 6 chend der Vereinbarung im Beitrittsvertrag unwiderruflich nach spätestens sieben Jahren aufgehoben werden.7 1.2.1. Einseitige Modifikation der Übergangsbestimmungen Die Regelungen des Beitrittsvertrages und damit auch die des unwiderruflichen Endes der Übergangsbestimmungen sieben Jahre nach Beitritt sind Teil des europäischen Primärrechts.8 Einseitige restriktive nationale Regelungen über den Ablauf der Frist hinaus könnten bereits keine Wirkung entfalten, da ihnen das Primärrecht und damit auch das Recht der rumänischen und bulgarischen Staatsbürger auf Wahrnehmung beispielsweise ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit vermittels seines Anwendungsvorrangs vorginge. Zudem verstieße ein Mitgliedstaat durch eine einseitige Beibehaltung von restriktiven nationalen Regelungen nach Auslaufen der Frist gegen primäres Unionsrecht. Die Einhaltung der primärrechtlichen Vorgaben des Beitrittsvertrags kann im Klagewege (Art. 258 f. AEUV) nach den allgemeinen Vorschriften der Verträge durchgesetzt werden . Auch lässt sich das Auslaufen der Übergangsbestimmungen nicht durch eine einseitige Kündigung der entsprechenden Bestimmungen im Beitrittsvertrag verhindern. Dies setzte ein Recht voraus, den multilateralen Beitrittsvertrag einseitig suspendieren oder kündigen zu können. Die Ratifikation des Beitrittsvertrages erfolgte jedoch unbedingt. Deswegen steht den Mitgliedstaaten bereits nicht der Weg offen, entsprechende Vorbehalte im Sinne der Art. 19 ff. des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK)9 anzubringen. Ungeachtet der unionsrechtlichen Einflüsse auf das Völkervertragsrecht sind aus hiesiger Sicht für die völkervertraglichen Möglichkeiten der Suspendierung oder Beendigung des Vertrages (Art. 54 ff WVK) keine rechtlich begründbaren Umstände ersichtlich, die diese Schritte zu rechtfertigen vermögen. 1.3. Bilaterale Modifikation der Übergangsbestimmungen Auch eine bilaterale Verlängerung der Übergangsbestimmungen zwischen Deutschland und Rumänien sowie zwischen Deutschland und Bulgarien verstieße sowohl gegen Völkerrecht als auch gegen Unionsrecht. 7 Nr. 1.5. Anhang VI Liste nach Artikel 20 des Protokolls: Übergangsmaßnahmen, Bulgarien, ABl. L 157/104, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:157:0104:0128:DE:PDF; Nr. 1.5. Anhang VII Liste nach Artikel 20 des Protokolls: Übergangsmaßnahmen, Rumänien, ABl. L 157/138, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:157:0138:0188:DE:PDF. 8 Vgl. Art. 7 Abs. 1 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, ABl. L 157/203, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:157:0203:0220:DE:PDF; vgl. auch EuGH, Rs. 31/86 und 35/86 (LAISA und CPC España/Rat), Rn. 12. 9 BGBl. 1985 II S. 926. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 7 1.3.1. Völkerrechtliche Zulässigkeit einer bilateralen Modifikation der Übergangsbestimmungen Eine vom Beitrittsvertrag abweichende Fristverlängerung auf bilateraler völkervertraglicher Grundlage würde gegen den Beitrittsvertrag und damit gegen konsentiertes Primärrecht verstoßen . Die vertragsschließenden Parteien wären ausschließlich Vertragsparteien eines anderen multilateralen Vertrages. Bei solchen inter-se-Verträgen muss unterschieden werden zwischen solchen Vereinbarungen, die den ursprünglichen multilateralen Vertrag abzuwandeln intendieren und solchen ohne Auswirkungen auf den ursprünglichen multilateralen Vertrag: Die Abwandlung entspricht völkerrechtlich einer Modifikation und unterliegt damit den Voraussetzungen des Art. 41 WVK. Danach kann eine Gruppe von Vertragsparteien eines multilateralen Vertrags diesen im Verhältnis zueinander abwandeln, soweit dies entweder durch den multilateralen Vertrag selbst vorgesehen (Art. 41 Abs. 1 lit. a) WVK) oder zumindest nicht ausdrücklich verboten ist (Art. 41 Abs. 1 lit. b) WVK). Insofern können Mitgliedstaaten prinzipiell auch Abwandlungen des Primärrechts im Verhältnis zueinander beschließen. Jedoch dürfen solche inter-se-Verträge insbesondere nicht die volle Verwirklichung von Ziel und Zweck der europäischen Verträge verhindern (Art. 41 Abs. 1 lit. b) Ziff. ii) WVK). Durch die Prolongation der Übergangsbestimmungen würde jedoch ein Zustand aufrechterhalten, der im Widerspruch zu dem Interesse der Union an der Aufrechterhaltung eines einheitlichen, europaweit gültigen Rechtsstandes steht. Eine Verlängerung widerspräche dem Grundsatz, dass alle Unionsbürger unterschiedslos die gleichen Rechte besitzen und den gleichen Pflichten unterliegen.10 Dieser Verstoß gegen Art. 41 WVK hätte zwar nicht die Nichtigkeit des bilateralen Vertrages zur Folge. Die Vertragsstaaten des unzulässigen Vertrages sind aber völkerrechtlich nach den Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit dazu verpflichtet, die Verletzung zu Gunsten des ursprünglichen multilateralen Vertrags aufzulösen.11 1.3.2. Unionsrechtliche Zulässigkeit einer bilateralen Modifikation der Übergangsbestimmungen Eine bilaterale, völkervertragliche Modifikation der Übergangsbestimmungen verstieße zudem gegen Unionsrecht und wäre unionsrechtlich unwirksam. Der Beitrittsvertrag, der als Ganzes einen politischen Kompromiss der Vertragsstaaten bildet, kann als Bestandteil des Primärrechts12 nur in den Verfahren der ordentlichen Vertragsänderung nach Art. 48 Abs. 2-5 EUV oder – actus contrarius – nach Art. 49 EUV geändert oder aufgehoben werden.13 Diese Änderungsverfahren sehen eine bestimmte Form und bestimmte Verfahren ebenso wie die Teilnahme aller Mitgliedstaaten an diesen Verfahren vor. Eine Vertragsänderung, an der nicht alle Mitgliedstaaten beteiligt sind, wäre somit ein Verstoß gegen Art. 48 EUV und kann das Primärrecht nicht abwandeln. 10 Vgl. EuGH, Rs. C-34/09 (Zambrano); EuGH, Rs. C-135/08 (Rottmann); Huber, Die gleiche Freiheit der Unionsbürger , ZaöRV 68 (2008), 307-326. 11 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/3, S. 668, 726. 12 Vgl. Art. 7 Abs. 1 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, ABl. L 157/203, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:157:0203:0220:DE:PDF. 13 EuGH, Rs. C-445/00 (Österreich/Rat), Rn. 62; EuGH, Rs. 31/86 und 35/86 (LAISA und CPC España/Rat), Rn. 12. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 8 Zudem dürfen sich die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten nicht über die Beachtung des Unionsrechts hinwegsetzen.14 Vor dem Hintergrund des Ziels der Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes mit einheitlichen Regeln für alle Unionsbürger verstieße eine Modifikation jedenfalls gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV), wonach die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. 2. Zusammenfassung und Folgerungen für die europäischen Rahmenbedingungen einer nationalen Zuwanderungsgesetzgebung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bis zum 31. Dezember 2013 spezielle Regelungen insbesondere betreffend die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit für Staatsbürger aus Bulgarien und Rumänien in den Grenzen des Beitrittsvertrages zulässig sind. Ab dem 1. Januar 2014 sind keine unterschiedlichen Regelungen zwischen Bulgarien und Rumänien einerseits und den übrigen Mitgliedstaaten mit Ausnahme Kroatiens15 andererseits hinsichtlich der Geltung und Anwendung der europäischen Grundfreiheiten insbesondere im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit unionsrechtlich unzulässig. Die primärrechtlichen Garantien der Grundfreiheiten und der allgemeinen Freizügigkeit finden unbeschränkt Anwendung auf den Aufenthalt bulgarischer und rumänischer Staatsbürger in anderen EU-Mitgliedstaaten, wie sie insbesondere durch folgende sekundärrechtliche Maßnahmen näher konkretisiert sind: Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG16 zur Regelung der Ausübung einer vorübergehenden , selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat; Entsenderichtlinie 96/71/EG17 zur Vermeidung von unterschiedlichen Arbeitsbedingungen bzw. zur arbeitsrechtlichen Gleichstellung der in einen Staat entsandten Arbeitskräfte mit den dort ansässigen beschäftigten Arbeitnehmern; 14 EuGH, Rs. C-5/00 (Gottardo), Rn. 32; EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 69. 101. 15 Übergangsregelungen betreffen weiterhin Kroatien, vgl. Anhang V Nr. 2 zu Art. 18 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft , ABl. L 112/21, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:112:0021:0034:DE:PDF sowie das Gesetz zur Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union, BGBl. I 2013 Nr. 29 v. 20. Juni 2013, S. 1555, vgl.hierzu BT-Drs. 17/12769, S. 7 ff., online abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/127/1712769.pdf. 16 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L376/36, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2006:376:0036:0068:de:PDF. 17 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31996L0071:DE:HTML (30. April 2008). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 9 Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG18 zur Absicherung und Konkretisierung des primärrechtlich garantierten Rechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten ; Arbeitnehmerfreizügigkeits-Verordnung (EU) 492/201119 zur Gewährleistung eines beschränkungsfreien Zugangs zu den Arbeitsmärken; Soziale Sicherungssysteme-Koordinierungs-Verordnung 883/200420 zur Koordinierung der Rechtsstellung der Arbeitnehmer auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zum Schutz vor Benachteiligungen aufgrund der Zugehörigkeit zu verschiedenen nationalen Systemen der sozialen Sicherheit bei einer Wanderung in einen anderen Mitgliedstaat. Die primärrechtlich garantieren und sekundärrechtlich konkretisierten Rechte und Pflichten der Unionsbürger bestehen nach Ablauf der Übergangsregelungen unbeschränkt. Diese allgemeine Wirkung ist in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sowohl bei der Umsetzung der sekundärrechtlichen Vorgaben als auch bei der Ausgestaltung sonstiger mitgliedstaatlicher Regelungen beispielsweise betreffend den Arbeitsmarkt oder die Ausübung selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeiten zu beachten.21 Maßnahmen wie beispielsweise die Konkretisierung einer Melde- 18 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. EU Nr. L 158 vom 30. April 2004, S. 77; Berichtigungen: ABl. EU Nr. L 229 vom 29. Juni 2004 und ABl. EU Nr. L 204 vom 4. August 2007, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:158:0077:0123:de:PDF. 19 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, ABl. Nr. L 141 S. 1, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:141:0001:0012:DE:PDF. 20 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. Nr. L 166/1, ber. ABl. Nr. L 2004/1 und ABl. 2007 Nr. L 2004/30, zuletzt geändert durch Art. 1 Abs. 1 Buchst. b) ÄndVO (EU) 517/2013 vom 13. 5. 2013, ABl. Nr. L 158/1, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2004R0883:20130108:DE:HTML sowie hierzu die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Text von Bedeutung für den EWR und die Schweiz), ABl. Nr. L 284/1, zuletzt geändert durch Art. 2 ÄndVO (EU) 1224/2012 vom 18. 12. 2012, ABl. Nr. L 349/45, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:284:0001:0042:DE:PDF. 21 EuGH, Rs. C-406/04 (Gérald De Cuyper/Office national de l'emploi), Rn. 36 ff.; EUGH, Rs. C-456/02 (Trojani), Rn. 31 f.; zur Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 26. Februar 2008 (BGBl. I S. 215) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 10 pflicht22, die Sicherstellung ausreichender Existenzmittel als Aufenthaltsbedingung23, Maßnahmen gegen die Inanspruchnahme (unverhältnismäßiger) Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates 24 oder die Beschränkung der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit25 bleiben unionsrechtlich zulässig. Soweit Mitgliedstaaten im Rahmen der sekundärrechtlichen Vorgaben solche Maßnahmen insbesondere zur Verhinderung eines 22 Vgl. Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 5 Abs. 5 Richtlinie 2004/38/EG. Nach deutschem Recht besteht für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen keine Pflicht im Sinne von Art. 5 Abs. 5 Richtlinie 2004/38/EG, ihre Anwesenheit im Hoheitsgebiet Deutschlands zu melden. Unionsbürger und ihre Familienangehörigen unterliegen jedoch wie auch deutsche Staatsangehörige der allgemeinen Meldepflicht aus § 11 Abs. 1 MRRG (Melderechtsrahmengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 2002, BGBl. I S. 1342, zuletzt geändert durch Art. 2 G zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3458). Zudem kann die örtlich zuständige Ausländerbehörde gemäß § 5 Abs. 3 S. 1 FreizügG/EU verlangen , dass die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts drei Monate nach der Einreise glaubhaft gemacht werden. 23 Eine Prüfung der Bedingung des Vorliegens ausreichender Existenzmittel kann zum einen durch die zuständige Auslandvertretung bei Erteilung eines Visums für einen drittstaatsangehörigen Familienangehörigen (vgl. § 4 Abs. 4 S. 2 FreizügG/EU), wenn dieser bei Antragstellung einen über die 3-Monats-Frist hinausgehenden, längerfristigen Aufenthaltszweck angibt, zum andern durch die regional zuständige Ausländerbehörde bei der Ausstellung einer Bescheinigung über gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrechte im Sinne des § 5 FreizügG/EU bzw. bei der Prüfung, ob diesbezügliche Ausstellungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen, erfolgen. Die einschlägigen Bestimmungen finden sich in § 5 Abs. 1 bis 4 sowie in § 5 a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und S. 2 FreizügG/EU. Vgl. hierzu insgesamt Nr. 4.1.2. der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum AufenthG und zum FreizügG/EU, online abrufbar unter http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/MigrationIntegration/AsylZuwanderung/Vorlae ufige _Anwendungshinweise_AufenthG_FreizuegG.pdf;jsessionid=2C33830605D3958A24F911B11C89C086.2_cid2 95?__blob=publicationFile. 24 Wird nachträglich ein Antrag auf Sozialhilfeleistungen gestellt wird, liegt ein besonderer Anlass im Sinne des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU vor, wonach der Fortbestand der Voraussetzungen für die Ausstellung einer Aufenthaltsbescheinigung von der zuständigen Ausländerbehörde überprüft werden kann. Liegen ausreichende Existenzmittel nach der Prüfung der Ausländerbehörde nicht mehr vor, so richten sich die möglichen Rechtsfolgen nach § 5 Abs 5 FreizügG/EU. Darüber hinaus bestehen im deutschen Recht Regelungen zum Ausschluss von Ausländern von „Sozialhilfeleistungen“, die allerdings nicht den Verlust des Aufenthaltsrechts bedingen können . So sieht beispielsweise § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II (Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011, BGBl. I S. 850, ber. S. 2094, zuletzt geändert durch Art. 1 G zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 7. Mai 2013, BGBl. I S. 1167) vor, dass Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen sind. § 2 Abs. 3 FreizügG/EU regelt die in Art. 7 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG genannten Voraussetzungen, unter denen die Erwerbstätigeneigenschaft eines Unionsbürgers erhalten bleibt, obwohl er (vorübergehend) keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Vgl. zur Sozialhilfe § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII (Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022, zuletzt geändert durch § 2 Regelbedarfsstufen-FortschreibungsVO 2014 vom 15. Oktober 2013, BGBl. I S. 3856), wonach Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben. 25 Vgl. die Art. 27 bis 29 und 31 Richtlinie 2004/38/EG zu den Vorgaben für Beschränkungen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, umgesetzt durch § 6 FreizügG/EU. Zu potenziellen Einreise- und Aufenthaltsverboten als Folge der Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU vgl. § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 126/13 Seite 11 potenziellen Missbrauchs26 der Grundfreiheiten und des allgemeinen Freizügigkeitsrechts treffen, dürfen diese jedoch nicht nach der Staatsangehörigkeit der potenziell im Schwerpunkt betroffenen Personen bzw. Personenkreise differenzieren. Eine nach Ablauf der Übergangsfristen weiterhin zwischen der Staatsangehörigkeit differenzierende nationale Regelung verstieße gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 18 AEUV. - Fachbereich Europa - 26 Vgl. zum Begriff des Missbrauchs vgl. EuGH, Rs. C-212/97 (Centros), Rn. 24; EuGH, Rs. C-367/96 (Kefalas), Rn. 20; vgl. auch die Schlussanträge Generalanwalt Colomer, verb. Rs. C-22/08 und C-23/08 (Vatsouras u.a.), Rn. 49 ff. zum sogenannten „Sozialtourismus“.