WD 11 – 3000 – 126/12 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Staaten Zentralamerikas Auswirkung eines möglichen Scheiterns der Ratifizierung im Europäischen Parlament oder im Parlament eines Mitgliedstaates auf die vorläufige Anwendung des Handelsteils des Abkommens Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 11 – 3000 – 126/12 Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Staaten Zentralamerikas Auswirkung eines möglichen Scheiterns der Ratifizierung im Europäischen Parlament oder im Parlament eines Mitgliedstaates auf die vorläufige Anwendung des Handelsteils des Abkommens Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 126/12 Abschluss der Arbeit: 08.08.2012 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 11 – 3000 – 126/12 Inhaltsverzeichnis 1 . E i n l e i t u n g 4 1.1. Vertragsschlusskompetenz der Union 4 1.2. Vertragspartner des Assoziationsabkommens: Gemischtes Abkommen 4 2 . Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens und vorläufige Anwendung des Handelsteils 6 2.1. Inkrafttreten 6 2.2. Vorläufige Anwendung des Handelsteils (Teil IV) 7 2.2.1. Regelung der vorläufigen Anwendung 7 2.2.2. Wirkung der vorläufigen Anwendung 8 2.2.3. Beendigung der vorläufigen Anwendung 8 3 . Auswirkung einer gescheiterten Ratifikation auf das Inkrafttreten des Assoziationsabkommens 9 3.1. bei Verweigerung der Zustimmung durch das EP 9 3.2. bei Verweigerung der Ratifikation in den Mitgliedstaaten 9 4 . Auswirkungen einer gescheiterten Ratifikation auf die vorläufige Anwendung des Handelsteils 10 4.1. Völkerrechtliche Folgen einer gescheiterten Ratifikation 10 4.2. Unionsrechtliche Folgen einer gescheiterten Ratifikation 10 5 . E r g e b n i s 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 4 WD 11 – 3000 – 126/12 1. Einleitung Nachdem der Rat die Kommission im Jahre 2007 ermächtigt hatte, im Namen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten ein Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika auszuhandeln und die Verhandlungsrunde im Jahre 2010 um Panama erweitert wurde, wurden die Verhandlungen im Mai 2010 abgeschlossen. Das Abkommen wurde dann im März 2011 paraphiert. Am 29. Juni 2012 haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und der zentralamerikanischen Länder Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama in Honduras das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika anderseits (im Folgenden Assoziierungsabkommen ) gemäß Beschluss des Rates zur Genehmigung der Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung des Handelsteils (Teil IV)1 unterzeichnet. Das Assoziierungsabkommen enthält neben politischen Klauseln, die die Wertvorstellungen der EU widerspiegeln, Bestimmungen zur Verbesserung der bilateralen Zusammenarbeit mit dem Ziel, eine nachhaltige und gerechte soziale und wirtschaftliche Entwicklung in beiden Regionen zu erreichen, sowie in Teil IV einen umfangreichen Handelsteil. Mit dem Handelsteil des Abkommens sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Wirtschaftsbeteiligten in beiden Regionen die Chancen und die entstehende Komplementarität zwischen den beiden Wirtschaftsräumen vollumfänglich nutzen können. Zudem wird mit dem Abkommen ein institutioneller Durchführungsrahmen aus Assoziationsrat und Assoziationsausschuss und bilateralem Streitbeilegungsmechanismus geschaffen.2 1.1. Vertragsschlusskompetenz der Union Gemäß Art. 216 Abs. 1 1. Alt. AEUV3 darf die Union in den Bereichen völkerrechtliche Verträge schließen, in denen ihr diese Kompetenz durch die Verträge ausdrücklich zugewiesen wurde. Solche ausdrückliche Vertragsschlusskompetenzen finden sich etwa in Art. 207 AEUV für die Handelspolitik und in Art. 217 AEUV in Bezug auf Assoziierungsabkommen. Im Unterschied zu Handelsabkommen nach Art. 207 AEUV enthalten Assoziierungsabkommen i.S.v. Art. 217 AEUV nicht nur Handelsregelungen sondern auch Vorschriften in anderen Regelungsbereichen, so dass sich vorliegend die Vertragsschlusskompetenz für die EU aus Art. 216 I AEUV i.V.m. 217 AEUV ergibt. 1.2. Vertragspartner des Assoziationsabkommens: Gemischtes Abkommen Vertragspartner sind gemäß Art. 352 des Assoziierungsabkommens neben den zentralamerikanischen Staaten 1 Ratsdokumente 16374/11 und 9242/12 (noch nicht im ABl. veröffentlicht). 2 Vorschlag der Kommission für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits, KOM (2011) 679 endgültig, http://eur-lex.europa.eu/de/indexcnt.html (zuletzt abgerufen am 08.08.12), Seite 2. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, konsolidierte Fassung, ABl. 2010 C 83/47. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 5 WD 11 – 3000 – 126/12 „die Europäische Union oder ihre Mitgliedstaaten oder die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten “. Wer bezüglich welcher Regelung Vertragspartner der zentralamerikanischen Staaten ist, richtet sich folglich nach der unionsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung. Da das Abkommen sowohl Regelungsbereiche betrifft, die in die Zuständigkeit der EU fallen als auch solche, die in mitgliedstaatlicher Kompetenz liegen, ist es entsprechend der gängigen Praxis der Union4 als sogenanntes gemischtes Abkommen5 verhandelt worden. Folge des Vertragsschlusses als gemischtes Abkommen ist, dass nach erfolgter Ratifikation sowohl die EU und ihre Organe als auch die Mitgliedstaaten direkt völkerrechtlich an das Abkommen in seinem gesamten Inhalt gebunden sind.6 Nach der Rechtsprechung des EUGH sind völkerrechtlich in Kraft getretene Assoziationsabkommen zudem „integrierende Bestandteile der Gemeinschaftsrechtsordnung“7, d.h. automatisch und ohne inhaltlichen Wandel Teil der Unionsordnung . Sie stehen im Rang unter dem des Primärrechts, haben jedoch Vorrang vor entgegenstehendem innerstaatlichen Recht und sekundärem Unionsrecht.8 Umstritten ist, ob dies auch bei gemischten Assoziationsabkommen für sämtliche Bestimmungen des Abkommens gilt9 oder, ob lediglich die Teile, die auf einer Unionskompetenz beruhen, Rechtswirkungen als Gemeinschaftsrecht inklusive Vorranganspruch entfalten. Die in die mitgliedstaatliche Kompetenz fallenden Teile beanspruchen danach als schlichter völkerrechtlicher Vertrag nach dem Recht der Mitgliedstaaten Geltung10. Die Regelungen des Handelsteils (Teil IV) fallen vorliegend vollständig in die ausschließliche Kompetenz der Union (Art. 207 AEUV und Art. 91, 100 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 AEUV)11, so dass diesen Vertragsteil betreffend die Europäische Union und nicht die einzelnen Mitgliedstaaten selbst Vertragspartner werden. Nach beiden genannten Auffassung wird der Handelsteil des As- 4 Frenz, Handbuch des Europarechts, Band 6, 2011, Rn. 47971 m.w.N.; Vönekey/Belage-Haarmann, in Grabitz /Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 217 AEUV, Rn. 21; Vedder, a.a.O., (77). 5 Vgl. Vranes, Gemischte Abkommen und die Zuständigkeit des EuGH – Grundlagen und neuere Entwicklungen in den Außenbeziehungen, Europarecht (EuR) 2009, S. 44 (44). 6 Vönekey/Belage-Haarmann, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 217 AEUV, Rn. 22. 7 St. Rsprg. seit EuGH, Rs. 181/73 (Haegemann), Slg. 1974, 449, Rn. 2, 6; EuGH, Rs. C-459/03, (Mox Plant), Slg. 2006 I-4635, Rn. 82. 8 Vöneky/Belage-Haarmann, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 217 AEUV, Rn. 56 m.w.N.; Vedder, a.a.O., (78). 9 So Vöneky/Belage-Haarmann, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 217 AEUV, Rn. 56ff. unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des EuGH. 10 So z.B. Vedder, a.a.O., (78). 11 So auch die Auffassung der Kommission, vgl. Ratsdokument 9242/12 (noch nicht im ABl. veröffentlicht), Protokollerklärungen Nr. 4 und 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 6 WD 11 – 3000 – 126/12 soziationsabkommens somit Teil der Unionsrechtsordnung und genießt als solcher Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem nationalen Recht und sekundärem Unionsrecht – eine Streitentscheidung kann dahinstehen. 2. Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens und vorläufige Anwendung des Handelsteils Das Assoziierungsabkommen ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag, durch welchen für die Vertragsparteien gegenseitige Rechte und Pflichten begründet werden. Die völkerrechtliche Bindungswirkung zwischen den Vertragsparteien (pacta sunt servanda, Art. 26 WVK) tritt aber grundsätzlich erst mit dem Inkrafttreten des Abkommens, also zu dem Zeitpunkt ein, der von den Vertragsparteien vereinbart wurde (vgl. Art. 24 Abs. 1 WVK12). Eine Ausnahme davon bildet die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages gemäß Art. 25 WVK. 2.1. Inkrafttreten Dass vorliegende Assoziationsabkommen tritt gemäß Art. 353 Abs. 2 des Assoziationsabkommens in Kraft, wenn die „Vertragsparteien einander den Abschluss der in Abs. 1 genannten internen gesetzlichen Verfahren notifiziert haben“. In Abs. 1 heißt es: „Dieses Abkommen wird von den Vertragsparteien nach ihren internen gesetzlichen Verfahren genehmigt.“ Danach müssen sowohl die zentralamerikanischen Staaten einerseits als auch die EU und ihre einzelnen Mitgliedstaaten andererseits ihre internen bzw. innerstaatlichen Genehmigungsverfahren (innerstaatliche Ratifikation) abgeschlossen und sich dies auch gegenseitig entsprechend Art. 353 Abs. 2 des Assoziationsabkommens notifiziert (völkerrechtliche Ratifikation) haben. Für die EU ist das interne Genehmigungsverfahren in Art. 218 AEUV geregelt. Als Assoziierungsabkommen bedarf es gemäß Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 S. 1 AEUV eines einstimmigen Ratsbeschlusses und gemäß Art. 218 Abs. 6 lit. a (i) AEUV der Zustimmung des Europäischen Parlaments . Zudem bedarf es als gemischtes Abkommen wegen der in mitgliedsstaatlicher Zuständigkeit liegender Teile auch der innerstaatlichen Genehmigung entsprechend dem jeweiligen nationalen Recht und damit regelmäßig der Beteiligung der nationalen Parlamente. Insofern erfolgen Verhandlungen und Abschluss gemischter Abkommen rechtlich in einer Addition der Verfahren nach Art. 218 AEUV und der nationalen Verfahren der einzelnen Mitgliedstaaten.13 12 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBL. 1985 II S. 926 (UNTS BD 1155, S. 331). 13 Vedder, a.a.O., (77). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 11 – 3000 – 126/12 2.2. Vorläufige Anwendung des Handelsteils (Teil IV) Unabhängig von dem (zukünftigen) Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens nach Abschluss aller internen Ratifikationsverfahren hat der Rat mit Beschluss vom 19. Juni 201214 die vorläufige Anwendung des Handelsteils (Teil IV) des Abkommens beschlossen. 2.2.1. Regelung der vorläufigen Anwendung Gemäß Art. 25 Abs. 1 lit. a) WVK kann ein völkerrechtlicher Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten vorläufig angewandt werden, wenn das in dem Vertrag vorgesehen ist. Eine solche Regelung findet sich in Art. 352 Abs. 4 S. 1 des Assoziierungsabkommens. Danach kann Teil IV des Abkommens (Handelsteil) ...von der Europäischen Union und jeder der Republiken der zentralamerikanischen Vertragspartei ab dem ersten des Tag des Monats angewandt werden, der auf den Tag folgt, an dem sie einander den Abschluss ihrer zu diesem Zweck erforderlichen internen gesetzlichen Verfahren notifiziert haben. In diesem Fall üben die die für das Funktionieren des Abkommens erforderlichen institutionellen Gremien ihre Aufgaben aus. Insofern ist Voraussetzung für eine vorläufige Anwendung des Handelsteils zum einen der Abschluss der internen Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit in den zentralamerikanischen Ländern15 und in der EU und zum anderen die gegenseitige Notifizierung derselben . Damit kommt es für die vorläufige Anwendbarkeit weder auf den Abschluss der unionsinternen und/oder mitgliedstaatlichen Ratifikationsverfahren hinsichtlich des Assoziierungsabkommens insgesamt noch auf die Durchführung eines innerstaatlichen Genehmigungsverfahrens hinsichtlich der vorläufigen Anwendung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten an. Die Anforderungen an das interne Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit in der EU sind in Art. 218 Abs. 5 AEUV geregelt. Nach dieser Vorschrift erlässt der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers (der Kommission) einen Beschluss, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt werden. Eine Beteiligung des Europäischen Parlaments oder der mitgliedstaatlichen Parlamente ist nicht vorgesehen. Entsprechend enthält auch die Vorschrift des Art. 353 Abs. 4 des Assoziationsabkommens kein Erfordernis, die EU Mitgliedstaaten an einer Entscheidung über die vorläufige Anwendung des Handelsteils zu beteiligen. Der Ratsbeschluss zur vorläufigen Anwendung des Assoziationsabkommen wurde entsprechend auf Art. 218 Abs. 5 AEUV gestützt. 14 Ratsdokument 9242/12, (noch nicht im ABl. veröffentlicht). 15 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Costa Rica und Guatemala einen Vorbehalt zu Art. 25 WVK dahingehend angebracht haben, dass ihre nationalen Verfassungen die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge ausschließen (Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Art. 25, Rn. 10). Es bleibt daher abzuwarten, ob diese beiden Vertragsstaaten sich an der vorläufigen Anwendung des Handelsteils beteiligen werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 8 WD 11 – 3000 – 126/12 2.2.2. Wirkung der vorläufigen Anwendung Durch den Beschluss der vorläufigen Anwendung und durch seine Notifizierung16 an die zentralamerikanischen Vertragsparteien, die diese Erklärung ebenfalls abzugeben haben, werden schon vor Inkrafttreten des Abkommens völkerrechtliche Rechte und Pflichten (Außenwirkung) für die EU und damit indirekt für die EU-Mitgliedstaaten begründet.17 Durch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung werden die Vertragspartner vor dem Inkrafttreten des Abkommens zur Ausführung der Vertragsbestimmungen verpflichtet.18 Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten (Innenwirkung) bewirkt der Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung des Handelsteils auf Grund der ausschließlichen Zuständigkeit der Union in diesem Bereich, dass die Regelungen schon vor Inkrafttreten als Teil des Unionsrechts dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts unterliegen. 2.2.3. Beendigung der vorläufigen Anwendung Die Anwendung des Handelsteils bleibt aber insofern vorläufig, als dass sie dann endet, wenn das Vertragswerk nach erfolgreicher Ratifikation in Kraft tritt und somitdie provisorische Bindung der Vertragsparteien in eine endgültige übergeleitet wird.19 Weiterhin wird die vorläufige Anwendung beendet, wenn die EU gemäß Art. 25 Abs. 2 WVK den zentralamerikanischen Vertragsparteien die Beendigung der Bindungswirkung bzw. die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden (ausdrückliche Ratifikationsverweigerung20), notifiziert. In der Vergangenheit ist vereinzelt vertreten worden, dass die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages auch endet, wenn aus dem Zeitablauf auf eine Nichtratifikation geschlossen werden könne.21 Da vorliegend weder eine Ratifikationsfrist vereinbart wurde noch die Möglichkeit besteht, an Hand des Vertragstexts einen Zeitpunkt festzulegen, nach dem die Ratifizierung verspätet wäre, ist von einer unbeschränkten Fortdauer der vorläufigen Anwendung des Handelsteils bis zur ausdrücklichen Ratifikationsverweigerung durch die EU oder einen der zentralamerikanischen Vertragspartner auszugehen. Damit tritt zwar während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung eine inhaltlich vollständige aber noch keine endgültige völkerrechtliche Bindungswirkung ein. Vielmehr müssen die Vertragsparteien bei einer vorläufigen Vertragsanwendung vor Ratifikation jederzeit mit der Möglichkeit der Verweigerung der Ratifikation rechnen.22 16 Soweit ersichtlich ist eine entsprechende Notifizierung bislang nicht erfolgt. 17 Krieger, in Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 25, Rn. 29 m.w.N.; Schmalenbach, in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 4. Auflage 2011, Art. 218 AEUV, Rn. 6. 18 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 58 m.w.N.. 19 Krenzler, a.a.O., S. 81. 20 Krenzler, a.a.O., S. 81. 21 Krenzler, a.a.O., S. 88 unter Hinweis auf Fitzmaurice, UN Do. A/CN.4/01, Art. 41, 1. 22 Krenzler, a.a.O., S. 75. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 9 WD 11 – 3000 – 126/12 3. Auswirkung einer gescheiterten Ratifikation auf das Inkrafttreten des Assoziationsabkommens Eine gescheiterte Ratifikation kann insofern Konsequenzen zum einen für das Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens selbst haben. Zum anderen kommen Auswirkungen auf die vorläufige Anwendung des Handelsteils in Betracht. Zunächst soll der Blick kurz auf die Folgen für das Inkrafttreten gelenkt werden. 3.1. bei Verweigerung der Zustimmung durch das EP Für den Abschluss des Assoziierungsabkommens bedarf es unionsintern gemäß Art. 218 Abs. 6 UAbs. 2 lit. a) i) AEUV u.a. der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Das Parlament ist selbstverständlich nicht verpflichtet, dem ausgehandelten Abkommen zuzustimmen. Der Grundsatz der gegenseitigen Pflicht der Organe zu redlicher Zusammenarbeit23 verpflichtet insofern zwar zu einer umgehenden Beantwortung einer Anfrage des Rates bzw. zur Vereinbarung einer dem jeweiligen Problemstand entsprechenden Frist24, nicht aber zu einer zustimmenden Entscheidung . Verweigert das Parlament seine Zustimmung scheitert die Ratifikation des Assoziationsabkommens .25 Der Abschluss der internen Verfahren i.S.d. Art. 353 Abs. 2 Assoziationsabkommen kann dann nicht notifiziert werden, so dass weder eine völkerrechtliche Bindung der EU an das Abkommen noch eine unionsinterne Geltung des Abkommens eintreten könnte. Das Assoziationsabkommen kann ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments nicht in Kraft treten. 3.2. bei Verweigerung der Ratifikation in den Mitgliedstaaten Da das Assoziierungsabkommen als gemischtes Abkommen verhandelt wurde, muss es auch von jedem einzelnen EU-Mitgliedstaat ratifiziert werden. Das Inkrafttreten des gesamten Abkommens hängt nach der Regelung in Art. 352 Abs. II i.V.m. Abs. 1 des Assoziationsabkommens von der Ratifikation durch „die Vertragsparteien“ ab. Damit kommt es für das Inkrafttreten des Abkommens auf die Ratifikation durch alle Vertragsparteien und nicht etwa nur auf die Ratifikation durch eine gewisse Anzahl von Vertragsparteien an. Insofern hätte die verweigerte Ratifikation durch einen EU-Mitgliedstaat zur Folge, dass das gesamte Abkommen inklusive des EU-Teils scheiterte.26 Das Assoziationsabkommen kann folglich auch nicht in Kraft treten, wenn es in einem Mitgliedstaat das innerstaatliche Genehmigungsverfahren nicht erfolgreich durchläuft. 23 EuGH, Rs. C-65/93, Parlament/Rat, Slg. 1995, I-643, Rn. 23. 24 Lorenzmeier, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 218, Rn. 48. 25 So hat das EP z.B. seine Zustimmung mehrfach im Hinblick auf Zusatzprotokolle zur Assoziationsabkommen verweigert, so dass diese zunächst scheiterten. (Vöneky/Belage-Haarmann, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 217 AEUV, Rn. 26 m.w.N.). 26 Vedder, aaO, 78. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 10 WD 11 – 3000 – 126/12 4. Auswirkungen einer gescheiterten Ratifikation auf die vorläufige Anwendung des Handelsteils Der Handelsteil entfaltet durch die vorläufige Anwendung gemäß Art. 353 Abs. 4 des Assoziierungsabkommens schon vor Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens auf der einen Seite völkerrechtliche Bindungswirkung zwischen den zentralamerikanischen Vertragspartner und der EU (Außenwirkung), und auf der anderen Seite durch den Ratsbeschluss Innenwirkung im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten insofern, als dass er als Teil des Europäischen Unionsrechts dem Anwendungsvorrang unterliegt. Zur Beantwortung der Frage nach den Folgen einer gescheiterten Ratifikation des Assoziierungsabkommens für die vorläufige Anwendung des Handelsteils ist zwischen diesen beiden Wirkungen der vorläufigen Anwendung zu unterscheiden.27 4.1. Völkerrechtliche Folgen einer gescheiterten Ratifikation Völkerrechtlich bleibt die vorläufige Anwendung des Handelsteils so lange unberührt, bis die Europäische Union gemäß Art. 25 Abs. 2 WVK den zentralamerikanischen Vertragsparteien ihre Absicht, nicht Vertragspartei des Assoziierungsabkommens zu werden, notifiziert. Das Schicksal der vorläufigen Anwendung des Handelsteils hängt damit entsprechend dem Sinn einer vorläufigen Anwendung völkervertraglicher Regelungen28 aus Sicht des Völkerrechts nicht von der Ratifikation und/oder dem Inkrafttreten des Abkommens selbst ab. Insofern hätte eine gescheiterte Ratifikation des Assoziierungsabkommens im Europäischen Parlament oder im Parlament eines Mitgliedsstaates völkerrechtlich keine Auswirkungen auf die vorläufige Anwendung des Handelsteils . Der Handelsteil bleibt vielmehr völkerrechtlich solange vorläufig anwendbar, bis entweder ein zentralamerikanischer Staat oder die EU die vorläufige Anwendbarkeit einseitig durch entsprechende Notifikation beenden. 4.2. Unionsrechtliche Folgen einer gescheiterten Ratifikation Durch den Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung des Handelsteils wurden seine Regelungen zum Teil des Unionsrechts und nehmen insofern am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teil. Diese Wirkung bleibt solange bestehen, bis der Ratsbeschluss keine Wirkung mehr entfaltet. Allein eine gescheiterte Ratifikation im Europäischen Parlament oder in einem Mitgliedstaat hat insofern keine unionsrechtlichen Folgen für die vorläufige Anwendung des Handelsteils. Das Unionsrecht enthält jedoch keine Regelung für eine Aufhebung des Ratsbeschlusses nach Art. 218 Abs. 5 AEUV im Fall der gescheiterten Ratifikation eines vorläufig anwendbar erklärten völkerrechtlichen Vertrages. So gibt es keine Rechtspflicht, die die vorläufige Anwendung des Handelsteils im Falle des Scheiterns der Ratifikation zu beenden. Weder im Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung des Assoziationsabkommens noch im AEUV finden sich Vorschriften über die Dauer der vorläufigen Geltung im Falle der gescheiterten Ratifikation. Art. 218 AEUV regelt in Abs. 5 lediglich die Genehmigung der vorläufigen Anwendung vor dem Inkrafttreten, nicht aber ihre Rücknahme. Soweit erkennbar hat es auch in der Vergangenheit noch nicht den 27 Zur Innen- und Außenwirkung völkerrechtlicher Verträge vgl. Kunig, in Vitzthum, Völkerrecht, 2. Abschnitt, Rn. 37ff.. 28 Krieger, a.a.O., Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 11 WD 11 – 3000 – 126/12 Fall gegeben, dass die Ratifizierung eines vorläufig anwendbaren völkerrechtlichen Vertrages im Europäischen Parlament und/oder in einem Mitgliedstaat gescheitert ist. Es ist aber davon auszugehen, dass der Rat wiederum durch Beschluss entscheiden kann, die vorläufige Anwendung des Handelsteils zu beenden und dadurch seine Vorschriften wieder aus dem Unionsrecht zu „entfernen“. Gestützt wird diese Auffassung durch die Vorschrift des Art. 218 Abs. 9 1. Hs. AEUV, wonach der Rat befugt ist, die Aussetzung der Anwendung einer Übereinkunft zu beschließen. Wenn er die Aussetzung der Anwendung völkerrechtlicher Verträge beschließen kann, muss es ihm auch möglich sein, im Falle der gescheiterten Ratifikation die Beendigung der vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages zu beschließen. Jedenfalls aber handelt es sich bei einem Beschluss zur Aufhebung bzw. Änderungen des Ratsbeschlusses über die vorläufige Anwendung um einen actus contrarius29 zu dem Beschluss über die Genehmigung der vorläufigen Anwendung .Mangels einer abweichenden ausdrücklichen Regelung muss dieser actus contrarius unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften für den Erstbeschluss gefällt werden können. Insofern besteht – sofern politisch gewollt – rechtlich die Möglichkeit, die vorläufige Anwendung des Handelsteils bei gescheiterter Ratifikation im Europäischen Parlament oder in einem Mitgliedstaat durch entsprechenden einstimmigen Ratsbeschluss zu beenden. Das Erfordernis einer einstimmigen Entscheidung im Rat steht im Einklang mit Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 AEUV, da auch die Beendigung der vorläufigen Anwendung im engen Zusammenhang zum Abschluss des Assoziierungsabkommens steht. Fraglich ist, ob es zusätzlich der Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf. Dafür spricht, dass es sich bei dem Beschluss über die Beendigung der vorläufigen Wirkung des Handelsteils um einen solchen im Sachzusammenhang zu einem Assoziationsabkommen handelt, so dass eine Zustimmung des Parlaments entsprechend Art. 218 Abs. 6 UAbs. 2 lit. a) i) AEUV notwendig sein könnte. Andererseits konnte der Rat gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV ohne Beteiligung des Parlaments die vorläufige Anwendung des Handelsteils beschließen. Es liegt daher näher, für einen entsprechenden Aufhebungs- bzw. Änderungsbeschluss keine Zustimmung des Europäischen Parlaments zu fordern. 5. Ergebnis Sowohl das Scheitern der Ratifikation im Europäischen Parlament als auch in einem EU- Mitgliedstaat hat rechtlich lediglich Auswirkungen auf das Inkrafttreten des Abkommens, nicht aber auf die vorläufige Anwendung des Handelsteils. Solange der Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung Bestand hat, sind die Union und im Rahmen des Vorrangs des Unionsrechts auch die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Vorschriften des Handelsteils Geltung zu verleihen. Ohne einen ändernden oder aufhebenden Ratsbeschluss bleibt der Handelsteil auch ohne Ratifikation des Assoziierungsabkommens anwendbar. Sollte die Ratifikation tatsächlich scheitern, 29 Für die Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages als actus contrarius zum Vertragsschluss ist die analoge Anwendung von Art. 218 Abs. 6 AEUV anerkannt (Lorenzmeier, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 218, Rn. 59 mwN). Vgl. auch den Beschluss des Rates über die Auflösung des Kooperationsabkommens EWG – Jugoslawien vom 25.11.1991, ABL. 1991 L 325/23 und Zustimmung des EP vom 20.11.1991, ABl. 1991 C 326/82. Zur actus-contrarius-Doktrin im allgemeinen vgl. Bleckmann, Die actuscontrarius -Doktrin, JuS 1988, 174ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 12 WD 11 – 3000 – 126/12 müsste daher auf politischer Ebene über eine Neuverhandlung des Abkommens und die Folgen für die vorläufige Anwendung der ausgehandelten Regelungen verhandelt werden. Der Rat könnte jedenfalls durch erneuten einstimmigen Beschluss ein Ende der vorläufigen Anwendung herbeiführen . - Fachbereich Europa -