© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 125/16 EU-Biopatentrichtlinie und clarifying notice der Kommission Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 2 EU-Biopatentrichtlinie und clarifying notice der Kommission Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 125/16 Abschluss der Arbeit: 19.10.2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Patentrecht in Europa – Rechtsebenen des europäischen Patentrechts 5 2.1. Nationale Ebene – Patentgesetz 5 2.2. Europäische völkerrechtliche Ebene – EPÜ 5 2.2.1. Zum Patentverfahren 6 2.2.2. Verwaltungsrat und Anpassung an das EU-Recht 6 2.2.3. Ausführungsordnung 7 2.3. Unionale Ebene – Harmonisierung und Vereinheitlichung 8 2.3.1. Harmonisierung mitgliedstaatlicher Patentrechte 8 2.3.2. Schaffung eines unionsweit einheitlichen Patentrechts 8 2.3.3. Verstärkte Zusammenarbeit zur Schaffung eines EU- Einheitspatents 9 2.4. Zwischenergebnis 10 3. Zur Rechtsnatur einer „clarifying notice“ 11 3.1. Empfehlung 11 3.1.1. Rechtscharakter und Rechtswirkungen von Empfehlungen 11 3.1.2. Inanspruchnahme für clarifying notice? 13 3.2. Mitteilung 14 3.2.1. Rechtscharakter und Rechtswirkungen einer Mitteilung 14 3.2.2. Inanspruchnahme für clarifying notice 15 3.3. Zwischenergebnis 16 4. Beantwortung der einzelnen Fragen 17 4.1. Frage 1 17 4.2. Frage 2 18 4.3. Frage 3 18 4.4. Frage 4 19 4.5. Frage 5 20 4.6. Frage 6 20 4.7. Frage 7 21 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 4 1. Einleitung Dem Fachbereich werden mehrere Fragen gestellt, die sich im Zusammenhang mit einer Vorschrift der sog. EU-Biopatentrichtlinie1 und einer Ankündigung der Kommission ergeben, eine darauf bezogene clarifying notice zu erlassen. Bei der besagten Vorschrift der Biopatentrichtlinie handelt es sich um Art. 4 Abs. 1. Danach sind „Pflanzensorten und Tierrassen“ [Buchst. a)] sowie „im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren“ [Buchst. b)] nicht patentierbar. Eine gleichlautende Vorschrift findet sich im Europäischen Patentübereinkommen2 (EPÜ) in Art. 53 Buchst. b). Auch § 2a Abs. 1 Nr. 1 des deutschen Patentgesetzes (PatG) enthält diese beiden (wortgleichen) Ausschlüsse von der Patentierbarkeit und noch einen weiteren, der im Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie und Art. 53 Buchst. b EPÜ nicht enthalten ist. Nach diesem werden Patente ferner nicht für Pflanzen und Tiere erteilt, wenn sie ausschließlich durch „im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren“ gewonnen wurden. Anders als nach diesem Ausschlusstatbestand in § 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG hat die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes (EPA) in zwei Verfahren die Patentierbarkeit für Pflanzen und Tiere bejaht, die durch im Wesentlichen biologische Verfahren gewonnen wurden.3 Nach ihrer Ansicht sei eine andere Auslegung des Art. 53 Buchst. b EPÜ auf Grundlage der völkerrechtlich anerkannten Auslegungsmethoden nicht möglich.4 Nach einem Bericht der Bundesregierung haben sich einige Mitgliedstaaten (darunter Deutschland ), das Europäisches Parlament (EP) sowie die Kommission gegen eine derartige Auslegung gewandt.5 Da letztere für eine dem § 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG entsprechende Änderung der Biopatentrichtlinie derzeit keine Mehrheit im Rat sieht, hat sie vorgeschlagen, „als kurzfristig zu reali- 1 Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl.EU 1998 Nr. L 213/13, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal -content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31998L0044&qid=1476796088875&from=DE (letztmaliger Abruf am18.10.16). 2 Online abrufbar unter https://www.epo.org/law-practice/legal-texts/html/epc/2016/d/ma1.html (letztmaliger Abruf am18.10.16). 3 Vgl. die Entscheidungen G 2/12 (Tomate II) vom 25. März 2015 und G 2/13 (Brokkoli II) vom 25. März 2015, online abrufbar unter http://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/recent/g120002ex1.html bzw. http://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/recent/g130002ex1.html (letztmaliger Abruf am 18.10.16). 4 Vgl. Entscheidung G 2/12 (Fn. 3), VII. 6., siehe auch VIII. 2. (6) (c). 5 Siehe hierzu den 2. Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Biotechnologie […], BT-Drs. 18/9462, S. 5, online abrufbar unter http://dip21.bundestag .de/dip21/btd/18/094/1809462.pdf (letztmaliger Abruf am 19.10.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 5 sierende Maßnahme im 4. Quartal 2016 eine ‚clarifying notice‘ zu veröffentlichen, in der die Intention des europäischen Gesetzgebers im Hinblick auf die Patentierbarkeit von Produkten im Wesentlichen biologischer Züchtungsverfahren erläutert werden soll.“6 Die dem Fachbereich gestellten Fragen kreisen um die Art der Rechtsbindung bzw. Rechtswirksamkeit einer solchen clarifying notice im Kontext von Biopatentrichtlinie und EPÜ. Um die Fragen zu beantworten, werden im Folgenden zunächst die Rechtsebenen des Patentrechts in Europa dargestellt (2.). Anschließend wird auf die Rechtsnatur einer „clarifying notice“ eingegangen (3.). Darauf aufbauend werden schließlich die Einzelfragen beantwortet (4.). 2. Patentrecht in Europa – Rechtsebenen des europäischen Patentrechts Ein einheitliches europäisches Patentrecht besteht bisher nicht – auch und gerade nicht in der EU. Das Patentrecht in Europa besteht vielmehr weiterhin aus drei Rechtsebenen, die zwar Querverbindungen und zum Teil inhaltliche Parallelen aufweisen, hinsichtlich ihrer Quellen und handelnden Akteure aber voneinander zu unterscheiden sind. Zu differenzieren gilt es zwischen der nationalen (2.1.), der europäischen völkerrechtlichen (2.2.) und der unionsrechtlichen Ebene (2.3.).7 2.1. Nationale Ebene – Patentgesetz Ungeachtet der Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene ist in materieller Hinsicht weiterhin das jeweilige nationale Patentrecht von großer rechtspraktischer Bedeutung. Denn im Allgemeinen gilt nach wie vor der Grundsatz der Territorialität des Patenrechts: Patente werden in der Regel nur nach nationalem Recht für das jeweilige Hoheitsgebiet des betreffenden Staates erteilt und entfalten ihre Ausschließlichkeitswirkung auch nur innerhalb dieses Staatsgebiets .8 In Deutschland finden sich die einschlägigen Bestimmungen hierzu im Patentgesetz. Dieses enthält auch den eingangs erwähnten § 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG, der hinsichtlich der nicht patentierbaren Vorgänge inhaltlich über die ansonsten gleichlautenden Bestimmungen in der Biopatentrichtlinie sowie dem EPÜ hinausgeht. 2.2. Europäische völkerrechtliche Ebene – EPÜ Am weitesten vorangeschritten ist die Zusammenarbeit auf europäisch völkerrechtliche Ebene, auf der bereits 1973 das Europäische Patentübereinkommen unterzeichnet wurde. Derzeit hat 6 2. Bericht (Fn. 5), S. 5. 7 Siehe zur Rechtentwicklung insb. des internationalen Patenrechts, Ullmann/Tochtermann, in: Benkard, Patentgesetz , 11. Auf. 2015 (im Folgenden: Benkard, Patentgesetz), Internationaler Teil – Das internationale Patentrecht , Rn. 1 ff. 8 Vgl. Ullmann/Tochtermann, in: Benkard, Patentgesetz, Internationaler Teil – Das internationale Patentrecht, Rn. 1. Allgemein zur Bedeutung dieses Grundsatz für das Urheberrecht, zu dem das Patentrecht als Teilbereich gehört , Stieper, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (im Folgenden: Grabitz/Hilf/Nettesheim ), Art. 118 AEUV (56. Ergänzungslfg. 2016), Rn. 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 6 dieser völkerrechtliche Vertrag 38 Vertragsstaaten, darunter alle Mitgliedstaaten der EU. Die EU selbst ist hingegen nicht Vertragspartei und kann es nach derzeitiger Ausgestaltung des EPÜ, dem nur europäische Staaten beitreten dürfen, auch nicht werden. Im Folgenden wird zwischen dem Patentverfahren (2.3.1.) und dem Verwaltungsrat und der Anpassung an das EU-Recht (2.3.2) sowie der Ausführungsordnung (2.3.3) unterschieden. 2.2.1. Zum Patentverfahren Das Abkommen sieht für alle Vertragsstaaten ein einheitliches Verfahren zur Erteilung eines europäischen Patents vor. Ausschließlich zuständig für dieses Verfahren ist das durch das Abkommen eingerichtete Europäische Patentamt (EPA) als internationale Behörde. Dieses betreibt das Erteilungsverfahren nach eigenen Verfahrensgrundsätzen und unter Wahrung einheitlicher Voraussetzungen der Patentierbarkeit und der Patentfähigkeit bis zur bestandskräftigen Erteilung oder Zurückweisung des nachgesuchten Patents. Das EPA entscheidet somit auch über Ausnahmen von der Patentierbarkeit u. a. auf Grundlage von Art. 53 Buchst. b EPÜ. Bei dem auf dieser Grundlage erteilten europäischen Patent handelt es sich allerdings nicht um ein Einheitspatent, sondern um ein Bündel von (nationalen) Patenten mit Wirkung in den benannten Vertragsstaaten (vgl. Art. 2 Abs. 2 EPÜ, sog. europäisches Bündelpatent).9 Ist das EPA-Verfahren bestandskräftig abgeschlossen, erfolgen Nichtigkeits- oder Verletzungsverfahren im Zusammenhang mit europäischen Patenten vor den Gerichten der Vertragsstaaten (vgl. Art. 138 EPÜ bzw. Art. 64 Abs. 3 EPÜ).10 In materieller Hinsicht enthält das EPÜ hierfür einige Vorgaben, die allerdings der legislativen Umsetzung durch die Vertragsstaaten bedürfen.11 2.2.2. Verwaltungsrat und Anpassung an das EU-Recht In institutioneller Hinsicht ist auf die Rolle des Verwaltungsrats hinzuweisen (Art. 26 bis Art. 36 EPÜ). Es handelt sich hierbei um das Gesetzgebungs- und Leitungsorgan der durch das EPÜ gegründeten Europäischen Patentorganisation (EPO, vgl. Art. 4 EPÜ).12 Der Verwaltungsrat besteht aus den Vertretern der Vertragsstaaten und deren Stellvertretern (vgl. Art. 26 Abs. 1 S. 1 EPÜ). Jeder Vertragsstaat verfügt im Verwaltungsrat grundsätzlich über eine Stimme, soweit das EPÜ nicht eine Stimmwägung im EPÜ vorsieht (vgl. Art. 34 Abs. 2 iVm. Art. 36 EPÜ). Zu den hier relevanten Befugnissen des Verwaltungsrates zählt nach Art. 33 Abs. 1 Buchst. b) EPÜ die Befugnis, die Vorschriften des Zweiten bis Achten und des Zehnten Teils dieses Über- 9 Ullmann/Tochtermann, in: Benkard, Patentgesetz (Fn. 8), Internationaler Teil – Das internationale Patentrecht, Rn. 104. 10 Vgl. dazu Ullmann/Tochtermann, in: Benkard, Patentgesetz (Fn. 8), Internationaler Teil – Das internationale Patentrecht, Rn. 143 ff. 11 Siehe dazu Ullmann/Tochtermann, in: Benkard, Patentgesetz (Fn. 8), Internationaler Teil – Das internationale Patentrecht, Rn. 146 ff. 12 Vgl. Schäfers, in: Benkard, Europäisches Patentübereinkommen, 2. Auflage 2012 (im Folgenden: Benkard, EPÜ), Art. 33 EPÜ, Rn. 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 7 einkommens zu ändern, um ihre Übereinstimmung u. a. mit „den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Patentwesens zu gewährleisten“. Die hier im Raum stehende Vorschrift des Art. 53 Buchst. b) EPÜ ist Bestandteil des vom Verwaltungsrat änderbaren Zweiten Teils des EPÜ. Art. 33 Abs. 1 Buchst. b) EPÜ, der durch die Revision des EPÜ im Jahre 2000 eingeführt wurde, unterstreicht die materiellen Querverbindungen zwischen dem völkerrechtlichen EPÜ und der Unionsrechtsordnung. Im Fall dieser Vorschrift reicht die Querverbindung allerdings nur soweit, als dem Verwaltungsrat lediglich die Befugnis zur Anpassung an das EU-Patentrecht eingeräumt wird. Eine Pflicht hierzu sieht das EPÜ nicht vor. Zudem sind die prozeduralen Hürden für eine auf dieser Grundlage erfolgende Änderung des EPÜ sehr hoch. Nach Art. 35 Abs. 3 EPÜ bedarf es hierfür der Einstimmigkeit aller Vertragsstaaten. Des Weiteren wird ein nach Art. 33 Abs. 1 Buchst. b) EPÜ gefasster Beschluss nicht wirksam, wenn innerhalb von zwölf Monaten nach dem Datum des Beschlusses einer der Vertragsstaaten erklärt, dass dieser Beschluss nicht verbindlich sein soll. 2.2.3. Ausführungsordnung Ein wichtiger Bestandteil des EPÜ ist die zeitgleich erlassene Ausführungsordnung (AusfO, vgl. Art. 164 Abs. 1 EPÜ). Im Schrifttum wird die AusfO als geeignetes und notwendiges Instrument beschrieben, um „das System des Übereinkommens flexibel zu gestalten und erforderlich werdende Konkretisierungen der Vorschriften des EPÜ und Anpassungen an neue Situationen vornehmen sowie Unklarheiten beseitigen zu können.“13 Diese Funktion ergibt sich zum einen aus der Vielzahl von Verweisen im EPÜ auf Konkretisierungen in der bzw. durch die AusfO14 und zum anderen aus der Befugnis des Verwaltungsrates, die AusfO zu ändern, vgl. Art. 33 Abs. 1 Buchst. c) EPÜ. Anders als im Fall der EPÜ-Anpassungen an das EU-Patentrecht, kann der Verwaltungsrat die AusfO nach Art. 35 Abs. 2 EPÜ bereits mit Dreiviertelmehrheit der vertretenen Staaten, die eine Stimme abgeben, ändern. Hinsichtlich des Verhältnisses von EPÜ und AusfO bestimmt Art. 164 Abs. 2 EPÜ allerdings, dass bei mangelnder Übereinstimmung zwischen Vorschriften der beiden Akte die Vorschriften des Übereinkommens vorgehen. Darüber hinaus gilt der Grundsatz, dass die Bestimmungen der AusfO EPÜ-konform auszulegen sind.15 In Regel 26 in Kapitel V der AusfO („Biotechnologische Erfindungen“) findet sich in Absatz 1 die Vorgabe, wonach „für europäische Patentanmeldungen und Patente, die biotechnologische Erfindungen zum Gegenstand haben, […] die maßgebenden Bestimmungen des Übereinkommens in 13 Schäfers, in: Benkard, EPÜ (Fn. 12), Art. 168 EPÜ, Rn. 4. 14 Vgl. etwa Art. 14 Abs. 2-4, Art. 51 Abs. 2 und 3, Art. 61 Abs. 1, Art. 76 Abs. 1 EPÜ etc. 15 Vgl. Schäfers, in: Benkard, EPÜ (Fn. 12), Art. 168 EPÜ, Rn. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 8 Übereinstimmung mit den Vorschriften dieses Kapitels anzuwenden und auszulegen [sind]. Die [Biopatentrichtlinie] ist hierfür ergänzend heranzuziehen.“16 2.3. Unionale Ebene – Harmonisierung und Vereinheitlichung Obgleich der inhaltliche Gleichlauf zwischen den betreffenden Bestimmungen der drei Rechtsakte – § 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG, Art. 4 Abs. 1 Biopatenrichtlinie und Art. 53 Buchst. b) EPÜ – nur zum Teil besteht, unterstreicht er doch die zwischen den drei Rechtsebenen bestehenden Querverbindungen . Wie sich insbesondere aus Art. 33 Abs. 1 Buchst. b) EPÜ sowie Regel 26 AusfO ergibt, finden diese Querverbindungen ihren Ausgangspunkt in der unionalen Ebene. Auf dieser ist allerdings eine weitere Unterscheidung zu beachten: die zwischen der Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Patentrechte einerseits (2.2.1.) und den Bestrebungen zur Einführung eines einheitlichen europäischen Patents auf Unionsebene andererseits (2.2.2. und 2.2.3.). 2.3.1. Harmonisierung mitgliedstaatlicher Patentrechte Die Biopatentrichtlinie ist ein EU-Rechtsakt zur Harmonisierung (Angleichung) der fortbestehenden (autonomen) mitgliedstaatlichen Patentrechte. Deutlich wird dies in Art. 1 Abs. 1 der Biopatentrichtlinie . Danach schützen die Mitgliedstaaten biotechnologische Erfindungen „durch das nationale Patentrecht. Sie passen ihr nationales Patenrecht erforderlichenfalls an, um den Bestimmungen dieser Richtlinie Rechnung zu tragen.“ Entsprechend ihres Ansatzes, das Patentrecht der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit biotechnologischen Erfindungen zu harmonisieren, ist die Biopatentrichtlinie auf ex. Art. 100a EGV, den heutigen Art. 114 AEUV, gestützt worden. Dieser erlaubt den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben (vgl. Art. 114 Abs. 1 S. 2 AEUV). Weitere, speziell die Patentrechte der Mitgliedstaaten harmonisierenden Rechtsakte wurden auf EU-Ebene bisher nicht erlassen. 2.3.2. Schaffung eines unionsweit einheitlichen Patentrechts Von der Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Patentrechte ist die Schaffung eines einheitlichen „Unionspatents“ zu unterscheiden, das in der gesamten EU in Bezug auf Erteilung, Beschränkung , Übertragung, Nichtigerklärung oder Erlöschen die gleiche Wirkung hat.17 Letzteres 16 Unterstreichung durch Verfasser. Siehe dazu auch die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des EPA G 2/12 (Fn. 3), VII. 4. Danach wird Regel 26 Abs. 1 AusfO von der Großen Beschwerdekammer als Fall des Art. 31 Abs. 3 der Wiener Vertragsrechtskonvention betrachtet, wonach bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages auch spätere Übereinkünfte der Vertragsparteien zu berücksichtigen sind. Im Ergebnis gelangt die Große Beschwerdekammer zu der Auffassung, dass die Biopatentrichtlinie keine Grundlage darstelle, um den Ausschluss in Art. 53 Buchst. b EPC auf Pflanzen und Tiere zu erweitern, die ausschließlich durch im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren gewonnen wurden. 17 Vgl. dazu Gaster, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015 (im Folgenden: von der Groeben/Schwarze/Hatje), Art. 118 AEUV, Rn. 26 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 9 ist auf Grundlage des Art. 114 AEUV und anderer Rechtsangleichungskompetenzen der EU nicht möglich.18 Bis zum Lissabonner Vertrag konnte für die Überwindung des Territorialitätsprinzips im Patentrecht bzw. allgemein im Urheberrecht durch Schaffung einheitlich geltender Schutztitel nur der Weg über die Vertragsergänzungsklausel des heutigen Art. 352 AEUV beschritten werden.19 Seit dem Lissabonner Vertrag enthält der AEUV in Art. 118 Abs. 1 eine ausdrückliche Rechtsgrundlage zur „Schaffung europäischer Rechtstitel über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums in der Union sowie zur Einführung von zentralisierten Zulassungs-, Koordinierungs - und Kontrollregelungen auf Unionsebene.“20 Obgleich es mehrere Anläufe für die Schaffung eines unionsweiten Einheitspatents sowohl nach alter Lösung als auch unter Nutzung der neuen Rechtsgrundlage gegeben hat, konnte bisher keine Einigkeit unter allen Mitgliedstaaten erzielt werden.21 Grund hierfür ist vor allem die ungeklärte Sprachenfrage. Auf eine Beschränkung der Patentsprachen auf drei der EU-Amtssprachen in Anlehnung an die Regelung im EPÜ (Englisch, Französisch und Deutsch) konnte man sich bisher nicht verständigen. 2.3.3. Verstärkte Zusammenarbeit zur Schaffung eines EU-Einheitspatents Für den derzeitig unternommenen Versuch zur Schaffung eines EU-Einheitspatents wurde aus diesem Grund auf das Instrument der Verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 20 EUV, Art. 326 ff. AEUV zurückgegriffen.22 Mit Ausnahme Italiens und Spaniens haben alle anderen Mitgliedstaaten im Jahre 2012 auf dieser Grundlage zwei Verordnungen angenommen: die Verordnung Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes23 und die Verordnung Nr. 1260/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im 18 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.10.2011, Rs. C-377/98 (Niederlande/Parlament und Rat), Rn. 24. 19 Vgl. EuGH, Urt. v. 9.10.2011, Rs. C-377/98 (Niederlande/Parlament und Rat), Rn. 24 f. 20 Vgl. auch Art. 262 AEUV, wonach dem Gerichtshof der Europäischen Union Zuständigkeiten für den Bereich des geistigen Eigentums übertragen werden können. 21 Siehe insoweit zur Historie Stieper, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 9), Art. 118 AEUV (56. Ergänzungslfg. 2016), Rn. 29 ff. 22 Beschluss 2011/167/EU des Rates vom 10. März 2011 über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl.EU 2011 Nr. L 76/53, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011D0167&qid=1476796944630&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.10.16). Siehe dazu das auf diesen Beschluss bezogene Streitverfahren vor dem EuGH, Urt. v. 16.03.2013, verb. Rs. C- 274/11 und C-295/11 (Spanien u. Italien/Rat). 23 ABl. EU 2012 Nr. L 361/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R1257&rid=1 (letztmaliger Abruf am 18.10.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 10 Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen.24 Diese beiden Verordnungen sind bereits 2013 in Kraft getreten. Sie werden allerdings erst dann Anwendung finden, wenn der dritte Bestandteil dieses Vorhabens wirksam wird: das von den Mitgliedstaaten der Verstärkten Zusammenarbeit geschlossene Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (EPGÜ).25 Erst wenn 13 Vertragsstaaten unter Einschluss von Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich das EPGÜ ratifiziert haben, werden die beiden Verordnungen angewendet. Welche Zukunft das Projekt nun mit Blick auf den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs hat, ist offen. In der Sache wollen die an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten zum Teil auf den Rechtsrahmen des EPÜ zurückgreifen.26 Die Verordnungen sehen vor, von dem 9. Teil des EPÜ (Art. 142 bis 149a) Gebrauch zu machen und das EU-Einheitspatent auf Grundlage von Art. 142 EPÜ einzuführen. Nach dieser Bestimmung kann eine Gruppe von Vertragsstaaten , die in einem besonderen Übereinkommen bestimmt hat, dass die für diese Staaten erteilten europäischen Patente für die Gesamtheit ihrer Hoheitsgebiete einheitlich sind, vorsehen, dass europäische Patente nur für alle diese Staaten gemeinsam erteilt werden können. Im Ergebnis handelt es sich beim EU-Einheitspatent um ein vom EPA (vgl. Art. 143 Abs. 1 EPÜ) erteiltes europäisches Patent, dem auf Antrag des Patentinhabers einheitliche Wirkung in den betreffenden Mitgliedstaaten zukommen wird.27 Erteilungsvoraussetzungen sowie Anmeldeverfahren richten sich dabei ebenfalls nach EPÜ und damit auch die Anwendung der Ausnahmen von der Patentierbarkeit . Ein eigenes materielles Patentrecht enthalten die beiden Verordnungen zur Verstärkten Zusammenarbeit dagegen nicht. Für Umfang und Schranken des Patentschutzes verweisen Art. 5 Abs. 3 und Art. 7 VO 1257/2012 vielmehr auf das nationale Recht der teilnehmenden Mitgliedstaaten. Gewährleistet wird der einheitliche Schutz im Sinne des Art. 118 Abs. 1 AEUV durch die Vorgabe des Art. 3 Abs. 2 VO 1257/2012, wonach das Einheitspatent einen einheitlichen Charakter und gleiche Wirkung in allen teilnehmen Mitgliedstaaten hat und nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt, übertragen, für nichtig erklärt werden oder erlöschen kann. Über den Verweis auf das Recht der teilnehmenden Mitgliedstaaten würden auch das von den Mitgliedstaaten der Verstärkten Zusammenarbeit geschlossene EPGÜ und das dort vorgesehene Rechtsschutzsystem des Einheitlichen Patentgerichts zur Anwendung kommen. 2.4. Zwischenergebnis Das Patentrecht in Europa verteilt sich auf drei Rechtsebenen: Auf nationaler Ebene finden sich die in materieller Hinsicht maßgebenden nationalen Patenrechte. Auf der unionsrechtlichen 24 ABl.EU 2012 Nr. L 361/89, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R1260&qid=1476796832056&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.10.16). 25 Veröffentlicht im ABl.EU 2013 Nr. C 175/5, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:C:2013:175:0001:0040:DE:PDF (letztmaliger Abruf am 17.10.16). 26 Siehe für weitere Einzelheiten etwa Luginbühl, Das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung (Einheitspatent ), GRUR Int 2013, S. 305 ff.; Arntz, Weg frei das Einheitspatent, EuZW 2015, S. 544 ff.; Stieper, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 9), Art. 118 AEUV (56. Ergänzungslfg. 2016), Rn. 33 ff. 27 Vgl. Ullmann/Tochtermann, in: Benkard, Patentgesetz, Internationaler Teil – Das internationale Patentrecht, Rn. 104. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 11 Ebene bestehen bisher nur wenige harmonisierende Vorgaben für die mitgliedstaatlichen Patentrechte in Gestalt der Biopatentrichtlinie. Auf der europäisch völkerrechtlichen Ebene wurde das EPÜ geschlossen, dass v. a. ein einheitliches Patentanmeldeverfahren durch das EPA gewährleistet , in der Konsequenz aber (nur) zu einem Bündel an national wirksamen Patenten führt. Insgesamt sind auf diesen drei Ebenen unterschiedliche Akteure (EU-Mitgliedstaaten, EU, andere europäische Staaten, EPA, Verwaltungsrat des EPÜ) für den Rechtsgehalt sowie für die Anwendung der jeweiligen Bestimmungen verantwortlich. Die Biopatentrichtlinie bindet als EU-Rechtsakt nur die Mitgliedstaaten und strahlt auf deren (nationales ) Patentrecht aus. Unmittelbare Rechtswirkungen für das EPÜ und das auf dieser Grundlage tätig werdende EPA hat das Unionsrecht von sich aus nicht. Die Biopatentrichtlinie ist nach der Ausführungsordnung zum EPÜ allerdings ergänzend heranzuziehen. Für eine inhaltliche Anpassung des EPÜ oder der Ausführungsordnung an unionsrechtliche Vorgaben ist eine Änderung eines oder beider Völkerrechtsakte erforderlich. Beide Änderungen können durch den Verwaltungsrat vorgenommen werden. Änderungen des EPÜ bedürfen allerdings der Einstimmigkeit aller Vertragsparteien, für Änderungen der Ausführungsordnung genügt eine Dreiviertelmehrheit. 3. Zur Rechtsnatur einer „clarifying notice“ Zum jetzigen Zeitpunkt ist – soweit ersichtlich - noch nicht bekannt, welche (Rechts-)Form und welchen konkreten Inhalt die angekündigte clarifying notice haben wird. Der im Bericht der Bundesregierung wiedergegebenen Ankündigung der Kommission und dem Gesamtzusammenhang kann entnommen werden, dass es sich dabei vor allem um Auslegungshinweise zu Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie handeln soll, wonach auch Vorgänge, wie sie zusätzlich und ausdrücklich in § 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG genannt werden, nicht patentierbar sind. Blickt man insoweit auf die bisher im Unionsrecht bekannten (Rechts-)Instrumente mit einer hinsichtlich der Rechtsfolgen vergleichbaren Zielsetzung, so ist die Möglichkeit einer Empfehlung (3.1.) oder einer Mitteilung (3.2.) in Betracht zu ziehen. 3.1. Empfehlung Nach einer Betrachtung des Rechtscharakters und möglicher Rechtswirkungen von Empfehlungen (3.1.1.) wird erörtert, ob diese Handlungsform für die angekündigte clarifying notice genutzt werden könnte (3.1.2.). 3.1.1. Rechtscharakter und Rechtswirkungen von Empfehlungen Die Empfehlung ist in Art. 288 Abs. 5 AEUV geregelt. Es handelt sich hierbei zwar um einen rechtlich unverbindlichen Rechtsakt; der Einzelne kann hieraus vor nationalen Gerichten keine Rechte ableiten.28 Diese bedeutet allerdings nicht, dass Empfehlungen rechtlich bedeutungs- bzw. wirkungslos sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind sie von nationalen Gerichten „zu berücksichtigen , insbesondere dann, wenn [sie] Aufschluß über die Auslegung zu ihrer Durchfüh- 28 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C-322/88 (Grimaldi), Rn. 16. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 12 rung erlassener innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben oder wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen.“29 Mitgliedstaatliche Gerichte sind danach verpflichtet, sie „bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn die Empfehlungen geeignet sind, Aufschluß über die Auslegung anderer innerstaatlicher oder gemeinschaftlicher Bestimmungen zu geben.“30 Dies dürfte im Ergebnis aber nicht mehr bedeuten, als dass die Pflicht besteht, sich mit dem Empfehlungsgehalt auseinander zu setzen.31 Eine Befolgungspflicht besteht hingegen nicht, so dass es den Gerichten bei entsprechender Begründung auch freisteht, die Empfehlung nicht zu befolgen. Vor diesem Hintergrund werden Empfehlungen auch als geeignete Instrumente angesehen, um – anders als im Fall von verbindlichen Richtlinien zur Harmonisierung mitgliedstaatlichen Rechts – „weiche“ Rechtsangleichung zu betreiben.32 In ein ähnliche Richtung gehen Literaturansichten, die Empfehlungen „psychologisch-politische Wirkungen“ zuschreiben.33 Eine ausdrückliche Organkompetenz zum Erlass von Empfehlungen findet sich in Art. 292 AEUV.34 Danach können u. a. Rat und die Kommission Empfehlungen abgeben. Nach Art. 292 S. 2 AEUV gilt für den Rat jedoch, dass dieser Empfehlungen nur auf Vorschlag der Kommission beschließt „in allen Fällen, in denen er nach Maßgabe der Verträge Rechtsakte auf Vorschlag der Kommission erlässt.“35 Eine solche Einschränkung besteht für die Kommission nicht, so dass im Schrifttum vertreten wird, dass jedenfalls der Kommission auf Grundlage des Art. 292 S. 4 AEUV eine allgemeine Empfehlungskompetenz zukommt, soweit ihre Sachkompetenz reicht.36 Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Empfehlungen Gegenstand einer unionalen Rechtskontrolle sein können. Nach einem Beschluss des EuG ist dies im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV grundsätzlich nicht möglich, da eine Empfehlung rechtlich eben nicht verbindlich ist.37 Etwas anderes würde sich ausnahmsweise dann ergeben, wenn der Inhalt der Maßnahme ihrer Empfehlungsform nicht mehr entsprechen würde. Das sei dann der Fall, wenn der Inhalt einer formal als Empfehlung bezeichneten 29 EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C-322/88 (Grimaldi), Rn. 18. 30 EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C-322/88 (Grimaldi), Rn. 19. 31 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/HilfNettesheim (Fn. 9), Art. 288 AEUV, Rn. 206. 32 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016 (im Folgenden: Calliess/Ruffert), Art. 288 AEUV, Rn. 95. 33 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 9), Art. 288 AEUV, Rn. 208. 34 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Fn. 32), Art. 292 AEUV, Rn. 2. 35 Zu den daraus folgenden Konsequenzen für die Empfehlungsbefugnis des Rates, siehe Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 9), Art. 292 AEUV, Rn. 8 ff. 36 Vgl. etwa Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 8), Art. 292 AEUV, Rn. 13. 37 EuG, Beschluss vom 27.10.2015, Rs. T-721/14 (Belgien/Kommission), Rn. 15 ff., insb. 19 und 20. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 13 Maßnahme verbindliche Rechtswirkungen erzeugt oder dazu bestimmt ist.38 Dagegen begründet die der Empfehlung rechtlich inhärente Berücksichtigungspflicht nach Ansicht des EuG keinen Grund für eine unionsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle.39 Ob der EuGH diese Auffassung bestätigt, wird das Rechtsmittelverfahren zeigen, dass gegen den Beschluss des EuG derzeit anhängig ist.40 Wäre von einer fehlenden unionsgerichtlichen Kontrolle der Berücksichtigungspflicht auszugehen, würde sich auch die Frage stellen, ob nicht umgekehrt auch eine Missachtung der Berücksichtigungspflicht folgenlos bleiben müsste. 3.1.2. Inanspruchnahme für clarifying notice? Blickt man vor diesem Hintergrund auf die angekündigte clarifying notice der Kommission, so sprechen zumindest die damit verbundenen Rechtswirkungen für den Rückgriff auf dieses Instrument . Denn Empfehlungen sind zwar nicht rechtsverbindlich, ihr Inhalt ist aber von nationalen Gerichten wenigstens zu berücksichtigen. Fraglich ist jedoch, mit welchem Inhalt diese Handlungsform verknüpft werden kann. Die beabsichtigten Auslegungshinweise zielen nämlich auf eine Klarstellung des Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie und damit auf sekundäres Unionsrecht. Beispiele für ähnliche oder vergleichbare Empfehlungen liegen – soweit ersichtlich – nicht vor.41 Inwieweit sekundäres Unionsrecht bzw. seine Auslegung Gegenstand einer Empfehlung sein kann, lässt sich den zitierten Urteilspassagen nicht eindeutig entnehmen. Denn insoweit formuliert der EuGH einerseits einschränkend, dass es sich (nur) um eine Ergänzung verbindlicher Unionsvorschriften handeln kann.42 Anderseits findet sich zum Schluss des zitierten Urteils die weitergehende Aussage, dass eine Empfehlung (lediglich) geeignet sein muss, Aufschluss über die Auslegung „gemeinschaftlicher Bestimmung zu geben“.43 Ob insbesondere die letztgenannte Formulierung so weit verstanden werden kann, dass auch eine bestimmte Auslegung des Sekundärrechts selbst Gegenstand einer Empfehlung sein kann, erscheint aus kompetentiellen Gründen höchst fraglich. Denn zum einen steht die Zuständigkeit zur verbindlichen Auslegung des Unionsrechts allein dem Gerichtshof der EU zu (vgl. Art. 19 38 EuG, Beschluss vom 27.10.2015, Rs. T-721/14 (Belgien/Kommission), Rn. 20, 37. 39 EuG, Beschluss vom 27.10.2015, Rs. T-721/14 (Belgien/Kommission), Rn. 42 ff. 40 Vgl. EuGH, Rs. C-16/16 P. Siehe hierzu unter Angabe der Rechtssachennummer unter http://curia.europa.eu/juris /recherche.jsf?language=de (letztmaliger Abruf am 19.10.16). 41 An die Mitgliedstaaten gerichtete Empfehlungen werden in der (bisherigen) Kommissionspraxis eher dann eingesetzt , wenn kein verbindliches Sekundärrecht vorliegt, das den betreffenden Sachverhalt regelt. Vgl. etwa die Empfehlung 2014/478/EU der Kommission vom 14. Juli 2014 mit Grundsätzen für den Schutz von Verbrauchern und Nutzern von Online-Glücksspieldienstleistungen und für den Ausschluss Minderjähriger von Online -Glücksspielen, ABl.EU 2014 Nr. 214/38, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014H0478&from=DE (letztmaliger Abruf am 19.10.16), 42 EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C-322/88 (Grimaldi), Rn. 18. 43 EuGH, Urt. v. 13.12.1989, Rs. C-322/88 (Grimaldi), Rn. 19. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 14 Abs. 1 S. 2 EUV). Zum anderen könnte die Kommission mit einer bestimmten Auslegungsempfehlung und der an die Handlungsform geknüpften Berücksichtigungspflicht in die Nähe einer Richtlinienänderung gelangen und auf diesem Wege das jeweils vorgesehene Rechtssetzungsverfahren zu umgehen drohen.44 Ein solches Vorgehen ließe sich mit Art. 292 S. 4 AEUV kaum vereinbaren . Die Annahme einer solchen Gefahr dürfte umso größer sein, je mehr die Auslegungsempfehlung von dem Wortlaut der auszulegenden Norm abweicht bzw. über ihn hinausgeht. Dies könnte hier der Fall sein, da der Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie eben nur zwei Tatbestände der Nichtpatentierbarkeit vorsieht, die angestrebte Klarstellung jedoch in Richtung des § 2a Abs.1 Nr. 1 PatG gehen soll, dessen Wortlaut einen dritten Tatbestand vorsieht. Für einen solchen dritten Tatbestand finden sich in der Biopatentrichtlinie selbst allerdings keine Hinweise.45 Schließlich ist zu beachten, dass Empfehlungen sinnvollerweise nur auf das Organ zurückgeführt werden können, dass sie erlassen hat – hier zunächst nur auf die Kommission. Diese kann alleine aber nicht „die Intention des europäischen Gesetzgebers“ zum Ausdruck bringen. Ob und inwieweit dies möglich wäre, wenn auch das EP und der Rat an dem Erlass einer solchen Empfehlung beteiligt würden, ist offen. Problematisch ist zunächst, dass das EP nach Art. 292 AEUV keine Kompetenz hat, Empfehlungen zu erlassen und damit wohl auch, sich an Empfehlungen anderer Organe zu beteiligen. Wäre dies jedoch formal gleichwohl möglich, würde dies nichts an den Rechtswirkungen der Empfehlung ändern: sie wäre durch nationale Gerichte lediglich zu berücksichtigen, eine Befolgungspflicht bestünde nicht. 3.2. Mitteilung Auch bei der Mitteilung sind zuerst deren Rechtscharakter und mögliche Rechtswirkungen zu betrachten (3.2.1.), bevor im Anschluss erörtert wird, ob diese Handlungsform für die angekündigte clarifying notice genutzt werden könnte (3.2.2.). 3.2.1. Rechtscharakter und Rechtswirkungen einer Mitteilung Das Instrument der Mitteilung ist – anders als die Empfehlung – nicht ausdrücklich in den Verträgen geregelt. Es wird insbesondere von der Kommission häufig und in verschiedenen Kontexten eingesetzt, u. a. zur Information über die Auslegung näher umschriebener Bereiche des Unionsrechts .46 Beispielhaft sei auf die „Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug 44 Vgl., wenngleich mit Blick auf den Rat argumentierend, Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 8), Art. 292 AEUV, Rn. 5. 45 Siehe dazu etwa auch Erwägungsgrund Nr. 9 der Biopatentrichtlinie (Fn. 1). 46 Vgl. Schmidt/Schmitt von Sydow, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Fn. 17), Art. 17 EUV, Rn. 41. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 15 auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen“ verwiesen.47 In dieser erläutert die Kommission dem Wortlaut nach „ihr Verständnis der Rechtsprechung des EuGH […]“.48 Einschränkend wird formuliert , dass diese Mitteilung „keine neuen rechtlichen Regeln ein[führt]. Es ist jedoch zu beachten , dass die Auslegung des Gemeinschaftsrechts letztendlich in jedem Fall Sache des EuGH ist.“49 Vor diesem Hintergrund zielen derartige Mitteilungen gerade nicht darauf, irgendwelche Rechtswirkungen zu erzeugen. Es handelt sich vielmehr um rechtlich unverbindliche Informationsvermerke , mit denen die Kommission ggf. über ihr Verständnis des jeweils in Bezug genommenen Unionsrechts auf Grundlage der Rechtsprechung Auskunft gibt. Eine rechtliche Berücksichtigungspflicht von Mitteilungen an sich – analog zu Empfehlungen – lässt sich der Rechtsprechung des EuGH nicht entnehmen. Hierfür besteht auch kein Bedarf, soweit eine Mitteilung nur den Inhalt des geltenden Unionsrechts wiedergibt, insbesondere vor dem Hintergrund der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH. Insoweit bindet dann nicht die Mitteilung selbst, sondern das in der Mitteilung in Bezug genommene Unionsrecht als solches. Ob eine Mitteilung nur den Inhalt des Unionsrechts wiedergibt oder aber darüber hinausgeht, muss anhand des Inhalts der Mitteilung geprüft werden. Geht dieser über eine (deklaratorische) Wiedergabe hinaus und begründet im Ergebnis neue Verpflichtungen, ist die betreffende Mitteilung als rechtverbindliche Handlung anzusehen und mit der Nichtigkeitsklage überprüfbar.50 Da die Kommission in der Regel nicht befugt ist, (auf diese Weise) autonom Unionsrechts zu setzen, dürften „rechtsverbindliche“ Mitteilungen per se unionsrechtswidrig sein. 3.2.2. Inanspruchnahme für clarifying notice Ob die Kommission für ihre clarifying notice die Form einer Mitteilung wählen wird, bleibt abzuwarten , ist allerdings fraglich. Problematisch erscheint insoweit zum einen, dass zu Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie bisher gerade keine Rechtsprechung vorliegt, deren Verständnis – noch dazu in der hier gewünschten Richtung – (deklaratorisch) erläutert werden könnte. Würde die Kommission gleichwohl im Wege der Mitteilung erläuternd tätig werden und eine dem § 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG vergleichbare Auslegung des Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie vorgeben, könnten darin „neue Verpflichtungen“ gesehen werden, die mangels Kommissionskompetenz eine unionsrechtlich unzulässige Rechtsverbindlichkeit begründen. 47 ABl.EU 2006 Nr. C 179/2, online abrufbar unter https://mwvlw.rlp.de/fileadmin/mwkel/Abteilung_2/8203/Mitteilung _der_Kommission_zu_Unterschwellenvergaben.pdf (letztmaliger Abruf am 19.10.16). 48 Vgl. S. 1 (Fn. 47). 49 Vgl. S. 1 (Fn. 47). 50 Vgl. EuG, Urt. v. 20.05.2010, Rs. T-258/06 (Deutschland/Kommission), Rn. 26 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 16 Darüber hinaus stellte sich auch hier das Problem, dass die Kommission die Mitteilung nur im eigenen Namen erlassen kann, nicht aber im Namen des europäischen Gesetzgebers. Unterstellt man, dass auch das EP und der Rat an einer solchen Mitteilung beteiligt würden und werden könnten, so wäre zu klären, welche Bedeutung einer solchen Verlautbarung zukommen könnte. Ob eine solche Willensbekundung 18 Jahre nach Erlass der Biopatentrichtlinie noch als Intention des damals handelnden Gesetzgebers angesehen werden kann, erscheint fraglich. Denn nach dem Schrifttum zur europäischen Methodenlehre sind bei der historischen Auslegung von sekundärem Unionsrecht in erster Linie nur die Erwägungsgründe des Rechtsaktes zu berücksichtigen.51 Bei den sonstigen Materialien, die ggf. zur Ermittlung des gesetzgeberischen Willens herangezogen werden können, werden darüber hinaus nur solche erwähnt, die vor oder im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren entstanden sind, wie insbesondere Kommissionsvorschläge.52 Hiervon ausgehend könnte der Inhalt der clarifying notice jedenfalls nicht als Umstand im Rahmen der historischen Auslegung des Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie berücksichtigt werden. 3.3. Zwischenergebnis In welcher Handlungsform die Kommission die von ihr angekündigte clarifying notice umsetzen wird, bleibt abzuwarten. Mehr als nur der unverbindliche Informationsgehalt einer Mitteilung würde ihr rechtlich lediglich dann zukommen, wenn die Form einer Empfehlung gewählt würde. In diesem Fall wären die nationalen Gerichte zwar nicht verpflichtet, ihren Inhalt zu befolgen. Sie müssten die Empfehlung aber in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen, könnten hiervon aber auch abweichen. Problematisch erscheint in beiden Fällen, ob und inwieweit die Kommission – ggf. zusammen mit dem EP und dem Rat – in Form einer Empfehlung oder Mitteilung die Auslegung einer Sekundärrechtsnorm vorgeben darf, die ggf. nicht ohne Weiteres von ihrem Wortlaut gedeckt wird und zu der es bisher keine Rechtsprechung gibt, die eine solche Auslegung bestätigt. Soweit eine clarifying notice in Form einer Empfehlung oder Mitteilung mit Blick auf den Inhalt zulässig sein sollte, dürfte sie 18 Jahre nach Erlass der Biopatentrichtlinie allerdings wohl keine Bedeutung für die historische Auslegung des hier einschlägigen Art. 4 Abs. 1 haben. Fraglich ist schließlich, ob und inwieweit eine solche clarifying notice als Empfehlung auch die Unionsgerichte binden könnte. Denn die Befugnis zur verbindlichen Auslegung des Unionsrechts steht allein dem Gerichtshof der EU zu (vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV). Selbst wenn die betreffende Norm – hier Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie – mehrere Auslegungsmöglichkeiten bietet, könnte die Empfehlung einer bestimmten Auslegung durch die Kommission die Befugnis der Unionsgerichte zur verbindlichen Interpretation des Unionsrechts beschränken. 51 Vgl. etwa Riesenhuber, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 10, Rn. 33, 36 (siehe dort auch zur ihrer begrenzten Bedeutung für die historische Auslegung). 52 Vgl. ebenfalls Riesenhuber, aaO, § 10, Rn. 33 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 17 4. Beantwortung der einzelnen Fragen 4.1. Frage 1 Frage: Welche Rechtsbindung bzw. Rechtswirksamkeit geht rechtssystematisch von der seitens der Kommission angekündigten Klarstellung der Auslegung der Biopatentrichtlinie mittels einer „clarifying notice“ oder einer ähnlichen Mitteilung aus (unabhängig vom Inhalt dieses Dokuments )? Inwieweit wären EU-Gerichte und das Europäische Patentamt (EPA) verpflichtet, diesen Auslegungshinweisen bei Entscheidungen über Patentanträge bzw. bei Einsprüchen und Beschwerden gegen Patentansprüche zu folgen? Kann über diesen Ansatz einer Klarstellung das gleiche Niveau an Rechtssicherheit erreicht werden wie über eine Textänderung der EU-Biopatentrichtlinie ? Antwort: Lässt man den Inhalt der clarifying notice und die damit zusammenhängenden Rechtsfragen nach der Zulässigkeit einer solchen zunächst außen vor,53 so könnten ihr im besten Fall die Rechtswirkungen einer Empfehlung im Sinne des Art. 288 Abs. 5 AEUV zukommen.54 Sie wäre dann zwar rechtlich nicht verbindlich, wäre aber von nationalen Gerichten in nationalen Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen, ohne dass die Gerichte sie allerdings befolgen müssen.55 Folglich könnte selbst im Fall der clarifying notice als Empfehlung nicht das gleiche Niveau an Rechtssicherheit erreicht werden, wie im Fall einer Textänderung der Biopatentrichtlinie. Darüber hinaus ist fraglich, ob auch EU-Gerichte zur Berücksichtigung der clarifying notice verpflichtet wären. Denn es ist allein der Gerichtshof der EU, der zur verbindlichen Auslegung von Unionsrecht befugt ist (vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV). Ergänzend ist hinzuzufügen, dass EU-Gerichten derzeit ohnehin keine Zuständigkeit in Patentrechtstreitigkeiten zukommt. Nur soweit bei einem mitgliedstaatlichen Gericht Rechtsstreitigkeiten anhängig sind, bei denen auch die Biopatentrichtlinie eine entscheidungserhebliche Rolle spielt, könnte der EuGH hiermit im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV befasst werden und eine entsprechende Empfehlung Verfahrensgegenstand sein. Gegenüber dem EPA würde die clarifying notice – ungeachtet ihrer Rechtsform – aus sich selbst heraus keinerlei Rechtswirkungen entfalten. Denn das EPA wird als internationale Behörde auf Grundlage eines von der EU und dem EU-Recht losgelösten völkerrechtlichen Vertrags – dem EPÜ – tätig und ist daher zunächst nicht an das Unionsrecht gebunden. Für das EPA ist in Fragen der Patentierbarkeit und ihren Ausschlüssen das EPÜ, dort insbesondere Art. 53 Buchst. b EPÜ sowie die Regel 26 AusfO von Bedeutung. Nach Regel 26 Abs. 1 S. 2 AusfO ist die Biopatentrichtlinie bei europäischen Patentanmeldungen und Patenten, die biotechnologische Erfindungen zum Gegenstand haben, bei der Anwendung und Auslegen des EPÜ und der AusfO aber ergänzend heranzuziehen. 53 Siehe dazu oben unter 3., S. 4 ff., insbesondere 3.3., S. 15. 54 Vgl. oben unter 3.1.1., S. 11 f. 55 Siehe oben unter 3.3., S. 15 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 18 Ob dies auch für die clarifying notice gelten würde, ohne dass diese in Regel 26 Abs. 1 AusfO ausdrücklich erwähnt wird, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Wenn dies der Fall wäre, dann wäre die clarifying notice – ebenso wie die Biopatentrichtlinie – nur ergänzend heranzuziehen . Ob dies zukünftig zu einem anderen Auslegungsergebnis des Art. 53 Buchst. b EPÜ führen würde als in den eingangs erwähnten beiden Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer ,56 kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang , dass eine ergänzende Heranziehung sowohl der Biopatentrichtlinie als auch einer clarifying notice nicht gleichbedeutend ist mit einer materiellen Anpassung des EPÜ an das einschlägige EU-Recht.57 4.2. Frage 2 Frage 2: Würde sich die Rechtsverbindlichkeit einer „clarifying notice“ seitens der EU-Kommission aus juristischer Sicht erhöhen, wenn das Europäische Parlament und der Europäischer Rat die Auslegungshinweise der EU-Kommission formell (mit)beschließen? Antwort: Ausgehend von der Rechtsform einer Empfehlung kämen der clarifying notice auch bei einem Mitwirken von EP und Rat nur Rechtswirkungen im Sinne einer Berücksichtigungspflicht zu.58 Und dies würde nur gelten, soweit der clarifying notice ein unionsrechtlich empfehlungsfähiger Inhalt zukäme.59 Dessen ungeachtet, könnte eine solche Rechts- bzw. Handlungsform bzw. der darin geregelte Inhalt 18 Jahre nach Erlass der Biopatentrichtlinie nicht als Umstand im Rahmen der historischen Auslegung der Biopatentrichtlinie herangezogen werden.60 4.3. Frage 3 Frage 3: Inwieweit wäre der geplante Europäische Patentgerichtshof (im Rahmen des Europäischen Einheitspatentsystems) rechtssystematisch zur Beachtung dieser Auslegungsvorschriften zur EU-Biopatentrichtlinie seitens der EU-Kommission bei Entscheidungen über Patentanträge bzw. bei Einsprüchen und Beschwerden gegen Patentansprüche rechtlich verpflichtet? Antwort: 56 Vgl. Fn. 3, 4 sowie die Ausführungen in Fn. 16. 57 Vgl. hierzu oben 2.2.2., S. 6 f. 58 Siehe oben unter 3.1.1., S. 11 f. 59 Siehe oben unter 3.1.2., S. 12 f. 60 Siehe oben unter 3.1.2., S. 13. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 19 Fraglich ist zunächst, ob der in Zukunft ggf. tätig werdende „Europäische Patentgerichtshof“ bzw. laut EPGÜ das Einheitliche Patentgericht überhaupt zuständig wäre, über Patentanträge und deren Rechtmäßigkeit zu entscheiden. Nach der bisherigen Konzeption läge das Verfahren über die Erteilung von Patenten weiterhin beim EPA, das auf Grundlage des EPÜ und dort u. a. des Art. 53 Buchst. b EPÜ tätig wird. Die Entscheidung über die (Nicht-)Patentierbarkeit läge danach also nicht beim Einheitlichen Patentgericht.61 Soweit bei Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem erteilten Patent, die am Einheitlichen Patentgericht anhängig sein können, gleichwohl auch Art. 4 Abs. 1 Biopatenrichtlinie eine entscheidungserhebliche Rolle spielen kann, kommt es auf die Ausgestaltung des EPGÜ an. Der Konstruktion nach handelt es sich hierbei zwar um einen völkerrechtlichen Vertrag, der (zunächst ) nur zwischen den EU-Mitgliedstaaten der Verstärkten Zusammenarbeit geschlossen wird. Allerdings sieht das EPGÜ in Art. 20 vor, dass das Einheitliche Patentgericht in vollem Umfang Unionsrecht anwendet und seinen Vorrang achtet. Zu den Rechtsquellen, auf die das Einheitliche Patentgericht seine Entscheidung stützen kann, zählt nach Art. 24 Abs. 1 EPGÜ u. a. das Unionsecht [Buchst. a)]. Würde die clarifying notice als Empfehlung Bestandteil des Unionsrechts, wäre auch das Einheitliche Patentgericht – ebenso wie nationale Gerichte – zu dessen Berücksichtigung verpflichtet. Voraussetzung hierfür wäre allerdings, dass die clarifying notice einen in unionsrechtlicher Hinsicht empfehlungsfähigen Inhalt aufweisen würde.62 4.4. Frage 4 Frage 4: Wie groß ist die Rechtswirksamkeit bzw. die geschaffene Rechtssicherheit der von Kommissionseite geplanten Klarstellung zur Auslegung der Biopatentrichtlinie im Vergleich erstens zu einer direkten Textänderung der EU-Biopatentrichtlinie und zweitens gegenüber eines Beschlusses des Verwaltungsrates des Europäischen Patentübereinkommens zur entsprechenden Änderung der Ausführungsverordnung des Europäischen Patentübereinkommens? Antwort: Wie bereits unter Frage 1 ausgeführt, bleibt die Rechtssicherheit einer clarifying notice auch in Gestalt einer Empfehlung gegenüber eine textlichen Änderung der Biopatentrichtlinie deutlich zurück. Die Ausführungsordnung zum EPÜ ist europäisches Völkervertragsrecht und vom EU-Recht zu unterscheiden. Weder die Biopatentrichtlinie noch eine clarifying notice der Kommission haben von sich aus irgendwelche Rechtswirkungen auf das EPÜ oder die zu seiner Konkretisierung dienende Ausführungsordnung. Vor diesem Hintergrund bleibt die Rechtssicherheit einer clarifying notice erst recht auch gegenüber einer Änderung der Ausführungsordnung des EPÜ zurück. Fraglich wäre in diesem Zusammenhang allerdings, welchen Inhalt diese Änderung haben könnte. Derzeit enthält die Ausführungsordnung in Regel 26 Abs. 1 das Gebot, die Biopatentrichtlinie bei der Anwendung des EPÜ 61 Zu dessen Zuständigkeiten, vgl. Art. 32 EPGÜ (Fn. 25). 62 Siehe oben unter 3.1.2., S. 12 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 20 ergänzend heranzuziehen. Ob inhaltliche Ausführungen zu deren Verständnis oder dem Verständnis von Art. 53 Buchst. b EPÜ möglich wären, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Zu beachten ist, dass die Ausführungsordnung mit dem EPÜ vereinbar sein muss. Im Konfliktfall geht das EPÜ der Ausführungsordnung vor (vgl. Art. 164 Abs. 2 EPÜ). Eine textliche Änderung der Ausführungsordnungen im Zusammenhang mit Fragen der Nichtpatentierbarkeit im Sinne des § 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG würde jedenfalls dann ins Leere laufen, wenn sie im Widerspruch zu Bestimmungen des EPÜ stehen würde. Würde indes eine Änderung der Ausführungsordnung vorgenommen, die mit dem EPÜ vereinbar ist, wäre das EPA hieran gebunden 4.5. Frage 5 Frage 5: Welchen Grad an Rechtsverbindlichkeit brächte eine Kombination der geplanten Klarstellung zur Auslegung der EU-Biopatentrichtlinie mit einer gleichlautenden Änderung der Ausführungsverordnung des Europäischen Patentübereinkommens im Vergleich zur geplanten Klarstellung der EU-Biopatentrichtlinie durch die EU-Kommission allein? Antwort: Wie oben ausgeführt, sind Änderungen der Ausführungsordnung möglich.63 Fraglich ist allein, wie weit diese gehen können, insbesondere, ob eine bestimmte Auslegung des Art. 53 Buchst. b EPÜ vorgeben könnte. Siehe dazu auch die Ausführungen zu Frage 4. 4.6. Frage 6 Frage 6: Welche Punkte bzw. Aspekte wären bei der Formulierung der Klarstellung zur Auslegung der Biopatentrichtlinie bzw. bei der Änderung der Ausführungsverordnung des Europäischen Patentübereinkommens von zentraler Bedeutung, um bestehende Rechtsunsicherheiten aufzulösen, eine möglichst hohe Rechtsbindung für EPA und EU-Gerichte (einschließlich Patentgerichtshof) zu erreichen und so Patentansprüche auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere möglichst umfassend auszuschließen? Antwort: Wie oben ausgeführt, erscheint die Vorgabe einer Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Biopatentrichtlinie durch die Kommission (sowie ggf. auch EP und Rat), die § 2a Abs. 1 Nr. 1 PatG entspricht, unionsrechtlich problematisch.64 Ein dritter Tatbestand der Nichtpatentierbarkeit lässt sich weder dem Wortlaut noch den Erwägungsgründen der Biopatentrichtlinie ohne weiteres entnehmen. Es ist daher fraglich, ob eine in diese Richtung weisende Auslegung unionsrechtlich in die Form einer Empfehlung oder Mitteilung gegossen werden könnte. 63 Siehe oben unter 2.2.3., S. 7. 64 Vgl. 3.1.2., S. 12 f. sowie 3.2.2., S. 15 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 125/16 Seite 21 4.7. Frage 7 Frage 7: Welcher Ansatz ist als Übergangslösung sinnvoll, um möglichst schnell eine Änderung der jetzigen Patenterteilungspraxis des EPA zu erreichen im Sinne einer Unterbindung weiterer Patenterteilungen auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere, solange bis der wahrscheinlich langwierige Prozess einer direkten Änderung der EU-Biopatentrichtlinie abgeschlossen ist? Antwort: Da das EPA auf Grundlage des EPÜ und der Ausführungsordnung tätig wird und die Biopatentrichtlinie nach letzterer hierbei nur ergänzend heranzuziehen ist,65 erscheint eine Änderung der jetzigen Patenterteilungspraxis nur durch eine Änderung des EPÜ selbst oder ggf. der Ausführungsordnung möglich. Im Hinblick auf die Ausführungsordnung ist zu beachten, dass diese mit dem EPÜ vereinbar sein muss. – Fachbereich Europa – 65 Siehe oben unter 2.2.2. sowie 2.2.3., S. 6 ff.