© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 123/15 Fragen zu den Verhandlungsmandaten und Verhandlungsleitlinien, die der Kommission bzw. dem Hohen Vertreter vom Rat erteilt werden Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 123/15 Seite 2 Fragen zu den Verhandlungsmandaten und Verhandlungsleitlinien, die der Kommission bzw. dem Hohen Vertreter vom Rat erteilt werden Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 123/15 Abschluss der Arbeit: 29. September 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 123/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Erste Frage 4 2.1. Fragestellung 4 2.2. Antwort 4 3. Zweite Frage 4 3.1. Fragestellung 4 3.2. Antwort 5 4. Dritte Frage 6 4.1. Fragestellung 6 4.2. Antwort 6 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 123/15 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung setzt sich mit Fragen betreffend die der Kommission vom Rat erteilten Mandate zur Verhandlung von Übereinkünften zwischen der Union und Drittländern oder internationalen Organisationen (im Folgenden: Verhandlungsmandate) sowie die hierauf bezogenen Verhandlungsrichtlinien auseinander. 2. Erste Frage 2.1. Fragestellung Laufen Verhandlungsmandate, die der Rat der Kommission zur Verhandlung völkerrechtlicher Verträge mit Drittstaaten erteilt, zeitlich oder bei Änderung der Zusammensetzung von Regierungen aus? 2.2. Antwort Wenn der Rat (Auswärtige Angelegenheiten/Handel) der Kommission auf ihren Vorschlag hin durch Beschluss ein Verhandlungsmandat erteilt, so wird die Kommission hierdurch legitimiert, die im Mandat bezeichneten Verhandlungen aufzunehmen und zu führen (Art. 218 Abs. 3 und 4 AEUV, ggf. iVm Art. 207 Abs. 3 UAbs. 2 und 3 AEUV).1 Der Beschluss des Rates gemäß Art. 218 Abs. 2 AEUV ist ein Rechtsakt der Union im Sinne des Art. 288 Abs. 4 AEUV. Seine Gültigkeit ist ohne ausdrückliche Regelung nicht befristet. Als Unionsrechtsakt sind der Beschluss des Rates und das hieraus folgende Verhandlungsmandat zudem von der Zusammensetzung der Regierungen der Mitgliedstaaten unabhängig. 3. Zweite Frage 3.1. Fragestellung Können Verhandlungsmandate geändert werden? 1 Vgl. beispielsweise das Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)) zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika, welches folgende Bestandteile umfasst: Beschluss der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten über die Ermächtigung der Europäischen Kommission, im Namen der Mitgliedstaaten über die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallenden Bestimmungen eines umfassenden Handels- und Investitionsabkommens mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu verhandeln, EU-Dok.-Nr. 7399/13; Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, EU-Dok.-Nr. 7398/13, vgl. hierzu auch die Pressemitteilung des Rates vom 14. Juni 2013, EU-Dok.-Nr. 10862/13, abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/DE/foraff/138390.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 123/15 Seite 5 3.2. Antwort Gemäß Art. 218 Abs. 1 AEUV müssen Übereinkünfte zwischen der Union und Drittländern oder internationalen Organisationen nach dem in Art. 218 Abs. 2 bis 11 beschriebenen Verfahren ausgehandelt und geschlossen werden. Art. 218 AEUV stellt im Bereich des Abschlusses internationaler Verträge insofern eine eigene, allgemeine Bestimmung von verfassungsmäßiger Bedeutung dar, als er den Unionsorganen bestimmte Kompetenzen verleiht.2 In diesem unionsverfassungsrechtlichen Rahmen beruht das Verhandlungsmandat der Kommission auf dem Beschluss des Rates gemäß Art. 218 Abs. 3 und 4 AEUV (ggf. iVm Art. 207 Abs. 3 UAbs. 2 und 3 AEUV) und mithin auf einem Unionsrechtsakt. Das Verhandlungsmandat als solches ist aus unionsrechtlicher Sicht3 nicht „änderungsfest“. Eine Änderung ist insbesondere dahingehend denkbar, dass der im ursprünglichen Mandat bezeichnete Verhandlungsgegenstand oder Verhandlungspartner abgeändert oder das Mandat insgesamt zurückgenommen wird. Solche substantiellen Änderungen des Verhandlungsmandats erfordern eine entsprechende Entscheidung des Rates, die auf eine Änderung des dem Verhandlungsmandat zugrundeliegenden Unionsrechtsaktes gerichtet ist. Vor diesem Hintergrund ist ergänzend zu der Fragestellung darauf hinzuweisen, dass sich in diesem – in der unionsrechtlichen Praxis soweit ersichtlich beispiellosen – Fall die Frage stellt, in welchem Verfahren eine solche Änderung des Verhandlungsmandats zu erfolgen hat und inwiefern der Rat hierbei unabhängig von der Kommission handeln kann. Grundsätzlich hat eine Mandatsänderung als actus contrarius im Verfahren gemäß Art. 218 Abs. 3 und 4 AEUV (ggf. iVm Art. 207 Abs. 3 UAbs. 2 und 3 AEUV) zu erfolgen. Danach obliegt die Initiative zur Aufnahme von Verhandlungen gemäß Art. 218 Abs. 3 S. 1 AEUV der Kommission oder, soweit sich die geplante Übereinkunft ausschließlich auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bezieht, dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik. Die Kommission bzw. der Hohe Vertreter prüft zunächst, ob Verhandlungen aus ihrer jeweiligen Sicht erforderlich sind. Anschließend legt die Kommission bzw. der Hohe Vertreter entsprechend dem jeweiligen Zuständigkeitsbereich dem Rat Empfehlungen für die Aufnahme von Verhandlungen sowie im Hinblick auf den Inhalt der erstrebten Verhandlungsermächtigung vor. Auf dieser Grundlage entscheidet der Rat im Rahmen seines Letztentscheidungsrechtes mit ungebundenem politischem Ermessen über einen Beschluss über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen. Vor dem Hintergrund des abschließenden Initiativrechts der Kommission bzw. des Hohen Vertreters kann der Rat kein Verhandlungsmandat erteilen, ohne dass es zuvor zu Handlungen von Kommission bzw. Hohen Vertreter gekommen wäre. Vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf die in Art. 218 AEUV zum Ausdruck kommende Zuständigkeitsverteilung zwischen Rat und Kommission bzw. Hohem Vertreter und den Grundsatz des Art. 13 Abs. 2 EUV, wonach jedes Organ nach Maßgabe der ihm durch die Verträge zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen zu handeln hat, die in den Verträgen festgelegt sind, erscheint es angezeigt, dass das Verhältnis zwischen dem Initiativrecht der 2 Vgl. EuGH, Rs. C-327/91 (Frankreich/Kommission), Rn. 28. 3 Völkerrechtliche Implikationen, die sich potenziell aus einer Änderung des Verhandlungsmandates bei bereits aufgenommenen Verhandlungen ergeben könnten, bleiben bei der vorliegenden Untersuchung außer Betracht. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 123/15 Seite 6 Kommission bzw. des Hohen Vertreters einerseits und dem Letztentscheidungsrecht des Rates andererseits auch bei Änderungen des Verhandlungsmandates Berücksichtigung findet.4 4. Dritte Frage 4.1. Fragestellung Welche Bindungswirkungen haben „Muss-Bedingungen“ in Verhandlungsmandaten für die Kommission ? Welche rechtliche Grundlagen gibt es hierfür und wurden in der Praxis bisher häufig solche „Muss-Bedingungen“ in Verhandlungsmandate aufgenommen? 4.2. Antwort Der in der Fragestellung angesprochene Begriff des Verhandlungsmandats zielt ab auf die Festlegung von Verhandlungsleitlinien im Sinne von Art. 218 Abs. 2 und 4 AEUV, welche der Rat dem Verhandlungsführer für die Aufnahme und den Abschluss von Verhandlungen erteilen kann. Vorliegend wird der Begriff der „Muss-Bedingungen“ dahingehend verstanden, dass es sich bei solchen Klauseln um Bestimmungen handeln würde, die den Verhandlungsführer binden sollen, d.h. darauf abzielen, dass diese Positionen des Rates für die Kommission als Verhandlungsführerin verbindliche Wirkungen hervorrufen. Die Möglichkeit zur Aufnahme von „Muss-Bedingungen“ in die Verhandlungsleitlinien bemisst sich nach dem in Art. 218 AEUV (ggf. iVm 207 AEUV) vorgesehenen Vertragsschlusssystem. Im Rahmen dieser Zuständigkeitsverteilung gemäß Art. 218 AEUV haben der Rat und die Kommission Art. 13 Abs. 2 EUV zu beachten, wonach jedes Organ nach Maßgabe der ihm durch die Verträge zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen zu handeln hat, die in den Verträgen festgelegt sind. Die Kompetenz zum Vertragsschluss steht dem Rat dabei vorbehaltlich der Zuständigkeiten der Kommission auf diesem Gebiet zu.5 Darüber hinaus sieht Art. 17 Abs. 1 EUV vor, dass die Kommission außer in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und den übrigen in den Verträgen vorgesehenen Fällen die Vertretung der Union nach außen wahrnimmt. Diese Grundsätze über die Willensbildung der Unionsorgane sind im Vertrag festgelegt und stehen nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten oder der Organe selbst.6 Das Vertragsschlusssystem des Art. 218 AEUV (ggf. iVm 207 AEUV) sieht zur Schaffung eines Gleichgewichts zwischen den Unionsorganen vor, dass Übereinkünfte zwischen der Union und einem oder mehreren Drittstaaten von der Kommission unter Beachtung der vom Rat erlassenen Verhandlungsrichtlinien ausgehandelt und dann vom Rat – entweder nach Billigung durch das Parlament oder nach dessen Anhörung – geschlossen werden. Hiermit wird dem Rat die Möglichkeit gegeben, die Verhandlungsführung von Beginn an inhaltlich zu lenken und auch zu begren- 4 Zur Abänderbarkeit eines Vorschlags im Kontext des Verfahrens nach Art. 293 AEUV und den hierbei zu achtenden Garantien des Initiativrechts der Kommission vgl. EuGH, Rs. C-409/13 (Rat/Kommission), Rn. 71 ff. 5 Vgl. EuGH, Rs. C-327/91 (Frankreich/Kommission), Rn. 28. 6 EuGH, Rs. 68/86 (Vereinigtes Königreich/Rat), Rn. 38; EuGH, Rs. C-133/06 (Parlament/Rat), Rn. 54. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 123/15 Seite 7 zen bzw. auf bestimmte Sachmaterien festzulegen. Mit Blick auf das Kriterium, dass die Verhandlungsleitlinien von der Kommission lediglich zu beachten sind, überlassen die Verhandlungsrichtlinien der Kommission die Wahl der Form und der Mittel und dienen der Kommission in ihrer Eigenschaft als Verhandlungsführerin bei den Verhandlungen nur als Richtschnur, indem die Leitlinien die allgemeinen Ziele darlegen, die der Verhandlungsführer bei den Verhandlungen versuchen soll zu erreichen.7 Die von den Richtlinien ausgehende Bindung des Verhandlungsführers ist weniger rechtlicher als politischer Natur. Das System des Art. 218 AEUV zielt auf eine lediglich „mittelbare Bindungswirkung“ der Verhandlungsleitlinien ab, indem die etwaige Missachtung von Richtlinien, die der Rat der Kommission im Hinblick auf Verhandlungen gemäß Art. 218 AEUV erteilen kann, allgemein im Rahmen des Beschlusses sanktioniert wird, mit dem der Rat die Übereinkunft annimmt oder ablehnt.8 Vor diesem Hintergrund verstieße ein verbindlicher Charakter von Positionen des Rates im Sinne von „Muss-Bedingungen“ in den Verhandlungsleitlinien bzw. die Aufnahme von entsprechenden Bestimmungen in die Verhandlungsleitlinien gegen Art. 218 Abs. 4 AEUV. Mit der Aufnahme solcher Bestimmungen in die Verhandlungsrichtlinien würde der Rat sowohl gegen den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts als auch gegen die Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 2 EUV verstoßen, nach Maßgabe der ihm durch Art. 218 Abs. 2 bis 4 AEUV zugewiesenen Befugnisse zu handeln. Durch diese Bestimmung wird der Rat zwar zur Aufstellung von Verhandlungsrichtlinien ermächtigt. Ihm wird aber nicht die Befugnis übertragen, dem Verhandlungsführer Verhandlungspositionen im Einzelnen vorzuschreiben.9 - Fachbereich Europa - 7 Schlussanträge Generalanwalt Wathelet zu EuGH, Rs. C-425/13, (Kommission/Rat), Rn. 68 ff. 8 Vgl. EuG, Rs. T-226/04 (Italien/Kommission), Rn. 76 ff. 9 EuGH, Rs. C-425/13 (Kommission/Rat), Rn. 90.