© 2013 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 – 120 /13 Ausarbeitung Kroatisches Gesetz über den Aufenthaltsort Zur Vereinbarkeit mit dem EU-Recht Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 2 PE 6 - 3000 – 120/13 Kroatisches Gesetz über den Aufenthaltsort Zur Vereinbarkeit mit dem EU-Recht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 – 120/13 Abschluss der Arbeit: 25.11.2013 Fachbereich: PE 6: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 3 PE 6 - 3000 – 120/13 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Unionsrechts 5 3. Pflichten bei Ausreise zum Zwecke der Ausbildung 5 3.1. Gewährleistungsgehalt und Anwendungsbereich 6 3.2. Beeinträchtigung der Freizügigkeit 7 3.3. Rechtfertigung 8 3.4. Zwischenergebnis 10 4. Pflichten bei Ausreise zum Zwecke der Arbeitsaufnahme 10 5. Meldepflichten bei Auswanderung 10 6. Inländische Meldepflichten und Meldepflichten nach Rückkehr 11 7. Entzug des Personalausweises 11 8. Ergebnisse 13 Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 4 PE 6 - 3000 – 120/13 1. Einleitung Diese Ausarbeitung geht der Frage nach, ob das in Kroatien am 29. Dezember 2012 in Kraft getretene Gesetz über den Aufenthaltsort (Zakon o prebivalistu - Aufenthaltsortsgesetz) mit dem EU-Recht vereinbar ist. Das Aufenthaltsortsgesetz war in der für diese Ausarbeitung zur Verfügung stehenden Frist weder in kroatischer noch in deutscher Sprache vollständig zu beschaffen. Das Auswärtige Amt hat jedoch eine inoffizielle Zusammenfassung des Gesetzes und dafür eine Arbeitsübersetzung (als Anlagen 1, 2 und 3 anbei) zur Verfügung gestellt. Der nachfolgenden Prüfung werden die bekannten, der Arbeitsübersetzung entnommenen Regelungen zu Grunde gelegt. Im Einzelnen wird von folgenden Regelungen ausgegangen: Kroatische Bürger müssen ihren Aufenthaltsort innerhalb von 15 Tagen bei der zuständigen Polizeidienststelle anzeigen, wenn sie sich länger als drei Monate dort aufhalten möchten. Ein Aufenthalt wird für die Dauer von einem Jahr angezeigt.1 Kroatische Staatsbürger, die sich ständig in einem anderen Staat niederlassen („auswandern“) wollen, sind verpflichtet, ihren (geplanten) Aufenthalt vor der „Auswanderung“ der zuständigen Polizeidienststelle am vorherigen Wohnort, spätestens aber innerhalb von 15 Tagen nach Einwanderung in den Zweitstaat der dortigen konsularischen Vertretung anzuzeigen.2 Kroatische Staatsbürger, die für länger als ein Jahr zum Zwecke der Ausbildung oder Arbeitsaufnahme aus Kroatien ausreisen wollen, sind verpflichtet, dies bei der zuständigen Polizeidienststelle am bisherigen Wohnort oder bei der zuständigen diplomatischen Auslandsvertretung anzuzeigen und Unterlagen über die Gründe des vorläufigen Aufenthalts außerhalb Kroatiens vorzulegen.3 Kroatische Staatsbürger, die nach Ablauf von fünf Jahren im Ausland bleiben, sind verpflichtet, dies noch mal und dann jeweils alle drei Jahre bei der zuständigen kroatischen Polizeidienststelle oder der konsolarischen Vertretung im Ausland anzuzeigen .4 Kroatische Staatsbürger, die nach Kroatien zurückkehren, sind verpflichtet, ihren Aufenthalt bei der zuständigen Polizeidienststelle anzuzeigen.5 1 Im Folgenden innerstaatliche Meldepflicht. 2 Im Folgenden Meldepflicht bei geplanter Auswanderung . 3 Im Folgenden Pflichten bei Ausreise zum Zwecke der Ausbildung bzw. zum Zwecke der Arbeitsaufnahme . 4 Im Folgenden Meldepflicht nach Auswanderung. 5 Im Folgenden Meldepflicht bei Rückkehr. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 5 PE 6 - 3000 – 120/13 Aus den vom Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellten Unterlagen geht nicht hervor, dass mit den beschriebenen Meldepflichten der Einzug und die Vernichtung von Personaldokumenten einhergeht. Der kroatischen Presse6 und den Angaben des Auftraggebers ist aber zu entnehmen, dass Folge der Abmeldung aus Kroatien sei, dass der Personalausweis der betreffenden Person eingezogen und vernichtet werde. Den betroffenen Personen verbliebe der kroatische Reisepass als Dokument. Ein Verstoß gegen die (Ab-)Meldepflicht könne mit einer Strafe von bis zu 800,00 € und der Vernichtung des Personalausweises geahndet werden. Da der konkrete Regelungsgehalt diesbezüglich nicht bekannt ist, kann in diesem Gutachten nur am Rande darauf eingegangen werden, ob eine solche Regelung mit dem Europarecht vereinbar wäre. Den Schwerpunkt der Prüfung bildet die Frage, ob die im kroatischen Aufenthaltsortsgesetz geregelten verschiedenen Meldepflichten gegen europäisches Recht verstoßen. Nachdem in zunächst die grundsätzliche Anwendbarkeit des Unionsrechts geprüft wird (dazu unter 2.), werden anschließend die einzelnen genannten Regelungen kursorisch auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht untersucht (dazu unter 3. bis 7.). 2. Grundsätzliche Anwendbarkeit des Unionsrechts Kroatien wurde am 1. Juli 2013 der 28. Mitgliedstaat der Europäischen Union. Soweit nicht der Beitrittsakte7 etwas anderes zu entnehmen ist, ist das Unionsrecht damit grundsätzlich anwendbar und nationale Regelungen Kroatiens an ihm zu messen. Es gilt aber im Rahmen der einzelnen zur Anwendung gelangenden europäischen Regelungen zu verifizieren, dass und unter welchen Bedingungen diese zum jetzigen Zeitpunkt zur Anwendung gelangen. Art. 18 Beitrittsakte verweist hierfür auf ihren Anhang V, dem die Übergangsmaßnahmen zu entnehmen sind. 3. Pflichten bei Ausreise zum Zwecke der Ausbildung Das kroatische Aufenthaltsortsgesetz normiert – soweit ersichtlich – für kroatische Staatsbürger, die zum Zwecke der Ausbildung aus Kroatien ausreisen wollen, zum einen die Pflicht, sich bei den kroatischen Behörden abzumelden und zum anderen die Pflicht, dort Unterlagen, aus denen die Gründe für die Ausreise hervorgehen, vorzulegen. Gegebenenfalls ist die Einhaltung dieser Pflicht auch strafbewehrt und zieht bei Verletzung eine Geldbuße von 800,00 € nach sich. Solche Regelungen könnten gegen Art. 21 AEUV8 (Freizügigkeit) verstoßen. Danach hat jeder Unionsbürger – also auch die kroatischen Staatsbürger – das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Dieses unionsbür- 6 Vgl. den vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Zeitungsartikel aus der Zeitung „FeniX“ vom November 2013: „Durch die Annullierung der Personalausweise werden wir zu Ausländern“. 7 Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien und die Anpassungen des Vertrags über die Europäische Union, des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. L 112/21 vom 24.4.2012. 8 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 6 PE 6 - 3000 – 120/13 gerliche Freizügigkeitsrecht ist unmittelbar anwendbar und bedarf keiner weiteren Umsetzung durch sekundäres Unionsrecht.9 Da Art. 21 AEUV das allgemeine Freizügigkeitsrecht begründet, ist vorab zu prüfen, ob ein spezielles Freizügigkeitsrecht aus einer der Grundfreiheiten in Betracht käme. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die Bewegungsfreiheit aus wirtschaftlichen Gründen in Anspruch genommen werden soll.10 Die hier gegenständliche Regelung knüpft aber rechtliche Konsequenzen an die Ausreise zum Zwecke der Ausbildung. Steht die Ausbildung im Vordergrund, ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht von einer wirtschaftlichen Tätigkeit auszugehen, so dass Prüfungsmaßstab in diesem Fall das allgemeine Freizügigkeitsrecht und nicht etwa die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff. AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) oder die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) ist. 3.1. Gewährleistungsgehalt und Anwendungsbereich Art. 21 Abs. 1 AEUV gewährt zunächst ein Recht auf freie Bewegung und freien Aufenthalt in allen Mitgliedstaaten einschließlich der Ein- und Ausreise. Die gegenständliche kroatische Regelung enthält keine unmittelbaren Beeinträchtigungen11 dieser Rechte auf Bewegung und Aufenthalt. So wird den kroatischen Staatsbürgern weder die Ausreise aus Kroatien zum Zwecke der Ausbildung verweigert, noch wird ihnen der Aufenthalt in anderen EU-Mitgliedstaaten zum Zwecke der Ausbildung verboten. Nach der Rechtsprechung des EuGH enthält Art. 21 AEUV neben dem ausdrücklichen Recht auf Bewegung und Aufenthalt in Verbindung mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit) auch ein Recht auf Gleichbehandlung der Unionsbürger, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht haben, mit den Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaates .12 Die hier gegenständliche Regelung richtet sich jedoch an die eigenen Staatsangehörigen Kroatiens und nicht an Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten, die im Rahmen der Wahrnehmung ihres Freizügigkeitsrechts in Kroatien einreisen bzw. dort Aufenthalt begehren. Eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit liegt offensichtlich nicht vor, so dass eine Anwendung von Art. 18 AEUV nicht in Betracht kommt. Art. 21 AEUV verbietet aber nicht nur unmittelbare Beeinträchtigungen und diskriminierende, sondern auch beschränkende Maßnahmen des Aufnahme- und des Herkunftsstaates, jedenfalls soweit ein grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben ist. Unionsbürger können sich also auch gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat auf ihre mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rech- 9 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, 738 m.w.N. 10 Vgl. statt vieler Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 21 AEUV, Rn. 18 11 Im Einzelnen zu unmittelbaren Beeinträchtigungen der Rechte auf Bewegung und Aufenthalt vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, Rn. 740 ff. 12 Str. Vgl. dazu Frenz, Handbuch Europarecht - Band 1 Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2011, S. 1277 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 7 PE 6 - 3000 – 120/13 te berufen.13 Art. 21 AEUV verbietet insofern auch freizügigkeitsrelevante Beeinträchtigungen des Herkunftsstaates, d.h. Behinderungen eigener Staatsangehöriger bei der Wahrnehmung der Freizügigkeit . Eine solche Beeinträchtigung liegt vor, wenn die Ausübung des Freizügigkeitsrechts unmittelbar oder mittelbar erschwert, eingeschränkt oder aufgehoben wird. Fraglich ist also, ob die kroatische Regelung einer (möglicherweise strafbewehrten) Pflicht, sich abzumelden und Unterlagen über Gründe der Ausreise vorzulegen, die kroatischen Staatsangehörigen bei der Wahrnehmung der Freizügigkeit in diesem Sinne beeinträchtigt. Das ist dann der Fall, wenn sich der vom nationalen Recht geregelte Bereich auf die Freizügigkeit auswirkt oder auswirken kann.14 Lediglich rein innerstaatliche Sachverhalte, in denen die Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV in tatsächlicher Hinsicht weder in Anspruch genommen wurde und auch nicht genommen werden soll, wären nicht erfasst.15 Der Europäische Gerichtshof hatte bisher nicht darüber zu entscheiden, ob (strafbewehrte) Meldeund Nachweispflichten der Herkunftsmitgliedstaaten von Unionsbürgern, die von ihren Freizügigkeitsrechten Gebrauch machen, in den Anwendungsbereich der unionsrechtlich gewährten Freizügigkeit fallen.16 Die Pflicht, sich vor der Ausreise bei den mitgliedstaatlichen Behörden zu melden und dort Unterlagen über die Gründe der Ausreise vorzulegen, kann sich aber nach hiesiger Auffassung auf die Freizügigkeit auswirken. Es handelt sich – anders als bei der ebenfalls im Aufenthaltsortsgesetz normierten innerstaatlichen Meldepflicht17 – nicht um eine Regelung eines rein innerstaatlichen Sachverhalts, da sie an die Ausreise aus Kroatien anknüpft. Die Regelung über Pflichten anlässlich der Ausreise zum Zwecke der Ausbildung fallen damit in den Anwendungsbereich von Art. 21 AEUV. 3.2. Beeinträchtigung der Freizügigkeit Da es hier nicht um einen direkten Eingriff in das Bewegungs- und Aufenthaltsrecht geht, sondern um eine Behinderung, die aus Anlass der Wahrnehmung dieser Rechte erfolgt, ist nach der Rechtsprechung des EuGH zu unterscheiden, ob die mitgliedstaatliche Maßnahme grenzüberschreitende Sachverhalte diskriminiert oder ob eine bloße Beschränkung des Freizügigkeitsrechts gegeben ist. So stellen nationale Regelungen, die Unionsbürger, welche die Freizügigkeit ausgeübt haben oder ausüben wollen, in einer vergleichbaren Situation schlechter stellen, als solche Bürger, die diese Rechte nicht wahrgenommen haben, eine Beeinträchtigung von Art. 21 13 EuGH, Rs. C-192/05 (Tas-Hagen und Tas), Urteil vom 26. Oktober 2006, Rn. 19. 14 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, 749 m.w.N. 15 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, Rn. 749. 16 Beispiele für nationale Regelungen, die nach Ansicht des Gerichtshofs Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Freizügigkeit haben können, finden sich bei Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, Rn. 749. 17 Vgl. oben Fn. 1. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 8 PE 6 - 3000 – 120/13 Abs.1AEUVdar.18 AberArt.21Abs.1AEUVenthält aucheinvongleichheitsrechtlichenErwägungen losgelöstes Beschränkungsverbot.19 Bei diesem kommt es darauf an, ob die strittige Regelung geeignet ist, Unionsbürger von der Wahrnehmung der unionsbürgerlichen Freizügigkeit abzuhalten.20 Im Inland verbleibende Bürger trifft nach dem Aufenthaltsortsgesetz zwar die Verpflichtung, sich bei Veränderung ihres Wohnorts bei den zuständigen Behörden zu melden, sie müssen aber keine Unterlagen zu den Gründen der Wohnortsveränderung vorlegen. Entsprechend ließe sich argumentieren , dass eine Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte vorliegt. Jedenfalls können sich die normierten (strafbewehrten) Pflichten aber als Beschränkung21 des Freizügigkeitsrechts darstellen, da sie potentiell geeignet sein können, kroatische Bürger von der Wahrnehmung ihrer unionsbürgerlicher Freizügigkeit abzuhalten. Fraglich ist hier aber, ob die Regelung bereits die „Schwelle“ zur relevanten Beeinträchtigung22 überschreitet, oder ob nicht die gestellten Anforderungen so gering sind, dass nicht von einem Eingriff auszugehen wäre. Jedenfalls die Verknüpfung der Pflichten mit der Androhung einer Strafzahlung in Höhe von 800,00 € im Falle ihrer Verletzung erschiene nach hiesiger Auffassung als relevante Beeinträchtigung, wenn es auch die bloße Meldepflicht gegebenenfalls nicht ist. 3.3. Rechtfertigung Wäre von einer Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrechts auszugehen, kann diese dennoch gerechtfertigt und damit europarechtsgemäß sein. Ausdrückliche Rechtfertigungsgründe finden sich in Art. 21 AEUV – anders als etwa in Art. 45 Abs. 3 AEUV bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit – nicht. Der enthaltene Vorbehalt der „Beschränkungen und Bedingungen“ bezieht sich aber auf die bestehenden Beschränkungen der Personenverkehrsfreiheiten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit, deren Voraussetzungen in der Freizügigkeitsrichtlinie23 näher konkretisiert wurden.24 Die dort enthaltenen Regelungen beziehen sich nur auf das Aufenthaltsrecht und sind insofern allein an den 18 Hierbei handelt es sich nicht um die oben erwähnte Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit, da keine Unterscheidung zwischen Inländern und EU-Ausländern vorgenommen wird. Vgl. dazu im Einzelnen Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, Rn. 717. 19 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, 750 m.w.N. 20 EuGH, verb. Rs. C-11/06 und c-12/06 (Morgan/Auslandsausbildungsförderung), Urteil vom 23. Oktober 2007, Rn. 31. 21 Zum Beschränkungsverbot vgl. Frenz, Handbuch Europarecht - Band 1 Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2011, S. 1296ff.. 22 Vgl. Frenz, Handbuch Europarecht - Band 1 Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2011, Rn. 4129, der etwa in Grenzkontrollen, die die Fortbewegung lediglich vorübergehend verzögern, keine Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrechts erkennen will. 23 Richtlinie 2004/38/EG. 24 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, Rn. 743. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 9 PE 6 - 3000 – 120/13 Mitgliedstaat gerichtet, in welchen sich ein Unionsbürger begeben will. Regelungen des Herkunftsmitgliedstaates können danach nicht gerechtfertigt werden. Über diese primär- und sekundärrechtlichen Rechtfertigungsgründe hinaus hat der EuGH ungeschriebene Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen der Grundfreiheiten anerkannt. So kommen „Erwägungen des Allgemeininteresses“ in Betracht, um beschränkende Maßnahmen zu rechtfertigen. Anerkannte Rechtfertigungsgründe sind beispielsweise das finanzielle Gleichgewicht des Bildungssystems25, das Erfordernis der Integration in die Gesellschaft eines sozialleistungsgewährenden Mitgliedstaates26, effektive Kontrolle der Anspruchsvoraussetzungen von Sozialleistungen 27 u.ä. Welche Erwägungen des Allgemeininteresses hinter den normierten Pflichten bei Ausreise zum Zwecke der Ausbildung stehen, ist nicht bekannt, da eine Gesetzesbegründung nicht vorliegt. Hinter der Meldepflicht mag das legitime Bedürfnis des Staates stehen, zu wissen, wo sich seine Bürger aufhalten, um beispielsweise Wählerverzeichnisse u.ä. führen zu können. Ebenso dürfte es als legitimer Zweck anzuerkennen sein, wenn ein Staat statistische Erhebungen etc. durchführen möchte. Insofern spricht einiges dafür, dass hinter der Meldepflicht eine legitime Erwägung des Allgemeininteresses steht. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die Freizügigkeitsrichtlinie selbst den Mitgliedstaaten gestattet, Meldepflichten für Unionsbürger, die die Freizügigkeitsrechte wahrnehmen, zu normieren28, wenn auch im Aufnahme- und nicht wie hier im Herkunftsstaat. Jedenfalls anerkennt das Europarecht das Bedürfnis der Mitgliedstaaten, Kenntnis über den Aufenthaltsort von Bürgern zu haben, so dass wohl davon auszugehen ist, dass hinter Meldepflichten ein legitimes Interesse stehen kann. Ob dies auch für die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen für die Ausreise gilt, darf bezweifelt werden. Es drängt sich jedenfalls keine hinter dieser Regelung stehende Erwägung des Allgemeininteresses auf. Warum der Staat Kenntnis über die Gründe einer Ausreise erlangen soll, ist nicht ersichtlich. Desweiteren müsste die Maßnahme, hier also die normierte (strafbewehrte) Meldepflicht, auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, d.h. die Regelung müsste geeignet, erforderlich und angemessen zur Erreichung des legitimen Zwecks sein.29 Die bloße Anordnung einer Meldepflicht dürfte diesem Grundsatz genügen. Zweifelhaft ist aber, ob eine Strafbewehrung mit einer derartig hohen Geldstrafe noch verhältnismäßig wäre. Hier ist nach hiesiger Auffassung 25 Rs. Morgan, a.a.O., Rn. 34. 26 C-499/06 (Nerkowska), Urteil vom 22. Mai 2008, Rn. 25. 27 Rs. Nerkowska, a.a.O., Rn. 26. 28 Aus Art. 5 Abs. 5 Freizügigkeitsrichtlinie folgt die Möglichkeit, dass Mitgliedstaaten von einreisenden EU- Bürgern verlangen, dass diese ihre Anwesenheit im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates innerhalb eines angemessenen und nicht diskriminierenden Zeitraums meldet. Die Nichterfüllung dieser Meldepflicht kann mit verhältnismäßigen und nicht diskriminierenden Sanktionen geahndet werden. Auch Art. 8 Freizügigkeitsrichtlinie enthält Vorschriften im Hinblick auf vom Aufnahmemitgliedstaat angeordneten Meldepflichten. So können Aufnahmemitgliedstaaten etwa verlangen, dass sich Unionsbürger für Aufenthalte länger als drei Monaten bei den zuständigen Behörden anmelden. 29 Vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, Rn. 746 und 753 unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 10 PE 6 - 3000 – 120/13 davon auszugehen, dass mildere Mittel – etwa geringere Geldbußen – gleich geeignet zur Erreichung des Zwecks sein dürften. Jedenfalls erscheint eine Geldbuße von 800,00 € als unangemessen für die Sanktionierung eines bloßen Meldeverstoßes. 3.4. Zwischenergebnis Nach alledem können sich die Pflichten, sich bei Ausreise zum Zwecke der Ausbildung bei den Behörden zu melden und Unterlagen über den Grund der Ausreise vorzulegen, als Beeinträchtigung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts darstellen. Die Meldepflicht dürfte aber – soweit bei Verletzung nicht eine Strafzahlung von 800,00 € drohte – gerechtfertigt und damit europarechtskonform sein. Zweifel an der Europarechtskonformität bestehen im Hinblick auf die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen. 4. Pflichten bei Ausreise zum Zwecke der Arbeitsaufnahme Die Normierung von Pflichten bei Ausreise zum Zwecke der Arbeitsaufnahme30 knüpft anders als im Falle der Ausbildung an einen wirtschaftliche Betätigung als Arbeitnehmer oder Selbständiger an, so dass für diese Regelung eine Verletzung der speziellen Grundfreiheiten aus Art. 45 ff. AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) oder Art. 49 ff. AEUV (Niederlassungsfreiheit) in Betracht kommt. Auch diese beiden Grundfreiheiten normieren ein Beschränkungsverbot.31 Wie im Rahmen des allgemeinen Freizügigkeitsrechts gilt es auch hier zu prüfen, ob die kroatische Regelungen geeignet ist, die Arbeitnehmerfreizügigkeit oder das Recht auf freie Niederlassung zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Im Rahmen der Rechtfertigung kommt es auch hier darauf an, ob zwingende Gründe des Allgemeininteresses hinter der Regelung stehen und ob die Regelung verhältnismäßig ist. Insofern ergeben sich keine entscheidenden Unterschiede im Vergleich zur Prüfung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts, so das auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen wird. 5. Meldepflichten bei Auswanderung Auch die verschiedenen normierten Meldepflichten, die daran geknüpft sind, dass kroatische Bürger sich entscheiden, in einen anderen EU-Mitgliedstaat „auszuwandern“32 oder dies bereits getan haben und nunmehr entscheiden, weiterhin ihren Aufenthalt in diesem anderen EU- Mitgliedstaat zu nehmen33, können gegen das Freizügigkeitsrecht verstoßen. Für eine Anwendung spezieller Grundfreiheiten gibt es hier mangels wirtschaftlicher Betätigung keinen Raum. Hinsichtlich der Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrecht durch die Meldepflichten gilt das oben Gesagte entsprechend. Als problematisch könnte sich hier aber erweisen, dass die Meldung in- 30 Vgl. oben Fn. 3. 31 Im Einzelnen dazu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 8. Aufl. 2012, Rn. 892 ff. für die Arbeitnehmerfreizügigkeit Rn. 939 ff. für die Niederlassungsfreiheit. 32 Vgl. oben Fn. 2. 33 Vgl. oben Fn. 4. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 11 PE 6 - 3000 – 120/13 nerhalb einer Frist von nur 15 Tagen und dann in regelmäßigen Abständen von 3 Jahren erfolgen muss. Möglicherweise wird damit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Angesichts der Möglichkeit, sich bei der konsularischen Vertretung im betreffenden Ausland zu melden und mit Blick darauf, dass es scheinbar nicht erforderlich ist, persönlich zu erscheinen, dürften aber nach hiesiger Auffassung – wieder unter dem Vorbehalt, dass die bei Verstoß gegen die Meldepflichten drohenden Strafen verhältnismäßig sind – keine durchgreifenden Bedenken gegen eine Europarechtskonformität dieser Regelung bestehen. 6. Inländische Meldepflichten und Meldepflichten nach Rückkehr Auch die weiteren normierten Meldepflichten im Inland und nach Rückkehr aus dem Ausland34 begegnen keinen europarechtlichen Bedenken. Die inländische Meldepflicht betrifft einen reinen Inlandssachverhalt und ist als solcher nicht am unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht zu messen. Die Meldepflicht nach Rückkehr fällt zwar wiederum in den Anwendungsbereich des Unionsrechts . Auch hier kommt aber eine Rechtfertigung einer möglicherweise vorliegenden Beeinträchtigung – obwohl hier die Schwelle zur Relevanz möglicherweise unterschritten ist35 – unter dem Vorbehalt verhältnismäßiger Sanktionen in Betracht. 7. Entzug des Personalausweises Auch der Entzug des Personalausweises als Folge der Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit kann sich als Eingriff in Art. 21 AEUV darstellen, der zu rechtfertigen wäre. Hierzu liegen keine konkreten Angaben vor, so dass nicht geprüft werden kann, ob diese Maßnahme gerechtfertigt wäre. Insbesondere ist nicht bekannt, unter welchen Voraussetzungen kroatische Staatsbürger sonst einen Personalausweis erhalten, wofür ein solcher konkret benötigt wird und ob es Nachteile mit sich bringt, keinen Personalausweis zu besitzen. Möglicherweise könnte aber der an die Ausreise geknüpfte Entzug des Personalausweises gegen die Freizügigkeitsrichtlinie36 verstoßen. Dort sind Regelungen zu Ausweisdokumenten im Zusammenhang mit der Ein- und Ausreise von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen in und aus EU-Mitgliedstaaten normiert. Art. 18 Beitrittsakte i.V.m. Ziff. 2) Anhang V zur Beitrittsakte - Liste nach Art. 18 der Beitrittsakte: Übergangsmaßnahmen – ist zu entnehmen, dass sich Übergangs- und Sondervorschriften die Freizügigkeit kroatischer Bürger betreffend, v.a. auf den Zugang dieser zu den Arbeitsmärkten 34 Vgl. oben Fn. 1 und Fn. 5. 35 Siehe oben S. 8. 36 Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011, ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1. konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2004L0038:20110616:DE:PDF, zuletzt abgerufen am 14.11.2013. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 12 PE 6 - 3000 – 120/13 der anderen Mitgliedstaaten bzw. auf die Möglichkeit der anderen Mitgliedstaaten, die vorübergehende grenzüberschreitende Beschäftigung von Arbeitnehmern einzuschränken (vgl. Ziff. 1, Unterziff. 2, 12), beziehen. Die Regelungen zu Ausweisdokumenten sind anwendbar. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Freizügigkeitsrichtlinie haben alle Unionsbürger, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen das Recht, das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates zu verlassen und sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben. Art. 4 Abs. 3 der Vorschrift sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihren Staatsangehörigen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass auszustellen, der ihre Staatsangehörigkeit angibt und diese Dokumente zu verlängern. In Abs. 4 heißt es, dass für den Fall, dass die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates keinen Personalausweis vorsehen, ein Reisepass mit einer Gültigkeit von mindestens fünf Jahren auszustellen oder zu verlängern ist. Nach Art. 5 Abs. 1 Freizügigkeitsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Unionsbürgern, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, die Einreise zu gestatten. Auch für das Recht auf Aufenthalt knüpft die Freizügigkeitsrichtlinie in ihrem Art. 6 Abs. 1 an den Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses an. Die Freizügigkeitsrichtlinie enthält hingegen keine Vorschriften dazu, unter welchen Voraussetzungen ein Mitgliedstaat seinen eigenen Staatsbürgern verschiedene Arten von Ausweisdokumenten auszustellen hat. Aus den Regelungen lässt sich aber schließen, dass das europäische Recht jedenfalls verschiedene Reisedokumente – also Personalausweis und Reisepass – anerkennt und den Mitgliedstaaten nicht vorschreibt, dass sie ihren Bürgern beides zur Verfügung stellen müssen. Ausdrücklich geregelt ist der Fall, dass die nationale Rechtsordnung eines Mitgliedstaates das Ausstellen eines Personalausweises gar nicht vorsieht. Entsprechend dürfte es aus Sicht der Regelungen der Freizügigkeitsrichtlinie unproblematisch sein, wenn ein nationales Gesetz die Vernichtung von Personalausweisen anordnet, solange den Bürgern ein Reisepass verbleibt, der sie zur Wahrnehmung ihres Freizügigkeitsrechts befähigt. Als problematisch könnte sich aber erweisen, wenn die Vernichtung des Personalausweises, die an die Wahrnehmung des Freizügigkeitsrechts geknüpft wäre, weitere Nachteile37 nach sich zöge. Art. 21 AEUV verbietet es nämlich, an die Wahrnehmung der Freizügigkeit in unverhältnismäßiger Art und Weise Nachteile zu knüpfen.38 Mangels ausreichender Tatsachengrundlage kann diesbezüglich keine abschließende Prüfung vorgenommen werden. 37 Ein solcher Nachteil könnte darin liegen, dass nach dem Vortrag des Auftraggebers in Kroatien für die Beantragung eines Grundbuchauszuges die Vorlage eines Personalausweises erforderlich ist. Sollte eine solche Regelung tatsächlich bestehen, wäre auch zu prüfen, ob das Erfordernis einen (kroatischen) Personalausweis) vorzulegen um einen Grundbuchauszugs zu bekommen, nicht auch andere Grundfreiheiten verletzen könnte, da Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten jedenfalls keinen kroatischen Personalausweis besitzen und somit auch keine Grundbuchauszüge bekämen. Möglicherweise könnte darin eine (mittelbare) Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit liegen. 38 Vgl. oben. Fachbereich Europa Ausarbeitung Seite 13 PE 6 - 3000 – 120/13 8. Ergebnisse Insgesamt ist festzustellen, dass die im kroatischen Aufenthaltsortsgesetz normierten Meldepflichten – solange im Falle der Verletzung ausschließlich verhältnismäßige Sanktionen drohen – mit dem europäischen Recht vereinbar sein dürften. Im Hinblick auf die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen über den Grund einer Ausreise bestehen jedoch Zweifel ob dies mit europäischen Recht vereinbar ist. Die Vernichtung von Personalausweisen als Folge der Wahrnehmung der Freizügigkeit stellte sich nur dann als europarechtlich problematisch dar, wenn den kroatischen Bürgern kein Reisepass verbliebe oder wenn daran weitere Nachteile im Inland geknüpft wären. Anlagen