© 2021 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 115/20 Kompetenzen der Europäischen Union bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 2 Kompetenzen der Europäischen Union bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 115/20 Abschluss der Arbeit: 19.02.2021 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vereinbarkeit der Verordnungsvorschläge mit Art. 168 AEUV 4 2.1. Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final 4 2.1.1. Umfang der Kompetenz aus Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV 5 2.1.2. Vorgaben des Art. 168 Abs. 7 AEUV 6 2.1.3. Subsidiaritätsgebot 7 2.1.4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 10 2.2. Verordnungsvorschlag COM(2020) 726 final 11 2.2.1. Umfang der Kompetenz aus Art. 168 Abs. 5 AEUV 11 2.2.2. Vorgaben des Art. 168 Abs. 7 AEUV 13 2.2.3. Harmonisierungsverbot 14 2.2.4. Subsidiaritätsgebot 15 2.2.5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 16 2.3. Verordnungsvorschlag COM(2020) 727 final 17 2.3.1. Umfang der Kompetenz aus Art. 168 Abs. 5 AEUV 17 2.3.2. Vorgaben des Art. 168 Abs. 7 AEUV 19 2.3.3. Harmonisierungsverbot 19 2.3.4. Subsidiaritätsgebot 20 2.3.5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 21 3. Weitere Rechtsgrundlagen für die Verordnungsvorschläge 21 3.1. Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final 21 3.2. Verordnungsvorschlage COM(2020) 726 final und COM(2020) 727 final 23 4. Rechtsgrundlage einer „Health Emergency Preparedness and Response Authority“ 23 4.1. Ausführungen der Kommission in COM(2020) 724 final 23 4.2. Mögliche Rechtsgrundlage für die Errichtung der HERA, Art. 168 Abs. 5 AEUV 24 4.3. Im Anwendungsbereich von Art. 168 Abs. 5 AEUV zu beachtende Vorschriften 25 5. Befugnisse der Kommission gemäß Art. 23, Art. 25 COM(2020) 727 final 25 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa wurde beauftragt, verschiedene Fragen mit Blick auf die Kompetenz der Europäischen Union bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren zu beantworten . Konkret geht es dem Auftraggeber um Kompetenzfragen mit Blick auf die Vorschläge der Europäischen Kommission (Kommission) zu den Verordnungen COM(2020) 725 final1, COM(2020) 726 final2 sowie COM(2020) 727 final3 sowie die Mitteilung der Kommission vom 11.10.2020 COM(2020) 724 final4. Im Folgenden sollen zunächst Umfang und Grenzen der Kompetenzen der Union aus Art. 168 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) untersucht und dargestellt werden (Ziff. 2.). Im Anschluss sollen alternative Rechtsgrundlagen für die Verordnungsvorschläge beleuchtet werden (Ziff. 3.). Der Auftraggeber bittet ferner um eine kompetenzrechtliche Prüfung für die in der Mitteilung COM(2020) 724 final vorgesehene „Health Emergency Preparedness and Response Authority“ (Ziff. 4.). Abschließend wird auf die Befugnisse der Kommission gemäß der Art. 23, 25 COM(2020) 727 final eingegangen. 2. Vereinbarkeit der Verordnungsvorschläge mit Art. 168 AEUV Zunächst bittet der Auftraggeber um Prüfung, ob sich die Verordnungsvorschläge im Rahmen der in Art. 168 AEUV vorgesehenen Kompetenzen bewegen. 2.1. Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final Mit dem Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final soll die Fähigkeit der Union gestärkt werden , Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die sich auf Arzneimittel und Medizin- 1 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zu einer verstärkten Rolle der Europäischen Arzneimittel-Agentur bei der Krisenvorsorge und dem Krisenmanagement in Bezug auf Arzneimittel und Medizinprodukte vom 11.11.2020 (COM(2020) 725 final). 2 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 851/2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten vom 11.11.2020 (COM(2020) 726 final). 3 Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 1082/2013/EU vom 11.11.2020 (COM(2020) 727 final). 4 Vgl. hierzu MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EURO- PÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN Schaffung einer europäischen Gesundheitsunion: Die Resilienz der EU gegenüber grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren stärken vom 11.11.2020 (COM(2020) 724 final). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 5 produkte auswirken, zu bewältigen und auf Notlagen zu reagieren sowie einen Beitrag zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts für derartige Produkte während solcher Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu erbringen.5 2.1.1. Umfang der Kompetenz aus Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV Der Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final sieht als Rechtsgrundlage u. a. Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV vor. Daneben stützt er sich ausdrücklich auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV, ohne dass eine ausdrückliche Abgrenzung erfolgt, welche Regelungen auf der Grundlage von Art. 168 Abs. 4 lit. c AEUV erlassen werden sollen.6 Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV sieht die Kompetenz der Union vor, Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel und Medizinprodukte zu erlassen. Nach Ansicht in der Literatur vermittelt Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV der Union dann Kompetenzen , wenn sich die entsprechende Maßnahme auf die Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel und Medizinprodukte bezieht, sie also der Sicherheit der Produkte dient.7 Maßnahmen, die bspw. auf die Durchführung klinischer Prüfungen zielen, sollen dagegen nur dann auf Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV gestützt werden können, soweit sie das Ziel verfolgen, die Belastbarkeit und Zuverlässigkeit der aus klinischen Studien erlangten Daten zu gewährleisten .8 Administrative Verfahren seien nach Ansicht in der Literatur von Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV umfasst, soweit sie die hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel und Medizinprodukte gewährleisten sollen.9 Dagegen soll nach Ansicht der Literatur mit Verweis auf Art. 168 Abs. 7 AEUV die Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Finanzierung des Gesundheitssystems nicht auf Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV gestützt werden können.10 Anknüpfungspunkte für einen Rückgriff auf Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV finden sich im Verordnungsvorschlag . Im Erwägungsgrund 11 wird ausgeführt, dass die Verordnung auf die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln abzielt, die das Potenzial zur Bekämpfung von Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit haben. In Bezug auf 5 Vgl. Ziele des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final (Fn. 1), Seite 2 f.. 6 Zu dieser Problematik siehe unten Ziff. 3.1.. 7 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 61; Berg/Augsburg, in: Schwarze, EU Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 168 AEUV, Rn. 31; Kingreen, in: Callies /Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 168 AEUV, Rn. 22. 8 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 61. 9 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 62. 10 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 63; Berg/Augsburg, in: Schwarze, EU Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 168 AEUV, Rn. 31. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 6 Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV soll diese Verordnung einen verstärkten Rahmen der Union vorsehen , der die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten gewährleistet. Der Begründung des Verordnungsvorschlags zufolge soll dieser zudem ausdrücklich auch der Sicherstellung der Qualität und Sicherheit der in Krisenzeiten entwickelten Arzneimittel und Medizinprodukte dienen.11 Ferner weist die Begründung des Verordnungsvorschlags insbesondere darauf hin, dass „die Bereitstellung wissenschaftlicher Beratung zu Arzneimitteln, die das Potenzial zur Bekämpfung von Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf Unionsebene haben , ihren Markteintritt erleichtern, einen harmonisierten Ansatz für ihre Verwendung in allen Mitgliedstaaten gewährleisten und dazu beitragen, dass diese Produkte den harmonisierten EU- Standards für Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit entsprechen.“12 In dem Verordnungsvorschlag soll bspw. eine gemäß Art. 14 ff. einzurichtende „Notfall- Taskforce“ wissenschaftliche Beratungsleistungen erbringen bzw. koordinieren. So sieht Art. 14 des Verordnungsvorschlags vielfältige wissenschaftliche Beratungsleistungen der Notfall- Taskforce vor. Ferner erbringt die Notfall-Taskforce Art. 15 des Verordnungsvorschlags u. a. wissenschaftliche Beratungsleistungen zu klinischen Prüfungen und gibt Empfehlungen zur Verwendung von Arzneimitteln, bspw. zum sog. „Compassionate Use“ von Arzneimitteln, ab (Art. 16). Die vorgenannten wissenschaftlichen Beratungsleistungen zielen gemäß des Verordnungsvorschlags u. a. auf die Gewährleistung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Arzneimittel und Medizinprodukte und fallen damit inhaltlich in den Anwendungsbereich des Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV. Soweit Regelungen im Verordnungsvorschlag über den in Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV gesetzten Rahmen hinausgehen, kommt Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage in Betracht .13 2.1.2. Vorgaben des Art. 168 Abs. 7 AEUV Für Regelungsgegenstände des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final, die auf Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV gestützt werden, enthält Art. 168 Abs. 7 AEUV inhaltliche Schranken. Gemäß Art. 168 Abs. 7 Satz 1 AEUV wahrt die Union bei der Ausübung ihrer Kompetenzen aus Art. 168 AEUV die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten umfasst dabei die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel, Art. 168 Abs. 7 Satz 2 AEUV. Die Union könne nach Ansicht in der Literatur daher Maßnahmen in den in 11 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final (Fn. 1), Ziff. 2., Seite 5 (Rechtsgrundlage). 12 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final (Fn. 1), Ziff. 2., Seite 5 (Subsidiarität). 13 Siehe dazu unter Ziff. 3.1.. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 7 Art. 168 Abs. 7 AEUV genannten Bereichen ergreifen, soweit sie dadurch nicht in die Souveränität der nationalen Gesundheitssysteme eingreift.14 Ein Eingriff soll nach Ansicht in der Literatur vorliegen, wenn die Mitgliedstaaten durch Maßnahmen der Union zur Umgestaltung ihrer Gesundheitssysteme gezwungen werden.15 Insoweit soll eine Einzelfallabwägung erforderlich sein, wobei auch zu berücksichtigen sei, ob es sich um Einzelregelungen oder um systemische Entscheidungen handelt.16 Nach überwiegender Ansicht in der Literatur wird in Art. 168 Abs. 7 AEUV eine Kompetenzausübungsschranke gesehen, die die Kompetenzen der Union in Art. 168 AEUV beschränkt.17 Zu erwähnen bleibt, dass es in der Literatur umstritten ist, ob die Einschränkung des Art. 168 Abs. 7 AEUV auch eine Schranke für unionale Maßnahmen im Gesundheitsbereich darstellen soll, die auf anderen als der Kompetenznorm des Art. 168 AEUV erfolgen.18 Aufgrund der untersuchten Regelungen des Verordnungsvorschlags sollen medizinische Beratungsleistungen auf Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV gestützt werden. Ausdrückliche Eingriffe in die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung, die gegen die vorgenannten Maßstäbe des Art. 168 Abs. 7 AEUV verstoßen, sind insoweit nicht ersichtlich. Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass nach den obigen Ausführungen ein Eingriff in Art. 168 Abs. 7 AEUV auch dann vorliegen kann, soweit einzelne Maßnahmen bzw. die Gesamtheit der Maßnahmen Umgestaltungsdruck19 auf der Ebene der Mitgliedstaaten bewirkt.20 Diese Grenze ist zu beachten. 2.1.3. Subsidiaritätsgebot Rechtsakte der Union haben gemäß Art. 5 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) den Grundsatz der Subsidiarität zu wahren. 14 Siehe hierzu Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 82 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 16.5.2006, Rs. C-372/04 (Watts/Bedford Primary Care Trust u. a.), Slg. 2006, I-4376, Rn. 147. 15 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 82. 16 Niggermeier, in; von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 168 AEUV, Rn. 75. 17 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 82; Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 168 AEUV, Rn. 25; Berg/Augsburg, in: Schwarze, EU Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 168 AEUV, Rn. 36. 18 Gegen eine Schranke des Art. 168 Abs. 7 AEUV Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 83, für eine solche Schranke Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 168 AEUV, Rn. 25; Niggermeier, in; von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 168 AEUV, Rn. 73. 19 Denkbar bspw. auch durch entsprechende Doppelstrukturen auf Ebene der Mitgliedstaaten. 20 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 82. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 8 Gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind (Subsidiaritätsprinzip). Die Organe der Union wenden das Subsidiaritätsprinzip nach dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Protokoll Nr. 2)21 an. Die nationalen Parlamente achten auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips nach dem in jenem Protokoll vorgesehenen Verfahren, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EUV. Ein festes Prüfungsschema gibt es für die Subsidiarität nicht. Der EuGH hat sich – soweit ersichtlich – in der Vergangenheit nicht vertieft mit der Prüfung von Art. 5 Abs. 3 EUV befasst.22 Ausgehend vom Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 EUV lässt sich eine Subsidiaritätsprüfung in drei Schritten durchführen: Zunächst ist die Art der Zuständigkeit festzulegen. Danach ist zu prüfen, ob und inwieweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können. Insofern handelt es sich um ein Negativkriterium. Hinzu tritt ein Positivkriterium, wonach die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.23 Zunächst handelt es sich bei Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV gemäß Art. 2 Abs. 2 AEUV i. V. m. Art. 4 Abs. 2 lit. k) AEUV um einen Bereich der geteilten Zuständigkeit.24 Das Subsidiaritätsprinzip findet somit Anwendung. Gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV darf die Union nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können. Das weitere Prüfungsmerkmal der „besseren Verwirklichung der Ziele auf der Ebene der Europäischen Union“ wird durch Art. 5 des Protokoll Nr. 2 konkretisiert. Danach werden die Entwürfe von Europäischen Gesetzgebungsakten im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit begründet, wobei die Feststellung, dass ein Ziel der Union besser auf Unionsebene erreicht werden kann, 21 Vgl. 2. PROTOKOLL ÜBER DIE ANWENDUNG DER GRUNDSÄTZE DER SUBSIDIARITÄT UND DER VER- HÄLTNISMÄSSIGKEIT, Abl. EU 2004, C 310/207; vgl. hierzu Pache, in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, 1. Auflage 2017, Art. 5 EUV, Rn. 105 ff. 22 Callies, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 5 EUV, Rn. 66 ff.; Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim , Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 5, Rn. 58 . Vgl. jedoch die Vorschläge zu einem gemeinsamen Verständnis der Subsidiarität der Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ in deren Bericht an den Präsidenten der Europäischen Kommission vom 10. Juli 2018; ferner Denkanstöße aus der Literatur Callies, NJW 2018, 1, 7. 23 Bast, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 5, Rn. 50 ff. 24 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 42; Lurger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 168 AEUV, Rn. 48. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 9 auf qualitativen und, soweit möglich, quantitativen Kriterien zu beruhen hat, Art. 5 Satz 4 des Protokoll Nr. 2. Zu beurteilen, ob die Ziele einer Maßnahme besser auf Unionsebene verwirklicht werden können , ist rechtlich schwierig, da eine Einschätzung der Wirksamkeit von Maßnahmen nur durch eine Prognoseentscheidung möglich ist,25 wobei dem Europäischen Gesetzgeber nach Ansicht des EuGH eine weite Einschätzungsprärogative zukommt. Konkret hat der EuGH hierzu in seiner Entscheidung in der Rechtssache C-547/14 ausgeführt: „Was erstens die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung der in Art. 5 Abs. 3 EUV vorgesehenen materiellen Voraussetzungen betrifft, hat der Gerichtshof zu prüfen, ob der Unionsgesetzgeber aufgrund detaillierter Angaben davon ausgehen durfte, dass das mit der in Betracht gezogenen Maßnahme verfolgte Ziel auf Unionsebene besser verwirklicht werden konnte.“26 Die rechtliche Kontrolle richtet sich daher vielmehr auf die Begründung zur Vereinbarkeit von Gesetzentwürfen mit der Subsidiarität, die die Kommission gemäß Art. 296 Abs. 2 AEUV sowie Art. 5 Protokoll Nr. 2 zwingend vorlegen muss.27 Der Verordnungsvorschlag weist mit Blick auf die Subsidiarität in seinem Erwägungsgrund 28 allgemein darauf hin, dass die Ziele der Verordnung wegen des grenzüberschreitenden Charakters von Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und Großereignissen von den Mitgliedstaaten allein nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern besser auf Unionsebene zu erreichen sind. Im Hinblick auf die wissenschaftlichen Beratungsleistungen weist der Entwurf in seiner Begründung u. a. darauf hin, dass Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit in der Größenordnung von COVID-19 Auswirkungen auf alle Mitgliedstaaten hätten, die nicht allein in der Lage seien hinreichend zu reagieren.28 Insbesondere würde die Bereitstellung wissenschaftlicher Beratung zu Arzneimitteln, die das Potenzial zur Bekämpfung von Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf Unionsebene haben, ihren Markteintritt erleichtern, einen harmonisierten Ansatz für ihre Verwendung in allen Mitgliedstaaten gewährleisten und dazu beitragen, dass diese Produkte den harmonisierten EU-Standards für Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit entsprächen .29 Ein unkoordiniertes Vorgehen bei der Entwicklung von Arzneimitteln, die das Potenzial haben, Krankheiten, die Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit verursachen, zu 25 Vgl. dazu Callies, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 5 EUV, Rn. 75; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 5 EUV, Rn. 41. 26 EuGH, Urteil vom 4.5.2016, Rs. C-547/14 (The Queen/Secretary of State for Health), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 218. Aus der Literatur Pache, in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, 1. Auflage 2017, Art. 5 EUV, Rn. 100 ff.; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 5 EUV, Rn. 41. 27 Pache, in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, 1. Auflage 2017, Art. 5 EUV, Rn. 102. 28 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final (Fn. 1), Ziff. 2., Seite 5 (Subsidiarität). 29 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final (Fn. 1), Ziff. 2., Seite 5 (Subsidiarität). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 10 behandeln, zu verhüten oder zu diagnostizieren, könne in einer Situation, in der es auf Zeit ankommt , zu Verzögerungen in ihrer Entwicklung führen.30 Darüber hinaus könne das Fehlen klarer , unionsweiter Empfehlungen zur Verwendung von Arzneimitteln in nationalen „Compassionate Use“-Programmen oder außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen zu einem fragmentierten Vorgehen in der Union führen. Des Weiteren sei der Zugang der Regulierungsbehörden zu EU weiten Gesundheitsdaten begrenzt und auf verschiedene Partner verteilt, was zu komplexen und langsamen Analysen führe und das optimale Zeitfenster für bestimmte Eingriffe gefährde. Die von der Kommission insoweit angestellten Überlegungen mit Blick auf die Subsidiarität lassen eine Berücksichtigung der Begründungsanforderungen des Art. 5 Protokoll Nr. 2 erkennen. Eine abschließende Bewertung obliegt nach Verabschiedung der Verordnung dem EuGH. 2.1.4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Neben dem Subsidiaritätsprinzip bildet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine weitere Ausübungsschranke für das Handeln der Union. Art. 5 Abs. 4 EUV fordert, dass die Maßnahmen der Union „inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß“ hinausgehen dürfen. Hier geht es also darum, wie die Gemeinschaft ihre Kompetenz ausübt . Gemäß Art. 5 Satz 5 Protokoll Nr. 2 hat eine Maßnahme zu berücksichtigen, dass die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der Union, der nationalen Regierungen, der regionalen und lokalen Behörden, der Wirtschaftsteilnehmer und der Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen müssen. Ähnlich wie bei der gerichtlichen Überprüfung des Subsidiaritätsprinzips hält sich der EuGH bisher bei der Würdigung der Erforderlichkeit der Maßnahme zurück und gesteht dem Unionsgesetzgeber einen weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu31: „Was die gerichtliche Nachprüfbarkeit (…) betrifft, so verfügt der Gemeinschaftsgesetzgeber über ein weites Ermessen in einem Bereich wie dem hier betroffenen, in dem von ihm politische , wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt werden und in dem er komplexe Prüfungen durchführen muss. Folglich ist eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des Zieles, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist. [...]“.32 30 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final (Fn. 1), Ziff. 2., Seite 5 f. (Subsidiarität). 31 Vgl. jedoch die Vorschläge zu einem gemeinsamen Verständnis der Verhältnismäßigkeit der Taskforce für Subsidiarität , Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ in deren Bericht an den Präsidenten der Europäischen Kommission vom 10. Juli 2018; ferner Denkanstöße aus der Literatur Callies, NJW 2018, 1, 7. 32 EuGH, Urteil vom 10.12.2002, Rs. C-491/01 (Queen/Secretary of State for Health u. a.), Slg. I-11550, Rn. 123. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 11 Der Unionsgesetzgeber muss sich nach Ansicht des EuGH bei seiner Beurteilung jedoch auf objektive Kriterien stützen.33 In der Begründung des Verordnungsvorschlags geht die Kommission davon aus, dass dieser einen verhältnismäßigen Ansatz zur Lösung der beschriebenen Probleme darstellt. Insbesondere würde durch die vorgeschlagene Forderung nach einer stärker strukturierten Überwachung auf Unionsebene Doppelarbeit vermieden, einen besseren Überblick über Engpässe von unionsweitem Interesse bieten und nicht in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten bei Entscheidungen über die Organisation der Gesundheitsversorgung eingreifen.34 Ziel des Verordnungsvorschlags sei die Gewährleistung eines hohes Gesundheitsschutzniveaus, indem die Fähigkeit der Union gestärkt wird, Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die sich auf Arzneimittel und Medizinprodukte auswirken, zu bewältigen und darauf zu reagieren. Entsprechend dem vorgenannten Prüfungsmaßstab kommt dem Europäischen Gesetzgeber ein weites Ermessen zu, welche Regelungen zur Erreichung der vorgegebenen Regelungsziele erforderlich sind. Aus diesem Grund lässt sich eine abschließende Bewertung der vorgestellten Maßnahmen nur schwer vornehmen. Ein offensichtliches Missverhältnis ist prima facie nicht erkennbar . Eine abschließende Bewertung obliegt nach Verabschiedung der Verordnung dem EuGH. 2.2. Verordnungsvorschlag COM(2020) 726 final Der Verordnungsvorschlag COM(2020) 726 final zielt darauf ab, den Auftrag des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (EZPK), das sich mit der Überwachung , der Abwehrbereitschaft, der Frühwarnung und Reaktion auf künftige grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren befasst, über den in der Verordnung (EG) 851/2004 (VO 851/2004)35 vorgefassten Rahmen hinaus zu stärken.36 2.2.1. Umfang der Kompetenz aus Art. 168 Abs. 5 AEUV Als Rechtsgrundlage sieht der Verordnungsvorschlag COM(2020) 726 final Art. 168 Abs. 5 AEUV vor. Gemäß Art. 168 Abs. 5 AEUV können das Europäische Parlament und der Rat unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren u. a. Fördermaßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der mensch- 33 EuGH, Urteil vom 8.6.2010, Rs. C-58/08 (Queen/Secretary of State for Business, Enterprise and Regulatory Reform u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Rn. 21. 34 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final (Fn. 1), Ziff. 2., Seite 6 (Verhältnismäßigkeit). 35 VERORDNUNG (EG) NR. 851/2004 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 21. April 2004 zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, ABl. EG 2004, L 142/1. 36 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 726 final (Fn. 2), Ziff. 1., Seite 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 12 lichen Gesundheit sowie insbesondere zur Bekämpfung der weit verbreiteten schweren grenzüberschreitenden Krankheiten sowie Maßnahmen zur Beobachtung und zur frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren erlassen. Nach Ansicht in der Literatur fallen unter die Maßnahmen- bzw. Fördermaßnahmen i. S. d. Art. 168 Abs. 5 AEUV37 neben dem Aufbau von Aktionsprogrammen bzw. Netzwerken und deren Finanzierung ebenso die Errichtung rechtlich formalisierter Gremien für den Austausch von Mitgliedstaaten und Kommission in Krisenfällen.38 Ferner ist nach Ansicht in der Literatur insbesondere die Errichtung und Ausgestaltung von Unionsinstituten, wie bspw. des in der VO 851/2004 vorgesehenen EZPK von Art. 168 Abs. 5 AEUV umfasst.39 Der Verordnungsvorschlag COM(2020) 726 final ändert die VO 851/2004, in dem er die Aufgaben des EZPK erweitert. In Art. 3 Abs. 2 VO 851/2004 n. F. finden sich u. a. Erweiterungen der Aufgaben des EZPK wie bspw.: die Überwachung der für die Bekämpfung von Bedrohungen durch übertragbare Krankheiten und anderen besonderen Gesundheitsrisiken relevanten Kapazitäten der Gesundheitssysteme , Art. 3 Abs. 2 lit. e) VO 851/2004 n. F., auf Ersuchen der Kommission oder des Health Security Committees (HSC) oder auf eigene Initiative Erstellung von Leitlinien für die Behandlung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten und anderer besonderer Gesundheitsrisiken, die für das Gesundheitswesen von Bedeutung sind, in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Gesellschaften Art. 3 Abs. 2 lit. g) VO 851/2004 n. F., Unterstützung der Reaktion auf Epidemien und Ausbrüche in den Mitgliedstaaten und in Drittländern in Ergänzung zu anderen Reaktionsinstrumenten für Notfälle der Union, insbesondere dem Katastrophenschutzverfahren der Union, Art. 3 Abs. 2 lit. h) VO 851/2004 n. F.. Art. 4 VO 851/2004 n. F. führt Informationspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber dem EZPK u. a. im Hinblick auf übertragbare Krankheiten sowie grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren ein. Ferner werden die Aufgaben des EZPK hinsichtlich des Betriebs spezialisierter Überwachungsnetze und Netztätigkeiten erweitert, Art. 5 VO 851/2004 n. F., wobei die Mitgliedstaaten bspw. 37 Vgl. zu Abgrenzung von „Fördermaßnahmen“ und „Maßnahmen“ Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim , Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 69, der eine Differenzierung als nicht erforderlich ansieht. 38 Vgl. Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 70. 39 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 70; Niggermeier, in; von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 168 AEUV, Rn. 58. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 13 verpflichtet werden, eine zuständige koordinierende Stelle zu ernennen und eine nationale Anlaufstelle und operative Kontaktstellen, die für Aufgaben im Bereich der öffentlichen Gesundheit, einschließlich die epidemiologische Überwachung, sowie für verschiedene Krankheitsgruppen und einzelne Seuchen zweckdienlich sind, zu benennen, Art. 5 Abs. 5 VO 851/2004 n. F.. Zusätzlich werden neue Aufgaben des EZPK im Hinblick auf die Prävention übertragbarer Krankheiten (Art. 5a VO 851/2004 n. F.), die Bereitschafts- und Reaktionsplanung (Art. 5b VO 851/2004 n. F).), die Risikobewertung (Art. 8a VO 851/2004 n. F.), die Reaktionskoordinierung (Art. 8b VO 851/2004 n. F.) sowie die Unterstützung der Reaktion auf internationaler Ebene und vor Ort (Art. 11a VO 851/2004 n. F.) eingeführt. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe fallen die vorgestellten Maßnahmen inhaltlich in den Anwendungsbereich des Art. 168 Abs. 5 AEUV, wobei eine abschließende Bewertung nach Verabschiedung der Verordnung dem EuGH obliegt. 2.2.2. Vorgaben des Art. 168 Abs. 7 AEUV Eine Einschränkung der Kompetenz aus Art. 168 Abs. 5 AEUV findet sich in Art. 168 Abs. 7 AEUV. Gemäß Art. 168 Abs. 7 Satz 1 AEUV wahrt die Union bei der Ausübung ihrer Kompetenzen aus Art. 168 AEUV die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten umfasst dabei die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel, Art. 168 Abs. 7 Satz 2 AEUV.40 Art. 168 Abs. 7 AEUV findet auch im Anwendungsbereich des Art. 168 Abs. 5 AEUV Anwendung und unterstreicht nach Ansicht in der Literatur den ergänzenden Charakter von Art. 168 Abs. 5 AEUV und dessen Harmonisierungsverbot.41 Der Verordnungsvorschlag sieht für das EZPK neben wissenschaftlichen Beratungsleistungen vielfältige Unterstützungs- sowie Koordinationsleistungen vor. Ausdrückliche Eingriffe in die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung sind nicht ersichtlich. Insbesondere weist Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 VO 851/2004 n. F. darauf hin, dass bei der Erfüllung seines Auftrags das EZPK in vollem Umfang die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, der Kommission und anderer Einrichtungen oder Agenturen der Union sowie die Zuständigkeiten der im Bereich der öffentlichen Gesundheit tätigen internationalen Organisationen berücksichtigt. 40 Zu den Einzelheiten von Art. 168 Abs. 7 AEUV, siehe oben unter Ziff. 2.1.2.. 41 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 82. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 14 Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass nach den obigen Ausführungen ein Eingriff in Art. 168 Abs. 7 AEUV auch dann vorliegen kann, soweit einzelne Maßnahmen bzw. die Gesamtheit der Maßnahmen Umgestaltungsdruck42 der Ebene der Mitgliedstaaten bewirkt.43 Diese Grenze ist zu beachten. 2.2.3. Harmonisierungsverbot Im Anwendungsbereich von Art. 168 Abs. 5 AEUV sind die Vorgaben des Art. 2 Abs. 5 AEUV zu beachten. Gemäß Art. 2 Abs. 5 Satz 1 AEUV ist die Union in bestimmten Bereichen nach Maßgabe der Verträge dafür zuständig, Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten durchzuführen, ohne dass dadurch die Zuständigkeit der Union für diese Bereiche an die Stelle der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tritt. Die verbindlichen Rechtsakte der Union, die aufgrund der diese Bereiche betreffenden Bestimmungen der Verträge erlassen werden, dürfen keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten beinhalten, Art. 2 Abs. 5 Satz 2 AEUV, Art. 168 Abs. 5 AEUV. Soweit Art. 2 Abs. 5 AEUV Anwendung findet, darf nach Ansicht des EuGH auch keine Harmonisierung über andere Kompetenzvorschriften erfolgen .44 Die Anwendbarkeit von Art. 2 Abs. 5 AEUV ergibt sich aus Art. 6 AEUV. Gemäß Art. 6 lit. a) AEUV fallen der Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit in den Bereich der Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen. Inhaltlich verlangt Art. 2 Abs. 5 AEUV nach Ansicht in der Literatur ein Tätigwerden der Mitgliedstaaten, denen die Maßnahmen der Union zugeordnet werden können, sowie ein gemeinsames Interesse von Union und Mitgliedstaaten .45 Ferner muss es sich nach Ansicht in der Literatur um Maßnahmen handeln, von denen – in Abgrenzung zur Rechtsangleichung – Anreize ausgehen, die Mitgliedstaaten zu bestimmten Handlungen zu motivieren.46 Allerdings sollen nach Ansicht in der Literatur im Rahmen von Art. 2 42 Denkbar bspw. auch durch entsprechende Doppelstrukturen auf Ebene der Mitgliedstaaten. 43 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 82. 44 Vgl. EuGH, Urteil vom 5.10.2000, Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Europäisches Parlament u. a.), Slg. 2000, I- 8498, Rn. 77 ff.; aus der Literatur Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 2 AEUV, Rn. 35. 45 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 2 AEUV, Rn. 34 mit Verweis auf den Schlussbericht des Europäischen Konvents vom 4.11.2002 zu den „Ergänzenden Zuständigkeiten“, CONV 375/1/02, Seite 3. 46 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 70. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 15 Abs. 5 AEUV auch verbindliche Rechtsakte möglich sein, soweit diese allein eine geringe (Eingriffs -)intensität aufweisen.47 Die Abgrenzung der Begriffe der Unterstützungs-, Koordinierungsund Ergänzungsmaßnahmen im Hinblick auf Intensität und Reichweite lässt sich nach Ansicht in der Literatur nicht zweifelsfrei durchführen.48 Als Instrumente der Förderpolitik kommen insbesondere finanzielle Anreize sowie die Unterstützung mit Infrastruktur bzw. Informationen in Betracht .49 Gemäß den in der Begründung formulierten Zielen ist eine Harmonisierung mitgliedstaatlicher Regelungen durch den Verordnungsvorschlag nicht ausdrücklich beabsichtigt.50 Wie bereits erörtert , weist Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 VO 851/2004 n. F. darauf hin, dass das EZPK bei der Erfüllung seines Auftrags im vollen Umfang die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, der Kommission und anderer Einrichtungen oder Agenturen der Union sowie die Zuständigkeiten der im Bereich der öffentlichen Gesundheit tätigen internationalen Organisationen berücksichtigt. Verbindliche Regelungen bestehen für die Mitgliedstaaten bspw. im Hinblick auf die Bereitstellung von Informationen gemäß Art. 4 VO 851/2004 n. F. Im Ergebnis lässt sich die Regelungsintensität anhand des Verordnungsvorschlags nur schwer bewerten, da neben den formalen Aufgaben des EZPK auch die tatsächlichen Auswirkungen auf mitgliedstaatlicher Ebene, insbesondere der vorgeschlagenen Koordinierungsleistungen des EZPK, zu berücksichtigen wären. 2.2.4. Subsidiaritätsgebot Neben dem Harmonisierungsverbot des Art. 2 Abs. 5 AEUV findet das Subsidiaritätsprinzip gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV Anwendung. Gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.51 Zunächst handelt es sich bei Art. 168 Abs. 5 AEUV nicht um eine ausschließliche Kompetenz der Union. Ferner weist der Verordnungsvorschlag hinsichtlich der Subsidiarität in seinem Erwägungsgrund 22 auf Folgendes hin: „Da die Ziele dieser Verordnung, den Auftrag und die Aufgaben des Zentrums zu erweitern, um dessen Fähigkeit, das erforderliche Fachwissen anzubieten und Maßnahmen zu unterstüt- 47 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 2 AEUV, Rn. 34 mit Verweis auf den Schlussbericht des Europäischen Konvents vom 4.11.2002 zu den „Ergänzenden Zuständigkeiten“, CONV 375/1/02, Seite 3; Callies, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 2 AEUV, Rn. 26. 48 Vgl. Callies, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 2 AEUV, Rn. 28; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 2 AEUV, Rn. 37. 49 Berg/Augsburg, in: Schwarze, EU Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 168 AEUV, Rn. 38. 50 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 726 final (Fn. 2), Ziff. 1., Seite 1. 51 Zu den einzelnen Anforderungen an das Subsidiaritätsgebot siehe oben unter Ziff. 2.1.3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 16 zen, mit denen schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren in der Union bekämpft werden, und von den Mitgliedstaaten wegen der grenzüberschreitenden Natur der Gesundheitsgefahren und der Notwendigkeit einer raschen, koordinierten und kohärenten Reaktion auf Unionsebene nicht ausreichend verwirklicht werden können, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden.“ In der Begründung zum Verordnungsentwurf wird im Hinblick auf die Subsidiarität weiterhin ausgeführt, dass schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren naturgemäß eine transnationale Dimension hätten und daher Gesundheitsmaßnahmen miteinander auf nationaler Ebene vereinbar sein und koordiniert werden müssten, damit jede weitere Ausbreitung dieser Bedrohungen eingedämmt und die Folgen abgemildert würden. Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit in der Größenordnung von COVID-19 hätten Auswirkungen auf alle Mitgliedstaaten . Der Vorschlag baue auf den Lehren auf, die aus der COVID-19-Krise gezogen wurden, und schlägt vor, die bestehenden Strukturen und Mechanismen auf Unionsebene zu stärken, um das Niveau des Schutzes, der Prävention, der Abwehrbereitschaft und der Reaktion auf alle Gesundheitsrisiken in der gesamten EU zu verbessern.52 Die von der Kommission angestellten Überlegungen mit Blick auf die Subsidiarität lassen eine Berücksichtigung der Begründungsanforderungen des Art. 5 Protokoll Nr. 2 erkennen. Eine abschließende Bewertung obliegt nach Verabschiedung der Verordnung dem EuGH. 2.2.5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV muss der Verordnungsvorschlag verhältnismäßig sein. Dazu fordert Art. 5 Abs. 4 EUV, dass die Maßnahmen der Union „inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß“ hinausgehen dürfen.53 Ziel des Verordnungsvorschlags ist die Stärkung der Rolle EZPK zur besseren Bewältigung von Gesundheitsgefahren, insbesondere um die Bereitschaftsplanung, die Überwachung, die Risikobewertung sowie die Frühwarnung und die Reaktion auf künftige grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren zu unterstützen.54 Nach Ansicht der Kommission stellt der Verordnungsvorschlag einen verhältnismäßigen Ansatz zur Lösung der vorab beschriebenen Probleme dar.55 Eine inhaltliche Begründung liefert der Verordnungsvorschlag darüber hinaus nicht. Entsprechend dem o. g. Prüfungsmaßstab kommt dem Europäischen Gesetzgeber ein weites Ermessen zu, welche Regelungen zur Erreichung der vorgegebenen Regelungsziele erforderlich sind. Aus diesem Grund lässt sich eine abschließende Bewertung der vorgestellten Maßnahmen 52 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 726 final (Fn. 2), Ziff. 2., Seite 2. 53 Zu den einzelnen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit wurde bereits oben unter Ziff. 2.1.3.2.. 54 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 726 final (Fn. 2), Ziff. 5., Seite 5. 55 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 726 final (Fn. 2), Ziff. 2., Seite 2 (Verhältnismäßigkeit). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 17 nur schwer vornehmen. Ein offensichtliches Missverhältnis ist prima facie nicht erkennbar. Eine abschließende Bewertung obliegt nach Verabschiedung der Verordnung dem EuGH. 2.3. Verordnungsvorschlag COM(2020) 727 final Der Verordnungsvorschlag COM(2020) 727 final beabsichtigt, einen stärkeren und umfassenderen Rechtsrahmen zu setzen, innerhalb dessen die Union rasch reagieren und die Umsetzung von Vorsorge- und Reaktionsmaßnahmen auf grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren in der gesamten Union in Form einer Verordnung anstoßen kann.56 Insbesondere soll mit dem Vorschlag ein umfassender Rechtsrahmen für Maßnahmen auf Unionsebene in den Bereichen Vorsorge, Surveillance, Risikobewertung sowie Frühwarnung und Reaktion geschaffen werden sowie die Leitlinien der Union in Bezug auf den Erlass gemeinsamer Maßnahmen auf EU-Ebene verbessert werden, um grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren in Zukunft besser entgegentreten zu können.57 2.3.1. Umfang der Kompetenz aus Art. 168 Abs. 5 AEUV Als Rechtsgrundlage sieht der Verordnungsvorschlag Art. 168 Abs. 5 AEUV vor. Art. 168 Abs. 5 AEUV vermittelt die Kompetenz der Union zum Erlass u. a. von Fördermaßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der Gesundheit betreffend grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren sowie Maßnahmen zur Beobachtung, frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren. Die Kompetenz der Union gilt jedoch unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung. Nach Ansicht in der Literatur fallen unter die Maßnahmen- bzw. Fördermaßnahmen i. S. d. Art. 168 Abs. 5 AEUV58 bspw. der Aufbau von Aktionsprogrammen bzw. Netzwerken und deren Finanzierung ebenso wie die Errichtung rechtlich formalisierter Gremien wie z. B. des Gesundheitsausschusses i. S. d. Beschlusses Nr. 1082/2013/EU59, in denen sich die Mitgliedstaaten in Krisenfällen untereinander und mit der Kommission über Risikoeinschätzungen und Kommunikationsstrategien austauschen können.60 56 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 727 final (Fn. 3), Ziff. 1 Seite 1 (Gründe und Ziele des Vorschlags). 57 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 727 final (Fn. 3), Ziff. 1 Seite 1 f. (Gründe und Ziele des Vorschlags). 58 Vgl. zur Abgrenzung von „Fördermaßnahmen“ und „Maßnahmen“ Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim , Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 69, der eine Differenzierung als nicht erforderlich ansieht. 59 BESCHLUSS Nr. 1082/2013/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 22. Oktober 2013 zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 2119/98/EG, Abl. EU 2013, L 293/1. 60 Vgl. Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 70; Niggermeier, in; von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 168 AEUV, Rn. 60. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 18 Die grundsätzliche Zielrichtung des Verordnungsvorschlags ergibt sich aus dem Erwägungsgrund 2. Danach soll im Lichte der aus der laufenden COVID-19-Pandemie gewonnenen Erkenntnisse und zur Förderung einer angemessenen unionsweiten Vorsorge und Reaktion bei sämtlichen grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren der mit dem Beschluss Nr. 1082/2013/EU festgelegte Rechtsrahmen für epidemiologische Überwachung, Monitoring, frühzeitige Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren im Hinblick auf zusätzliche Berichterstattungsanforderungen, die Analyse von Gesundheitssystemindikatoren und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit dem EZPK ausgeweitet werden. Ferner weist der Erwägungsgrund 2 darauf hin, dass der Rechtsrahmen zur Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren darüber hinaus die sofortige Verabschiedung von Falldefinitionen für die Überwachung neuartiger Gefahren ermöglichen und die Einrichtung eines Netzes von EU-Referenzlaboratorien und eines Netzes zur Unterstützung des Monitorings von Krankheitsausbrüchen, die für Substanzen menschlichen Ursprungs relevant sind, vorsehen sollte. Art. 1 des Verordnungsvorschlags sieht folglich zur Bewältigung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren und deren Folgen Bestimmungen in Bezug auf a) den Gesundheitssicherheitsausschuss; b) die Vorsorge- und Reaktionsplanung, einschließlich: i) Vorsorgepläne auf Unionsebene und nationaler Ebene; ii) Berichterstattung und Durchführung von Audits in Bezug auf die Vorsorge; c) die gemeinsame Beschaffung medizinischer Gegenmaßnahmen; d) die epidemiologische Überwachung und Monitoring; e) das Netz für die epidemiologische Überwachung; f) das Frühwarn- und Reaktionssystem; g) die Risikobewertung; h) die Koordinierung der Reaktion; i) die Feststellung einer Notlage im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf Unionsebene vor. Ferner regelt der Verordnungsvorschlag unter Art. 2 die Einrichtung a) eines Netzes von EU- Referenzlaboratorien für die öffentliche Gesundheit; b) eines Netzes für Substanzen menschlichen Ursprungs und c) eines Beratendes Ausschusses für das Eintreten und die Feststellung von Notlagen auf Unionsebene. Es bestehen vielfältige Mitwirkungspflichten der Mitgliedstaaten v. a. im Bereich Vorsorge- und Reaktionsplanung (bei der Erstellung von Vorsorge- und Reaktionsplänen der Union (Art. 5), bei der Erstellung nationaler Vorsorge- und Reaktionsplänen (Art. 6) sowie der Koordinierung im Gesundheitssicherheitsausschuss (Art. 10), Schulung des Personals in Gesundheitsversorgung und Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 19 Gesundheitswesen (Art. 11)), im Bereich Epidemiologische Überwachung, EU-Referenzlaboratorien und Ad-hoc-Monitoring (Übermittlung von Informationen (Art. 13), (Art. 17)) sowie im Bereich Frühwarnung und Reaktion (Übermittlung von Warnmeldungen (Art. 19) und Koordinierung der Reaktion im Rahmen des Gesundheitssicherheitsausschusses (Art. 21)). Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe fallen die vorgestellten Maßnahmen inhaltlich in den Anwendungsbereich des Art. 168 Abs. 5 AEUV, wobei eine abschließende Bewertung nach Verabschiedung der Verordnung dem EuGH obliegt. 2.3.2. Vorgaben des Art. 168 Abs. 7 AEUV Eine Einschränkung der Kompetenz aus Art. 168 Abs. 5 AEUV findet sich in Art. 168 Abs. 7 AEUV. Gemäß Art. 168 Abs. 7 Satz 1 AEUV wahrt die Union bei der Ausübung ihrer Kompetenzen aus Art. 168 AEUV die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten umfasst dabei die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel, Art. 168 Abs. 7 Satz 2 AEUV.61 Der Verordnungsvorschlag berücksichtigt grundsätzlich die Vorgaben des Art. 168 Abs. 7 Satz 1 AEUV, in dem er bspw. im Rahmen der Frühwarnung und Reaktion mögliche gemeinsame Empfehlungen der Kommission mit den Mitgliedstaaten zu zeitlich befristeten Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit unter den Vorbehalt des Einklangs dieser Empfehlungen mit der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung stellt, Art. 22 Abs. 2 lit. b) Verordnungsvorschlag. Unabhängig davon bleibt jedoch darauf hinzuweisen, dass nach den obigen Ausführungen ein Eingriff in Art. 168 Abs. 7 AEUV auch dann vorliegen kann, soweit einzelne Maßnahmen bzw. die Gesamtheit der Maßnahmen Umgestaltungsdruck62 auf der Ebene der Mitgliedstaaten bewirkt .63 Diese Grenze ist zu beachten. 2.3.3. Harmonisierungsverbot Im Anwendungsbereich von Art. 168 Abs. 5 AEUV sind die Vorgaben des Art. 2 Abs. 5 AEUV zu beachten. 61 Zu den Einzelheiten, siehe oben unter Ziff. 2.1.2.. 62 Denkbar bspw. auch durch entsprechende Doppelstrukturen auf Ebene der Mitgliedstaaten. 63 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 82. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 20 Gemäß Art. 2 Abs. 5 Satz 1 AEUV ist die Union in bestimmten Bereichen nach Maßgabe der Verträge dafür zuständig, Maßnahmen zur Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten durchzuführen, ohne dass dadurch die Zuständigkeit der Union für diese Bereiche an die Stelle der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten tritt.64 Die verbindlichen Rechtsakte der Union, die aufgrund der diese Bereiche betreffenden Bestimmungen der Verträge erlassen werden, dürfen keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten beinhalten , Art. 2 Abs. 5 Satz 2 AEUV, Art. 168 Abs. 5 AEUV. Die Anwendbarkeit von Art. 2 Abs. 5 AEUV ergibt sich aus Art. 6 AEUV. Gemäß den in der Begründung formulierten Zielen ist eine Harmonisierung mitgliedstaatlicher Regelungen durch den Verordnungsvorschlag nicht ausdrücklich beabsichtigt.65 Allerdings sollen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 2 Abs. 6 des Verordnungsvorschlags das Recht haben, für den unter diese Verordnung fallenden Bereich zusätzliche Regelungen, Verfahren und Maßnahmen in ihren nationalen Systemen beizubehalten oder darin aufzunehmen. Dies soll auch für Regelungen, die in bestehenden oder künftigen bilateralen oder multilateralen Übereinkünften vorgesehen sind, gelten, sofern solche zusätzlichen Regelungen, Verfahren und Maßnahmen die Anwendung dieser Verordnung nicht beeinträchtigen. Die gewählte Formulierung – die an ähnliche Formulierungen bei Umsetzungsanordnungen in Richtlinien erinnert – könnte dafür sprechen, dass ein gewisser Harmonisierungseffekt durch den Verordnungsvorschlag nicht ausgeschlossen wird. Die Regelungsintensität lässt sich i. Ü. anhand des Verordnungsvorschlags nur schwer bewerten, da insoweit auch die tatsächlichen Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene zu berücksichtigen wären. Bei einer Bewertung müssten auch die o. g. verbindlichen Mitwirkungspflichten der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden.66 2.3.4. Subsidiaritätsgebot Neben dem Harmonisierungsverbot des Art. 2 Abs. 5 AEUV findet das Subsidiaritätsprinzip gemäß Art. 5 Abs. 3 AEUV Anwendung. Gemäß Art. 5 Abs. 3 EUV wird die Union in den Bereichen , die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.67 Art. 168 Abs. 5 AEUV enthält keine ausschließliche Kompetenz der Union. Der Verordnungsvorschlag führt mit Blick auf die Subsidiarität im Erwägungsgrund 23 aus, dass die Ziele der Verordnung wegen der grenzüberschreitenden Dimension von schwerwiegenden Gesundheitsgefahren auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden könnten, sondern besser 64 Zu den Einzelheiten von Art. 2 Abs. 5 AEUV siehe oben unter Ziff. 2.2.3.. 65 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 727 final (Fn. 3), Ziff. 1 Seite 1 f. (Gründe und Ziele des Vorschlags). 66 Siehe oben unter Ziff. 2.3.1.. 67 Zu den einzelnen Anforderungen an das Subsidiaritätsgebot siehe oben unter Ziff. 2.1.3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 21 auf Unionsebene zu verwirklichen seien. Ferner wird in der Begründung des Verordnungsvorschlags ausgeführt, dass schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren ihrem Wesen nach transnationale Auswirkungen hätten. In einer globalisierten Gesellschaft mit grenzüberschreitendem Personen- und Warenverkehr könnten Krankheiten und kontaminierte Erzeugnisse schnell in die ganze Welt gelangen. Auf nationaler Ebene getroffene Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit müssten daher aufeinander abgestimmt und koordiniert werden, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern und die Folgen der genannten Gefahren zu minimieren.68 Die von der Kommission angestellten Überlegungen mit Blick auf die Subsidiarität lassen eine Berücksichtigung der Begründungsanforderungen des Art. 5 Protokoll Nr. 2 erkennen. Eine abschließende Bewertung obliegt nach Verabschiedung der Verordnung dem EuGH. 2.3.5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV muss der Verordnungsvorschlag verhältnismäßig sein. Dazu fordert Art. 5 Abs. 4 EUV, dass die Maßnahmen der Union „inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß“ hinausgehen dürfen. In der Begründung des Verordnungsvorschlags geht die Kommission davon aus, dass dieser einen verhältnismäßigen Ansatz zur Lösung der beschriebenen Probleme darstellt.69 Entsprechend dem oben genannten Prüfungsmaßstab70 kommt dem Europäischen Gesetzgeber ein weites Ermessen zu, welche Regelungen zur Erreichung der vorgegebenen Regelungsziele erforderlich sind. Aus diesem Grund lässt sich eine abschließende Bewertung der vorgestellten Maßnahmen nur schwer vornehmen. Ein offensichtliches Missverhältnis ist prima facie nicht erkennbar. Eine abschließende Bewertung obliegt nach Verabschiedung der Verordnung dem EuGH. 3. Weitere Rechtsgrundlagen für die Verordnungsvorschläge Weiter bittet der Auftraggeber um Prüfung, ob die Verordnungsvorschläge möglicherweise auf andere Kompetenzen gestützt werden können. Insoweit ist zwischen dem Vorschlag COM(2020) 725 final und den Vorschlägen COM(2020) 726 final und COM(2020) 727 final zu unterscheiden . 3.1. Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final Der Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final stützt sich neben Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV ausdrücklich auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV. Im Verordnungsvorschlag wird insoweit ausgeführt, dass potenzielle oder tatsächliche Engpässe bei (national und zentral zugelassenen) Arzneimitteln und Medizinprodukten in Krisenzeiten dazu führen könnten, dass die Gefahr einer unverhältnismäßigen nationalen Bevorratung oder 68 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 727 final (Fn. 3), Ziff. 1 Seite 1 f. (Gründe und Ziele des Vorschlags). 69 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 727 final (Fn. 3), Ziff. 2 Seite 4 (Verhältnismäßigkeit). 70 Zu den einzelnen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit siehe, oben unter Ziff. 2.1.4.. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 22 einer Beschränkung der Binnenmarktbewegungen in Bezug auf solche Waren bestünde, was sich negativ auf den freien Warenverkehr auswirken könnte. Eine koordinierte Reaktion auf Unionsebene zur Überwachung und Eindämmung des Risikos von Engpässen könnte den Mitgliedstaaten helfen, besser auf einen plötzlichen Anstieg der Nachfrage vorbereitet zu sein, Ausfuhrbeschränkungen innerhalb der EU oder eine übermäßige und unkoordinierte Bevorratung zu vermeiden , was zu einer wirksamen Ressourcenzuweisung auf nationaler und Unionsebene führe, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes aufrechterhielte und insgesamt positive Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit gewährleistete.71 Gemäß Art. 114 Abs. 1 Satz 2 AEUV erlassen das Europäische Parlament und der Rat nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten , welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Der Art. 114 AEUV richtet sich nach Ansicht des EuGH auch auf die Sicherstellung des Funktionierens des Binnenmarktes.72 Bei Art. 114 Abs. 1 Satz 2 AEUV handelt es sich gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. a) AEUV wie bei Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV um eine Kompetenz geteilter Zuständigkeit. Nach Ansicht des EuGH stellt die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV auch dann die geeignete Rechtsgrundlage dar, wenn dem Gesundheitsschutz bei der betreffenden Maßnahme eine maßgebende Bedeutung zukommt .73 Eine parallele Heranziehung von Art. 114 AEUV und Art. 168 Abs. 4 lit. c) AEUV, wie im Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final, wird in der Literatur mit Verweis auf den Vorrang von Art. 168 AEUV als lex specialis teils kritisch gesehen.74 Zu erwähnen bleibt, dass es in der Literatur umstritten ist, ob die Einschränkung des Art. 168 Abs. 7 AEUV auch eine Schranke für unionale Maßnahmen im Gesundheitsbereich darstellen soll, die aufgrund anderer als der Kompetenznorm des Art. 168 AEUV erfolgen.75 71 Vgl. Begründung des Verordnungsvorschlags COM(2020) 725 final (Fn. 1), Ziff. 2., Seite 5 (Subsidiarität). 72 EuGH, Urteil vom 8.11.2007, Rs. C-374/05 (Gintec International Import-Export GmbH/Verband Sozialer Wettbewerb e.V.) Slg. I-9541, Rn. 29; siehe dazu auch Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 114 AEUV, Rn. 8, 11; Classen, in; von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 114 AEUV, Rn. 41. 73 Vgl. EuGH, Urteil vom 5.10.2000, Rs. C-376/98 (Bundesrepublik/Europäisches Parlament u. a.), Slg. 2000, I- 8498, Rn. 88. 74 Berg/Augsburg, in: Schwarze, EU Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 168 AEUV, Rn. 38; Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 111; siehe dazu auch Kingreen , in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 168 AEUV, Rn. 30. 75 Gegen eine Schranke des Art. 168 Abs. 7 AEUV Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 83, für eine solche Schranke Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 168 AEUV, Rn. 25; Niggermeier, in; von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 168 AEUV, Rn. 73; vgl. hierzu auch die Ausführungen von Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 114 AEUV, Rn. 25. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 23 3.2. Verordnungsvorschlage COM(2020) 726 final und COM(2020) 727 final Von den neben Art. 168 Abs. 5 AEUV stehenden Kompetenzbestimmungen76 kommt mit Blick auf die Verordnungsvorschläge COM(2020) 726 final und COM(2020) 727 final Art. 196 AEUV in Betracht. Art. 196 AEUV steht grundsätzlich neben Art. 168 Abs. 5 AEUV und kann auch parallel herangezogen werden.77 Gemäß Art. 196 Abs. 1 Satz 1 AEUV fördert die Union die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, um die Systeme zur Verhütung von Naturkatastrophen oder von vom Menschen verursachten Katastrophen und zum Schutz vor solchen Katastrophen wirksamer zu gestalten.78 Bei Art. 196 AEUV handelt es sich wie bei Art. 168 Abs. 5 AEUV um eine ergänzende Kompetenz i. S. d. Art. 6 AEUV, so dass ebenfalls Art. 2 Abs. 5 AEUV Anwendung findet.79 4. Rechtsgrundlage einer „Health Emergency Preparedness and Response Authority“ Eine weitere Frage des Auftraggebers richtet sich auf die Kompetenz der Union zur Errichtung der „Health Emergency Preparedness and Response Authority“ („HERA“) i. S. d. Mitteilung COM(2020) 724 final.80 Die folgende Darstellung steht unter dem Vorbehalt, dass die Kommission in der Mitteilung COM(2020) 724 final allein grobe Vorstellungen zu Aufgaben und Tätigkeiten der HERA vorgestellt hat. Eine konkrete Ausgestaltung der HERA liegt dagegen nicht vor. Die nachfolgenden Ausführungen können daher allein den grundsätzlichen rechtlichen Rahmen beleuchten, ohne dass eine konkrete Prüfung vorgenommen wird. 4.1. Ausführungen der Kommission in COM(2020) 724 final Die Kommission sieht im Hinblick auf zukünftige grenzüberschreitende Gefahren für die menschliche Gesundheit das Erfordernis der Errichtung einer speziellen europäischen Behörde zur Stärkung der Vorsorge und Reaktionsfähigkeit der Union.81 Aufgabe der Behörde soll es nach Ansicht der Kommission sein, die EU und ihre Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, im Fall 76 Vgl. hierzu Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 104-122. 77 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 119. 78 Vgl. zum Begriff der „Katastrophe“ i. S. d. Art. 196 AEUV die Ausführungen von Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 196 AEUV, Rn. 12-19. 79 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 119. 80 COM(2020) 724 final (Fn. 4). 81 COM(2020) 724 final (Fn. 4), Seite 24. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 24 einer gesundheitlichen Notlage rasch die fortschrittlichsten medizinischen und sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, indem sie die gesamte Wertschöpfungskette von der Konzipierung bis zur Verteilung und Nutzung abdeckt.82 Konkrete Aufgaben der HERA sollen nach Ansicht der Kommission bspw. die strategische Früherkennung („Horizon Scanning“) sowie eine Vorausschau („Foresight“) sein, um spezifische Gefahren zu antizipieren, erfolgversprechende potenzielle Gegenmaßnahmen und die hierfür erforderlichen Kompetenzen zu ermitteln sowie das entsprechende Wissen aufzubauen und zu verbreiten .83 Weitere Aufgaben der HERA beziehen sich nach den Vorstellungen der Kommission auf die Überwachung von Produktionskapazitäten und Entwicklungseinrichtungen, den Rohstoffbedarf und die Verfügbarkeit von potenziellen Gegenmaßnahmen sowie die Förderung der Entwicklung bereichsübergreifender Technologien und Lösungen.84 Ferner soll die HERA Infrastrukturen mit öffentlichen und privaten Kapazitäten planen, koordinieren und zusammenstellen, die zusammen im Bedarfsfall eine rasche Reaktion ermöglichen.85 4.2. Mögliche Rechtsgrundlage für die Errichtung der HERA, Art. 168 Abs. 5 AEUV Gemäß Art. 5 Abs. 2 EUV bedarf es für das Tätigwerden der Union einer Rechtgrundlage. Art. 5 Abs. 2 EUV sieht insoweit vor, dass nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig wird, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Als Rechtsgrundlage für die Errichtung der HERA kommt Art. 168 Abs. 5 AEUV in Betracht. Gemäß Art. 168 Abs. 5 AEUV können das Europäische Parlament und der Rat unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren u. a. Fördermaßnahmen zum Schutz und zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit sowie insbesondere zur Bekämpfung der weit verbreiteten schweren grenzüberschreitenden Krankheiten sowie Maßnahmen zur Beobachtung und zur frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren erlassen. Nach Ansicht in der Literatur fallen unter die Maßnahmen bzw. Fördermaßnahmen i. S. d. Art. 168 Abs. 5 AEUV86 bspw. der Aufbau von Aktionsprogrammen bzw. Netzwerken und deren Finanzierung ebenso wie die Errichtung rechtlich formalisierter Gremien für den Austausch von 82 COM(2020) 724 final (Fn. 4), Seite 24. 83 COM(2020) 724 final (Fn. 4), Seite 24. 84 COM(2020) 724 final (Fn. 4), Seite 24. 85 COM(2020) 724 final (Fn. 4), Seite 24. 86 Vgl. zu Abgrenzung von „Fördermaßnahmen“ und „Maßnahmen“ Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim , Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 69, der eine Differenzierung als nicht erforderlich ansieht. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 25 Mitgliedstaaten und Kommission in Krisenfällen.87 Ferner ist nach Ansicht in der Literatur insbesondere die Errichtung und Ausgestaltung von Unionsinstituten von Art. 168 Abs. 5 AEUV umfasst .88 Aufgrund der vorstehenden Ausführungen könnte Art. 168 Abs. 5 AEUV grundsätzlich eine taugliche Rechtsgrundlage für die Errichtung der HERA darstellen. Mangels konkreter Ausgestaltung ist eine abschließende Prüfung jedoch nicht möglich. 4.3. Im Anwendungsbereich von Art. 168 Abs. 5 AEUV zu beachtende Vorschriften Soweit Art. 168 Abs. 5 AEUV als Rechtsgrundlage für die Errichtung der HERA Anwendung fände, wären die Vorschriften der Art. 168 Abs. 7 AEUV und Art. 2 Abs. 5 AEUV sowie das Subsidiaritätsprinzip , Art. 5 Abs. 3 AEUV und die Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 5 Abs. 4 EUV zu beachten.89 5. Befugnisse der Kommission gemäß Art. 23, Art. 25 COM(2020) 727 final Weiter bittet der Auftraggeber um Bewertung der Befugnis der Kommission zur Feststellung einer Notlage gemäß Art. 23 COM(2020) 727 final insbesondere vor dem Hintergrund der Befugnisse der Kommission in Art. 25 COM(2020) 727 final. Eine weitere Frage des Auftraggebers richtet sich auf Vor- und Nachteile einer gedachten Einbeziehung des Europäischen Parlamentes (Parlament ) bei der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 23 Abs. 1 des Verordnungsvorschlags. Gemäß Art. 23 Abs. 1 des Verordnungsvorschlags kann die Kommission auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens des in Art. 24 Verordnungsvorschlags genannten Beratenden Ausschusses formell eine Notlage im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf Unionsebene feststellen ; dies schließt Pandemien ein, bei denen die betreffende schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsgefahr die Gesundheit der Bevölkerung auf Unionsebene gefährdet. Die rechtlichen Wirkungen der Feststellung einer Notlage gemäß Art. 23 Abs. 1 des Verordnungsvorschlags sind in Art. 25 des Verordnungsvorschlags festgelegt. Folgende Maßnahmen werden durch die Feststellung einer Notlage gemäß Art. 23 Abs. 1 des Verordnungsvorschlags ermöglicht : „a) die Einführung von Maßnahmen, die während der Dauer der Notlage im Bereich der öffentlichen Gesundheit anwendbar sind, mit Bezug auf Arzneimittel und Medizinprodukte gemäß 87 Vgl. Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 70. 88 Schmidt am Busch, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 71. EL August 2020, Art. 168 AEUV, Rn. 70; Niggermeier, in; von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 168 AEUV, Rn. 58. 89 Vgl. hierzu die obigen Ausführungen unter Ziff. 2.1.2. (Art. 168 Abs. 7 AEUV), Ziff. 2.2.3 (Art. 2 Abs. 5 AEUV), Ziff. 2.1.3. (Art. 5 Abs. 3 EUV), Ziff. 2.1.4. (Art. 5 Abs. 4 EUV). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 26 der Verordnung (EU) …/… [ABl.: Bitte die Nummer der Verordnung der EMA einfügen [ISC/2020/12532]]; b) die Einführung von Mechanismen zur Beobachtung der Verknappung medizinischer Gegenmaßnahmen sowie zu deren Entwicklung, Beschaffung, Verwaltung und Einsatz; c) die Aktivierung der Unterstützung durch das ECDC gemäß der Verordnung (EU) …/… [ABl.: Bitte die Nummer der Verordnung des ECDC einfügen [ISC/2020/12527]] zwecks Mobilisierung und Einsatz der EU-Gesundheits-Taskforce.“ Die in lit. a) genannten Befugnisse beziehen sich voraussichtlich auf die in dem Verordnungsvorschlag COM(2020) 725 final90 genannten Maßnahmen, wohingegen die in lit. c) genannten Befugnisse sich voraussichtlich auf die in dem Verordnungsvorschlag COM(2020) 726 final91 genannten Maßnahmen beziehen. Der Umfang der Befugnisse für lit. a) und c) richtet sich somit nach den in den genannten Verordnungsvorschlägen vorgesehenen Maßnahmen.92 Auf der anderen Seite benennt lit. b) Befugnisse zur Einführung von Mechanismen zur Beobachtung der Verknappung medizinischer Gegenmaßnahmen sowie zu deren Entwicklung, Beschaffung , Verwaltung und Einsatz. Aus dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich dabei nicht entnehmen , welche konkreten Maßnahmen hiervon erfasst sein sollen. Die Kompetenz zur Feststellung einer Notlage mit den vorab beschriebenen Befugnissen obliegt daher gemäß Art. 23 Abs. 1 Verordnungsvorschlag der Kommission, die ihrer Entscheidung das gemäß Art. 24 des Verordnungsvorschlags vorgesehene Sachverständigengutachten zur Grundlage machen kann. Vor diesem Hintergrund kann die Frage gestellt werden, ob die Befugnis der Kommission zur Feststellung einer Notlage eher dem Europäischen Parlament (Parlament) zustehen sollte.93 Die Feststellung einer Notlage durch das Parlament gemäß Art. 23 Abs. 1 des Verordnungsvorschlags würde gegenüber der Feststellung durch die Kommission Vor- und Nachteile mit sich bringen. Ein Vorteil wäre die parlamentarische Kontrolle der Ausübung der Feststellung einer Notlage, die im Ergebnis auch eine größere demokratische Legitimation der Maßnahmen mit sich bringen würde. Gegen eine Einbeziehung des Parlaments spräche die damit möglicherweise einhergehende Verzögerung, die gerade im Falle von Notsituationen in Einzelfällen kritische Situationen weiter verschärfen könnte. 90 Siehe ebenso Art. 2 lit. a) COM(2020) 725 final., der die Notlage gemäß Art. 23 COM(2020) 727 final festlegt. 91 Vgl. insbesondere Ziff. 14 COM(2020) 726 final (Art. 11a VO 851/2004 n. F). 92 Es wird insoweit auf die obigen Ausführungen zu den entsprechenden Verordnungsvorschlägen verwiesen, vgl. dazu oben unter Ziff. 2.1.1. sowie unter Ziff. 2.2.1.. 93 Vgl. im mitgliedstaatlichen Recht bspw. in Deutschland § 5 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045 – zuletzt geändert durch Artikel 4a des Gesetzes vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3136)), nach dem die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag erfolgt. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 115/20 Seite 27 Entscheidendes Kriterium für oder gegen das Erfordernis der Beteiligung des Parlaments dürfte insbesondere die Reichweite und Intensität der aufgrund der Feststellung der Notlage gemäß Art. 23 des Verordnungsvorschlags möglichen Maßnahmen sein. Insoweit gilt der Grundsatz, dass je umfassender und einschneidender die Maßnahmen sind, desto mehr spricht aus Gründen der größeren demokratischen Legitimation für eine Beteiligung des Parlaments. – Fachbereich Europa –