© 2021 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 113/20 Sachstand Vorgaben des EU-Beihilferechts für die Förderprogramme für Investitionen von Fahrzeugherstellern und Zulieferern Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 2 Vorgaben des EU-Beihilferechts für die Förderprogramme für Investitionen von Fahrzeugherstellern und Zulieferern Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 113/20 Abschluss der Arbeit: 12. Januar 2021 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Das Eckpunktepapier Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken 4 3. Beihilferechtliche Vorgaben 4 3.1. Grundzüge des Beihilfenrechts 4 3.2. De-Minimis-Verordnung 5 3.3. Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) 6 3.4. Art. 93 AEUV als Ausnahme vom Beihilfeverbot 9 3.5. Legalausnahme des Art. 107 Abs. 2 AEUV 9 3.6. Ermessensausnahmen nach Art. 107 Abs. 3 AEUV 10 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich ist um eine Einschätzung gebeten geworden, ob und inwieweit sich aus dem europäischen Beihilferecht – insb. aus der Gruppenfreistellungsverordnung oder anderweitigen wettbewerblichen Regeln der Europäischen Union – Vorgaben bzw. Einschränkungen für die vom Koalitionsausschuss am 3. Juni 2020 beschlossenen Förderprogramme für Investitionen von Fahrzeugherstellern und Zulieferern ergeben. 2. Das Eckpunktepapier Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken Das vom Koalitionsausschuss am 3. Juni 2020 beschlossene Eckpunktepapier Corona-Folgen bekämpfen , Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken1 sieht für den Bereich Investitionen von Fahrzeugherstellern und Zulieferern unter Ziffer 35 folgendes vor: c. Für Zukunftsinvestitionen der Fahrzeughersteller und der Zulieferindustrie wird für die Jahre 2020 und 2021 ein Bonus-Programm aufgelegt. Es dient der Förderung von Investitionen in neuen Technologien, Verfahren und Anlagen. Forschung und Entwicklung für transformationsrelevante Innovationen und neue regionale Innovationscluster vor allem der Zulieferindustrie werden in den Jahren 2020 und 2021 mit 1 Milliarde Euro gefördert. {Finanzbedarf: 2 Milliarden Euro} (Hervorhebungen im Original) Die geplanten Maßnahmen zielen auf eine umfassende Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Fahrzeugindustrie ab und sollen Unternehmen bei der Transformation auf dem Weg zur klimafreundlichen Mobilität unterstützen.2 3. Beihilferechtliche Vorgaben Da diesseits nicht bekannt ist, wie vorstehende Fördermaßnahme im Einzelnen umgesetzt wird bzw. werden soll und welche Wirkungen hiervon ausgehen, kann nur ein summarischer Überblick zu den möglicherweise einschlägigen beihilferechtlichen Vorschriften gegeben werden. 3.1. Grundzüge des Beihilfenrechts Die Regelungen über staatliche Beihilfen in den Art. 107 bis 109 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind Teil der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln. Den Kern des EU-Beihilfenrechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln 1 Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stä rken. Ergebnis Koalitionsausschuss 3. Juni 2020, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter /Konjunkturpaket/2020-06-03-eckpunktepapier.pdf?__blob=publicationFile&v=8. 2 Vgl. dazu BMWI, Transformationsdialog Automobilindustrie. Bericht über den Regionaldialog IV (Stand 19.10.2020), S. 8, abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/transformationsdialogautomobilindustrie -bericht-regionaldialog-lV.pdf?__blob=publicationFile&v=6. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 5 gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Fehlt eines dieser Merkmale, so liegt keine Beihilfe vor. Die Vorgaben des Art. 107 ff. AEUV finden dann keine Anwendung.3 Soweit Beihilfen i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegen, sind dieser vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV4). Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Anmeldung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte vorab bekannte materielle und formale Anforderungen eingehalten werden.5 Diese Anforderungen ergeben sich aus der De-Minimis-Verordnung6 (3.2.) und der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (3.3.).7 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt. Ausnahmen vom Beihilfeverbot sieht das Primärrecht für den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs oder der Abgeltung bestimmter, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen entsprechenden Beihilfen (Art. 93 AEUV) vor (3.4.). In Art. 107 Abs. 2 AEUV sind Legalausnahmen (3.5.) und in Art. 107 Abs. 3 AEUV Ermessensausnahmen (3.6.) vom Beihilfeverbot kodifiziert . 3.2 De-Minimis-Verordnung Bei De-Minimis-Beihilfen wird davon ausgegangen, dass Beihilfen, die einen Gesamtbetrag von 200.000 EUR innerhalb von drei Jahren nicht übersteigen, den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen und den Wettbewerb nicht verfälschen oder zu verfälschen drohen. 8 Solche Maßnahmen sind vom Begriff der staatlichen Beihilfen ausgenommen und unterliegen somit nicht der Anmeldepflicht nach 3 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.7.2003, Rs. C-280/00 Rn. 74 (Altmark Trans). 4 Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO. 5 Dieser Bereich des Beihilferechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilferechtsreform („ State Aid Modernisation “) ausgebaut, vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilferecht, NJW 2014, 3128 (3130). 6 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen, ABl.EU 2013 Nr. L 352/1 (nachfolgend: De-Minimis-Verordnung). 7 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vere inbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. L 187/1. 8 Art. 3 Abs. 2 De-Minimis-Verordnung. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 6 Art. 108 III AEUV.9 Abweichende Fördergrenzen sind für im gewerblichen Straßengüterverkehr tätige Unternehmen vorgesehen.10 Sachlich anwendbar ist die De-Minimis-Verordnung grundsätzlich für Beihilfen an Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen. Hiervon ausgenommen sind Beihilfen an Unternehmen, die in der Primärerzeugung von Agrarerzeugnissen sowie der Fischerei und Aquakultur tätig sind. Die De-Minimis-Verordnung gilt nur für sog. transparente Beihilfen, mithin für solche, deren Bruttosubventionsäquivalent im Voraus genau berechnet werden kann, ohne dass eine Risikobewertung erforderlich ist.11. Regelmäßig gelten als solche Beihilfen Zuwendungen in Form von Zuschüssen oder Zinszuschüssen.12 Bis zu dem in Art. 3 Abs. 2 De-Minimis-Verordnung genannten Höchstbetrag von 200.000 EUR über drei Jahre dürfen De-minimis-Beihilfen kumuliert werden (Art. 5 De-Minimis-Verordnung). Die Gewährung dieser Beihilfen ist nach Maßgabe der Vorgaben in Art. 6 De-Minimis-Verordnung von den Mitgliedstaaten zu überwachen. 3.3. Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) Nach Art. 3 GVO gelten Einzelbeihilfen auf der Grundlage von Beihilferegelungen und Ad-hoc- Beihilfen im Sinne des Artikels 107 Absatz 2 oder 3 AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar und sind von der Anmeldepflicht nach Artikel 108 Absatz 3 AEUV freigestellt, sofern diese Beihilfen alle Voraussetzungen des Kapitels I dieser Verordnung sowie die für die betreffende Gruppe von Beihilfen geltenden Voraussetzungen des Kapitels III erfüllen. Zur Anwendbarkeit der GVO Die GVO gilt nach ihrem Art. 5 nur für sog. transparente Beihilfen, d.h. für Beihilfen in Form von Zuschüssen und Zinszuschüssen, Krediten, Garantien oder Steuervergünstigungen und die in Art. 5 Nrn. e) bis j) GVO definierten Beihilfen, soweit die näher geregelten Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Im Übrigen findet die GVO nach ihrem Art. 1 Nr. 4) keine Anwendung für Unternehmen in Schwierigkeiten, soweit eine Beihilferegelung nicht der Bewältigung von Naturkatastrophen dient. Unternehmen in Schwierigkeiten werden in Art. 2 Nr. 18 GVO näher definiert. Als solche gelten Unternehmen, auf die mindestens einer der folgenden fünf Umstände zutrifft: 9 EuGH, Urt. v. 15.06.2006, Rs. C-393/04 und C-41/05 Rn. 81. 10 Vgl. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Abs. 3 De-Minimis-Verordnung. 11 Art. 4 Abs. 1 De-Minimis-Verordnung. 12 Art. 4 Abs. 2 De-Minimis-Verordnung. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 7 Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung hat infolge aufgelaufener Verluste mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals verloren, d. h. nach Abzug der aufgelaufenen Verluste von den Rücklagen ergibt sich ein „negativer kumulativer Betrag“, der mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals (inklusive aller Agios) ausmacht. Eine Gesellschaft, bei der zumindest einige Gesellschafter unbeschränkt haften, hat infolge von Verlusten mehr als die Hälfte ihrer in den Geschäftsbüchern ausgewiesenen Eigenmittel verloren. Ein Unternehmen, über welches ein Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist oder welches die nach nationalem Recht geregelten Voraussetzungen zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag seiner Gläubiger erfüllt. Ein Unternehmen, dem eine Rettungsbeihilfe gewährt worden ist, ohne dass der Kredit bereits zurückgezahlt oder die Garantie bereits erloschen wäre, sowie ein Unternehmen, dem eine Umstrukturierungsbeihilfe gewährt worden ist und das noch immer dem Umstrukturierungsplan unterliegt. Der buchwertbasierte Verschuldungsgrad eines Unternehmens, das kein KMU ist, betrug mehr als 7,5 (Ziff. 1) und das auf Grundlage des EBITDA berechnete Zinsdeckungsverhältnis des Unternehmens lag unter 1,0. Beihilfen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Beihilfen für KMU dürften im Wesentlichen nur für Zulieferer in Betracht kommen und dies auch nur, soweit die dafür vorgesehenen Höchstgrenzen der Anzahl der Beschäftigten und für Umsätze nicht überschritten werden. Als KMU gelten Unternehmen, die die Voraussetzungen des Anhangs I der GVO erfüllen. Hiernach gelten als solche mittlere Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Mio. EUR beläuft, kleine Unternehmen, das weniger als 50 Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz beziehungsweise Jahresbilanz 10 Mio. EUR nicht übersteigt und Kleinstunternehmen, das weniger als 10 Personen beschäftigt und dessen Jahresumsatz beziehungsweise Jahresbilanz 2 Mio. EUR nicht überschreitet. Beihilfen für KMU unterliegen der Notifzierungspflicht erst, wenn diese nach Art. 4 Nr. 1 GVO die nachfolgenden Schwellen überschreiten: Investitionsbeihilfen für KMU: 7,5 Mio. EUR pro Unternehmen und Investitionsvorhaben KMU-Beihilfen für die Inanspruchnahme von Beratungsdiensten: 2 Mio. EUR pro Unternehmen und Vorhaben Innovationsbeihilfen für KMU: 5 Mio. EUR pro Unternehmen und Vorhaben Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 8 Für größere mittelständische Unternehmen mit mehr als 249 Beschäftigten bzw. höheren als die jeweils festgelegten Umsatzgrenzen findet die GVO mithin keine Anwendung. Investitionsbeihilfen Investitionsbeihilfen für in oder außerhalb der Europäischen Union tätigen KMU sind unter den Voraussetzungen des Art. 17 GVO mit dem Binnenmarkt i.S.d. Art. 107 Abs. 3 AEUV vereinbar und von der Anmeldepflicht befreit. Beihilfefähige Kosten sind die Kosten einer Investition in materielle und immaterielle Vermögenswerte die über einen Zeitraum von zwei Jahren berechneten voraussichtlichen Lohnkosten für direkt durch das Investitionsvorhaben geschaffene Arbeitsplätze.13 Risikofinanzierungsbeihilfen Der in Art. 21 AGVO niedergelegte Freistellungstatbestand bezieht sich auf bestimmte Risikofinanzierungsbeihilfen zugunsten von KMU. Mit diesen sollen Finanzierungslücken geschlossen bzw. -probleme bewältigt werden, um Marktversagen zu beheben (Erwägungsgrund 40 der AGVO) und privates Kapital zu mobilisieren (Erwägungsgrund 43 der AGVO). In Art. 21 Abs. 2–4 AGVO finden sich Regelungen zu den zulässigen Formen von Risikofinanzierungsbeihilfeformen wie etwa Beteiligungen, beteiligungsähnliche Investitionen, Dotationen, Garantien , Kredite oder Steueranreize zwischen den verschiedenen Ebenen der jeweiligen Risikofinanzierungsmaßnahme .14 Unterschieden wird hierin zwischen Risikofinanzierungsbeihilfen auf der Ebene der Finanzintermediäre (Art. 21 Abs. 2 AGVO), der unabhängigen privaten Investoren (Art. 21 Abs. 3 AGVO) und der beihilfefähigen Unternehmen (Art. 21 Abs. 4 AGVO). Beihilfen für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben Nach Art. 25 Nr. 1 AGVO sind Beihilfen für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben […] im Sinne des Artikels 107 Absatz 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Anmeldepflicht nach Artikel 108 Absatz 3 AEUV freigestellt, sofern die in diesem Artikel und in Kapitel I festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies betrifft Förderungen in den Bereichen Grundlagenforschung industrielle Forschung 13 Zu den weiteren Details vgl. Art. 17 Nr. 3. und 4. AGVO; vgl. dazu auch von Wallenberg/Schütte in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, AEUV Art. 107 Rn. 343. 14 Nowak in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2016, Art. 21 AGVO Rn. 11. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 9 experimentelle Entwicklung Durchführbarkeitsstudien15 Umweltschutzbeihilfen Die GVO findet auch für Umweltschutzbeihilfen Anwendung. In Art. 2 Ziff. 101 finden sich eine Begriffsbestimmung für Umweltschutzbeihilfen. 101. „Umweltschutz“: jede Maßnahme, die darauf abzielt, einer Beeinträchtigung der natürlichen Umwelt oder der natürlichen Ressourcen durch die Tätigkeit eines Beihilfeempfängers abzuhelfen , vorzubeugen oder die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung zu vermindern oder eine rationellere Nutzung der natürlichen Ressourcen einschließlich Energiesparmaßnahmen und die Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern; […] In Art. 36 GVO werden die Anforderungen von Umweltschutzbeihilfen dafür definiert, dass diese i.S.d Art. 107 Abs. 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Notifizierungspflicht freigestellt sind. Als solche gelten Investitionsbeihilfen, die Unternehmen in die Lage versetzen, über die Unionsnormen für den Umweltschutz hinauszugehen oder bei Fehlen solcher Normen den Umweltschutz zu verbessern. 3.4. Art. 93 AEUV als Ausnahme vom Beihilfeverbot Neben den allgemeinen Vorschriften in Art. 107 f. AEUV besteht in Art. 93 AEUV eine weitere Ausnahme vom grundsätzlichen Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV im Verkehrssektor. Gemäß Art. 93 AEUV sind Beihilfen mit den Verträgen vereinbar, die den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs oder der Abgeltung bestimmter, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen entsprechen. Eine Koordinierung des Verkehrs i.S.d. Art. 93 AEUV setzt voraus, dass der Staat im Interesse der Allgemeinheit lenkend in die Entwicklung des Verkehrssektors eingreift.16 Koordinierungsbeihilfen nach Art. 93 Alt. 1 AEUV sind Beihilfen, die auf die Sicherstellung einer sinnvollen Aufgabenteilung zwischen den einzelnen Verkehrsträgern abzielen und somit der Effizienzsteigerung des gesamten Verkehrssystems dienen.17 Für die in Frage stehenden Förderprogramme für Investitionen von Fahrzeugherstellern und Zulieferern ist diese Regelung nicht einschlägig. 15 Art. 25 Nr. 2 AGVO. 16 Kommission, Beihilfeentscheidung SA.56519 (2020/N) – Deutschland Investition in Betriebsleitsysteme (ITCS) und in das Elektronische Fahrgeldmanagement (EFM) Ziff. 41. 17 Fehling, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 93 AEUV Rn. 20. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 10 3.5. Legalausnahme des Art. 107 Abs. 2 AEUV Staatliche Beihilfen, die der Bewältigung der Folgen des Covid-19-Ausbruchs dienen, können nach Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV gerechtfertigt sein, soweit diese der Beseitigung von Schäden dienen, die u.a. durch außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind. Die Kommission qualifiziert die Covid-19-Pandemie als ein „außergewöhnliches Ereignis“ im Sinne dieser Norm und gesteht den Mitgliedstaaten zu, auf Grundlage von Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV staatliche Beihilfenprogramme aufzulegen, die vorbehaltlich ihrer Genehmigung Unternehmen für Verluste entschädigen, die ihnen durch dieses außergewöhnliche Ereignisse, entstanden sind.18 Dies spiegelt sich auch in ihrer Entscheidungspraxis wider, wenn sie beispielsweise in einer Entscheidung vom 12. März 202019 erklärt, es handele sich bei der Pandemie um ein „sonstiges außergewöhnliches Ereignis“, welches unter die Legalausnahme nach Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV falle.20 Für die in Frage stehenden Zukunftsinvestitionen der Fahrzeughersteller und der Zulieferindustrie ist allerdings nicht ersichtlich, dass die beabsichtigten Investitionen von Fahrzeugherstellern und Zulieferern dem Ausgleich von durch die Covid-19-Pandemie unmittelbar hervorgerufenen Schäden dienen sollen. 3.6. Ermessensausnahmen nach Art. 107 Abs. 3 AEUV Umweltschutz- und Energiebeihilfen In der bis zum 31.12.2023 verlängerten21 Mitteilung der Kommission Leitlinien für staatliche Umweltschutz - und Energiebeihilfen 2014-202022 (nachfolgend: Mitteilung) definiert die Kommission 18 Insbesondere geht es um Unternehmen in besonders betroffenen Sektoren, wie z.B. Verkehr, Tourismus und Gastgewerbe, Mitteilung der Kommission vom 13. März 2020 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, die Europäische Zentralbank, die Europäische Investitionsbank und die Eu ro- Gruppe vom 13. März 2020, COM (2020) 112 final S. 10 ff. sowie der dazu gehörige Anhang 3. 19 State Aid SA.56685 (2020/N) – DK – Compensation scheme for cancellation of events related to COVID-19, COM (2020) 1698 final. 20 Siehe insbesondere Schumm/Klumb, in: Schmidt, COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020, § 15 Rn. 131. 21 Durch die Mitteilung der Kommission über die Verlängerung und Änderung der Leitlinien für Regionalbeihilfen 2014-2020, der Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Förderung von Risikofinanzierungen, der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020, der Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten, der Mitteilung — Kriterien für die Würdigung der Vereinbarkeit von staatlichen Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse mit dem Binnenmarkt, der Mitteilung der Kommission — Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation und der Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten zur Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf die kurzfristige Exportkreditversicherung vom 8.7.2020, ABl C 224/2. 22 Mitteilung der Kommission: Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:C:2014:200:FULL. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 11 die Umwelt- und Energiemaßnahmen, deren Förderung durch staatliche Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen als mit Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe c AEUV vereinbar angesehen werden kann.23 Als solche kommen hiernach auch Beihilfen für Unternehmen, die über Unionsnormen hinausgehen oder die bei Fehlen solcher Normen den Umweltschutz verbessern (einschließlich Beihilfen für die Anschaffung neuer Fahrzeuge)24, in Betracht. Diese Beihilfen müssen einen Anreizeffekt haben. Umwelt- und Energiebeihilfen können nur dann für mit dem Binnenmarkt vereinbar befunden werden, wenn sie einen Anreizeffekt haben. Ein Anreizeffekt liegt vor, wenn die Beihilfe den Empfänger veranlasst, sein Verhalten dahin gehend zu ändern, dass der Umweltschutz oder das Funktionieren eines Energiemarkts mit sicheren, erschwinglichen und nachhaltigen Energien verbessert wird, und diese Verhaltensänderung ohne Beihilfe nicht eingetreten wäre. Die Beihilfe darf weder die Kosten einer Tätigkeit subventionieren, die ein Unternehmen ohnehin zu tragen hätte, noch das übliche Geschäftsrisiko einer Wirtschaftstätigkeit ausgleichen.25 An Unternehmen in Schwierigkeiten nach Maßgabe der Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten dürfen keine Umwelt- und Energiebeihilfen gewährt werden.26 Einzelbeihilfen unterliegen nach Ziffer 2. der Mitteilung der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV, wenn eine Beihilfe die dort unter Ziffer 2. (20) definierten Schwellenwerte überschreitet und diese nicht auf der Grundlage einer Ausschreibung gewährt wird. Im Anhang I der Mitteilung werden die Beihilfeintensitäten für Umweltbeihilfen näher festgelegt. Für Beihilfen für Unternehmen, die über die Unionsnormen hinausgehen oder bei Fehlen solcher Normen den Umweltschutz verbessern (Beihilfen für die Anschaffung neuer Fahrzeuge), werden folgende Festlegungen getroffen: Kleine Unternehmen Mittlere Unternehmen Große Unternehmen 60% 70% bei Öko-Investitionen 100% bei Ausschreibung 50% 60% bei Öko-Investitionen 100% bei Ausschreibung 40% 50% bei Öko-Investitionen 100% bei Ausschreibung 23 Mitteilung 1.2. (18). 24 Mitteilung 1.2. (18) a). 25 Mitteilung 3.2.4. (49). 26 Vgl. Mitteilung 1.1. (16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 12 Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten Nach Maßgabe der Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (nachfolgend: Leitlinien)27 können Rettungs- und Risikofinanzierungsmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem europäischen Beihilferecht für Unternehmen vorgenommen werden, die nicht alle Kriterien für Risikobeihilfen nach der AGVO erfüllen . Umstrukturierungsbeihilfen sollen der langfristigen Rentabilität eines Unternehmens dienen .28 Die Leitlinien finden auf drei Kategorien von Beihilfen Anwendung: Rettungsbeihilfen, Umstrukturierungsbeihilfen und vorübergehende Umstrukturierungshilfen.29 Beihilfen auf Grundlage der Leitlinien müssen für große Unternehmen einzeln bei der Kommission angemeldet werden. Beihilfen zugunsten von kleineren und mittleren Unternehmen können auf Grundlage von durch die Kommission genehmigten Beihilferegelungen für vergleichbare geringe Beihilfen vorgenommen werden.30 Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 Der Befristete Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-1931 (nachfolgend: Befristeter Rahmen) sieht Beihilfen in Form von direkten Zuschüssen, rückzahlbaren Vorschüssen oder Steuervorteilen (bis zu einer Obergrenze von insgesamt 800.000 EUR je Unternehmen)32, Bürgschaften bzw. Garantien für Darlehen33 oder in Form von Zinsverbilligungen für Darlehen34 vor. Der Befristeten Rahmen ermöglicht darüber 27 ABl. EU 2014 C 249/1, abrufbar unter: file:///C:/FB%20Europa/113%2020%20Investitionsf%C3%B6rderung %20Verkehr/Leitlinien%20Rettungsbeihilfen%202014.pdf . 28 Leitlinien Ziff. 2.3. Nr. 27. 29 Leitlinien Ziff. 2.3. Nr. 25. 30 Leitlinien Ziff. 3. Nr. 37. 31 Konsolidierte Fassung Abl. C 911/1, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?qid=1587658858929&uri=CELEX:02020XC0320(03)-20200404. 32 Befristeter Rahmen Ziff. 3.1. 33 Befristeter Rahmen Ziff. 3.2. 34 Befristeter Rahmen Ziff. 3.3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa PE 6 - 3000 - 113/20 Seite 13 hinaus Beihilfen in Form von Garantien und Darlehen über Kreditinstitute oder andere Finanzintermediäre 35 sowie kurzfristigen Exportkreditversicherungen.36 Weitere Beihilfen sind im Befristeten Rahmen unter Ziff. 3.5. bis 3.10. geregelt.37 Diese Beihilfen sind für Unternehmen vorgesehen, die sich einem plötzlichen Liquiditätsengpass oder der gänzlichen Nichtverfügbarkeit von Liquidität gegenübersehen.38 Vorstehende Beihilfen sind anmeldepflichtig, wie insb. Nr. 2. Ziff. 19. des Befristeten Rahmens verdeutlicht. In dieser Mitteilung legt die Kommission die Vereinbarkeitsvoraussetzungen fest, anhand deren sie die von den Mitgliedstaaten nach Artikel 107 Absatz 3 Buchstabe b AEUV gewährten Beihilfen grundsätzlich prüfen wird. Die Mitgliedstaaten müssen also nachweisen, dass die Beihilfemaßnahmen , die sie auf der Grundlage dieser Mitteilung bei der Kommission anmelden, ein erforderliches , geeignetes und angemessenes Mittel sind, um eine beträchtliche Störung in ihrem Wirtschaftsleben zu beheben, und dass alle maßgeblichen Voraussetzungen dieser Mitteilung erfüllt sind. - Fachbereich Europa - 35 Befristeter Rahmen Ziff. 3.4. 36 Befristeter Rahmen Ziff. 3.5. 37 Zur Genehmigungspraxis der Kommission soll beispielhaft die Genehmigung zweier deutschen Beihilferegelungen , der „Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020“ und „Bundesregelung Darlehen 2020“, angeführt werden, abrufbar unter: Entscheidung KOM Kleinbeihilfen BRep.pdf. 38 Befristeter Rahmen Ziff. 3.1 Nr. 21, Ziff. 3.2. Nr. 24., Ziff. 3.3. Nr. 26., Ziff. 3.4. Nr. 28 und Ziff. 3.5. Nr. 32.