© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 113/16 Wirkungen einer gemeinsamen EU-Liste für sichere Herkunftsstaaten Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/16 Seite 2 Wirkungen einer gemeinsamen EU-Liste für sichere Herkunftsstaaten Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 113/16 Abschluss der Arbeit: 19. Juli 2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Verfahrensstand bei der geplanten gemeinsamen europäischen Liste sicherer Herkunftsstaaten 4 3. Wichtige Änderungen im Vergleich zur bisherigen Rechtslage 5 3.1. Bisherige Rechtslage 5 3.2. Vorschlag für eine künftige Rechtslage 5 4. Bindungswirkung der gemeinsamen europäischen Liste auf nationaler Ebene 5 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/16 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung setzt sich mit der Frage auseinander, welche rechtlichen Bindungen sich auf nationaler Ebene für die Bundesrepublik Deutschland daraus ergeben, wenn das Europäische Parlament dem Vorschlag der Kommission für eine gemeinsame Liste der Europäischen Union (EU) für sichere Herkunftsstaaten zustimmen sollte. Hierbei wird insbesondere auf die Einstufung der Türkei als sicherer Herkunftsstaat eingegangen. 2. Verfahrensstand bei der geplanten gemeinsamen europäischen Liste sicherer Herkunftsstaaten Derzeit regelt die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (RL 2013/32/EU)1 die Möglichkeit, Listen sicherer Herkunftsstaaten zu erstellen. Diese Listen erstellten die Mitgliedstaaten der EU nach Art. 37 Abs. 1 RL 2013/32/EU selbst auf nationaler Ebene. Die Kommission legte am 13. Juli 2016 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung gemeinsamer Verfahren für internationalen Schutz in der EU und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU vor (KOM(2016) 467 endg.).2 Die Kommission legte ebenfalls einen Vorschlag für eine gemeinsame europäische Liste sicherer Herkunftsstaaten als Anhang zu der geplanten Verordnung vor.3 Diese Liste umfasst Albanien, Bosnien und Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Kosovo, Montenegro, Serbien und die Türkei.4 1 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 60, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013L0032&qid=1468927970566&from=DE. 2 Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council establishing a common procedure for international protection in the Union and repealing Directive 2013/32/EU, COM/2016/0467 final - 2016/0224 (COD), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /EN/TXT/PDF/?uri=COM:2016:467:FIN&qid=1468928181946&from=DE, vgl. hierzu Europäische Kommission , Press Release vom 13. Juli 2016, Completing the reform of the Common European Asylum System: towards an efficient, fair and humane asylum policy, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16- 2433_en.pdf. 3 Annex to the Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council establishing a common procedure for international protection in the Union and repealing Directive 2013/32/EU, COM/2016/0467 final, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/policies/european-agenda-migration/proposalimplementation -package/docs/20160713/proposal_for_a_common_procedure_for_international_protection _in_the_union_-_annex_1_en.pdf. 4 Entsprechend der Fragestellung nimmt dieser Sachstand die Türkei in den Blickwinkel. Die rechtlichen Erwägungen gelten aber entsprechend für die anderen Staaten auf der geplanten Liste. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/16 Seite 5 Für den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens müssen das Europäische Parlament und der Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 78 Abs. 2 AEUV) den Vorschlag annehmen.5 3. Wichtige Änderungen im Vergleich zur bisherigen Rechtslage 3.1. Bisherige Rechtslage Auf Grundlage der RL 2013/32/EU sind die Mitgliedstaaten für die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten (Art. 36 f. RL 2013/32/EU) zuständig. Nach Art. 37 Abs. 1 RL 2013/32/EU werden nationale Listen erlassen. In Deutschland richtet sich der Status als sicherer Herkunftsstaat derzeit nach § 29a Abs. 2 AsylG in Verbindung mit Anlage II des AsylG. Zuständig für die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten sind also die gesetzgebenden Organe, der Bundestag und der Bundesrat. Nach § 29a Abs. 3 AsylG kann die Bundesregierung bei veränderten Umständen durch Verordnung bestimmen, dass ein sicherer Herkunftsstaat künftig nicht mehr als solcher behandelt wird. Diese Verordnung tritt spätestens sechs Monate später außer Kraft. 3.2. Vorschlag für eine künftige Rechtslage Der Vorschlag KOM(2016) 467 endg. der Kommission vom 13. Juli 2016 sieht vor, dass die Bestimmung der sicheren Herkunftsstaaten künftig durch eine Verordnung und nicht wie bisher durch eine Richtlinie geregelt werden soll. Art. 48 Abs. 1 KOM(2016) 467 endg. sieht in Verbindung mit Anhang I des Vorschlags die Befugnis der EU zur Bestimmung einer gemeinsamen europäischen Liste sicherer Herkunftsstaaten vor. Ergänzende nationale Listen soll es nach Art. 50 Abs. 1 KOM(2016) 467 endg. noch fünf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung geben. Die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten soll auf europäischer Ebene durch eine gesetzgeberische Änderung der gemeinsamen europäischen Liste in Anhang I der neuen Verordnung erfolgen . Der Vorschlag sieht in Art. 48 Abs. 2 KOM(2016) 467 endg. vor, dass die Situation in den Ländern auf der gemeinsamen europäischen Liste von der Kommission regelmäßig überprüft wird. Wenn sich Umstände in einem solchen sicheren Herkunftsstaat zum Schlechteren wenden, soll die Kommission nach Art. 49 KOM(2016) 467 endg. die Möglichkeit haben, die Behandlung des betroffenen Staates als sicheren Herkunftsstaat durch delegierten Rechtsakt auszusetzen. Innerhalb von drei Monaten muss die Kommission dann einen Änderungsvorschlag für die Liste vorlegen. Andernfalls gilt dieser Staat nach Art. 49 Abs. 4 wieder als sicherer Herkunftsstaat. 4. Bindungswirkung der gemeinsamen europäischen Liste auf nationaler Ebene Eine Verordnung hat nach Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemeine Geltung. Sie ist danach in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Wenn das Europäische Parlament und der Rat als EU-Gesetzgeber dem Kommissionsvorschlag zugestimmt haben, wird die Verordnung auch auf nationaler Ebene ohne Ermessensspielraum bindend sein. Die Liste als Anhang zu dieser Verordnung hat als Bestandteil der Verordnung die gleiche rechtliche Wirkung wie die Verordnung selbst. 5 Zum Stand des Verfahrens 2016/0224/COD vgl. http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/HIS/?uri=COM:2016:467:FIN&qid=1468928181946. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/16 Seite 6 Bei Annahme des Vorschlags der Kommission gilt die Türkei als sicherer Herkunftsstaat, da er in Anhang I zu der Verordnung aufgeführt ist. Deutschland selbst kann aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht regeln, dass die Türkei kein sicherer Herkunftsstaat ist, solange die Türkei auf der gemeinsamen europäischen Liste sicherer Herkunftsstaaten genannt wird. Eine nationale Liste nach Art. 50 Abs. 1 KOM(2016) 467 endg. gibt Deutschland nur die Möglichkeit, Länder, die nicht auf der gemeinsamen europäischen Liste sicherer Herkunftsstaaten stehen, auf nationaler Ebene als sichere Herkunftsstaaten einzuordnen. Deutschland könnte also national nicht die Türkei als unsicheren Herkunftsstaat einordnen. Nationale Listen, die lediglich eine Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten auf nationaler Ebene erlauben, können nur bis 5 Jahre nach Inkrafttreten der vorgeschlagenen Verordnung angewendet werden. Nach etwaiger Streichung von der gemeinsamen europäischen Liste und darauf folgender positiver Änderung der Situation in der Türkei, könnte die Türkei von Deutschland nur innerhalb dieses 5-Jahreszeitraumes nach Art. 50 Abs. 3 KOM(2016) 467 endg. in die nationale Liste sicherer Herkunftsstaaten aufgenommen werden. Bei Veränderungen in der Türkei, welche die Voraussetzungen für die Anerkennung als sicherer Herkunftsstaat (Art. 47 KOM(2016) 467 endg.) entfallen lassen, besteht für die Kommission die Möglichkeit, die Anerkennung der Türkei als sicherer Herkunftsstaat auszusetzen und einen Vorschlag für eine Änderung der Verordnung vorzulegen (Art. 49 Abs. 1 KOM(2016) 467 endg.). Sofern die Türkei von der Kommission nicht mehr als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden sollte (Art. 49 Abs. 1 KOM(2016) 467 endg.), dürfte Deutschland die Türkei nicht als sicherer Herkunftsstaat behandeln (Art. 50 Abs. 2 KOM(2016) 467 endg.). Nach der Streichung von der gemeinsamen europäischen Liste könnte Deutschland die Türkei jedoch innerhalb des 5-Jahreszeitraums als sicheren Herkunftsstaat nach nationalem Recht behandeln. - Fachbereich Europa -