© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 113/15 Unionsrechtliche Fragen zur Inanspruchnahme privater Gläubiger im Rahmen einer Umschuldung der griechischen Staatsschulden Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 2 Unionsrechtliche Fragen zur Inanspruchnahme privater Gläubiger im Rahmen einer Umschuldung der griechischen Staatsschulden Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 113/15 Abschluss der Arbeit: 24. September 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Hintergründe des PSI im Jahr 2012 4 2.1. Umtauschangebot 4 2.2. Sicherung der Beteiligung der privaten Gläubiger 5 2.3. Durchführung des PSI 7 2.4. PSI Dezember 2012 7 3. Unionsrechtliche Anforderungen für die erneute Beteiligung privater Gläubiger an einer Umschuldung griechischer Staatsschulden 8 3.1. Rechtliche Einordnung der Handlungen Griechenlands im Rahmen des PSI im Frühjahr 2012 8 3.1.1. Umtauschangebot 8 3.1.2. CAC 9 3.2. Allgemeine Anforderungen des Unionsrechts 9 3.2.1. Grundfreiheitliche Maßstäbe 9 3.2.1.1. Sachlicher Anwendungsbereich 9 3.2.1.2. Eingriff in den Schutzbereich 10 3.2.2. Unionsgrundrechtliche Maßstäbe 12 3.2.2.1. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Unionsgrundrechten 12 3.2.2.2. Sachlicher Bezugsgegenstand 12 3.2.2.3. Folgerungen 13 3.3. Folgerungen aus der rechtlichen Einordnung für ein erneutes PSI 14 4. Zusammenfassung 16 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung setzt sich mit der Frage auseinander, unter welchen Einschränkungen und in welchem Ausmaß es im Hinblick auf das Unionsrecht prinzipiell denkbar ist, private Gläubiger erneut für eine Umschuldung der Staatsschulden der Hellenischen Republik (Griechenland) heranzuziehen (sog. Private Sector Involvement – PSI). In diesem Kontext wird zudem die Frage aufgeworfen , welche besonderen Konditionen beispielsweise im Hinblick auf Absicherungen oder Rechtswahl dabei für die Anleihen aus dem mit dem Schuldenschnitt verbundenen Anleihentausch im Jahre 2012 gelten. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten für die rechtliche Ausgestaltung einer erneuten Umschuldung gehen die folgenden Ausführungen von dem Umschuldungsmodell aus, das für die Umschuldung im Jahre 2012 verwendet worden ist. 2. Hintergründe des PSI im Jahr 2012 Das PSI im Jahr 2012 geht zurück auf ein Ersuchen der Staats- und Regierungschefs der Euro-Mitgliedstaaten , dass diese im Rahmen der Gipfeltreffen vom 21. Juli 2011 und 26./27. Oktober 2011 an Griechenland, die privaten Investoren und alle beteiligten Parteien gerichtet haben. Mit Blick auf ein erneutes Hilfsprogramm zugunsten Griechenlands soll ausnahmsweise eine freiwillige Beteiligung des Privatsektors erreicht und hierfür die Möglichkeit eines freiwilligen Umtauschs von Anleihen mit einem nominellen Abschlag von 50 % des Nennwerts der von privaten Investoren gehaltenen griechischen Staatsanleihen ausgearbeitet werden.1 Vor diesem Hintergrund, mit Blick auf den Abschluss des zweiten Hilfsprogramms sowie zur Vermeidung eines Zahlungsausfalls angesichts der bevorstehenden Fälligkeit griechischer Staatsanleihen vereinbarten die Euro-Staaten und Griechenland am 22. Februar 2012, dass Griechenland allen privaten Inhabern von Staatsanleihen ein Angebot zum Umtausch sämtlicher Anleihen unterbreiten solle, die am 20. März 2012 zur Zahlung fällig wurden. Das Umtauschangebot schloss zudem alle anderen noch ausstehenden Anleihen ein und seine Ergebnisse wurden am 9. März 2012 bekannt gegeben. Das griechische Umtauschangebot richtete sich nur an die privaten Inhaber von Anleihen, nicht hingegen an die EZB und an die nationalen Notenbanken. Zu den privaten Inhabern von Anleihen ist anzumerken, dass eine Mehrheit von 85,9 % der griechischen Anleihen der Herrschaft des griechischen Rechts unterlagen, während die restlichen griechischen Anleihen kraft Parteivereinbarung der Geltung eines anderen Rechts, insbesondere des englischen oder des schweizerischen Rechts, unterworfen waren. 2.1. Umtauschangebot Das Umtauschangebot Griechenlands (Invitation Offer)2 bezog sich primär auf alle griechischen Staatsanleihen, die bis zum Stichtag 31. Dezember 2011 ausgegeben worden sind und sah ein PSI 1 Vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_DOC-11-5_en.htm?locale=de, Euro Summit Statement v. 26. Oktober 2011, S. 4 f., abrufbar unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata /en/ec/125644.pdf. 2 Zur Zusammenfassung des Angebots vgl. http://www.tovima.gr/files/1/2012/02/24/https___www.bondcompro .com_greeceexchange_pdfs_Greek.Min-Fin-Press_Release_Feb.24-2012.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 5 in Form eines Verzichts von 53,5 % auf den Nennwert der von privaten Inhabern gehaltenen Staatsanleihen vor. Für den verbleibenden Rest von 46,5 % des Nennwerts dieser Anleihen sollte der Inhaber einer Anleihe als Gegenleistung für seine frühere Anleihe als sog. Exchange Offer drei verschiedene neue Staatsanleihen erhalten: Zunächst sollten an die bisherigen privaten Inhaber von Staatsanleihen neue griechische Staatsanleihen (new bonds) in Höhe von 31,5 % des Nennwerts ihrer bisherigen Anleihen begeben werden. Die neuen Staatsanleihen sollten in 20 unterschiedliche Gattungen (twenty series) aufgeteilt werden und eine Laufzeit von 10 bis 30 Jahren haben. Die neuen Staatsanleihen sollten zu vier unterschiedlichen Sätzen verzinst werden, beginnend mit einem Zinssatz von 2,00 % p. a. für die ersten drei Jahre. Die neuen Anleihen werden beherrscht durch englisches Recht und sie enthalten Gleichrangerklärungen (sog. pari passu-Klauseln), auf deren Grundlage eine Gleichbehandlung aller Gläubiger sichergestellt werden soll. Dass die neuen Anleihen nicht mehr dem griechischen Recht unterworfen, sondern mit Rechtswahlklauseln auf das englische Recht und mit Gerichtsstandklauseln auf die englischen Gerichte versehen sein sollten, diente insbesondere der Akzeptanz des Umtauschangebots: Durch die Rechtswahlklausel sollte eine (Teil-) Enteignung der von Griechenland neu ausgegebenen Anleihen für die Zukunft ausgeschlossen werden.3 Für die restlichen 15 % ihrer früheren griechischen Staatsanleihen sollten deren Inhaber Schuldscheine (Private Sector Involvement Payment Notes) mit einer Laufzeit von 24 Monaten erhalten, deren Zahlung von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) garantiert wurde.4 Über die Ausgabe der neuen Anleihen und Schuldscheine hinaus sah das Umtauschangebot als weitere Leistungen einerseits die Ausgabe eines Besserungsscheins (detachable GDP-linked security) hinsichtlich der neuen Anleihen in Höhe von 31 % des Nennbetrags der früheren Beträge vor. Hierdurch sollte das griechische Bruttosozialprodukt (gross domestic product, GDP) und dessen Steigerung (growth rate) für jedes Jahr berechnet werden und sich diese Steigerung dann in dem Betrag widerspiegeln, der als Besserung (payment amount) von Griechenland zu zahlen wäre. Andererseits sah das Umtauschangebot die Ausgabe von Schuldscheinen für die Zahlung derjenigen Zinsen vor, die bis zum Verkündung des Umtauschangebots aufgelaufen waren , und die von der EFSF garantiert würden (short-term EFSF notes bzw. Nullkuponanleihe). 2.2. Sicherung der Beteiligung der privaten Gläubiger Das Umtauschangebot Griechenlands war zunächst bis zum 8. März 2012 befristet und wurde später für einige Anleihen bis zum 20. April 2012 verlängert. Es war zu erwarten, dass nicht alle privaten Inhaber der von dem Umtauschangebot erfassten griechischen Staatsanleihen dieses Angebot annehmen, sondern es anstreben würden, ihre Anleihen doch zu 100 % des Nennwerts ausgezahlt zu bekommen. Um ein möglichst umfassendes PSI zu erreichen, differenzierte das 3 Vgl. hierzu Zettelmeyer/Trebesch/Gulati, The Greek Debt Restructuring: An Autopsy, in: The University of Warwick (Hrsg.), Peterson Institute for Economics Working Paper No. 2013-13-8, S. 14, abrufbar unter http://scholarship .law.duke.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=5343&context=faculty_scholarship. 4 Vgl. BT-Drs. 17/8731, S. 237 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 6 Umtauschangebot danach, ob die Anleihen vom griechischem Recht als Vertragsstatut beherrscht würden oder von einem anderen Recht. Soweit die betroffenen Anleihen vom griechischen Recht beherrscht wurden, wurde – sofern eine solche Klausel nicht bereits in den Anleihebedingungen enthalten war – durch den griechischen Gesetzgeber nachträglich und vor Ablauf des Umtauschangebotes am 8. März 2012 mit dem Gesetz Nr. 4050/20125 eine Collective Action Clause (CAC) in die Anleihebedingungen aller vom griechischen Recht als Vertragsstatut beherrschten Anleihen eingefügt und damit eine Änderung des griechischen Vertragsstatuts bewirkt.6 Das Gesetz 4050/2012 schuf den Rahmen für eine nachträgliche Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsentscheidung der Anleihegläubiger . Aufgrund dieser Klausel wurden auch diejenigen Inhaber von Staatsanleihen, die das Umtauschangebot nicht annehmen würden, zwangsweise in dieses Angebot einbezogen, sodass deren frühere Anleihen ebenfalls in neue Anleihen und in die anderen Leistungen umgetauscht werden konnten.7 Für eine solche zwangsweise Einbeziehung in das Umtauschangebot war ein Quorum in Höhe der Hälfte aller dem griechischen Recht unterworfenen, teilnehmenden Anleihepapiere (eligible titles), vorgesehen und die für die Anwendung der CAC-Klausel erforderliche Mehrheit wurde auf ein Minimum von zwei Dritteln dieses Quorums festgesetzt. Sofern die griechischen Staatsanleihen nicht vom griechischen Recht, sondern etwa vom englischen oder vom schweizerischen Recht beherrscht wurden, sah das Umtauschangebot vor, von den Inhabern dieser Anleihen deren Zustimmung zum Umtauschangebot in Übereinstimmung mit deren Anleihebedingungen (in accordance with the terms of those bonds) einzuholen. Anlei- 5 Das Gesetz Nr. 4050/2012 vom 23. Februar 2012 („Regeln zur Änderung von Wertpapieren, die vom griechischen Staat emittiert oder garantiert wurden, mit Zustimmung der Anleiheinhaber“, FEK Aʼ 36/23.2.2012) legt die Modalitäten für die Umstrukturierung der Anleihen des griechischen Staates fest. Hierzu sieht das Gesetz im Wesentlichen vor, dass die Inhaber bestimmter griechischer Staatsanleihen ein Umstrukturierungsangebot erhalten und dass eine sog. collective action clause (CAC) eingefügt wird, die es ermöglicht, dass eine Änderung der ursprünglichen Emissionsbedingungen der Wertpapiere mit qualifizierter Mehrheit des ausstehenden Kapitals beschlossen wird und dann auch für die Minderheit gilt. Nach Art. 1 Abs. 4 des Gesetzes bedarf die Änderung der genannten Wertpapiere eines Quorums in Höhe von 50 % des gesamten ausstehenden Kapitals der betreffenden Anleihen und einer qualifizierten Mehrheit, die zwei Dritteln des teilnehmenden Kapitals entspricht. Art. 1 Abs. 9 des Gesetzes sieht eine Umstrukturierungsklausel vor, nach der die Entscheidung der Anleiheinhaber , das vom griechischen Staat unterbreitete Umstrukturierungsangebot anzunehmen oder abzulehnen, erga omnes gilt, alle betroffenen Anleihegläubiger bindet und alle etwa entgegenstehenden allgemeinen oder speziellen Gesetze, behördlichen Entscheidungen und Verträge außer Kraft setzt. 6 „The consent solicitation relating to Greek-law governed bonds issued by the Republic prior to 31 December, 2011 (having an aggregate outstanding amount of approximately Euro 177 billion) will seek the consent of the affected holders to the amendment of these bonds in reliance on Law 4050/2012 (the Greek Bondholder Act) enacted by the Greek Parliament on 23 February 2012.“, abrufbar unter http://www.tovima .gr/files/1/2012/02/24/https___www.bondcompro.com_greeceexchange_pdfs_Greek.Min-Fin-Press_Release _Feb.24-2012.pdf. 7 Bank of Greece, Report on the recapitalisation and restructuring of the Greek Banking sector, Dezember 2012, S. 12 f., abrufbar unter http://www.bankofgreece.gr/BogEkdoseis/Report_on_the_recapitalisation_and_restructuring .pdf; Stellungnahme der EZB vom 17. Februar 2012 zu den Bedingungen für vom griechischen Staat begebene oder garantierte Wertpapiere CON/2012/12, abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal /pdf/en_con_2012_12_f_sign.pdf sowie im Überblick Cottier/Lastra/Tietje, The Rule of Law in Monetary Affairs , 2014, S. 239 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 7 hen, die insbesondere vom englischen Recht beherrscht wurden, konnten von Griechenland mangels einer dementsprechenden völkerrechtlichen Befugnis, die Inhaber dieser Staatsanleihen (teilweise) zu enteignen, nur unter den Prämissen des anwendbaren Rechts restrukturiert werden .8 Schließlich hat sich Griechenland in seinem Umtauschangebot auch vorbehalten, die Akzeptanz seines Umtauschangebots für alle Alt-Anleihen notfalls kraft eines hoheitlichen Akts in drei Alternativen auf alle Alt-Anleihen zu erstrecken.9 2.3. Durchführung des PSI Nach Erlass des Gesetzes Nr. 4050/2012 unterbreitete Griechenland seinen Gläubigern das vorstehend beschriebene Umtauschangebot. Zur Herbeiführung der Wirksamkeit dieses Umtauschs bedurfte es einer ausdrücklichen Annahme des Invitation Memorandums durch die privaten Gläubiger . Aufgrund der CAC und des Erreichens des erforderlichen Quorums wurden auch solche Anleihegläubiger automatisch in den Umtausch einbezogen, die von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht hatten. Dies ist dadurch geschehen, dass Griechenland sein Umtauschangebot mit Hilfe der CAC für alle Inhaber solcher Anleihen für verbindlich erklärt hat, auch mit Wirkung gegenüber denjenigen Anleihegläubigern, die dieses Angebot nicht freiwillig angenommen haben. Vor diesem Hintergrund wurden am 12. März 2012 alle betroffenen Anleihepapiere durch die Griechische Zentralbank eingezogen, so dass sämtliche aus ihnen resultierenden Rechte und Pflichten erloschen sind. Im Gegenzug wurden die ersatzweise zur Verfügung gestellten neuen Anleihen in das System eingebucht. Der Umtausch erstreckte sich kraft der durch Gesetz Nr. 4050/2012 eingeführten CAC allerdings nur auf alle dem griechischen Recht unterworfenen Anleihen. Die vom englischen Recht beherrschten Anleihen waren zwar von vornherein mit CAC ausgegeben worden. Jedoch wurde die für das Eingreifen dieser Klauseln festgesetzte Schwelle von 75 % nicht erreicht.10 2.4. PSI Dezember 2012 Griechenland machte seinen Gläubigern, die sich am ersten PSI beteiligt hatten, am 3. Dezember 2012 ein neues Umtauschangebot. Dieses zweite Angebot sah einen sog. Rückkauf der im März 8 Zur unterbliebenen Durchsetzung dieses Vorhabens vgl. Sandrock, Schuldenschnitte in Argentinien und Griechenland , RIW 2015, S. 93 (97 ff.) mit dem Nachweis, dass die vom englischen Recht beherrschten Anleihen nicht von Griechenland durch Schuldenschnitte restrukturiert und die Forderungsinhaber nicht (teil-)enteignet werden konnten. 9 Vgl. hierzu die Darstellung unter http://www.tovima.gr/files/1/2012/02/24/https___www.bondcompro.com_greeceexchange _pdfs_Greek.Min-Fin-Press_Release_Feb.24-2012.pdf. 10 Für den Umtausch weiterer, in Schweizer Franken, in Yen und in Euro ausgegebener Anleihen vgl. Sandrock, RIW 2012, S. 429 (431); für den Rechtsstatus der sog. Hold-Gläubiger, die ihre ursprünglichen Forderungen mangels Umtausch behielten vgl. Sandrock, Griechenland und Zypern in der Finanzkrise: Die Rechtstellung ihrer privaten Finanzinvestoren, RIW 2014, S. 16 (17 ff.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 8 ausgereichten Anleihen vor, welche die Gläubiger auf Grund des ersten griechischen Umtauschangebots eingetauscht hatten. Dieses zweite Umtauschangebot bestimmte im Wesentlichen , dass die Gläubiger an Stelle ihrer einmal bereits eingetauschten Anleihen sog. EFSF-Notes erwerben sollten, die am 17. Juni 2013 einzulösen waren.11 Das neue Angebot führte dazu, dass die Gläubiger, welche es annahmen, einen weiteren Abschlag von etwa 60 % bis 70 % auf die im März 2012 erhaltenen Anleihen erfuhren. 3. Unionsrechtliche Anforderungen für die erneute Beteiligung privater Gläubiger an einer Umschuldung griechischer Staatsschulden 3.1. Rechtliche Einordnung der Handlungen Griechenlands im Rahmen des PSI im Frühjahr 2012 Der Schuldenschnitt aus dem Jahr 2012 stellt sich so dar, dass er aus einer Regelung des griechischen Staates (Änderung der Anleihebedingungen) zur Ermöglichung einer Gläubigerentscheidung zum Zwangsumtausch mit qualifizierter Mehrheit (CAC) und einer nachfolgenden Einziehung bzw. Umbuchung der betreffenden Anleihen besteht. Das PSI im Frühjahr 2012 verdeutlicht somit einerseits, dass das PSI vom griechischen Staat betrieben und durch die Einführung von CAC gefördert worden ist und mithin von staatlichem Handeln bestimmt wird. Andererseits zeigt das notwendige Quorum für die Aktivierung einer CAC, dass das PSI letztlich (auch) auf einer Entscheidung der privaten Gläubiger beruht. In diesem Gesamtzusammenhang tritt der emittierende Staat sowohl als Vertragspartei (bei der Emission der (neuen) Wertpapiere, hierzu 3.1.1.) als auch als Hoheitsträger (bei der gesetzlichen Änderung der Emissionsbedingungen, hierzu 3.1.2.) auf. 3.1.1. Umtauschangebot Als Gegenstand unionsrechtlicher Bindungen des PSI kommt insoweit einerseits das staatliche Umtauschangebot in Betracht. Hierbei handelt der Staat jedoch als nicht-hoheitliche agierende Vertragspartei. Die Emission von Schuldverschreibungen durch Staaten und der auf einer Zustimmung der Vertragsparteien beruhende Umtausch bzw. Forderungsverzicht ist völkerrechtlich der Kategorie der Handlungen iure gestionis zuzurechnen, die den allgemeinen Regeln für derartige Geschäfte und insbesondere den privatrechtlichen, aus den Anleiheverträgen resultierenden Ansprüchen (sog. contract claims) unterliegen.12 11 Vgl. hierzu EFSF, FAQ – New disbursement of financial assistance to Greece, abrufbar unter http://www.efsf.europa .eu/attachments/faq_greece_en.pdf; Vgl. BT-Drs. 17/8731, S. 4; zum nachfolgenden PSI im Dezember 2012, das jedoch nur für solche Gläubiger Griechenlands galt, die Griechenlands erstes Angebot bereits angenommen hatten, vgl. den Überblick Zettelmeyer/Trebesch/Gulati, The Greek Debt Restructuring: An Autopsy, in: The University of Warwick (Hrsg.), Peterson Institute for Economics Working Paper No. 2013-13-8, S. 30 ff., abrufbar unter http://scholarship.law.duke.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=5343&context=faculty_scholarship. 12 Report of the Working Group on Jurisdictional Immunities of States and their Property, Anhang des Jahrbuchs der Völkerrechtskommission von 1999, Band II, Zweiter Teil, A/CN.4/SER.A/1999/Add.1 [Part 2], S. 161, Nr. 54, abrufbar unter http://legal.un.org/ilc/publications/yearbooks/english/ilc_1999_v2_p2.pdf, vgl. hierzu Sandrock, Griechenland und Zypern in der Finanzkrise: Die Rechtstellung ihrer privaten Finanzinvestoren, RIW 2014, S. 16 (18 ff.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 9 3.1.2. CAC Hiervon ist die Einführung von CAC durch das Gesetz Nr. 4050/2012 abzugrenzen, welches den Umtausch der Wertpapiere und infolgedessen die Verringerung der Schuld ermöglichte, indem in die Bedingungen der Schuldverschreibungen eine Umschuldungsklausel eingefügt wurde. Auch wenn die ursprüngliche Emission der Schuldtitel durch Griechenland die Vornahme einer Handlung iure gestionis darstellt, so unterscheiden sich hiervon Handlungen in Ausübung der Gesetzgebungsbefugnis durch den Staat, die zu den Handlungen iure imperii gehören und entsprechenden Bindungen der staatlichen Hoheitsgewalt durch das Unionsrecht unterliegen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die gesetzliche Änderung der Emissionsbedingungen durch Griechenland als eine Handlung iure imperii oder iure gestionis zu bewerten ist. Nutzt der emittierende Staat seine Hoheitsgewalt für den Erlass einer speziellen und konkreten Norm, die eine unmittelbare Beeinträchtigung der Ausgestaltung der emittierten Schuldverschreibungen bezweckt und bewirkt, so macht der vertragschließende Staat von seiner Hoheitsgewalt unmittelbar in Bezug auf den Vertrag Gebrauch. Griechenland hat durch das Gesetz Nr. 4050/2012 einseitig, rückwirkend und bindend die Emissionsbedingungen der Schuldverschreibungen geändert, indem es eine Umschuldungsklausel eingefügt hat, die es erlaubt, der Minderheit von Wertpapierinhabern vorzuschreiben, sich dem Willen der Mehrheit zu unterwerfen . Dass Griechenland bei der Einführung von CAC gegenüber seinen privaten Gläubigern nicht in einem privatrechtlichen Gleichordnungs-, sondern im Sinne von acta de iure imperii in einem hoheitlichen Subordinationsverhältnis agiert hat, verdeutlicht der Umstand, dass es in einem rein privatrechtlich geprägten Rechtsverhältnis unzulässig wäre, nach Vertragsschluss rückwirkend und ohne Zustimmung der anderen Partei eine solche Klausel einzufügen.13 Indem Befugnisse wahrgenommen worden sind, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsregeln abweichen,14 erscheinen die Rechtsbeziehung zwischen den privaten Gläubigern und Griechenland durch einen Ausdruck hoheitlicher Befugnisse seitens des Schuldnerstaats geprägt. 3.2. Allgemeine Anforderungen des Unionsrechts 3.2.1. Grundfreiheitliche Maßstäbe Eine PSI könnte potenziell Beschränkungen im Rahmen der europäischen Grundfreiheiten unterliegen , namentlich der Kapital- und Warenverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). 3.2.1.1. Sachlicher Anwendungsbereich Die in Art. 63 Abs. 1 AEUV normierte Kapitalverkehrsfreiheit verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Staaten. Unter dem Begriff „Kapital“ werden allgemein alle Vermögenswerte verstanden. So be- 13 Vgl. hierzu v. Bogdandy/Goldmann, Die Restrukturierung von Staatsschulden als Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt: Zur Möglichkeit der inkrementellen Entwicklung eines Staateninsolvenzrechts, ZaöRV 2013, S. 61 ff. 14 Vgl. EuGH, Rs. C-266/01 (Préservatrice foncière TIARD), Rn. 30; EuGH, Rs. C-292/05 (Lechouritou), Rn. 34. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 10 schreibt der EuGH den Kapitalverkehr als „Transfer von Vermögenswerten“ und greift in ständiger Rechtsprechung zur näheren Konkretisierung des Begriffs auf die Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361 zurück. Nach deren enumerativer, aber nicht abschließender Aufzählung fallen unter den Begriff Geldkapital, z. B. gesetzliche Zahlungsmittel, Wertpapiere, Kredite und Darlehen, sowie Sachkapital, wie z. B. Immobilien und Unternehmensbeteiligungen. Erfasst ist also jede Transaktion zum Zwecke der Anlage oder Investition bzw. der Finanzierung (aus Sicht des Kapitalnachfragers ). Vor diesem Hintergrund fallen Staatschuldverschreibungen grundsätzlich in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit, so dass die Einführung von CAC bzw. die Durchführung eines PSI grundsätzlich an der Kapitalverkehrsfreiheit gemessen werden muss. Die Grundfreiheiten gelangen nur zur Anwendung, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt. Ein grenzüberschreitender Bezug ist hergestellt, wenn sich die in dem Mitgliedstaat angestrebten Regelungen in mehr als nur einem Mitgliedstaat auswirken. Auch dieses Merkmal dürfte bei der Einführung von CAC bzw. der Durchführung eines PSI erfüllt sein. 3.2.1.2. Eingriff in den Schutzbereich Art. 63 Abs. 1 AEUV verbietet alle Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und gegenüber dritten Ländern. Der Begriff der Beschränkung in Art. 63 Abs. 1 AEUV umfasst sowohl diskriminierende nationale Regelungen als auch solche Maßnahmen, die unterschiedslos für grenzüberschreitende und innerstaatliche Transaktionen gelten. Der freie Kapital- und Zahlungsverkehr wird insoweit nicht nur vor (direkten und indirekten ) Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit geschützt, sondern auch vor sonstigen Beeinträchtigungen der jeweils erfassten grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit.15 Unter Beschränkung wird jede nationale Maßnahme verstanden, die geeignet ist, von der Wahrnehmung der Freiheit abzuschrecken oder grenzüberschreitenden Kapitalverkehr weniger attraktiv zu machen. Es sind somit alle nationalen Regelungen unzulässig, die In- und Auslandssachverhalte prima Facie zwar gleich behandeln, aber grenzüberschreitende Betätigungen faktisch gegenüber den innerstaatlichen erschweren. Unklar und umstritten ist jedoch die Reichweite des Beschränkungsverbots.16 Grund hierfür ist in erster Linie die stark einzelfallbezogene und selten abstrakte Kriterien benennende Rechtsprechung des EuGH. Mit Blick auf diese besteht allerdings Einigkeit jedenfalls darüber, dass nicht 15 Vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 974; vgl. EuGH, Rs. C-55/94 (Gebhard), Rn. 37. Vgl. aus neuerer Rechtsprechung etwa EuGH, Rs. C-657/13 (Verder LabTec), Rn. 34 (Niederlassungsfreiheit); EuGH, Rs. C-442/02 (CaixaBank), Rn. 11 (Niederlassungsfreiheit); EuGH, Rs. C-202/11 (Las), Rn. 20 (Arbeitnehmerfreizügigkeit ). 16 Vgl. Forsthoff, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 56. Ergänzungslfg. 2015, Art. 45 AEUV, Rn. 187; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 34-36 AEUV, Rn. 35; Haratsch /Koenig/Pechstein, Rn. 828, 830. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 11 jede Grundfreiheiten behindernde Maßnahme vom Beschränkungsverbot erfasst wird.17 In der Rechtsprechung kommt dies etwa dann zum Ausdruck, wenn sich der EuGH für die Prüfung der Maßnahme auf das Diskriminierungsverbot zurückzieht18 oder feststellt, dass die behindernde Wirkung streitgegenständlicher nationaler Maßnahmen als „zu ungewiss und mittelbar [ist], als dass [sie …] als geeignet angesehen werden können“, die Niederlassungsfreiheit zu behindern.19 Bei der Einführung von CAC bzw. der Durchführung von PSI sind die damit verbundenen Lasten von den betroffenen privaten Gläubigern ungeachtet ihrer Herkunft zu tragen. Den unterschiedslos anwendbaren wirtschaftlichen Rechtsrahmen haben die Gläubiger mithin ebenso hinzunehmen wie Inländer.20 Zudem wird der Marktzugang für ausländische Grundfreiheitsberechtigte durch eine PSI bzw. durch CAC nicht als solches eingeschränkt, sondern lediglich die Ausübung der bereits erworbenen Rechte wird insoweit modifiziert.21 Dieser Befund wird gestützt durch die in Art. 345 AEUV verankerte Neutralität des Unionsrechts in Bezug auf die Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten. Zusammenfassend erscheint aus hiesiger Sicht somit bei einer entsprechenden Ausgestaltung bereits kein Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit aus der Einführung von CAC bzw. der Durchführung von PSI zu resultieren. 17 Forsthoff, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 56. EL. 2015, Art. 45 AEUV, Rn. 188; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 34-36 AEUV, Rn. 35; Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 49 AEUV, Rn. 108; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 49 AEUV, Rn. 60. 18 Siehe etwa EuGH, Rs. C-70/95 (Sodemare), Rn. 33 f. 19 Vgl. etwa EuGH, verb. Rs. C-418/93 u.a. (Semeraol), Rn. 32 (Ladenschlussregelungen). Ferner, wenngleich mit anderen Wortlaut, EuGH, Urt. v. 2005, Rs. C-250/03 (Mauri), Rn. 42 f. (Zusammensetzung einer Prüfungskommission ). Siehe dazu auch Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 49 AEUV, Rn. 112 ff; Müller-Graff, in: Streinz, Art. 49 AEUV, Rn. 61. 20 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 49 AEUV, Rn. 115, vgl. insoweit auch die Schlussanträge von Generalanwalts Mischo v. 07.07.1998 zu EuGH, Rs. C-255/97 (Pfeiffer), Rn. 58: „Es wäre nämlich unerträglich , wenn die Mitgliedstaaten nationale Rechtsvorschriften aller Art, wie etwa höhere Gesellschaftssteuern oder Mehrwertsteuersätze als in anderen Ländern (. . .), als „zwingende Erfordernisse“ rechtfertigen müssten, sofern ein Wirtschaftsteilnehmer geltend macht, dass die Niederlassungsfreiheit durch diese Vorschrift weniger attraktiv werde“. 21 Insoweit unterscheidet sich diese Konstellation beispielsweise von staatlich gehaltenen Sonderaktien (golden shares), die dazu geeignet sind, Investoren anderer Mitgliedstaaten davon abzuschrecken, bestimmte Investitionen zu tätigen und die insoweit eine Kapitalverkehrsbeschränkung darstellen, vgl. EuGH, Rs. C-112/05 (Kommission /Deutschland), Rn. 59 ff. sowie Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 56. Ergänzungslieferung 2015, Art. 63 AEUV, Rn. 222. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 12 3.2.2. Unionsgrundrechtliche Maßstäbe 3.2.2.1. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Unionsgrundrechten Voraussetzung für die Anwendbarkeit der GRCh ist ein Handeln eines Mitgliedstaates „bei der Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 S. 2 GRCh.22 Insoweit hat es der EuGH als ausreichend angesehen, dass eine mitgliedstaatliche Rechtsnorm in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.23 Eine Bindung des nationalen Rechts an die Unionsgrundrechte erfordert danach keine vollständige Determinierung des mitgliedstaatlichen Rechts durch Unionsrecht bzw. dessen Ableitbarkeit hieraus.24 Hinreichend ist demnach das Bestehen von dem Unionsrecht zu entnehmenden allgemein sachbezogenen Handlungspflichten,25 da das nationale Recht so zu deren Erfüllung einen Beitrag leiste.26 Diese Maßstäbe wurden dahingehend präzisiert, dass das zur Anwendung der GRCh führende Merkmal der „Durchführung“ (Art. 51 Abs. 1 GRCh) „einen hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad verlangt, der darüber hinausgeht, dass die fraglichen Sachbereiche benachbart sind oder der eine von ihnen mittelbare Auswirkungen auf den anderen hat.“27 Durchführung nach Art. 51 Abs. 1 GRCh setze einen „hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad“ zwischen Unionsrecht und der in Frage stehenden mitgliedstaatlichen Maßnahme voraus.28 3.2.2.2. Sachlicher Bezugsgegenstand Eine Umschuldung hat zur Folge, dass hiermit ein teilweiser oder vollständiger Verlust des in der Anleihe verkörperten Wertes verbunden ist. Insoweit stellt sich die Frage, ob sich aus dem Unionsrecht Anforderungen im Hinblick auf die mit einer Umschuldung verbundenen Verlust, insbesondere mit Blick auf die Eigentumsrechte der betroffenen Gläubiger, ergeben. Die Frage nach unionsrechtlichen Grenzen für einen Umtausch von griechischen Wertpapieren betrifft einen rechtlichen Kontext, der einerseits die Emission von Schuldverschreibungen und andererseits die Änderung der Emissionsbedingungen laufender Schuldverschreibungen durch den griechischen Gesetzgebers betrifft. In dieser Situation und mit Blick auf die Begrenzungsfunktion der Unionsgrundrechte ist danach zu differenzieren, ob Griechenland in nicht-hoheitlicher Weise bloße acta de iure gestiones vorgenommen oder hoheitlich acta de iure imperii vollzogen hat. 22 EuGH, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson); EuGH, Rs. C-418/11 (Texdata). 23 EuGH, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn. 17 ff. 24 EuGH, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn. 29. 25 Vgl. Haratsch/Koenig/Pechtsein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 679. 26 Vgl. hierzu Hufeld/Rathke, Der Grundrechtsschutz nach Lissabon im Wechselspiel zwischen der Charata der Grundrechte der Europäischen Union, Europäischer Menschenrechtskonvention und den nationalen Verfassungen , EuR Beiheft 3 2013, S. 7 (20 ff.); Thym, Die Reichweite der EU-Grundrechte-Charta – Zu viel Grundrechtsschutz ?, NVwZ 2013, S. 889 ff. 27 EuGH, Rs. C-206/13 (Siragusa), Rn. 24. 28 EuGH, Rs. C-206/13 (Siragusa), Rn. 25; vgl. dazu Terhechte, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 51 GRCh, Rn. 11 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 13 Aufgrund der konstitutiven Beteiligung der privaten Gläubiger an einem PSI und der privatrechtlich geprägten Rechtsbeziehungen erscheinen ein Umtauschangebot als solches und dessen Durchführung nicht als geeignete Anknüpfungspunkte für insbesondere unionsgrundrechtliche Begrenzungen. Hiervon ist die Einführung von CAC und deren Wirkung abzugrenzen. Sofern es, wie beispielsweise im Falle des Gesetzes Nr. 4050/2012, zu einer nachträglichen, auf hoheitlichem Handeln beruhenden Einführung von CAC in bestehende Anleiheverhältnisse kommt, legt eine solche CAC die Grundlage für einen späteren, potenziellen Eigentumsverlust, so dass den CAC eine jedenfalls enteignungsgleiche Wirkung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) zukommen kann. Die Maßstäblichkeit von den in der GRCh normierten Unionsgrundrechten für die Restrukturierung von Staatsschulden der Mitgliedstaaten mittels CAC setzt jedoch voraus, dass eine entsprechende Handlung eines Mitgliedstaates gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 2 GRCh am Unionsrecht zu messen ist. 3.2.2.3. Folgerungen Vor dem Hintergrund der vorstehend beschriebenen Maßstäbe ergeben sich aus hiesiger Sicht keine Anhaltspunkte für eine Anwendbarkeit der GRCh im Kontext der oben unter 2. dargestellten Restrukturierung von Staatsschulden. Insbesondere die gesetzliche Einführung von CAC erscheint nicht als eine Handlung eines Mitgliedstaates „bei der Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 S. 2 GRCh. Fragen der Restrukturierung staatlicher Schuldtitel werden weder durch europäisches Primärrechts noch durch Sekundärrecht unmittelbar geregelt . In der Wirtschafts- und Währungsunion bleiben die Mitgliedstaaten zuständig für ihre Haushalts - und Fiskalpolitik, zu der auch die Emission und ggf. die Restrukturierung staatlicher Schuldtitel zählen. Das Primärrecht und der Stabilitäts- und Wachstumspakt geben insoweit nur einen Rahmen für eine engere Koordinierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik vor. Im Hinblick auf die Emission von Staatsschuldtiteln und deren potenziell notwendige Restrukturierung besteht lediglich ein intergouvernemental geprägter Rahmen der Selbstverpflichtung und Koordinierung des mitgliedstaatlichen Vorgehens.29 So sieht beispielsweise Art. 6 Abs. 5 VO (EU) 473/2013 lediglich Leitlinien für einen harmonisierten Rahmen für die Berichte über die Emission von Schuldtiteln vor. Eine Eröffnung des Anwendungsbereichs der GRCh folgt auch nicht aus den verfahrensrechtlichen Vorgaben der VO (EG) 1393/200730 oder der VO (EU) Nr. 1215/201231. Im Hinblick auf den 29 Vgl. den Überblick unter http://europa.eu/efc/sub_committee/cac/cac_2012/index_en.htm sowie eingehend Seitz, Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses) in Staatsanleihen des europäischen Währungsraumes, 2014, S. 34 f., 184 ff. 30 Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ( Zustellung von Schriftstücken ) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. L 324/79, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32007R1393&qid=1443029629016&from=DE. 31 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen , ABl. L 351/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R1215&qid=1443029705191&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 14 Anwendungsbereich der VO (EG) 1393/2007 sowie mit Blick auf das Gesetzes Nr. 4050/2012 hat der EuGH festgestellt, dass die Emission von Anleihen nicht notwendigerweise die Wahrnehmung von Befugnissen voraussetzt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen, indem die finanziellen Bedingungen der betreffenden Wertpapiere einseitig von Griechenland festgelegt worden wären und nicht auf der Grundlage der Marktbedingungen , die den Handel und die Rendite dieser Finanzinstrumente regeln.32 Zwar sei das Gesetz Nr. 4050/2012 im Rahmen der Verwaltung der öffentlichen Finanzen und insbesondere der Umstrukturierung der öffentlichen Schulden ergangen, um durch die Aufnahme der Möglichkeit eines Umtauschs griechischer Wertpapiere eine schwere Finanzkrise zu bewältigen. Alleine der Umstand, dass die Möglichkeit zur Umstrukturierung der öffentlichen Schulden durch ein Gesetz eingeführt worden ist, sei als solcher nicht ausschlaggebend für den Schluss ist, dass der Staat seine hoheitlichen Rechte ausgeübt hat. Zudem sei nicht offenkundig, dass der Erlass des Gesetzes Nr. 4050/2012 zu unmittelbaren und sofortigen Änderungen der finanziellen Bedingungen der betreffenden Wertpapiere geführt hat, da diese Änderungen nämlich im Anschluss an eine Entscheidung einer Mehrheit der Anleiheinhaber auf der Grundlage der durch dieses Gesetz in die Emissionsverträge eingefügten Umtauschklausel erfolgen sollten, was durch die Absicht Griechenlands bestätigt wird, die Verwaltung der Anleihen im zivilrechtlichen Rahmen fortzuführen .33 Insoweit könne für den Anwendungsbereich der VO (EG) 1393/2007 nicht davon ausgegangen werden, dass die Zustellungsverfahren betreffend Klagen auf Entschädigung wegen Besitzund Eigentumsstörung, auf Vertragserfüllung und auf Schadensersatz von privaten Inhabern von Staatsanleihen gegen den emittierenden Staat wegen des Umtauschs griechischer Staatsanleihen offenkundig keine Zivil- oder Handelssachen im Sinne der VO (EG) 1393/2007 sind, so dass entsprechende Verfahren in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen – sofern sie nicht evident keine Zivil- oder Handelssachen, sondern hoheitliche Handlungen sind. Aus den vorstehenden Feststellungen des EuGH folgt jedoch nicht, dass Griechenland im Rahmen der PSI „bei der Durchführung des Rechts der Union“ gehandelt hat. Die vom EuGH entschiedene Konstellation betrifft lediglich Fragen der Einordnung von verfahrenseinleitenden Schriftstücken im Sinne der der VO (EG) 1393/2007, die als solche lediglich prozessualen Charakter , nicht aber einen „hinreichenden Zusammenhang von einem gewissen Grad“ zur PSI haben . Entsprechendes gilt für die VO (EU) Nr. 1215/2012, die insoweit nur maßstäblich für die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen ist. 3.3. Folgerungen aus der rechtlichen Einordnung für ein erneutes PSI Vor dem Hintergrund, dass das PSI an sich von einer privatautonomen Entscheidung der jeweiligen privaten Inhaber von Staatsanleihen abhängt, werden die Rechtsbeziehungen und mithin auch die Grenzen für einen Forderungstausch oder -verzicht im Rahmen eines PSI primär durch das nationale Wertpapierrecht des emittierenden Staates bzw. das Recht bestimmt, welches in den Anleihebedingungen dafür vorgesehen ist. Zwingende Anforderungen für die Ausgestaltung 32 EuGH, verb. Rs. C-226/13, C-245/13, C-247/13 und C-578/13 (Fahnenbrock u.a.), Rn. 51 ff. 33 EuGH, verb. Rs. C-226/13, C-245/13, C-247/13 und C-578/13 (Fahnenbrock u.a.), Rn. 56 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 15 der Rechtsverhältnisse zwischen staatlichem Schuldner und privaten Gläubigern ergeben sich nicht aus dem Unionsrecht.34 Hiervon ist die Einführung von CAC in die Anleihebedingungen abzugrenzen. Während die Verwendung von CAC an sich mit dem Unionsrecht vereinbar ist,35 stellt sich aufgrund der Wirkungen von CAC die Frage nach einem Eingriff in eigentumsrechtliche Positionen der Inhaber von Anleihen, die bislang keine CAC enthalten haben. Seit dem ersten PSI stellt sich diese Frage jedoch nicht mehr für griechische Staatsanleihen:36 Im Rahmen des PSI 2012 wurden alle bereits emittierten Staatsanleihen, die dem griechischen Recht unterlagen, durch das Gesetz Nr. 4050/2012 mit CAC versehen. Gemäß Art. 12 Abs. 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMV)37 sind CAC seit dem 1. Januar 2013 verpflichtend in Verträge über Schuldtitel der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr aufzunehmen. Die Umschuldungsklauseln sind auszugestalten, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich ist. Diese systematische Aufnahme von Umschuldungsklauseln in die Vertragsbedingungen aller neuen Staatsanleihen des Euro-Währungsgebiets gehörte zu den von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets am 9. Dezember 2011 als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise beschlossenen Maßnahmen. Sie beruht auf einer intergouvernementalen Kooperation der Euro-Mitgliedstaaten und ist dementsprechend keine Handlung zur Durchführung des Unionsrechts. Vor diesem Hintergrund besteht im Hinblick auf ein erneutes PSI nicht das Erfordernis, durch hoheitliches Handeln auf die Anleihebedingungen einzuwirken. Insoweit ist zudem anzumerken, dass die Anleihen des PSI im Jahr 2012 dem englischen Recht unterliegen, so dass für diese Anleihen eine Lösung wie die im Frühjahr 2012 getroffene aufgrund der Bedingungen des englischen Rechts nicht realisierbar wäre.38 34 Siehe hierzu oben 3.2. 35 Vgl. eingehend Seitz, Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses) in Staatsanleihen des europäischen Währungsraumes, 2014, S. 15 ff. 36 Economic and Financial Committee, Sub-Committee on EU Sovereign Debt Markets, Common Terms of Reference , abrufbar unter http://europa.eu/efc/sub_committee/pdf/cac_-_text_model_cac.pdf sowie Report on the implementation of euro area model Collective Action Clauses (CACs), abrufbar unter http://europa .eu/efc/sub_committee/cac/cac_2012/final_-_cac_public_report.pdf, zur Nutzung von CAC vgl. auch Nr. 2.4. der Stellungnahme der EZB vom 17. Februar 2012 zu den Bedingungen für vom griechischen Staat begebene oder garantierte Wertpapiere CON/2012/12, abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal /pdf/en_con_2012_12_f_sign.pdf. 37 Abrufbar unter http://www.esm.europa.eu/pdf/ESM%20Treaty/20150203%20-%20ESM%20Treaty%20- %20DE.pdf. 38 vgl. Sandrock, RIW 2015, S. 93 (98 ff.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 113/15 Seite 16 4. Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich aus dem Unionsrecht keine unmittelbaren Prämissen für die Inanspruchnahme privater Gläubiger im Rahmen einer Umschuldung der griechischen Staatsschulden ergeben. Vielmehr wird die Rechtmäßigkeit einer solchen Umschuldung primär durch das griechische Recht bzw. das Recht bestimmt, welches für die jeweiligen Anleihen als das beherrschende festgelegt worden ist.39 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Schuldenschnitte jenseits der unionsrechtlichen Anforderungen auch durch bilaterale Investitionsschutzverträge 40 und völkerrechtlichen Grundsätzen Grenzen unterliegen können. - Fachbereich Europa - 39 Zur Vereinbarkeit des Schuldenschnitts im Jahr 2012 mit griechischem Recht vgl. die Entscheidungen des griechischen Staatsrates vom 21. März 2014, Urteile 1116/2014 (http://www.dsanet.gr/Epikairothta/Nomologia /STE1116_14.htm) und 1117/2014 (http://www.dsanet.gr/Epikairothta/Nomologia/ste%201117_14.htm) sowie die Zusammenfassung der Entscheidungen unter http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes /STUD/2015/510014/IPOL_STU(2015)510014_EN.pdf. 40 Vgl. hierzu Art. 3 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland vom 27.3.1961 über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen, BGBl. II 1963, S. 216; Sandrock , RIW 2015, S. 93 (101 ff.).