© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 111/16 Unionsrechtliche Pflicht zur Veröffentlichung von Ertragssteuerinformationen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Verhältnismäßigkeit 11 2.1.3.3.1. Geeignetheit 12 2.1.3.3.2. Erforderlichkeit 12 2.1.4. Zwischenergebnis 13 2.2. Schutz personenbezogener Daten – Art. 8 GRC 14 2.3. Recht auf unternehmerische Freiheit – Art. 16 GRC 14 2.3.1. Schutzbereich 14 2.3.2. Eingriff in den Schutzbereich 14 2.3.3. Rechtfertigung 15 2.4. Eigentumsrecht – Art. 17 GRC 16 2.5. Zwischenergebnis 16 3. Rechtsgrundlage 17 3.1. Bestehende unionsrechtliche Offenlegungspflichten 18 3.2. Allgemeine Vorgaben zur Wahl der Rechtsgrundlage 19 3.3. Art. 115 AEUV 20 3.4. Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV 21 3.4.1. Im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter 22 3.4.2. Koordinierung 22 3.4.3. Erforderlichkeit 22 3.5. Fazit 23 4. Ergebnis 24 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 4 1. Einleitung Nach dem Aktionsplan BEPS (Base Erosion and Profit Shifting) der OECD aus dem Jahre 2013 soll steuerplanerischer Gewinnverlagerung multinationaler Unternehmen entgegengewirkt und dadurch bestehende Wettbewerbsungleichheiten ausgeglichen werden. 1 Teil des Aktionsplan ist das sogenannte CbCR (Country by Country Reporting), wonach ein Informationsaustausch von Steuerdaten in der OECD-Staatengemeinschaft stattfinden soll.2 Künftig sollen multinationale Unternehmen mit einem Umsatz von über 750 Mio. Euro den nationalen Steuerbehörden Umsätze , Gewinne, Mitarbeiterzahlen und Ertragsteuern jeweils aufgeschlüsselt nach Ländern übermitteln , die sodann mit anderen Staaten der Gemeinschaft ausgetauscht werden sollen. Ziel der dadurch geschaffenen Transparenz ist, eine faire Besteuerung zu erreichen und zu vermeiden, dass unter Ausnutzung verschiedener Steuersysteme Gewinne so lange verschoben werden, bis schließlich kaum noch Steuern anfallen.3 Die Europäische Kommission hat zwei Richtlinienentwürfe im Zusammenhang mit dem CbCR in der EU vorgelegt: Der zuerst vorgelegte Entwurf vom 28.01.20164 folgt den internationalen Vorgaben und sieht eine Verpflichtung zum automatischen Austausch der genannten Daten zwischen den mitgliedstaatlichen Steuerbehörden vor (im Folgenden: Austauschvorschlag).5 In formaler Hinsicht soll er durch Ergänzung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung6 umgesetzt werden. Der zweite Richtlinienvorschlag vom 12.04.20167 geht über den Datenaustausch zwischen den Behörden hinaus und verlangt die Offenlegung und Veröffentlichung dieser Unternehmensdaten durch bestimmte Mutterunternehmen in Form eines sog. Ertragssteuerinformationsberichts (im 1 Aktionsplan S. 10, abrufbar unter https://www.oecd.org/ctp/BEPSActionPlan.pdf (letztmaliger Abruf am 17.08.16). 2 Siehe Aktionsplan „BEPS“ (Fn. 1), S. 10 & 23. 3 Siehe Aktionsplan „BEPS“ (Fn. 1), S. 9 ff. Vgl. auch den Gastkommentar von Harbarth/Middelberg „Wider den Steuerpranger – Volle Transparenz gefährdet deutsche Betrieb“, Handelsblatt vom 15.06.2016, S. 15. 4 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich der Verpflichtung zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung [KOM(2016) 25 endg.], online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:89937d6d-c5a8-11e5-a4b5- 01aa75ed71a1.0013.02/DOC_1&format=PDF (letztmaliger Abruf am 17.08.16). 5 Vgl. den nach Art. 1 Abs. 2 des Austauschvorschlags (o. Fn. 4) einzuführenden Art. 8aa Abs. 3 Buchst. a) und b). 6 Richtlinie des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (2011/16/EU), online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011L0016&qid=1468411267894&from=DE (letztmaliger Abruf am 13.07.16). 7 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Offenlegung von Ertragssteuerinformationen durch bestimmte Unternehmen und Zweigniederlassungen, [KOM(2016) 198 endg.], online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016PC0198&qid=1466410082879&from=DE (letztmaliger Abruf am 17.08.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 5 Folgenden: Offenlegungsvorschlag) – für das Gesamtunternehmen und getrennt nach Mitgliedstaaten .8 Dieser Vorschlag soll in der sog. Bilanzrichtlinie 2013/349 umgesetzt werden. Die Europäische Kommission will durch die beiden Entwürfe die Bekämpfung von „Steuervermeidung “ und „aggressiver Steuerplanung“ voranbringen.10 Ein gesunder Binnenmarkt erfordere eine faire, effiziente und wachstumsfreundliche Unternehmensbesteuerung, die auf dem Grundsatz fuße, dass Unternehmen Steuern in dem Land entrichten sollten, in dem ihre Gewinne erwirtschaftet werden.11 Mit dem Offenlegungsvorschlag soll durch die Veröffentlichung der übermittelten Unternehmensdaten zusätzlich die Kontrolle erhöht und das Vertrauen der Öffentlichkeit gestärkt werden; die öffentliche Kontrolle könne außerdem bewirken, dass Unternehmen mehr soziale Verantwortung übernehmen würden.12 Das Bundesfinanzministerium hat am 1. Juni 2016 durch Vorlage eines Referentenentwurfs13 das Gesetzgebungsverfahren für Deutschland konkretisiert. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen“ sieht unter anderem die Schaffung eines neuen § 138 a Abgabenordnung (AO) vor, in dem die Mitteilungspflichten multinationaler Unternehmen an das Bundeszentralamt für Steuern geregelt werden. Nicht im Referentenentwurf vorgesehen hingegen ist eine Regelung zur Veröffentlichung der übermittelten Daten zur Umsetzung des Offenlegungsvorschlags . In diesem Zusammenhang wird der Fachbereich wird um die Beantwortung der folgenden Fragte ersucht: Gibt es unionsrechtliche Gründe, die der von der Kommission vorgeschlagenen Pflicht zur Veröffentlichung eines Ertragssteuerinformationsberichts im Wege stehen. In der bisherigen Diskussion spielen hierbei zwei Aspekte eine Rolle, die auch im Folgenden aufgegriffen werden sollen: die Vereinbarkeit der darin vorgeschlagenen Offenlegung entsprechender Unternehmensdaten mit Unionsgrundrechten (siehe unter 2.) und die Frage nach der zutreffenden Rechtsgrundlage für den Offenlegungsvorschlag (siehe unter 3.). 8 Vgl. die nach Art. 1 Abs. 2 des Offenlegungsvorschlag (o. Fn. 7) einzuführenden Art. 48b Abs. 1, 48c Abs. 2 und 3. 9 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen […], ABl.EU 2013 Nr. L 182/19, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02013L0034-20141211&qid=1471329073959&from=DE (letztmaliger Abruf am 17.08.16). 10 Siehe oben, Austauschvorschlag der Kommission (Fn. 4), S. 2. 11 Siehe oben, Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), S. 2. 12 Siehe oben, Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), S. 2. 13 Referentenentwurf online abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Gesetze /2016-07-13-G-Umsetzung-EU-Amtshilferichtlinie-Massnahmen-Gewinnkuerzungen-verlagerungen.html (letztmaliger Abruf am 17.08.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 6 2. Vereinbarkeit mit Unionsgrundrechten Gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC gilt die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) uneingeschränkt für die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union. Die Folgenabschätzung der Kommission zum Offenlegungsvorschlag benennt als einschlägige Grundechte, die durch den Offenlegungsvorschlag eingeschränkt werden könnten, die Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRC), den Schutz personenbezogener Daten (Art. 8 GRC), das Recht auf unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRC) sowie das Eigentumsrecht (Art. 17 GRC).14 Der EuGH wendet Art. 7 und Art. 8 GRC bei einer möglichen Beeinträchtigung personenbezogener Daten nebeneinander an und nimmt keine klare Trennung der beiden Schutzbereiche vor.15 Vielmehr weist er auf den engen Zusammenhang beider Garantien hin und prüft sie parallel. Im Folgenden werden die beiden Grundrechte der Übersicht halber getrennt geprüft (siehe unter 3.1. und 3.2.). Im Hinblick auf das Verhältnis von Art. 7 und 8 GRC zum Grundrecht auf unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRC besteht nach Ansicht des Schrifttums Idealkonkurrenz, soweit – wie hier – berufsbezogene Daten im Raum stehen.16 Das heißt, dass beide Garantien kumulativ nebeneinander bestehen, kein Grundrecht das andere verdrängt und deshalb nicht die Anwendbarkeit des anderen ausschließt. Die Eigentumsgarantie nach Art. 17 GRC schütz das Erworbene, während Art. 16 GRC einschlägig ist, wenn es um den Schutz des Erwerbs geht.17 Da nicht selten beide Aspekte – das Erworbene und der Erwerb – betroffen sind, verzichtet der EuGH auch hier auf eine strikte Trennung der Schutzbereiche und wendet beide Grundrechte nebeneinander und ohne Differenzierung an.18 Dessen ungeachtet sollen der Übersicht halber auch diese beiden Grundrechte getrennt untersucht werden (siehe unter 3.3. und 3.4.). 2.1. Achtung des Privat- und Familienlebens – Art. 7 GRC Inwieweit durch die Veröffentlichung steuerrelevanter Unternehmensdaten eine Verletzung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorliegt, wird hier entsprechend der üblichen Vorgehensweise in drei Schritten untersucht: Zunächst wird der Schutzbereich in persönli- 14 Folgenabschätzung der Kommission, SWD (216) 117, S. 40 ff., online abrufbar in englischer Sprache unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016SC0117&qid=1466425656659&from=DE (letztmaliger Abruf am 17.08.16). 15 EuGH, Urt. v. 17.10.2013, Rs. C-291/12 (Schwarz), Rn. 24 ff. Alle im Gutachten zitierten Urteile des EuGH sind unter Angabe der Rechtssachennummer (Rs.) in der Rubrik „Aktenzeichen“ online abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/recherche.jsf?language=de (letztmaliger Abruf am 17.08.16). 16 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 8 GRC, Rn. 1. 17 Jarass, Die Charta der Grundrechte der EU, 2. Auflage 2013, Art. 17 GRC, Rn. 4. 18 Siehe oben Jarass (Fn. 17), sowie EuGH, Urt. v. 28.04.1998, Rs. C-200/96 (Metronome), Rn. 21 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 7 cher und sachlicher Hinsicht geprüft (siehe unter 3.2.1.), sodann festgestellt, ob ein Eingriff hierin vorliegt (siehe unter 3.2.2.) und drittens, ob sich dieser Eingriff rechtfertigen lässt (siehe unter 3.2.3.). 2.1.1. Schutzbereich Hinsichtlich des Schutzbereichs ist im Folgenden zwischen dem persönlichen (siehe unter 3.1.1.1.) und dem sachlichen Schutzbereichs des Grundrechts (siehe unter 3.1.1.2.) zu unterscheiden . 2.1.1.1. Persönlicher Schutzbereich Die Frage, ob und unter welchen Umständen sich auch juristische Personen und Personenmehrheiten auf Art. 7 GRC (und auch Art. 8 GRC) berufen können, ist umstritten. Eine dem Art. 19 Abs. 3 GG vergleichbare, ausdrückliche Bestimmung, wonach die Grundrechte des Grundgesetzes auch für (inländische)19 juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind, enthält die Grundrechte-Charta der EU nicht. Nach wohl überwiegender Auffassung im Schrifttum ist der persönliche Schutzbereich des Art. 7 GRC grundsätzlich auch für juristische Personen und Personenmehrheiten eröffnet.20 Denn dieses Grundrecht schütze dem Wortlaut nach „jede Person“, differenziere also nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen und stelle auch nicht ausdrücklich auf den Schutz des „Menschen “ ab.21 Der EuGH schließt in seiner bisherigen Rechtsprechung eine Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs für juristische Personen und Personenvereinigungen zwar nicht aus, knüpft diese aber an eine restriktive Voraussetzung. Eine Berufung auf Art. 7 GRC ist danach nur zulässig, „soweit der Name der juristischen Person eine oder mehrere natürliche Personen bestimmt“.22 Nach dem insoweit ersten Urteil in der Rechtssache Schecke und Eifert ist diese Voraussetzung jedenfalls so zu verstehen, dass Personenvereinigungen nur dann dem Schutz von Art. 7 GRC unterstehen, wenn der Name der betroffenen juristischen Person zugleich eine oder mehrere natürliche Personen bestimmt, die deren Gesellschafter sind.23 Streitgegenstand in der genannten Rechtssache waren Regelungen einer Agrarfondsverordnung, die aus Transparenzgründen die namentliche Veröffentlichung von Zuwendungsempfängern und zugewendeten Summen vorsah, ohne dabei zwischen den Datenschutzinteressen natürlicher und juristischer Personen zu differenzieren. Die 19 Siehe zur Erstreckung des Grundrechtsschutzes nach dem GG auf EU-ausländische juristische Personen BVerfG, Beschl. v. 19.7.2011, 1 BvR 1916/09. 20 Vgl. Jarass (Fn. 17), Art. 7 GRC, Rn. 10; Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 16), Art. 8 GRC, Rn. 11. 21 Vgl. Jarass (Fn. 17), Art. 7 GRC, Rn. 10; Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 16), Art. 8 GRC, Rn. 11. 22 EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 52, 53; EuGH, Urt. v. 17.12.2015, Rs. C-419/14 (WebMindLicenses Kft.), Rn. 79. Vgl. auch EuGH Urt. v. 24.11.2011, verb. Rs. C-468/10 u. 469/10 (ASNEF u. a.), Rn. 42. 23 EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 54. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 8 klagende Volker und Markus Schecke GbR wurde durch den EuGH zwar als juristische Person bzw. Personenvereinigung angesehen.24 Da man aber von deren Namen auf die dahinter stehenden Gesellschafter schließen konnte, unterstellte sie der EuGH dem Schutz des Art. 7 GRC.25 In der Konsequenz gewährt der EuGH juristischen Personen und Personenvereinigung somit nur Schutz, wenn zugleich eine Betroffenheit von dahinter stehenden natürlichen Personen besteht.26 Ein eigenständiger Schutzbedarf juristischer Personen und Personenvereinigungen wird hierdurch letztlich abgelehnt. Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, so ist zu fragen, ob bei den vom Offenlegungsvorschlag erfassten Gesellschaften im Hinblick auf deren Namen Rückschlüsse auf natürliche Personen als deren Gesellschafter möglich wären. Erfasst werden von dem Vorschlag nur große multinationale Unternehmen mit einem Jahresumsatz ab 750 Mio. Euro. Diese firmieren in aller Regel unter Namen, die eine natürliche Person nicht bestimmen, wie beispielsweise Google oder Amazon. Unternehmen mit einem Jahresumsatz ab 750 Mio. Euro machen in der EU einen Anteil von 5% aller Unternehmen aus.27 Dass in diesen Fällen von dem Firmennamen auf eventuelle (natürliche) Gesellschafter geschlossen werden kann, erscheint wenig wahrscheinlich, wenngleich es nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Festzuhalten ist somit, dass eine Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs von Art. 7 GRC nach der Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf den Offenlegungsvorschlag nur in Ausnahmefällen gegeben sein wird. Nur unter dieser Prämisse wird im Folgenden weitergeprüft. 2.1.1.2. Sachlicher Schutzbereich In sachlicher Hinsicht schützt Art. 7 GRC das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation. Geschützt wird unter der Ausprägung des „Privatlebens“ die freie Entscheidung des Einzelnen über seine persönliche Lebensführung sowie die Entscheidung darüber, ob er diese zum Gegenstand öffentlicher Kenntnis und Erörterung macht. Der EuGH weist ausdrücklich unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR darauf hin, dass der Rechtsbegriff „Privatleben“ nicht eng ausgelegt werden darf und es 24 Nach deutschem Recht ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß den §§ 705 BGB ff. zwar nur eine (teilrechtsfähige ) Personenhandelsgesellschaft und keine juristische Person. Diese, auch in Art. 54 Abs. 2 AEUV zum Teil zum Ausdruck kommende Differenzierung zwischen rechtsfähigen und nicht oder nur teilrechtsfähigen Personenvereinigungen spielt für den EuGH im Kontext des Art. 7 GRC in der genannten Rechtssache offensichtlich keine Rolle. Entscheidend ist allein, ob von dem Namen der Gesellschaft unmittelbar auf die dahinterstehenden natürliche Personen geschlossen werden kann oder nicht. 25 EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 54. 26 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 52. 27 Siehe oben, Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), S. 8. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 9 grundsätzlich nicht in Betracht kommt, berufliche Daten hiervon auszunehmen.28 Daher dürften auch die von dem Offenlegungsvorschlag erfassten Daten wie bspw. über die Art der Tätigkeiten, das Eigenkapital, materielle Vermögenswerte, die Zahl der Beschäftigten, Nettoumsatzerlöse, den Gewinn vor Steuern usw. in sachlicher Hinsicht von Art. 7 GRC erfasst sein. 2.1.2. Eingriff in den Schutzbereich Die Kommission führt in ihrer Folgenabschätzung zum Offenlegungsvorschlag aus, dass das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens mit Blick auf den Normzweck durch die geplante Richtlinienänderung nicht berührt wird: “The right to the respect for private and family life (Art. 7 GRC), does not appear to be prima facie affected by the present work, which has been undertaken mainly with a view to addressing transparency by large multinational enterprises only. Given the scale of their business, companies and their owners are generally exposed to public scrutiny e.g. by ways of advertising, press articles, etc.29 Eine mögliche Beeinträchtigung prüft sie daher alleine am Maßstab von Art. 8 GRC. Dies erscheint jedoch im Hinblick auf die zuvor dargestellte Rechtsprechung des EuGH, die berufliche Tätigkeiten gerade nicht aus dem Begriff des Privatlebens ausnimmt, zweifelhaft. Einen Eingriff in das Privatleben hat der EuGH in der Rechtssache Schecke und Eifert hinsichtlich der Veröffentlichung von Namen und Wohnort von Subventionsempfängern angenommen, weil Dritte zu diesen Daten Zugang erhielten.30 Die Pflicht zur Veröffentlichung der Daten nach dem Offenlegungsvorschlag kann vor diesem Hintergrund ebenfalls als Eingriff in den sachlichen Schutzbereich angesehen werden. Dies dürfte ungeachtet der Tatsache gelten, dass die Veröffentlichung hier nicht – wie in der Rechtssache Schecke und Eifert – durch die Behörden erfolgt, sondern durch die hierzu rechtlich verpflichteten Unternehmen selbst. Denn in beiden Fällen beruht die Veröffentlichung auf einer (unions-)rechtlichen Vorgabe. 2.1.3. Rechtfertigung Das Recht auf Achtung des Privatlebens wird durch die Charta der Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet. Art. 52 Abs. 1 GRC lässt Einschränkungen der Grundrechte allgemein und damit auch des Art. 7 GRC zu, sofern – so der Wortlaut – diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. 28 EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 59. 29 Siehe oben, Folgenabschätzung der Kommission (Fn. 14), S. 115 (Annex I). 30 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 58. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 10 Hieraus folgt ein dreiteiliger Aufbau der Rechtfertigungsprüfung:31 zunächst muss der Eingriff „gesetzlich vorgesehen“ sein, bedarf also einer (unions-)gesetzlichen Rechtsgrundlage (siehe unter 3.1.3.1.). Zweitens muss der Eingriff einer von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entsprechen (siehe unter 3.1.3.2.) und drittens verhältnismäßig sein (siehe unter 3.1.3.3.). 2.1.3.1. Unionsgesetzliche Grundlage Die Veröffentlichungspflicht beruht auf dem Offenlegungsvorschlag und würde im Fall seines Inkrafttretens eine dem Art. 52 Abs. 1 GRC genügende (unions-)gesetzliche Grundlage darstellen. 2.1.3.2. Dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung(en) Ausweislich der Erwägungsgründe des Offenlegungsvorschlags dient die Richtlinie dem Ziel, „die Transparenz und öffentliche Kontrolle der Ertragsteuer von Unternehmen zu erhöhen, indem der bestehende Rechtsrahmen für die Publizitätspflichten von Gesellschaften und anderen Unternehmen (…) angepasst wird.“32 Insbesondere eine verstärkte öffentliche Kontrolle sei unerlässlich , „um Unternehmen stärker in die Verantwortung zu nehmen, durch Steuern zum Wohlstand beizutragen, durch eine sachkundigere öffentliche Debatte einen faireren Steuerwettbewerb in der Union zu fördern und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fairness der nationalen Steuersysteme wiederherzustellen.“33 Aus diesen Formulierungen lassen sich folgende unmittelbare und mittelbare Zielsetzungen ableiten : in unmittelbarer Hinsicht geht es um Transparenz und öffentliche Kontrolle im Hinblick auf die Erfüllung ertragssteuerrechtlichen Verpflichtungen von Unternehmen, in mittelbarer Hinsicht sollen hierdurch ein fairer Steuerwettbewerb in der Union gewährleistet und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die – weiterhin – nationalen Steuersysteme gestärkt werden. Hintergrund dieser Zielsetzung ist das sowohl auf OECD- als auch auf EU-Ebene verfolgte Anliegen, Steuerumgehung auch in Gestalt einer steuerplanerischen Gewinnverlagerung bzw. aggressiven Steuerplanung zu bekämpfen.34 Die Kommission verfolgt dabei die Priorität, zu einem Steuerrecht zu gelangen, „bei dem Gewinne dort besteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden“.35 In abstrakter Hinsicht lassen sich diese unmittel- und mittelbaren Zielsetzungen als dem Gemeinwohl dienende Anliegen betrachten. Ob und inwieweit an diese nach Art. 52 Abs. 1 GRC weitere, 31 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 65, 66, 67 und 72. 32 Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), Erwägungsgrund Nr. 12, S. 13 des Dokuments. 33 Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), Erwägungsgrund Nr. 5, S. 11 des Dokuments. 34 Vgl. Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), Erwägungsgründe 1 bis 4 sowie die Ausführungen zu den Gründen und Zielen des Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), S. 2 des Dokuments. 35 Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), Erwägungsgrund Nr. 1 sowie die Ausführungen zu den Gründen und Zielen des Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), S. 2 des Dokuments. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 11 besondere Anforderungen zu stellen sind, etwa ein Gleichklang mit der kompetenziellen Reichweite der EU-Befugnisse oder ähnliches, lässt sich – soweit ersichtlich – der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht entnehmen. Unproblematisch dürfte insoweit jedenfalls das (mittelbare) Ziel eines fairen Steuerwettbewerbs sein, da die Beseitigung von (auch steuerlichen) Wettbewerbsverfälschungen – neben dem zentralen Aspekt der Effektuierung der Grundfreiheiten – ein Element des Binnenmarkts darstellt, zu dessen Verwirklichung die EU berechtigt und auch verpflichtet ist (vgl. Art. 3 Abs. 3 EUV, Art. 26 Abs. 1 und 2 AEUV).36 Hinsichtlich des Transparenzanliegens ist darauf hinzuweisen, dass insoweit – anders als in der Rechtssache Schecke und Eifert – nicht auf Art. 15 AEUV verwiesen werden kann.37 Art. 15 AEUV ist zwar die zentrale Vorschrift über Transparenz der Arbeitsweise der Institutionen der Europäischen Union.38 Normverpflichtete sind insoweit aber eben nur die „Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“. In der Rechtssache Schecke und Eifert wurden die von der Europäischen Union gezahlten Agrarsubventionen veröffentlicht und somit das Förder- und Zahlungsverhalten der Union selbst transparent gestaltet. Vorliegend trifft die Transparenzverpflichtung jedoch Unternehmen und damit Private, so dass das Transparenzgebot des Offenlegungsvorschlag allenfalls als eine von Art. 15 AEUV unabhängige, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung angesehen werden kann. Insgesamt dürften die im Offenlegungsvorschlag zum Ausdruck kommenden Anliegen jedoch als unionsrechtlich anerkannte, dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung anzusehen sein. 2.1.3.3. Verhältnismäßigkeit Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zur Erreichung legitimer Ziele unterscheidet der EuGH in ständiger Rechtsprechung nur zwischen der Geeignetheit und der Erforderlichkeit, wobei im Rahmen letzterer nicht selten auch eine Interessensabwägung vorgenommen wird, die nach deutscher Grundrechtsdogmatik eher als Prüfung der Angemessenheit im engeren Sinne angesehen werden würde.39 36 Vgl. zur Bedeutung wettbewerblicher Aspekte für den Binnenmarkt allgemein, Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim , Das Recht der Europäischen Union, Art. 114 AEUV, Rn. 81 f. 37 Vgl. dort EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 67 ff. 38 Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 36), Art. 15 AEUV Rn. 1. 39 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 72, 74 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 12 2.1.3.3.1. Geeignetheit An die Geeignetheit des einschränkenden Mittels zur Erreichung der Zielsetzung werden in der Rechtsprechung des EuGH – soweit ersichtlich – keine besonderen Anforderungen gestellt.40 Vorliegend dürfte die Veröffentlichungspflicht sicherlich geeignet sein, die unmittelbaren Ziele der Transparenz und öffentlichen Kontrolle hinsichtlich der Ertragssteuerzahlungen der betroffenen multinationalen Unternehmen zu erreichen. Ferner ist nicht ausgeschlossen, dass hierdurch auch die mittelbaren Ziele – Gewährleistung eines fairen Steuerwettbewerbs in der Union und Stärkung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die nationalen Steuersysteme – erreicht werden. 2.1.3.3.2. Erforderlichkeit Hinsichtlich der Erforderlichkeit hat der EuGH im Hinblick auf Art. 7 GRC die Voraussetzung aufgestellt, dass sich Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den durch dieses Grundrecht erfassten Schutz personenbezogener Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen .41 Soweit ersichtlich, gilt diese erhöhte Anforderung an den Erforderlichkeitsmaßstab nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aber nur für natürliche Personen. Im Hinblick auf juristische Personen und Personenvereinigung, die sich auf den Schutz des Art. 7 GRC berufen können, hat der EuGH in der Rechtssache Schecke und Eifert hingegen ausgeführt, dass die Verletzung dieses Grundrechts „bei juristischen Personen ein anderes Gewicht [hat] als bei natürlichen Personen. Juristische Personen unterliegen insoweit bereits einer erweiterten Verpflichtung zur Veröffentlichung ihrer Daten.“42 Hiervon ausgehend stellte der Gerichtshof in der genannten Rechtssache in Bezug auf natürliche Personen einen unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff in Art. 7 GRC fest; hinsichtlich juristischer Personen und Personenvereinigungen sah er den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz indes als gewahrt an.43 Überträgt man diese Differenzierung auf den vorliegenden Fall, so kann davon ausgegangen werden , dass auch insoweit ein verhältnismäßiger Eingriff in Art. 7 GRC vorliegt. Denn von der Veröffentlichungspflicht betroffen sind im Wesentlichen keine neuen, bislang nicht frei zugänglichen Daten der Unternehmen, sondern nur solche, die nach der Bilanzrichtlinie – mit Ausnahme der gesonderten Ausweisung noch zu zahlender und bereits gezahlter Ertragsteuer – in den nationalen Registern der einzelnen Mitgliedsstaaten einsehbar sind. 40 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 75. 41 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 76. Siehe ferner EuGH, Urt. v. 8.04.2014, verb. Rs. C-293/12 und C-594/12 (Digital Rights Ireland), Rn. 92; EuGH, Urt. v. 6.10.2015, Rs. C-362/14 (Schrems), Rn. 92. 42 EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 87. 43 Siehe EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), Rn. 87-89. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 13 So sind im Unternehmensregister der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise veröffentlicht: Bekanntmachungen der Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister, Veröffentlichungen aus dem Bundesanzeiger, beim Bundesanzeiger hinterlegte Bilanzen, unternehmensrelevante Mitteilungen der Wertpapieremittenten sowie Bekanntmachungen der Insolvenzgerichte.44 Beim Bundesanzeiger online unbegrenzt einsehbar sind darüber hinaus Rechnungslegungsunterlagen, Jahresabschlussberichte sowie weitere Finanzberichte.45 Dass im Jahresabschlussbericht die Beträge der noch zu zahlenden und bereits gezahlten Ertragsteuer nicht getrennt ausgewiesen sind, sondern die Gesamtsumme der Steuern vom Einkommen und vom Ertrag für das gesamte Berichtsjahr, ist dem Umstand geschuldet, dass es sich um einen retrospektiven Bericht handelt, der die Zahlen für das gesamte zurückliegende Geschäftsjahr enthält . Die Beträge der noch zu zahlenden und der gezahlten Ertragsteuer finden sich bislang nur in der Buchhaltung der Unternehmen wieder, die nicht öffentlich ist. Die Jahresabschlussberichte enthalten aber auch Informationen zu Rückstellungen für künftig zu leistende Steuern, sodass eine Prognose zu zahlender Beträge für das kommende Jahr möglich ist. Insgesamt gehen die nach dem Offenlegungsvorschlag zu veröffentlichenden Daten daher nur unwesentlich über dasjenige hinaus, was aus den nationalen Registern bereits bekannt ist. Neu an der Veröffentlichungspflicht des Offenlegungsvorschlags ist somit in erster Linie die Darstellungsweise der Steuerdaten. Bislang sind die zu veröffentlichenden Daten nicht länderspezifisch nach den einzelnen Unternehmensstandorten geordnet in einem einzigen Bericht dargestellt . Es muss viel mehr in jedem EU-Mitgliedsstaat ein entsprechender Unternehmensregisterauszug zur jeweiligen Niederlassung eingesehen werden. Nunmehr sollen die Unternehmen die zuvor genannten Informationen für jeden Mitgliedsstaat länderspezifisch getrennt ausweisen und in dem Ertragssteuerinformationsbericht zusammenfassen. Allein dieser Umstand dürfte angesichts des für juristische Personen und Personenvereinigungen niedrigeren Grundrechtschutzes nach Art. 7 GRC nicht genügen, um die Unverhältnismäßigkeit der Veröffentlichungspflicht zu begründen. 2.1.4. Zwischenergebnis Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs des Art. 7 GRC für die von dem Offenlegungsvorschlag erfassten (multinationalen) Gesellschaften im Lichte der bisherigen EuGH-Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen anzunehmen sein dürfte. Unterstellt man einen solchen, ist in der Veröffentlichungspflicht zwar ein Eingriff 44 Selbstauskunft des deutschen Unternehmensregisters https://www.unternehmensregister .de/ureg/howto1.1.html;jsessionid=43059D5441E31B6C0FC2B82D8D0339FB.web04-1 (letztmaliger Abruf am 17.08.16). 45 Vgl. die Informationen auf den Internetseiten des Bundesanzeigers https://www.bundesanzeiger.de/ebanzwww /wexsservlet?session.sessionid=e2305ae4f1f8b1260993472cf5529274&page.navid=to_knowledgeable _how-work_content#a_3 (letztmaliger Abruf am 17.08.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 14 zu sehen. Angesichts der für juristischen Personen und Personenvereinigungen geltenden niedrigeren Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen des Art. 7 GRC dürfte dieser aber im Ergebnis als verhältnismäßig und damit als unionsrechtlich zulässig anzusehen sein. 2.2. Schutz personenbezogener Daten – Art. 8 GRC Für eine Grundrechtsprüfung am Maßstab des Art. 8 GRC, der ausdrücklich auf den Schutz personenbezogener Daten zugeschnittenen ist, dürfte im Ergebnis nichts anderes gelten. Die Einschränkungen hinsichtlich des persönlichen Schutzbereichs für juristische Personen und Personenvereinigungen und die geringeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen im Rahmen der Rechtfertigung hat der EuGH in der Rechtssache Schecke und Eifert sowohl auf Art. 7 GRC als auch auf Art. 8 GRC bezogen, die er beide zusammen prüfte.46 Daher wird auch der Schutz des Art. 8 GRC mit Blick auf die vom Offenlegungsvorschlag erfassten Gesellschaften nur im Ausnahmefall eingreifen. In diesen Fällen dürfte der durch die Veröffentlichungspflicht ausgelöste Eingriff dann aber als verhältnismäßig anzusehen sein. 2.3. Recht auf unternehmerische Freiheit – Art. 16 GRC 2.3.1. Schutzbereich Das Recht auf unternehmerische Freiheit schützt die Möglichkeit einer ökonomischen Betätigung natürlicher und – uneingeschränkt – auch juristischer Personen am Markt „und damit zugleich den Wettbewerb vor unverhältnismäßigen Interventionen der öffentlichen Hand“.47 Da bislang aber keine Rechtsprechung zu Art. 16 GRC bezogen auf die Preisgabe steuerrelevanter Unternehmensdaten vorhanden ist, sind die Konturen dieses Grundrechts in diesem Bereich noch unklar. 2.3.2. Eingriff in den Schutzbereich Die Europäische Kommission sieht insbesondere drei Ausprägungen der unternehmerischen Freiheit durch den Offenlegungsvorschlag berührt: die mit der Berichtspflicht verbundene, den Unternehmen auferlegte administrative und finanzielle Last, die Beeinträchtigung des Geschäftsgeheimnisses sowie die Freiheit, Steuerstrategien zu entwickeln.48 Tatsächlich hat der EuGH bspw. dann einen Eingriff in Art. 16 GRC angenommen, wenn Unternehmern eine Etikettierungspflicht für ihre Produkte auferlegt wird, weil hierdurch ein Zwang 46 Vgl. EuGH, Urt. v. 09.11.2010, verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 (Schecke und Eifert), insbesondere Rn. 53 und 87. 47 Wollenschläger, Die unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRC) als grundrechtlicher Pfeiler der EU-Wirtschaftsverfassung, Konturen in der Charta-Rechtsprechung des EuGH“, NJW 2015, S. 285, 288. 48 Siehe oben Folgenabschätzung der Kommission (Fn. 14), S. 40. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 15 begründet wird, der die den Unternehmen zur Verfügung stehenden Ressourcen dergestalt einschränkt , dass Maßnahmen zur Umsetzung der Pflicht ergriffen werden müssen, die mit Kosten verbunden sind.49 Auch die Sammlung und nach den Vorgaben der Richtlinie spezifische Aufstellung und Übermittlung steuerrelevanter Unternehmensdaten bindet personelle und damit auch finanzielle Ressourcen der Unternehmen, sodass ein Eingriff auch im vorliegenden Fall zu bejahen ist. 2.3.3. Rechtfertigung Die unternehmerische Freiheit ist im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen und kann somit einer Vielzahl von Eingriffen der öffentlichen Gewalt unterworfen werden, die im allgemeinen Interesse die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit beschränken können.50 Insoweit gelten ebenfalls die Anforderungen aus Art. 52 Abs. 1 GRC.51 Hinsichtlich der vom Offenlegungsvorschlag verfolgten Zielsetzungen, der (unions-)gesetzlichen Grundlage der Veröffentlichungspflicht sowie ihrer Eignung zur Erreichung der Zielsetzungen wird auf die obigen Ausführungen im Rahmen von Art. 7 GRC verwiesen.52 Im Ergebnis dürfte der durch die Veröffentlichungspflicht erfolgende Eingriff in die unternehmerische Freiheit in ihren verschiedenen Ausprägungen im Lichte der Ziele der Transparenz und öffentlichen Kontrolle hinsichtlich der Ertragssteuerzahlungen der betroffenen multinationalen Unternehmen sowie der Gewährleistung eines fairen Steuerwettbewerbs in der Union und der Stärkung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die nationalen Steuersysteme auch erforderlich und damit verhältnismäßig sein: Durch die Pflicht zur Erstellung eines Ertragssteuerinformationsberichts werden nur wenige personelle und finanzielle Ressourcen gebunden. Die offenzulegenden Informationen sind größtenteils bereits an die nationalen Unternehmensregister zu übermitteln und müssen nicht gesondert ermittelt werden. Die fehlenden, bislang nicht zugänglichen Daten – wie die Beträge bereits gezahlter und noch zu zahlender Ertragsteuern – lassen sich der Buchhaltung entnehmen. Auch die Verknüpfung mit entsprechenden Informationen von Zweigniederlassungen und Tochterunternehmen in anderen EU-Mitgliedsstaaten und deren länderspezifische Aufbereitung stellt nur einen verhältnismäßig geringen Aufwand dar, weil diese Informationen schon nach bestehendem Recht an den jeweiligen Mitgliedsstaat zu übermitteln sind, in dem sich die jeweilige Niederlassung befindet. Darüber hinaus käme in der Mehrheit der Fälle allenfalls eine Bindung finanzieller Ressourcen in Betracht, weil Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung bei größeren Unternehmen in der Regel ausgelagert sind. Eine Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit unter 49 EuGH, Urt. v. 30.06.2016, Rs. C-134/15 (Lidl), Rn. 29 ff. 50 EuGH, Urt. v. 04.04.2016, Rs. C-477/14 (Pillbox), Rn. 158 ff. 51 Siehe oben unter 2.1.3., S. 12. 52 Siehe oben unter 2.1.3.2., S. 12 f., 2.1.3.1., S. 12 bzw. 2.1.3.3.1., S. 14 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 16 dem Gesichtspunkt entstehender administrativer und finanzieller Last dürfte durch den Offenlegungsvorschlag daher nicht vorliegen. Auch ist nicht erkennbar, wie eine ggf. durch Art. 16 GRC geschützte Freiheit, Steuerstrategien zu entwickeln, durch den Offenlegungsvorschlag eingegrenzt werden könnte. Denn der Vorschlag enthält kein materielles Steuerrecht, das eine eventuell nach nationalem Recht zulässige Gewinnverschiebung verbietet. Es steht den Unternehmen weiterhin frei, rechtlich zulässige Möglichkeiten solcher Anliegen auszuschöpfen. Gewinnverschiebungen werden lediglich transparent gemacht und damit einer stärkeren öffentlichen Kontrolle unterworfen. Dass hieraus ein faktischer Druck resultiert, der den betroffenen Unternehmen legale Steuergestaltungsmöglichkeiten nimmt, ist nicht ersichtlich. Fernliegend ist schließlich auch die Annahme einer unverhältnismäßigen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen . Wie oben bereits ausgeführt, sind die zu veröffentlichenden Daten im Wesentlich bereits aufgrund anderweitiger Vorgaben öffentlich zugänglich, lediglich die Art der (länderbezogenen) Zusammenstellung ist neu.53 Nach alldem dürfte die unternehmerische Freiheit des Art. 16 GRC durch den Offenlegungsvorschlag im Ergebnis nicht verletzt sein. 2.4. Eigentumsrecht – Art. 17 GRC Ob in der Veröffentlichung steuerrelevanter Unternehmensdaten das durch Art. 17 GRC garantierte Eigentumsrecht verletzt ist, kann mangels vorhandener Rechtsprechung zu einem solchen oder vergleichbaren Fall nicht abschließend beurteilt werden, ist im Lichte des bisherigen Rechtsprechungsbestandes aber eher abzulehnen. Art. 17 GRC garantiert Privateigentum und schützt es gegen jede Form willkürlicher Entziehung .54 Zum Privateigentum zählen das Sacheigentum, aber auch nichtkörperliche Gegenstände wie z.B. Forderungen sowie weitere vermögenswerte Rechte55 („droits acquis“/„acquired rights“), wie insbesondere Rechte des geistigen Eigentum (vgl. auch Art. 17 Abs. 2 GRC). Daten als solche sind keine vermögenswerten Rechte, sodass durch Veröffentlichung an sich das Erworbene nicht berührt wird. Auch ist nicht ersichtlich, dass in den zu veröffentlichenden Daten vermögenswerte Rechte zum Ausdruck kommen, die von Art. 17 GRC geschützt sind und durch die Preisgabe beeinträchtigt würden. 2.5. Zwischenergebnis Insgesamt ist im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht erkennbar, dass der Offenlegungsvorschlag gegen die hier einschlägigen Grundrechte aus Art. 7, 8, 16 und 17 GRC ver- 53 Siehe oben unter 2.1.3.3.2., S. 14. 54 Siehe oben Jarass (Fn. 17), Art. 17 GRC, Rn. 2. 55 Calliess, in: Calliess/Ruffert (Fn. 16), Art. 17 GRC, Rn. 6. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 17 stoßen könnte. Soweit eine Eröffnung des Schutzbereichs angenommen werden kann – im Hinblick auf Art. 7 und 8 GRC nur in Ausnahmefällen – und ein Eingriff vorliegt, dürfte im Ergebnis von einer Rechtfertigung auszugehen sein. 3. Rechtsgrundlage Die Kommission hat den Offenlegungsvorschlag auf Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV gestützt und damit auf die Rechtsgrundlage, auf der auch die zu ändernde Bilanzrichtlinie56 erlassen wurde. Den Vorschlag über den Austausch der gleichen Daten zwischen den mitgliedstaatlichen Steuerverwaltungen stützt die Kommission hingegen auf Art. 113 und 115 AEUV. Auf Grundlage dieser beiden Normen wurde auch die durch den Austauschvorschlag zu ergänzende Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung57 erlassen. Der entscheidende, formal-verfahrensrechtliche Unterschied zwischen den genannten Kompetenznormen liegt zum einen in den jeweils vorgegebenen Mehrheitsanforderungen für die Abstimmung im Rat: während bei Art. 50 Abs. 1 AEUV eine qualifizierte Mehrheit genügt, sehen die Art. 113, 115 AEUV Einstimmigkeit vor. Zum anderen ist das Europäische Parlament unterschiedlich zu beteiligen. Während es bei Art. 50 Abs. 1 AEUV nach Art. 294 AEUV über den Erlass von Rechtsakten mitentscheidet, ist es bei Art. 113 und 115 AEUV jeweils nur anzuhören. Dem Vernehmen nach vertritt die Bunderegierung den Standpunkt, dass die Veröffentlichungspflicht nach dem Offenlegungsvorschlag ebenfalls auf Art. 115 AEUV zu stützen sei, so dass es einer Einstimmigkeit bedarf. In der umfassenden Bewertung nach § 6 Abs. 3 EUZBBG wird im Zusammenhang mit der Prüfung der Zuständigkeit der EU allerdings noch ausgeführt, dass sich der Vorschlag im Rahmen des Art. 50 Abs. 1 AEUV halte. Hinzugefügt wird allerdings, dass aufgrund inhaltlicher Überschneidungen mit rein steuerlichen Berichtspflichten die Verortung in der Bilanzrichtlinie mit Blick auf das in Steuerangelegenheiten grundsätzlich erforderliche Einstimmigkeitsprinzip als kritisch zu erachten und noch eingehend zu prüfen sei.58 Im Folgenden wird zunächst kurz auf zwei geltende Veröffentlichungspflichten und deren Rechtsgrundlagen hingewiesen (siehe unter 3.1.). Sodann wird allgemein erörtert, nach welchen Vorgaben eine Rechtsgrundlage für den Erlass von EU-Rechtsakten auszuwählen ist (siehe unter 3.2.). Nach dieser Maßgabe sind im Anschluss zuerst Art. 115 AEUV (siehe unter 3.3.) und dann Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV in den Blick zu nehmen (siehe unter 3.4.). 56 Siehe oben Fn. 9. 57 Siehe oben Fn. 6. 58 Online abrufbar in EuDoX unter http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=139777 (letztmaliger Abruf am 17.08.16). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 18 3.1. Bestehende unionsrechtliche Offenlegungspflichten Eine mit dem Offenlegungsvorschlag vergleichbare, länderspezifische Veröffentlichungspflicht besteht bereits für Banken nach Art. 89 der Bankenrichtlinie 2013/36EU.59 Dieser Rechtsakt wurde zwar ebenfalls auf eine die Niederlassungsfreiheit betreffende Rechtsgrundlage gestützt, hierbei handelte es sich allerdings nicht um Art. 50 Abs. 1 AEUV, sondern um Art. 53 Abs. 1 AEUV. Im Vergleich mit dem Offenlegungsvorschlag umfasst die nach Art. 89 Bankenrichtlinie bestehende Veröffentlichungspflicht noch Angaben zu erhaltenen staatlichen Beihilfen [vgl. Abs. 1 Buchst. f)]. Hintergrund und Ziel dieser Publizitäts- und damit Transparenzverpflichtung sind jedoch keine Anliegen des Steuerrechts, sondern – im Zusammenhang mit der Banken- und Finanzkrise – allgemein die Wiederherstellung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger der Union in die Finanzbranche; Berichts- bzw. Meldepflichten in diesem Bereich seien als wichtiges Element der Verantwortung der Institute gegenüber den Interessenträgern und der Gesellschaft zu betrachten.60 Darüber hinaus findet sich auch in der geltenden Bilanzrichtlinie [und damit ebenfalls auf Grundlage von Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV] eine weitere Veröffentlichungspflicht in Art. 41 bis 48. Diese betrifft allerdings sog. große Unternehmen und Unternehmen von öffentlichem Interesse, die in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig sind. Ferner bezieht sie sich nur auf Zahlungen an staatliche Stellen . Erfasst werden hiervon zwar auch Steuern [vgl. Art. 41 Nr. 5 Buchst. b) Bilanzrichtlinie], im Übrigen aber andere Daten als im Fall des Offenlegungsvorschlags. Ziel und Hintergrund dieser Berichtspflicht sind ebenfalls nicht steuerpolitische Anliegen, sondern Transparenz in der Rohstoffwirtschaft sowie Rechenschaft der betroffenen Regierungen gegenüber ihren Bürgern über die Zahlungen, die sie von den betreffenden Unternehmen erhalten (vgl. Erwägungsgründe Nr. 44 und 45 der Bilanzrichtlinie). Ungeachtet der Unterschiede hinsichtlich der Anliegen und des konkreten Inhalts dieser beiden bereits geltenden Veröffentlichungspflichten ist zu beachten, dass hieraus keine rechtlichen Argumente in Bezug auf die unionsrechtlich zutreffende Rechtsgrundlage für die Verankerung derartiger Gebote in anderen Fällen entnommen werden können. Im Unionsrecht gilt für jeden Rechtsakt die Vermutung seiner Rechtmäßigkeit, die nur der EuGH durch Feststellung der Nichtigkeit (Art. 263 f. AEUV) oder Ungültigkeit (Art. 267 AEUV) widerlegen kann. Soweit ersichtlich , war die Frage nach der Rechtsgrundlage für die eben beschriebenen Veröffentlichungspflichten bisher nicht Gegenstand eines Verfahrens vor Unionsgerichten. Vor diesem Hintergrund kann aus diesen beiden Fällen lediglich auf eine Rechtssetzungspraxis geschlossen werden , wonach transparenzbedingte Veröffentlichungspflichten für Gesellschaften ungeachtet der 59 Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen […], ABl.EU 2013 Nr. L 176/338, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02013L0036-20140320&qid=1470998472300&from=DE (letztmaliger Abruf am 17.08.16). 60 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 52 der Bankenrichtlinie (Fn. 59). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 19 damit verfolgten Zielsetzungen auf Rechtsgrundlagen des Niederlassungskapitels gestützt werden . 3.2. Allgemeine Vorgaben zur Wahl der Rechtsgrundlage Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss die Wahl einer Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt auf objektiven, gerichtlich nachprüfbaren Umständen gründen, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsaktes gehören.61 Liegen einem Rechtsakt zwei Ziele oder Komponenten zugrunde, so ist der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, soweit eine Zielsetzung oder Komponente als wesentlich oder überwiegend auszumachen sind.62 Ansonsten kommt bei Gleichrangigkeit eine gleichzeitige Heranziehung zweier Rechtsgrundlagen in Betracht , soweit die gleichen verfahrensrechtlichen Anforderungen bestehen, insbesondere hinsichtlich der Mehrheitserfordernisse im Rat.63 Ermessensmissbräuchlich ist die Auswahl einer Rechtsgrundlage nur dann, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass die auf sie gestützte Maßnahme ausschließlich oder zumindest vorwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, dass der Vertrag speziell vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen .64 Hieraus folgt für den Offenlegungsvorschlag und seine Zuordnung zu Art. 50 Abs. 1 bzw. Art. 115 AEUV zunächst, dass aufgrund der unterschiedlichen Mehrheitserfordernisse beider Kompetenznormen bereits aus formalen Gründen jedenfalls nicht beide zugleich als Rechtsgrundlagen herangezogen werden können, sondern nur eine der beiden. Ferner ist das von der Kommission zumindest in der Begründung zum Offenlegungsvorschlag hinsichtlich der gewählten Rechtsgrundlage verwandte (formale) Argument zurückzuweisen, wonach Art. 50 Abs. 1 AEUV deshalb die geeignete Rechtsgrundlage sei, weil die Veröffentlichungspflicht in der auf dieser Norm beruhenden Bilanzrichtlinie umgesetzt werden soll.65 Entscheidend sind vielmehr v. a. Ziel und Inhalt des Vorschlags, die im Folgenden sowohl im Lichte von Art. 115 AEUV als auch von Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV zu betrachten sind. 61 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 26.01.2006, Rs. C-533/03 (Kommission/Rat), Rn. 43, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 62 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.02.1999, Rs. C-42/97 (Parlament/Rat), Rn. 39 f. 63 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.12.2002, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 98. Siehe dazu auch Leible/Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 114 AEUV, Rn. 130. 64 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 13.11.1990, Rs. C-331/88 (Fedesa u. a.), Rn. 24. 65 Offenlegungsvorschlag der Kommission (Fn. 7), S. 4 des Dokuments (Punkt 2 „Rechtsgrundlage“). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 20 3.3. Art. 115 AEUV Art. 115 AEUV für direkte Steuern und Art. 113 AEUV für indirekte Steuern sind die beiden einschlägigen Rechtsgrundlagen für eine Rechtsangleichung im Bereich des Steuerrechts.66 Nach der Systematik der einschlägigen Rechtsgrundlagen für die Verwirklichung des Binnenmarktes dürfte die Rechtangleichung in Bezug auf steuerliche Aspekte nur auf die beiden genannten Vorschriften gestützt werden. Diese Schlussfolgerung ergibt sich vor allem aus Art. 114 Abs. 2 AEUV. In dieser Bestimmung sind die von der allgemeinen Kompetenz zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt nach Art. 114 Abs. 1 AEUV ausgeschlossenen Sachbereichen aufgezählt. Danach ist auf Grundlage dieser Vorschrift u.a. der Erlass von „Bestimmungen über Steuern“ ausgeschlossen . Dieser Ausschluss dürfte nicht nur im Verhältnis zu Art. 113 und Art. 115 AEUV Geltung beanspruchen, sondern auch gegenüber allen anderen sonstigen Binnenmarkt-Rechtsgrundlagen , die zwar spezieller gegenüber Art. 114 AEUV sind, aber ebenfalls nur eine qualifizierte Abschlussmehrheit im Rat vorsehen – so wie auch Art. 50 Abs. 1 AEUV. Darüber hinaus folgt aus der durch den EuGH definierten Formulierung der „Bestimmungen über Steuern“, welche Sachbereiche bzw. Bestimmungen Art. 115 AEUV im Fall direkter Steuern und Art. 113 AEUV im Fall indirekter Steuern zuzuordnen sind. Danach deckt dieser Ausdruck „wegen seines allgemeinen Charakters nicht nur alle Gebiete des Steuerrechts ohne Unterscheidung der Art der betroffenen Steuern oder Abgaben [ab], sondern auch alle Aspekte dieses Rechtsgebiets , ob es sich nun um materielle Regelungen oder Verfahrensregelungen handelt.“67 Sind – wie im Fall des Offenlegungsvorschlags – Ertrags- und damit direkte Steuern betroffen, so setzt Art. 115 AEUV tatbestandlich im allgemeinen voraus, dass es sich um eine Angleichung solcher mitgliedstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften handelt, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken. Blickt man mit dieser Maßgabe auf den Offenlegungsvorschlag und dort zunächst auf seine Zielsetzungen , so steht die durch die Veröffentlichungspflicht gewährleistete Transparenz in erster Linie im Dienste steuerpolitischer Anliegen und damit des Art. 115 AEUV: die Erfüllung ertragssteuerrechtlichen Verpflichtungen von Unternehmen soll der öffentlichen Kontrolle unterliegen, Gewinnverschiebungen bzw. aggressive Steuerplanungen sollen so vermieden und darauf hingewirkt werden, dass Unternehmen Steuern dort entrichten, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften. Betrachtet man jedoch den Inhalt des Offenlegungsvorschlags, so werden gerade keine „steuerlichen Bestimmungen“ der Mitgliedstaaten angeglichen. Es werden weder formelle noch materielle Vorschriften des Steuerrechts harmonisiert, sondern eine länderspezifische Veröffentlichung von Daten vorgesehen, zu denen u. a. sowohl bereits gezahlte als auch die noch zu zahlende Ertragssteuern zählen. Es wird somit nur an einen steuerlichen Tatbestand angeknüpft, ohne diesen in materieller oder formaler Hinsicht zu regeln. Darüber hinaus handelt es sich bei diesen Angaben 66 Bei Art. 113 AEUV ergibt sich dies ausdrücklich aus dem Wortlaut. Zu Art. 115 AEUV und der Anwendung dieser Rechtssetzungsgrundlage für den Erlass von Rechtsakten zur Harmonisierung direkter Steuern, vgl. Gröpl, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, J. Steuerrecht, Rn. 57 ff.; Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 36), Art. 115 AEUV, Rn. 1. 67 EuGH, Urt. v. 26.01.2006, Rs. C-533/03 (Kommission/Rat), Rn. 47. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 21 – wie bereits oben ausgeführt – um solche, die im Wesentlichen aus den in den nationalen Unternehmensregistern der Mitgliedstaaten enthaltenen Dokumenten jedenfalls abgeleitet werden können und die im weiten Sinne mit unternehmerischen und damit gesellschaftsrechtlichen Publizitätsverpflichtungen im Zusammenhang stehen. Zielsetzungen und Inhalt des Offenlegungsvorschlags verlaufen somit in sachlicher Hinsicht nicht parallel. Die Veröffentlichungspflicht ist bei näherem Hinschauen ein nicht-steuerrechtliches Mittel, um die steuerpolitischen Zielsetzungen des Vorschlags zu erreichen. Wie die Kommission zudem in ihrer Folgenabschätzung ausführt, trägt dieses Mittel entsprechend nur indirekt zu diesen Zielsetzungen bei,68 da das eigentliche mitgliedstaatliche Steuerrecht außen vor bleibt bzw. die Besteuerung von Unternehmen nicht geregelt wird. Wie eine solches Auseinanderfallen von Zielsetzung und Inhalt eines Rechtsakts zu bewerten ist, wird erst im Anschluss an die Ausführungen zu Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV erörtert (dazu sogleich. Zuvor ist jedoch noch auf den Austauschvorschlag und seine Rechtsgrundlage in Art. 113 und 115 AEUV einzugehen. Zwar sind insoweit die gleichen Daten betroffen. Neben dem steuerrechtlichen Ziel ist hier jedoch auch das Mittel zu seiner Erreichung letztlich ein steuerverfahrensund damit ein steuerrechtliches: es geht um den Austausch von Daten zwischen mitgliedstaatlichen Steuerbehörden und deren Zusammenarbeit zur Vermeidung von Gewinnverschiebungen und aggressiver Steuerplanung.69 Das Abstellen auf eine andere Rechtsgrundlage lässt sich in diesem Fall daher sowohl mit Blick auf Ziel als auch das dazu eingesetzte Mittel sachlich begründen . 3.4. Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV Art. 50 Abs. 1 AEUV ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat, Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit zu erlassen. Der Zusatz, wonach die Rechtsakte nur „für eine bestimmte Tätigkeit“ gelten sollen, spiele – so die Kommentarliteratur – keine Rolle.70 Art. 50 Abs. 2 AEUV zählt – nicht abschließend („insbesondere)71 – die dabei möglichen Zielsetzungen der Rechtssetzungstätigkeiten auf. Von praktischer Bedeutung ist dabei allerdings lediglich der auch hier einschlägige Art. 50 Abs. 2 Buchst. g) AEUV, wonach Richtlinien erlassen werden können, die, „soweit erforderlich, die Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften […] im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten“. Auf seiner Grundlage wurde eine Vielzahl von Rechtsakten erlassen, mit denen das 68 Siehe oben Fn. 14. 69 Vgl. hierzu auch EuGH, Urt. v. 26.01.2006, Rs. C-533/03 (Kommission/Rat), Rn. 49 ff. 70 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. ), Art. 50 AEUV, Rn. 3. 71 Vgl. EuGH, Urt. v. 4.12.1997, Rs. C-97/96 (Daihatsu), Rn. 21. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 22 Gesellschaft- und Kapitalmarktrecht der Mitgliedstaaten harmonisiert wurde.72 Auch die durch den Offenlegungsvorschlag zu ergänzende Bilanzrichtlinie wurde auf diese Rechtsgrundlage gestützt . Wie im Zusammenhang mit Art. 115 AEUV bereits ausgeführt,73 geht es im Offenlegungsvorschlag in inhaltlicher Hinsicht um eine gesellschaftsrechtliche Publizitätsverpflichtung, so dass das Merkmal der den Gesellschaften vorgeschriebenen (und weit zu verstehenden) Schutzbestimmung als erfüllt angesehen werden könnten. Fraglich ist in tatbestandlicher Hinsicht allerdings, ob diese Veröffentlichungspflicht „im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter“ ist (siehe unter 3.4.1.), ob durch den Offenlegungsvorschlag überhaupt eine Koordinierung erfolgt (siehe unter 3.4.2.) und schließlich, ob sie „erforderlich“ ist (siehe unter 3.4.3.). 3.4.1. Im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Daihatsu sind Dritte im Sinne des Art. 50 Abs. 2 Buchst. g) AEUV nicht nur Gläubiger der Gesellschaft, sondern auch andere Personengruppen.74 Welche dies allerdings in positiver Hinsicht sein können, hat der EuGH nicht festgelegt. Im Zusammenhang mit dem konkreten Fall, der die Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses und die Sanktionierung dieser Pflichtverletzung betraf, verwendet der Gerichtshof die Formulierung „jeder interessierten Person“.75 Vorliegend richtet sich die Veröffentlichungspflicht allerdings an keine bestimmte Personengruppe, sondern allgemein an die Öffentlichkeit als solche. Es geht um eine allgemeine Transparenzverpflichtung hinsichtlich der Ertragsteuern multinationaler Unternehmen . Ob dies den Anforderungen des Art. 50 Abs. 2 Buchst. g) AEUV noch genügt, lässt sich mangels Rechtsprechung nicht abschließend beantworten. 3.4.2. Koordinierung Problematisch erscheint ferner das Erfordernis der Koordinierung. Bei dem Offenlegungsvorschlag geht es nicht um eine Angleichung mitgliedstaatlich unterschiedlich ausgestalteter Veröffentlichungspflichten , sondern um die Einführung einer neuen Pflicht, deren Besonderheiten nicht in den hiervon betroffenen Daten liegt, sondern in ihrer länderspezifischen Zusammenstellung . 3.4.3. Erforderlichkeit Zweifel bestehen schließlich auch im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der „Erforderlichkeit “. Im Schrifttum wird dieses Kriterium unterschiedlich ausgelegt. Zum Teil wird die Erforderlichkeit dahingehend auf die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit bezogen, dass die angeglichenen Schutzbestimmungen zur Aufhebung von Niederlassungsbeschränkungen notwendig 72 Vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 36), Art. 50 AEUV, Rn. 11. 73 Siehe oben unter 3.3., S. 19. 74 EuGH, Urt. v. 4.12.1997, Rs. C-97/96 (Daihatsu), Rn. 19 f. 75 Vgl. EuGH, Urt. v. 4.12.1997, Rs. C-97/96 (Daihatsu), Rn. 22. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 23 sein müssen.76 Teils wird es als ausreichend angesehen, dass lediglich ein Bezug zur Niederlassungsfreiheit bestehe, eine Beförderung dieser Grundfreiheit sei nicht notwendig.77 Eine eindeutige Rechtsprechung zu diesem Merkmal liegt – soweit ersichtlich – nicht vor. In der bereits zitierten Rechtsache Daihatsu hat der Gerichtshof jedoch allgemein zu der vorherigen Fassung des Art. 50 AEUV ausgeführt, dass „das Ziel, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben, das dem Rat und der Kommission durch Artikel [50 Abs. 1] in sehr weit gefaßten Wendungen aufgegeben ist, nicht durch Artikel [50 Abs. 2] eingeschränkt. Dieser enthält nämlich, wie die Verwendung des Wortes „insbesondere“ […] belegt, lediglich eine nicht abschließende Liste von Maßnahmen, die zur Verwirklichung dieses Zieles zu ergreifen sind.“78 Ungeachtet der Frage, ob diese Passage zwingend als Argument für die restriktivere Auslegung des Erforderlichkeitskriterium herangezogen werden kann, wird hierdurch der regulatorische Kontext des Art. 50 AEUV deutlich: es geht um die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit. Zwar weist die Kommission in den Erwägungsgründen des Offenlegungsvorschlags auf die eben zitierte Rechtsprechung des EuGH hin. Hierbei betont sie zum einen die Weite des Art. 50 AEUV zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und zum anderen das weite Verständnis des Begriffs Dritter im Sinne des Art. 50 Abs. 2 Buchst. g) AEUV.79 Ob der grundfreiheitliche Kontext angesichts der als Zielsetzung verfolgten steuerpolitischen Anliegen hier überhaupt besteht, erscheint aber fraglich. Denn er wird weder erläutert noch ist es ersichtlich, in welcher Weise gerade diese Veröffentlichungspflicht einen Beitrag zur Niederlassungsfreiheit leisten soll bzw. die Einführung dieser Pflicht zu einem Abbau der Beschränkungen für diese Grundfreiheit führt. Bei näherem Hinsehen dient der steuerlich motivierte Offenlegungsvorschlag nämlich weniger der Effektuierung der Niederlassungsfreiheit als vielmehr der Einschränkung ihrer bisherigen Verwirklichung, die mangels (flankierender) steuerrechtliche Harmonisierung in der EU eine (legale) Gewinnverschiebung bzw. aggressive Steuerplanung überhaupt erst ermöglicht. Die daraus zugleich erwachsenden Wettbewerbsungleichheiten gegenüber nicht multinational aufgestellten Unternehmen können zwar ebenfalls den Binnenmarkt beeinträchtigen . Die Beseitigung dieser Beeinträchtigungen erscheint aufgrund ihrer steuerrechtlichen Ursache allerdings eine Aufgabe im Rahmen des Art. 115 AEUV und weniger eine Frage der sekundärrechtlichen Ausgestaltung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 50 AEUV. 3.5. Fazit Während der Offenlegungsvorschlag im Lichte des Art. 115 AEUV das Problem aufweist, dass zwar den steuerlichen Zielsetzungen dieses Artikel genüge getan wird, der Inhalt aber ein anderer ist, verhält es sich im Lichte des Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV umgekehrt: die Veröffentlichungspflicht lässt sich in inhaltlicher Sicht u. U. noch als im Interesse Dritter bestehende Schutzbestimmung ansehen, die aber nicht im Dienste der Niederlassungsfreiheit steht, sondern 76 Vgl. dazu Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 36), Art. 50 AEUV, Rn. 16, mit Nachweisen. 77 Vgl. dazu Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 36), Art. 50 AEUV, Rn. 16, mit Nachweisen. 78 EuGH, Urt. v. 4.12.1997, Rs. C-97/96 (Daihatsu), Rn. 21 (Unterstreichung durch Verfasser). 79 Vgl. ebenfalls Erwägungsgrund Nr. 12 des Offenlegungsvorschlags (Fn. 7). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 111/16 Seite 24 einer unerwünschten steuerlichen Konsequenz aus der bisherigen Verwirklichung dieser Grundfreiheit entgegenwirken soll. Wie mit einem solchen Fall zu verfahren ist, lässt sich der bisherigen Rechtsprechung zur Wahl von Rechtsgrundlagen – soweit ersichtlich – nicht entnehmen. In den wenigen Urteilen, die zu dieser Frage vorliegen, ging es zumeist um die parallele Verfolgung zweier verschiedener Zielsetzungen oder der Regelung mehrerer Komponenten. Wie das Auseinanderfallen von Zielsetzung und Inhalt eines Rechtsaktes und deren Zuordnung zu zwei verschiedenen Rechtsgrundlagen zu lösen sind, kann somit an dieser Stelle nicht abschließend entschieden werden. Angesichts der hinsichtlich der Zielsetzungen bzw. des Inhalts bestehenden Bezüge zu beiden Rechtsgrundlagen sowie der bisherigen Rechtssetzungspraxis, gesellschaftsrechtliche Veröffentlichungspflichten auf niederlassungsrechtliche Kompetenznormen zu stützen, ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass die Kommission den Offenlegungsvorschlag ermessensmissbräuchlich auf Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV gestützt hat. 4. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Verstoß des Offenlegungsvorschlags gegen Unionsgrundrechte nicht erkennbar ist. Ob der von der Kommission gewählte Art. 50 Abs. 1, 2 Buchst. g) AEUV angesichts der steuerpolitischen Zielsetzungen der Veröffentlichungspflicht hingegen die richtige Rechtsgrundlage darstellt oder doch Art. 115 AEUV heranzuziehen wäre, lässt sich mangels einschlägiger Rechtsprechung zu einer solchen Abgrenzungsfrage nicht abschließend beantworten. – Fachbereich Europa –