© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 110/13 Vereinbarkeit des Vorschlags zur Neufassung der Tabakproduktrichtlinie mit dem Subsidiaritätsgrundsatz Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 2 Vereinbarkeit des Vorschlags zur Neufassung der Tabakproduktrichtlinie mit dem Subsidiaritätsgrundsatz Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 110/13 Abschluss der Arbeit: 2.12.2013 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Hintergründe / Stand des Gesetzgebungsverfahrens 4 2.1. Erste Beratungen im Rat und im Europäischen Parlament 5 2.2. Erfolglose Subsidiaritätsrügen 6 2.3. Fortsetzung der Beratungen im Rat und im Europäischen Parlament 6 3. Regelungsgehalt des Richtlinienvorschlags 7 4. Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsgrundsatz 9 4.1. Der Grundsatz der Subsidiarität im Recht der Europäischen Union 9 4.2. Anwendbarkeit des Subsidiaritätsgrundsatzes: Keine ausschließliche Zuständigkeit der EU 9 4.2.1. Art. 114 AEUV als mögliche Kompetenzgrundlage 11 4.2.1.1. Erstes Urteil zur Tabakwerberichtlinie (2000) 11 4.2.1.2. Urteile zur Tabakproduktrichtlinie (2002 und 2004) 12 4.2.1.3. Zweites Urteil zur Tabakwerberichtlinie (2006) 14 4.2.1.4. Aus den Urteilen des EuGH abgeleiteter Prüfungsmaßstab 15 4.2.2. Anwendung des Prüfungsmaßstabs auf die Änderungsvorschläge der Kommission 15 4.2.3. Zwischenergebnis 17 4.3. Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes 17 4.3.1. Bewertungskriterien 17 4.3.2. Begründung der Kommission 18 4.3.3. Bewertung 19 4.4. Ergebnis 20 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 4 1. Einleitung Die Herstellung, Aufmachung und Gestaltung von Verpackungen für Tabakerzeugnisse sowie deren Verkauf wird derzeit auf europäischer Ebene durch die Richtlinie 2001/37/EG1 geregelt. Sie enthält Bestimmungen zum Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidhöchstgehalt von Zigaretten, regelt die Etikettierung von Tabakverpackungen durch eine Verpflichtung zum Abdruck bestimmter Warnhinweise und verbietet den Export von nicht der Richtlinie entsprechenden Zigaretten in Drittländer. Die Europäische Kommission hat in Überarbeitung dieser Richtlinie am 19. Dezember 2012 einen „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen“ vorgelegt (im Folgenden : TPR).2 Die Überarbeitung soll insbesondere den seit 2001 aufgekommenen internationalen, wissenschaftlichen und marktwirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen. Ziel der Kommission ist, durch eine Neufassung der Tabakproduktrichtlinie das Funktionieren des Binnenmarktes der Europäischen Union (EU) zu stärken und gleichzeitig ein hohes Maß an Gesundheitsschutz zu gewährleisten.3 Die Ausarbeitung geht auf die Frage ein, ob der Vorschlag zu Reform der Tabakproduktrichtline mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Subsidiarität aus Art. 5 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) vereinbar ist. Diese Frage bleibt trotz der erfolglosen Subsidiaritätsrügen4 von Relevanz, da die nationalen Parlamente bzw. Parlamentskammern innerhalb von zwei Monaten nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens gegen den Rechtsakt im Wege der Subsidiaritätsklage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgehen können (Art. 8 Abs. 1 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (VvL) i.V.m. Art. 263 Abs. 1, 2 und 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). 2. Hintergründe / Stand des Gesetzgebungsverfahrens Der Vorschlag wird auf Art. 114 Abs. 1 AEUV gestützt. Mit Vorlage des Vorschlags hat die Kommission das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEUV) eingeleitet. 1 Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, online abrufbar unter http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2001:194:0026:0034:DE:PDF. 2 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen vom 19. Dezember 2012, KOM (2012) 788 endg. online abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/com_2012_788_de.pdf. 3 Vgl. Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher, Possible Revision of the Tobacco Products Directive 2001/37/EC, Public Consultation Document, S. 3, online abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/products/revision/index_en.htm. 4 Siehe unten 2.2. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 5 2.1. Erste Beratungen im Rat und im Europäischen Parlament Im Vorfeld der Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens wurden die von der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher der Kommission (DG SANCO) erarbeiteten Änderungsoptionen bei der Tabakproduktrichtlinie zunächst einer von externen Beratern (RAND Europe) durchgeführten Folgenabschätzung („impact assessment“) unterzogen.5 Grundlage für die Bewertung war ein von der Kommission herausgegebenes Konsultationspapier, das die Änderungsvorschläge der DG SANCO erläutert.6 Im September 2010 hat die Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren gestartet, in dem EU-Bürger, Interessenvertreter und staatliche Stellen Kommentare zu der geplanten Neufassung anbringen konnten.7 Der aus diesen Beratungen resultierende Vorschlag der Kommission war anschließend Gegenstand von Beratungen im Europäischen Parlament (EP) und des federführend zuständigen Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit des EP (ENVI).8 Der Rat hat die Beratungen des Richtlinienvorschlags in der Ratsarbeitsgruppe „Öffentliche Gesundheit“ im Januar 2013 begonnen. Am 19. Februar 2013 beschäftigte sich der Rat für Wettbewerbsfähigkeit auf Initiative Polens ebenfalls mit dem Richtlinienvorschlag, insbesondere hinsichtlich der von der Kommission zum Richtlinienentwurf vorgelegten Folgenabschätzung. Polen vertrat dabei die Auffassung, der Richtlinienentwurf berücksichtige nicht ausreichend die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Vorschlags, wie den Rückgang der Einnahmen aus dem Tabakanbau, die Folgen für die verarbeitende Industrie und den Handel sowie einen möglichen Anstieg des illegalen Handels mit Tabakprodukten.9 Da der Richtlinienvorschlag gravierende Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften einiger Mitgliedstaaten haben könne, solle auf den nächsten Tagungen des Wettbewerbsfähigkeitsrates über die zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen beraten werden. Außerdem müsse der Richtlinienvorschlag dem „Wettbewerbsfähigkeitstest “ unterzogen werden. 10 5 Vgl. die Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen, Zusammenfassung der Folgenabschätzung, SWD(2012) 453 final, deutschsprachige Zusammenfassung online abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/com_2012_788_summary_ia_de.pdf, englischsprachige Langfassung online abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/com_2012_788_ia_en.pdf. 6 Europäische Kommission, Possible Revision of the Tobacco Products Directive 2001/37/EC, Public Consultation Document, DG SANCO, S. 3, online abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobacco_consultation_en.pdf. 7 Rand Europe, Assessing the Impacts of Revising the Tobacco Products Directive, Study to support a DG Sanco Impact Assessment, Final report, September 2010, online abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobacco_ia_rand_en.pdf. 8 2012/0366(COD), online abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=en&reference=COM%282012%290788. 9 Rats-Dok. Nr. 6562/13. 10 Commission Staff Working Document, Operational Guidance for Assessing impact on sectoral Competitiveness within the Commission Impact Aaaessment System, SEC(2012)91, online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/governance/impact/key_docs/docs/sec_2012_0091_en.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 6 2.2. Erfolglose Subsidiaritätsrügen Im Rahmen der Subsidiaritätsrüge gemäß Art. 6 Abs. 1 und 7 Abs. 2 des Protokolls Nr. 2 VvL können die Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist von acht Wochen gegenüber der Kommission zum Ausdruck bringen, dass sie einen Rechtssetzungsvorschlag als mit dem Subsidiaritätsgrundsatz unvereinbar ansehen. Wenn mehr als ein Drittel der nationalen Volksvertretungen diese Subsidiaritätsrüge erheben, muss sich die Kommission erneut mit dem Vorschlag befassen. Sie muss daraufhin entscheiden, ob sie an dem Vorschlag festhalten möchte oder ob sie diesen ändert oder zurückzieht (Art. 7 Abs. 2 des Protokolls Nr. 2 VvL). Parallel zu den Beratungen in Rat und EP legten bis Ablauf der Frist am 4. März 2013 neun nationale Parlamente bzw. Kammern nationaler Parlamente mit einem Stimmenanteil von insgesamt 14 Stimmen begründete Stellungnahmen vor.11 Damit wurde das für eine Subsidiaritätsrüge notwendige Quorum von 18 Stimmen gemäß Art. 7 Abs. 2 S. 1 Protokoll Nr. 2 VvL hinsichtlich des Richtlinienentwurfs nicht erreicht.12 2.3. Fortsetzung der Beratungen im Rat und im Europäischen Parlament Am 21. Juni 2013 hat der Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO) mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit bereits eine allgemeine Ausrichtung zum Änderungsvorschlag der Tabakproduktrichtlinie angenommen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss nahm am 10./11. Juli 2013 zu dem Richtlinienvorschlag Stellung.13 Am 8. Oktober 2013 hat das EP seine erste Lesung begonnen und nahm dabei einen Großteil der vom ENVI- Ausschuss vorgelegten Änderungswünsche sowie der Änderungsanträge der Fraktionen und Abgeordnetengruppen an. Die Abstimmung über die legislative Entschließung wurde jedoch auf eine spätere Sitzung vertagt und das EP wies die Angelegenheit wieder an den ENVI-Ausschuss zurück, damit dieser eine Einigung über offen gebliebene Fragen vorbereitet. Am 23. Oktober 2013 wurden Trilogverhandlungen aufgenommen (Verhandlung der Kommission mit dem Rat und Vertretern des EP), in denen in den kommenden Monaten abschnittsweise Einigungen über die Einzelbestimmungen erzielt werden sollen. 11 Siehe hierzu die Übersicht über die abgegebenen begründeten Stellungnahmen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120788.do#dossier-COD20120366 sowie die Zusammenfassung bei Referat PE 4 (EU-Verbindungsbüro), Bericht aus Brüssel 05/2013 v. 11. März 2013, abrufbar unter http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=48723. 12 Vgl. Referat PE 4 (EU-Verbindungsbüro), Bericht aus Brüssel 05/2013 v. 11.03.2013, abrufbar unter http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=48723. 13 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, SOC/478, Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag KOM (2012) 788 endg. für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung , die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen, 2012/0366 (COD) vom 11. Juli 2013, online abrufbar unter http://eescopinions.eesc.europa.eu/EESCopinionDocument.aspx?identifier=ces\soc\soc478\ces841- 2013_00_00_tra_ac.doc&language=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 7 3. Regelungsgehalt des Richtlinienvorschlags Der Richtlinienentwurf betrifft gegenüber der Richtlinie 2001/37 insbesondere folgende Änderungen und Neuerungen: (1) Anwendungsbereich der Richtlinie Nikotinhaltige Erzeugnisse wie beispielsweise elektronische Zigaretten oder Nikotinpflaster , die bislang von den Mitgliedstaaten teils als Tabakerzeugnisse, teils als Arzneimittel behandelt wurden, werden nunmehr von der TPR erfasst. Soweit ihr Nikotingehalt unterhalb der Schwelle gem. Art. 18 Abs. 1 TPR liegt, sind sie marktfähig, müssen aber einen angepassten gesundheitsbezogenen Warnhinweis tragen. Liegt ihr Nikotingehalt oberhalb dieser Schwelle, müssen sie als Arzneimittel zugelassen sein.14 Pflanzliche Raucherzeugnisse (Nichttabakprodukte) werden nunmehr von der TPR erfasst (Art. 19 TPR). Ihre Packungen und Außenverpackungen müssen nunmehr einen angepassten gesundheitsbezogenen Warnhinweis tragen, mit denen die Verbraucher über die gesundheitsschädigenden Wirkungen der pflanzlichen Raucherzeugnisse aufgeklärt wird. Neuartige Tabakerzeugnisse sollen bestimmten Regelungen der TPR unterworfen werden (Art. 17 TPR). Zudem sieht die TPR die Einführung einer Anmeldepflicht für neuartige Tabakerzeugnisse vor. (2) Kennzeichnung und Verpackung Verpackungen von Zigaretten und Tabak zum Selbstdrehen müssen einen kombinierten textlichen und bildlichen Warnhinweis tragen, der 75 % der Vorder- und der Rückseite der Packung einnimmt, und sie dürfen keine Werbeelemente tragen. Künftig sollen kombinierte Warnhinweise, die 75% der Fläche einnehmen, in einer bestimmten Wechselfolge auf beiden Seiten von Tabakerzeugnissen erscheinen. Die Hauptseiten der Verpackungen sollen künftig kombinierte gesundheitsbezogene Warnhinweise tragen (Art. 9 TPR). Zu den bereits obligatorischen textlichen Warnhinweisen kommen bildliche Warnhinweise hinzu. Beide zusammen nehmen 75 % sowohl der vorderen als auch der hinteren Verpackungsfläche ein. Auf den Schmalseiten der Verpackungen werden die derzeitigen Informationen über Teer, Nikotin und Kohlenmonoxid durch eine Informationsbotschaft („Tabakrauch enthält über 70 Stoffe, die erwiesenermaßen krebserregend sind“) sowie einen allgemeinen Warnhinweis („Rauchen ist tödlich – hören Sie jetzt auf“) ersetzt, die beide zusammen 50 % der Fläche, einnehmen, auf die sie gedruckt werden (Art. 8 TPR). Den Mitgliedstaaten steht es frei, Vorschriften zur Vereinheitlichung der Verpackungen von Tabakerzeugnissen [auch sogenanntes „plain packaging“] beizubehalten oder aufzustellen (41. Erwägungsgrund TPR); sie dürfen nicht die Größe der Warnhinweise ändern (Art. 7 Abs. 6 TPR). 14 Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311/67, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2001L0083:20070126:de:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 8 Die Verpackungen von sonstigem Rauchtabak (Zigarren, Zigarillos und Pfeifentabak) muss lediglich mit den kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweisen gem. Art. 8 TPR beschriftet sein (Art. 10 TPR). Die bestehenden Regelungen bezüglich der zulässigen Kennzeichnung der Verpackung (beispielsweise durch (Marken-)Namen oder durch auf das Aroma bezogene Elemente) werden verschärft (Art. 12 Abs. 1, 2 S. 1 TPR). Zigaretten müssen künftig einen Durchmesser von mindestens 7,5 mm haben (Art. 12 Abs. 2 S. 1 TPR). Die TPR schreibt eine bestimmte Gestaltung der Zigarettenpackung (u.a. quaderförmig , Flip-Top-Deckel) sowie einen Mindestinhalt (20 Zigaretten) vor (Art. 13 TPR). Die Kommission wird ermächtigt, die Regelungen betreffend Kennzeichnung und Verpackung im Wege delegierter Rechtsakte zu ändern (Art. 8 Abs. 4, Art. 9 Abs. 3, Art. 10 Abs. 5, Art. 11 Abs. 3 Art. 13, Abs. 3 und 4 TPR). (3) Inhalts- und Zusatzstoffe Das bisherige Meldesystem für Inhaltsstoffe bleibt bestehen. Hinzu kommt ein einheitliches elektronisches Meldeformat und die Pflicht der Hersteller zur Vorlage von Belegen und die Herstellerinformationen werden grundsätzlich öffentlich gemacht (Art. 5 TPR). Die TPR harmonisiert die Verwendung von Zusatzstoffen in Zigaretten, Tabak zum Selbstdrehen und rauchlosen Tabak (Art. 6 Abs. 1, 4, 7 TPR). Für diese Produkte sieht sie ein Verbot des Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen mit charakteristischen Aromen (beispielsweise Menthol- oder Nelkenzigaretten) sowie ein Verbot der Verwendung bestimmter Zusatzstoffe, mit denen man Energie und Vitalität verbindet oder solche mit erhöhter toxischer oder suchterzeugender Wirkung. In Filtern, Papieren oder Packungen dürfen weder Tabak noch Aromastoffe verwendet werden (Art. 6 Abs. 5 TPR). Sonstiger Rauchtabak (Zigarren, Zigarillos und Pfeifentabak) darf lediglich keine Zusatzstoffe mit erhöhter toxischer oder suchterzeugender Wirkung enthalten (Art. 6 Abs. 10 TPR). Die Kommission wird ermächtigt, die Regelungen betreffend Zusatzstoffe im Wege delegierter Rechtsakte zu ändern (Art. 6 Abs. 8-10 TPR). (4) Rückverfolgbarkeit der Tabakprodukte Die TPR sieht die Einführung eines Rückverfolgungssystems entlang der Lieferkette und von Sicherheitsmerkmalen vor. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass in der EU nur Produkte verkauft werden, die den Bestimmungen der TPR genügen (Art. 14 TPR). Die Mitgliedstaaten müssen unter Wahrung der relevanten Datenschutzvorschriften dafür Sorge tragen, dass die Hersteller von Tabakerzeugnissen entsprechende Datenspeicherverträge mit unabhängigen Dritten schließen. Dies soll die Unabhängigkeit dieses Systems, die volle Transparenz und die dauernde Zugriffsmöglichkeit der Mitgliedstaaten und der Kommission sicherstellen. Die Kommission wird ermächtigt, die Regelungen betreffend die Kernelemente der Rückverfolgbarkeit und der Sicherheitsmerkmale im Wege delegierter Rechtsakte zu ändern (Art. 14 Abs. 9 TPR). (5) Grenzüberschreitender Fernabsatz Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 9 Die TPR sieht eine Meldepflicht für Einzelhändler von Tabakerzeugnissen vor, die im grenzüberschreitenden Fernabsatz tätig werden wollen. Die Meldepflicht soll durch bestimmte, den Mitgliedstaaten überantwortete Maßnahmen die Richtlinienkonformität im Fernabsatz sicherstellen (Art. 16 TPR). Vorgesehen ist auch ein obligatorisches Altersüberprüfungssystem. Personenbezogene Daten unterliegen besonderem Schutz (Art. 16 Abs. 5 TPR). 4. Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsgrundsatz 4.1. Der Grundsatz der Subsidiarität im Recht der Europäischen Union Das Subsidiaritätsprinzip ist in Art. 5 Abs. 3 UAbs.1 EUV festgelegt. Es stellt eine Regel über die Kompetenzausübung der EU dar. Dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 UAbs.1 EUV entsprechend findet der Subsidiaritätsgrundsatz nur insoweit Anwendung, wie die EU zwar grundsätzlich, aber nicht ausschließlich zuständig ist (hierzu sogleich 4.2.). In den Bereichen der zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeiten darf die EU nur dann tätig werden, sofern und soweit die Mitgliedstaaten die verfolgten Ziele nicht ausreichend verwirklichen können, sondern diese vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind (hierzu sogleich 4.3.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Maßnahmen der EU nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 4 EUV) inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinausgehen dürfen.15 4.2. Anwendbarkeit des Subsidiaritätsgrundsatzes: Keine ausschließliche Zuständigkeit der EU Zunächst ist festzustellen, ob die EU bei der Reform der Tabakproduktrichtlinie im Rahmen einer ausschließlichen oder geteilten Zuständigkeit handelt. Die EU ist nur in solchen Bereichen zum Handeln befugt, in denen ihr entsprechende Zuständigkeiten übertragen worden sind (Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 5 Abs. 2 EUV). Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) muss sich im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Union die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen.16 Beinhaltet ein Rechtsakt mehrere materielle Regelungsgehalte, so ist diejenige Rechtsgrundlage zu wählen, die im überwiegenden Maße betroffen ist.17 Sind diese Materien gleichrangig, so muss der Vorschlag auf die jeweiligen Rechtsgrundlagen gleichzeitig gestützt werden, sofern die Gesetzgebungsverfahren miteinander 15 Zu der Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Grundsatzes der Subsidiarität vgl. Vermerk PA 1 – 7320 (Verfahren der Subsidiaritätskontrolle im Bundestag), Anlage 1, im Intranet abrufbar unter http://www.bundestag.btg/Wissen/Europa/Subsidiaritaetsvermerk_neu.pdf. 16 EuGH, Rs. C-137/05 (Vereinigtes Königreich/Rat), Rn. 56; EuGH, Rs. C-300/89 (Titandioxid), Rn. 10. 17 EuGH, Rs. C-301/06 (Irland/Europäisches Parlament und Rat), Rn. 85; EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 94. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 10 kompatibel sind.18 Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Rechtsgrundlagen dieselben Verfahrensvoraussetzungen vorsehen oder ein Verfahren auch die Voraussetzungen des anderen in Frage kommenden Verfahrens umfasst.19 Andernfalls müssen die Regelungsgehalte in getrennten Verfahren verabschiedet werden. Maßgeblich für die Frage der richtigen Rechtsgrundlage sind insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts.20 Diesbezüglich liegt bei allen Änderungsvorschlägen der Tabakproduktrichtlinie ein gesundheitspolitisch motiviertes Ziel nahe. Der Richtlinienvorschlag bringt gleichermaßen die Absicht zum Ausdruck, auf ein besseres Funktionieren des EU-Binnenmarkts hinzuwirken (vgl. 3. und 4. Erwägungsgrund der Präambel der TPR). Mit entsprechender Begründung ist die Tabakproduktrichtlinie 2001/37/EG ursprünglich auf Art. 95 EGV (Binnenmarktkompetenz) und Art. 133 EGV (Gemeinsame Handelspolitik) gestützt worden. Der EuGH entschied in einem späteren Urteil zur Tabakproduktrichtlinie, dass Art. 95 EGV die einzige zutreffende Rechtsgrundlage der Richtlinie sei und diese zu Unrecht auch Art. 133 EGV als Rechtsgrundlage anführe .21 Entsprechend der Vorgängerregelung stützt sich der Richtlinienvorschlag ebenfalls auf die Rechtsgrundlage von Art. 114 AEUV (ehemals Art. 95 EGV). Bezüglich der Vorgängerregelung hat der EuGH entschieden, dass ein Sekundärrechtsakt auch bei einem engen Bezug zum Gesundheitsschutz auf (nunmehr) Art. 114 AEUV gestützt werden kann.22 Die Anwendung dieser Norm wird nicht durch Art. 168 Abs. 5 AEUV (Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Tabakkonsum) ausgeschlossen, wonach die EU-Organe nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren u. a. „Maßnahmen, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit vor Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch zum Ziel haben“, erlassen können. Dies dürfen sie jedoch nur „unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten“ (Harmonisierungsverbot). Bislang wurde das Harmonisierungsverbot so verstanden , dass auf der Grundlage der Vorgängerregelung von Art. 168 Abs. 5 AEUV (Art. 152 Abs. 4 lit. c) EGV) „normative, verbindliche Eingriffe in die von Art. 152 erfassten Bereiche des Gesundheitswesens ganz allgemein ausgeschlossen sein“ sollen. Da sich das Harmonisierungsverbot als solches mit dem Vertrag von Lissabon nicht geändert hat, ist davon auszugehen, dass diese Auslegung auch weiterhin Geltung beanspruchen kann.23 Zulässig sind auf Grundlage von Art. 168 Abs. 5 AEUV weiterhin nur reine Unterstützungsmaßnahmen, wie typischerweise Aktionsprogramme , der Aufbau von Netzwerken und die Einrichtung spezieller Institutionen. Die projektierten Änderungen der Tabakproduktrichtlinie ließen sich demnach nicht auf Art. 168 Abs. 5 AEUV stützen, da es sich bei den von der Kommission vorgestellten Änderungsoptionen 18 EuGH, Rs. C-165/87 (Kommission/Rat), Rn. 11; EuGH, Rs. C-300/89 (Titandioxid), Rn. 17 f. 19 EuGH, Rs. C-178/03 (Kommission/Europäisches Parlament und Rat), Rn. 56 ff. 20 Vgl. EuGH, Rs. C-269/97 (Kommission/Rat), Rn. 42; EuGH, Rs. C-36/98 (Spanien/Rat), Rn. 58. 21 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 95 22 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 75, 78. 23 Vgl. BT-Drs. 16/8300, S. 181; Michel/Last, Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor Tabakkonsum im Vertrag von Lissabon, WD 11/3000-140/08, S. 6. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 11 nicht um reine Unterstützungsmaßnahmen handeln würde. Jedoch hat der Ausschluss von Art. 168 Abs. 5 AEUV als Kompetenzgrundlage keine Sperrwirkung für die Heranziehung anderer möglicher Rechtsgrundlagen, wie etwa Art. 114 AEUV. Ebenso ist auch eine Harmonisierung nach anderen Vorschriften nicht ausgeschlossen, solange deren Voraussetzungen vorliegen.24 Im Folgenden werden die Voraussetzungen des Art. 114 AEUV und ihre Anwendbarkeit auf die projektierten Regelungsgegenstände der TPR dargestellt. 4.2.1. Art. 114 AEUV als mögliche Kompetenzgrundlage Grundsätzlich können gesundheitsschutzrelevante Maßnahmen auch auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV gestützt werden. Art. 114 AEUV regelt die Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten mit dem Ziel der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarkts (Abs. 1). Gem. Art. 114 Abs. 3 AEUV geht die Kommission bei ihren Vorschlägen im Bereich des Binnenmarkts aber auch explizit von einem hohen Schutzniveau u. a. im Bereich des Gesundheits- und Verbraucherschutzes aus und berücksichtigt bei ihren Vorschlägen alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen. Voraussetzung für das Stützen eines Unionsrechtsakts auf die Binnenmarktkompetenz ist der Binnenmarktbezug . Die Maßnahme muss also den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern. Soweit diese Voraussetzung für die Anwendung des Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage erfüllt sind, steht nach der Rechtsprechung des EuGH auch „nicht entgegen, dass dem Gesundheitsschutz bei den zu treffenden Entscheidungen maßgebende Bedeutung zukommt“.25 Zu untersuchen ist demnach, ob den anvisierten Änderungsoptionen der erforderliche Binnenmarktbezug zukommt. Zu der Frage des Binnenmarktbezugs von Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit gegenüber dem Tabakkonsum hat der EuGH bereits verschiedene Urteile gefällt.26 Aus diesen Urteilen können ggf. Rückschlüsse gezogen werden. 4.2.1.1. Erstes Urteil zur Tabakwerberichtlinie (2000) Im Jahr 2000 hat der EuGH die sogenannte Tabakwerberichtlinie27 auf Klage der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.28 Die Richtlinie war u. a. auf der Grundlage von Art. 95 EGV (Binnenmarktkompetenz) erlassen worden und enthielt ein auf gesundheitspolitischen Motiven beruhendes gemeinschaftsweites absolutes Verbot jeder Form von Werbung und Sponsoring zu 24 Vgl. Kotzur, in: Geiger/Kahn/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 168 AEUV, Rn. 10. 25 EuGH, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 88. 26 Vgl. Ludwigs, Art. 95 EG als allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes oder als „begrenzte Einzelermächtigung “?, EuZW 2006, S. 417 ff. 27 Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen , ABl. 1998 L 213/9. 28 EuGH, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 12 Gunsten von Tabakerzeugnissen. Der EuGH stellte fest, dass die Tabakwerberichtlinie von der Kompetenznorm des Art. 95 EGV nicht gedeckt sei. Er unterzog die Tabakwerberichtlinie hierfür einem zweistufigen Test29: Um die Binnenmarktkompetenz als Rechtsgrundlage heranzuziehen, sei erstens ein Binnenmarkthemmnis erforderlich. Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital (sogenannte Grundfreiheiten ) gewährleistet ist (Art. 26 Abs. 2 AEUV). Ein Binnenmarkthemmnis wäre folglich gegeben, wenn es darum gehen würde, Hindernisse für die Verwirklichung der Grundfreiheiten zu beseitigen, die sich aus den Unterschieden in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ergeben. Ein Binnenmarkthemmnis könnte nach der Rechtsprechung des EuGH des Weiteren zu bejahen sein, wenn auf Unterschieden in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten beruhende Wettbewerbsverfälschungen bestehen.30 Zweitens müssten die beabsichtigten Harmonisierungsmaßnahmen tatsächlich den Zweck haben, die vom Gemeinschaftsgesetzgeber verfolgten Zwecke zu verfolgen (Effektivitätsgebot ).31 Bezogen auf die konkrete Richtlinie kam der EuGH zum Schluss, dass zumindest ein Verbot von Werbung auf Plakaten, auf Sonnenschirmen, Aschenbechern und sonstigen in Hotels, Restaurants und Cafés verwendeten Gegenständen sowie das Verbot von Werbespots im Kino nicht auf Art. 95 EGV gestützt werden könne. Denn diese Verbote förderten den Handel mit den betroffenen Erzeugnissen nicht.32 Die Richtlinie wurde dementsprechend für nichtig erklärt. 4.2.1.2. Urteile zur Tabakproduktrichtlinie (2002 und 2004) Die Tabakproduktrichtlinie 2001/37/EG stand im Jahr 2002 erstmals auf dem Prüfstand des EuGH.33 Auf ein Vorabentscheidungsverfahren, initiiert von Großbritannien, hatte sich der EuGH erneut mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Art. 95 EG eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Tabakproduktrichtlinie ist. Es wurde geltend gemacht, dass die Richtlinie nicht bezwecke, den freien Verkehr mit Tabakerzeugnissen in der Gemeinschaft sicherzustellen, sondern der Harmonisierung der nationalen Vorschriften über den Schutz der Gesundheit gegenüber dem Tabakkonsum diene, wofür die Gemeinschaft nicht zuständig sei. Der EuGH kam zu dem Ergebnis , dass die Richtlinie tatsächlich der Verbesserung der Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarkts diene und daher auf der Grundlage von Art. 95 EGV erlassen werden durfte, ohne dass dem die Tatsache entgegensteht, dass dem Gesundheitsschutz bei den Entscheidungen im Zusammenhang mit den von der Richtlinie festgelegten Maßnahmen entscheidende Bedeutung 29 Koenig/Kühling, Der Streit um die neue Tabakproduktrichtlinie, EWS 2002, S. 12 (17); Görlitz, EU- Binnenmarktkompetenzen und Tabakwerbeverbote, Kompetenzrechtliche Anmerkungen zur neuen Richtlinie über Werbung und Sponsoring zu Gunsten von Tabakerzeugnissen, EuZW 2003, S. 485 (486 ff.). 30 EuGH, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 90; EuGH, Rs. 350/92 (Spanien/Rat), Rn. 32. 31 EuGH, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 85. 32 EuGH, Rs. C-376/98 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 99. 33 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 13 zukommt.34 Das Eingreifen der Rechtsetzungsbefugnis des Art. 95 EGV wird dabei anhand der im Ersten Tabakwerbeurteil entwickelten Voraussetzungen geprüft. Danach muss die Richtlinie die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern, d. h. den Zweck haben, Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder Wettbewerbsverzerrungen abzustellen.35 Konkret führt der EuGH aus, dass der Markt für Tabakerzeugnisse und insbesondere für Zigaretten ein Markt sei, auf dem der Handel zwischen den Mitgliedstaaten eine verhältnismäßig wichtige Rolle spiele . Die nationalen Vorschriften über die Anforderungen, denen Erzeugnisse entsprechen müssen, insbesondere die hinsichtlich ihrer Bezeichnung, Zusammensetzung und Etikettierung, seien in Ermangelung einer gemeinschaftsweiten Harmonisierung von Natur aus geeignet, den freien Warenverkehr , zu behindern.36 Entsprechende, den Handel hemmende Unterschiede zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen seien zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie bereits aufgetreten oder nach aller Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen.37 Damit diene die Tabakproduktrichtlinie im Gegensatz zur verworfenen Ersten Tabakwerberichtlinie tatsächlich der Verbesserung der Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarktes. Denn sie verbiete den Mitgliedstaaten , sich der Einfuhr, dem Verkauf und dem Konsum von Tabakerzeugnissen, die den Anforderungen der Richtlinie entsprechen, zu widersetzen (sog. Freiverkehrsklausel).38 In seinen weiteren Ausführungen verwässert der EuGH jedoch die von ihm selbst aufgestellten Kriterien: Die Tatsache, dass es bereits eine Gemeinschaftsvorschrift gebe, die die Beseitigung eines Handelshemmnisses auf dem von ihr harmonisierten Gebiet gewährleiste, könne den Gemeinschaftsgesetzgeber nicht daran hindern, diese Vorschrift aus anderen Erwägungen anzupassen .39 Bzgl. des Gesundheitsschutzes ergebe sich aus Art. 95 Abs. 3 EGV, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber ein hohes Schutzniveau gewährleisten müsse. Der Gemeinschaftsgesetzgeber verfüge über ein Ermessen, über das er auch andere Erwägungen wie die zunehmende politische und soziale Bedeutung des Kampfs gegen den Tabakkonsum berücksichtigen dürfe.40 In zwei weiteren Urteilen zur Tabakproduktrichtlinie aus dem Jahr 2004 hat sich der EuGH mit der Frage beschäftigt, ob das in der Richtlinie enthaltene Verbot des Verkaufs von Tabak für den oralen Gebrauch auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 95 EGV gestützt werden konnte.41 Der EuGH bejaht diese Frage: Auch bzgl. des Verbots des Verkaufs von Tabakprodukten für den oralen Gebrauch in den Mitgliedstaaten gäbe es unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsvor- 34 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 75. 35 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 60. 36 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 64. 37 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 65. 38 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 74. 39 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 78. 40 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 80. 41 EuGH, Rs. C-434&02 (Arnold André), Rn. 37 ff.; EuGH, Rs. C-210/03 (Swedish Match). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 14 schriften. Da der Markt für Tabakerzeugnisse ein Markt sei, auf dem der Handel zwischen Mitgliedstaaten eine verhältnismäßig wichtige Rolle spiele, trügen diese Vermarktungsverbote zu einer heterogenen Entwicklung dieses Marktes bei und seien geeignet, Hindernisse für den freien Warenverkehr darzustellen.42 Letztlich stellt der EuGH damit pauschal auf den grenzüberschreitenden Handel von Tabakprodukten ab. Die Antwort auf die Frage, inwieweit ein Produktverbot ohne erkennbare handelsbelebende Wirkung zu einer Verbesserung des Verkehrs mit den betroffenen Erzeugnissen beitragen könne, bleibt so im Dunkeln.43 4.2.1.3. Zweites Urteil zur Tabakwerberichtlinie (2006) Anstelle der für nichtig erklärten ersten Tabakwerberichtlinie wurde 2003 eine überarbeitete Richtlinie über Tabakwerbung44 erlassen, die ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des ausreichenden Binnenmarktbezugs vom EuGH geprüft wurde.45 Die Zweite Tabakwerberichtlinie verzichtet im Vergleich zur Richtlinie von 1998 auf ein totales Werbeverbot von Tabakerzeugnissen. Verboten ist Tabakwerbung in Rundfunkprogrammen, Zeitungen, Zeitschriften und im Internet; untersagt ist auch das Sponsoring von Rundfunkprogrammen. Ausgenommen sind jedoch Publikationen , die sich ausschließlich an Beschäftigte im Tabakhandel richten und solche, die nicht primär für den gemeinschaftlichen Binnenmarkt bestimmt sind. Weiterhin erlaubt ist Tabakwerbung in sogenannten Rauchergenussmagazinen, die sich ausschließlich an Raucher wenden. In seiner Würdigung führte der EuGH aus, dass zwar eine bloße Feststellung von Unterschieden zwischen nationalen Regelungen nicht ausreiche, um eine Maßnahme auf Art. 95 EGV zu stützen , doch im Fall von Unterschieden, „die geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken, etwas anderes“ gelte.46 Der Handel mit Presse- und anderen Druckerzeugnissen sowie die werbende Tätigkeit in den Medien der Informationsgesellschaft und des Rundfunks habe grenzüberschreitenden Charakter. Angesichts divergierender Vorschriften über die Tabakwerbung in den einzelnen Mitgliedstaaten stelle ein einheitliches Verbot der Werbung sicher, dass der Handel mit Druckerzeugnissen und der freie Verkehr von Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten nicht aufgrund nationaler Vorschriften behindert werde.47 Unerheblich sei, dass die Verbote auch für nationale oder lokale Werbeträger ohne grenzüberschreitende Wirkung gelten würden und dass nicht für jede Situation, die von einer auf Art. 95 EGV gestützten Maßnahme erfasst sei, ein 42 EuGH, Rs. C-434&02 (Arnold André), Rn. 39. 43 Vgl. Ludwigs, Art. 95 EG als allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes oder als „begrenzte Einzelermächtigung “?, EuZW 2006, S. 417 ff. 44 Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, ABl. 2003 L 152/16, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2003:152:0016:0019:DE:PDF. 45 EuGH, Rs. C-380/03 (Deutschland/Parlament und Rat). 46 EuGH, Rs. C-380/03 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 37. 47 EuGH, Rs. C-380/03 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 69 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 15 tatsächlicher Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten bestehen müsse, sofern die Maßnahme – wie vorliegend – tatsächlich die Marktbedingungen verbessere.48 Nach ständiger Rechtsprechung könne der Gemeinschaftsgesetzgeber bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Art. 95 EGV einen Rechtsakt auf diese Grundlage stützen , auch wenn dem Gesundheitsschutz maßgebliche Bedeutung zukomme. 4.2.1.4. Aus den Urteilen des EuGH abgeleiteter Prüfungsmaßstab Die erste Voraussetzung, die nach den bisherigen Urteilen des EuGH für ein Zurückgreifen auf die Binnenmarktkompetenz erfüllt sein muss, ist das Bestehen unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedstaaten. Aus diesen bestehenden unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedstaaten müsste sich wiederum ein Binnenmarkthindernis ergeben, was nach den Urteilen des EuGH vorliegt, wenn Grundfreiheiten beeinträchtigt werden oder Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Schließlich kann ein Rechtsakt auf Art. 114 AEUV (ex-Art. 95 EGV) gestützt werden, wenn er maßgeblich der Harmonisierung der nationalen Vorschriften über den Schutz der Gesundheit gegenüber dem Tabakkonsum dient, solange damit zugleich das Funktionieren des Binnenmarkts verbessert wird. 4.2.2. Anwendung des Prüfungsmaßstabs auf die Änderungsvorschläge der Kommission Im Folgenden wird auf Basis des vorstehenden Prüfungsmaßstabs ermittelt, ob Art. 114 AEUV für die Einführung der projektierten Regelungen Kompetenzgrundlage sein kann. Anwendungsbereich der Richtline: In den Mitgliedstaaten gibt es seit den letzten Jahren eine starke Diversifizierung des Marktes von Tabakprodukten. Neben den herkömmlichen Tabakprodukten ist mittlerweile auch ein Anstieg des Angebots von neuartigen Tabakprodukten wie z. B. Wasserpfeifen, elektronische Zigaretten oder Kräuterzigaretten zu verzeichnen. Die gegenwärtigen Regelungen der Tabakproduktrichtlinie sind auf diese Produktvarianten nicht anwendbar. Für die neuen Produkte gibt es zwar zum Teil nationale gesetzliche Regelungen. Diese variieren aber zwischen den Mitgliedstaaten. Denkbar ist, dass die Einführung einheitlicher Bestimmungen für neuartige Tabakprodukte auf EU-Ebene zugleich auch positive Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel und damit auf das Funktionieren des EU-Binnenmarktes hätten. Art. 114 AEUV käme insoweit als Kompetenzgrundlage in Betracht. Kennzeichnung und Verpackung: Abschreckende Bilder auf Zigarettenverpackungen informieren Untersuchungen zufolge den Verbraucher besser über die mit dem Rauchen verbundenen Risiken als rein schriftliche Warnhinweise. Eine solche Maßnahme würde daher das Ziel verfolgen, den Gesundheitsschutz zu verbessern. Gleiches gilt für die Einführung von Einheitsverpackungen. Diese könnten weniger attraktiv auf Verbraucher wirken, zumal die über die bisherigen Verpackungsdesigns vermittelten Botschaften entfielen. Die Verkaufsmenge von Zigaretten in Einheitsverpackungen mag in der Folge schneller abnehmen und damit positive Auswirkungen auf den Gesundheitsschutz haben. Den Abdruck von abschreckenden Bildern auf Zigarettenverpackungen haben bislang einige Mitgliedstaaten vorgeschrieben, in anderen Mitgliedstaaten bestehen derartige Vorgaben nicht. Durch die Einführung einheitlicher Regelungen für das äußere Design 48 EuGH, Rs. C-380/03 (Deutschland/Parlament und Rat), Rn. 80. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 16 von Zigarettenverpackungen wären die betroffenen Hersteller nicht gehalten, den jeweiligen nationalen Bestimmungen angepasste Verpackungsdesigns zu produzieren. Zumindest unter diesem Aspekt ließe sich vertreten, dass die Funktionsweise des Binnenmarkts gestärkt werden soll, sodass eine Heranziehung von Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage möglich erscheint. Inhalts- und Zusatzstoffe: Die Regelungen zur Offenlegung und Registrierung von Zusatzstoffen in Tabakprodukten sind gegenwärtig von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden. Diese Tatsache führt zu Problemen bei der Auswertung der Daten durch nationale Behörden. Zugleich ist den Tabakherstellern und -importeuren aufgrund der unterschiedlichen Berichtsformate die Bereitstellung von Informationen erschwert. Eine Vereinheitlichung der Offenlegung und Registrierung von Inhaltsstoffen erscheint demnach geeignet, das Funktionieren des EU-Binnenmarktes zu erleichtern. Eine Heranziehung von Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage erscheint damit möglich. Dies gilt gleichermaßen für die Verwendung von Zusatzstoffen in Tabakprodukten. Diesbezüglich bestehen zwischen den Mitgliedstaaten ebenfalls uneinheitliche nationale Regelungen . Entsprechend existieren national variierende Positiv- und Negativlisten. In der Folge können Zusatzstoffe, die Tabakprodukten in einem Mitgliedstaat zugeführt werden dürfen, in anderen Mitgliedstaaten verboten sein. Eine daher für jeden Mitgliedstaat vorzunehmende Neuanpassung des Tabakprodukts in Bezug auf seine Zusatzstoffe legt den Schluss nahe, dass der Warenverkehr in dieser Hinsicht nur erschwert möglich ist. Eine einheitliche Regelung in der EU, die in allen Mitgliedstaaten die gleichen Zusatzstoffe erlaubt bzw. verbietet, würde somit das Funktionieren des EU-Binnenmarktes positiv beeinflussen. Rückverfolgbarkeit: In den Mitgliedstaaten existiert kein einheitliches System für die Verifizierung der Echtheit von Tabakprodukten und ihre Rückverfolgbarkeit. Die Regelung zielt ab auf eine Kohärenz der verschiedenen nationalen Bestimmungen für die Rückverfolgbarkeit mit sekundärrechtlichen Bestimmungen betreffend den Datenschutz. Dadurch werden gleiche Ausgangsbedingungen für die verschiedenen am Handel mit Tabakprodukten beteiligten Akteure geschaffen und eine einheitliche Marktüberwachung ermöglicht, die letztlich den Verbrauchern grenzüberschreitend die Prüfung der Echtheit der Tabakprodukte erleichtert. Mit Blick auf die Erleichterung des Binnenmarktes, die mit der Schaffung eines einheitlichen Systems einhergeht, scheint eine Heranziehung von Art. 114 AEUV als Ermächtigungsgrundlage möglich. Grenzüberschreitender Fernabsatz: Bislang besteht kein einheitliches System für den Fernabsatz von Tabakprodukten. Vielmehr unterliegen derartige Geschäfte den divergierenden nationalen Vorschriften über den Verkauf von Tabakprodukten. Mit der projektierten Regelung wird ein einheitliches System zur Sicherstellung der Richtlinienkonformität der im Fernabsatz gehandelten Tabakprodukte geschaffen sowie ein einheitliches System der Altersprüfung eingerichtet. Nach Ansicht der Kommission wird durch diese Maßnahmen grenzüberschreitendes, legales Handeln erleichtert, ohne Absatzkanäle zu sperren:49 Den Verbrauchern werde der rechtmäßige Zugang zu Tabakprodukten erleichtert, die auf dem heimischen Markt nicht angeboten werden, und es würden Binnenmarkteffekte verstärkt, indem Käufe von nicht richtlinienkonformen Erzeugnissen vermieden werden. Entsprechend dieser Begründung des Richtlinienvorschlags dient die Regelung der Erleichterung des Binnenmarktes, sodass eine Heranziehung von Art. 114 AEUV als Ermächtigungsgrundlage möglich erscheint. 49 KOM (2012) 788 endg., S. 10. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 17 4.2.3. Zwischenergebnis Als erste Einschätzung lässt sich festhalten, dass für die Änderungsvorschläge insgesamt Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage in Betracht kommt. Damit besteht eine geteilte, aber keine ausschließliche Zuständigkeit der Union für den Regelungsbereich des Richtlinienvorschlags, sodass die Grundsätze der Subsidiarität umfassend auf den Vorschlag Anwendung finden. 4.3. Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes 4.3.1. Bewertungskriterien Die EU darf in Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können, sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Unionsebene zu verwirklichen sind.50 Um entscheiden zu können, ob der Richtlinienvorschlag im Einklang mit dem Subsidiaritätsgrundsatz erlassen werden kann, ist zunächst zu prüfen, ob das Ziel der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Unionsebene besser erreicht werden kann. Die fraglichen Maßnahmen müssen zur Erfüllung des Kriteriums der besseren Verwirklichung auf Unionsebene aufgrund ihrer Größenordnung oder ihrer Auswirkungen im Verhältnis zu einem Tätigwerden auf der mitgliedstaatlichen Ebene deutliche Vorteile erbringen. Umgekehrt darf die Union ihre Befugnisse im Bereich der geteilten Zuständigkeiten dann nicht umfassend ausüben, wenn der zusätzliche Integrationsgewinn minimal, der Eingriff in die verbliebenen Zuständigkeitsbereiche der Mitgliedstaaten jedoch beträchtlich ist. Dies wirft die Frage auf, ob die vorgeschlagene Novelle der Tabakproduktrichtlinie auf EU-Ebene tatsächlich zu einem Mehrwert gegenüber einer Regelung auf der Ebene der Mitgliedstaaten führt. Die Feststellung, dass das Ziel der Maßnahme besser auf Unionsebene erreicht werden kann, muss auf Grundlage der gemäß Art. 5 S.1 und 4 des Protokolls Nr. 2 VvL erforderlichen, „auf qualitativen und, soweit möglich, quantitativen Kriterien“ beruhenden Begründung des Gesetzesentwurfs erfolgen. In diesem Rahmen muss die Gesetzesbegründung berücksichtigen, dass die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der EU, der nationalen Regierungen, der regionalen und lokalen Behörden, der Wirtschaftsteilnehmer und der Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen müssen (Art. 5 S. 5 des Protokolls Nr. 2 zum VvL). Ausgehend von diesen Kriterien wird ein Mehrwert in dem Sinne, dass das Ziel aufgrund des Umfangs und der Wirkungen der in Betracht gezogenen Maßnahmen besser auf Unionsebene erreicht werden kann, dann als „offensichtlich“ angesehen, wenn der Regelungsgegenstand durch unmittelbare Auswirkungen auf den Handel dem Funktionieren des Binnenmarktes dient.51 Eine bessere Verwirklichung auf Unionsebene ist damit jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Maß- 50 EuGH, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04 (Alliance for Natural Health), Rn. 101. 51 EuGH, Rs. C-377/98 (Niederlande/Parlament und Rat), Rn. 32. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 18 nahme die Beseitigung von Hemmnissen bezweckt, die sich aus den unterschiedlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten im Regelungsbereich des Gesetzgebungsvorhabens ergeben oder wenn zu erwarten ist, dass bei einer Regelung durch die Mitgliedstaaten eine ungleichartige Entwicklung fortbestehen würde.52 4.3.2. Begründung der Kommission Ausgehend von vorstehenden Kriterien ist zu prüfen, ob das mit dem Richtlinienvorschlag verfolgte Ziel besser auf Unionsebene erreicht werden kann. Die Kommission begründet ihren Vorschlag insbesondere damit, dass die Mitgliedstaaten in den noch nicht harmonisierten Bereichen unterschiedliche Ansätze verfolgten, was den Binnenmarkt beeinträchtige. Die Uneinheitlichkeit der Regeln wie beispielsweise im Hinblick auf Kennzeichnung und Inhaltsstoffe der Tabakprodukte führe dazu, dass die Industrie für unterschiedliche Märkte unterschiedliche Produkte herstellen müsse. In wiederum bereits harmonisierten Bereichen könnten die Mitgliedstaaten nicht unilateral tätig werden, auch wenn sie gesundheitsfördernde Maßnahmen ergreifen möchten, da ihnen das bestehende Unionsrecht in Form der TRL zu wenig Spielraum ließe. Darüber hinaus könnten die Mitgliedstaaten eigene Regeln im Bereich des Internethandels wie beispielsweise zum gesetzlichen Mindestalter für den Tabakkauf nicht durchsetzen, wenn andere Mitgliedstaaten keine solchen Regeln einführten. Auch eine Rückverfolgung von Tabakerzeugnissen ließe sich auf nationaler Ebene nicht ausreichend effektiv umsetzen . Aufgrund dieser dargelegten Heterogenität bestünden Handelshemmnisse, die das Funktionieren eines Binnenmarkts behinderten, die es abzuschaffen gelte. Für die einzelnen Regelungen wird die Begründung folgendermaßen präzisiert: Die Verschärfung der bestehenden Meldepflichten zu Inhaltsstoffen und Emissionen soll i.S.d. Art. 114 Abs. 3 AEUV einen hohen Gesundheitsschutz gewährleisten.53 Ein verpflichtend einheitliches Formular für die Meldung von Inhaltsstoffen und Emissionen sei geboten, weil die derzeit verwendeten unterschiedlichen Meldeformulare es den Herstellern und Importeuren erschwerten, ihren Meldepflichten nachzukommen; außerdem führte dies für die Mitgliedstaaten und die Kommission zu einem hohen Aufwand, die eingehenden Informationen zu vergleichen , zu analysieren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.54 Die vorgeschlagenen Regelungen zu Inhaltsstoffen und Emissionen sollen ausweislich der Begründung zu gleichen Ausgangsbedingungen führen. Das Fehlen eines harmonisierten Ansatzes für die Regelung der Inhaltsstoffe behindere das Funktionieren des Binnenmarktes und des freien Warenverkehrs in der EU.55 52 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 181; EuGH, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04 (Alliance for Natural Health), Rn. 104 ff.; EuGH, Rs. C-176/09 (Luxemburg/Parlament und Rat), Rn. 76 ff. 53 12. Erwägungsgrund KOM (2012) 788 endg. 54 13. Erwägungsgrund KOM (2012) 788 endg. 55 14. Erwägungsgrund KOM (2012) 788 endg. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 19 Die bestehenden Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Vorschriften zur Kennzeichnung von Tabakerzeugnissen, namentlich zu den kombinierten gesundheitsbezogenen Warnhinweisen und zu den Informationen über Rauchentwöhnungsangebote und Werbeelemente in und auf Packungen, könnten Handelshemmnisse darstellen und das Funktionieren des Binnenmarktes für Tabakerzeugnisse behindern. Ohne unionseinheitliche Regelungen würden sich nach Einschätzung der Kommission diese Unterschiede künftig noch vergrößern.56 Die Einführung eines EU-Systems für die Verfolgung und Rückverfolgung von Packungen von Tabakerzeugnissen entlang der Lieferkette sorge für eine Weiterentwicklung des Binnenmarktes für Tabakerzeugnisse. Für die verschiedenen Marktakteure würden gleiche Ausgangsbedingungen geschaffen. Dieses System erleichtere eine Marktüberwachung und diene den Informationsmöglichkeiten der Verbraucher.57 Ein EU-einheitliches Meldesystem im grenzüberschreitenden Fernabsatz von Tabakwaren erleichtere den grenzüberschreitenden Verkauf von Tabakerzeugnissen im Fernabsatz sowie den Zugang zu nicht auf dem heimischen Markt angebotenen Tabakprodukten. Zudem fördere ein solches System die Einhaltung der Tabakgesetzgebung und verstärke den Binnenmarkteffekt, indem Käufe von nicht richtlinienkonformen Erzeugnissen vermieden würden.58 Neuartige Tabakerzeugnisse würden EU-weit verbindlichen Regelungen unterworfen, damit auch für diese Produkte gleiche Ausgangsbedingungen gewährleistet sind.59 Die bestehenden unterschiedlichen Regelungsansätze der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Gesundheits - und Sicherheitsaspekte nikotinhaltiger Erzeugnisse wirkten sich insbesondere im Hinblick auf den erheblichen Umfang des grenzüberschreitenden Fernabsatzes negativ auf das Funktionieren des Binnenmarkts aus.60 EU-weit einheitliche Kennzeichnungsbestimmungen für pflanzliche Raucherzeugnisse dienen dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes und der besseren Information der Verbraucher . 4.3.3. Bewertung In einer Gesamtbetrachtung dürfte der Richtlinienvorschlag den durch den EuGH konkretisierten Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips und den hierbei zu beachtenden Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Die vorgeschlagenen Regelungen sollen die divergierenden mitgliedstaatlichen Regelungen für die Aufmachung und Gestaltung von Verpackungen für Tabakerzeugnisse sowie deren Verkauf vereinheitlichen und dadurch Funktionieren des Binnenmarktes verbessern. Angestrebt werden mithin Verbesserungen auf einer über die nationalen Märkte hinausgehenden Makroebene des Binnenmarktes insgesamt, die sich durch voneinander abweichenden Gesetzgebungsakten der Mitgliedstaaten schwerlich verwirklichen ließen. 56 19. und 20. Erwägungsgrund KOM (2012) 788 endg. 57 KOM (2012) 788 endg., S. 8 f. 58 30. Erwägungsgrund KOM (2012) 788 endg. 59 32. Erwägungsgrund KOM (2012) 788 endg. 60 33. Erwägungsgrund KOM (2012) 788 endg. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 110/13 Seite 20 Für die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfte auch sprechen, dass der Vorschlag den Mitgliedstaaten dort, wo es die Belange des Binnenmarktes aus Sicht der Kommission nicht zwingend erfordern, Spielräume bei der Umsetzung ins nationale Recht belässt. Den Mitgliedstaaten steht es frei, strengere nationale, für alle Produkte gleichermaßen geltende Normen beizubehalten „aufgrund übergeordneter Erfordernisse im Zusammenhang mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit“. Im Geltungsbereich des Richtlinienvorschlags dürfen auch strengere, für alle Produkte gleichermaßen geltende Regelungen eingeführt werden, „wenn dies durch die besonderen Gegebenheiten in dem betreffenden Mitgliedstaat und durch die Notwendigkeit, die öffentliche Gesundheit zu schützen, gerechtfertigt ist.“61 Dies spricht dafür, dass der Richtlinienvorschlag nur soweit reicht, wie dies zur Verwirklichung des von ihm angestrebten Ziels erforderlich ist.62 4.4. Ergebnis Die vorstehenden Ausführungen sprechen dafür, dass der Richtlinienvorschlag KOM (2012) 788 endg. mit dem Grundsatz der Subsidiarität nach Art. 5 Abs. 3 UAbs.1 EUV vereinbar ist. Mit Blick auf das Ziel der Förderung des Funktionierens des Binnenmarktes kann er zulässiger Weise auf Art. 114 AEUV gestützt werden. Die ebenfalls anvisierten Aspekte des Gesundheitsschutzes stehen der Anwendung dieser Rechtsgrundlage nicht entgegen. Gestützt auf Art. 114 AEUV und die Begründung des Vorschlags gemäß Art. 5 S.1 und 4 des Protokolls Nr. 2 VvL wahrt der Kommissionsvorschlag insgesamt die Grundsätze der Subsidiarität. Das mit den Regelungen bezweckte Ziel der Förderung des Funktionierens des Binnenmarktes kann mit Blick auf die divergierenden mitgliedstaatlichen Regelungen auf EU-Ebene besser verwirklicht werden. Es ist nicht ersichtlich , dass die Mitgliedstaaten das Ziel des Funktionierens des Binnenmarktes im Hinblick auf die Aufmachung und Gestaltung von Verpackungen für Tabakerzeugnisse sowie deren Verkauf in gleicher Weise erreichen könnten. Insbesondere die den Mitgliedstaaten verbleibenden Umsetzungsspielräume sprechen schließlich auch für eine Vereinbarkeit des Richtlinienvorschlags mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit. - Fachbereich Europa - 61 40. Erwägungsgrund KOM (2012) 788 endg. 62 Zum Kriterium der Erforderlichkeit vgl. EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), Rn. 184.