© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 108/20 Zur Frage einer unionsrechtlichen Ausschreibungspflicht für Leistungserwartungen des Bundes gegenüber der Deutschen Bahn Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Zur Frage einer unionsrechtlichen Ausschreibungspflicht für Leistungserwartungen des Bundes gegenüber der Deutschen Bahn Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 108/20 Abschluss der Arbeit: 16. Dezember 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Beantwortung 5 2.1. Vorgaben des EU-Vergaberechts 5 2.1.1. Mangels Rechtsverbindlichkeit kein „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ 5 2.1.2. Zwischenergebnis: keine Ausschreibungspflicht 6 2.2. Vorgaben des EU-Beihilferechts 6 2.2.1. Erfordernis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs, Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV 7 2.2.2. Spezifische Vorgaben zur Begrenzung der Auswirkungen von Rekapitalisierungsmaßnahmen auf den Wettbewerb, Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV 9 3. Zusammenfassung 10 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich ist um Beantwortung der Frage gebeten worden, ob der Bund als Alleineigentümer der Deutschen Bahn diese zur Erbringung von Leistungen anweisen kann, ohne diese öffentlich auszuschreiben. Der Fragesteller verweist in diesem Zusammenhang auf die Beschlüsse der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 25. November 2020 über Maßnahmen zur Bekämpfung der SARS-Cov2-Pandemie. Punkt 18 des Beschlusses lautet: „18. Für den Bahnverkehr gilt, den Reisenden, die trotz Einschränkungen reisen müssen, ein zuverlässiges Angebot mit der Möglichkeit, viel Abstand zu halten, anzubieten - unter Einhaltung der im April beschlossenen Verhaltensregeln sowie Gesundheitsschutzkonzepten . Die Maskenkontrollen werden weiter verstärkt, so dass täglich weit mehr Fernzüge kontrolliert werden. Die Deutsche Bahn wird im Fernverkehr zusätzliche Maßnahmen in der Corona-Pandemie ergreifen. Die Sitzplatzkapazität wird deutlich um über 20 Mio. Platzkilometer pro Tag erhöht, um noch mehr Abstand zwischen den Reisenden zu ermöglichen. Die Reservierbarkeit der Sitzplätze wird parallel dazu beschränkt.“1 In Pressemitteilungen vom 26. November 20202 und vom 2. Dezember 20203 teilte die Deutsche Bahn mit, dass sie die Beschlüsse von Bund und Ländern u.a. durch einen Ausbau des Verkehrsangebots zu Weihnachten 2020 umsetzen werde. Der Fragesteller vermutet, dass die DB Fernverkehr AG (als Teil des DB-Konzerns) diese Leistungen in diesem Maße nur deshalb erbringen könne, weil sie davon ausgeht, dass der Bund die entstehenden Kosten/Verluste durch eine Eigenkapitalaufstockung oder eine weitere Erhöhung der Verschuldungsgrenze ausgleichen werde. Einzelheiten einer möglichen Eigenkapitalerhöhung des Bundes bei der Deutschen Bahn AG stehen bislang nicht fest und sind Gegenstand von Verhandlungen der Bundesregierung mit der Europäischen Kommission. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob die in Rede stehenden Beschlüsse in Bezug auf die darin in Aussicht gestellte Erhöhung der Sitzplatzkapazität durch die Deutsche Bahn nach dem EU- 1 Videoschaltkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 25. November 2020, Beschluss abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource /blob/997532/1820090/11c9749f77a71b9439759538864aa672/2020-11-25-mpk-beschluss-data.pdf?download =1. 2 https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/Bahn-haelt-Plaetze-fuer-mehr-Abstand -frei-5743570. 3 https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/DB-setzt-Sonderzuege-ein-undbaut -Maskenkontrolle-aus-5753210. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 5 Vergaberecht ausschreibungspflichtig sind (2.1.). Ergänzend ist auf Vorgaben des EU-Beihilferechts für einen etwaigen Kosten- bzw. Verlustausgleich durch den Bund einzugehen (2.2.). 2. Beantwortung 2.1. Vorgaben des EU-Vergaberechts Die Ausweitung von Sitzplatzkapazitäten im Bahnverkehr als Maßnahmen zur Bekämpfung der SARS-Cov2-Pandemie könnte der Verordnung Nr. 1370/20074 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße unterfallen. Diese Verordnung legt fest, unter welchen Bedingungen die zuständigen Behörden den Betreibern eines öffentlichen Dienstes eine Ausgleichsleistung für die ihnen durch die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verursachten Kosten und/oder ausschließliche Rechte im Gegenzug für die Erfüllung solcher Verpflichtungen gewähren, wenn sie ihnen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen oder entsprechende Aufträge vergeben (Art. 1 Abs. 1). Eine „gemeinwirtschaftliche Verpflichtung“ gemäß dieser Verordnung ist eine von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderung im Hinblick auf die Sicherstellung von im allgemeinen Interesse liegenden öffentlichen Personenverkehrsdiensten, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte (Art. 2 Buchst. e). 2.1.1. Mangels Rechtsverbindlichkeit kein „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ Nach Art. 5 Abs. 3 Verordnung Nr. 1370/2007 sind die unter die Verordnung fallenden öffentlichen Dienstleistungsaufträge grundsätzlich im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens zu vergeben. Aus Art. 2 Buchst. i Verordnung Nr. 1370/2007 geht zwar hervor, dass ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag im Sinne der Verordnung verschiedene Formen annehmen kann. Nicht zwingend muss es sich dabei um eine Übereinkunft zwischen der Behörde und dem Betreiber handeln. Diese können auch in einer Entscheidung der zuständigen Behörde bestehen, die etwa die Form eines Gesetzes oder einer Verwaltungsregelung für den Einzelfall haben kann. Erfasst werden nach der Begriffsdefinition jedoch ausschließlich „rechtsverbindliche Akte“. Der Bund ist zwar alleiniger Anteilseigner der Deutschen Bahn AG und kann seine gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten wie jeder Aktionär über die Hauptversammlung ausüben.5 Die Hauptversammlung ist jedoch für Fragen der Geschäftsführung, insbesondere das operative 4 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates. 5 Ausführlich Heise, Die Deutsche Bahn AG zwischen Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohlverantwortung, 2013, S. 316 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 6 Geschäft, nicht zuständig.6 Mangels eines Beherrschungsvertrages steht dem Bund auch kein Weisungsrecht gegenüber der Deutschen Bahn AG oder einer anderen Gesellschaft des DB-Konzerns zu. Gegen die Annahme eines rechtsverbindlichen Aktes spricht überdies allgemein die fehlende Bestimmung der für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Leistung zu gewährenden Ausgleichsleistung (vgl. Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 Verordnung Nr. 1370/2007). Der bloße Umstand, dass die Deutsche Bahn AG möglicherweise davon ausgeht, der Bund werde ihr die entstehenden Kosten/Verluste etwa durch eine Eigenkapitalaufstockung ausgleichen, verleiht ihr jedenfalls keinen Anspruch auf Ausgleichsleistungen. 2.1.2. Zwischenergebnis: keine Ausschreibungspflicht Die in den in Rede stehenden Bund-Länder-Beschlüssen zum Ausdruck gebrachte Erwartung, die Deutsche Bahn solle durch eine Ausweitung der Sitzplatzkapazität zur Bekämpfung der Pandemie beitragen, ist somit mangels Rechtsverbindlichkeit nicht als „öffentlicher Dienstleistungsauftrag “ gemäß der Verordnung Nr. 1370/2007 anzusehen und unterliegt insoweit auch keiner Ausschreibungspflicht . Die Frage, ob und in welchem Umfang der Bund einem öffentlichen Unternehmen finanzielle Unterstützung etwa in Form einer Eigenkapitalerhöhung zum Ausgleich bestimmter Kosten/Verluste gewähren darf, unterliegt hingegen grundsätzlich dem EU-Beihilferecht (dazu unter 2.2.). 2.2. Vorgaben des EU-Beihilferechts Eine Eigenkapitalerhöhung des Bundes bei der Deutschen Bahn AG dürfte vorbehaltlich des hierbei zu berücksichtigenden Einschätzungsspielraums der Kommission grundsätzlich dem Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV unterfallen.7 Nach dieser Bestimmung sind „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen“. Eine grundsätzlich verbotene staatliche Beihilfe kann unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein und ist bei der Europäischen Kommission anzumelden (Art. 108 Abs. 3 AEUV). Mit Blick auf staatliche Beihilfen, die der Bewältigung der Folgen des Covid-19-Ausbruchs dienen , kommt insbesondere eine Rechtfertigung gemäß der Legalausnahme des Art. 107 Abs. 2 6 Hierzu siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand vom 19.2.2019, Möglichkeit des Bundes, Ziele in bundeseigenen Unternehmen durchzusetzen, WD 7 - 3000 - 022/19, S. 5 ff. abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/635134/be749a544bf37feee0a0b5fc78c026c0/WD-7-022-19-pdfdata .pdf 7 Hierzu siehe Fachbereich Europa, Ausarbeitung vom 28.7.2020, Beihilfenrechtliche Bewertung der Eigenkapitalerhöhung des Bundes bei der Deutschen Bahn AG in der Covid-19-Pandemie, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/791848/41c040c993611045353e6637493068a7/PE-6-062-20-pdfdata .pdf Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 7 Buchst. b AEUV (Beseitigung von Schäden, die u.a. durch außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind) oder der Ermessensausnahme des Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV (Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben) in Betracht. Soweit eine Begünstigung der Deutschen Bahn dazu dienen soll, die Kosten des angekündigten Ausbaus des Verkehrsangebots zu Weihnachten 2020 auszugleichen, wären im Rahmen der Rechtfertigung insbesondere folgende Gesichtspunkte (siehe unter 2.2.1. und 2.2.2.) näher zu prüfen. 2.2.1. Erfordernis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs, Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV Der Covid-19-Ausbruch ist nach der Genehmigungspraxis der Kommission der vergangenen Monate als außergewöhnliches Ereignis im Sinne des Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV anzusehen.8 Allerdings werden von der Bestimmung nur Beihilfen für Schäden erfasst, die unmittelbar auf das außergewöhnliche Ereignis zurückzuführen sind.9 Nicht abschließend geklärt ist, inwieweit auch Kosten/Verluste, die durch eine gezielte Angebotsausweitung entstehen, unmittelbar auf den Covid-19-Ausbruch zurückgeführt werden können . Dies könnte zweifelhaft sein, weil es sich bei dem von der Deutschen Bahn angekündigten Ausbau ihres Verkehrsangebots zu Weihnachten 2020 ungeachtet ihres Beitrags zur Pandemiebekämpfung nicht um unvermeidbare Kosten handelt. Die Genehmigungspraxis der Kommission der vergangenen Monate gibt auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Dies zeigt etwa eine Entscheidung der Kommission zur Genehmigung der „Bundesrahmenregelung Beihilfen für den öffentlichen Personennahverkehr“, die eine Entschädigungsregelung zugunsten der Betreiber öffentlicher Personenverkehrsdienste für ungedeckte Kosten im Vergleich zu dem entsprechenden Vorjahreszeitraum enthält, die sich aus der Erfüllung bestehender gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ergeben.10 In dieser Entscheidung begründet die Kommission das Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs speziell damit, dass die Betreiber bislang keine Möglichkeit gehabt hätten, auf die (pandemiebedingt) gesunkene Nachfrage im Wege der Verringerung ihres Angebots zu reagieren und dadurch ihre Betriebskosten zu senken: “3.3.3. Causal link between the COVID-19 outbreak and the damage compensated by the scheme 8 Vgl. etwa Europäische Kommission, State Aid SA.58738 (2020/N), C(2020) 7668 final, Erwägungsgrund 51; State Aid SA.57675 (2020/N), C(2020) 5554 final, Erwägungsgrund 55. 9 Thiele, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Werkstand: 50. EL März 2020, H. III. Staatliche Beihilfen, Rn. 175. 10 Europäische Kommission, State Aid SA.57675 (2020/N), C(2020) 5554 final. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 8 […] (66) The Commission notes for the reasons set out in recital (60) that due to the special nature of public services the beneficiaries under the scheme have not had the possibility until now to react to a changed market environment and to decreased demand. They have not had the choice to reduce capacity and thereby to reduce their fixed cost , as companies in other sectors have. As such, the beneficiaries have had to continue to offer almost full capacity despite the still very low number of passengers.”11 (Unterstreichung hinzugefügt) Hiervon ausgehend erschiene es eher zweifelhaft, auch die Kosten einer in freier unternehmerischer Entscheidung veranlassten Ausweitung des bestehenden Verkehrsangebots als unmittelbare Folge des Covid-19-Ausbruchs anzusehen. Andererseits erkennt die Kommission in ihrer Entscheidung die Bedeutung eines ausreichenden Verkehrsangebots für die Möglichkeit zur Einhaltung von Abstandsregelungen an (Erwägungsgrund 65) und betrachtet zusätzliche Kosten des Infektionsschutzes als beihilfefähige Schäden; beispielhaft nennt sie Hygienemaßnahmen und den Fahrzeugumbau: “(35) […] COVID-19 related hygiene costs may also qualify as eligible damages. In sum, the eligible damage may comprise each of the following elements: i. […] ii. […] iii. the additional costs related to infection control (such as enhanced hygiene measures and vehicle conversions). […] (67) […] Therefore, the Commission reaches the conclusion that there is a direct link between the measures adopted by the German authorities in response to the COVID-19 outbreak and the damage suffered by the transport operators due to the decrease in fare revenues and public service compensation as well as the additional infection prevention costs.”12 (Unterstreichung hinzugefügt) Soweit die von der Deutschen Bahn angekündigte Angebotsausweitung zu Weihnachten 2020 als angemessene Maßnahme des Infektionsschutzes zu fassen ist, wären wohl auch die damit verbundenen Kosten als von dem Covid-19-Ausbruch unmittelbar verursachten Schaden anzuerkennen . 11 Europäische Kommission, State Aid SA.57675 (2020/N), C(2020) 5554 final, Erwägungsgrund 66; Ähnlich in Europäische Kommission, State Aid SA.58738 (2020/N), C(2020) 7668 final, Erwägungsgrund 62. 12 Europäische Kommission, State Aid SA.57675 (2020/N), C(2020) 5554 final, Erwägungsgründe 35, 67. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 9 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich die vorstehende Entscheidung der Kommission auf eine Beihilferegelung und nicht auf eine den Wettbewerb möglicherweise stärker beeinträchtigende Einzelbeihilfe bezieht. 2.2.2. Spezifische Vorgaben zur Begrenzung der Auswirkungen von Rekapitalisierungsmaßnahmen auf den Wettbewerb, Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV In der Mitteilung über einen sog. Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-1913 vom 20. März 2020 (zuletzt geändert am 13.10.202014) hat die Kommission dargelegt, unter welchen Voraussetzungen sie eine auf Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV gestützte staatliche Beihilfe als mit dem Binnenmarkt vereinbar ansehen wird. Abschnitt 3.11. des Befristeten Beihilferahmens enthält die EU-behilferechtlichen Kriterien, auf deren Grundlage die Mitgliedstaaten Unternehmen, die wegen des Covid-19-Ausbruchs in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, öffentliche Unterstützung u.a. in Form von Eigenkapitalinstrumenten bereitstellen können. Hiernach dürfen etwa die im Rahmen von Rekapitalisierungen gewährten Beträge nicht über das für die Gewährleistung der Rentabilität der Empfänger erforderliche Minimum hinausgehen; durch Rekapitalisierungen sollte lediglich die vor dem Covid-19-Ausbruch bestehende Kapitalstruktur der Empfänger wiederhergestellt werden (vgl. Erwägungsgrund 44). Auch sollten solche Instrumente nur dann in Betracht gezogen werden, wenn keine andere geeignete Lösung gefunden werden kann. Darüber hinaus sollte die Emission solcher Instrumente strengen Auflagen unterliegen, da diese Instrumente den Wettbewerb zwischen Unternehmen stark verfälschen können. Somit müssen bei solchen Eingriffen klare Voraussetzungen für die Beteiligung des Staates am Eigenkapital der betreffenden Unternehmen (Einstieg, Vergütung, Ausstieg ), Governance-Bestimmungen und geeignete Maßnahmen zur Begrenzung von Wettbewerbsverfälschungen vorgesehen werden (Erwägungsgrund 45). Diese Kriterien werden in den Erwägungsgründen 46-87 spezifiziert, wobei teilweise besondere Anforderungen für die Rekapitalisierung von Unternehmen vorgesehen sind, bei denen der Staat der einzige oder jedenfalls ein bestehender Anteilseigner ist (Erwägungsgründe 64a, 78a). Soweit eine Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn auch einen Ausgleich für den angekündigten Ausbau ihres Verkehrsangebots zu Weihnachten 2020 schaffen soll, wäre mit Blick auf die nach den Kriterien des Beihilferahmens zu vermeidenden übermäßigen Wettbewerbsverzerrungen allgemein zu bedenken, dass eine für alle Wettbewerber geltenden Beihilferegelung eine geringere Beeinträchtigung des Wettbewerbs bedeuten dürfte als eine Einzelbeihilfe. Derartige 13 Mitteilung der Kommission vom 20.3.2020 „Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“, ABl. C 91I vom 20.3.2020, S. 1. 14 Konsolidierte Fassung abrufbar unter: https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/TF_consolidated _version_amended_3_april_8_may_29_june_and_13_oct_2020_de.pdf . Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 108/20 Seite 10 Maßnahmen könnten daher von der Kommission möglicherweise als vorzugswürdige „andere geeignete Lösung“ angesehen werden. Da die Einzelheiten einer möglichen Eigenkapitalerhöhung des Bundes bei der Deutschen Bahn AG bislang jedoch nicht feststehen und im Rahmen von Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV darüber hinaus grundsätzlich ein Ermessen der Kommission zu berücksichtigen ist, kann eine abschließende Prüfung vorliegend nicht erfolgen. 3. Zusammenfassung Die in den Beschlüssen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 25. November 2020 zum Ausdruck gebrachte Erwartung, die Deutsche Bahn solle durch eine Ausweitung der Sitzplatzkapazität zur Bekämpfung der Pandemie beitragen, ist mangels Rechtsverbindlichkeit nicht als „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ gemäß der Verordnung Nr. 1370/2007 anzusehen und unterliegt insoweit keiner Ausschreibungspflicht. Die Frage, ob und in welchem Umfang der Bund einem öffentlichen Unternehmen finanzielle Unterstützung etwa in Form einer Eigenkapitalerhöhung zum Ausgleich bestimmter Kosten/Verluste gewähren darf, unterliegt dem EU-Beihilferecht. Mit Blick auf staatliche Beihilfen, die der Bewältigung der Folgen des Covid-19-Ausbruchs dienen, kommt insbesondere eine Rechtfertigung unter den Voraussetzungen der Legalausnahme des Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV (Beseitigung von Schäden, die u.a. durch außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind) oder der Ermessensausnahme des Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV (Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben) in Betracht. - Fachbereich Europa -