© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 105/20 Zur Vereinbarkeit eines fiktiven Unternehmerlohns mit dem EU-Beihilferecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Zur Vereinbarkeit eines fiktiven Unternehmerlohns mit dem EU-Beihilferecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 105/20 Abschluss der Arbeit: 7. Dezember 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur Vereinbarkeit eines fiktiven Unternehmerlohns mit dem EU-Beihilferecht 4 2.1. Hintergrund: Die Corona-Hilfen des Bundes für Soloselbständige 4 2.2. Überblick über das relevante EU-Beihilferecht 5 2.2.1. De-minimis-Verordnung 5 2.2.2. Befristeter Beihilferahmen 5 2.3. EU-beihilferechtliche Bewertung eines fiktiven Unternehmerlohns 6 3. Ergebnis 7 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/20 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich ist um eine Einschätzung gebeten worden, ob ein „fiktiver Unternehmerlohn“ des Bundes in Form einer monatlichen Pauschale in Höhe von 1.200 Euro mit dem EU-Beihilferecht vereinbar wäre. 2. Zur Vereinbarkeit eines fiktiven Unternehmerlohns mit dem EU-Beihilferecht 2.1. Hintergrund: Die Corona-Hilfen des Bundes für Soloselbständige Die bisherigen Corona-Hilfen des Bundes u.a. für Soloselbständige, kleine Unternehmen und Freiberufler dienen der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz der Unternehmen und zur Überbrückung von akuten Liquiditätsengpässen in Folge der Corona-Krise. Dies betrifft zunächst die „Soforthilfen“1 (ab März 2020) sowie die „Corona-Überbrückungshilfe“2 (Juni-August) und die „Überbrückungshilfe II“3 (September-Dezember). Diese Hilfen sind als Beitrag zu den laufenden Betriebskosten bzw. betrieblichen Fixkosten konzipiert. Lebenshaltungskosten sind danach nicht förderfähig. Allerdings werden die Hilfen aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch nicht als Einkommen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II) angerechnet.4 Die „Novemberhilfe“5, die bis Ende Dezember 2020 verlängert wurde,6 soll die wirtschaftliche Existenz von Unternehmen, Soloselbständigen und selbständigen Angehörigen der Freien Berufe sichern, die aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließungen bzw. Betriebseinschränkungen gemäß des Beschlusses von Bund und Ländern vom 28. Oktober 2020 erhebliche Umsatzausfälle erleiden. Die Hilfszahlungen sind als Beitrag zur Kompensation von Umsatzausfällen konzipiert. Die Empfänger können die Mittel der Novemberhilfe auch für ihre Lebenshaltungskosten nutzen .7 Ein sich aus den Hilfszahlungen ergebender Überschuss an Betriebseinnahmen wird allerdings als Einkommen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II) angerechnet.8 1 Vgl. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2020/20200329-weg-fuer-gewaehrung-coronabundes -soforthilfen-ist-frei.html. 2 Vgl. https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/FAQ/FAQs/faq-liste-01.html. 3 Vgl. https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/FAQ/FAQs/faq-liste-02.html. 4 Vgl. https://www.arbeitsagentur.de/corona-faq-grundsicherung-arbeitslosengeld-2. 5 Vgl. https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/FAQ/FAQ-Novemberhilfe/faqnovemberhilfen .html. 6 Vgl. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-novemberhilfen-1805628. 7 Vgl. https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/FAQ/FAQ-Novemberhilfe/faqnovemberhilfen .html, FAQ 1.8. 8 Vgl. https://www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de/UBH/Redaktion/DE/FAQ/FAQ-Novemberhilfe/faqnovemberhilfen .html, FAQ 4.6. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/20 Seite 5 2.2. Überblick über das relevante EU-Beihilferecht Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV „sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen“. 2.2.1. De-minimis-Verordnung Eine Beihilfe, die sämtliche Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt, ist grundsätzlich nach Art. 108 Abs. 3 AEUV bei der Kommission vorab anzumelden. Eine Ausnahme gilt für geringfügige Beihilfen nach der Verordnung der Kommission über De-minimis-Beihilfen (De-minimis -Verordnung).9 Nach Art. 3 De-minimis-Verordnung werden Beihilfemaßnahmen, die die Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllen, als Maßnahmen angesehen, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen, und sind daher von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV ausgenommen. Hierfür setzt die De-minimis-Verordnung insbesondere voraus, dass der Gesamtbetrag der einem einzigen Unternehmen von einem Mitgliedstaat gewährten De-minimis-Beihilfen in einem Zeitraum von drei Steuerjahren 200 000 Euro nicht übersteigt (Art. 3). Ferner muss es sich um sog. transparente Beihilfen handeln, d.h. das Bruttosubventionsäquivalent muss sich im Voraus genau berechnen lassen, ohne dass eine Risikobewertung erforderlich ist, was bei Beihilfen in Form von Zuschüssen der Fall ist (Art. 4). Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Kumulierung von Deminimis -Beihilfen mit anderen Beihilfen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist (Art. 5). Schließlich enthält die De-minimis-Verordnung bestimmte Vorgaben, durch die die Überwachung der Einhaltung der Voraussetzungen von De-minimis-Beihilfen erleichtert wird (Art. 6). 2.2.2. Befristeter Beihilferahmen Im Kontext der Corona-Beihilfen ist insbesondere die Ermessensausnahme nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. b Alt. 2 AEUV von Bedeutung, wonach „Beihilfen […] zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ von der EU-Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können. In einer Mitteilung über einen sog. Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-1910 vom 20. März 2020 hat die Kommission dargelegt, unter welchen Voraussetzungen sie eine auf Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV gestützte staatliche Beihilfe als mit dem Binnen- 9 Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De -minimis-Beihilfen. 10 Mitteilung der Kommission vom 20.3.2020 „Befristeter Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“, ABl. C 91I vom 20.3.2020, S. 1. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/20 Seite 6 markt vereinbar ansehen wird und die nach der Anmeldung durch die betreffenden Mitgliedstaaten sehr rasch genehmigt werden kann. Dieser Befristete Beihilferahmen wurde mehrfach geändert , zuletzt am 13.10.2020.11 Nach Nr. 3.1. des Befristeten Beihilferahmens können die Mitgliedstaaten begrenzte Beihilfebeträge u.a. in Form von direkten Zuschüssen an Unternehmen gewähren, die sich einem plötzlichen Liquiditätsengpass gegenübersehen. Die Gesamtbeihilfe darf 800 000 Euro je Unternehmen nicht übersteigen. Als weitere Voraussetzung ist u.a. vorgesehen, dass das begünstigte Unternehmen sich nicht bereits am 31. Dezember 2019 in Schwierigkeiten befunden hat und dass die Beihilfe bis spätestens 31. Juni 2021 gewährt wird. Nach Nr. 3.12. des Befristeten Beihilferahmens können die Mitgliedstaaten einen Beitrag zu den ungedeckten Fixkosten jener Unternehmen leisten, bei denen der COVID-19-Ausbruch eine Unterbrechung oder Reduzierung der Geschäftstätigkeiten bewirkt hat. Vorausgesetzt sind Umsatzeinbußen von mindestens 30 % im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum. Die Beihilfeintensität darf 70 % (bei KMU 90%) der ungedeckten Fixkosten nicht übersteigen. Die Gesamtbeihilfe darf in keinem Fall 3 Mio. Euro je Unternehmen übersteigen. 2.3. EU-beihilferechtliche Bewertung eines fiktiven Unternehmerlohns Es ist davon auszugehen, dass die dem Auftrag zugrundliegenden Überlegungen zur Schaffung eines fiktiven Unternehmerlohns im Wesentlichen darauf abzielen, den vom COVID-19-Ausbruch wirtschaftlich betroffenen Soloselbstständigen mit geringen Fixkosten finanzielle Unterstützung in Form einer monatlichen Pauschale in Höhe von 1.200 Euro zur Kompensation der Lebenshaltungskosten zu gewähren. Ob die Unterstützung auf bestimmte Branchen beschränkt oder an einen bestimmten Umsatzrückgang geknüpft werden soll, ist nicht bekannt. Aus dem EU-Beihilferecht würden sich für einen solchen fiktiven Unternehmerlohn nur dann Vorgaben ergeben, sofern dieser sämtliche Voraussetzungen des Beihilfebegriffs gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt. Hierzu ist festzustellen, dass sich das Vorliegen einer Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV jedenfalls nicht eindeutig ausschließen lässt. Unbeachtlich sind zunächst der Zweck und die geringe Höhe des fiktiven Unternehmerlohns. In ständiger Rechtsprechung betont der EuGH, dass staatliche Maßnahmen nicht schon wegen ihres sozialen Charakters von der Einordnung als Beihilfen ausgenommen sind.12 Auch schließen weder die verhältnismäßig geringe Höhe einer Beihilfe noch die verhältnismäßig geringe Größe des begünstigten Unternehmens von vornherein die Möglichkeit von Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV aus.13 Allenfalls das Merkmal der Selektivität der Beihilfe („Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“) könnte vorliegend zweifelhaft 11 Konsolidierte Fassung abrufbar unter: https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/TF_consolidated _version_amended_3_april_8_may_29_june_and_13_oct_2020_de.pdf. 12 EuGH, Rs. C-5/01, Belgien/Kommission, Rn. 46. 13 Mit Nachweisen siehe Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. C 262, 19.7.2016, Rn. 192. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/20 Seite 7 sein, soweit sich der fiktive Unternehmerlohn ohne Einschränkung an alle vom COVID-19-Ausbruch wirtschaftlich betroffenen Unternehmen richtet. Allerdings soll es nach der Rechtsprechung für die Selektivität ausreichen, dass die Beihilfe solchen Unternehmen vorbehalten ist, die sich „in Schwierigkeiten“ befinden.14 Ein fiktiver Unternehmerlohn in der Höhe von 1.200 Euro pro Monat dürfte indes grundsätzlich unter die De-minimis-Verordnung für geringfügige Beihilfen bis 200.000 Euro fallen. Denn soweit bei der Ausgestaltung des fiktiven Unternehmerlohns auch die Einhaltung der übrigen Voraussetzungen der De-minimis-Verordnung sichergestellt würde (siehe unter 2.2.1.), wäre dieser nach Art. 3 De-minimis-Verordnung als Maßnahme anzusehen, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt, und insoweit von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV ausgenommen. Auf die einschlägigen Bestimmungen des Befristeten Beihilferahmens (siehe unter 2.2.2.) könnte ein in Form einer monatlichen Pauschale gewährter fiktiver Unternehmerlohn, der somit ungeachtet von Liquiditätsengpässen gezahlt würde und der auch nicht auf einen Beitrag zu den ungedeckten Fixkosten beschränkt wäre, jedenfalls nicht gestützt werden. 3. Ergebnis Ein fiktiver Unternehmerlohn in Form einer monatlichen Pauschale in Höhe von 1.200 Euro zur Kompensation der Lebenshaltungskosten von Soloselbstständigen ist unter den Voraussetzungen der De-minimis-Verordnung als Maßnahme anzusehen, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt, und insoweit von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV ausgenommen. Auf die einschlägigen Bestimmungen des Befristeten Beihilferahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 könnte ein fiktiver Unternehmerlohn, der ungeachtet von Liquiditätsengpässen gezahlt würde und der auch nicht auf einen Beitrag zu den ungedeckten Fixkosten beschränkt wäre, dagegen nicht gestützt werden. - Fachbereich Europa - 14 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. C 262, 19.7.2016, Rn. 121.