© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 105/19 Absenkung der Luftverkehrsteuer, Emissionshandel und EU-Beihilferecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 2 Absenkung der Luftverkehrsteuer, Emissionshandel und EU-Beihilferecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 105/19 Abschluss der Arbeit: 11. Dezember 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Die Luftverkehrsteuer und ihre Absenkung 4 3. Grundzüge des unionalen Emissionshandels 6 4. Absenkung der Luftverkehrsteuer und unionaler Emissionshandel 7 5. Absenkung der Luftverkehrsteuer und EU-Beihilferecht 8 5.1. Begünstigung 9 5.2. Selektivität 9 6. Ergebnis 11 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich wird um Beantwortung der Frage ersucht, ob die in § 11 Abs. 2 Luftverkehrsteuergesetz (LuftVStG) vorgesehene Regelung zur Absenkung der Luftverkehrsteuer mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Der Auftraggeber ist der Auffassung, dass eine solche Bestimmung dem Sinn und Zweck des europäischen Emissionshandels zuwiderlaufe und möglicherweise gegen die Vorgaben des EU-Beihilferechts verstoße. Im Folgenden werden zunächst das Luftverkehrsteuergesetz und der dort geregelte Absenkungsmechanismus (2.) sowie die Grundzüge des unionalen Emissionshandels (3.) kurz dargestellt. Sodann ist der Frage nachzugehen, ob die Absenkung der Luftverkehrsteuer dem Sinn und Zweck des europäischen Emissionshandels zuwiderläuft (4.). Abschließend wird erörtert, ob darin ein Verstoß gegen das EU-Beihilferecht liegt (5.). 2. Die Luftverkehrsteuer und ihre Absenkung Das 2010 erlassene Luftverkehrsteuergesetz hat eine Steuerpflicht für die in Deutschland ab dem 1. Januar 2011 startenden Abflüge von Fluggästen eingeführt, die von gewerblichen Luftfahrtunternehmen transportiert werden (vgl. § 1 LuftVStG).1 Nach der Gesetzesbegründung wurden mit dem Erlass des Gesetzes zwei Ziele erfolgte. Neben einem Beitrag zur Haushaltskonsolidierung aus diesem Steueraufkommen sollte die Einbeziehung des Flugverkehrs in die Mobilitätsbesteuerung zu einer Verstärkung der Anreize für ein umweltgerechtes Verhalten in diesem Segment führen.2 Aus diesem Grund seien bei der Besteuerung auch ökologische Belange zu berücksichtigen.3 Steuerschuldner ist das den Abflug durchführende Luftverkehrsunternehmen. Auf einen Sitz im Inland kommt es insoweit nicht an, erfasst werden alle gewerblichen Luftverkehrsunternehmen, die von einem in Deutschland belegenen Startort abfliegen, und damit auch solche, die ihren Sitz 1 Siehe zur Verfassungsmäßigkeit der Luftverkehrssteuer und ihrer gesetzlichen Grundlage BVerfG, Urt. v. 5.11.2014, 1 BvF 3/11, NVwZ 2015, 288. Siehe zu den damit zusammenhängenden Fragen für die kürzlich beschlossene Änderung des § 11 LuftVStG auch den Sachstand des Fachbereichs WD 4 (Haushalt und Finanzen ) vom 27.11.2019 „Rechtlicher Rahmen für die Änderung des § 11 Luftverkehrsteuergesetzes“ (WD 4 - 3000 -148/19) – im Folgenden: WD 4-Sachstand. 2 Vgl. BT-Drs. 17/3030, S. 36. Siehe dort auch zu den Gründen für eine solche Steuer sowie zum Vergleich mit der verbrauchsorientierten Energiesteuer für alle anderen Verkehrsträger. 3 Vgl. BT-Drs. 17/3030, S. 36. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 5 außerhalb der EU haben (vgl. § 6 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 1 LuftVStG).4 Nach einem Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2012 unterlagen der Luftverkehrsteuer für das (erste Steuer-)Jahr 2011 165 inländische (38%) und 269 ausländische Unternehmen (62%).5 Die Luftverkehrsteuer bemisst sich nach der Lage des jeweils gewählten (Flug-)Zielorts und der Anzahl der beförderten Fluggäste (vgl. § 10 LuftVStG). Hinsichtlich des ersten Punktes wird eine Pauschalierung nach Distanzklassen zugrunde gelegt, die sich aus den Anlagen 1 und 2 des Luftverkehrsteuergesetzes ergibt und mit der dem Umstand Rechnung getragen wird, „dass es mit einer größeren Flugdistanz auch zu einer insgesamt gesteigerten Umweltbelastung kommt.“6 Einer solchen Steuerbemessung entsprechend wurde der Steuersatz gestaffelt und unterscheidet sich in der Höhe nach den drei festgelegten Distanzklassen, vgl. § 11 Abs. 1 LuftVStG. Bei seiner Einführung lag der Satz für die erste Distanzklasse, die sich aus Zielländern nach Anlage 1 ergibt, bei 8 €, für die zweite Distanzklasse mit Zielländern nach Anlage 2 bei 25 € und für die dritte Distanzklasse, zu der alle Länder gehörten, die nicht von Anlage 1 oder 2 erfasst sind, bei 45 €. Bereits bei Erlass sah das Luftverkehrsteuergesetz einen Absenkmechanismus in § 11 Abs. 2 LuftVStG vor. Nach diesem können durch Rechtsverordnung die Steuersätze nach § 11 Abs. 1 LuftVStG jeweils zu Beginn eines Kalenderjahres prozentual abgesenkt werden. Die prozentuale Absenkung errechnet sich dabei aus dem Verhältnis der jeweiligen Einnahmen des Vorjahres aus der Einbeziehung des Luftverkehrs in den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten zu (derzeit )7 einer Milliarde Euro (§ 11 Abs. 2 S. 2 LuftVStG). Durch diesen Mechanismus sollte von Anbeginn dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Luftverkehr ab dem Jahr 2012 in den Emissionshandel einbezogen werden und der Bund ab diesem Zeitpunkt Erlöse aus der Versteigerung von Emissionshandelszertifikaten erzielen wird.8 Nach der Gesetzesbegründung orientiert sich die Bezugsgröße zur Berechnung der Absenkung in Höhe von einer Milliarde Euro an den ursprünglich veranschlagten Soll-Einnahmen aus der Luftverkehrssteuer .9 Ein so ausgestalteter Mechanismus hat zur Folge, dass mit steigenden Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionshandelszertifikaten für Luftverkehrsunternehmen der Steuersatz zunehmend abgesenkt wird. Würden die Versteigerungseinnahmen einen Betrag von einer Milliarde Euro erreichen, würde die prozentuale Absenkung auf 100% steigen und die 4 Siehe zur Definition des Luftverkehrsunternehmen, § 2 Nr. 2 LuftVStG. Neben den Luftverkehrsunternehmen sind auch deren steuerliche Beauftragte Steuerschuldner, vgl. § 6 Abs. 1 S. 2, 3, § 8 LuftVStG. Dieser bedarf es insbesondere dann, wenn das Luftverkehrsunternehmen keinen inländischen Sitz hat. 5 Vgl. Bericht an den Deutschen Bundestag über die Auswirkung der Einführung des Luftverkehrsteuergesetzes auf den Luftverkehrssektor und die Entwicklung der Steuereinnahmen aus der Luftverkehrsteuer, BT-Drs. 17/10225, S. 15. Die (einmalige) Berichtspflicht geht auf § 19 Abs. 4 LuftVStG zurück. 6 Vgl. BT-Drs. 17/3030, S. 39. 7 Siehe zu den beschlossenen Änderungen des § 11 LuftVStG das WD 4-Sachstand (Fn. 1), S. 5. 8 Vgl. BT-Drs. 17/3030, S. 40. 9 Vgl. BT-Drs. 17/3030, S. 40. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 6 Steuersätze entsprechend auf 0 € je Fluggast für den betreffenden Flug sinken. Die beschlossene Erhöhung der Bezugsgröße auf 1,75 Mrd. Euro hat hingegen zu Folge, dass die prozentuale Absenkung der Steuersätze tendenziell abgebremst wird, eine Absenkung auf 0 € käme danach erst dann in Betracht, wenn auch die Einnahmen aus Versteigerungserlösen mit dem neuen Bezugsbetrag gleichziehen würden. Nach den bisherigen Absenkungen zu urteilen, sind die Einnahmen aus der „Einbeziehung des Luftverkehrs in den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten“ im Verhältnis zur derzeitigen Bezugsgröße nur moderat gestiegen. Denn die Steuersätze liegen nach insgesamt vier Absenkungen in den Jahren 2012, 2017, 201810 und 201911 zur Zeit bei 7,38 €, 23,05 € bzw. 41,49 €, was einer prozentualen Gesamtabsenkung für den bisherigen Geltungszeitraum des Luftverkehrsgesetzes von ca. 7,8 % entspricht.12 3. Grundzüge des unionalen Emissionshandels Der unionale Emissionshandel beruht auf der 2003 erlassenen und seitdem mehrfach geänderten und ergänzten Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft (im Folgenden: ETS-RL).13 Ausweislich ihres Art. 1 wird durch die Richtlinie ein „System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union geschaffen, um auf kosteneffiziente und wirtschaftlich effiziente Weise auf eine Verringerung von Treibhausgasemissionen hinzuwirken.“ Der diesem System zugrunde liegende Ansatz wird als „cap and trade“ bezeichnet.14 Ausgangspunkt ist die Festlegung einer zulässigen Gesamtmenge an Treibhausgasemissionen („cap“) und die Verteilung von Treibhausgasemissionsberechtigungen für die an dem System teilnehmenden (emittierenden) Anlagen bzw. ihre Betreiber. Letztere sind verpflichtet, Emissionsberechtigungen in dem Umfang abzugeben, wie ihre Anlagen erfasste Treibhausgase emittieren. Dabei besteht die Möglichkeit, Emissionsberechtigungen frei auf dem Markt zu handeln („trade“), wobei der Markt zugleich den Preis der Berechtigungen bestimmt. Je höher der Preis, desto größer der Anreiz, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren. 10 Siehe die Treffer unter dem Eintrag „LuftVStAbsenkV“ in der Titelsuche auf www.gesetze-im-internet.de. 11 Vgl. § 1 LuftVStAbsenkV 2019. 12 Infolge der beschlossenen Änderung des § 11 LuftVStG steigen die Steuersätze nach Abs. 1 dieser Vorschrift auf 13,03 €, 33,01€ bzw. 59,43 €, vgl. dazu den WD 4-Sachstand (Fn. 1), S. 5. 13 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung […], ABl.EU 2003 Nr. L 275/32, letzte konsolidierte Fassung vom 8.4.2018. Die nachfolgend zitierten Artikel beziehen sich auf die konsolidierte Fassung der ETS-Richtlinie. 14 Siehe hierzu sowie zu den nachfolgenden Erläuterungen etwa Kreuter-Kirchhof, Klimaschutz durch Emissionshandel ? Die jüngste Reform des europäischen Emissionshandelssystems, EuZW 2017, S. 412 ff. (413 f.); Zimmermann, Der Kampf mit dem Marktpreis – Das EU-Emissionshandelssystem zwischen ehrgeizigem Klimaschutz und ökonomischer Methode, EuRUP 2018, S. 280 (281). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 7 Die Verteilung der Treibhausgasemissionsberechtigungen in den ersten beiden Handelsperioden von 2005 bis 2007 bzw. 2008 bis 2012 erfolgte weitgehend kostenlos auf Grundlage der bis dato erfolgten Emissionen der einbezogenen Anlagen.15 Zusammen mit weiteren Maßnahmen zu Beginn der Einführung des Systems führte dies dazu, dass die Summe der vorhandenen Berechtigungen den Bedarf hieran deutlich überstieg. Hierdurch sank auch der Preis der Berechtigungen auf dem Markt und es bestanden kaum Anreize für Emissionsminderungen. Infolgedessen wurde das Emissionshandelssystem seitdem mehrfach reformiert, zuletzt auf Grundlage einer Richtlinie aus dem Jahre 2018.16 Der Luftverkehr wurde erst zum Jahr 2012 in das Emissionshandelssystem einbezogen, wobei insgesamt mehr als 520 Fluggesellschaften erfasst werden, die innereuropäische Flüge anbieten.17 Nach einem Bericht der Kommission aus dem Jahr 2017 umfasst das unionale Emissionshandelssystem mittlerweile etwa 45% der europäischen Treibhausgasemissionen.18 4. Absenkung der Luftverkehrsteuer und unionaler Emissionshandel Betrachtet man vor diesem Hintergrund den oben geschilderten Absenkungsmechanismus bei der Luftverkehrsteuer, so lässt sich zunächst festhalten, dass dieser dem Sinn und Zweck des Emissionshandels zumindest nicht unmittelbar zuwiderläuft. Weder berührt er die Pflicht, für Emissionen von Treibhausgasen über entsprechende Berechtigungen zu verfügen und diese bei „Verbrauch “ abzugeben, noch greift der Absenkungsmechanismus auf anderer Weise in die Vorgaben der ETS-Richtlinie ein. Fraglich könnte allenfalls sein, ob nicht die Inbezugnahme der staatlichen Erlöse aus der Versteigerung der Emissionszertifikate für den Absenkungsmechanismus den Sinn und Zweck des Emissionshandels tangiert. Denn der Mechanismus hat zur Folge, dass bei steigenden Erlösen der Luftverkehrsteuersatz abgesenkt wird. Steigende Erlöse spiegeln hingegen einen größeren Bedarf an Emissionszertifikaten wieder, so dass die Absenkung der Steuer als gezielte Entlastung der Luftverkehrsunternehmen betrachtet werden kann.19 Insoweit lässt sich zwar der Einwand erheben , dass der aus dem ETS-System folgende Kostendruck reduziert und so die Lenkungswirkung des Emissionszertifikatspreises verzerrt wird. 15 Siehe hierzu etwa Kreuter-Kirchhof (Fn. 14), S. 413 f.; Zimmermann (Fn. 14), S. 281 ff. 16 Richtlinie (EU) 2018/410 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2018 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Unterstützung kosteneffizienter Emissionsreduktionen und zur Förderung von Investitionen mit geringem CO2-Ausstoß und des Beschlusses (EU) 2015/1814, ABl.EU 2018 Nr. L 76/3. Siehe hierzu sowie zu den zurückliegenden Reformen, Kreuter-Kirchhof (Fn. 14), S. 413 f.; Zimmermann (Fn. 14), S. 281 ff. 17 Rechtsgrundlage für die zum Jahr 2012 erfolgte Einbeziehung war die Richtlinie 2008/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft , ABl.EU 2008 Nr. L 8/3. Siehe ferner Kreuter-Kirchhof (Fn. 14), S. 413. 18 Siehe Kreuter-Kirchhof (Fn. 14), S. 413, Fn. 16 mit entsprechendem Nachweis. 19 Siehe hierzu auch BVerfG, Urt. v. 5.11.2014, 1 BvF 3/11, NVwZ 2015, 288, Rn. 50 des Urteils. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 8 Die ETS-Richtlinie dürfte als Prüfungsmaßstab für ein solches mitgliedstaatliches Vorgehen jedoch nicht in Betracht kommt. Denn weder untersagt sie den Mitgliedstaaten, klimapolitische Ziele mit anderen Maßnahmen zu verfolgen und den vom Emissionshandel betroffenen Unternehmen weitere Belastungen wie die Luftverkehrsteuer aufzulegen, noch verbietet sie den Abbau entsprechender Doppelbelastungen, die sich aus dem Nebeneinanderbestehen von unionalem Emissionshandel und nationalem Steuerrecht ergeben können, indem der mitgliedstaatliche Anteil hieran – wie im Fall einer Absenkung der Luftverkehrsteuer – reduziert wird. Solange und soweit keine abweichenden unionsrechtlichen Vorgaben bestehen, bleiben die Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Wirtschafts- und Umweltpolitik bzw. den Erlass der sie umsetzenden Bestimmungen zuständig. Hierbei haben die Mitgliedstaaten jedoch gleichwohl unionsrechtliche Grenzen zu beachten. Diese ergeben sich jedoch nicht aus der ETS-Richtlinie selbst, sondern im vorliegenden Kontext, in dem eine Entlastung von Unternehmen im Raum steht, aus dem staatengerichteten Wettbewerbsrecht der Union, dem EU-Beihilferecht gemäß Art. 107 ff. AEUV. Dass dieses den einschlägigen Prüfungsmaßstab bildet, anerkennt die ETS-Richtlinie auch ausdrücklich. So wird in Art. 10a Abs. 6 ETS-Richtlinie Folgendes ausgeführt: „Die Mitgliedstaaten sollten zugunsten von Sektoren oder Teilsektoren, die aufgrund erheblicher indirekter Kosten, die durch die Weitergabe der Kosten von Treibhausgasemissionen über die Strompreise tatsächlich entstehen, einem tatsächlichen Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen ausgesetzt sind, finanzielle Maßnahmen gemäß den Unterabsätzen 2 und 4 erlassen, vorausgesetzt, dass diese finanziellen Maßnahmen mit den Vorschriften für staatliche Beihilfen im Einklang stehen und insbesondere keine ungerechtfertigten Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt verursachen.“20 Die Aussage hat hinsichtlich des Beihilferechts als aus dem Unionsprimärrecht folgender Rechtmäßigkeitsmaßstab für derartige Maßnahmen lediglich deklaratorischen Charakter. Vor diesem Hintergrund spricht gegen seine Anwendung im vorliegenden Fall auch nicht der Umstand, dass die hier mit der Absenkung der Luftverkehrsteuer einhergehende „Entlastung “ der Luftverkehrsunternehmen keine „finanzielle Maßnahme“ im Sinne von Art. 10a Abs. 6 UAbs. 2 und 4 ETS-Richtlinie darstellt. 5. Absenkung der Luftverkehrsteuer und EU-Beihilferecht Den materiellen Kern des EU-Beihilferechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit 20 Hervorhebung durch Verfasser. Mit Blick auf diese Vorschrift und die von ihr erfassten „finanziellen Maßnahmen “ erließ die Kommission in ihrer Zuständigkeit für den Vollzug des Beihilferechts Leitlinien für bestimmte Beihilfemaßnahmen im Zusammenhang mit dem System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten nach 2012, , ABl.EU 2012 Nr. C 158/4, vgl. insb. Rn. 2 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 9 dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen . Diesem Normtext werden mehrere Merkmale entnommen, die kumulativ erfüllt sein müssen, um von dem Vorliegen einer Beihilfe ausgehen zu können: Neben der aus staatlichen Mitteln gewährten Begünstigung an Unternehmen gehören hierzu die Selektivität (Begünstigung nur bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige), die Wettbewerbsverfälschung und die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.21 Fehlt es nur an einem der Merkmale, so liegt keine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV vor und das EU-Beihilferecht findet keine Anwendung .22 Zu prüfen sind im Folgenden vor allem die Merkmale der Begünstigung (5.1.) und der Selektivität (5.2.). 5.1. Begünstigung Unter einer Begünstigung ist nach ständiger Rechtsprechung jede wirtschaftliche Vergünstigung zu verstehen, die ein Unternehmen unter normalen Marktbedingungen, d. h. ohne Eingreifen des Staates, nicht erhalten könnte.23 Entscheidend sind dabei allein die Auswirkungen einer Maßnahme auf das betreffende Unternehmen, auf die Gründe oder Ziele des staatlichen Handelns kommt es ebenso wenig an, wie auf die genaue Art der Maßnahme.24 Erfasst werden nach ständiger Rechtsprechung nicht nur die Gewährung positiver wirtschaftlicher Leistungen, sondern auch die Befreiung von wirtschaftlichen Lasten.25 Hier könnte in der Absenkung der Luftverkehrsteuer eine wirtschaftliche Vergünstigung gesehen werden, da die mit der Steuer einhergehende Last von Seiten des Staates abgesenkt wird und dieser insoweit auf Einnahmen verzichtet. 5.2. Selektivität Selektiv sind Maßnahmen, die nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen zugutekommen . Mit Blick auf die hierdurch begünstigten Luftverkehrsunternehmen ließe sich eine solche Selektivität zwar auf den ersten Blick annehmen. Entscheidend ist jedoch, ob dies auch im 21 Siehe zu den einzelnen Merkmalen und der dazu ergangenen Rechtsprechung die sog. Beihilfemitteilung der Kommission: Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2016 Nr. C 262/1 (letztmaliger Abruf unter 11.12.19). In dieser Mitteilung erläutert die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die einzelnen Merkmale des Beihilfetatbestandes. 22 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 74, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 23 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 21), Rn. 66, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 24 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 21), Rn. 67 u. 68, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 25 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 21), Rn. 68, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 10 Lichte der insbesondere für steuerliche Begünstigungen entwickelten dreistufigen (Vergleichs-) Prüfung der Fall ist.26 Hierzu ist auf der ersten Stufe zunächst das Bezugssystem zu ermitteln, anhand dessen die Selektivität beurteilt wird.27 Gegenstand der zweiten Stufe ist eine Untersuchung , ob eine bestimmte Maßnahme in Abweichung von diesem System zwischen Unternehmen differenziert.28 Ist das der Fall, wird schließlich auf dritter Stufe gefragt, ob diese Abweichung durch die Natur oder den inneren Aufbau des Bezugssystems gerechtfertigt ist.29 Zum Bezugssystem führt die Kommission in der Beihilfemitteilung Folgendes aus: „Das Bezugssystem setzt sich aus kohärenten Vorschriften zusammen, die – auf der Grundlage objektiver Kriterien – generell auf alle Unternehmen Anwendung finden, die definitionsgemäß in seinen Anwendungsbereich fallen. Typischerweise werden in diesen Vorschriften nicht nur der Anwendungsbereich des Systems, sondern auch die Voraussetzungen für seine Anwendung, die Rechte und Pflichten der ihm unterliegenden Unternehmen und die technischen Aspekte seiner Funktionsweise festgelegt . Im Falle von Steuern setzt sich das Bezugssystem aus Elementen wie der Steuerbemessungsgrundlage , den Steuerpflichtigen, dem Steuertatbestand und den Steuersätzen zusammen. Mögliche Bezugssysteme wären beispielsweise das Körperschaftsteuersystem […], das Mehrwertsteuersystem […] oder das allgemeine Versicherungsbesteuerungssystem […]. Dies gilt auch für (eigenständige) Zweckabgaben wie Abgaben auf bestimmte Produkte oder Tätigkeiten mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt oder die Gesundheit, die nicht Teil eines umfassenderen Steuersystems sind.“30 In diesem Lichte wäre folglich das Luftverkehrsteuergesetz bzw. das darauf beruhende Luftverkehrsteuersystem als Bezugssystem anzusehen, da es sich aus „kohärenten Vorschriften zusammen [setzt], die – auf der Grundlage objektiver Kriterien – generell auf alle Unternehmen Anwendung finden, die definitionsgemäß in seinen Anwendungsbereich fallen.“ Auch lässt es sich als System für eine eigenständige Zweckabgabe ansehen, die auf bestimmte Tätigkeiten „mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt oder die Gesundheit [zielt], die nicht Teil eines umfassenderen Steuersystems sind.“ Geht man hiervon aus, dann lässt sich auf der zweiten Stufe in der Absenkung der Steuersätze keine Abweichung von diesem System erkennen, die eine Differenzierung zwischen Unternehmen begründet und insoweit zu einer Begünstigung nur „bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige “ führt. Denn die Absenkung betrifft alle von der Luftverkehrsteuer erfassten Luftfahrunternehmen in gleicher Weise. 26 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 21), Rn. 126 ff. 27 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 21), Rn. 132 ff. 28 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 21), Rn. 135 ff. 29 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 21), Rn.138 ff. 30 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 21), Rn. 133 u. 134. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 105/19 Seite 11 Bei näherem Hinsehen handelt es sich somit zwar um eine bereichsspezifische Maßnahme, sie trifft aber gerade nicht nur bestimmten Unternehmen oder Produktionszweige, sondern alle vom Bezugssystem erfassten Unternehmen in gleicher Weise. Es handelt sich daher insoweit um eine allgemeine wirtschaftspolitische Maßnahme, die mangels Selektivität nicht vom Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst wird. 6. Ergebnis Die Absenkung der Luftverkehrsteuer nach § 11 Abs. 2 LuftVStG verstößt weder gegen die ETS- Richtlinie noch stellt es eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV dar. Die mit der Absenkung ggf. einhergehende Entlastung der Luftverkehrsunternehmen begegnet – soweit ersichtlich – auch keinen anderen unionsrechtlichen Bedenken. – Fachbereich Europa –