© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 – 3000 – 104/20 Zur Vereinbarkeit von Überbrückungshilfen für durch die Insolvenz von AvP Deutschland GmbH geschädigte Apotheker Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 – 3000 - 104/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Zur Vereinbarkeit von Überbrückungshilfen für durch die Insolvenz von AvP Deutschland GmbH geschädigten Apotheker Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 104/20 Abschluss der Arbeit: 26.11.2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 104/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Überblick über das EU-Beihilferecht 4 2.1. Materielles EU-Beihilferecht 4 2.2. Formelles EU-Beihilferecht 4 2.2.1. Vorabnotifizierung 5 2.2.2. Freistellung von der Notifizierungspflicht und ex-post-Kontrolle 5 3. Freistellung von der Notifizierungspflicht 6 3.1. Freistellung nach der GVO 6 3.2. Freistellung nach der De-Minimis-Verordnung 7 4. Mit Artikels 107 Absatz 3 Buchstabe c AEUV vereinbare staatliche Rettungsbeihilfen 7 4.1. Die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV 8 4.2. Rettungsbeihilfen als gerechtfertigte Beihilfen nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV 9 5. Ergebnis 10 Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 104/20 Seite 4 1. Fragestellung An den Fachbereich wurde die Frage gerichtet, ob Überbrückungshilfen, auch solche mit Zuschusscharakter , und zinsgünstige Kredite für durch die Insolvenz des Rezeptabrechners AvP Deutschland GmbH (nachfolgend: AvP) betroffene Apotheker mit EU-Recht vereinbar wären. Aufgrund der kurzen Bearbeitungsfrist kann diese Frage nur summarisch beantwortet werden. 2. Überblick über das EU-Beihilfenrecht Die Regelungen über staatliche Beihilfen in den Art. 107-109 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind Teil der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln. Das Primärrecht stellt sowohl materielle als auch formelle Voraussetzungen für die unionsrechtskonforme Durchführung von Beihilfen durch die Mitgliedstaaten auf. 2.1. Materielles EU-Beihilfenrecht Den Kern des EU-Beihilfenrechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Fehlt eines dieser Merkmale, so liegt keine Beihilfe vor und die Vorgaben des Art. 107 ff. AEUV finden keine Anwendung.1 Sind die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV hingegen erfüllt, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme. Denn das in dieser Vertragsvorschrift geregelte Beihilfeverbot gilt nicht absolut, sondern nur insoweit, als in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen anderen Bestimmungen zählen Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV, unter deren Voraussetzungen Beihilfen als mit dem Binnenmarkt vereinbar gelten bzw. als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt werden können. 2.2. Formelles EU-Beihilfenrecht Der Vollzug des EU-Beihilferechts obliegt auf Grundlage von Art. 108 AEUV der Europäischen Kommission.2 In verfahrenstechnischer Hinsicht sind dabei die primärrechtlich geregelte ex-ante- Prüfung und die sekundärrechtlich geprägte ex-post-Kontrolle zu unterscheiden. 1 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.7.2003, Rs. C-280/00 Rn. 74 (Altmark Trans). 2 Zu den wenigen, zum Teil auf Ausnahmesituationen beschränkten Kompetenzen des Rates im EU -Beihilfenrecht nach Art. 107 Abs. 3 lit. e, Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 sowie Art. 109 AEUV, vgl . allgemein, Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3: Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1224 ff. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 104/20 Seite 5 2.2.1. Vorabnotifizierung Nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV sowie der sekundärrechtlichen Konkretisierung dieser Bestimmungen in Gestalt der Beihilfenverfahrensordnung (Beihilfe-VerfO)3 sind mitgliedstaatliche Vorhaben zum einen vorab (präventiv) zu überprüfen. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist hierbei die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beihilfen vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV4). Diese prüft sodann, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und – wenn das der Fall ist – ob sie gerechtfertigt werden kann.5 Bis zum Abschluss des Verfahrens darf der betreffende Mitgliedstaat die Beihilfe nicht durchführen (sog. Durchführungsverbot, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV6). Verstöße hiergegen können zur Aussetzung oder zur vorläufigen Rückforderung bereits gewährter Beihilfen führen und zwar unabhängig von der (noch festzustellenden) materiellen Rechtmäßigkeit der betreffenden Maßnahme.7 Eine Vorabnotifizierung ist allerdings nur erforderlich, soweit nicht ausnahmsweise Beihilfen von der Notifizierungspflicht freigestellt sind. 2.2.2. Freistellung von der Notifizierungspflicht und ex-post-Kontrolle Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Anmeldung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte vorab bekannte materielle und formale Anforderungen eingehalten werden.8 Diese Anforderungen ergeben sich zunächst aus sog. Freistellungsverordnungen, die die Kommission u. a. auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer Ermächtigungsverordnung des Rates auf Grundlage des Art. 109 AEUV erlassen kann.9 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt. Die Kommission kann die ihr gleichwohl anzuzeigende Gewährung solcher Beihilfen jedoch 3 Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV (nachfolgend: Beihilfe-VerfO), ABl. 2015 Nr. L 248/9. 4 Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO. 5 Vgl. auch Art. 4, 6, 7 Beihilfe-VerfO. 6 Vgl. auch Art. 3 Beihilfe-VerfO. 7 Vgl. Art. 13 Beihilfe-VerfO. Ist eine Beihilfe materiell nicht rechtfertigungsfähig, ist sie endgültig zurückz ufordern , vgl. Art. 16 Beihilfe-VerfO). 8 Dieser Bereich des Beihilferechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilferechtsreform („ State Aid Modernisation “) ausgebaut, vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilferecht, NJW 2014, 3128 (3130). 9 Bei der Verordnung des Rates auf Grundlage von Art. 109 AEUV handelt es sich um die Verordnung (EU) 2015/1588 des Rates vom 13. Juli 2015 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, ABl. 2015 Nr. L 248/1. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 104/20 Seite 6 nachträglich kontrollieren. Die derzeit geltende Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) fasst verschiedene Freistellungstatbestände zusammen. 10 Diese gilt für sog. transparente Beihilfen, d.h. (Zins-)Zuschüsse, Darlehen, Bürgschaften, rückzahlbare Vorschüsse und Steuererleichterungen . Nach Art. 3 Verordnung 1407/2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV auf De-minimis -Beihilfen (nachfolgend: De-Minimis-Verordnung) gelten staatliche Förderungen, die die hierin festgelegten Schwellenwerte nicht überschreiten, nicht als Beihilfen i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV.11 Werden die Höchstgrenzen sowie die sonstigen Voraussetzungen eingehalten, dann sind die Maßnahmen nach Art. 3 Abs. 1 De-Minimis-VO auch von der Notifizierung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt. 3. Freistellung von der Notifizierungspflicht 3.1. Freistellung nach der GVO Nach Art. 3 GVO gelten Einzelbeihilfen auf der Grundlage von Beihilferegelungen und Ad-hoc- Beihilfen im Sinne des Artikels 107 Absatz 2 oder 3 AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar und sind von der Anmeldepflicht nach Artikel 108 Absatz 3 AEUV freigestellt, sofern diese Beihilfen alle Voraussetzungen des Kapitels I dieser Verordnung sowie die für die betreffende Gruppe von Beihilfen geltenden Voraussetzungen des Kapitels III erfüllen. Die GVO gilt nach ihrem Art. 5 nur für sog. transparente Beihilfen, d.h. Beihilfen in Form von Zuschüssen und Zinszuschüssen, Krediten, Garantien oder Steuervergünstigungen und die in Art. 5 Nrn. e) bis j) GVO definierten Beihilfen, soweit die näher geregelten Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Die GVO findet aber nach ihrem Art. 1 Nr. 4 c) keine Anwendung für Unternehmen in Schwierigkeiten , soweit eine Beihilferegelung nicht der Bewältigung von Naturkatastrophen dient. Die Unternehmen in Schwierigkeit werden in Art. 2 Nr. 18 GVO definiert. Insb. gelten als solche Unternehmen, die Gegenstand eines Insolvenzverfahrens sind oder die die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag seiner Gläubiger erfüllen. Im ErwG 14 findet sich folgende Begründung für diese Anwendungsbeschränkung der GVO: Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten sollten nicht unter diese Verordnung fallen, da diese Beihilfen anhand der Leitlinien der Gemeinschaft vom 1. Oktober 2004 für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten 10 Siehe hierzu Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 de s Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, (ABl. 2014 Nr. L 187/1), letzte konsolidierte Fassung vom 10.7.2017. 11 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen, ABl.EU 2013 Nr. L 352/1. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 104/20 Seite 7 […] gewürdigt werden sollten, um deren Umgehung zu verhindern; ausgenommen sind Beihilferegelungen zur Bewältigung der Folgen bestimmter Naturkatastrophen. Um Rechtssicherheit hinsichtlich der Frage zu schaffen, ob ein Unternehmen für die Zwecke dieser Verordnung als Unternehmen in Schwierigkeiten gilt, sollten diesbezüglich eindeutige Kriterien festgelegt werden, die auch ohne eine detaillierte Untersuchung der besonderen Lage eines Unternehmens überprüfbar sind. Die in Frage stehenden Überbrückungshilfen könnten nach der GVO als mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Notifizierungspflicht befreit sein und damit im Einklang mit dem Beihilferecht gewährt werden, soweit diese nicht Apotheker erhalten sollen, die Insolvenz angemeldet haben oder deren Gläubiger aussichtsreich einen Insolvenzantrag stellen könnten. Ohne genaue Datenbasis lässt sich nicht einschätzen, in welchem Umfang die GVO unionsrechtlich einen Gestaltungsrahmen eröffnet für die in Frage stehenden Überbrückungshilfen. 3.2. Freistellung nach der De-Minimis-Verordnung Sachlich anwendbar ist die De-Minimis-Verordnung auf Beihilfen an Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen. Hiervon ausgenommen sind Beihilfen an Unternehmen, die in der Primärerzeugung von Agrarerzeugnissen sowie der Fischerei und Aquakultur tätig sind. Nicht als Beihilfe i.S.d. Art 107 Abs. 1 AEUV gelten De-minimis-Beihilfen, soweit der Gesamtbetrag der einem einzigen Unternehmen12 gewährten Beihilfen 200.000 EUR innerhalb von drei Steuerjahren nicht übersteigt. Bei diesen Beihilfen wird ausweislich des Erwägungsgrundes 3 der De-Minimis-Verordnung davon ausgegangen, dass diese weder Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel haben noch den Wettbewerb zu verfälschen drohen. Die De-Minimis-Verordnung gilt nur für sog. transparente Beihilfen, mithin solchen, deren Bruttosubventionsäquivalent im Voraus genau berechnet werden kann, ohne dass eine Risikobewertung erforderlich ist (Art. 4 Abs. 1 De-Minimis-Verordnung). Regelmäßig gelten als solche Beihilfen in Form von Zuschüssen oder Zinszuschüssen (Art. 4 Abs. 2 De-Minimis-Verordnung). Sehr komplexe Anforderungen stellt die De-Minimis-Verordnung an Beihilfen und Gestalt von Darlehen (Art. 4 Abs. 3 De-Minimis-Verordnung) oder Garantien (Art. 4 Abs. 5). Als im Grundsatz transparente und damit die Anwendung der De-Minimis-Verordnung eröffnend erkennt diese auch Beihilfen in Form von Kapitalzuführungen (Art. 4 Abs. 4 De-Minimis-Verordnung) und im Rahmen von Risikofinanzierungsmaßnahmen an, die in Form von Beteiligungen oder beteiligungsähnlichen Finanzierungsinstrumenten gewährt werden (Art. 4 Abs. 5 De-Minimis-Verordnung ). Bis zu dem in Art. 3 Abs. 2 De-Minimis-Verordnung genannten Höchstbetrag von 200  000 EUR über drei Jahre dürfen De-minimis-Beihilfen kumuliert werde (Art. 5 De-Minimis-Verordnung). Die Gewährung dieser Beihilfen ist nach Maßgabe der Vorgaben in Art. 6 De-Minimis-Verordnung von den Mitgliedstaaten zu überwachen. 12 Zum Begriff „ein einziges Unternehmen“ vgl. Art. 2 Abs. 2 De-Minimis-Verordnung. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 104/20 Seite 8 4. Mit Artikels 107 Absatz 3 Buchst. c AEUV vereinbare staatliche Rettungsbeihilfen Überbrückungshilfen, die den unter 3. dargestellten Regelungen nicht unterfallen, würden nach Art. 107 Abs. 1 AEUV als verbotene Beihilfen gelten, soweit diese die dort normierten Tatbestandsmerkmale erfüllten 4.1.). Soweit Unterstützungsmaßnahmen zur Rettung von Unternehmen die Voraussetzungen einer Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen, würden diese als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen gelten, könnten aber u.U. auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV als sog. Rettungsbeihilfe gerechtfertigt sein (4.2.). 4.1. Die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV Zunächst erfüllten die erwogenen Überbrückungshilfen an Apotheker das Erfordernis für das Vorliegen einer Beihilfe, das bestimmte Unternehmen durch staatliche oder aus staatlichen Mitteln begünstigt würden. Nach europäischen Wettbewerbsrecht gelten als Unternehmen nach dem weit ausgelegten und funktional verstanden Unternehmensbegriff jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, wobei eine Tätigkeit als wirtschaftlich gilt, wenn sie darin besteht, auf einem bestimmten Markt Waren und/ oder Dienstleistungen anzubieten,13 wobei als wirtschaftlich tätig auch die Angehörigen der freien Berufe gelten.14 Da Apotheken diese Merkmale erfüllen, dürften sie nach europäischem Wettbewerbsrecht als Unternehmen anzusehen sein. Überbrückungshilfen für Apotheker wären allerdings nur mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit hierdurch der Wettbewerb verfälscht würde oder durch diese zu verfälschen drohte und dadurch der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt würde. Das Merkmal Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen wird in der Rechtsprechungspraxis der Unionsgerichte weit ausgelegt und bereits bejaht, wenn eine gewährte Vergünstigung die Stellung des Beihilfeempfängers im Verhältnis zu anderen Unternehmen stärkt,15 sich die Position eines Unternehmens in Folge der Beihilfe im Vergleich zu seinen Wettbewerbern verbessert .16 Das Merkmal der Handelsbeeinträchtigung zwischen den Mitgliedstaaten dient dazu, den Geltungsbereich des Unionsrechts von rein mitgliedstaatlichen Sachverhalten abzugrenzen und wird in der unionsgerichtlichen Rechtsprechungspraxis bereits dann angenommen, wenn zukünftige Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Wettbewerb infolge eines gewährten fiskalischen Vorteils zugunsten eines Unternehmens als möglich erscheinen.17 13 EuGH, Urt. v. 18.6.1998, Rs. C-35/96 Rn. 36 (Kommission/Italien). 14 EuGH, Urt. v. 12.9.2000, verb. Rs. C-180/98 u.a. Rn. 76 f. (Pavlov u.a.). 15 EuGH, Urt. v. 17.9.1980, Rs. 730/79 Rn. 11 (Philip Morris/Kommission). 16 EuGH, Urt. v. 19.09.2000, Rs. C-156/98 Rn. 33 (Deutschland/Kommission). 17 EuGH, Urt. v. 17.9.1980, Rs. 730/79 Rn. 11 (Philip Morris/Kommission). Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 104/20 Seite 9 Aufgrund des mittlerweile grenzüberschreitenden Handels mit Arzneimitteln ließe sich nicht von vornherein ausschließen, dass die erwogenen Überbrückungshilfen den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigten. Eine belastbare Einschätzung einer solchen Wirkung erforderte eine eingehende Marktanalyse und hinge naturgemäß auch von der Art und Größenordnung der den Apothekern gewährten Überbrückungshilfen ab. Ob diese Überbrückungshilfen mit Blick auf den bereits bestehenden grenzüberschreitenden Wettbewerb zwischen ortsansässigen Apotheken und Online Apotheken dazu führen könnten, den Wettbewerb zwischen ortsansässigen Apotheken mit Online Apotheken zu verfälschen oder zu verfälschen drohen, mag allerdings auf den ersten Blick zweifelhaft erscheinen, da hiermit nur der Liquiditätsverlust der von der AvP Insolvenz geschädigten Apotheker ganz oder teilweise ausgeglichen werden soll. Dagegen ließe sich allerdings anführen, dass vom Bezug der Überbrückungshilfe ausgeschlossene Wettbewerber ähnliche Risiken der von ihnen in Anspruch genommenen Dienstleister tragen müssten. Nach den dem Fachbereich vorliegenden Daten lässt sich darüber hinaus nicht zuverlässig einschätzen , ob die erwogenen Überbrückungshilfen überhaupt geeignet wären, Wirkungen auf den Wettbewerb zwischen ortsansässigen Apotheken mit Online Apotheken – nur zwischen diesen dürfte ein grenzüberschreitender Wettbewerb bestehen – in einem Ausmaß hervorzurufen, die die Annahme rechtfertigten, dass hierdurch dieser verfälscht würde oder zu verfälschen drohte. Dies erforderte eine eingehende Marktanalyse. Für eine solche Analyse könnte von Bedeutung sein, dass der Marktanteil von Online Apotheken bei verschreibungspflichtigen Arzneimittel derzeit gering ist.18 4.2. Rettungsbeihilfen als gerechtfertigte Beihilfen nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV Soweit die erwogenen Überbrückungshilfen die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllten und damit grundsätzlich als mit dem Binnenmarkt unvereinbar gelten, könnten diese gleichwohl nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar sein. Dies wäre insb. der Fall, soweit diese nach Maßgabe der Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (nachfolgend: Leitlinien )19 von der Kommission genehmigt werden könnten. Die Leitlinien sind mit Ausnahme des Steinkohlebergbaus und der Stahlindustrie auf alle Unternehmen anwendbar, gleichgültig, welchem Wirtschaftszweig sie angehören, mithin auch für Apotheken. Hilfen können hiernach nur Unternehmen in Schwierigkeiten gewährt werden. Nach Rn. 20. der Leitlinien gilt ein Unternehmen dann als Unternehmen in Schwierigkeiten, wenn es auf kurze oder mittlere Sicht so gut wie sicher zur Einstellung seiner Geschäftstätigkeiten gezwungen sein 18 Vgl. IW-Kurzbericht 15/2018. Hiernach soll der Anteil des Versandhandels bei rezeptpflichtigen Arzneien minimal sein. Im ersten Dreivierteljahr 2017 entfielen ungefähr 1 Prozent des im Apothekenmarkt mit rezeptpflichtiger Arznei erwirtschafteten Umsatzes auf den Versandhandel. Ähnliche Daten weist das Datenblatt DIE APO- THEKE – ZAHLEN, DATEN, FAKTEN 2020 aus. 19 Mitteilung der Kommission Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten 2014, Abl. L C-249/1. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 104/20 Seite 10 wird, wenn der Staat nicht eingreift. Von den dafür in den Leitlinien genannten Kriterien dürfte die Variante Nr. 20. c) einschlägig sein. Dort heißt es: Das Unternehmen ist Gegenstand eines Insolvenzverfahrens oder erfüllt die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag seiner Gläubiger. Rettungsbeihilfen können nach Nr. 55. der Leitlinien nur dann von der Kommission genehmigt werden, wenn eine Vielzahl der dort näher geregelten Voraussetzungen erfüllt werden. Insb. muss es sich bei den beantragten Beihilfen um vorübergehende Liquiditätshilfen in Form von Darlehensbürgschaften oder Darlehen handeln. Nach Nr. 60. der Leitlinien müssen Rettungsbeihilfen auf den Betrag begrenzt sein, der erforderlich ist, um das begünstigte Unternehmen sechs Monate lang weiterzuführen.20 Mit der beantragten Beihilfe muss zudem ein Ziel von gemeinsamem Interesse verfolgt werden.21 Dieser Zielsetzung entsprechen Beihilfen, mit denen soziale Härten vermieden oder Marktversagen behoben werden sollen, indem sie die langfristige Rentabilität des Unternehmens wiederherstellen.22 Die Leitlinien sehen ein beschleunigtes Verfahren für die Genehmigung von Rettungsbeihilfen vor. Die Kommission soll über Rettungsbeihilfen innerhalb eines Monats entscheiden.23 5. Ergebnis Überbrückungshilfen für durch AvP betroffene Apotheker müssten den Vorgaben des europäischen Beihilfenrechts entsprechen. Diese würden nicht als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen gelten und wären von der Notifizierungspflicht befreit, soweit diese die Voraussetzungen der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) oder der De-Minimis-Verordnung erfüllten. Überbrückungshilfen, die nicht diesen Regelungen unterfallen, würden nach Art. 107 Abs. 1 AEUV als verbotene Beihilfen gelten, soweit diese die dort normierten Tatbestandsmerkmale erfüllten . Dies belastbar einschätzen zu können erforderte eine eingehende Marktanalyse und die Kenntnis der Art und Größenordnung der Apothekern gewährten Überbrückungshilfen. Auch die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllende Überbrückungshilfen könnten als Rettungsbeihilfen nach den Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten von der Kommission genehmigt werden, soweit sie den dort geregelten Anforderungen entsprechen. – Fachbereich Europa – 20 Zu den einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen für Rettungsbeihilfen vgl. Nr. 55 bis 57, 60 ff. der Leitlinien. 21 Ziffer 3.1. der Leitlinien. 22 Nr. 43. der Leitlinien. 23 Ziffer 7.1. Nr. 121. der Leitlinien.