© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 104/19 Unionsrechtliche Vorgaben zur Angabe der Herkunft auf Lebensmitteln aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 2 Unionsrechtliche Vorgaben zur Angabe der Herkunft auf Lebensmitteln aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 104/19 Abschluss der Arbeit: 13. Dezember 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur Angabe der Herkunft auf Lebensmitteln aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten 4 2.1. Unionsrechtliche Grundlagen 4 2.1.1. Das Verbot der Irreführung nach Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV in der Rechtsprechung des EuGH 5 2.1.1.1. Möglichkeit der Irreführung hinsichtlich des tatsächlichen „Ursprungslandes“ 6 2.1.1.2. Möglichkeit der Irreführung hinsichtlich des tatsächlichen „Herkunftsorts“ 7 2.1.2. Verhältnis zu einzelstaatlichen Vorschriften 8 2.2. Anwendung des Verbots der Irreführung nach Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV auf Lebensmittel aus anderen völkerrechtlich umstrittenen Gebieten 9 2.2.1. Zu Produkten aus den palästinensischen Gebieten 10 2.2.2. Zu Produkten aus der Westsahara 10 2.2.3. Zu Produkten aus der Krim 12 2.2.4. Zu Produkten aus Tibet 13 2.2.5. Zu Produkten aus Transnistrien 13 3. Fazit 13 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 4 1. Einleitung Am 12. November 2019 entschied der EuGH in der Rechtssache C-363/181, dass nach der EU-Lebensmittelinformationsverordnung 1169/2011 (LMIV) „auf Lebensmitteln aus einem vom Staat Israel besetzten Gebiet nicht nur dieses Gebiet, sondern, falls diese Lebensmittel aus einer Ortschaft oder einer Gesamtheit von Ortschaften kommen, die innerhalb dieses Gebiets eine israelische Siedlung bildet, auch diese Herkunft angegeben werden muss“. In der Sache bestätigt der EuGH mit dieser Entscheidung das bereits von der Europäischen Kommission in einer „Mitteilung zu Auslegungsfragen über die Ursprungsbezeichnung von Waren aus den von Israel seit Juni 1967 besetzten Gebieten“2 zum Ausdruck gebrachte Verständnis der einschlägigen Vorschriften. Nach der Mittteilung wäre eine Kennzeichnung mit Ausdrücken wie „Erzeugnis von den Golanhöhen (israelische Siedlung)“ oder „Erzeugnis aus dem Westjordanland (israelische Siedlung)“ zulässig. Vor diesem Hintergrund wurde der Fachbereich Europa um Auskunft zu den rechtlichen Grundlagen der Kennzeichnung von Lebensmitteln aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten gebeten sowie um Klärung, ob diesbezüglich weitere Mitteilungen der Kommission vorliegen (2.1.). Ferner wird danach gefragt, wie auf der Grundlage der einschlägigen Bestimmungen mit Produkten aus den palästinensischen Gebieten sowie Gebieten der Westsahara, der Krim, aus Tibet oder Transnistrien zu verfahren ist (2.2.). In der nachfolgenden Ausarbeitung werden die aufgeworfenen Fragen aus unionsrechtlicher Sicht beantwortet. 2. Zur Angabe der Herkunft auf Lebensmitteln aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten 2.1. Unionsrechtliche Grundlagen Die LMIV legt allgemeine Grundsätze, Anforderungen und Zuständigkeiten für die Information über Lebensmittel und insbesondere für die Kennzeichnung von Lebensmitteln fest (Art. 1 Abs. 2 LMIV). Hierzu zählen Vorgaben über verpflichtende Angaben über ein bestimmtes Produkt gemäß Art. 9 LMIV. Nach Abs. 1 Buchst. i dieser Bestimmung sind Angaben über das Ursprungsland oder den Herkunftsort verpflichtend, wo dies in Art. 26 LMIV vorgesehen ist. Unbeschadet der in speziellen Rechtsvorschriften der Union für bestimmte Lebensmittel enthaltenen Kennzeichnungsvorschriften (vgl. Art. 1 Abs. 4 und Art. 26 Abs. 1 LMIV3), besteht eine Verpflichtung zur Angabe des Ursprungslandes oder des Herkunftsortes nach Art. 26 Abs. 2 1 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot. 2 Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen über die Ursprungsbezeichnung von Waren aus den von Israel seit Juni 1967 besetzten Gebieten, ABl. 2015, C 375, S. 4, Nr. 10. 3 Näher hierzu EuGH, Rs. C‑686/17, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main, Rn. 68 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 5 Buchst. b und Abs. 3 LMIV für Fleisch4 und unter bestimmten Voraussetzungen für sog. primäre Zutaten5 nach Maßgabe der hierzu erlassenen Durchführungsvorschriften. Darüber hinaus kann sich eine solche Verpflichtung aus dem Irreführungsverbot des Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV ergeben. Die Vorschrift lautet: „Artikel 26 Ursprungsland oder Herkunftsort […] (2) Die Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts ist in folgenden Fällen verpflichtend : a) falls ohne diese Angabe eine Irreführung der Verbraucher über das tatsächliche Ursprungsland oder den tatsächlichen Herkunftsort des Lebensmittels möglich wäre, insbesondere wenn die dem Lebensmittel beigefügten Informationen oder das Etikett insgesamt sonst den Eindruck erwecken würden, das Lebensmittel komme aus einem anderen Ursprungsland oder Herkunftsort; […]“ Diese Vorschrift liegt auch dem eingangs erwähnten Urteil des EuGH in der Rs. C-363/18 über die Kennzeichnung von Lebensmitteln aus israelischen Siedlungen in den von Israel besetzten Gebieten zugrunde. 2.1.1. Das Verbot der Irreführung nach Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV in der Rechtsprechung des EuGH In der erwähnten Entscheidung des EuGH in der Rs. C-363/18 hat sich der EuGH – soweit ersichtlich – erstmals zu verpflichtenden Herkunftsangaben auf der Grundlage von Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV in Bezug auf Lebensmittel aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten geäußert. Hierbei prüft der EuGH, ob eine Irreführung der Verbraucher gemäß Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV möglich wäre, weil bei ihnen der Eindruck erweckt würde, dass dieses Lebensmittel aus 4 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1337/2013 der Kommission vom 13. Dezember 2013 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Angabe des Ursprungslandes bzw. Herkunftsortes von frischem, gekühltem oder gefrorenem Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch. 5 Durchführungsverordnung (EU) 2018/775 der Kommission vom 28. Mai 2018 mit den Einzelheiten zur Anwendung von Artikel 26 Absatz 3 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel hinsichtlich der Vorschriften für die Angabe des Ursprungslands oder Herkunftsorts der primären Zutat eines Lebensmittels. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 6 einem anderen als seinem tatsächlichen Ursprungsland oder Herkunftsort kommt und legt zu diesem Zweck die maßgeblichen Begriffe „Ursprungsland“ und „Herkunftsort“ aus.6 2.1.1.1. Möglichkeit der Irreführung hinsichtlich des tatsächlichen „Ursprungslandes“ Der Begriff „Ursprungsland“ bezieht sich nach Art. 2 Abs. 3 LMIV auf den Ursprung eines Lebensmittels im Sinne der einschlägigen Vorschriften des Zollkodex, welche zwischen dem Ursprung in einem „Land oder Gebiet“ unterscheiden.7 Die Verpflichtung zur Angabe des „Ursprungslandes “ gemäß Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV erfordert somit sowohl die Angabe des Landes , als auch des betreffenden Gebietes, wenn ohne diese Angabe eine Irreführung der Verbraucher möglich wäre.8 Während der Begriff „Land“ als Synonym für den Begriff „Staat“ eine souveräne Einheit bezeichnet , die innerhalb ihrer geografischen Grenzen sämtliche ihr nach dem Völkerrecht zustehenden Befugnisse ausübt,9 sind als „Gebiete“ andere Einheiten zu verstehen, u.a. solche, auf die sich zwar die Hoheitsgewalt oder internationale Verantwortung eines Staates erstreckt, die aber einen eigenständigen völkerrechtlichen Status haben, der sich von dem dieses Staates unterscheidet.10 Mit Blick auf das Westjordanland und die Golanhöhen geht der EuGH unter Verweis auf das humanitäre Völkerrecht davon aus, dass es sich um „Gebiete“ handelt, die einer beschränkten Hoheitsgewalt des Staates Israel als Besatzungsmacht unterliegen, aber jeweils über einen eigenständigen völkerrechtlichen Status verfügen.11 Für das Westjordanland begründet dies der EuGH darüber hinaus mit dem vom Internationalen Gerichtshof anerkannten Selbstbestimmungsrecht der in diesem Gebiet lebenden palästinensischen Bevölkerung.12 Im Einzelnen führt der EuGH aus: „34 Nach den Regeln des humanitären Völkerrechts unterliegen diese Gebiete einer beschränkten Hoheitsgewalt des Staates Israel als Besatzungsmacht, verfügen aber jeweils über einen eigenen völkerrechtlichen Status, der sich von dem des Staates Israel unterscheidet . 35 Beim Westjordanland handelt es sich nämlich um ein Gebiet, dessen Bevölkerung, das palästinensische Volk, das Recht auf Selbstbestimmung hat, wie der Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten vom 9. Juli 2004 „Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory“ (Rechtsfolgen des Baus einer Mauer auf 6 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, insb. Rn. 25. 7 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 26-28. 8 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 32. 9 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 28 f. 10 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 31. 11 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 34. 12 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 35. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 7 besetztem palästinensischem Gebiet, I.C.J. Reports 2004, S. 136, Rn. 118 und 149) festgestellt hat. Die Golanhöhen sind Teil des Hoheitsgebiets eines anderen Staates als des Staates Israel, nämlich der Arabischen Republik Syrien. 36 Nach alledem ist festzustellen, dass die Verbraucher getäuscht werden könnten, wenn auf Lebensmitteln wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden angegeben würde, ihr „Ursprungsland“ sei der Staat Israel, obwohl sie tatsächlich aus einem der in Rn. 33 des vorliegenden Urteils genannten Gebiete stammen. 37 Um zu vermeiden, dass die Verbraucher in Bezug auf die Tatsache irregeführt werden können, dass der Staat Israel in diesen Gebieten als Besatzungsmacht und nicht als souveräne Einheit in dem in Rn. 29 des vorliegenden Urteils beschriebenen Sinne präsent ist, scheint es außerdem erforderlich, sie darauf hinzuweisen, dass diese Lebensmittel nicht aus dem Staat Israel kommen. 38 Demnach darf die Angabe des Ursprungsgebiets von Lebensmitteln wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht weggelassen werden und ist somit als verpflichtend im Sinne der Art. 9 und 26 der Verordnung Nr. 1169/2011 anzusehen.“ 2.1.1.2. Möglichkeit der Irreführung hinsichtlich des tatsächlichen „Herkunftsorts“ Der Begriff „Herkunftsort“ ist hingegen dahin zu verstehen, dass er ein bestimmtes geografisches Gebiet im Ursprungsland oder Ursprungsgebiet eines Lebensmittels mit Ausnahme der Anschrift des Lebensmittelunternehmens bezeichnet.13 Für die Frage, ob die Angabe des Herkunftsortes eines Lebensmittels als verpflichtend im Sinne des Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV anzusehen ist, prüft der EuGH, ob ohne diese Angabe, wenn also lediglich das Ursprungsgebiet angegeben wird, eine Irreführung der Verbraucher über den tatsächlichen Herkunftsort der betreffenden Lebensmittel möglich wäre.14 Dies sah der EuGH mit Blick auf Lebensmittel aus israelischen Siedlungen im Westjordanland oder den Golanhöhen als gegeben an, weil Verbraucher ohne die Angabe des Herkunftsortes zu der Annahme verleitet werden könnten, das Lebensmittel stamme von einem palästinensischen oder syrischen Lebensmittelunternehmen.15 Hierbei geht der EuGH davon aus, dass der Umstand, ob ein Lebensmittel aus einer unter Verstoß gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts errichteten Siedlung kommt, die Kaufentscheidung der Verbraucher unter ethischen Erwägungen beeinflussen kann16 und somit im Rahmen des Irreführungsschutzes gemäß Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV zu berücksichtigen ist. Dies begründet der EuGH zum einen unter Verweis auf das durch die Verordnung angestrebte „hohe 13 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 41. 14 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 47. 15 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 49. 16 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 56. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 8 Verbraucherschutzniveau“ und die hierfür nach Art. 3 Abs. 1 LMIV zu berücksichtigenden „ethischen Gesichtspunkte“.17 2.1.2. Verhältnis zu einzelstaatlichen Vorschriften Das grundsätzliche Verhältnis der LMIV zu einzelstaatlichen Vorschriften regelt ihr Art. 38: „Artikel 38 Einzelstaatliche Vorschriften (1) Die Mitgliedstaaten dürfen in Bezug auf die speziell durch diese Verordnung harmonisierten Aspekte einzelstaatliche Vorschriften weder erlassen noch aufrechterhalten, es sei denn, dies ist nach dem Unionsrecht zulässig. Diese einzelstaatlichen Vorschriften dürfen nicht den freien Warenverkehr behindern, beispielsweise durch die Diskriminierung von Lebensmitteln aus anderen Mitgliedstaaten. (2) Unbeschadet des Artikels 39 dürfen die Mitgliedstaaten einzelstaatliche Vorschriften zu Aspekten erlassen, die nicht speziell durch diese Verordnung harmonisiert sind, sofern diese Vorschriften den freien Verkehr der Waren, die dieser Verordnung entsprechen, nicht unterbinden, behindern oder einschränken.“ Hinsichtlich der Pflichtinformationen u.a. nach Art. 9 Abs. 1 LMIV, zu denen auch die in Rede stehenden Herkunftsangaben nach Buchst. i zählen, ist davon auszugehen, dass es dabei um speziell harmonisierte Aspekte im Sinne des Art. 38 Abs. 1 LMIV handelt, von denen die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht abweichen dürfen.18 Ausnahmen ergeben sich aus der LMVI aus ihren Art. 39-44, wonach in einzelstaatlichen Vorschriften zusätzliche bzw. abweichende Angaben für Lebensmittel lediglich in engen Grenzen vorgesehen werden können. Mit Blick auf die hier zu beurteilende Kennzeichnung von Produkten aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten unter Gesichtspunkten des Irreführungsschutzes kommen von der Vorschrift des Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV abweichende oder sie ergänzende einzelstaatliche Vorgaben allenfalls auf der Grundlage von Art. 39, 40, 44 LMIV in Betracht. Nennenswerte Spielräume für die Mitgliedstaaten dürften sich daraus jedoch nicht ergeben. So wäre eine zusätzliche verpflichtende Angabe nach Art. 39 LMIV etwa nur vorstellbar, wenn sich in einem bestimmten Einzelfall mangels Möglichkeit einer Irreführung gemäß Art. 26 LMIV keine Verpflichtung zur Angabe der Herkunft des Lebensmittels ergibt. In diesem Fäll erschiene es zwar grundsätzlich möglich, eine derartige zusätzliche Verpflichtung einzelstaatlich festzulegen . Allerdings wäre hierbei insbesondere die in Art. 39 Abs. 2 LMIV festgeschriebene Bedingung 17 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 52 f. 18 Insoweit werden die Pflichtangaben gemäß Art. 9 Abs. 1 LMIV im Schrifttum als „Vollharmonisierung“ charakterisiert , vgl. Voit, in: Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl. 2016, Art. 38, Rn. 4, 7; Meisterernst, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht , Stand 174. EL Juli 2019, Art. 38, Rn. 5; siehe auch Böhm, Die verpflichtende Herkunftskennzeichnung in der Lebensmittelinformationsverordnung, 2014, S. 30. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 9 zu beachten, wonach eine einzelstaatliche Festlegung nur unter der Voraussetzung möglich wäre, dass „nachweislich eine Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft besteht“. Es erscheint jedoch fernliegend, dass allein die Tatsache , dass ein bestimmtes Lebensmittel aus einem völkerrechtlich umstrittenen Gebiet stammt, dem Lebensmittel eine besondere Eigenschaft in Bezug auf seinen Ursprung oder seine Herkunft verleiht.19 Darüber hinaus sind von den Pflichtangaben u.a. nach Art. 9 Abs. 1 LMIV abweichende einzelstaatliche Vorgaben insoweit erlaubt, als es um die Kennzeichnung von Milch und Milcherzeugnissen in Glasflaschen geht, die zur Wiederverwendung bestimmt sind (Art. 40 LMIV). Für die in Frage stehenden Produkte aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten dürfte die praktische Bedeutung dieser Vorschrift jedoch gering sein. Ähnliches dürfte für einzelstaatliche Vorschriften für nicht vorverpackte Lebensmittel gelten, für die nach Art. 44 Abs. 1 LMIV lediglich die Angaben nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. c LMIV verpflichtend sind, sofern die Mitgliedstaaten keine abweichenden Vorschriften vorsehen. Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, dass den Mitgliedstaaten kein nennenswerter Spielraum verbleibt, von den Vorgaben in Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV abzuweichen oder zu ihrer Ergänzung einzelstaatliche Festlegungen hinsichtlich der Kennzeichnung von Produkten aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten unter Gesichtspunkten des Irreführungsschutzes zu treffen. Insoweit sind die Vorgaben des Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV als abschließend anzusehen. 2.2. Anwendung des Verbots der Irreführung nach Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV auf Lebensmittel aus anderen völkerrechtlich umstrittenen Gebieten Wenngleich der EuGH, soweit ersichtlich, bislang keine Gelegenheit hatte, sich konkret zur Anwendung von Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV im Hinblick auf Lebensmittel aus anderen völkerrechtlich umstrittenen Gebieten zu äußern, steht fest, dass insoweit die gleichen Maßstäbe anzulegen sind. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass, soweit ersichtlich, bislang lediglich mit Blick auf Produkte aus den von Israel besetzten Gebieten eine Mitteilung der Kommission vorliegt , in der sie ihre Auffassung zur Auslegung der einschlägigen Vorschriften dargelegt. Denn derartige Mitteilungen der Kommission sind grundsätzlich unverbindlich,20 wie auch in der fraglichen Mitteilung vom 12. November 2015 ausdrücklich bekräftigt wird.21 Allgemein ist eine Irreführung der Verbraucher im Hinblick auf die Herkunft eines Lebensmittels in vielfältiger Weise denkbar. Die Anwendung des Irreführungsverbots ist daher stets eine Frage der Gesamtumstände des konkreten Einzelfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt, für die nach Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV insbesondere die dem Lebensmittel beigefügten Informationen oder das Etikett zu berücksichtigen sind. Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich 19 So auch Generalanwalt Hogan, Schlussanträge, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 86. 20 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Stand 67. EL Juni 2019, Art. 288 AEUV, Rn. 211. 21 Kommission, Mitteilung zu Auslegungsfragen über die Ursprungsbezeichnung von Waren aus den von Israel seit Juni 1967 besetzten Gebieten, ABl. 2015, C 375, S. 4, Nr. 3. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 10 daher auf grundlegende Fragen im Zusammenhang mit dem völkerrechtlichen Status des betreffenden Gebietes, ohne diesbezüglich eine abschließende Einschätzung zu beanspruchen. 2.2.1. Zu Produkten aus den palästinensischen Gebieten Zu den palästinensischen Gebieten zählt neben dem Westjordanland und Ostjerusalem auch der Gaza-Streifen. In seinem Urteil der Rs. C-363/18 stellt der EuGH ausdrücklich fest, dass es u.a. bei Lebensmitteln, die aus dem Westjordanland oder Ostjerusalem stammen, erforderlich erscheint , die Verbraucher darauf hinzuweisen, dass sie nicht aus dem Staat Israel stammen, weshalb bei diesen die Angabe des Ursprungsgebietes nicht weggelassen werden darf.22 Auf die Kennzeichnung von Produkten aus dem Gaza-Streifen beziehen sich diese Ausführungen nicht. Da der Gaza-Streifen jedoch nicht mehr von Israel besetzt ist,23 dürfte insoweit wohl nicht von einem entsprechenden Klarstellungserfordernis aus Gründen des Irreführungsschutzes auszugehen sein. 2.2.2. Zu Produkten aus der Westsahara Zur Frage der Anwendung von Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV auf Produkte aus den Gebieten der Westsahara könnte die Rechtsprechung des EuGH im Bereich des Handelsrechts möglicherweise Hinweise liefern. So gelangte der EuGH in der Rechtsmittelentscheidung Front Polisario zu dem Schluss, dass die Westsahara nicht in den räumlichen Geltungsbereich des zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko geschlossenen Liberalisierungsabkommens fällt.24 Dies begründet der EuGH u.a. mit dem sich aus dem völkerrechtlichen Grundsatz der Selbstbestimmung ergebenden „gesonderten und unterschiedlichen Status der Westsahara gegenüber jedem Staat einschließlich dem Königreich Marokko“.25 Im Einzelnen führt der EuGH aus: „88 Wie der Internationale Gerichtshof in den Rn. 54 bis 56 seines Gutachtens über die Westsahara ausgeführt hat, ist der gewohnheitsrechtliche Grundsatz der Selbstbestimmung , auf den insbesondere in Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen hingewiesen wird, ein Grundsatz des Völkerrechts, der für alle Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung und für alle Völker, die noch nicht die Unabhängigkeit erlangt haben, gilt. Es handelt sich um eine Erga-omnes-Verpflichtung und ein Grundprinzip des Völkerrechts (Osttimor [Portugal /Australien], Urteil, I.C.J. Reports 1995, S. 90, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung ). 22 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 37 f. 23 Vgl. die einführenden Hinweise zum historischen Hintergrund, Generalanwalt Hogan, Schlussanträge, Rs. C- 363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 5. 24 EuGH, Rs. C‑104/16 P, Rat / Front Polisario, Rn. 132. 25 EuGH, Rs. C‑104/16 P, Rat / Front Polisario, Rn. 87 ff. insb. Rn. 92, 132; bestätigt durch EuGH, Rs. C‑266/16, Western Sahara Campaign UK, Rn. 61 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 11 89 Der Grundsatz der Selbstbestimmung gehört deshalb zu den in den Beziehungen zwischen der Union und dem Königreich Marokko anwendbaren einschlägigen Völkerrechtssätzen . Das Gericht hätte ihn berücksichtigen müssen. 90 Nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung, wie er durch die oben in Rn. 26 angeführte Resolution 2625 (XXV) der Generalversammlung der UNO präzisiert worden ist, „hat [d]as Gebiet einer Kolonie oder eines anderen Hoheitsgebiets ohne Selbstregierung … nach der Charta [der Vereinten Nationen] einen vom Hoheitsgebiet des Staates, von dem es verwaltet wird, gesonderten und unterschiedlichen Status“. 91 Die Generalversammlung der UNO hat sich in ihren verschiedenen Resolutionen über die Westsahara immer wieder dafür ausgesprochen, dass „die einheimische Bevölkerung dieses Gebiets ihr Recht auf Selbstbestimmung frei ausüben kann“, wie der Internationale Gerichtshof in den Rn. 62, 64 und 68 seines Gutachtens über die Westsahara ausgeführt hat. 92 Wegen des sich aus dem Grundsatz der Selbstbestimmung ergebenden gesonderten und unterschiedlichen Status der Westsahara gegenüber jedem Staat einschließlich dem Königreich Marokko kann der Ausdruck „Gebiet des Königreichs Marokko“ in Art. 94 des Assoziationsabkommens, wie die Kommission geltend macht und der Generalanwalt in den Nrn. 71 und 75 seiner Schlussanträge im Kern festgestellt hat, nicht dahin ausgelegt werden, dass die Westsahara in den räumlichen Geltungsbereich des Assoziationsabkommens fällt. 93 Das Gericht hat in Rn. 3 des angefochtenen Urteils zwar festgestellt, dass die Westsahara seit 1963 in der Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung im Sinne von Art. 73 der Charta der Vereinten Nationen aufgeführt ist, aus dem Status, über den die Westsahara deshalb nach dem Völkerrecht verfügt hinsichtlich der Unanwendbarkeit des Assoziationsabkommens auf sie, aber nicht die Konsequenzen gezogen. 94 Ferner ist festzustellen, dass ein Vertrag nach der in Art. 29 des Wiener Übereinkommens niedergelegten Regel des Gewohnheitsrechts jede Vertragspartei, sofern keine abweichende Absicht aus dem Vertrag hervorgeht oder anderweitig festgestellt ist, hinsichtlich „ihres gesamten Hoheitsgebiets“ bindet. 95 Im Zusammenhang mit der Auslegung von Art. 94 des Assoziationsabkommens ergibt sich aus dieser Regel und der allgemeinen Bedeutung des Ausdrucks „Gebiet“ im Zusammenhang mit dem adjektivischen Possessivpronomen „seinem“, dass ein Vertrag einen Staat grundsätzlich hinsichtlich des räumlichen Bereichs bindet, in dem er sämtliche Befugnisse ausübt, die souveränen Einheiten nach dem Völkerrecht zustehen, nicht aber hinsichtlich eines jeglichen anderen Gebiets, wie etwa eines Gebiets, auf das sich lediglich seine Hoheitsgewalt oder internationale Verantwortung erstreckt.“ Diese Ausführungen sind vorliegend von besonderem Interesse, weil sich der EuGH in seinem Urteil in der Rs. C-363/18 ausdrücklich auf sie bezieht und dementsprechend auch den Status des Westjordanlandes als „Gebiet“ im Sinne des Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV mit dem sich aus Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 12 dem Selbstbestimmungsrecht des darin lebenden palästinensischen Volkes ergebenden eigenständigen völkerrechtlichen Status dieses Gebietes begründet.26 Vor diesem Hintergrund dürfte wohl davon auszugehen sein, dass der EuGH den in der Rs. Front Polisario herausgestellten eigenständigen völkerrechtlichen Status der Westsahara auch bei der Anwendung von Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV zugrunde legen würde. Demnach dürfte auf Lebensmitteln aus der Westsahara zur Vermeidung der Möglichkeit einer Irreführung der Verbraucher nicht der Staat Marokko als Ursprungsland angegeben sein. Darüber hinaus bedürfte es eines Hinweises, dass diese Lebensmittel nicht aus dem Staat Marokko stammen, so dass die Angabe der Westsahara als tatsächliches Ursprungsgebiet als verpflichtend im Sinne von Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV anzusehen wäre. 2.2.3. Zu Produkten aus der Krim Gemäß Art. 2 der Verordnung 692/2014 „über restriktive Maßnahmen als Reaktion auf die rechtswidrige Eingliederung der Krim und Sewastopols durch Annexion“27 ist die Einfuhr von Waren mit Ursprung auf der Krim oder in Sewastopol in die Europäische Union seit dem 25. Juni 2014 grundsätzlich verboten. Insoweit erübrigt sich aktuell die Frage ihrer Kennzeichnung. Im Hinblick auf Lebensmittel mit Ursprung auf der Krim, die vor Inkrafttreten dieser Maßnahme eingeführt wurden, ist die Übergangsregelung des Art. 54 LMIV zu beachten. Hiernach dürfen Lebensmittel , die vor dem 13. Dezember 2014 in Verkehr gebracht oder gekennzeichnet wurden, weiterhin vermarktet werden, bis die jeweiligen Bestände erschöpft sind, auch wenn sie den Anforderungen dieser Verordnung nicht entsprechen. Insoweit käme es auf die bis zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtslage an. Ungeachtet dessen erscheint jedoch auch mit Rücksicht auf die oben genannte sowie weitere restriktive Maßnahmen der Union und den ihnen zugrundeliegenden GASP-Beschlüssen,28 die ebenfalls von einer unrechtmäßigen Eingliederung der Krim in die Russische Föderation durch Annexion ausgehen, die Annahme naheliegend, dass auch im Rahmen der Anwendung von Art. 26 LMIV grundsätzlich die Krim völkerrechtlich nicht als Teil der Russischen Föderation zu betrachten ist, und zur Vermeidung einer Irreführung der Verbraucher Lebensmittel aus diesem Gebiet entsprechend zu kennzeichnen wären. Ausgehend von dieser Annahme würde das Irreführungsverbot des Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV einer Angabe der Russischen Föderation als Ur- 26 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 31, 35. 27 Verordnung (EU) Nr. 692/2014 des Rates vom 23. Juni 2014 über restriktive Maßnahmen als Reaktion auf die rechtswidrige Eingliederung der Krim und Sewastopols durch Annexion; Beschluss 2014/386/GASP des Rates vom 23. Juni 2014 über Beschränkungen für Waren mit Ursprung auf der Krim oder in Sewastopol als Reaktion auf die rechtswidrige Eingliederung der Krim und Sewastopols durch Annexion. 28 Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren; Beschluss 2014/512/GASP des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren . Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 13 sprungsland entgegenstehen. Ferner dürfte auch ein Hinweis auf das Ursprungsgebiet als erforderlich anzusehen sein, um Verbraucher darauf hinzuweisen, dass das betreffende Lebensmittel nicht aus der Russischen Föderation stammt.29 2.2.4. Zu Produkten aus Tibet Der Status Tibets ist in der Völkerrechtswissenschaft umstritten.30 Auch der EuGH hat sich hierzu, soweit ersichtlich, bislang nicht geäußert. Es mangelt somit an hinreichend deutlichen Anhaltspunkten, die Rückschlüsse auf einen eigenständigen völkerrechtlichen Status Tibets als ein „Gebiet“ oder ggf. als „Herkunftsort“ im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Vorschriften der LMIV zu verpflichtenden Herkunftsangaben zulassen könnten. 2.2.5. Zu Produkten aus Transnistrien Zum völkerrechtlichen Status Transnistriens hat sich der EuGH bislang, soweit ersichtlich, nicht geäußert. Die unionale Rechtslage in anderen Bereichen ist jedoch erkennbar von der Einschätzung geprägt, dass Transnistrien grundsätzlich als Teil der Republik Moldau anzusehen sei, in der die Regierung der Republik Moldau lediglich (vorübergehend) keine tatsächliche Kontrolle ausübe. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zum einen der Beschlusses 2010/573/GASP31 „betreffend restriktive Maßnahmen gegen die Führung der transnistrischen Region der Republik Moldau“. Zum anderen kommt diese Einschätzung auch in der Vorschrift des Art. 462 des Assoziierungsabkommens 32 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits zum Ausdruck , welche zum räumlichen Anwendungsbereich des Abkommens festlegt, dass die Anwendung des Abkommens „in Bezug auf diejenigen Gebiete der Republik Moldau, in denen die Regierung der Republik Moldau keine tatsächliche Kontrolle ausübt, erst dann [beginnt], wenn die Republik Moldau die vollständige Um- und Durchsetzung dieses Abkommens […] in ihrem gesamten Hoheitsgebiet gewährleistet“. Eine abschließende Klärung des völkerrechtlichen Status Transnistriens in Bezug auf die Anwendung der LMIV ist an dieser Stelle nicht möglich. 3. Fazit Soweit ersichtlich, hat sich der EuGH in der Rs. C-363/18 erstmals zur Anwendung des Irreführungsverbotes gemäß Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV in Bezug auf Lebensmittel aus völkerrechtlich umstrittenen Gebieten geäußert. Die verpflichtende Angabe der Herkunft auf Lebensmitteln 29 EuGH, Rs. C-363/18, Organisation juive européenne und Vignoble Psagot, Rn. 37 f. 30 Für weiterführende Hinweise siehe Wissenschaftliche Dienste des Bundestages, Ausarbeitung WD 2 – 3000- 037/08 vom 18. April 2008, „Zum Status von Tibet: Völkerrechtliche Grundlagen und die Haltung der Bundesregierungen “. 31 Beschluss 2010/573/GASP des Rates vom 27. September 2010 betreffend restriktive Maßnahmen gegen die Führung der transnistrischen Region der Republik Moldau. 32 Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau andererseits, ABl. 2014, L 260, S. 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 104/19 Seite 14 aus Gründen des Irreführungsschutzes nach dieser Vorschrift ist in der LMIV grundsätzlich abschließend harmonisiert, so dass diesbezüglich kein nennenswerter Spielraum für einzelstaatliche Regelungen verbleibt. Die vom EuGH in der Rs. C-363/18 entwickelten Maßstäbe für die Anwendung des Art. 26 Abs. 2 Buchst. a LMIV gelten auch für Lebensmittel aus anderen völkerrechtlich umstrittenen Gebieten. Soweit ersichtlich, liegen keine weiteren Mitteilungen der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die in diesem Zusammenhang einschlägigen Unionsbestimmungen vor. Eine verpflichtende Angabe der Herkunft dürfte etwa mit Blick auf Lebensmittel aus der Westsahara sowie der Krim anzunehmen sein, wobei eine abschließende Bewertung diesbezüglich mangels konkret einschlägiger Rechtsprechung nicht möglich ist. Fachbereich Europa