© 2016 Deutscher Bundestag PE 6-3000-102/16 188 Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie zum Grundsatz „equal pay“ bei der Arbeitnehmerüberlassung Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 2 Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie zum Grundsatz „equal pay“ bei der Arbeitnehmerüberlassung Aktenzeichen: PE 6 – 3000 – 102/16 Abschluss der Arbeit: 13. Juli 2016 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorgaben des Europarechts zur Entlohnung von Leiharbeitnehmern 4 1.1. Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie zur Entlohnung von Leiharbeitnehmern 4 1.2. Vorgaben des europäischen Primärrechts zur Entlohnung von Leiharbeitnehmern 7 1.2.1. Anwendbarkeit 7 1.2.2. Schutzbereich des Art. 31 GRC 7 2. Europäische Rechtsprechung 10 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 4 Der Fachbereich Europa wird um die Beantwortung folgender Fragen ersucht: 1) Lässt sich auf europäischer Ebene, z.B. über die Europäische Leiharbeitsrichtlinie (Richtlinie 2008/104/EG) ableiten, wie genau der Begriff „equal –pay“ in der Arbeitnehmerüberlassung definiert ist bzw. welche Gehaltsbestandteile unter „equal-pay“ fallen? 2) Gibt es auf europäischer Ebene eine Rechtsprechung zu diesem Thema? Die Frage 3 des Auftrags bearbeitet der Fachbereich Arbeit und Soziales (WD 6). 1. Vorgaben des Europarechts zur Entlohnung von Leiharbeitnehmern 1.1. Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie zur Entlohnung von Leiharbeitnehmern Die Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit1 (nachfolgend: Leiharbeits-RL), die spätestens bis zum 5.12.2011 in das Recht der Mitgliedstaaten umzusetzen war2, geht im Grundsatz von der Gleichstellung der Leiharbeitnehmer mit den Arbeitnehmern im Stammbetrieb des Entleihers hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen und damit auch hinsichtlich des Arbeitsentgelts aus. Im Erwägungsgrund 14 der Leiharbeits-RL heißt es: „Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für Leiharbeitnehmer sollten mindestens denjenigen entsprechen, die für diese Arbeitnehmer gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt würden.“ Das Gebot der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern und der Stammbelegschaft des Entleihers hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen findet sich in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Leiharbeits -RL. Dort heißt es: „Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer entsprechen während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.“ Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen werden in Art. 3 Buchst. f) Leiharbeits -RL definiert: 1 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit, ABl L 327/9, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/?qid=1465199970472&uri=CELEX:32008L0104 . 2 Art. 11 Leiharbeits-RL. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 5 „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen , die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgelegt sind und sich auf folgende Punkte beziehen: i) Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub , arbeitsfreie Tage, ii) Arbeitsentgelt.“ Vorstehende Regelung verdeutlicht, dass das Arbeitsentgelt als Teil der zu gewährleistenden wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten bzw. der Tarifvertragsparteien unterliegt und nicht durch europäisches Recht abschließend definiert ist.3 Dafür dürfte auch sprechen, dass Art. 3 Abs. 9 der Entsenderichtlinie4 für die Mitgliedstaaten für Leiharbeitnehmer die Befugnis vorsieht, den Equal-Pay-Grundsatz einzuführen, was verdeutlicht, dass das Unionsrecht diesen der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten unterstellt . Das Bundesarbeitsgericht folgert aus der Leiharbeits-RL im Rahmen einer unionskonformen Auslegung für § 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), dass der Maßstab für das vom Leiharbeitnehmer zu beanspruchende Arbeitsentgelt dasjenige ist, „das der Leiharbeitnehmer erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit unmittelbar beim Entleiher eingestellt worden wäre.“ 5 Die Leiharbeits-RL lässt eine Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz grundsätzlich zu, soweit das Schutzbedürfnis von Leiharbeitnehmern durch das Bestehen eines unbefristeten Vertrags gewahrt bleibt.6 Der Erwägungsgrund 15 der Leiharbeits-RL verweist auf die Option, durch Tarifverträge von der Gleichbehandlung hinsichtlich der wesentlichen Beschäftigungsbedingungen abzuweichen: „Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Im Falle von Arbeitnehmern, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen geschlossen haben, sollte angesichts des hierdurch gegebenen besonderen Schutzes 3 Vgl. Feuerborn, JbArbR 51 (2014), 89 (100), der darauf verweist, dass der Begriff des Arbeitsentgelts nach § 10 Abs. 4 AÜG national zu bestimmen, mithin nicht durch EU-Recht vorgegeben sei, der neben dem laufenden Arbeitsentgelt jede Art von Vergütung umfasse, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses entrichtet werde. Gegen die Annahme, der Equal-Pay-Grundsatz im AÜG sei europarechtlich vorgegeben, wendet sich auch Thüsing/ Stiebert, Der CGZP-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts 2012, 59 (71). 4 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl L 018, 1, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1468402046942&uri=CELEX:31996L0071. 5 BAG, Urt. v. 13.03.2013, 5 AZR 242/12, Rn. 30. 6 Thüsing/Stiebert, ZESAR 2012, 199 (204). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 6 die Möglichkeit vorgesehen werden, von den im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln abzuweichen.“ Art. 5 Abs. 2 Leiharbeits-RL eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, vom Schlechterstellungsverbot hinsichtlich des Arbeitsentgelts nach Anhörung der Sozialpartner abzuweichen, vorausgesetzt, dass die Leiharbeitnehmer einen unbefristeten Vertrag geschlossen haben und auch für die Zeit zwischen den Überlassungen entlohnt werden.7 „In Bezug auf das Arbeitsentgelt können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner die Möglichkeit vorsehen, dass vom Grundsatz des Absatzes 1 abgewichen wird, wenn Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden.“ Der Erwägungsgrund 17 der Leiharbeits-RL verdeutlicht, dass dabei ein angemessenes Schutzniveau zu wahren ist: „Außerdem sollten die Mitgliedstaaten unter bestimmten, genau festgelegten Umständen auf der Grundlage einer zwischen den Sozialpartnern auf nationaler Ebene geschlossenen Vereinbarung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in beschränktem Maße abweichen dürfen, sofern ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet ist.“ Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL eröffnet den Mitgliedstaaten die Option, vom Equal-Pay-Grundsatz durch tarifvertragliche Regelungen abzuweichen, auch nur insoweit, soweit dadurch ein Mindestschutzniveau für Arbeitnehmer gewahrt wird. „(3) Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern, welche von den in Absatz 1 aufgeführten Regelungen abweichen können, enthalten können.“ Teilweise wird im Schrifttum die Geltung dieser Regelung für das Arbeitsentgelt verneint8, wogegen allerdings spricht, dass Art. 3 Buchst. f) Leiharbeits-RL auch das Arbeitsentgelt als eine wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingung definiert. Die Leiharbeits-RL ermächtigt mithin die Mitgliedstaaten, den Tarifvertragsparteien zu gestatten, Tarifregelungen für Leiharbeitnehmer zu erlassen, das allerdings unter dem Vorbehalt, dass bei Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz gegenüber den Beschäftigten des Entleihers der 7 Dazu näher Düwell/Dahl, DB 2010, 1759 (1761); Rödl/Ubber, NZA 2012, 841 (842). 8 Krause, Tarifverträge zur Bemessung der Leiharbeit, 2012, S. 28 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 7 Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer gewährleistet ist, ohne das Niveau dieses „Gesamtschutzes“ allerdings zu definieren.9 1.2. Vorgaben des europäischen Primärrechts zur Entlohnung von Leiharbeitnehmern Nachfolgend wird erörtert, ob Art. 31 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) Vorgaben zur Gewährleistung des Equal-Pay-Grundsatzes zu entnehmen sind. Dies setzt voraus, dass die Grundrechtecharta für die vorliegend untersuchte Frage Anwendung findet (1.2.1.) und der Schutzbereich des Art 31 GRC die Gewährleistung des Equal-Pay-Grundsatzes umfasst (1.2.2.). 1.2.1. Anwendbarkeit Der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta ist nur dann eröffnet, wenn Organe oder Einrichtungen der EU oder die Mitgliedstaaten EU-Recht, also Primär- und Sekundärrecht der EU, durchführen (Art. 51 GRC). Die Grundrechtecharta findet mithin dann Anwendung, wenn die Mitgliedstaaten durch Erlass eines Rechtsaktes EU-Vorgaben umsetzen oder aufgrund von EU- Recht Verwaltungstätigkeiten vornehmen.10 Da es vorliegend um Fragen der gleichen Bezahlung von Leiharbeitnehmern wie der Stammbelegschaft des Entleihers geht, die in der Leiharbeits-RL geregelt sind, findet die Grundrechtecharta vorliegend Anwendung. 1.2.2. Schutzbereich des Art. 31 GRC Die Frage, ob Art. 31 GRC Vorgaben zur Gewährleistung des Equal-Pay-Grundsatzes zu entnehmen sind, stellte sich aber nur, wenn diese Frage in der Grundrechtecharta überhaupt geregelt wäre. Nach Art. 31 Abs. 1 GRC hat jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht auf gesunde , sichere und würdige Arbeitsbedingungen. Fraglich ist daher, ob der Begriff Arbeitsbedingungen auch das Arbeitsentgelt, würdige Arbeitsbedingungen auch den gleichen Lohn umfassen. Eine weite Auslegung des Gesetzeswortlauts schließt zunächst nicht aus, dass der Begriff Arbeitsbedingungen auch das Arbeitsentgelt umfasst. Gegen diese Annahme spricht allerdings die systematische Auslegung, berücksichtigt man, wie der Begriff Arbeitsbedingungen in den einschlägigen europarechtlichen Normen verwandt wird. Nach den Erläuterungen zur Grundrechtecharta soll der Begriff Arbeitsbedingungen in Art. 31 GRC die gleiche Bedeutung wie in Art. 156 Abs. 1 AEUV haben.11 Art. 156 Abs. 1 AEUV führt neben den Arbeitsbedingungen die soziale Sicherheit und das Koalitionsrecht sowie die Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als ei- 9 Mayer, Gesetzliche Mindestlöhne für die Leiharbeitsbranche – Zur Zulässigkeit eines Lohngitters, 2010, S. 16. 10 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Aufl. 2013, Art. 51, Rn. 19. 11 Rudolf, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Auflage 2014, Art. 31 GRC Rn. 1; Kröll, in: Holoubek/Lienbacher, Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2014), Art. 31 Rn. 4. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 8 genes Sachgebiet unter mehreren dort angeführten Alternativen an, geht mithin von einem engen Begriff der Arbeitsbedingungen aus. Da Entgeltregelungen in Art. 156 AEUV nicht angeführt werden, umfasst der Begriff Arbeitsbedingungen offenbar nicht die Entlohnung von Arbeitnehmern .12 Art. 153 Abs. 1 lit. b) AEUV nennt Arbeitsbedingungen in einer umfassenden Punktation der Arbeitswelt zugehöriger Fragen, geht mithin auch hier von einem engen Begriff der Arbeitsbedingungen aus. Der Bereich des Arbeitsentgelts wird nach Abs. 5 des Art. 153 AEUV generell vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift ausgeschlossen.13 Die Richtlinie 94/33/EG des Rates vom 22. Juni 1994 über den Jugendarbeitsschutz14 definiert in Art. 6 Abs. 2 Arbeitsbedingungen wie folgt: a) „Einrichtung und Gestaltung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes; b) Art, Grad und Dauer der physikalischen, chemischen und biologischen Einwirkungen; c) Gestaltung, Auswahl und Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen , Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit; d) Gestaltung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen und deren Zusammenwirken (Arbeitsorganisation ); e) Stand von Ausbildung und Unterweisung der jungen Menschen.“ Auch die Richtlinie 94/33/EG unterlegt ihren Regelungen einen engen Begriff der Arbeitsbedingungen , der Fragen der Entlohnung von Arbeitnehmern nicht umfasst. Nach den Grundsätzen der systematischen Auslegung umfasst der in Art. 31 GRC verwandte Begriff Arbeitsbedingungen mithin nicht die Entlohnung von Arbeitnehmern. Für ein enges Verständnis des Begriffs der Arbeitsbedingungen sprechen auch die Beratungen zur Grundrechtecharta. Im Konvent wurde die Frage intensiv diskutiert, ein Recht auf einen gerechten , fairen und angemessenen (Mindest-)Lohn oder auf „gleiches Entgelt für gleiche Arbeit“ in der Grundrechtecharta zu verankern. Diskutiert wurde auch die Frage der Gleichbehandlung und gleicher Arbeitsbedingungen für Drittstaatsangehörige.15 In den beratenen Entwürfen wurden dazu Regelungsvorschläge vorgelegt. Der Präsidiumsentwurf vom 27. März 200016 enthielt unter 12 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Kommentar (Fußn 9), Art. 31 Rn. 6. 13 Lembke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 31 GRC, Rn. 12. 14 ABl. L 216 vom 20/08/1994 S. 0012, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31994L0033:de:HTML. 15 Bernsdorf/Borowsky, Protokolle, S. 217; Riedel, in: Meyer (Hrsg.): Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Aufl. 2011, Art. 31 Rn. 6. 16 Dokument CONVENT 18 vom 27 März 2000. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 9 dem Titel „Recht auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit“ in Anlehnung an Art. 4 Europäische Sozialcharta folgenden Vorschlag: „Das Recht auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit wird jedem Arbeitnehmer gewährleistet.“ Der darauf folgende Entwurf lautete: „Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf gesunde und sichere Arbeitsbedingungen.“17 Ein weiterer Entwurf fügte dieser Formulierung das Wort „würdig“ hinzu.18 Sprachlich überarbeitet entsprach dies dann der in Kraft getretenen Endfassung19 des Art. 31 Abs. 1 GRC. Es fehlt im Übrigen in den Erläuterungen zur Grundrechtecharta ein Hinweis auf die ein Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt gewährleistende Vorschrift des Art. 4 der Sozialcharta.20 Dort heißt es: „Artikel 4 – Das Recht auf ein gerechtes Arbeitsentgelt Um die wirksame Ausübung des Rechts auf ein gerechtes Arbeitsentgelt zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien: 1. das Recht der Arbeitnehmer auf ein Arbeitsentgelt anzuerkennen, welches ausreicht, um ihnen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern; 2. das Recht der Arbeitnehmer auf Zahlung erhöhter Lohnsätze für Überstundenarbeit anzuerkennen , vorbehaltlich von Ausnahmen in bestimmten Fällen; 3. das Recht männlicher und weiblicher Arbeitnehmer auf gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit anzuerkennen; 4. das Recht aller Arbeitnehmer auf eine angemessene Kündigungsfrist im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anzuerkennen; 5. Lohnabzüge nur unter den Bedingungen und in den Grenzen zuzulassen, die in innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen oder durch Gesamtarbeitsvertrag oder Schiedsspruch bestimmt sind. Die Ausübung dieser Rechte ist durch frei geschlossene Gesamtarbeitsverträge, durch gesetzliche Verfahren der Lohnfestsetzung oder auf jede andere, den Landesverhältnissen entsprechende Weise zu gewährleisten.“ Dies alles spricht dafür, dass der Schutzbereich des Art. 31 Abs. 1 GRC nicht die Entlohnung von Arbeitnehmern umfasst, so dass dieses Grundrecht auch nicht die Entrichtung eines gerechten Lohns bzw. von Mindestentgelten verbürgt. Auch soweit vereinzelt aus Art. 31 GRC ein Verbot 17 Dokument CONVENT 34 vom 16. Mai 2000. 18 Dokument CONVENT 39 vom 16. Juni 2000. 19 Dokument 47 REV 1 vom 21. September 2000. 20 Vgl. revidierte Europäische Sozialcharta vom. 3.05.1996, Europarat SEV-Nr. 163, abrufbar unter: http://www.sozialcharta.eu/europaeische-sozialcharta-revidiert-9162/. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –102/16 Seite 10 eines unwürdigen Arbeitsentgelts bzw. ein Gebot eines der Würde des Menschen entsprechenden Mindestentgelts abgeleitet wird,21 stützte eine derartige Auslegung des Art. 31 GRC nicht die Annahme , dass das EU-Recht dazu verpflichtete, Leiharbeitnehmern das gleiche Gehalt wie der Stammbelegschaft des Entleihers zu entrichten. 2. Europäische Rechtsprechung Die bisher vorliegenden Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Leiharbeits-Richtlinie befassten sich – soweit ersichtlich – nicht mit dem Grundsatz equal pay.22 Die vorstehend unter 1. untersuchte Rechtsfrage hat nach hiesigen Recherchen der EuGH noch nicht entschieden.23 - Fachbereich Europa - 21 Hanau, NZA 2010, 1 (2) m.w.N. 22 Vgl. die Entscheidungen EuGH, C-290/12 (abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=136147&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst &dir=&occ=first&part=1&cid=614790), die sich mit der Auslegung der §§ 2 und 5 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und EuGH, C‑533/13 (abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=162945&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst &dir=&occ=first&part=1&cid=614790), die sich mit der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie, wonach Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, befassten. 23 So auch Krause, Tarifverträge zur Bemessung der Leiharbeit, 2012, S. 29.