© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 102/15 Fragen betreffend die Aufgaben und die Arbeitsweise der Eurogruppe Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 102/15 Seite 2 Fragen betreffend die Aufgaben und die Arbeitsweise der Eurogruppe Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 102/15 Abschluss der Arbeit: 20. August 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 102/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Welchen Rechtscharakter besitzt die Eurogruppe gemäß dem europäischen Primärrecht? 4 2. Welche Art von Entscheidungen bzw. Vereinbarungen mit jeweils welcher rechtlichen und politischen Tragweite werden in der Eurogruppe getroffen? 4 3. Welchen Rechtscharakter und welche rechtliche Bindungswirkung haben Beschlüsse, Vereinbarungen oder Absprachen der Eurogruppe? 6 4. Welchen Rechtscharakter haben die Protokolle der konsolidierten europäischen Verträge? 6 5. War der Ausschluss des Finanzministers der Hellenischen Republik von der Sitzung der Eurogruppe am 27. Juni 2015 rechtmäßig bzw. besteht ein Rechtsanspruch auf Teilnahme an den Sitzungen gemäß Art. 1 Protokoll (Nr. 14)? 6 5.1. Tatsächlicher Hintergrund der Fragestellung 6 5.2. Rechtlicher Rahmen 7 6. Inwieweit besteht zwischen der Vertragswirklichkeit (Arbeitsweise, Vereinbarungen, Beschlüsse etc. der laut Protokoll (Nr. 14) informellen Eurogruppe) und den primärrechtlichen Vorgaben (z.B. primärrechtliches Demokratieprinzip etc.) ein möglicherweise vertragswidriges Spannungsverhältnis bzw. inwieweit ist die Eurogruppe mit ihren Befugnissen mit dem Primärrecht vereinbar? 8 6.1. Verhältnis zu den Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung 9 6.2. Intergouvernementalisierung 9 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 102/15 Seite 4 1. Welchen Rechtscharakter besitzt die Eurogruppe gemäß dem europäischen Primärrecht? Die Eurogruppe ist ein informelles Beratungs- und Diskussionsforum der Finanzminister der Euro-Mitgliedstaaten, das im Vorfeld der Sitzungen des Rates für Wirtschaft und Finanzen (ECO- FIN-Rat) tagt.1 Die Euro-Gruppe ist kein Unionsorgan, da ihr die Fähigkeit fehlt, für die Union rechtsverbindlich zu handeln. Die Koordinierung der Euro-Mitgliedstaaten in der Eurogruppe, auch im Hinblick auf entsprechende Beratungen im Rat, findet seit dem Vertrag von Lissabon in Art. 137 AEUV und dem Protokoll (Nr. 14) betreffend die Eurogruppe2 eine primärrechtliche Grundlage. 2. Welche Art von Entscheidungen bzw. Vereinbarungen mit jeweils welcher rechtlichen und politischen Tragweite werden in der Eurogruppe getroffen? Als ein informelles und nur deliberatives Gremium ist die Eurogruppe grundsätzlich nicht zu einer eigenständigen Beschlussfassung ermächtigt. Die Eurogruppe dient gemäß Art. 1 S. 1 Protokoll (Nr. 14) vielmehr als informelles Forum dem Zweck, den Austausch von Ansichten über bestimmte spezifische Fragen zu erleichtern, die für alle beteiligten Mitgliedstaaten von gemeinsamem Interesse sind.3 Die Beratungen der Eurogruppe sind gemäß Art. 1 Protokoll (Nr. 14) auf Fragen im Zusammenhang mit der spezifischen gemeinsamen Verantwortung der Euro-Mitgliedstaaten für den Euro beschränkt, stehen jedoch letztlich angesichts dieses offenen Wortlauts im Ermessen der Teilnehmer und umfassen neben der Koordinierung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik auch Fragen, die strukturelle Reformen auf dem Arbeitsmarkt sowie die Bereiche der Sozialversicherungen und der Steuerpolitik betreffen.4 Die Befugnisse der Eurogruppe finden ihre Grenze mit Blick auf die Aufgaben und Funktionsweisen des Rates. Bei Errichtung der Eurogruppe stellte der Europäische Rat diesbezüglich fest, dass der Rat aller Mitgliedstaaten das einzige Gremium sei, „das befugt ist, die Grundzüge der Wirtschaftspolitik , die das Hauptinstrument der wirtschaftspolitischen Koordinierung darstellen, zu formulieren und zu verabschieden“ und in „allen Fällen, in denen ein Beschluss zu fassen ist, tut dies der Rat (Wirtschaft und Finanzen) im Einklang mit den im Vertrag vorgesehenen Verfahren “5. Rechtsverbindliche Beschlüsse können allein im ECOFIN-Rat getroffen werden, so dass der ECO- FIN-Rat als maßgebliches Entscheidungsgremium im Zentrum der wirtschaftspolitischen Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten steht. Zwar sieht das Primärrecht zahlreiche Verfahren 1 Vgl. hierzu die Denkschrift der Bundesregierung zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 16/8300, S. 179. 2 Protokoll (Nr. 14) betreffend die Eurogruppe, ABl. C 115/283, vgl. hierzu die Denkschrift der Bundesregierung zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 16/8300, S. 179. 3 Vgl. EuG, Rs. T-327/13 (Mallis und Malli/Kommission und EZB), Rn. 41. 4 Vgl. beispielsweise Eurogruppe, Work programme for the Eurogroup for the second half of 2014 v. 19. Juni 2014 sowie die Nachweise bei Selmayr, AöR 122 (1999), S. 357, 380 ff., vgl. hierzu Herrmann, in: Siekmann, EWU- Kommentar, 2013, Art. 137, Rn. 10 f. 5 Europäischer Rat, Schlussfolgerungen v. 12./13. Dezember 1997, Rn. 44. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 102/15 Seite 5 vor, in denen der ECOFIN-Rat nur mit den Stimmen der Euro-Teilnehmerstaaten entscheidet. Zudem sieht der AEUV im 3. Teil, Titel VIII, Kapitel 4 „Besondere Bestimmungen für die Mitgliedstaaten , deren Währung der Euro ist“, vor. ). In allen Fällen bleibt aber weiterhin stets der Rat das Unionsorgan, das die Beschlüsse fasst und Entscheidungen trifft. Gem. Art. 16 Abs. 2 EUV besteht der Rat „aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene“, ohne dass eine Sonderregelung für die Tätigkeit des Rats in Fragen der Wirtschafts- und Währungsunion vorgesehen wäre. Dementsprechend handelt der ECOFIN-Rat weiterhin unter Mitwirkung der Ratsmitglieder aller Mitgliedstaaten, auch wenn die Ratsmitglieder der Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung oder Sonderstatus bei Entscheidungen, die direkt nur die Euro-Teilnehmerstaaten betreffen, kein Stimmrecht haben. Vor diesem Hintergrund kann das informelle Gremium der Eurogruppe den Rat nicht ersetzen und besitzt dementsprechend keine Entscheidungsbefugnisse. Dies wird dadurch abgesichert, dass Handlungen der Eurogruppe die im Primärrecht vorgesehenen Verfahrensregeln und Mitwirkungsrechte nicht umgehen oder sie in ihrer Wirksamkeit beschränken dürfen.6 Eine Ausnahme von dem grundsätzlich nur informellen und deliberativen Charakter der Eurogruppe besteht insoweit, als ihre Mitglieder gemäß Art. 2 Protokoll (Nr. 14) mit einfacher Mehrheit einen Präsidenten für zweieinhalb Jahre wählen. Eine andere Ausnahme lässt sich für den Fall annehmen, dass der Rat gemäß Art. 140 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV auf Vorschlag der Kommission beschließen will, dass ein Mitgliedstaat mit Ausnahmeregelung die Konvergenzkriterien des Art. 140 Abs. 1 AEUV erfüllt und die Ausnahmeregelung aufgehoben werden kann. In diesem Fall muss seinem Beschluss gemäß Art. 140 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 AEUV eine „Empfehlung einer qualifizierten Mehrheit derjenigen seiner Mitglieder, die Mitgliedstaaten vertreten, deren Währung der Euro ist“ vorausgehen. Anders als in Art. 136 oder in Art. 139 Abs. 4 AEUV ist hier nicht die Rede von einer Empfehlung des Rates, sondern von der Empfehlung einer qualifizierten Mehrheit der Ratsmitglieder, die Euro-Teilnehmerstaaten vertreten. Dementsprechend dürfte diese Empfehlung ein Anwendungsfall sein, in dem eine eigene, unionsrechtlich vorgesehene Beschlussfassung nur durch die Minister der Euro-Teilnehmerstaaten – und somit durch die Euro- Gruppe – möglich ist.7 Jenseits der möglichen Entscheidungen mit Rechtswirkung kommt der Eurogruppe eine politisch bedeutende Rolle zu, indem sie regelmäßig am Vortag der Sitzungen des ECOFIN-Rats zusammentritt , so dass nach dem Treffen der Euro-Gruppe de facto viele Entscheidungen bereits gefallen sind, bevor sie am nächsten Tag im ECOFIN-Rat unter Beteiligung der Ratsvertreter aller Mitgliedstaaten erörtert werden. Dieser Einfluss der Euro-Gruppe wird durch die Fälle verstärkt, in denen im ECOFIN-Rat nur die Ratsmitglieder, die Euro-Teilnehmerstaaten vertreten, stimmberechtigt sind, was den Schwerpunkt der inhaltlichen Debatte in die Euro-Gruppe verlagert.8 6 Vgl. EuGH, Rs. C-27/04 (Kommission/Rat), Rn. 81. 7 Selmayr, in: v.d. Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 137, Rn. 7. 8 Vgl. hierzu Jacquemain, Ein seltener Blick: Die Euro-Gruppe aus juristischer Perspektive, ZEuS 2015, S. 27 (36). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 102/15 Seite 6 3. Welchen Rechtscharakter und welche rechtliche Bindungswirkung haben Beschlüsse, Vereinbarungen oder Absprachen der Eurogruppe? Die Eurogruppe ist kein Beschlussfassungsorgan, da ihr die Vorschriften über ihre Arbeitsweise nicht die Befugnis erteilen, rechtlich bindende Handlungen vorzunehmen.9 Dementsprechend erzeugen die Ergebnisse der Beratungen der Eurogruppe keine rechtliche Bindungswirkung. 4. Welchen Rechtscharakter haben die Protokolle der konsolidierten europäischen Verträge? Die Protokolle und Anhänge der Verträge sind gemäß Art. 51 EUV Bestandteil der Verträge. 5. War der Ausschluss des Finanzministers der Hellenischen Republik von der Sitzung der Eurogruppe am 27. Juni 2015 rechtmäßig bzw. besteht ein Rechtsanspruch auf Teilnahme an den Sitzungen gemäß Art. 1 Protokoll (Nr. 14)? 5.1. Tatsächlicher Hintergrund der Fragestellung Am 27. Juni 2015 hat zunächst ein Treffen der Eurogruppe unter Beteiligung der Finanzminister aller 19 Euro-Mitgliedstaaten stattgefunden. Die Ergebnisse der Beratungen dieses Treffens wurden in einer „Erklärung der Eurogruppe zu Griechenland“ festgehalten, die von allen Mitgliedern der Eurogruppe mit Ausnahme Griechenlands getragen wurde.10 Nach Darstellung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) haben sich die Finanzminister der Eurozone nach Beendigung der Eurogruppe ohne den griechischen Vertreter in einem weiteren , informellen Treffen über die Folgen des Auslaufens des Anpassungsprogramms beraten. Die Ergebnisse der Beratungen dieses Treffens wurden in einer „Ministererklärung“ festgehalten, die von den Ministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes mit Ausnahme Griechenlands verabschiedet worden ist.11 Die beiden Erklärungen deuten sowohl ihrer Bezeichnung als auch ihrem Inhalt nach auf ein unterschiedliches Format der Treffen hin: Die Urheberschaft der ersten Erklärung liegt bereits dem Titel nach bei der Eurogruppe; zudem adressiert der Text Handlungen der Eurogruppe. Demgegenüber liegt die Urheberschaft der zweiten Erklärung bei den Ministern der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes. Dafür, dass das zweite Treffen am 27. Juni 2015 nicht dem primärrechtlichen Format der Eurogruppe, sondern vielmehr dem Format der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Euro-Mitgliedstaaten entsprach, streiten zudem die Nichtverabschiedung des Textes durch Griechenland sowie der explizite Hinweis im Text der Ministererklärung, wonach „die Minister der 18 Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets und die Institutionen zu einem informellen Treffen zusammengekommen [sind], um über das bevorstehende Auslaufen der aktuellen EFSF-Finanzvereinbarung mit Griechenland zu beraten.“ 9 Vgl. EuG, Rs. T-327/13 (Mallis und Malli/Kommission und EZB), Rn. 53 mwN. 10 Erklärung der Eurogruppe zu Griechenland vom 27. Juni 2015, EUFIN 194/2015 DE. 11 Ministererklärung vom 27. Juni 2015, EUFIN 192/2015 DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 102/15 Seite 7 Im Hinblick auf seine Nichtteilnahme an der zweiten Sitzung am 27. Juni 2015 hat sich der damalige Finanzminister Griechenlands wie folgt geäußert: „At that point I asked for legal advice, from the secretariat, on whether a Eurogroup statement can be issued without the conventional unanimity and whether the President of the Eurogroup can convene a meeting without inviting the finance minister of a Eurozone member-state.”12 Hierauf hat er nach eigenen Angaben die folgende Antwort des Ratssekretariats erhalten: „The Eurogroup is an informal group. Thus it is not bound by Treaties or written regulations. While unanimity is conventionally adhered to, the Eurogroup President is not bound to explicit rules.” Diese Darstellung lässt darauf schließen, dass der Präsident der Eurogruppe am 27. Juni 2015 alle Finanzminister der Euro-Mitgliedstaaten mit Ausnahme des griechischen Finanzministers zu einem weiteren Treffen der Eurogruppe eingeladen hat. Zusammenfassend lassen sowohl die Darstellung des BMF und die jeweiligen Erklärungen zu den Treffen am 27. Juni 2015 als auch die Äußerungen des ehemaligen griechischen Finanzministers jedenfalls den Schluss zu, dass am 27. Juni 2015 ein weiteres Treffen der Finanzminister der Euro-Mitgliedstaaten ohne die Teilnahme des griechischen Finanzministers stattgefunden hat und dieses Treffen den Charakter einer informellen Beratung der Finanzminister der Euro-Mitgliedstaaten , nicht aber eines Treffens der Eurogruppe hatte. Ob die Nichtteilnahme des griechischen Finanzministers auf einer unterbliebenen Einladung von Seiten des Präsidenten der Eurogruppe oder einer ausdrücklichen Ausladung im Sinne eines Ausschlusses von dem Treffen der Finanzminister der Euro-Mitgliedstaaten beruht, lässt sich anhand der zur Verfügung stehenden Informationen aus hiesiger Sicht nicht abschließend beurteilen. 5.2. Rechtlicher Rahmen Art. 1 des Protokolls (Nr. 14) regelt Teilnahmerechte und die Zuständigkeit zur Vorbereitung der Sitzungen. Gemäß Art. 1 S. 1 Protokoll (Nr. 14) treten die Minister der Euro-Mitgliedstaaten zu den informellen Sitzungen der Eurogruppe zusammen. Bereits aus dem Wortlaut von Art. 1 S. 1 Protokoll (Nr. 14) folgt somit, dass alle Minister der Euro-Mitgliedstaaten von Primärrechts wegen an den Sitzungen teilnehmen. Aus den Bestimmungen über die Eurogruppe ergibt sich einerseits keine Pflicht zur Teilnahme an den Treffen der Eurogruppe. Andererseits sehen die Bestimmungen über die Eurogruppe auch nicht die Möglichkeit vor, dass ein Euro-Mitgliedstaat von einem Treffen der Eurogruppe ausgeschlossen werden kann, was für ein unbedingtes Recht auf Teilnahme an den Sitzungen spricht. Insofern unterscheidet sich die Teilnahme der Euro-Mitgliedstaaten von der der Kommission und der EZB. Für die Kommission ordnet Art. 1 S. 3 Protokoll (Nr. 14) ausdrücklich die Teilnahme an, während die EZB gemäß Art. 1 S. 4 Protokoll (Nr. 14) zu den Sitzungen eingeladen werden kann.13 Vor dem Hintergrund des vorstehend dargestellten Rechtsrahmens erscheint ein expliziter Ausschluss des Vertreters eines Euro-Mitgliedstaates nicht mit seinem Teilnahmerecht vereinbar. Hierfür spricht auch ein Vergleich mit den entsprechenden Bestimmungen des Rates. Auch diese sehen, ausweislich der Möglichkeit einer Vertretung, keine Teilnahmepflicht vor. Zugleich ist 12 http://yanisvaroufakis.eu/2015/06/28/as-it-happened-yanis-varoufakis-intervention-during-the-27th-june-2015- eurogroup-meeting/. 13 Selmayr, in: v.d. Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 137, Rn. 12 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 102/15 Seite 8 jedoch auch keine Beschränkung des aus Art. 16 Abs. 2 EUV folgenden Teilnahmerechts oder die Möglichkeit des Ausschlusses eines Mitgliedstaates von einer Ratssitzung ersichtlich. Hierfür spricht a maiore ad minus, dass auch für den Fall der Verletzung fundamentaler Grundsätze durch einen Mitgliedstaat gemäß Art. 7 Abs. 3 S.1 EUV nur die Aussetzung seines Stimmrechts im Rat, nicht aber dessen Ausschluss von den Sitzungen des Rates vorgesehen ist. Zusammenfassend erscheint somit aus hiesiger Sicht ein Ausschluss des zuständigen Vertreters eines Mitgliedstaates von den Sitzungen des Rates und mithin auch von den Sitzungen der Eurogruppe als nicht mit dem Grundsatz der Beteiligung aller Mitgliedstaaten bzw. des primärrechtlich vorgesehenen Kreises der Mitgliedstaaten vereinbar. Mit Blick auf die Fragestellung ist jedoch nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die fragliche Sitzung vom 27. Juni 2015 ohne Teilnahme des griechischen Vertreters nicht im Format der Eurogruppe, sondern als Treffen von Ministern der Euro-Mitgliedstaaten stattgefunden hat. Die Nutzung eines von den primärrechtlichen Foren abweichenden Formates der intergouvernementalen Kooperation ist dabei für sich genommen mit dem Primärrecht vereinbar, da die Mitgliedstaaten bei ihrer Zusammenarbeit nicht auf die primärrechtlich vorgesehenen Formate beschränkt sind, sondern auch andere Formen der intergouvernementalen Kooperation wählen können, sofern sie hierbei nicht gegen das Unionsrecht beispielsweise in Form des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit oder des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts verstoßen.14 Für einen solchen Verstoß sind vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich. 6. Inwieweit besteht zwischen der Vertragswirklichkeit (Arbeitsweise, Vereinbarungen, Beschlüsse etc. der laut Protokoll (Nr. 14) informellen Eurogruppe) und den primärrechtlichen Vorgaben (z.B. primärrechtliches Demokratieprinzip etc.) ein möglicherweise vertragswidriges Spannungsverhältnis bzw. inwieweit ist die Eurogruppe mit ihren Befugnissen mit dem Primärrecht vereinbar? Die Arbeit der Eurogruppe beruht auf einer primärrechtlichen Grundlage. Die Mitglieder der Eurogruppe sind entsprechend den jeweils nationalen Legitimationszusammenhängen demokratisch legitimiert entsprechend dem für die Arbeitsweise der Union gem. Art. 10 Abs. 1 und 2 EUV geltenden Grundsatz der repräsentativen Demokratie. Vor diesem Hintergrund ist aus hiesiger Sicht nicht ersichtlich, dass die bisherigen Handlungen der Eurogruppe nicht mit den oben unter 2. dargestellten Befugnissen und Handlungsgrenzen vereinbar wären. In der (rechts-)wissenschaftlichen Literatur werden verschiedene Problemfelder diskutiert, die aus der Arbeitsweise und den Handlungen der Eurogruppe resultieren können. Dies betrifft einerseits das Verhältnis der Eurogruppe zu den nicht Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung (hierzu 6.1.). Andererseits wird die Gefahr einer „schleichenden Intergouvernementalisierung“ durch die Arbeit der Eurogruppe diskutiert (hierzu 6.2.). Die im Folgenden dargestellten Diskussionen geben nur den wissenschaftlichen Meinungsstand wider und lassen nicht den Schluss zu, dass tatsächlich ein primärrechtswidriges Spannungsverhältnis aus der Arbeitsweise der Eurogruppe resultiert. 14 Vgl. EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 69, 91 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 102/15 Seite 9 6.1. Verhältnis zu den Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung Eine Diskussion betrifft das Verhältnis der Eurogruppe zu den nicht am Euro teilnehmenden Mitgliedstaaten . Diese können darauf bestehen, dass primärrechtlich allein der ECOFIN-Rat und nicht die Eurogruppe zur Beschlussfassung über wirtschafts- und währungspolitische Fragen befugt ist, und zwar auch dann, wenn die Beschlussfassung allein die Euro-Teilnehmerstaaten betrifft . Denn auch in diesem Fall haben die Ratsmitglieder, die nicht am Euro teilnehmende Mitgliedstaaten vertreten, gemäß Art. 16 Abs. 2 EUV ein Recht zur Teilnahme an den Ratssitzungen. Ein wirksam verstandenes Teilnahmerecht schließt dabei das Recht ein, auch zu einem Tagesordnungspunkt , bei dem das betreffende Ratsmitglied nicht stimmberechtigt ist, das Wort zu ergreifen und somit an den Beratungen teilzunehmen oder selbst wirtschafts- und währungspolitische Themen von allgemeinem Interesse auf die Tagesordnung zu setzen. Hieraus wird gefolgert, dass es einen Verstoß gegen ein wirksames Teilnahmerecht der Ratsvertreter der nicht am Euro teilnehmenden Mitgliedstaaten bedeuten könnte, wenn die Tätigkeit der Eurogruppe sie vor vollendete Tatsachen stellte, die von der Eurogruppe vorbesprochenen Tagesordnungspunkte also ohne weitere Diskussionsmöglichkeit vom ECOFIN-Rat nur noch abgesegnet würden.15 Um diesen Bedenken entgegenzutreten, hat der Europäische Rat am 23. Oktober 2011 festgestellt: „Der Europäische Rat ist sich einig, dass Kohärenz zwischen den Maßnahmen des Euro-Währungsgebiets und denen der Europäischen Union bestehen muss, wobei die Integrität der Europäischen Union und ihr Funktionieren mit 27 [heute: 28] Mitgliedstaaten voll und ganz gewahrt werden müssen. In diesem Zusammenhang trägt die Europäische Kommission die Verantwortung dafür, dass die EU-Rechtsvorschriften, einschließlich derer zum Binnenmarkt, von allen 27 [heute: 28] Mitgliedstaaten eingehalten werden, und dass für alle Mitgliedstaaten, auch für diejenigen , die nicht am Euro teilnehmen, die gleichen Bedingungen gelten.“16 Zudem wurde der Präsident des Euro-Gipfels damit beauftragt, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten „über die Vorbereitungen und die Ergebnisse der Euro-Gipfeltreffen auf dem Laufenden zu halten.“ 6.2. Intergouvernementalisierung Darüber hinaus wird diskutiert, ob das Wirken der Eurogruppe die Gefahr einer schleichenden Intergouvernementalisierung von zentralen, im AEUV für die Wirtschafts- und Währungsunion vorgesehenen Entscheidungsverfahren bewirkt.17 Dies wird beispielsweise auf die Erwägung gestützt , dass die Eurogruppe als informelles Gremium meistens im Konsens beschließt, die Kommission an ihren Sitzungen lediglich teilnimmt und dass dem Europäischen Parlament, das in wirtschafts- und währungspolitischen Fragen ohnehin nur über sehr begrenzte Mitwirkungsrechte verfügt, hinsichtlich der Arbeit der Eurogruppe überhaupt keine formelle Rolle zukommt. Für Entscheidungen des ECOFIN-Rats ist hingegen zumindest die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission im AEUV die Regel. 15 Vgl. hierzu Jacquemain, Ein seltener Blick: Die Euro-Gruppe aus juristischer Perspektive, ZEuS 2015, S. 27 (36). 16 Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23. Oktober 2011, Ziff. 7. 17 Vgl. Puetter, Journal of European Public Policy 2004, S. 854 (857 ff.); Palm, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 55. EL 2015, Art. 137, Rn. 9.