© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 – 3000 – 102/14 Nationale Geschlechterquote für die Arbeitnehmerseite von Aufsichtsräten in Europäischen (Aktien-)Gesellschaften Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 2 Nationale Geschlechterquote für die Arbeitnehmerseite von Aufsichtsräte in Europäischen (Aktien -)Gesellschaften Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 102/14 Abschluss der Arbeit: 11.05.2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Ausgestaltung der Geschlechterquote nach den Leitlinien 5 3. Grundzüge der Rechtsform der SE und der dort vorgesehenen Arbeitnehmerbeteiligung 5 4. Rechtliche Probleme der Erstreckung einer nationalen Geschlechterquote auf eine SE 6 4.1. SE-RL und autonomes Recht 7 4.2. Geschlechterquote im Falle einer Verhandlungslösung 7 4.2.1. Möglichkeit des Verzichts auf Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan 8 4.2.2. Verschiedene Formen der Mitbestimmung 8 4.2.3. Größe des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans 8 4.2.4. Privatautonomie der Verhandlungsparteien 9 4.3. Geschlechterquote im Rahmen der Auffanglösung 9 4.3.1. Zulässigkeit einer Geschlechterquote 10 4.3.2. Prozentuale Bedeutung 10 5. Ergebnis 11 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 4 1. Einleitung Nach den Vorgaben im Koalitionsvertrag vom Dezember 2013 sollen Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr 2016 neu besetzt werden, eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent aufweisen.1 Am 24. März 2014 haben das BMJV und das BMFSFJ Leitlinien für das Verfahren zum Erlass eines „Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst“ vorgelegt (im Folgenden: Leitlinien).2 Danach soll die Geschlechterquote in Aufsichtsräten für solche Unternehmen gelten, die börsennotiert sind und der paritätischen Mitbestimmung unterliegen.3 Hiervon ausgenommen bleibt mangels paritätischer Mitbestimmung die auf EU-Recht beruhende Rechtsform der Europäischen (Aktien-)Gesellschaft (im Folgenden: SE).4 Diese Ausnahme von der Geschlechterquote wird in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 09.05.2014 aufgegriffen (im Folgenden: Artikel).5 Nach den dortigen Angaben bestünden bei der Erstreckung der Geschlechterquote auf die SE rechtliche Probleme. Diese würden sich im Zusammenhang mit der Besetzung der Arbeitnehmervertreter in den Kontrollgremien ergeben, da die Arbeitnehmerrechte bei der SE zwischen Arbeitgeberseite und der Arbeitnehmerseite „frei verhandelt“ werden könnten. In diesem Zusammenhang wird der Fachbereich um die Beantwortung der Frage ersucht, ob die rechtlichen Erwägungen in dem genannten Artikel im Hinblick auf die Anwendbarkeit einer nationalen Frauenquote für die Rechtsform der SE zutreffend sind. Im Folgenden wird zunächst die Ausgestaltung der Geschlechterquote nach den Leitlinien betrachtet (siehe unter 2.). Anschließend werden die Grundzüge der unionsrechtlichen Vorgaben zur Rechtsform der SE und der dortigen Arbeitnehmerbeteiligung dargestellt (siehe unter 3.). Hierauf aufbauend folgt eine Erörterung der im Unionsrecht begründeten rechtlichen Bedenken, auf die der Artikel Bezug nimmt (siehe unter 4.). 1 Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD „Deutschlands Zukunft gestalten“, online abrufbar unter https://www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf (letztmaliger Abruf am 10.06.14), S. 72. 2 Online abrufbar unter http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Leitlinien_Frauenquote.pdf?__blob=publicationFile (letztmaliger Abruf am 10.06.14). 3 Leitlinien (Fn. 2), A. 1., S. 3. 4 Vgl. Leitlinien (Fn. 2), A. 1., S. 3, Fn. 1. 5 Online abrufbar unter http://prarchiv.bundestag.btg/PressDok/docview.html;sessionid=5FA812ADE83517C018BFA1CA?mode=pressa rchive&doclist=DBT:PressArchiveResultServlet:result_doclist&n=31&pdf=0 (letztmaliger Abruf am 10.06.14). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 5 2. Ausgestaltung der Geschlechterquote nach den Leitlinien Nach den Vorgaben der Leitlinien soll eine fixe Geschlechterquote von 30 % für die Arbeitnehmer - und die Anteilseignerseite gelten.6 Sie ist von jeder Seite gesondert einzuhalten. Eine gegenseitige Anrechnung bei Übererfüllung der Vorgaben erfolgt nicht. Im Hinblick auf die Vertreter der Anteilseigner ist die Geschlechterquote von gewählten und entsandten Mitgliedern nicht gesondert einzuhalten, sondern gemeinsam zu erfüllen. Konkrete Vorgaben für die Umsetzung bezüglich der Arbeitnehmerseite enthalten die Leitlinien nicht. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass entsprechende Vorgaben zur Verwirklichung der 30%-Mindestquote getroffen würden. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmerseite aus unterschiedlichen Gruppen bestehe und die Wahl ihrer Vertreter in den Aufsichtsrat in unterschiedlichen Mitbestimmungsgesetzen mit unterschiedlichen Wahlverfahren geregelt sei. 3. Grundzüge der Rechtsform der SE und der dort vorgesehenen Arbeitnehmerbeteiligung Die SE beruht auf einer Verordnung der EU (im Folgenden: SE-VO)7 und ist als (europäische) Aktiengesellschaft konzipiert, die über eine unionsrechtliche Rechtspersönlichkeit verfügt (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 3 SE-VO). Für die Gründung einer SE sieht die SE-VO verschiedene Optionen vor (vgl. Art. 2 SE-VO), denen gemeinsam ist, dass nationale Gesellschaften aus mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt sein müssen (vgl. Art. 2 SE-VO). Der Sitz einer SE muss in der Union liegen und zwar in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung der SE befindet (Art. 6 Satz 1 SE-VO). Im Hinblick auf den internen Aufbau einer SE sieht die SE-VO eine Wahlmöglichkeit vor: neben der obligatorischen Hauptversammlung der Aktionäre ist nach dem dualistischen System ein Leitungsorgan und ein Aufsichtsrat vorgesehen (vgl. Art. 39 ff. SE-VO), nach dem monistischen System nur ein die Geschäfte führendes Verwaltungsorgan (Art. 43 ff. SE-VO). Bereits diese Wahlmöglichkeit steht einer verbindlichen Umsetzung der Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien auf die SE entgegen, soweit die Quote ausschließlich auf Aufsichtsräte in ihrer Funktion als Überwachungsgremium gegenüber dem die Geschäfte führenden Leitungsorgan zur Anwendung kommen soll. 6 Hierzu und zu den folgenden Ausführungen unter 2., vgl. Leitlinien (Fn. 2), A. 2., S. 3 bis 4. 7 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl.EU 2001 Nr. L 294/1, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2001R2157:20070101:de:PDF (letztmaliger Abruf am 28.05.14). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 6 Fragen der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE sind nicht in der SE-VO, sondern in der eigens zu diesem Zweck erlassenen und die SE-VO ergänzenden Richtlinie 2001/86/EG (im Folgenden: SE- RL)8 geregelt (vgl. Verweis in Art. 2 Abs. 4 SE-VO sowie Art. 1 Abs. 1 SE-RL). Dem Begriff der Arbeitnehmerbeteiligung im Sinne der SE-RL unterfällt nach der Legaldefinition in Art. 2 Buchst. h) SE-RL auch die Mitbestimmung, die nach Art. 2 Buchst. k) SE-RL in zwei Formen ausgeübt werden kann (vgl. dort Spiegelstriche 1 und 2): Zum einen kann die Mitbestimmung dergestalt erfolgen, dass die Arbeitnehmer das Recht erhalten, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen . Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer die Bestellung eines Teils der oder aller Mitglieder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft empfehlen und/oder ablehnen können. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung sieht die SE-RL vor, dass diese primär im Wege einer (strukturierten) Verhandlung zwischen der Arbeitnehmer- und der Anteilseignerseite festzulegen ist (Art. 3 bis 6 SE-RL). Wenn diese scheitert, greift sekundär eine durch die Richtlinie vorgegebene Auffangregelung zur Arbeitnehmerbeteiligung (Art. 7 SE-RL in Verbindung mit dem RL-Anhang). 4. Rechtliche Probleme der Erstreckung einer nationalen Geschlechterquote auf eine SE Nach dem einleitend erwähnten Artikel betreffen die rechtlichen Probleme der Einführung einer Geschlechterquote für die SE ihre Umsetzung für die Arbeitnehmerseite. Die Anwendung der 30%-Quote auf die Anteilseignerseite einer SE wird im Artikel hingegen nicht thematisiert. Im Weiteren wird daher nur der erst genannte Bereich betrachtet. Ausgangspunkt für die nachfolgende Untersuchung ist die Frage, ob die SE-RL für die Anwendung einer im nationalen Recht vorgesehenen Geschlechterquote offen ist oder einer solchen entgegensteht. Bevor darauf im Einzelnen eingegangen wird, ist zunächst kurz auf das generelle Verhältnis der SE-RL zum autonomen nationalen Recht einzugehen (siehe unter 4.1.). Anschließend ist zwischen der im Wege der Verhandlung festzulegenden Arbeitnehmerbeteiligung (siehe unter 4.2.) einerseits und der Arbeitnehmerbeteiligung nach der Auffangregelung andererseits zu unterscheiden (siehe unter 4.3.). Ein rechtliches Problem wurde bereits oben angesprochen im Zusammenhang mit der Wahlmöglichkeit hinsichtlich der SE-Organisation.9 Eine SE muss nicht zwingend einen Aufsichtsrat haben . Die Vorgabe einer Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien würde bei Entscheidung für das monistische System und damit ein Verwaltungsorgan gänzlich ins Leere laufen. Im Folgen- 8 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl.EU 2001 Nr. L 294/22, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2001:294:0022:0032:de:PDF (letztmaliger Abruf am 28.05.14). Nach Erwägungsgrund Nr. 19 der SE-VO (Fn. 7) stellen die Richtlinienbestimmungen eine untrennbare Ergänzung der vorliegenden Verordnung dar. 9 Siehe oben 3., S. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 7 den soll dieser organisatorische Gesichtspunkt nicht mehr gesondert aufgegriffen, sondern die Erstreckung der Geschlechterquote unter anderen Gesichtspunkten betrachtet werden. 4.1. SE-RL und autonomes Recht Die SE-RL selbst enthält keine Vorgaben zur Berücksichtigung des Geschlechts bei der Besetzung der Organe einer SE durch Arbeitnehmervertreter. Als Richtlinie im Sinne von Art. 288 Abs. 3 AEUV bedarf sie allerdings ihrer Rechtsnatur nach einer Umsetzung ins nationale Recht. Hierbei kann nicht nur ein Umsetzungsspielraum bestehen, sondern den Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit eröffnet sein, bei der Umsetzung auf dem autonomen nationalen Recht aufzubauen bzw. autonome nationale Vorgaben in Ansatz zu bringen. Ob und in welchem Umfang dies erfolgen kann, ist auf Grundlage der einschlägigen Richtlinie zu ermitteln – hier der SE-RL. Soweit ausdrücklich vorgesehene oder durch Auslegung ermittelte Öffnungen für autonomes nationales Recht bestehen, sind entsprechende Gestaltungsoptionen allerdings nicht schrankenlos gewährt.10 Zu den von den Mitgliedstaaten zu beachtenden Grenzen zählt vor allem die Bindung an die Ziele der Richtlinie (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV), die durch das einschlägige nationale (Umsetzungs-)Recht nicht konterkariert werden dürfen.11 4.2. Geschlechterquote im Falle einer Verhandlungslösung Um zu klären, ob die SE-RL für den Fall einer auszuhandelnden Arbeitnehmerbeteiligung der Anwendung einer Geschlechterquote für die Arbeitnehmerseite offen steht, ist zu untersuchen, welche Vorgaben die SE-RL zu den Inhalten der durch Verhandlungen zu ermittelnden Vereinbarung enthält und inwieweit diese die Anwendung einer Geschlechterquote zulassen. Die Vorgaben zur Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung sind in Art. 4 SE-RL geregelt .12 In Absatz 2 dieser Vorschrift findet sich eine Aufzählung der (möglichen) Inhalte (vgl. Buchst. a bis h). Daneben beinhaltet Art. 4 Abs. 2 SE-RL auch einen Vorbehalt zugunsten der Privatautonomie der Verhandlungsparteien (vgl. dazu unter 4.2.4.) sowie zugunsten des Art. 4Abs. 4 SE-RL. Der zweite Vorbehalt bezieht sich auf den Fall einer durch Umwandlung gegründeten SE und sieht vor, dass bezüglich aller Komponenten der vor Umwandlung in der Gesellschaft bestehen- 10 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-442/00 (Caballero), Slg. 2002, I-11915, Rn. 29 ff. 11 In Bezug auf die Definition von Richtlinienbegriffen durch nationales Recht, die in der Richtlinie keine Definition erfahren haben, Domröse, Krankheitsbedingte Kündigung als Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung in Beschäftigung und Beruf? Besprechung von EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006 - Az. Rs. C- 13/05 Chacón Navas, NZA 2006, 1320 (1321). Grenzen für mitgliedstaatliche Gestaltungsoptionen ergeben sich darüber hinaus aus den EU-Grundrechten, vgl. etwa EuGH, Rs. C-442/00 (Caballero), Slg. 2002, I-11915, Rn. 29 ff., EuGH, Rs. C-465/10 (CCI Indre), noch nicht in amtl. Slg., Rn. 63 ff. Auf die sich daraus ergebenden Grenzen wird im Folgenden nicht eingegangen, da diese auch im Artikel nicht thematisiert werden. 12 Auf die Einzelheiten im Zusammenhang mit der Herausbildung des besonderen Verhandlungsgremiums als Vertretung der Arbeitnehmer der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften, welches mit der Anteilseignerseite die Verhandlungen führt, wird vorliegend nicht eingegangen. Vgl. dazu Art. 3 SE-RL. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 8 den Arbeitnehmerbeteiligung auch in der SE zumindest das gleiche Maß gewährleistet werden muss. Art. 4 Abs. 4 SE-RL verhindert somit für den Fall der Umwandlung ein Absenken der Standards der Arbeitnehmerbeteiligung auf dem Verhandlungsweg. 4.2.1. Möglichkeit des Verzichts auf Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan Zu den Inhalten der Vereinbarung gehören nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. g) SE-RL u. a. zwar Regeln zur Mitbestimmung. Allerdings bestimmt der Wortlaut dieser Bestimmung ausdrücklich, dass dies nur „für den Fall [gilt], dass die Parteien im Laufe der Verhandlungen beschließen eine solche Vereinbarung einzuführen“. Regeln zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer müssen von den Parteien somit nicht vereinbart werden. Es steht ihnen frei, auf die Mitbestimmung als einem Bestandteil der Arbeitnehmerbeteiligung im Sinne der SE-RL (vgl. Art. 2 Buchst. h) SE-RL) zu verzichten.13 Hieraus folgt, dass die Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien für die SE im Falle einer durch Verhandlungen festzulegenden Arbeitnehmerbeteiligung nicht verbindlich vorgegeben werden kann, da es eben im Belieben der Verhandlungsparteien steht, ob es überhaupt eine Mitbestimmung und damit eine Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat gibt. Alles andere würde der Bestimmung des Art. 4 Abs. 2 Buchst. g) SE-RL zuwiderlaufen und damit auch die insoweit bestehenden Ziele der SE-RL konterkarieren. 4.2.2. Verschiedene Formen der Mitbestimmung Die Mitbestimmung im Sinne der SE-RL kann nicht nur in Gestalt der Mitwirkung eigener Vertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan erfolgen, sondern auch (nur) durch Empfehlung oder Ablehnung eines Teils oder aller Mitglieder. Die Möglichkeit der Wahl zwischen diesen beiden Formen der Mitbestimmung kommt in Art. 2 Buchst. k) und Art. 4 Abs. 2 Buchst. g) SE-RL zum Ausdruck. Entscheiden sich die Verhandlungsparteien für die letztgenannte Form, so besteht ebenfalls kein Raum für eine verbindliche Vorgabe zur Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien . 4.2.3. Größe des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. g) SE-RL kann in einer Vereinbarung über die Mitbestimmung auch die Zahl der von Arbeitnehmern gewählten oder bestellten Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans festgelegt werden. Zwar beinhaltet das nationale Ausführungsrecht zu Art. 40 Abs. 3 SE-VO in § 17 Abs. 1 SE-Ausführungsgesetz das sog. Dreiteilbarkeitsgebot, wonach die Zahl der Mitglieder durch drei teilbar sein muss (vgl. auch § 95 Satz 3 AktG).14 Dies gilt – 13 Vgl. auch – allerdings zum nationalen Umsetzgesetz der SE-RL – Jacobs, in: Goette/Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 7. Bd., 3. Aufl. 2012, § 21 SEBG, Rn. 13. 14 Vgl. Reichert/Brandes, in: Goette/Habersack, MüKo Aktienrecht (Fn. 13), Art. 40 SE-VO, Rn. 66 ff. Im Schrifttum ist allerdings umstritten, ob auch die Gesamtgröße des betreffenden Organs durch Festlegung in der Vereinbarung bestimmt und hierdurch von dem Gebot der Dreiteilbarkeit abgewichen werden kann, vgl. dazu Reichert /Brandes, aaO., Rn. 68. Der eindeutige Wortlaut der SE-RL gibt für eine solche Auslegung jedenfalls keinen Raum. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 9 soweit ersichtlich – aber nur für die Gesamtgröße und nicht für die Anzahl der von den Arbeitnehmern zu wählenden oder zu bestellenden Mitglieder. Würden sich die Verhandlungsparteien hier auf eine nicht durch Drei teilbare Zahl einigen, entstünden Probleme bei der Umsetzung der 30%-Geschlechterquote. Je nach Auf- oder Abrundung des Rechenergebnisses käme eine größere oder geringere Quote zur Anwendung. Somit steht auch die privatautonom festzulegende Anzahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan einer genauen Umsetzung der 30%-Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien entgegen. 4.2.4. Privatautonomie der Verhandlungsparteien Zu fragen ist schließlich, ob die Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien – ungeachtet der vorstehend beschriebenen Probleme – überhaupt mit dem in Art. 4 Abs. 2 SE-RL betonten Grundsatz der Privatautonomie der Vertragsparteien vereinbar wäre. Rechtsprechung der Unionsgerichte zu dieser Frage liegt nicht vor, so dass die Frage nicht verbindlich beantwortet werden kann. Soweit ersichtlich, finden sich zu dieser Frage auch keine Aussagen im einschlägigen Schrifttum. Probleme würden in dieser Hinsicht jedenfalls dann bestehen, wenn eine Geschlechterquote in den Grenzen des Art. 4. Abs. 2 SE-RL privatautonom vereinbart werden könnte. Denn dann bedeutete eine gesetzlich vorgegebene Geschlechterquote eine Einschränkung dieser Privatautonomie. Im Schrifttum wird im Zusammenhang mit der Gestaltungsfreiheit bei der Unternehmensmitbestimmung durch Vereinbarung vertreten, dass in der Vereinbarung jedenfalls das geregelt werden darf, was auch Regelungsgegenstand der Satzung einer SE sein kann.15 Die Satzung ist nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b) SE-VO – neben der SE-VO selbst – eine der (weiteren) Rechtsquellen, denen eine SE unterliegt. Nach Art. 47 Abs. 3 SE-VO können in der Satzung für Aufsichtsratsmitglieder – in Anlehnung an die nationalen Aktienrechtsvorschriften des Sitzstaates der SE – besondere Voraussetzungen für die Mitgliedschaft festgelegt werden. Dazu gehören nach Stimmen im Schrifttum zum deutschen Aktienrecht auch Geschlechterquoten.16 Folgt man der obigen These, wonach die Mitbestimmungsvereinbarung jedenfalls das privatautonom regeln kann, was auch Gegenstand der SE-Satzung sein darf, so wäre die Vorgabe einer Geschlechterquote von der Privatautonomie der Verhandlungsparteien erfasst. Eine gesetzliche Vorgabe in diesem Bereich würde folglich die Privatautonomie nach Art. 4 Abs. 2 SE-RL einschränken . 4.3. Geschlechterquote im Rahmen der Auffanglösung Bestehen somit im Fall einer durch Verhandlung festzulegenden Arbeitnehmerbeteiligung erhebliche rechtliche Probleme an einer Umsetzung der Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien, stellt sich die Frage, ob eine solche bei Anwendung der Auffangregelung vorgesehen werden 15 So etwa Jacobs, in: Goette/Habersack, MüKo Aktienrecht (Fn. 13), § 21 SEBG, Rn. 14. 16 Vgl. bspw. Habersack, in: Goette/Habersack, MüKo Aktienrecht (Fn. 13), § 100 AktG, Rn. 15, 54. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 10 könnte. Die Auffangregelung greift, wenn die Verhandlungen scheitern. Die für sie festgelegten materiellen Vorgaben finden sich im Anhang der SE-RL. Im Zusammenhang mit der Besetzung des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans durch Arbeitnehmervertreter ist eine ausdrückliche Öffnung für die Anwendung nationalen Rechts in Teil 3 des Anhangs unter Buchst. b) UAbs. 3 Satz 3 vorgesehen. Danach hat „[j]eder Mitgliedstaat […] das Recht, die Verteilung der ihm im Verwaltungs- oder im Aufsichtsorgan zugewiesenen Sitze festzulegen “. Vor diesem Hintergrund sind zwei Fragen zu erörtern: erstens, ob dieser Verweis auch eine Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien zulässt (siehe unter 4.3.1.) und, zweitens, welche Bedeutung eine durch Deutschland vorgegebene Geschlechterquote in prozentualer Hinsicht hätte (siehe unter 4.3.2.). 4.3.1. Zulässigkeit einer Geschlechterquote Betrachtet man zunächst den Wortlaut des Verweises, so spricht dieser für die Zulässigkeit einer nationalen Geschlechterquote. Denn auch eine solche betrifft die Art und Weise der Verteilung der Sitze. Ferner spielt in dieser Konstellation – im Gegensatz zur Verhandlungslösung – die Privatautonomie der Vertragsparteien keine Rolle. Darüber hinaus dürfte die Geschlechterquote nicht den Zielen der Richtlinie zuwiderlaufen. Ausweislich der Erwägungsgründe der SE-RL verfolgt diese das allgemeine Ziel, durch die in ihr enthaltenen Bestimmungen zu verhindern, dass die Gründung einer SE zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschen.17 Die Einführung einer Geschlechterquote widerspricht diesem Ziel nicht. Sie setzt eine Mitbestimmung vielmehr voraus und gestaltet diese hinsichtlich der Anteile der Geschlechter lediglich aus. Damit hält sich die Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien an die von der SE-RL verfolgten Ziele, so dass von einer zulässigen Ausfüllung durch nationales Recht auszugehen wäre. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass Deutschland von dieser Öffnung mit § 36 Abs. 3 SE-Beteiligungsgesetz Gebrauch gemacht hat.18 Danach gilt zum jetzigen Zeitpunkt zwar keine Geschlechterquote. Geregelt ist jedoch eine Soll-Regelung in Bezug auf die Berücksichtigung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Frauen und Männern bei der Wahl der auf Deutschland entfallenden Arbeitnehmervertreter (vgl. § 36 Abs. 3 S. 2 SE-Beteiligungsgesetz in Verbindung mit § 6 Abs. 2 S. 2 SE-Beteiligungsgesetz). 4.3.2. Prozentuale Bedeutung Ist danach von einer Zulässigkeit der Geschlechterquote für die Arbeitnehmerseite im Rahmen der Auffangregelung auszugehen, stellt sich im Anschluss die Frage nach der Bedeutung einer solchen in prozentualer Hinsicht. 17 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 SE-RL (Fn. 8). 18 Vgl. dazu BR-Drs. 438/04, S. 138, online abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/doc/brd/2004/0438-04.pdf (letztmaliger Abruf am 28.05.14). Siehe auch allgemein zu § 36 SE-Beteiligungsgesetz, Oetker, in: Lutter/Hommelhoff (Hrsg.), SE-Kommentar, 2008, § 36 SEBG, Rn. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 – 3000 – 102/14 Seite 11 Wie sich aus dem Verweis ergibt, betrifft die in ihm enthaltene Öffnung für das nationale Recht jeweils nur die auf die jeweiligen Mitgliedstaaten entfallenden Sitze im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan . Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass im Ausgangspunkt der Gründung einer SE Gesellschaften – und damit auch Arbeitnehmer – aus zumindest zwei verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt sind.19 Eine für die auf Deutschland entfallenden Sitze vorgegebene Geschlechterquote würde somit nur einen Teil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan einer SE erfassen. Im Hinblick auf die gesamte Arbeitnehmerseite könnte es – je nach Vorgaben in anderen konkret beteiligten Mitgliedstaaten – folglich zu einer Reduktion der in den Leitlinien vorgegeben 30%-Geschlechterquote kommen. 5. Ergebnis Die Anwendung einer Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien für die Arbeitnehmerseite in SE-Aufsichtsräten begegnet verschiedenen rechtlichen Problemen. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass eine SE nicht zwingend über einen Aufsichtsrat verfügen muss. Die SE-VO eröffnet insoweit die Möglichkeit, von dem in Deutschland bekannten dualistischen System abzuweichen und nur ein die Geschäfte führendes Verwaltungsorgan vorzusehen. Sodann bestehen rechtliche Hürden vor allem für den Fall einer durch Verhandlung festzulegenden Mitbestimmung in der SE. Die einschlägige SE-RL bietet nämlich die Option, dass die Anteilseigner- und die Arbeitnehmerseite in den Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung gänzlich auf die Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan verzichten. Ferner unterscheidet die SE-RL zwei verschiedene Formen der Mitbestimmung, von denen nur eine die Wahl von Arbeitnehmervertretern in das Aufsichts- oder Verwaltungsorgan vorsieht. Probleme an der Umsetzung gerade einer 30%-Geschlechterquote wirft zudem der Umstand auf, dass die Anzahl der Arbeitnehmervertreter ebenfalls durch Verhandlung bestimmt werden kann und die vorgegebene Prozentzahl je nach Festlegung eben nicht genau erreicht werden könnte. Schließlich könnte eine gesetzliche Geschlechterquote dem in der SE-RL verankerten Grundsatz der Privatautonomie der Verhandlungsparteien entgegenstehen. Verankern ließe sich eine Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien allenfalls im Rahmen der Auffangregelung, die bei Scheitern der Verhandlungslösung greift. Insoweit sieht die SE-RL eine Öffnung für die Anwendung nationalen Rechts vor. Dies gilt allerdings nur für die auf Deutschland entfallenden Arbeitnehmersitze im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan einer SE. Je nach Anzahl der Sitze und der Vorgaben in anderen beteiligten Mitgliedstaaten zur Geschlechterquote würden die 30% im Sinne der Leitlinien im Hinblick auf die gesamte Arbeitnehmerseite unterschritten werden können. Hieraus folgt, dass die Geschlechterquote im Sinne der Leitlinien jedenfalls nicht verbindlich und umfassend auf die Arbeitnehmerseite in Aufsichtsräten von Europäischen Gesellschaften angewendet werden kann. - Fachbereich Europa - 19 Vgl. oben 3., S. 5.