© 2018 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 101/18 Zur Rechtmäßigkeit der geänderten Richtlinie über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (sog. Feuerwaffenrichtlinie) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 2 Zur Rechtmäßigkeit der geänderten Richtlinie über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (sog. Feuerwaffenrichtlinie) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 101/18 Abschluss der Arbeit: 20. August 2018 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Zu den Gründen und Zielen sowie dem Inhalt der Änderungsrichtlinie von 2017 5 2.1. Gründe und Ziele 5 2.2. Inhalt 6 3. Zu den vorgetragenen Klagegründen 8 3.1. Art. 114 AEUV als (un-)zulässige Rechtsgrundlage 8 3.1.1. Verfolgung (auch) anderer Zwecke als der Binnenmarktharmonisierung auf Grundlage von Art. 114 Abs. 1 AEUV 9 3.1.2. Im Fall der Änderungsrichtlinie 2017 9 3.2. Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 12 3.2.1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 12 3.2.2. Fehlende Befassung 13 3.2.3. Materielle Einwände 14 3.2.3.1. Verbot bestimmter halbautomatischer Waffen 15 3.2.3.2. Verschärfung der Regelung für bestimmte minimal gefährliche Waffen 16 3.2.3.2.1. Historische Replikate 16 3.2.3.2.2. Deaktivierte Waffen 16 3.2.3.3. Bestrafung des Besitzes bestimmter Magazine 17 3.2.3.4. Zwischenergebnis 18 3.3. Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit 18 3.3.1. Rechtssicherheit und Bestimmtheitsgrundsatz 18 3.3.2. Rechtssicherheit und Rückwirkung 19 3.4. Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot 20 3.5. Ergebnis 21 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Die Richtlinie Nr. 91/477 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (sog. Feuerwaffenrichtlinie) wurde 1991 erlassen.1 Mit der Änderungsrichtlinie Nr. 2017/853 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 20172 (im Folgenden : Änderungsrichtlinie 2017) wurde ihr Inhalt zum zweiten Mal seit ihrem Erlass geändert .3 Die aktuellen Änderungen sind von den Mitgliedstaaten im Wesentlichen bis zum 14. September 2018 umzusetzen.4 Im August 2017 erhob die Tschechische Republik eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV gegen die Änderungsrichtlinie 2017.5 Das Verfahren ist beim EuGH unter der Rechtssachennummer C-482/17 anhängig. Zum Zeitpunkt der Bearbeitung lagen weder die Schlussanträge des Generalanwalts noch ein Urteil vor.6 Der Fachbereich wird in diesem Zusammenhang um Prüfung ersucht, ob „berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der aktuellen Feuerwaffenrichtlinie“ bestehen. Hierzu werden im Folgenden zunächst kurz die Beweggründe für die Richtlinie von 2017 und die im 1 Richtlinie des Rates vom 18. Juni 1991, ABl.EG 1991 Nr. L 256/51, online abrufbar unter https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31991L0477&qid=1533290079627&from=DE (letztmaliger Abruf am 27.09.18). 2 Richtlinie (EU) 2017/853 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen, ABl.EU 2017 Nr. L 137/22, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017L0853&from=DE (letztmaliger Abruf am 27.09.18). 3 Die erste Änderung erfolgte durch die Richtlinie 2008/51/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen, ABl.EU 2008 Nr. L 179/5, online abrufbar unter https://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008L0051&from=DE (letztmaliger Abruf am 27.09.18). 4 Vgl. Art. 2 Abs. 1 der Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). Für bestimmte Richtlinienvorgaben läuft die Umsetzungsfrist bis zum 14. Dezember 2019, vgl. Art. 2 Abs. 2 der Änderungsrichtlinie. 5 Vgl. hierzu die Angaben auf der Internetseite des EuGH unter http://curia.europa.eu/juris /document/document.jsf?text=&docid=195803&pageIndex=0&doclang =de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=644544 (letztmaliger Abruf am 27.09.18). Siehe auch die im Amtsblatt der EU von 2017 Nr. C 357/4 veröffentliche Fassung unter https://eur-lex.europa .eu/legal-content/de/TXT/PDF/?uri=uriserv%3AOJ.C_.2017.357.01.0004.01.DEU (letztmaliger Abruf am 27.09.18). 6 Lediglich ein Beschluss zum zurückgewiesenen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde getroffen (Rs. C-482/17 R). Dieser liegt jedoch nur in tschechischer und französischer Sprache vor, vgl. online unter http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=199961&pageIndex=0&doclang =FR&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=644544 – französische Fassung (letztmaliger Abruf am 27.09.18). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 5 Zusammenhang mit der Klage relevanten Änderungen kurz dargestellt (2.). Darauf aufbauend werden sodann die von der Tschechischen Republik vorgetragenen Klagegründe erörtert (3.). Der Begriff „Feuerwaffenrichtlinie“ wird dabei – soweit nicht ausdrücklich anders angeführt – für die geänderte Fassung der Richtlinie verwendet; deren (konsolidierte) Artikel werden mit der Abkürzung „FWaff-RL“ bezeichnet.7 2. Zu den Gründen und Zielen sowie dem Inhalt der Änderungsrichtlinie von 2017 2.1. Gründe und Ziele Die Änderungsrichtlinie 2017 ist auf Grundlage von Art. 114 Abs. 1 AEUV erlassen worden . Ausweislich ihrer Erwägungsgründe verfolgt sie das Ziel, die ursprüngliche Feuerwaffenrichtlinie unter bestimmten Aspekten weiter verhältnismäßig zu verbessern, „um die missbräuchliche Verwendung von Feuerwaffen für kriminelle Zwecke zu bekämpfen, sowie im Hinblick auf die terroristischen Anschläge der jüngsten Zeit.“8 In ihrem Vorschlag zur Änderungsrichtlinie 2017 führt die Kommission aus, dass auch die EU-Organe für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger der Union Sorge trügen und vor dem Hintergrund u. a. der terroristischen Anschläge von Paris und Kopenhagen unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen seien, um „die bestehenden Vorschriften über den Zugang zu Feuerwaffen und den Handel mit ihnen zu verschärfen.“9 Eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Begriff „Binnenmarkt“ findet sich in Erwägungsgrund Nr. 1 der Änderungsrichtlinie 2017. Darin wird allerdings nur auf die ursprüngliche Feuerwaffenrichtlinie verwiesen, die auf eine frühere Fassung des heutigen Art. 114 Abs. 1 AEUV (ex. Art. 100a EWG) gestützt wurde. Sie wird dort als „Begleitmaßnahme zur Schaffung des Binnenmarkts“ bezeichnet, die ein „Gleichgewicht zwischen einerseits dem Einsatz zur Gewährleistung eines gewissen freien Verkehrs für bestimmte Feuerwaffen […] in der Union und andererseits der Notwendigkeit, diesen freien Verkehr durch Sicherheitsvorkehrungen speziell für diese Waren einzuschränken, [herstellt].“10 Der Grund für diese Notwendigkeit lag nach den Erwägungsgründen der ursprünglichen Feuerwaffenrichtlinie in der Abschaffung der Personenkontrollen und der Sicherheitskontrollen der beförderten Gegenstände an den Binnengrenzen als einem der wesentlichen 7 Die konsolidierte Fassung der Feuerwaffenrichtlinie ist abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01991L0477-20170613&from=DE (letztmaliger Abruf am 27.09.18). 8 Erwägungsgrund Nr. 2 der Änderungsrichtlinie (Fn. 2). 9 KOM(2015) 750 final, Begründung, 1. Kontext des Vorschlags – Gründe und Ziele, S. 2, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52015PC0750&qid=1534412927372&from=DE (letztmaliger Abruf am 27.09.18). 10 Erwägungsgrund Nr. 1 der Änderungsrichtlinie (Fn. 2). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 6 Elemente auf dem Weg zur Vollendung des Binnenmarktes.11 Damit entfiel auch die Möglichkeit für eine Kontrolle des Waffenbesitzes an den innergemeinschaftlichen Grenzen. Dies galt es auszugleichen durch „eine wirksame Regelung, die innerhalb der Mitgliedstaaten die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen sowie ihres Verbringens in einen anderen Mitgliedstaat ermöglicht.“12 Die damals erstmals geregelte (Mindest -) Harmonisierung des Waffenrechts durch die Feuerwaffenrichtlinie sollte „unter den Mitgliedstaaten ein größeres gegenseitiges Vertrauen hinsichtlich der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit schaffen.“13 Aus dieser Wechselwirkung dürfte sich die Qualifizierung der ursprünglichen Feuerwaffenrichtlinie als „Begleitmaßnahme zur Schaffung des Binnenmarkt“ erklären. Daran wird deutlich, dass nicht allein der Aspekt der Herstellung und des Inverkehrbringens der Ware „Feuerwaffe“ Regelungsziel (bereits) der ersten Fassung dieses Rechtsaktes war, sondern auch Fragen der öffentlichen Sicherheit. Eine weitere Erwähnung des Binnenmarkts als Ziel der Änderungsrichtlinie 2017 findet sich in ihren Erwägungsgründen nicht. Lediglich Änderungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnungspflicht von Feuerwaffen werden mit der Erleichterung des freien Verkehrs dieser Art von Waren begründet.14 2.2. Inhalt Die inhaltlichen Änderungen betreffen alle Teile der Feuerwaffenrichtlinie einschließlich der Anhänge, insbesondere erfassen sie das Kapitel 2 des Rechtsaktes mit der Bezeichnung „Harmonisierung des Feuerwaffenrechts“ (Art. 4 bis 10 FWaff-RL)15 sowie den Anhang I der Feuerwaffenrichtlinie, in welchem die Aufteilung nach verbotenen (A), genehmigungspflichtigen (B) und meldepflichtigen Waffen vorgenommen ist.16 In der Sache geht es dabei u. a. um Anpassung von Definitionen (Waffenhändler und Makler), um Vorgaben zur Kennzeichnung von Waffen und ihren wesentlichen Bestandteilen , um Fragen der Reaktivierung deaktivierter Waffen, des Umbaus von halbautomatischen zu automatischen Waffen, der Aufnahme neuer Waffenkategorien in die Kategorie A des Anhangs I der Feuerwaffenrichtlinie usw. Im Zusammenhang mit der Klage Tschechiens und den geltend gemachten Klagegründen sind an dieser Stelle die folgenden Änderungen zu nennen: 11 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 3 der ursprünglichen Feuerwaffenrichtlinie (Fn. 1). 12 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 4 der ursprünglichen Feuerwaffenrichtlinie (Fn. 1). 13 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 4 ursprüngliche Feuerwaffenrichtlinie (Fn. 1). 14 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). 15 Vgl. Art. 1 Nr. 3 bis 10 Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). 16 Vgl. Art. 1 Nr. 19 Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 7 - Neufassung des Art. 6 Abs. 6 UAbs. 2 Fwaff-RL: „In Bezug auf Feuerwaffen der Kategorie A Nummer 6 können Mitgliedstaaten , in denen allgemeine Wehrpflicht herrscht und in denen seit über 50 Jahren ein System der Weitergabe militärischer Feuerwaffen an Personen besteht, die die Armee nach Erfüllung ihrer Wehrpflicht verlassen, an diese Personen in ihrer Eigenschaft als Sportschützen eine Genehmigung erteilen, eine während des Wehrdienstes benutzte Feuerwaffe zu behalten. Die betreffende staatliche Behörde wandelt diese Feuerwaffen in halbautomatische Feuerwaffen um und überprüft in regelmäßigen Abständen, ob die Personen, die diese Feuerwaffen verwenden, keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Es gelten die Bestimmungen von Unterabsatz 1 Buchstaben a, b und c.“17 - Neueinfügung von Art. 7 Abs. 4a FWaff-RL mit folgendem Inhalt: „Die Mitgliedstaaten können beschließen, Genehmigungen für halbautomatische Feuerwaffen der Kategorie A Nummer 6, 7 oder 8 für eine Feuerwaffe , die in die Kategorie B eingeteilt war und die vor dem 13. Juni 2017 rechtmäßig erworben und eingetragen wurde, unter den sonstigen in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen zu bestätigen, zu erneuern oder zu verlängern . Sie können gestatten, dass solche Feuerwaffen von anderen Personen erworben werden, denen ein Mitgliedstaat gemäß dieser Richtlinie in der durch die Richtlinie (EU) 2017/853 des Europäischen Parlaments und des Rates (*3) geänderten Fassung die Genehmigung dazu erteilt hat.“18 - Festlegung neuer Kategorien verbotener Waffen in Anhang 1, Abschnitt II, Buchst. A, insbesondere Nr. 6, 7 und Nr. 8: „6. automatische Feuerwaffen, die zu halbautomatischen Feuerwaffen umgebaut wurden, unbeschadet des Artikels 7 Absatz 4a; 7. jede der folgenden halbautomatischen Zentralfeuerwaffen: a) Kurz-Feuerwaffen, mit denen ohne Nachladen mehr als 21 Schüsse abgegeben werden können, sofern: i) eine Ladevorrichtung mit einer Kapazität von mehr als 20 Patronen in diese Feuerwaffe eingebaut ist; oder ii) eine abnehmbare Ladevorrichtung mit einer Kapazität von mehr als 20 Patronen eingesetzt wird; b) Lang-Feuerwaffen, mit denen ohne Nachladen mehr als elf Schüsse abgegeben werden können, sofern: i) eine Ladevorrichtung mit einer Kapazität von mehr als zehn Patronen in diese Feuerwaffe eingebaut ist; ii) oder eine abnehmbare Ladevorrichtung mit einer Kapazität von mehr als zehn Patronen eingesetzt wird; 17 Vgl. Art. 1 Nr. 6 Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). 18 Vgl. Art. 1 Nr. 7 Buchst. b) Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 8 8. halbautomatische Lang-Feuerwaffen (d. h. Feuerwaffen, die ursprünglich als Schulterwaffen vorgesehen sind), die ohne Funktionseinbuße mithilfe eines Klapp- oder Teleskopschafts oder eines ohne Verwendung eines Werkzeugs abnehmbaren Schafts auf eine Länge unter 60 cm gekürzt werden können“19. In Bezug auf genauen Inhalt weiterer, in diesem Kontext nicht weiter relevanter Änderungen wird auf die Änderungsrichtlinie 2017 sowie die konsolidierte Fassung der Feuerwaffenrichtlinie verwiesen. 3. Zu den vorgetragenen Klagegründen Der Inhalt der Klage ist zum Zeitpunkt der Bearbeitung nur insoweit bekannt und wird nur insoweit im Folgenden zugrunde gelegt, als er in der Klagezusammenfassung auf den Seiten des EuGH wiedergegeben ist.20 Danach stützt die Tschechische Republik ihr Vorgehen auf vier Gründe. Sie macht im Hinblick auf die gesamte Änderungsrichtlinie erstens geltend, dass sie nicht auf Art. 114 AEUV hätte gestützt werden können (3.1.). Zweitens hätte der Unionsgesetzgeber gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen (3.2.). Die Klagegründe drei und vier, Verstöße gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit (3.3.) bzw. das Diskriminierungsverbot (3.4.) werden dagegen nur in Bezug auf bestimmte Änderungen erhoben. Nach Vorgaben des Auftraggebers sind die beiden letztgenannten Klagegründe nur kurz darzustellen und ggf. summarisch zu prüfen. 3.1. Art. 114 AEUV als (un-)zulässige Rechtsgrundlage Den ersten Klagegrund begründet die Tschechische Republik mit den Zielen, die durch die Änderungsrichtlinie 2017 verfolgt werden. Es gehe nicht darum, Hindernisse für den Binnenmarkt zu beseitigen, sondern „ausschließlich [um] das Ziel, Straftaten und Terrorismus vorzubeugen. Der Unionsgesetzgeber sei nicht befugt, Harmonisierungsmaßnahmen auf diesem Gebiet zu erlassen.“21 Nach ständiger Rechtsprechung muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsaktes gehören.22 Aus der zitiertem Begründung des Klagegrundes lässt sich schließen, dass die Tschechische Republik nicht den harmonisierenden Inhalt der Änderungsrichtlinie 2017, sondern allein deren Zielsetzung als mit Art. 114 Abs. 1 AEUV unvereinbar ansieht. Aus diesem 19 Vgl. Art. 1 Nr. 19 Nr. 1 Buchst. b) ii) Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). 20 Siehe Klagezusammenfassung (Fn. 5). 21 Vgl. Klagezusammenfassung (Fn. 5). 22 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 6.11.2008, Rs. C-155/07 (EP/Rat), Rn. 34, mit weiteren Nachweisen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 9 Grund beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen zur Rechtsgrundlage v. a. auf diesen Aspekt. Zu erörtern ist daher zunächst, unter welchen Voraussetzungen der Unionsgesetzgeber auf Grundlage des Art. 114 AEUV (auch) andere Zwecke verfolgen darf als die der Binnenmarktharmonisierung (3.1.1.). Sodann ist zu prüfen, ob diese Voraussetzungen auch hier gegeben sind (3.1.2). 3.1.1. Verfolgung (auch) anderer Zwecke als der Binnenmarktharmonisierung auf Grundlage von Art. 114 Abs. 1 AEUV Die Verfolgung weiterer Ziele und Zwecke allein auf Grundlage des Art. 114 Abs. 1 AEUV neben der Verbesserung des Binnenmarkts ist nicht per se ausgeschlossen. Möglich ist dies insbesondere dann, wenn es sich bei den weiteren Zielen um sog. Querschnittsaufgaben der EU handelt, wie sie ausdrücklich in Art. 114 Abs. 3 AEUV aufgeführt sind. Entschieden hat das der Gerichtshof bereits für den Gesundheits-23 und den Verbraucherschutz 24, wobei der letztgenannte auch ausdrücklich als Querschnittsmaterie in Art. 12 AEUV geregelt ist. Diesen Zielen darf nach der Rechtsprechung des EuGH im Verhältnis zur Binnenmarktverwirklichung sogar maßgebliche Bedeutung zukommen. Dies gilt aber nur, wenn die (sonstigen) tatbestandlichen Voraussetzungen für die Heranziehung von Art. 114 Abs. 1 AEUV erfüllt sind.25 3.1.2. Im Fall der Änderungsrichtlinie 2017 Wie oben ausgeführt, wird von dem Vorliegen der sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 114 Abs. 1 AEUV ausgegangen,26 so dass sich hier allein die Frage stellt, ob die durch die Änderungsrichtlinie 2017 verfolgten Zwecke, missbräuchlicher und terroristischer Verwendung von Waffen vorzubeugen,27 der beschriebenen Rechtsprechung unterfallen. 23 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03 (Deutschland/EP und Rat – Tabakwerbung II), Rn. 39 f.; EuGH, Urt. v. 4.05.2016, Rs. C-547/14 (Philip Morris), Rn. 60 f.; EuGH, Urt. v. 4.05.2016, Rs. C-358/14 (Polen/EP und Rat), Rn. 34 f. 24 EuGH, Urt. v. 8.06.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 36. 25 EuGH, Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03 (Deutschland/EP und Rat – Tabakwerbung II), Rn. 39; EuGH, Urt. v. 4.05.2016, Rs. C-358/14 (Polen/EP und Rat), Rn. 34. 26 Der Ergänzung halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich um einen Fall der sog. Anpassungsharmonisierung handelt. Dem Unionsgesetzgeber kommt auf Grundlage von Art. 114 Abs. 1 AEUV nicht nur die Befugnis zu, bestehende oder drohende mitgliedstaatliche Rechtsunterschiede durch Vorgabe einheitlicher unionsweit geltender EU-Vorschriften erstmals zu beseitigen. Er ist nach der Rechtsprechung des EuGH auch befugt, „[…] die einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften den Umständen oder neuen Erkenntnissen anzupassen“, vgl. EuGH, Urt. v. 10.12.2002, Rs. C-491/01 (British Tobacco), Rn. 77. Dies gilt sogar dann, wenn der bestehende Harmonisierungsakt „bereits jedes Handelshemmnis auf dem von ihm harmonisierten Gebiet beseitigt [hat]“, vgl. EuGH, Urt. v. 8.6.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 34. 27 Siehe zu den Zielen der Änderungsrichtlinie 2017 oben unter 2.1., S. 5 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 10 Beide Zwecksetzungen lassen sich dem übergeordneten Aspekt der öffentlichen Sicherheit zuordnen. Anders als etwa der Verbraucher- und Umweltschutz ist die öffentliche Sicherheit zwar nicht ausdrücklich als Querschnittsmaterie in den Art. 8 ff. AEUV aufgeführt . Der Begriff der Sicherheit wird jedoch – ebenso wie der der Gesundheit, der auch keine eigene Regelung in den Art. 8 ff. AEUV erfahren hat – zumindest in Art. 114 Abs. 3 AEUV erwähnt. Die Frage ist, ob der dort verwendete Sicherheitsbegriff (auch) im Sinne der öffentlichen Sicherheit zu verstehen ist. Rechtsprechung zu dieser Frage liegt bisher nicht vor und es werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Unter Verweis auf die englische Sprachfassung des Begriffs in Art. 144 Abs. 3 AEUV („safety“) wird hierzu im Schrifttum überwiegend die Auffassung vertreten, dass es dabei eher um Produktsicherheit gehe.28 Fragen der öffentlichen Sicherheit, wie sie Gegenstand des Politikbereichs des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 67 bis Art. 89 AEUV) seien, würden danach nicht erfasst.29 Anderer Ansicht war der Generalanwalt Bot in seinen Schlussanträgen zu einem EuGH- Verfahren, in dem es um die zutreffende Rechtsgrundlage für die auf Art. 114 Abs. 1 AEUV gestützte Richtlinie über Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2006 ging. Er verstand den Begriff der Sicherheit zumindest auch im Sinne der öffentlichen Sicherheit.30 Ein solches Verständnis lässt sich – neben der deutschen – auch auf andere Sprachfassungen stützen, die ebenfalls den allgemeineren Begriff der Sicherheit verwenden, so etwa die französische Fassung („sécurité“) oder die polnische („bezpieczeństwo“). Eine abschließende Entscheidung lässt sich an dieser Stelle mangels unionsgerichtlicher Rechtsprechung zum Begriffsverständnis nicht treffen. Aus Sicht des Verfassers sprechen indes die besseren Gründe für ein weites Verständnis des Sicherheitsbegriffs in Art. 114 Abs. 3 AEUV, wonach auch Aspekte der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts einbezogen sind. Zum einen schließen dies andere als englische Sprachfassungen nicht aus, so dass der reinen Wortlautauslegung vorliegend eine nur geringe Bedeutung zukommt.31 Zum anderen ist nicht erkennbar, warum im Lichte der übrigen in Art. 114 Abs. 3 AEUV erwähnten Querschnittsanliegen, die allesamt Gemeinwohlerwägungen darstellen (Gesundheit, 28 So etwa Classen, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 114 AEUV, Rn. 168; Tietje in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 114 AEUV (59. Ergslfg. 2016), Rn. 146; Korte, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 114 AEUV, Rn. 53. 29 Vgl. insbesondere Classen, aaO., Rn. 168. 30 GA Bot, Schlussanträge vom 14.10.2008, Rs. C-301/06 (Irland/Europäisches Parlament und Rat – „Vorratsdatenspeicherung “), Rn. 97. 31 Vgl. zur Bedeutung der Wortlautauslegung Riesenhuber, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre , 3. Aufl. 2015, § 10, Rn. 14 ff. – mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 11 Umwelt- und Verbraucherschutz), der Begriff der Sicherheit nicht auch im Sinne der öffentlichen Sicherheit verstanden werden soll. Auch ihre Gewährleistung stellt ein wichtiges Gemeinwohlanliegen dar.32 Dass die Unionsverträge mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts einen eigenständigen Politikbereich enthalten, im Rahmen dessen gesonderte Rechtsgrundlagen für ein Tätigwerden der EU vorgesehen sind, steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Denn erstens sehen die Unionsverträge auch für die anderen in Art. 114 Abs. 3 AEUV genannten Querschnittsmaterien eigenständige Rechtsgrundlagen bzw. Politikbereiche vor.33 Zweitens ist für die Abgrenzung von Rechtsgrundlagen und den darauf erlassenen Sekundärrechtsmaßnahmen nicht allein die Zielsetzung entscheidend, sondern vor allem auch der Inhalt.34 Nach den vorliegenden Informationen stellt die Tschechische Republik den harmonisierenden Inhalt der Änderungsrichtlinie gerade nicht in Frage.35 Und auch die obigen Ausführungen zum Inhalt dieses Rechtsaktes machen deutlich, dass hier (harmonisierende ) Regelungen in Bezug auf die Ware „Feuerwaffe“ getroffen bzw. angepasst wurden , die ihre Herstellung, das Inverkehrbringen und ihren Besitz betreffen.36 Andere Rechtsgrundlagen, insbesondere im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, sind hierfür nicht ersichtlich. Dagegen finden sich keine Regelungen in der Änderungsrichtlinie zu Straftatbeständen oder einem polizeilichen oder strafrechtlichen Tätigwerden mitgliedstaatlicher Behörden im Zusammenhang mit der kriminellen oder terroristischen Verwendung von Feuerwaffen, die ggf. auf Rechtsgrundlagen in den Art. 82 ff. AEUV zu stützen wären.37 Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Rechtsgrundlage des Art. 114 Abs. 1 AEUV nicht um eine sachbereichsbezogene bzw. inhaltlich geprägte Kompetenzbestimmung handelt wie etwa bei der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 82 bis Art. 86 AEUV oder dem Verkehrskapitel nach Art. 90 bis 100 AEUV. Die Binnenmarktharmonisierungskompetenz in Art. 114 Abs. 1 AEUV ist vielmehr funktional 32 Siehe hierzu auch EuGH, Urt. v. 10.12.2002, Rs. C-491/01 (British Tobacco), Rn. 77, wonach der EuGH im Zusammenhang mit der Befugnis des Unionsgesetzgebers zur Vornahme von Anpassung bestehender Harmonisierungsmaßnahmen ausführt, dass diese Befugnis erforderlich sei, um „[…] die ihm obliegende Aufgabe, über den Schutz der im Vertrag anerkannten allgemeinen Interessen […] zu wachen, […]ordnungsgemäß wahrnehmen [zu können].“ (Hervorhebung durch Verfasser). 33 Für den Bereich Gesundheit, siehe Art. 168 AEUV; für den Bereich Umwelt siehe Art. 191 ff. AEUV; für den Bereich Verbraucherschutz, siehe Art. 169 AEUV. 34 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 6.11.2008, Rs. C-155/07 (EP/Rat), Rn. 34. Siehe auch EuGH, Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-301/06 (Irland/Europäisches Parlament und Rat – „Vorratsdatenspeicherung“), Rn. 79. 35 Siehe dazu oben unter 3.1., S. 8. 36 Siehe oben unter 2.2., S. 6 f. 37 Vgl. zu einer ähnlichen Konstellation EuGH, Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-301/06 (Irland/Europäisches Parlament und Rat – „Vorratsdatenspeicherung“), Rn. 79 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 12 ausgerichtet auf Herstellung und Errichtung des Binnenmarktes.38 Von welchen Zwecksetzungen sich der Unionsgesetzgeber bei der Beseitigung mitgliedstaatlicher Rechtsunterschiede im Übrigen leiten lässt, in welche Richtung die an ihre Stelle tretenden Unionsvorschriften auszugestalten sind bzw. werden können, ergibt sich vor allem aus Art. 114 Abs. 3 AEUV.39 Es wäre verwunderlich, wenn dies in Bezug auf die Ware „Feuerwaffe“ nicht auch und vor allem Aspekte der öffentlichen Sicherheit wie die Vorbeugung gegen eine kriminelle oder terroristische Verwendung von Waffen sein dürften. 3.2. Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Nach der Klagezusammenfassung begründet die Tschechische Republik den Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum einen damit, dass der Unionsgesetzgeber sich mit diesem Grundsatz nicht befasst und nicht genügend Informationen gesammelt habe, „um die Einhaltung dieses Grundsatzes fundiert beurteilen zu können.“40 Folge hiervon sei zum anderen, dass der Gesetzgeber durch diesen Mangel in Bezug auf drei Aspekte „offensichtlich unverhältnismäßige Maßnahmen“ erlassen habe.41 Im Folgenden sind die allgemeinen Anforderungen darzustellen, die sich aus dem in Art. 5 Abs. 4 AEUV geregelten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für den Unionsgesetzgeber ergeben (3.2.1.). Anschließend ist im Hinblick auf die vorgetragenen Einwände Tschechiens zu erörtern, ob diesen Anforderungen im Hinblick auf die Änderungsrichtlinie 2017 genüge getan wurde. Hierbei wird zwischen dem Einwand fehlender Befassung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (3.2.2.) und seiner materielle Nichteinhaltung unterschieden (3.2.3.). 3.2.1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, „dass die Handlungen der Unionsorgane zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist […].“42 Neben den in dieser Formulierung zum Ausdruck kommenden Prüfungsstufen der Geeignetheit und Erforderlichkeit der jeweili- 38 Vgl. hierzu Tietje in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 28), Art. 114 AEUV (59. Ergslfg. 2016), Rn. 32 ff. 39 Vgl. Tietje in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 28), Art. 114 AEUV (59. Ergslfg. 2016), Rn. 136 ff. 40 Vgl. Klagezusammenfassung (Fn. 5). 41 Vgl. Klagezusammenfassung (Fn. 5). 42 EuGH, Urt. v. 4.05.2016, Rs. C-548/14 (Philip Morris u. a.), Rn. 165; vgl. auch EuGH, Urt. v. 8.06.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 51 – jeweils beide mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 13 gen Unionsmaßnahme beinhaltet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch die Prüfungsstufe der Angemessenheit, wonach die Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen muss.43 Im Zusammenhang mit der gerichtlichen Nachprüfbarkeit dieser Anforderungen betont der EuGH in ständiger Rechtsprechung, dass „der Unionsgesetzgeber über ein weites Ermessen in Bereich[en verfügt], in dem von ihm politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt werden und in dem er komplexe Prüfungen durchführen muss. Folglich ist eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des Ziels, das die zuständigen Organe verfolgen, offensichtlich ungeeignet ist […]“.44 Es gehe bei der gerichtlichen Kontrolle somit nicht darum, „ob eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme die einzig mögliche oder die bestmögliche war […].“45 Die Offensichtlichkeitsschwelle bezieht sich dabei – entgegen dem mehrdeutigen Wortlaut des obigen Zitats – nicht nur auf die Geeignetheit der Maßnahme, sondern auch auf die Erforderlichkeit und Angemessenheit.46 Grenzen findet das weite Ermessen jedoch darin, dass der Unionsgesetzgeber verpflichtet ist, „seine Entscheidung auf objektive Kriterien zu stützen. Außerdem muss er bei der Beurteilung der mit verschiedenen möglichen Maßnahmen verbundenen Belastungen prüfen , ob die mit der gewählten Maßnahme angestrebten Ziele sogar beträchtliche negative wirtschaftliche Folgen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen können […].“47 3.2.2. Fehlende Befassung Für die Frage, ob und inwieweit der Unionsgesetzgeber sich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit befasst hat, kann insbesondere der jeweilige Rechtssetzungsvorschlag der Kommission herangezogen werden.48 Die unmittelbar zum Verhältnismäßigkeits- 43 Vgl. EuGH, Urt. v. 4.05.2016, Rs. C-548/14 (Philip Morris u. a.), Rn. 170, 178, 185; EuGH, Urt. v. 8.06.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 60, 61, 69. 44 EuGH, Urt. v. 4.05.2016, Rs. C-548/14 (Philip Morris u. a.), Rn. 166 (Hervorhebung durch Verfasser); vgl. auch EuGH, Urt. v. 8.06.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 52 – jeweils beide mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 45 EuGH, Urt. v. 8.6.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 52. 46 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 4.05.2016, Rs. C-548/14 (Philip Morris u. a.), Rn. 177, 184, 190. 47 EuGH, Urt. v. 8.6.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 53, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 48 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 8.6.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 55. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 14 grundsatz in seiner Begründung enthaltenen Ausführungen sind zwar eher kurz und allgemein gehalten.49 An anderer Stelle führt die Kommission jedoch aus und weist nach, dass dem Vorschlag für die Änderungsrichtlinie 2017 die Durchführung dreier Studien sowie eine Konsultation der Interessensträger vorausgingen.50 Auf eine gesonderte Folgenabschätzung wurde mit der Begründung, dass der Vorschlag „vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse dringlich ist“, zwar verzichtet; alternativ verweist die Kommission aber auf eine sog. REFIT-Bewertung der Feuerwaffenrichtlinie.51 Ohne die Einzelheiten der Studien und der REFIT-Bewertung zur Kenntnis genommen zu haben, dürfte hieraus folgen, dass die Kommission ihren Vorschlag auf die dort gemachten Erwägungen und damit auf objektive Kriterien gestützt hat. Hierauf baute dann auch der Unionsgesetzgeber in Gestalt des Europäischen Parlaments und des Rates beim Erlass der Änderungsrichtlinie 2017 auf. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass sich die Kommission sowie Parlament und Rat von diesen Erwägungen auch bei der Bejahung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes leiten ließen – ungeachtet der Tatsache, dass dies in der Begründung bzw. dem entsprechenden Erwägungsgrund52 zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht unmittelbar zum Ausdruck kommt. Jedenfalls kann der globale Einwand Tschechiens, wonach die Kommission sich mit diesem Grundsatz nicht befasst und nicht genügend Informationen gesammelt habe, vor diesem Hintergrund nicht überzeugen. 3.2.3. Materielle Einwände Von Relevanz dürfte daher allenfalls sein, ob diesem Grundsatz in materieller Hinsicht genüge getan wurde. Da der hier betroffene Bereich des Waffenrechts in Gänze von politischen , wirtschaftlichen und sozialen Erwägungen geprägt wird und den handelnden EU- Organen komplexe Prüfungen im Zusammenhang mit seiner Regulierung auferlegen dürfte, kann davon ausgegangen werden, dass dem Unionsgesetzgeber bei der Beurteilung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein weites Ermessen zukommt. 49 KOM(2015) 750 final (Fn. 9), Pkt. 2 („Rechtsgrundlage, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit), S. 5 f. „Die Verhältnismäßigkeit wird dadurch gewahrt, dass der Inhalt der vorgeschlagenen Änderungen sich auf die Aspekte beschränkt, die sich laut den wichtigsten Schlussfolgerungen der in der Vorbereitungsphase durchgeführten Studien am stärksten auf die Sicherheit auswirken. Insgesamt geht dieser Vorschlag nicht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung der Sicherheit der EU- Bürger ohne unnötige Einschränkungen des Binnenmarkts erforderlich ist.“ Vgl. die noch kürzeren Ausführungen im Erwägungsgrund Nr. 33 der Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). 50 KOM(2015) 750 final (Fn. 9), Pkt. 3 („Ergebnisse der ex-post-Bewertung, der Konsultationen der Interessensträger und der Folgenabschätzung“), S. 6 ff. 51 KOM(2015) 750 final (Fn. 9), Pkt. 3 zur Folgenabschätzung, S. 8 f. Die REFTIT-Bewertung der Feuerwaffenrichtlinie ist online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?uri=celex%3A52015DC0751 (letztmaliger Abruf am 27.09.18). 52 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 33 der Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 15 Wie oben ausgeführt, bezieht sich der insoweit von der Tschechischen Republik erhobene materielle Einwand nach der Klagezusammenfassung nicht auf die Änderungsrichtlinie 2017 in Gänze, sondern auf drei einzelne Aspekte. 3.2.3.1. Verbot bestimmter halbautomatischer Waffen Der erste betrifft die Aufnahme „bestimmte[r] Arten halbautomatischer Waffen, die in der Union für die Begehung terroristischer Taten allerdings nicht verwendet würden […]“53 in die Kategorie verbotener Waffen.54 Der Klagezusammenfassung lässt sich nicht näher entnehmen , ob es sich dabei um alle der nun verbotenen Arten halbautomatischer Waffen handelt oder nur um bestimmte, die davon erfasst sind, und warum dies – abgesehen von der Nichtverwendung für terroristische Taten – im Einzelnen als „offensichtlich unverhältnismäßig “ anzusehen sein soll. Betrachtet man den Einwand im Lichte der oben dargestellten materiellen Anforderungen , so ist auf Grundlage der vorliegenden Dokumente und insbesondere der Klagezusammenfassung nicht erkennbar, dass diese Änderung offensichtlich unverhältnismäßig ist und der Unionsgesetzgeber sein Ermessen überschritten hat: Dass ein Verbot bestimmter halbautomatischer Waffenkategorien zumindest geeignet ist, ihrem Missbrauch in kriminellen oder terroristischen Zusammenhängen vorzubeugen, dürfte außer Frage stehen. Ob mildere Mittel wie etwa eine Genehmigungspflicht ebenso wirksam bei der Vorbeugung des Waffenmissbrauchs sind wie ein Verbot, erscheint hingegen fraglich, so dass Zweifel an der Erforderlichkeit des vorgenommenen Verbots halbautomatischer Waffen nicht ersichtlich sind. Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass diese Entscheidung des Unionsgesetzgebers als offensichtlich nicht erforderlich angesehen werden könnte. Was schließlich die Angemessenheit angeht, so ist im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung vor missbräuchlicher – krimineller und terroristischer – Verwendung halbautomatischer Waffen nicht ersichtlich, warum ihr gänzliches Verbot in keinem angemessen Verhältnis zu diesem Ziel stehen soll, erst recht unter Berücksichtigung der Offensichtlichkeitsschwelle . Ob und inwieweit der Einwand Tschechiens auf die damit einhergehenden Belastungen für die Hersteller zielt, die durch diese Kategorisierung u. U. mit wirtschaftlichen Nachteilen in Gestalt eines zurückgehenden Absatzes zu rechnen haben, ist nicht bekannt. Dessen ungeachtet würde es sich hierbei erstens um eine Tatsachenfrage handeln, die des Nachweises bedürfte. Dabei dürfte sicherlich von Bedeutung sein, dass es sich auch vor der Änderungsrichtlinie 2017 um eine besondere Art von Waren handelte, deren Ver- 53 Vgl. Klagezusammenfassung (Fn. 5). 54 Siehe hierzu die ausdrückliche Wiedergabe der einschlägigen Regelung oben unter 2.2., S. 6 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 16 kehrsfähigkeit stark eingeschränkt war. Den Rechtsprechungsvorgaben zu diesem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit lässt sich zweitens entnehmen, dass derartige negative Folgen ein gewisses Gewicht haben müssen („beträchtliche negative wirtschaftliche Folgen“55). Ob dieses vorliegend zudem ausreichen würde, um in der Abwägung gegenüber der öffentlichen Sicherheit und der missbräuchlichen Verwendung von Waffen bestehen zu können, erscheint zweifelhaft, lässt sich jedoch mangels entsprechender Angaben nicht abschließend entscheiden. 3.2.3.2. Verschärfung der Regelung für bestimmte minimal gefährliche Waffen Der zweite Aspekt betrifft die Verschärfung der Regelung „für bestimmte minimal gefährliche Waffen (historische Replikate oder nachweislich dauerhaft unschädlich gemachte Waffen) […].“56 3.2.3.2.1. Historische Replikate Die Verschärfung der Regelungen zu historischen Replikaten folgt aus der Änderung des Abschnitts III des Anhang I. Darin wird geregelt, welche Gegenstände nicht in die Richtliniendefinition des Begriffs der Feuerwaffe einbezogen sind, obwohl sie der Definition entsprechen . Dazu gehören nach der Änderungsrichtlinie zwar noch historische Waffen unter bestimmten Bedingungen (vgl. Buchst. b Abschnitt III von Anhang I FWaff-RL), nicht mehr aber ihre Reproduktionen. Diese gelten somit nach neuer Rechtslage als Feuerwaffen , sofern sie die Begriffsdefinition erfüllen. Die Begründung für diese Änderung findet sich in Erwägungsgrund Nr. 27 der Änderungsrichtlinie 2017. Danach kommt Reproduktionen – anders als ihren vom Anwendungsbereich ausgenommenen historischen Vorbildern – „nicht dieselbe historische Bedeutung bzw. nicht dasselbe historische Interesse zu, und sie können unter Verwendung moderner Techniken hergestellt werden, mit denen die Haltbarkeit verlängert und die Genauigkeit verbessert werden kann. Diese nachgebildeten Feuerwaffen sollten daher in den Anwendungsbereich der [Feuerwaffenrichtlinie] aufgenommen werden.“ Im Lichte dieser Begründung ist nicht erkennbar, dass die Einbeziehung von Reproduktionen historischer Waffen angesichts des durch die Änderungsrichtlinie 2017 verfolgten generellen Ziels einer Bekämpfung missbräuchlicher Verwendung aller (Feuer-)Waffen als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden könnte. 3.2.3.2.2. Deaktivierte Waffen Die Verschärfung der Regelungen zu dauerhaft unschädlich gemachten oder – in der Terminologie der Änderungsrichtlinie 2017 – deaktivierten Waffen geht ebenfalls auf eine 55 Vgl. EuGH, Urt. v. 8.6.2010, Rs. C-58/08 (Vodafone), Rn. 53. 56 Vgl. Klagezusammenfassung (Fn. 5). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 17 Änderung des Abschnitts III des Anhang I zurück. Auch diese Kategorie wurde aus diesem Abschnitt gestrichen und fällt nun in den Anwendungsbereich der Feuerwaffenrichtlinie (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 FWaff-RL). Im Kommissionsvorschlag sowie in den Erwägungsgründen der Änderungsrichtlinie wird diese Neuregelung wie folgt begründet: „Deaktivierte Feuerwaffen sollten in Bezug auf die Identifizierung des Eigentümers und die Register von der Richtlinie erfasst werden. Aus den Studien der Kommission geht hervor, dass die EU-Rechtsvorschriften diesbezüglich einen schwerwiegenden Sicherheitsmangel aufweisen. Die jüngsten Anschläge wurden mit schlecht deaktivierten Feuerwaffen (oder mit aus schlecht deaktivierten Bestandteilen zusammengesetzten Feuerwaffen) verübt.“57 „Angesichts des hohen Risikos einer Reaktivierung unsachgemäß deaktivierter Feuerwaffen und zur Erhöhung der Sicherheit in der gesamten Union sollten diese Feuerwaffen unter die Richtlinie 91/477/EWG fallen. […]“58 Folge der Einbeziehung deaktivierter Waffen in den Anwendungsbereich der Feuerwaffenrichtlinie ist neben der Identifizierung des Eigentümers und der Registrierung der deaktivierten Waffe auch die Verpflichtung zur mitgliedstaatlichen Aufsicht über die Deaktivierung von Waffen (vgl. den neu eingefügten Art. 10b FWaff-RL). Im Lichte der zitierten Begründungen und den Rechtsfolgen einer Einbeziehung deaktivierter Waffen ist auch hier nicht erkennbar, dass diese Verschärfung angesichts des durch die Änderungsrichtlinie 2017 verfolgten generellen Ziels einer Bekämpfung missbräuchlicher Verwendung von Waffen als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden könnte. Die gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach Angaben der Kommission schlecht deaktivierte Waffen bei terroristischen Anschlägen verwendet wurden. 3.2.3.3. Bestrafung des Besitzes bestimmter Magazine Als dritten Aspekt macht die Tschechische Republik nach der Klagezusammenfassung schließlich geltend, dass die Bestrafung des Besitzes „bestimmter Magazine“ unverhältnismäßig sei.59 Auf welche Bestimmungen dieser Einwand konkret bezogen ist, lässt sich auf Grundlage der zugänglichen Dokumente nicht ermitteln. Ausdrückliche Vorgaben zu strafrechtlichen Sanktionen enthält die Änderungsrichtlinie 2017 nicht. Bereits nach geltender Rechtslage sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 16 FWaff-RL zwar verpflichtet, „Sanktionen fest[zulegen], die bei einem Verstoß gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und […] alle Maßnahmen 57 KOM(2015) 750 final (Fn. 9), Pkt. 5 („Weitere Angaben“), S. 9. 58 Erwägungsgrund Nr. 21 Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2). 59 Vgl. Klagezusammenfassung (Fn. 5). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 18 [zu treffen], die notwendig sind, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam und angemessen sein und abschreckende Wirkung haben .“ Es ist nicht ausgeschlossen, dass durch die materiellen Änderungen nun auch Sanktionen im Zusammenhang mit dem Besitz von Magazinen nach Art. 16 FWff-RL vorzusehen bzw. entsprechende Vorschriften im innerstaatlichen Recht zu erlassen sind. Welche Art von Sanktionen hierbei vorgesehen werden und ob es sich dabei um solche strafrechtlicher Natur handeln wird, liegt jedoch im Ermessen der Mitgliedstaaten, soweit die vorgesehenen Sanktionen wirksam und angemessen sind und abschreckende Wirkung haben. Dies dürfte je nach materiellem Verstoß und seiner Schwere auch mit anderen als strafrechtlichen Mitteln zu erreichen sein. Im Übrigen sind derartige „Sanktionsklauseln“ in umsetzungsbedürftigen Richtlinien üblich . Vor diesem Hintergrund ist auch in Bezug auf diesen Aspekt auf Grundlage der vorliegenden Informationen keine offensichtliche Unverhältnismäßigkeit zu erkennen. 3.2.3.4. Zwischenergebnis Auf Grundlage der vorliegenden und zugänglichen Informationen ist weder erkennbar, dass der Unionsgesetzgeber sich überhaupt nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit befasst hat, noch, dass die Bestimmungen, die von der Tschechischen Republik konkret als unverhältnismäßig angesehen werden, dies im Sinne der Rechtsprechung des EuGH bzw. der danach bestehenden Offensichtlichkeitsschwelle sind. Vor diesem Hintergrund ist vorliegend nicht von einer Überschreitung des gesetzgeberischen Ermessens bei der Beurteilung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszugehen. 3.3. Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit Nach der Klagezusammenfassung beruht der dritte Klagegrund auf zwei verschiedenen materiellen Einwänden. Zum einen geht es um Rechtssicherheit in Sinne des Bestimmtheitsgrundsatzes (3.3.1.) und zum anderen um das Rückwirkungsverbot (3.3.2.). 3.3.1. Rechtssicherheit und Bestimmtheitsgrundsatz Im ersten Fall sind aus Sicht Tschechiens die neu festgelegten Kategorien verbotener Waffen in Anhang I Abschnitt A Nr. 7 und 8 ebenso „wie die Bestimmung, mit der eine Bestrafung des Besitzes von über die Grenze hinaus bestückter Magazine vorgesehen werde, […] insgesamt unklar und ermöglichten es daher den Betroffenen nicht, ihre Rechte und Pflichten eindeutig zu erkennen.“60 Wie oben ausgeführt, ist nicht klar, auf welche Bestimmungen der Änderungsrichtlinie 2017 der zweite Punkt bezogen ist. 60 Klagezusammenfassung (Fn. 5). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 19 Dessen ungeachtet verlangt die betreffende Ausprägung des Grundsatzes der Rechtssicherheit , auf die die zitierte Formulierung Bezug nimmt, nach der Rechtsprechung des EuGH, „daß eine […] belastende Regelung klar und deutlich ist, damit [der Betroffene] seine Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit seine Vorkehrungen treffen kann.“61 Betrachtet man die in Anhang I Abschnitt A Nr. 7 und 8 aufgeführten Kategorien und ihre Definitionen,62 so ist auf Grundlage der vorliegenden Informationen nicht erkennbar , dass es diesen an der erforderlichen Klarheit und Deutlichkeit mangelt, so dass Betroffene ihre Rechte und Pflichten nicht erkennen können. 3.3.2. Rechtssicherheit und Rückwirkung Der zweite Fall bezieht sich nach der Klagezusammenfassung auf die Neufassung des Art. 7 Abs. 4a FWaff-RL.63 Diese Bestimmung – so die Tschechische Republik – „zwinge die Mitgliedstaaten darüber hinaus faktisch dazu, nationale Regelungen zu erlassen, die Rückwirkung entfalteten.“64 Bei Art. 7 Abs. 4a FWaff-RL handelt es sich um eine Kann-Bestimmung, die im Ermessen der Mitgliedstaaten liegt. Nach dieser können Genehmigungen für halbautomatische Feuerwaffen , die nach der Neuregelungen unter die Kategorie der verbotenen, nicht (mehr) genehmigungspflichtigen Waffen fallen, bestätigt, erneuert oder verlängert werden, wenn die betreffende Waffe vor dem 13. Juni 2017 rechtmäßig erworben und eingetragen wurde. Der 13. Juni 2017 stellt das Datum des Inkrafttretens der Änderungsrichtlinie 2017 dar. Veröffentlicht wurde sie im Amtsblatt am 24. Mai 2017.65 Das hiervon zu unterscheidende Datum, bis zu dem die Umsetzungsfrist läuft, ist der 14. September 2018. Der in diesem Zusammenhang erhobene (faktische) Rückwirkungsvorwurf dürfte sich nicht auf die Kann-Bestimmung beziehen, sondern auf ihren zwingenden Umsetzungsgehalt . Und dieser betrifft die entsprechenden Waffenarten, die ab dem 13. Juni 2017 erworben werden. Nach der Änderungsrichtlinie 2017 dürfen Genehmigungen für diese Waffen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bestätigt, erneuert oder verlängert werden. Mit Blick auf die Veröffentlichung der Änderungsrichtlinie 2017 im Amtsblatt vom 24. Mai 2017 dürfte zwar auf Richtlinienebene kein Rückwirkungsproblem bestehen. Ein solches kann sich aber infolge der Umsetzung ins nationale Recht stellen. Denn die Umsetzung erfolgt bzw. kann erst nach Inkrafttreten der Richtlinie erfolgen. Und in der Regel erfolgt sie erst zum Ablauf der Umsetzungsfrist. Die Bekanntgabe und das Inkrafttreten der mitgliedstaatlichen Regelungen – erst diese richten sich an die Rechtsunterworfenen, während die 61 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 9.07.1981, Rs. 169/80 (Gondrand), Rn. 17. 62 Siehe zum Originalwortlaut oben unter 2.2., S. 6 ff. 63 Siehe zum Originalwortlaut oben unter 2.2., S. 6 ff. 64 Klagezusammenfassung (Fn. 5). 65 Vgl. Art. 3 Änderungsrichtlinie 2017 (Fn. 2) in Verbindung mit den Angaben zum Inkrafttreten auf der einschlägigen EUR-Lex-Seite unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/ALL/?uri=CELEX:32017L0853&qid=1534411874467 (letztmaliger Abruf am 27.09.18). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 20 Richtlinie selbst nur an die Mitgliedstaaten adressiert ist, vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV – werden somit zeitlich nach dem Stichtag des 13. Juni 2017 liegen. Ob und inwieweit hierdurch gegen das im Unionsrecht anerkannte Verbot der Rückwirkung verstoßen wird, lässt sich in diesem Fall nicht ohne weiteres beantworten, da es sich hierbei um eine besondere Konstellation handelt, bei der sich eine etwaige Rückwirkung aus dem Zusammenspiel von Richtlinienvorgaben und mitgliedstaatlicher Umsetzung ergibt.66 Mit Blick auf die Vorgaben des Auftraggebers zu diesem Klagegrund wird auf eine eingehende Prüfung verzichtet.67 3.4. Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot Einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot sieht die Tschechische Republik in dem neuen Art. 6 Abs. 6 UAbs. 2 FWaff-RL.68 Dieser gibt Bedingungen vor, nach denen die Weitergabe von automatischen Feuerwaffen im Sinne der Kategorie A Nr. 6 an Personen in ihrer Eigenschaft als Sportschützen möglich ist, die die Armee nach Erfüllung ihrer Wehrpflicht verlassen und ihre dort benutzte Waffe behalten wollen. Nach Ansicht Tschechiens vermittle diese Ausnahme „zwar den Eindruck einer scheinbar neutralen Maßnahme, gleichwohl seien die Voraussetzungen für ihre Anwendung so gefasst , dass sie nur durch das Schweizer System, eine Waffe nach Beendigung des Wehrdienstes behalten [zu dürfen] erfüllt würden; insoweit fehle ihnen jegliche Rechtfertigung in Bezug auf die Ziele der angefochtenen Richtlinie.“69 In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, um welches Diskriminierungsverbot es der Tschechischen Republik geht. Soweit es um das in Art. 18 Abs. 1 AEUV geregelte allgemein Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gehen soll, wäre als zweites zu klären, worin hier – von einer Bindung auch der Union an Art. 18 Abs. 1 AEUV ausgehend – eine unmittelbare (offene) oder mittelbare (versteckte) Ungleichbehandlung aus eben diesem Grund liegen soll.70 Die Vornahme einer unionsweiten Harmonisierung für einen Lebensbereich seitens des Unionsgesetzgebers dürfte regelmäßig mit der Entscheidung für ein bestimmtes Regelungsmodell einhergehen. Es ist nicht ersichtlich, warum der Unionsgesetzgeber bei dieser Wahl nicht auch das Recht haben soll, sich dabei für ein in einzelnen Mitgliedstaaten geltendes (erfolgreiches) Regelungsmodell entscheiden zu können und andere entsprechend nicht zu berücksichtigen. 66 Siehe hierzu etwa Latzel, Schutz vor rückwirkendem Recht kraft Unionsrecht, EuR 2015, S. 415 ff. 67 Siehe oben unter 3., S. 8. 68 Siehe Originalwortlaut oben unter 2.2., S. 6 ff. 69 Klagezusammenfassung (Fn. 5). 70 Siehe allgemein zum allgemeinen Diskriminierungsverbot nach Art. 18 Abs. 1 AEUV, den beiden Kategorien der Ungleichbehandlung als Tatbestandsmerkmal sowie den Verpflichteten dieses Verbots Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Art. 18 AEUV, Rn. 1 ff., Rn. 9 ff. (zu den beiden Kategorien), Rn. 62 (Bindung der EU). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/18 Seite 21 Darin eine (mittelbare) Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu sehen, würde den Spielraum des Unionsgesetzgebers stark einschränken, der bzgl. des Inhalts seiner Regelungen im Übrigen zumindest an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist. Mit Blick auf die Vorgaben des Auftraggebers zu diesem Klagegrund wird den sich hier stellenden – untypischen – Fragen des Diskriminierungsverbots ebenfalls nicht weiter nachgegangen. 71 3.5. Ergebnis Ausgehend von den vorliegenden Informationen, insbesondere der Zusammenfassung der Klage der Tschechischen Republik, lässt sich insgesamt festhalten, dass im Hinblick auf die gewählte Rechtsgrundlage in Art. 114 Abs. 1 AEUV und im Lichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes keine durchgreifenden Bedenken an der Unionsrechtmäßigkeit der Änderungsrichtlinie 2017 bestehen. Ob und inwieweit sich Rechtsmängel aus den von Seiten Tschechiens ebenfalls geltend gemachten Verstößen einzelner Bestimmungen gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit einerseits und das Diskriminierungsverbot andererseits ergeben, wurde den Auftragsvorgaben folgend zwar nicht eingehend untersucht. Eine summarische Erörterung der betreffenden Konstellationen spricht jedoch eher gegen deren Vorliegen. – Fachbereich Europa – 71 Siehe oben unter 3., S. 8.