© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 101/15 Absicherung des Vorsorgeprinzips in Freihandelsabkommen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 2 Absicherung des Vorsorgeprinzips in Freihandelsabkommen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 101/15 Abschluss der Arbeit: 4.9.2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Das Vorsorgeprinzip 4 2.1. Risikovoraussetzungen für repressives Vorgehen 5 2.2. Präventiver Genehmigungsvorbehalt 6 2.3. Vergleich mit den USA und Kanada 7 2.4. Zwischenergebnis 8 3. Einschränkung des Vorsorgeprinzips durch FTA? 8 3.1. SPS-Regelungen 9 3.1.1. Normen der Abkommen 9 3.1.1.1. Harmonisierung 9 3.1.1.2. Gegenseitige Anerkennung 10 3.1.2. Verweise auf das SPS-Abkommen der WTO 11 3.1.3. Zwischenergebnis 14 3.2. Regulatorische Kooperation 14 3.3. Gesondert geregelte Bereiche 15 3.4. Zwischenergebnis 16 4. Festschreibung des Vorsorgeprinzips in den FTA 17 4.1. Festschreibung in der Präambel 17 4.2. Festschreibung in den horizontalen wie sektoralen Kapiteln 17 4.3. Konfligierende Normen 18 4.4. Bezugnahme auf das SPS-Abkommen der WTO 18 5. Weitere Möglichkeiten zur Absicherung des Vorsorgeprinzips 19 6. Fazit 19 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 4 1. Fragestellung Es gibt das politische Bestreben, das Vorsorgeprinzip im Rahmen von Freihandelsabkommen (Free Trade Agreement - FTA) abzusichern, um seine Anwendung auch für die Zukunft zu gewährleisten . In diesem Zusammenhang wurde der Fachbereich um die Ausarbeitung von Möglichkeiten ersucht, das Vorsorgeprinzip in Freihandelsabkommen zu verankern. Ziel der Regulierungskoordination von Staaten durch Freihandelsabkommen ist eine Annäherung der nationalen Regelungen, sodass Unternehmen, die in einem der Vertragsstaaten produzieren , leichter in den anderen Staat exportieren können. Entweder verständigen sich die Staaten dafür auf gemeinsame Regeln wie z.B. internationale Standards, die zukünftig in allen Vertragsstaaten gelten sollen (sog. harmonization) oder sie erkennen ihre jeweiligen Regelungen als ebenbürtig an (sog. mutual recognition).1 Die folgende Ausarbeitung setzt sich mit der Frage auseinander, auf welche Weise gewährleistet werden kann, dass das Vorsorgeprinzip in der Europäischen Union (EU) auch nach dem Abschluss von Freihandelsabkommen wie TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) oder TiSA (Trade in Services Agreement ) Bestand hat. Dafür wird zunächst der Anwendungsbereich des Vorsorgeprinzips der EU untersucht (2.) und anschließend geprüft, inwiefern das Vorsorgeprinzip durch die FTA beschränkt werden könnte (3.). Abschließend wird der Frage nachgegangen, ob die Verankerung und der unveränderliche Erhalt des derzeit in der EU geltenden Vorsorgeprinzips durch eine Festschreibung sowohl in der Präambel als auch in den horizontalen sowie sektoralen Kapiteln zur regulatorischen Kooperation bzw. nationalen Regulierung in CETA und TTIP möglich ist (4.) und ob weitere Möglichkeiten bestehen, das Vorsorgeprinzip in Freihandelsabkommen zu verankern (5.). 2. Das Vorsorgeprinzip Das Vorsorgeprinzip ist ein Grundsatz in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen, sowohl in der EU und wie im Bereich des Umweltvölkerrechts.2 Im Folgenden soll allein das Vorsorgeprinzip der EU dargestellt werden. Das Vorsorgeprinzip ist in seiner Reichweite und seinen Grenzen in der EU umstritten, aber grundsätzlich anerkannt.3 Trotz ungeklärter Fragen ist es in der EU sowohl im Bereich des Umweltrechts wie auch im Gebiet der Lebensmittelsicherheit und des Gesundheitsschutzes von großer Bedeutung.4 Das Vorsorgeprinzip besagt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU (EuGH), „dass bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für 1 Ausführlich zu den verschiedenen Koordinierungsformen: Maur/Shepherd, Product Standards, S. 197 (203 ff.), in: Chauffour/Maur, Preferential Trade Agreement Policies for Development, 2011. 2 Durner, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 76. EL Mai 2015, Umweltvölkerrecht, Rn. 60 3 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 191, Rn. 28. 4 Kahl, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 191, Rn. 76. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 5 die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden .“5 In einer Mitteilung hat die Kommission die Voraussetzungen für eine Anwendung des Vorsorgeprinzips festgelegt.6 Nach den Vorgaben der Kommission setzt ein Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip voraus, „daß die möglichen negativen Folgen eines Phänomens, eines Produkts oder eines Verfahrens ermittelt worden sind; daß eine wissenschaftliche Risikobewertung aufgrund zureichender , nicht eindeutiger oder ungenauer Daten keine hinreichend genaue Bestimmung des betreffenden Risikos zuläßt.“7 Wenn dies der Fall ist, dürfen Hoheitsträger unter Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip Risikomanagementmaßnahmen ergreifen. Diese Maßnahmen müssen gemäß den Vorgaben der Kommission „verhältnismäßig sein, also dem angestrebten Schutzniveau entsprechen ; diskriminierungsfrei anwendbar sein; auf bereits getroffene ähnliche Maßnahmen abgestimmt sein; daraufhin geprüft worden sein, welche Kosten und welcher Nutzen mit einem Tätigwerden bzw. Nichttätigwerden verbunden sind[…]; überprüft werden, sobald neue wissenschaftliche Daten vorliegen; eine Bestimmung derjenigen ermöglichen, die die für eine umfassendere Risikobewertung erforderlichen wissenschaftlichen Beweise beibringen müssen.“8 Das Vorsorgeprinzip findet im europäischen Primärrecht nur in Art. 191 Abs. 2 Satz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) Erwähnung. Dort steht: „Sie [d.h. die Umweltpolitik der EU, Anm. d. Verf.] beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, […].“ Der Vorsorgegrundsatz gilt aber nicht nur im Umweltrecht, er findet als allgemeines Rechtsprinzip auch in anderen Kompetenzbereichen der EU Anwendung.9 Grundsätzlich ermöglicht er ein hoheitliches Eingreifen zum Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder der Umwelt bei wissenschaftlich unklarer Risikolage.10 2.1. Risikovoraussetzungen für repressives Vorgehen Nach dem Vorsorgeprinzip der EU sind sog. Risikomanagementmaßnahmen, wie ein Produktverbot möglich, wenn die Risiken des Produkts im Rahmen einer Risikobewertung wissenschaftlich nicht abschließend geklärt werden können. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung 96/239/EG 5 EuGH, Urt. v. 5.5.1998, Rs. C-157/96 – National Farmers' Union, Rn. 63; EuGH, Urt. v. 5.5.1998, Rs. C-180/96 – Vereinigtes Königreich/Kommission, Rn. 99; EuGH, Urt. v. 9.9.2003, Rs. C-236/01 – Monsanto, Rn. 111. 6 Mitteilung der Kommission - Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, vom 2.2.2000, KOM 2000 (1) endg., abrufbar unter http://ec.europa.eu/dgs/health_consumer/library/pub/pub07_de.pdf. 7 Mitteilung der Kommission - Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, vom 2.2.2000, KOM 2000 (1) endg., S. 16. 8 Mitteilung der Kommission - Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, vom 2.2.2000, KOM 2000 (1) endg., S. 3 f. 9 Mitteilung der Kommission - Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, vom 2.2.2000, KOM 2000 (1) endg., S. 2 und 9 f.; ausführlich und kritisch dazu: Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 131 ff. 10 Mitteilung der Kommission - Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, vom 2.2.2000, KOM 2000 (1) endg., S. 13 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 6 der Kommission, mit welcher sie 1996 den Versand von lebenden Rindern, Rindersamen und Rinderembryonen, Rindfleisch, Erzeugnissen von Rindern sowie Fleisch- und Knochenmehl aus dem Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs in andere Mitgliedstaaten und Drittländer aufgrund des ungeklärten Risikos einer BSE-Übertragung untersagt hat.11 2.2. Präventiver Genehmigungsvorbehalt Das Vorsorgeprinzip in der EU kennt aber noch weitere Ausprägungen neben der Möglichkeit von Behörden bei einer wissenschaftlich nicht abschließend klärbaren Risikolage, repressive Maßnahmen zu erlassen. In der EU setzt ein Marktzugang in verschiedenen Bereichen grundsätzlich eine Genehmigung voraus. So müssen z.B. Pflanzenschutzmittel oder Nahrungsmittelzusätze zunächst von der EU-Kommission oder den national zuständigen Behörden genehmigt bzw. zugelassen werden, bevor sie auf dem Markt verkauft werden dürfen. Voraussetzung einer solchen Genehmigung ist, dass der Hersteller des Produktes nachweist, dass das Produkt keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt.12 Das Gericht der Europäischen Union (EuG) sah in diesen präventiven Genehmigungsvorbehalten „eine der möglichen Ausformungen des Vorsorgegrundsatzes “13. Auch die Kommission erklärte in ihrer Mitteilung zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips : „Die bereits in den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und vieler Drittländer gegebenen Bestimmungen sehen den Grundsatz vor, daß bestimmte Produkte wie Arzneimittel, Schädlingsbekämpfungsmittel oder Lebensmittelzusätze vor der Vermarktung einer vorherigen Zulassung bedürfen (Positivliste). Damit wird bereits das Vorsorgeprinzip angewandt und die wissenschaftliche Beweislast anders verteilt.“14 Es wird zum Teil bestritten, dass das Erfordernis (präventiv wirkender) Genehmigungen unter das Vorsorgeprinzip fällt, wie es z.B. in Art. 7 der Verordnung 178/2002 legaldefiniert ist.15 Voraussetzung einer Anwendung des Vorsorgeprinzips ist nach Art. 7 der Verordnung 178/2002 11 Entscheidung der Kommission vom 27. März 1996 mit den zum Schutz gegen die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) zu treffenden Dringlichkeitsmaßnahmen, 96/239/EG, ABl. 1996 L, 78/47 („Angesichts der derzeitigen Lage kann zu der Gefahr einer Übertragbarkeit der BSE auf den Menschen nicht endgültig Stellung genommen werden. Dieses Risiko läßt sich nicht ausschließen. Die daraus erwachsende Unsicherheit hat bei den Verbrauchern erhebliche Besorgnisse zur Folge. Unter diesen Umständen ist es angezeigt, als Dringlichkeitsmaßnahme vorläufig jeden Versand von lebenden Tieren, von Rindfleisch oder Rindfleischerzeugnissen aus dem Vereinigten Königreich nach den anderen Mitgliedstaaten zu untersagen.“) abrufbar unter http://old.eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31996D0239:DE:HTML. 12 Szajkowska, The impact of the definition of the precautionary principle in EU food law, CMLR 47 (2010), S. 173 (192). 13 EuG, Urt. v. 11.9.2002, Rs. T-13/99 – Pfizer, Rn. 145. 14 Mitteilung der Kommission - Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, vom 2.2.2000, KOM 2000 (1) endg., S. 23. 15 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl. 2002, L 31/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONS- LEG:2002R0178:20060428:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 7 eine unklare, wissenschaftlich nicht eindeutig zu klärende Risikolage. Wenn keine unklare Risikolage vorliegt, sondern (wie bei der Genehmigungsvoraussetzung) die Beweislast umgekehrt wird, mit dem Ergebnis, dass nicht mehr die Behörde Risiken beweisen muss, um zu handeln, sondern das jeweilige Unternehmen die Risikofreiheit seiner Produkte nachweisen muss, um eine Genehmigung zu erhalten, stelle dies keine Ausprägung des Vorsorgeprinzips dar.16 Die wohl h.M. erkennt in dem europäischen Genehmigungsvorbehalt aber eine Ausprägung des Vorsorgeprinzips .17 Im Folgenden werden daher auch die Konsequenzen der FTA für die nationalen bzw. europäischen Genehmigungssysteme geprüft. 2.3. Vergleich mit den USA und Kanada In den USA ist das sog. Nachsorgeprinzip maßgeblich. Danach muss eine öffentliche Behörde eine Schädlichkeit auf der Grundlage wissenschaftlicher Nachweise eindeutig feststellen, bevor sie Verbote erlassen kann.18 Der wissenschaftliche Dienst des Kongresses der USA (Congressional Reserach Service) stellte diesbezüglich 1999 fest: „The precautionary principle generally would require banning products or activities when evidence suggests they are harmful even if there is no definitive scientific proof of harm. This principle is not mandated for regulatory activities related to food safety in the United States; however, agencies occasionally engage in rule-making efforts that appear similar in concept to the precautionary principle. Since the European Union (EU) uses the precautionary principle more often than the United States to address environmental and food safety regulation, the EU-U.S. relationship on food safety issues is occasionally strained.”19 Auch in Bezug auf die präventiven Zulassungskontrollen unterscheidet sich die Situation in der EU und den USA. In den USA ist die Anzahl vorgelagerter Kontrollen geringer. So bedürfen in den USA weder genetisch veränderte Nahrungsmittel einer Zulassung noch setzt der Verkauf von neuartigen Lebensmitteln (sog. novel foods) eine Genehmigung der Produkte voraus. Es genügt, wenn die Unternehmen informell die zuständige Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration ) konsultieren bevor sie die neuartigen Lebensmittel vermarkten, um sicherzustellen, dass der Sicherheits- und Regulierungsstatus der neuartigen Lebensmittel geklärt ist.20 Pflanzenschutzmittel benötigen hingegen auch in den USA eine Genehmigung durch die zuständige Zulassungsbehörde EPA (Environmental Protection Agency), bevor sie auf den Markt gebracht wer- 16 Szajkowska, The impact of the definition of the precautionary principle in EU food law, CMLR 47 (2010), S. 173 (195 f.). 17 Kahl, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 191, Rn. 78; Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 90 ff. 18 Rudloff, Lebensmittelstandards in Handelsabkommen - Unterschiedliche Regelungstraditionen von EU und USA und Tipps für TTIP, SWP-Aktuell 63, Oktober 2014, S. 1 (5), abrufbar unter http://www.swp-berlin .org/fileadmin/contents/products/aktuell/2014A63_rff.pdf. 19 Congressional Research Service, Science behind the regulation of food safety – risk assessment and the precautionary principle, 27. August 1999, abrufbar unter http://www.iatp.org/files/Science_Behind_the_Regulation _of_Food_Safety_R.htm. 20 Europäisches Parlament, Generaldirektion Interne Politikbereiche der Union, Study – Food safety policy and regulation in the United States, S. 32, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes /STUD/2015/536324/IPOL_STU(2015)536324_EN.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 8 den können. Auch die Zulassungspraxis unterscheidet sich, da in der EU die Risikomanagemententscheidung der abschließend über die Zulassung befindenden Behörde (z.B. die Kommission) von der Risikobewertung der dafür zuständigen Behörde (z.B. die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – EFSA) abweichen kann, während in den USA die Kohärenz zwischen der Risikobewertung und der Risikomanagemententscheidung höher ist.21 Die Zulassungsstandards unterscheiden sich auch zwischen Kanada und der EU zum Beispiel hinsichtlich der Zulassung genetisch veränderter Organismen.22 2.4. Zwischenergebnis Die USA und die EU unterscheiden sich in Bezug auf die Bedeutung des Vorsorgeprinzips. Während in der EU staatliche Maßnahmen auf dem Vorsorgeprinzip beruhen,23 kann in den USA ein repressives staatliches Vorgehen grundsätzlich allein auf zuverlässige, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse („accurate scientific-proved findings“) gestützt werden.24 In beiden Systemen ist eine wissenschaftliche Bewertung der Risiken, gegen welche Maßnahmen ergriffen werden sollen , eine zwingende Voraussetzung staatlichen Handelns. Die EU erlaubt ein Vorgehen aber bereits dann, wenn das Risiko wissenschaftlich nicht endgültig aufgeklärt werden kann. Die USA erfordert für ein Vorgehen hingegen zuverlässige wissenschaftliche Erkenntnisse über das Bestehen eines Risikos. 3. Einschränkung des Vorsorgeprinzips durch FTA? Fraglich ist, inwiefern sich der Abschluss von Freihandelsabkommen wie TTIP, CETA oder TISA auf das Vorsorgeprinzip in der EU auswirkt. Die Autoren der von verschiedenen Seiten in Auftrag gegebenen Studien sehen überwiegend eine Gefährdung des Vorsorgeprinzips durch die 21 Rudloff, Lebensmittelstandards in Handelsabkommen - Unterschiedliche Regelungstraditionen von EU und USA und Tipps für TTIP, SWP-Aktuell 63, Oktober 2014, S. 1 (6 f.). 22 Scherrer/Beck, Einschätzung der Umweltrisiken des Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen Kanada und der Europäischen Union - Gutachten im Auftrag des World Wide Fund For Nature Deutschland, S. 14, abrufbar unter http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/CETA_Gutachten _lang__deutsch_.pdf. 23 z.B. das Verbot der Ausfuhr von Rindfleisch aus dem Vereinigten Königreich, um das Risiko einer Übertragung von BSE zu beschränken, vgl. EuGH, Urt. v. 5.5.1998, Rs. C-157/96, Rn. 62 ff. 24 Europäisches Parlament, Generaldirektion Interne Politikbereiche der Union, Study – ENVI relevant legislative areas of the EU-US Trade and Investment Partnership Negotiations (TTIP), S. 50 f., “The approach for implementing RMMs [risk mitigation measures] also differs between the EU and the US since it basically rests on the precautionary principle (including uncertainty assessment) in the EU and, by contrast, on accurate scientificproved findings in the US.“, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/Reg- Data/etudes/STUD/2014/536293/IPOL_STU(2014)536293_EN.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 9 Freihandelsabkommen CETA und TTIP.25 Die Begründungen dafür variieren jedoch.26 Im Folgenden werden verschiedene Kapitel von CETA und TTIP untersucht, ob die in ihnen enthaltenen Regelungen das Vorsorgeprinzip gefährden können. Da sich das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement – TISA) nicht mit dem Warenverkehr, sondern ausschließlich mit Dienstleistungen befasst, enthält es voraussichtlich kaum Vorgaben, die das Vorsorgeprinzip betreffen. Da die Vertragsentwürfe zum Großteil nicht zugänglich sind, ist hierzu allerdings keine abschließende Feststellung möglich . 3.1. SPS-Regelungen Zum einen enthalten die Entwürfe bzw. Vorschläge für die Kapitel zu gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen (Sanitary and Phytosanitary Measures – SPS) der Freihandelsabkommen TTIP und CETA Regelungen, die möglicherweise das Vorsorgeprinzip beschränken könnten. Zum anderen enthalten die Entwürfe bzw. Vorschläge Verweise auf das SPS- Abkommen der WTO, welches beispielsweise im Rahmen des sog. Hormonfleisch-Verfahrens (dazu unten) bereits zu Auseinandersetzungen über das europäische Vorsorgeprinzip geführt hat. 3.1.1. Normen der Abkommen 3.1.1.1. Harmonisierung Wie oben dargestellt, ist eine Möglichkeit zur Handelserleichterung zwischen Staaten durch FTA die Entwicklung bzw. das Abstellen auf gemeinsame Regeln wie z.B. internationale Standards, die zukünftig in beiden Staaten gelten sollen. Wenn die EU ein Einschreiten zum Schutz der 25 Fisahn, Rechtliche Probleme beim internationalen Freihandel, 2014, S. 7 ff., abrufbar unter http://www.kritikfreihandelsabkommen .de/wp-content/uploads/2015/01/TTIP_Fisahn.pdf; Fischer-Lescano/Horst, Europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben für das Comprehensive Economic and Trade Agreement der EU und Kanada (CETA) – Juristisches Kurzgutachten, abrufbar unter http://www.attac-muenchen.org/fileadmin/user_upload /Gruppen/Muenchen/Papiere/CETA-Rechtsgutachten_Oktober_2014_Fischer-Lescano_Uni_Bremen.pdf; Stoll/Krüger, Agrar- und verbraucherpolitische Auswirkungen des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) zwischen der EU und Kanada – Kurzstudie, S. 8 ff.; abrufbar unter https://www.gruene-bundestag .de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/EU-USA_Freihandelsabkommen/Stoll-Krueger_CETA- Kurzstudie.pdf; Stoll/Holterhus/Gött, Die geplante Regulierungszusammenarbeit zwischen der EU und Kanada sowie den USA nach den Entwürfen von CETA und TTIP, - Rechtsgutachten, abrufbar unter http://media.arbeiterkammer .at/wien/PDF/studien/Regulierungszusammenarbeit_ttip_ceta.pdf; Beck/Scherrer, Das transatlantische Handels und Investitionsabkommen (TTIP) zwischen der EU und den USA – Arbeitspapier Nr. 303, abrufbar unter http://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_303.pdf; Scherrer/Beck, Einschätzung der Umweltrisiken des Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen Kanada und der Europäischen Union - Gutachten im Auftrag des World Wide Fund For Nature Deutschland, abrufbar unter http://www.wwf.de/fileadmin /fm-wwf/Publikationen-PDF/CETA_Gutachten_lang__deutsch_.pdf 26 Fisahn, Rechtliche Probleme beim internationalen Freihandel, S. 7 ff. (Verweise von CETA und TTIP auf das WTO-Abkommen); Fischer-Lescano/Horst, Kurzgutachten, S. 28 (Art. X-03 Abs. 1 lit. c) des Kapitels in CETA zu „Dialogues and Bilateral Cooperation“); Stoll/Krüger, Kurzstudie, Rn. 28 (Gegenseitige Anerkennung von Handelsregulierungen im Rahmen von CETA); Stoll/Holterhus/Gött, Rechtsgutachten, S. 18 ff. (Verweise auf das WTO-Abkommen und Art. X-03 Abs. 1 lit. c des 29. Kapitels im CETA-Vertragsentwurf); Scherrer/Beck, CETA Gutachten, S. 14 und 17 (Austausch über Zulassungsverfahren und wissenschaftliche Risikoeinschätzung). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 10 menschlichen Gesundheit durch gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen bereits bei einer unklaren Risikolage gestattet, die USA bzw. Kanada dafür hingegen ein wissenschaftlich begründetes Risiko voraussetzen, würde eine Annäherung beinhalten, dass entweder die EU oder die USA bzw. Kanada von ihrem Standard abweichen. Wenn die EU sich zu einer Harmonisierung nach amerikanischem oder kanadischem Vorbild bereit erklären würde, könnte dies zu einer Gefährdung des Vorsorgeprinzips führen. Allerdings sieht das SPS-Kapitel im CETA-Vertragsentwurf keine derartige Harmonisierung von SPS-Maßnahmen verpflichtend vor. Angesprochen wird die Risikobewertung nur in Art. 15 Abs. 2 lit. f) des CETA-Vertragsentwurfs. Das sog. Joint Management Committee for Sanitary and Phytosanitary Measures ist demnach verantwortlich für die Bereitstellung eines „forum for exchanging information relating to each Party’s regulatory system, including the scientific and risk assessment basis for SPS measures.“27 In CETA wird mithin ein Austausch der Vertragsparteien zur Risikobewertung auf der Grundlage von Risikomanagementmaßnahmen beschlossen, aber kein gemeinsamer Maßstab verbindlich vereinbart. Der europäische Vorschlag für das SPS-Kapitel in TTIP legt in Art. 2 Abs. 1 fest: „The objectives of this chapter are to facilitate trade between the Parties to the greatest extent possible while preserving each Party’s right to protect human, animal or plant life and health in its territory and respecting each Party’s regulatory systems, risk assessment, risk management and policy developement processes.”28 Der EU-Vorschlag für das TTIP-Abkommen hält mithin die unterschiedlichen Risikobewertungsansätze und Risikomanagementvoraussetzungen der Vertragsstaaten aufrecht , diese werden nicht harmonisiert. 3.1.1.2. Gegenseitige Anerkennung Konflikte in Bezug auf das Vorsorgeprinzip sind dennoch denkbar. Zwar wird in den SPS-Kapitelentwürfen keine Harmonisierung vorgeschrieben, es werden aber Grundlagen für eine gegenseitige Anerkennung von Normen geschaffen. Die gegenseitige Anerkennung bedeutet, dass ein Vertragsstaat des FTA die Einhaltung der Regeln des anderen Staates als Erfüllung seiner eigenen Vorgaben ansieht. Gemäß Art. 7 Abs. 1 des SPS-Kapitels des CETA-Vertragsentwurfs gilt im Rahmen des Abkommens: „The importing Party shall accept the SPS measures of the exporting Party as equivalent to its own if the exporting Party objectively demonstrates to the importing Party that its measure achieves the importing Party’s appropriate level of protection.” Art. 9 Abs. 1 des EU-Vorschlags für das SPS-Kapitel in TTIP enthält dieselbe Formulierung. Neben dieser allgemeinen Verfahrensvorgabe für zukünftige gegenseitige Anerkennungen findet sich im Anhang V des SPS-Kapitels im CETA-Vertragsentwurf die gegenseitige Anerkennung bestimmter SPS-Maßnahmen im Bereich Nahrungsmittel. In mehreren Fällen ist dabei nicht nur die Erfüllung der Vorgaben des Herkunftsstaates, sondern das Vorliegen weiterer Kriterien Voraussetzung für eine Anerkennung der Gleichwertigkeit. Frischfleisch muss für den EU-Import z.B. nicht 27 Konsolidierter CETA Text (auf Englisch), abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september /tradoc_152806.pdf. 28 EU’s initial proposal for legal text on "Sanitary and Phytosanitary Measures (SPS)" in TTIP, veröffentlicht am 7.1.2015, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/january/tradoc_153026.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 11 nur die kanadischen TSE-Regeln erfüllen, sondern auch die mikrobiologischen Kriterien für Lebensmittelsicherheit der EU. Im Bereich der Pflanzenschutzmittel hingegen soll die gegenseitige Anerkennung von SPS-Maßnahmen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Eine abschließende Bewertung dieser Normen ist aufgrund ihres vorläufigen Charakters nicht möglich. Es ist grundsätzlich denkbar, dass bei einer entsprechenden Ausweitung der gegenseitigen Anerkennung aufgrund der SPS-Vorschriften im CETA-Vertragsentwurf und den EU-Vorschlägen für TTIP Produkte, welche in Kanada bzw. den USA verkauft werden können, aufgrund einer Anerkennung der kanadischen bzw. amerikanischen SPS-Maßnahmen auch von der EU auf ihrem Markt zugelassen werden müssen, obwohl die EU die Produkte nach dem Maßstab des Vorsorgeprinzips selbst nicht zugelassen hätte. Das hängt aber von der zukünftigen Anerkennungspraxis ab. Nach dem Vertragswortlaut erkennt die EU amerikanische bzw. kanadische Produkte nur als gleichwertig an, wenn diese ihrem Schutzniveau entsprechen („if the exporting Party objectively demonstrates to the importing Party that its measure achieves the importing Party’s appropriate level of protection.”). 3.1.2. Verweise auf das SPS-Abkommen der WTO Art. 5 des SPS-Kapitels im CETA-Vertragsentwurf verweist auf die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien nach dem SPS-Abkommen der WTO: „The Parties affirm their rights and obligations under the WTO SPS Agreement.“ Dieselbe Formulierung findet sich in Art. 3 des EU-Vorschlags für das SPS-Kapitel in TTIP. Im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen dieses Verweises ist ein Rückblick auf die Auseinandersetzung zwischen der EU einerseits und den Vereinigten Staaten sowie Kanada andererseits um die Zulässigkeit von Fleisch von Tieren, die mit Wachstumshormonen behandelt worden sind, nach dem SPS-Abkommen der WTO29 aufschlussreich. In der EU sind derartige Fleischprodukte verboten. Die USA und Kanada, in denen die Verwendung von Wachstumshormonen in der Fleischbranche üblich ist, wollten gegen diese „Handelsbeschränkung “ im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens vorgehen. Auf Antrag der USA und Kanada wurden WTO-Panel eingesetzt,30 um einen Verstoß der EU gegen das SPS-Abkommen der WTO Verträge zu prüfen. Nach Art. 5.1 des SPS-Abkommens stellen die Mitglieder sicher , „dass ihre gesundheitspolizeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen auf einer den Umständen angepassten Bewertung der Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen beruhen, wobei die von den zuständigen internationalen Organisationen entwickelten Risikobewertungsmethoden zugrunde gelegt werden.“ Art. 5.2 des SPS-Abkommens gibt vor: „Bei der Bewertung der Gefahren berücksichtigen die Mitglieder das verfügbare wissenschaftliche Beweismaterial, die einschlägigen Verfahren und Produktionsmethoden, die einschlägigen Inspektions-, Probenahme- und Prüfverfahren, das Vorkommen bestimmter 29 Die multilaterale Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986- 1994), Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen, ABl. 1994, L 336/40, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:1994:336:FULL&from=DE. 30 Im Folgenden wird auf die Entscheidung des Panels in der Auseinandersetzung zwischen der EU und den USA eingegangen. Das Panel in der Auseinandersetzung zwischen der EU und Kanada kam zu demselben Ergebnis. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 12 Krankheiten oder Schädlinge, das Bestehen schädlings- oder krankheitsfreier Gebiete, die einschlägigen ökologischen und Umweltbedingungen sowie Quarantäne oder sonstige Behandlungen .“ Die EU rechtfertigte ihr Verbot von Hormonfleisch mit dem Vorsorgeprinzip, welches sie in Art. 5.7 des SPS-Abkommens der WTO Verträge festgehalten sah. Nach Art. 5.7 des SPS-Abkommens kann in Fällen, in denen das einschlägige wissenschaftliche Beweismaterial nicht ausreicht , ein Mitglied „gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen vorübergehend auf der Grundlage der verfügbaren einschlägigen Angaben einschließlich Angaben zuständiger internationaler Organisationen sowie auf der Grundlage der von anderen Mitgliedern angewendeten gesundheitspolizeilichen oder pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen einführen.“ Das Panel31 und auch das in der nächsten Instanz angerufene Berufungsgremium (Appellate Body) bejahten eine Verletzung der Risikobewertungsmaßstäbe des SPS-Abkommens durch die EU. Das Berufungsgremium hob die Entscheidung des Panels allerdings in mehreren Punkten auf. Es äußerte sich dabei ausführlich zu dem Verhältnis der Normen des SPS-Abkommen zu dem Vorsorgeprinzip: „It appears to us important, nevertheless, to note some aspects of the relationship of the precautionary principle to the SPS Agreement. First, the principle has not been written into the SPS Agreement as a ground for justifying SPS measures that are otherwise inconsistent with the obligations of members set out in particular provisions of that Agreement. Secondly , the precautionary principle indeed finds reflection in Article 5.7 of the SPS Agreement. We agree, at the same time, with the European Communities, that there is no need to assume that Article 5.7 exhausts the relevance of a precautionary principle. It is reflected also in the sixth paragraph of the preamble and in article 3.3. These explicitly recognize the right of Members to establish their own appropriate level of sanitary protection, which level might be higher (i.e., more cautious) that that implied in existing international standards, guidelines and recommendations . Thirdly, a panel charged with determining, for instance, whether “sufficient scientific evidence” exists to warrant the maintenance by a Member of a particular SPS measure may, of course, and should, bear in mind that responsible, representative governments commonly act from perspectives of prudence and precaution where risks of irreversible, e.g. life-terminating, damage to human health are concerned. Lastly, however, the precautionary principle does not, by itself, and without a clear textual directive to that effect, relieve a panel from the duty of applying the normal (i.e. customary international law) principles of treaty interpretation in reading the provisions of the SPS Agreement. We accordingly agree with the finding of the Panel that the precautionary principle does not override the provisions of Articles 5.1 and 5.2 of the SPS Agreement .”32 31 Panel Report, 18.8.1997, EC Measures Concerning Meat and Meat Products (hormones), WT/DS26/R/USA, S. 201, Rn. 8158, abrufbar unter https://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds26_e.htm. 32 Appellate Body, 16.1.1998, EC measures concerning meat and meat products (hormones), WT/DS26/AB/R und WT/DS48/AB/R, S. 48, Rn. 124, abrufbar unter https://www.wto.org/english /tratop_e/dispu_e/cases_e/ds26_e.htm. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 13 Das Berufungsgremium betonte die nationale Unabhängigkeit bei der Handelsregulierung nach dem SPS-Abkommen der WTO und die Möglichkeit der Staaten, ein höheres als das internationale Schutzniveau zu postulieren.33 Grundsätzlich ist ein besonders hohes nationales Schutzniveau mit dem SPS-Abkommen vereinbar. Derartige nationale Schutzmaßnahmen müssen aber den Vorgaben des SPS-Abkommen der WTO für die sog. Risikobewertung als Voraussetzung einer Risikomanagementmaßnahme entsprechen.34 Im Fall des Verbotes von Hormonfleisch erachtete das Berufungsgremium die Untersuchungen, die der Risikobewertung von Hormonfleisch in der EU zugrunde lagen, als unzureichend für eine Verbotsbegründung.35 Das Vorgehen der EU widersprach daher, nach Ansicht des Berufungsgremiums, den WTO-Vorgaben in den Art. 5.1 und 5.2 des SPS-Abkommens zur Risikobewertung und zum Risikomanagement. Diesen Vorgaben könne auch nicht das Vorsorgeprinzip entgegengehalten werden. Das Vorsorgeprinzip könne die Vertragsstaaten nicht von den übrigen Bestimmungen des SPS-Abkommens entbinden, insbesondere nicht von der in Art. 5.1 und 5.2 vorgegebenen wissenschaftlichen Begründung von SPS- Maßnahmen.36 Diese Entscheidung deutet auf den ersten Blick auf einen Konflikt zwischen den Vorgaben des SPS-Abkommens der WTO und dem Vorsorgeprinzip der EU hin. Ein solcher wird in den Studien und Rechtsgutachten zu CETA und TTIP auch oftmals angenommen. Die Verfasser der Studien sehen einen Widerspruch zwischen dem „wissenschaftsbasierten Ansatz“ der WTO und dem Vorsorgeprinzip der EU.37 Es ist aber zu bedenken, dass die Entscheidung des WTO Berufungsgremiums von der Kommission aufgegriffen und ihrer Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips in der oben erwähnten Mitteilung zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips zugrunde gelegt worden ist.38 Mithin besteht nach Ansicht der Kommission kein Widerspruch zwischen dem SPS- Abkommen der WTO und dem Vorsorgeprinzip der EU. 33 Appellate Body, 16.1.1998, EC measures concerning meat and meat products (hormones), WT/DS26/AB/R und WT/DS48/AB/R, S. 65 ff., insb. Rn. 172. 34 Appellate Body, 16.1.1998, EC measures concerning meat and meat products (hormones), WT/DS26/AB/R und WT/DS48/AB/R, S. 71, Rn. 176 f. und S. 78, Rn. 193 (“The requirement that an SPS measure be “based on” a risk assessment is a substantive requirement that there be a rational relationship between the measure and the risk assessment.”). 35 Appellate Body, 16.1.1998, EC measures concerning meat and meat products (hormones), WT/DS26/AB/R und WT/DS48/AB/R, S. 81 ff., Rn. 200 und 207 f. [“We affirm, therefore, the ultimate conclusion of the Panel that the EC import prohibition is not based on a risk assessment within the meaning of Articles 5.1 and 5.2 of the SPS Agreement and is, therefore, inconsistent with the requirements of Article 5.1.”). 36 Appellate Body, 16.1.1998, EC measures concerning meat and meat products (hormones), WT/DS26/AB/R und WT/DS48/AB/R, S. 48, Rn. 125. 37 Stoll/Holterhus/Gött, Rechtsgutachten, S. 18 f.; Stoll/Krüger, Kurzstudie, Rn. 20 ff.; Fisahn, Rechtliche Probleme beim internationalen Freihandel, S. 6 ff. 38 Mitteilung der Kommission - Die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips, vom 2.2.2000, KOM 2000 (1) endg., S. 31 f. (“Die Kommission möchte im übrigen an dieser Stelle betonen, daß sie sich mit der geplanten Anwendung des Vorsorgeprinzips den sich aus den WTO Abkommen ergebenden Verpflichtungen keineswegs entziehen will, sondern daß die Anwendung des Vorsorgeprinzips mit diesen Verpflichtungen durchaus vereinbar ist.“). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 14 3.1.3. Zwischenergebnis Einerseits betonen die Freihandelsabkommen die Anerkennung der nationalen Selbständigkeit bei der Risikobewertung und dem Erlass von Risikomanagementmaßnahmen. Andererseits dienen die Freihandelsabkommen aber dem Abbau von Handelshemmnissen durch die gegenseitige Anerkennung von SPS-Maßnahmen. Die Anerkennung der SPS-Maßnahmen und der ihnen zugrundeliegenden Risikobewertung des Vertragspartners ist ein wichtiger Schritt zum Abbau von Handelshemmnissen. Die gegenseitige Anerkennung von SPS-Maßnahmen beinhaltet die Anerkennung der jeweiligen Risikobewertung und Risikomanagementvoraussetzungen. Das bedeutet, die USA muss das europäische Vorsorgeprinzip anerkennen, allerdings muss die EU auch anerkennen , dass die USA bzw. Kanada bei ihren SPS-Maßnahmen ggf. eine andere Risikoeinschätzung vornehmen (und trotzdem deren Produkte auf den europäischen Markt lassen). Entscheidend ist, in welchen Bereichen sich die EU und Kanada bzw. die USA zukünftig auf eine gegenseitige Anerkennung verständigen. Welcher Aspekt der Freihandelsabkommen sich zukünftig durchsetzt, die angestrebte Ausweitung der gegenseitigen Anerkennung oder das selbständige Risikomanagement , kann daher vorliegend nicht beurteilt werden. 3.2. Regulatorische Kooperation Nicht nur im Bereich der gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen, sondern auch im Bereich der Handelsregulierungen durch technische Vorgaben wird eine Beseitigung von Handelshemmnissen zwischen der EU und Kanada bzw. den USA angestrebt, in dem die nationalen Regulierungen einander stärker angenähert werden.39 Ansätze hierfür sind in Art. X.4 Abs. 1 des Kapitels zur regulatorischen Kooperation des CETA- Vertragsentwurfs enthalten, welcher einen Austausch der Vertragsstaaten zum staatlichen Vorgehen auch im Bereich der Risikobewertung vorsieht. Nach Art. X.4 Abs. 7 lit. a) des CETA-Vertragsentwurfs sollen die Vertragsparteien Möglichkeiten untersuchen, wie sich Abweichungen zwischen den nationalen Vorschriften minimieren lassen. Ein vom Vertragsentwurf postuliertes Mittel zur Abweichungsminimierung soll die „Durchführung parallel ablaufender oder gemeinsamer Bewertungen des Risikos sowie regulatorischer Auswirkungen, sofern dies praktikabel ist und zum gegenseitigen Nutzen erfolgt“, sein.40 Die Vorschriften zur regulatorischen Kooperationen im CETA-Vertragsentwurf streben also eine Harmonisierung der Risikobewertung in der EU und Kanada an. Das folgt auch aus Art. X.7 Abs. 3 des Kapitels zur regulatorischen Kooperation im Vertragsentwurf, demzufolge die Vertragsparteien sich bemühen, zusammenzuarbeiten und freiwillig Informationen auf dem Gebiet Non-Food-Produktsicherheit auszutauschen, insbesondere im Hinblick auf Risikobeurteilungsmethoden und Produkttestverfahren. Allerdings hält Art. X.5 dieses Kapitels des Vertragsentwurfs fest, dass durch das CETA-Abkommen die Vertrags- 39 Europäisches Parlament, Generaldirektion Interne Politikbereiche der Union, Study – Food safety policy and regulation in the United States, S. 7, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes /STUD/2015/536324/IPOL_STU(2015)536324_EN.pdf. 40 Konsolidierter CETA Text (auf Englisch):“Examining opportunities to minimize unnecessary divergences in regulations through means such as: Conducting concurrent or joint risk assessments and regulatory impact assessments if practicable and mutually beneficial,”, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september /tradoc_152806.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 15 parteien nicht daran gehindert werden, unterschiedliche Maßnahmen zu ergreifen oder abweichende Ansätze aus Gründen wie beispielsweise unterschiedlichen institutionellen und legislativen Ansätzen oder Tatbeständen, Werten oder Prioritäten zu verfolgen. Da die Normen zur regulatorischen Kooperation im CETA-Abkommen keine gemeinsame Risikobewertung oder die Anerkennung abweichender Risikobewertung durch den Vertragspartner vorschreiben, sondern diese nur anregen, ist ein Widerspruch dieses Kapitels mit den CETA-Vorgaben zur eigenständigen Risikobewertung der Vertragsstaaten nicht eindeutig ersichtlich. Entscheidend ist, in welcher Weise die Risikobewertung und das Risikomanagement aufgrund der Vertragsvorgaben in der Zukunft harmonisiert wird. In den Textentwürfen der EU für TTIP41 ist im Bereich der regulatorischen Kooperation neben der Möglichkeit zur gegenseitigen Anerkennung von Handelsregulierungen auch eine Annäherung der Vertragsparteien durch Harmonisierung vorgesehen. Art. 11 Abs. 2 lit. a) und b) des EU- Vorschlags für das Kapitel zur regulatorischen Kooperation in TTIP benennt die Möglichkeiten eines gemeinsamen Vorgehens der Vertragsparteien im Bereich der regulatorischen Kooperation: „Mutual recognition of equivalence of regulatory acts, in full or in part, based on evidence that the relevant regulatory acts achieve equivalent outcomes as regards the fulfilment of the public policy goals pursued by both Parties” und “Harmonisation of regulatory acts, or of their essential elements”. Daneben wird aber stets die Unabhängigkeit der Vertragsparteien im Bereich der Handelsregulierung betont. Art. 1 Abs. 3 des Vorschlags für das Kapitel zur regulatorischen Kooperation hält ausdrücklich fest: „The provisions of this Chapter do not restrict the right of each Party to maintain, adopt and apply timely measures to achieve legitimate public policy objectives, such as those mentioned in paragraph 1, at the level of protection that it considers appropriate, in accordance with its regulatory framework and principles.” Die Fussnote 1 zu Art. 1 legt fest: “The provisions as set forth in this Chapter cannot be interpreted or applied as to oblige either Party to change its fundamental principles governing regulation in its jurisdiction, for example in the areas of risk assessment and risk management.“ Wie beim CETA-Vertragsentwurf stellen die Entwürfe von Vorschriften im Rahmen der regulatorischen Kooperation für TTIP keine Aufhebung des Vorsorgeprinzips in der EU dar. Es handelt sich in beiden Fällen um Verfahrensnormen, die als Grundlage eines Harmonisierungsprozesses dienen, aber keine Harmonisierung bzw. Anerkennung zwingend vorschreiben. Da das CETA- Abkommen viel Interpretationsspielraum lässt und im Fall von TTIP bisher nur der EU-Vorschlag bekannt ist, sind keine abschließenden Feststellungen zu den Auswirkungen der FTA-Vorschriften auf das Vorsorgeprinzip möglich. 3.3. Gesondert geregelte Bereiche In dem 25. Kapitel des CETA-Vertragsentwurfs im Bereich „Trade and environment“ legt Art. X.11 lit. c) fest: „the Parties undertake to, in a manner consistent with their international obligations , cooperate with, and where appropriate in, Regional Fisheries Management Organisations in which both Parties are either members, observers, or cooperating non-contracting parties, with the aim of achieving good governance, including by advocating for science based decisions 41 EU’s initial proposal for legal text on „Regulatory Cooperation“ in TTIP, veröffentlicht am 4.5.2015, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/april/tradoc_153403.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 16 and compliance with such decisions in these organizations.” Die sog. „science based decisions“ sind Entscheidungen, die nicht auf das Vorsorgeprinzip gestützt werden, zumindest wird das amerikanische Vorgehen gemeinhin als „science based“ bezeichnet.42 Dieser Risikobewertungsmaßstab wird allerdings nicht verbindlich für die EU festgelegt, stattdessen wird vorgeschrieben, dass sich die Vertragsparteien international für diesen Maßstab einsetzen sollen. In dem 29. Kapitel des CETA-Vertragsentwurfs im Bereich „Dialogues and bilateral cooperation“ findet sich in Art. X.03 Abs. 2 eine ähnliche Formulierung. Dort steht: „The Parties also note the importance of the following shared objectives with respect to cooperation in the field of biotechnology : exchanging information on policy, regulatory and technical issues of common interest related to a product of biotechnology; and in particular information on their respective systems and processes for risk assessment for taking a decision on the use of a genetically modified organism ; promoting efficient science-based approval processes for products of biotechnology.” Auch hier findet der Begriff „science-based approval processes” Verwendung, der gemeinhin mit dem amerikanischen Zulassungsverfahren einhergeht. Wiederum wird dieser Risikobewertungsmaßstab nicht verbindlich festgelegt, stattdessen wird eine Kooperation im Bereich Biotechnologie im Hinblick auf Risikobewertungsprozesse angestrebt. Auch in diesen Abschnitten findet sich mithin eine Vertragsausrichtung, die zu einer Entwicklung entgegen dem Vorsorgeprinzip führen könnte, eine Harmonisierung der unterschiedlichen Regelungen unter Aufhebung des europäischen Vorsorgeprinzips aber nicht zwingend vorgibt. 3.4. Zwischenergebnis Eine Harmonisierung des Vorgehens in Risikofällen ist in den Entwürfen von CETA und TTIP nicht vorgeschrieben. Durch den Verweis auf das SPS-Abkommen der WTO in den Entwürfen von CETA und TTIP könnte aber eine Übernahme der Risikobewertungsvorgaben und Risikomanagementvoraussetzungen dieses Abkommens vorgegeben sein43, was nach der Mitteilung der Kommission zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips aber in Einklang mit dem Vorsorgeprinzip der EU steht. Die Entwürfe von CETA und TTIP enthalten Vorschriften zur gegenseitigen Anerkennung im Bereich der SPS-Maßnahmen. In diesen Normen wird allerdings nur allgemein eine gegenseitige Anerkennung vorgegeben, die unter der Bedingung steht, dass die anzuerkennende Maßnahme das Schutzniveau des anderen Vertragspartners erreicht. Wenn das Schutzniveau der EU entscheidend durch das Vorsorgeprinzip geprägt ist, kann auf dieser Grundlage allein keine Anerkennung von Maßnahmen der USA oder Kanada erfolgen, die dem Vorsorgeprinzip widersprechen . Entscheidend ist die zukünftige Anerkennungspraxis. 42 Congressional Research Service, Science behind the regulation of food safety – risk assessment and the precautionary principle, 27. August 1999, abrufbar unter http://www.iatp.org/files/Science_Behind_the_Regulation _of_Food_Safety_R.htm. 43 Kritisch dazu: Fisahn, Rechtliche Probleme beim internationalen Freihandel, 2014, S. 10 ff., abrufbar unter http://www.kritik-freihandelsabkommen.de/wp-content/uploads/2015/01/TTIP_Fisahn.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 17 4. Festschreibung des Vorsorgeprinzips in den FTA 4.1. Festschreibung in der Präambel Eine Festschreibung des Vorsorgeprinzips in der Präambel eines Freihandelsabkommen garantiert nicht dessen Vorrang gegenüber ausdrücklichen Regelungen eines FTA, die andere Risikomanagementvoraussetzungen vorgeben. Präambeln sind grundsätzlich nicht Bestandteil der tatsächlichen Regelungen einer Verfassung oder eines Vertrages.44 Primär wird die Präambel als ein Auslegungsinstrument der rechtsverbindlichen Vertragsvereinbarungen angesehen, nicht selbst als ein verbindlicher Vertragstext, der Rechte und Pflichten verleiht.45 Art. 31 Abs. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) schreibt vor, dass die Präambel für die systematische Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen heranzuziehen ist.46 4.2. Festschreibung in den horizontalen wie sektoralen Kapiteln Statt einer Festschreibung in der Präambel ist eine Festlegung des Vorsorgeprinzips im tatsächlichen Vertragstext erforderlich, um dessen Bedeutung zu garantieren. Zu bedenken ist, dass die Vertragsstaaten gemäß den EU-Vorschlägen für TTIP und dem CETA- Vertragsentwurf weiterhin das Recht haben, eigene Regeln mit dem Ziel des Umwelt- und Gesundheitsschutzes einzuführen. Die gegenseitige Anerkennung von Maßnahmen und die Harmonisierung von Risikobewertungsmaßstäben und Risikomanagementvoraussetzungen werden in den Vertragsentwürfen von CETA und TTIP nicht unmittelbar verbindlich vorgeschrieben. Die Vertragsentwürfe beinhalten stattdessen Verfahrensvorschriften, die eine Anerkennung bzw. Harmonisierung ermöglichen sollen. Entscheidend ist, wie diese Normen zukünftig zur Anwendung kommen. Dem Ziel einer Absicherung des Vorsorgeprinzips ist in jedem Fall gedient, wenn es ausdrücklich in die Abkommen und insbesondere in die Kapitel zur regulatorischen Kooperation und zu den Gesundheits- und Pflanzenschutzmaßnahmen (SPS-Kapitel) aufgenommen und seine Beachtung bei Anerkennungs- und Harmonisierungsmaßnahmen vorgeschrieben wird. Für den Fall, dass die Abkommen in bestimmten Abschnitten weitere Vorgaben zur gegenseitigen Anerkennung und Harmonisierung beinhalten, müsste auch dort die Vorgabe erfolgen, dass bei all diesen Maßnahmen stets das Vorsorgeprinzip zu beachten ist. 44 Zu der Bedeutung von Präambeln in Verfassungen: Orgad, The preamble in constitutional interpretation, International Journal of Constitutional Law 2010, S. 714 (738); in privatrechtlichen Verträgen: Rittershaus/Teichmann , Anwaltliche Vertragsgestaltung: methodische Anleitung zur Fallbearbeitung im Studium, 2003, Rn. 495. 45 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung: methodische Anleitung zur Fallbearbeitung im Studium , 2003, Rn. 495. 46 Gesetz zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge vom 3.8.1985, BGBl. 1985 II, S. 926 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 18 4.3. Konfligierende Normen Da die oben geprüften Normen der Freihandelsabkommen keine verbindlichen Vorgaben zur Harmonisierung der Risikobewertung bzw. Risikomanagementvoraussetzungen oder der gegenseitigen Anerkennung von Standards (außer bestimmter Vorgaben für Tierprodukte) enthalten, sind auf den ersten Blick keine Konflikte zwischen den Normen, welche die nationale Regelungsautonomie und damit das Vorsorgeprinzip hochhalten, und denen, die eine Annäherung der Handelsregeln erstreben, ersichtlich. Ein Konflikt kann aber, gerade auch aufgrund des vorläufigen Charakters der FTA-Regelungen, nicht ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang sind die WTO-Entscheidungen im Streit um das Hormonfleisch zwischen den USA und Kanada einerseits und der EU andererseits zu bedenken . Im SPS-Abkommen der WTO war das Vorsorgeprinzip in Art. 5.7., Art. 3.3. und der Präambel festgehalten worden und konnte sich dennoch nicht in der von der EU postulierten Ausgestaltung gegen die Vorgaben der Art. 5.1 und 5.2 des SPS-Abkommens zu Risikomaßnahmen durchsetzen. Bei einander widersprechenden Normen innerhalb eines Abkommens, ist nicht klar, welche Norm sich durchsetzt. Insoweit ist eine Vertragsauslegung und Gewichtung der widersprüchlichen Normen erforderlich. Wie oben festgestellt, enthalten weder der CETA-Vertragsentwurf noch die EU-Vorschläge für TTIP Vorgaben für eine Risikobewertung bzw. Risikomanagementvoraussetzungen, die sich als eine Pflicht, das amerikanische Modell (science-based) anzuwenden, verstehen lassen. Um sicherzustellen , dass Konflikte in diesem Bereich ausgeschlossen sind, ist es ggf. dennoch sinnvoll, dass die überragende Bedeutung des Vorsorgeprinzips bei Fragen im Bereich von Risikomaßnahmen festgehalten wird. Insbesondere im Zusammenhang mit den Normen, die eine gegenseitige Anerkennung von Vorgaben und Standards anstreben, ist eine Betonung des Vorsorgeprinzips geboten, wenn dessen Erhalt das politische Primärziel ist. 4.4. Bezugnahme auf das SPS-Abkommen der WTO Die Vorgaben des SPS-Abkommens der WTO zur Risikobewertung sind über die Verweise in Art. 5 des SPS-Kapitels im CETA-Vertragsentwurf und Art. 3 des EU-Entwurfs des SPS-Kapitels für TTIP Bestandteil der Freihandelsabkommen. Es ist fraglich, in welchem Verhältnis die Freihandelsabkommen zu dem SPS-Abkommen der WTO stehen. Grundsätzlich ist es möglich, dass ein völkerrechtliches Abkommen durch ein späteres völkerrechtliches Abkommen modifiziert wird. Gemäß Art. 41 Abs. 1 WVK können zwei Vertragsparteien eines mehrseitigen Vertrages diesen in ihrem Verhältnis zueinander modifizieren.47 Grundsätzlich könnten also die EU und Kanada bzw. die USA die Risikobewertungsvorgaben und Risikomanagementvoraussetzungen des SPS-Abkommen der WTO in ihrem Verhältnis zueinander 47 Gesetz zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge vom 3.8.1985, BGBl. 1985 II, S. 926 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 101/15 Seite 19 durch eine andere Risikobewertung, die ggf. stärker dem Vorsorgeprinzip der EU entspricht, ersetzen .48 Den Entwürfen von CETA und TTIP kann in ihrer aktuellen Gestalt allerdings nicht entnommen werden, dass sie das SPS-Abkommen der WTO modifizieren wollen. Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Aufgrund der Verweise auf das SPS-Abkommen soll dieses vielmehr ein integrativer Bestandteil der Freihandelsabkommen werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass aus Sicht der Kommission das Vorsorgeprinzip der EU und das SPS-Abkommen der WTO nicht im Widerspruch zueinander stehen. 5. Weitere Möglichkeiten zur Absicherung des Vorsorgeprinzips Um sicherzugehen, dass nicht ein Bereich des Abkommens übersehen wird, der mit seinen Regelungen das Vorsorgeprinzip zu beschränken droht, empfiehlt es sich, das Vorsorgeprinzip nicht nur im Abschnitt zur regulatorischen Kooperation bzw. zu den SPS-Maßnahmen festgehalten werden, sondern dem gesamten Freihandelsabkommen voran zu stellen. Wie mit der Festschreibung in der Präambel angestrebt, würde so das Vorsorgeprinzip für den ganzen Vertrag im ersten Teil festgeschrieben werden. 6. Fazit Die Vertragsentwürfe für die Freihandelsabkommen CETA und TTIP enthalten Vorschriften, welche eine Harmonisierung von Normen oder die gegenseitige Anerkennung von Regelungen und Standards zwischen den Vertragsparteien herbeiführen wollen, aber nicht verpflichtend vorschreiben . In Bezug auf diese zukünftigen Annäherungen kann eine Beachtung des Vorsorgeprinzips in CETA und TTIP vorgeschrieben werden. Wenn in den Abkommen ausdrücklich ein anderer Risikobewertungsmaßstab bzw. andere Risikomanagementvoraussetzungen als die des Vorsorgeprinzips angeordnet oder die Anerkennung von amerikanischen bzw. kanadischen Maßnahmen anhand deren Risikomanagementsystem verpflichtend vorgegeben würde, entstünde ein direkter Widerspruch zu dem Vorsorgeprinzip. Wenn prinzipielle Unterschiede in der Art, wann Risikomanagementmaßnahmen ergriffen werden dürfen, bestehen, ist eine Verständigung über ein gleichwertiges Schutzniveau und damit eine Äquivalenzanerkennung nicht möglich.49 In diesen Fällen ist eine politische Entscheidung erforderlich, ob das Vorsorgeprinzip oder die Harmonisierung Vorrang genießen soll, und diese Entscheidung ist im Vertrag festzuhalten. 48 Gertler, in: Brack, Trade and Environment: Conflict or Compatibility, 1998, S. 122 (“in disputes between WTO members over the WTO consistency of TREMs [trade related environmental measure] based on MEAs [multilateral environmental agreement] accepted by both parties to the dispute, it could be argued that the members may waive their rights and obligations under the WTO Agreement to the extent of any inconsistency with MEA-authorized TREMs. Depending on the intentions of the parties, such an interpretation could be consistent with Articles 30 and 41 of the Vienna Convention on the Law of Treaties, which provide for modification of treaty terms as between the parties through subsequently concluded treaties.”); Pauwelyn, in: Macrory/Appleton/Plummer, The World Trade Organization: Legal, Economic and Political Analysis, 2005, S. 1405 (1418 ff.). 49 Rudloff, Lebensmittelstandards in Handelsabkommen - Unterschiedliche Regelungstraditionen von EU und USA und Tipps für TTIP, SWP-Aktuell 63, Oktober 2014, S. 1 (7).