© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 100/20 Vereinbarkeit der Koppelung staatlicher Beihilfen an soziale oder ökologische Kriterien mit dem Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Vereinbarkeit der Koppelung staatlicher Beihilfen an soziale oder ökologische Kriterien mit dem Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 100/20 Abschluss der Arbeit: 03. Dezember 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Unionsrechtliche Vorgaben für staatliche Beihilfen 4 2.1. Primärrechtliche Vorgaben 4 2.1.1. Anwendungsbereich des europäischen Beihilferechts 4 2.1.2. Zulässigkeit und Kontrolle von Beihilfen 4 2.2. Sekundärrechtliche Vorgaben 5 2.2.1. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 5 2.2.2. De-minimis-Verordnung 5 2.2.3. Allgemeine Gruppenfreistellungsverordung 5 2.3. Leitlinien und Mitteilungen der Kommission 7 2.3.1. Kommissionsmitteilung über Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen (2014-2020) 8 2.3.2. Kommissionsmitteilung zur Bewertung staatlicher Beihilfen für benachteiligte und behinderte Arbeitnehmer*innen 8 2.4. Maßgeblichkeit sonstigen Unionsrechts 9 3. Vereinbarkeit sozialer und ökologischer Beihilfekriterien mit dem EU-Beihilferecht 9 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa ist um Prüfung gebeten worden, ob die Koppelung der Auszahlung von Beihilfen durch Mitgliedstaaten an die Einhaltung sozialer oder ökologischer Kriterien mit dem Unionrecht vereinbar ist. Im Rahmen dieser Ausarbeitung soll zunächst ein Überblick über die einschlägigen beihilferechtlichen primär- und sekundärrechtlichen Regelungen gegeben werden, bevor unter Zuhilfenahme bisheriger Kommissionsmitteilungen zu sozialen und ökologischen Beihilfemodalitäten der unionsrechtliche Rahmen für diese umrissen wird. 2. Unionsrechtliche Vorgaben für staatliche Beihilfen Staatliche Beihilfen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterliegen einer strengen Kontrolle durch die EU-Kommission. Nur soweit das Unionsrecht den Mitgliedstaaten Spielräume belässt, können die Vergabekriterien für Beihilfen auch am nationalen Recht gemessen werden. 2.1. Primärrechtliche Vorgaben 2.1.1. Anwendungsbereich des europäischen Beihilferechts Gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV sind, soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, grundsätzlich alle staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen . Da hierbei schon eine mittelbare Beeinträchtigung ausreichen soll, sind keine hohen Anforderungen an das grenzüberschreitende Merkmal der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels zu stellen1. 2.1.2. Zulässigkeit und Kontrolle von Beihilfen Bestimmte Beihilfen sind gem. der Ausnahmeregelung des Art. 107 Abs. 2 AEUV immer zulässig, während andere gem. Art. 107 Abs. 3 AEUV als binnenmarktkonform eingestuft werden können. Die Überprüfung, ob Beihilfen die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 3 AEUV erfüllen, obliegt gem. Art. 108 AEUV der Europäischen Kommission. Die Mitgliedstaaten sind zudem gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV vorbehaltlich unionsrechtlicher Ausnahmeregelungen verpflichtet, jede beabsichtigte Beihilfe der Kommission anzuzeigen (Notifizierung). 1 Vgl. EuGH, Rs. C-197/11 und C-203/11 (Libert u. a), Rn. 76,77; EuGH, 1980 Rs. C-730/79 (Phillip Morris), Rn. 11. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 5 2.2. Sekundärrechtliche Vorgaben 2.2.1. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Keine Beihilfe soll mangels Begünstigung dann vorliegen, wenn die Zahlung als Ausgleich für erbrachte Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erfolgt. In der Rechtssache Altmark -Trans2 hat der EuGH die Anforderungen einer solchen Dienstleitung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) spezifiziert. Der Gerichtshof leitete aus seiner bisherigen Rechtsprechung die Prämisse ab, dass eine staatliche Maßnahme nicht unter Art. 92 Absatz 1 EG-Vertrag fällt (nunmehr Art. 107 AEUV), soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, für Leistungen, die von den Unternehmen, denen sie zu Gute kommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, so dass diese Unternehmen bei einer Gesamtbetrachtung keinen finanziellen Vorteil erhalten und die Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen begünstigt werden. Bedingung für das Vorliegen einer DAWI sei, dass das begünstigte Unternehmen mit der Erfüllung klar definierter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut ist. Außerdem müssen die Parameter für die Berechnung des Ausgleichs vorher objektiv und transparent aufgestellt werden und der Ausgleich darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten zur Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtung ganz oder teilweise zu decken. 2.2.2. De-minimis-Verordnung Von der Beihilfenkontrolle ausgenommen sind gem. der VO Nr. 1407/20133 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV sog. De-minimis-Beihilfen, gleich welcher Art und Zielsetzung, soweit diese transparent gewährt werden und die Freigrenze des Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 1407/2013 von 200.000 Euro pro Unternehmen innerhalb von drei Steuerjahren nicht überschreiten. Bei diesen Beihilfen wird ausweislich des Erwägungsgrundes 3 der VO Nr. 1407/2013 davon ausgegangen , dass diese weder Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel haben noch den Wettbewerb zu verfälschen drohen. 2.2.3. Allgemeine Gruppenfreistellungsverordung Ebenfalls von der obligatorischen Vorabnotifizierung der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt sind Beihilfen, welche in den Anwendungsbereich der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung VO Nr. 651/2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AGVO)4 fallen. 2 EuGH, Rs. C-280/00 (Altmark Trans). 3 VO Nr. 1407/2013 der Kommission, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2013:352:0001:0008:DE:PDF. 4 VO Nr. 651/2014 der Kommission, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?uri=CELEX:32014R0651. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 6 Die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung gilt für Regionalbeihilfen, Investitions- und Beschäftigungsbeihilfen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Beihilfen für die Gründung von Frauenunternehmen, Umweltschutzbeihilfen, KMU-Beihilfen für die Inanspruchnahme von Beratungsdiensten und für die Teilnahme an Messen, Risikokapitalbeihilfen, Forschungs-, Entwicklungs - und Innovationsbeihilfen, Ausbildungsbeihilfen und Beihilfen für benachteiligte oder behinderte Arbeitnehmer*innen (vgl. Art. 1 Abs. 1 AGVO). Sowohl soziale Kriterien etwa hinsichtlich der Sicherung von Beschäftigung als auch ökologische Kriterien der Förderfähigkeit werden in der AGVO bereits auf unionsrechtlicher Ebene geregelt. Nach Art. 6 Abs. 1 AGVO sind allerdings nur Beihilfen mit sog. Anreizeffekt von der Beihilfenkontrolle freigestellt. Vom Vorliegen eines formellen Anreizeffektes der Beihilfe ist auszugehen, wenn sie beantragt wurde, bevor mit der zu fördernden Maßnahme begonnen wurde5. Nach neuerer Rechtsprechung des EuGH kann die Kommission allerdings auch den Nachweis materieller Anreizeffekte verlangen. In diesem Fall muss der förderungswillige Mitgliedstaat nachweisen, dass die fragliche Maßnahme ohne die Beihilfe nicht oder nur in erheblich geringerem Umfang durchgeführt worden wäre6. Das Vorliegen eines Anreizeffektes wird u.a. bei Beihilfen in Form von Lohnkostenzuschüssen für die Einstellung benachteiligter Arbeitnehmer*innen im Sinne des Art. 32 AGVO angenommen, wenn diese zu einem Zuwachs an benachteiligten Arbeitnehmer*innen im Unternehmen führt. Auch die Regelungen der Abschnitte 1, 2, 3, 5 und 6 AGVO enthalten die Beschäftigung von Arbeitnehmer*innen betreffende Kriterien. Die AGVO trifft zudem Regelungen für sog. Umweltschutzbeihilfen. In Art. 2 Ziff. 101 der AGVO wird der Umweltschutz als „jede Maßnahme, die darauf abzielt, einer Beeinträchtigung der natürlichen Umwelt oder der natürlichen Ressourcen durch die Tätigkeit des Beihilfeempfängers abzuhelfen, vorzubeugen oder die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung zu vermindern oder eine rationellere Nutzung dieser Ressourcen einschließlich Energiesparmaßnahmen und die Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern“ definiert. Zu dessen Förderung sind im Abschnitt 7 der AGVO verschiedene Beihilfeformen vorgesehen, die ebenfalls soweit sie alle Voraussetzungen des Kapitels I erfüllen sowie den einschlägigen Bestimmungen des Kapitels II der AGVO entsprechen , von der Anmeldepflicht des Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt sind. Auf Grundlage der AGVO erfolgen ca. 96 Prozent der maßgeblichen Subventionen7. Diese findet allerdings für eine Vielzahl von Förderungen wie etwa für Exportbeihilfen, Ad-hoc-Beihilfen für Großunternehmen und Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten keine Anwendung (Art. 1 Nr. 2 bis 5 AGVO). Wenn die Voraussetzungen der AGVO für eine Beihilfe erfüllt sind, ist diese nach Art. 3 AGVO mit dem gemeinsamen Markt vereinbar und von der Anmeldepflicht freigestellt. Die Voraussetzungen von Beihilfen werden in der AGVO allerdings nicht erschöpfend geregelt, es bedarf jeweils einer spezifischen Konkretisierung, durch die die Beihilfe gewährenden Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeit. Sie können bei dieser Ausgestaltung strengere Anforderungen an 5 Immenga/Mestmäcker/Nowak, Wettbewerbsrecht, AGVO, Art. 6, Rn. 6. 6 EuGH, Rs. C-459/10 P, Rn. 27 ff. (Freistaat Sachsen u.a./Kommission). 7 Vgl. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_663. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 7 die Antragsteller formulieren, etwa in Form von Nebenbestimmungen, die ihrerseits sozialen oder ökologischen Zielen dienen können. Neuere Mitteilungen der Kommission zur Bedeutung der Beihilfen für die Strategie „Europa 2020“8 für die Arbeitsmarktpolitik zeigen, dass ein solches konkretisierendes Verhalten der Mitgliedstaaten erwartet wird. Auch die Erwägungsgründe der AGVO gehen implizit von einer solchen Praxis aus. So betont z. B. Erwägungsgrund 31 der AGVO, dass einzelstaatliche Regionalbeihilfen durch Investitionsförderung und Schaffung von Arbeitsplätzen zur nachhaltigen Entwicklung der besonders benachteiligten Gebiete beitragen. Der Erwägungsgrund 54 hebt hervor, dass sich Beschäftigungsbeihilfen für benachteiligte und behinderte Arbeitnehmer*innen positiv auf die Beschäftigung dieser Gruppen auswirken und den Unternehmen nicht nur dazu verhelfen Kosten einzusparen, die sie ansonsten selbst tragen müssten . Solche Beihilfen sollen deshalb von der Anmeldpflicht freigestellt werden, wenn davon auszugehen ist, dass sie diesen Gruppen von Arbeitnehmer*innen dabei helfen, in den Arbeitsmarkt einzutreten oder wieder einzutreten und sich dort zu behaupten. 2.3. Leitlinien und Mitteilungen der Kommission Die AGVO wird zudem ergänzt von konkreten, aber unverbindlichen Leitlinien und Mitteilungen der Kommission. Obwohl es sich bei diesen um sog. „soft law“ handelt, müssen sie bei der Auslegung verbindlichen Unionsrechts und nationaler Durchführungsbestimmungen, berücksichtigt werden9. Gemäß ihrer Mitteilung über die Modernisierung des EU-Beihilferechts vom 8. März 201210, sieht die Kommission eine Beihilfemaßnahme nur dann als mit dem Binnenmarkt vereinbar an, soweit sie einem Ziel von gemeinsamen Interesse im Sinne des Artikels 107 Abs. 3 AUEV dient und die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist. Übermäßige negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und Handel müssen vermieden werden und die Transparenz der Maßnahme sowie ein Anreizeffekt gewährleistet sein. Hinreichende Transparenz soll vorliegen, soweit die Mitgliedstaaten , die Kommission, die Wirtschaftsbeteiligten und die Öffentlichkeit einen einfachen Zugang zu allen einschlägigen Vorschriften und zu relevanten Informationen über die auf der Grundlage dieser Vorschriften gewähren Beihilfen haben11. 8 EUROPA 2020 Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A52010DC2020. 9 EuGH, Rs. C-322/88, Rn. 8, 18 (Grimaldi/FDMP), eingehend zu den Rechtswirkungen vion Leilinien und Mitteilungen der Kommission: Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3, Rn. 749 ff. 10 KOM (2012) 209, Modernisierung des EU-Beihilfenrechts, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/transparency/regdoc /rep/1/2012/DE/1-2012-209-DE-F1-1.Pdf. 11 Vgl. Leitlinien für Regionalbeihilfen 2014-2020, Abschnitt 3.1., lit. g. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 8 2.3.1. Kommissionsmitteilung über Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen (2014-2020) Die Leitlinien der Kommission für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen12 gelten für staatliche Beihilfen, welche in allen unter den AEUV fallenden Bereichen zur Förderung von Umwelt- und Energiezielen gewährt werden, soweit sie unter den Abschnitt 1.2. der Mitteilung fallen. Sie gelten mithin auch für Bereiche, die durch spezifische Beihilfevorschriften der Union geregelt werden, sofern diese nichts anderes bestimmen. Auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV werden staatliche Umwelt- und Energiebeihilfen für mit dem Binnenmarkt vereinbar erachtet, soweit die beihilferechtliche Würdigung anhand der im Abschnitt 3.2. der Leitlinien dargelegten Grundsätze ergibt, dass die Beihilfen einen wesentlichen Beitrag zu den Umwelt- oder Energiezielen der Union leisten, ohne dass sie die Handelsbedingungen in einer dem gemeinsamen Interesse zuwider laufenden Weise verändern. Das allgemeine Ziel der in der Mitteilung konkretisierten Umweltbeihilfen besteht darin, den Umweltschutz in einem Maße zu verbessern, wie es ohne Beihilfen nicht möglich wäre. 2.3.2. Kommissionsmitteilung zur Bewertung staatlicher Beihilfen für benachteiligte und behinderte Arbeitnehmer*innen Ein weiteres Beispiel ist die Kommissionmitteilung zu den Kriterien für die Bewertung der Vereinbarkeit einzeln anzumeldender staatlicher Beihilfen für die Beschäftigung von benachteiligten und behinderten Arbeitnehmer*innen mit dem gemeinsamen Markt13. In dieser erläutert die Kommission die Kriterien bei der beihilferechtlichen Würdigung von staatlichen Beihilfen in Form von Lohnkostenzuschüssen gem. Art. 32 und 33 AGVO. Im Anschluss an die Prüfung der unter 2.3. beschriebenen allgemeinen, in der Mitteilung entsprechend konkretisierten Voraussetzungen, nimmt die Kommission gem. Abschnitt 4 zudem eine Abwägung vor. Dazu würdigt die Kommission positive und negative Auswirkungen und schätzt die Folgen für Hersteller und Verbraucher für jeden der betroffenen Märkte ab. Die Mitteilung gibt dabei auch über ihren beschränkten Anwendungsbereich hinaus Aufschluss darüber, welche Beihilfewirkungen für die Annahme der Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt zu vermeiden sind. So legt die Kommission in ihrer Mitteilung dar, dass staatliche Beihilfen den freien Wettbewerb so wenig wie möglich verfälschen und nur dort gewährt werden sollen, wo der Markt versagt, also unerwünschte Ergebnisse hervorbringt. Es sollen zudem Substitutions- 12 Mitteilung der Kommission: Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52014XC0628(01). 13 Mitteilung der Kommission: Kriterien für die Bewertung der Vereinbarkeit einzeln anzum eldender staatlicher Beihilfen für die Beschäftigung von benachteiligten und behinderten Arbeitnehmern mit dem gemeinsamen Markt, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:C:2009:188:0006:0010:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 9 und Mitnahmeeffekte vermieden werden, weshalb Beihilfen nachweislich positive Anreizeffekte setzen sollen. 2.4. Maßgeblichkeit sonstigen Unionsrechts Nach der Rechtsprechung des EuGH kann zudem eine staatlichen Beihilfe, gleich ob diese in den Anwendungsbereich der AGVO fällt oder anzumelden ist, nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar sein, soweit diese wegen einer ihrer Modalitäten gegen andere Bestimmungen der europäischen Verträge verstößt14. Zu den fraglichen Bestimmungen der Verträge zählen dabei neben den Grundfreiheiten auch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts (Art. 6 Abs. 3 EUV), die Grundrechtecharta (Art. 6 Abs. 1 EUV und die verbindlichen Ziele von Richtlinien (Art. 288 Abs. 3 AEUV). Ihre praktische Wirksamkeit muss gem. Art. 4 Abs. 3 EUV von den Mitgliedstaaten gewährleistet werden. Beim Verhältnismäßigkeitsprinzip handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts . Dies hat zur Folge, dass Beihilfen ein legitimes Ziel verfolgen und zu dessen Förderung geeignet und erforderlich sein müssen15. Nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte kann die Kommission eine Beihilfe nur dann für vereinbar mit dem Unionsrecht erklären, wenn sie feststellt , dass diese zur Verwirklichung eines der in Art. 107 Abs. 3 AEUV genannten Ziele beiträgt, die das begünstige Unternehmen unter normalen Marktbedingungen durch eigene Maßnahmen nicht erreichen könnte. Den Mitgliedstaaten darf es folglich nicht erlaubt sein, durch Zahlungen die finanzielle Situation eines Unternehmens zu verbessern, ohne dass dies zur Erreichung der Ziele des Art. 107 Abs. 3 AEUV notwendig ist16. Die Mitgliedstaaten müssen bei der Vergabe von staatlichen Beihilfen zudem die wertungsmäßige Einheit der Unionsrechtsordnung beachten, weshalb diese weder den EU-Verträgen noch den Zielen von Richtlinien der Union zuwiderlaufen dürfen. 3. Vereinbarkeit sozialer und ökologischer Beihilfekriterien mit dem EU-Beihilferecht Gemäß Art. 3 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) gehört zu den Zielen der Europäischen Union die Förderung des sozialen Zusammenhalts und der sozialen Gerechtigkeit sowie eine soziale Marktwirtschaft, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität . Beihilfen sind ein wichtiges Instrument zur Erreichung dieser Ziele. Der Bericht der Kommission vom 22.06.2011 über den Beitrag staatlicher Beihilfen zur Strategie Europa 2020 weist aus, dass sich das heutige Konzept der Beihilfen, das vor allem durch die AGVO geprägt worden ist, als Instrument der Förderung wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts etabliert 14 EuGH, Rs. C-21/88, Rn. 20 (Du Pont de Nemours Italiana); EuGH, Rs. C-156/98 (Deutschland/Kommission); EuGHC-114/00, Rn. 104 (Spanien/Kommission). 15 Vgl. Nr. 13 der Kommissionmitteilung zur Bewertung staatlicher Beihilfen für benachteiligte und behinderte Arbeitnehmer, s. Rn. 13. 16 EUG, Rs. T-162/06, Rn. 65, bestätigt durch EuGH, Rs. C-117/09 P (Kronoply/Kommission), vgl. auch EuGH Rs. C-730/79, Rn. 17 (Philip Morris Holland/Kommission). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 100/20 Seite 10 hat17. Auf dieser Basis hat die Kommission in der Strategie „Europa 2020“ der Beihilfenpolitik einen wichtigen Stellenwert zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts eingeräumt. Damit die Kommission den freien Wettbewerb wirksam schützen kann, unterliegen staatliche Beihilfen - wie dargestellt – im Grundsatz der Notifizierungpflicht. Den Mitgliedstaaten bleibt folglich zwar freigestellt, ob sie überhaupt Beihilfen vergeben möchten. In welchen Bereichen und zu welchen Zwecken diese vergeben werden dürfen, ist durch das grundsätzliche Verbot von staatlichen Beihilfen aus Art. 107 AEUV (Verbot mit Ausnahmevorbehalt) allerdings stark reglementiert . Maßgeblicher Ausgangspunkt ist die AGVO, mit der für die wichtigsten Formen von Beihilfen eine Gruppenfreistellung erfolgt ist, so dass die Mitgliedstaaten Beihilfen unter den dort normierten Bedingungen vergeben können, ohne zu einer vorherigen Anmeldung oder gar Genehmigung ihres Vorhabens durch die Kommission verpflichtet zu sein. Die AGVO setzt den Mitgliedstaaten einen wichtigen Rahmen, mit dem eine Verfälschung des Wettbewerbs für die dort normierten Beihilfetypen ausgeschlossen werden soll. Gleichwohl kann dieser Rahmen nicht abschließend sein, denn die Mitgliedstaaten, die die Beihilfe gewähren, müssen diese konkret ausgestalten. Die Mitgliedstaaten müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeit festlegen, für welche Branchen und für welche Handlungsfelder Beihilfen erbracht werden sollen. Bei dieser Konkretisierung können soziale und ökologische Zwecke einen hohen Stellenwert haben. Zwar existiert bisher keine abschließende Regelung bzgl. der Ausgestaltungsmöglichkeiten bzw. des Umfangs möglicher sozialer oder ökologischer Beihilfekriterien, es lassen sich den dargestellten Rechtssätzen dennoch einige grundsätzliche Wertungen entnehmen. Soziale oder ökologische Beihilfemodalitäten dürfen den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten nicht verfälschen. Soweit sich ein Mitgliedstaat an die Vorschriften der AGVO hält, ist regelmäßig davon auszugehen, dass eine Begünstigung nicht als Verfälschung des Wettbewerbs anzusehen ist. Werden zusätzliche Kriterien normiert, ist regelmäßig nicht von einer Verfälschung des Wettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten auszugehen, soweit die fragliche Maßnahme strengere Anforderungen als in der AGVO vorgesehen aufstellt. Jede staatliche Beihilfe muss zudem unabhängig von ihrer Genehmigungsbedürftigkeit mit dem übrigen Unionsrecht vereinbar sein und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts entsprechen. - Fachbereich Europa - 17 KOM 2011/356, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52011DC0356.