© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 99/16 Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) und Unionsrecht Vorläufige summarische Einschätzung Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 2 Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) und Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 99/16 Abschluss der Arbeit: 6. Juli 2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Sekundärrechtliche Vorgaben: Richtlinie 2002/58 5 3. Art. 18 Abs. 1 AEUV 7 3.1. Anwendungsbereich der Verträge 7 3.2. Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit 9 3.2.1. Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit 9 3.2.2. Rechtfertigung 9 4. Unionsgrundrechte 10 4.1. Mitgliedstaatliche Bindung 10 4.2. Materielle Anforderungen der Unionsgrundrechte 11 5. Fazit 13 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 4 1. Einleitung Das Bundeskanzleramt hat kürzlich den Entwurf eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) vorgelegt (im Folgenden: Gesetzentwurf). Ausweislich der Gesetzesbegründung wird hiermit das Ziel verfolgt, eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung vom Inland aus zu schaffen. Die Legaldefinition und zugleich Beschreibung der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung findet sich in § 6 Abs. 1 Gesetzentwurf. Danach darf der BND unter bestimmten Voraussetzungen zur Erfüllung seiner Aufgaben vom Inland aus mit technischen Mitteln Informationen einschließlich personenbezogener Daten aus Telekommunikationsnetzen, über die Telekommunikation von Ausländern im Ausland erfolgt (Telekommunikationsnetze), erheben und verarbeiten. § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf enthält eine besondere Regelung für die Verwendung von Suchbegriffen , die im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung zur gezielten Erfassung von Einrichtungen der Europäischen Union, von öffentlichen Stellen ihrer Mitgliedstaaten oder von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern führen. Zulässig ist eine Verwendung von Suchbegriffen in diesem Fall nur, wenn dies erforderlich ist, um Gefahren im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 3 des Artikel 10-Gesetzes zu erkennen und zu begegnen 1 oder um Informationen etwa über Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit der BRD zu gewinnen2, soweit ausschließlich Daten über Vorgänge in Drittstaaten gesammelt werden sollen , die von besonderer Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sind. Suchbegriffe , die zur gezielten Erfassung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern führen, dürfen darüber hinaus verwendet werden, wenn dies erforderlich ist zur Erkennung und Begegnung von Straftaten im Sinne des § 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes (u. a. die StGB-Straftaten des Friedensund Hochverrats, der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, des Landesverrat). Der Fachbereich wird vor diesem Hintergrund um die Beantwortung der Frage ersucht, ob § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf mit „europäischem Verfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung […] des Art. 18 AEUV, Art. 7 GRCh, Art. 8 GRCh sowie der weiteren relevanten Bestimmungen des Europarechts […]“ vereinbar ist. Aufgrund der Kürze der für das Gutachten zur Verfügung stehenden Zeit sowie der Komplexität sowohl der für diese Konstellation relevanten innerstaatlichen als auch unionsrechtlichen Bestimmungen , können die durch die Anfrage aufgeworfenen Rechtsfragen im Folgenden lediglich skizziert werden. Gliederungstechnisch wird hierbei zwischen sekundärrechtlichen Vorgaben (siehe unter 2.), dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 AEUV (siehe unter 3.) und den Unionsgrundrechten nach der Charta der Grundrechte (GRCh, siehe unter 4.) unterschieden. 1 Vgl. den Verweis in § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Gesetzentwurf. § 5 Abs. 1 Satz 3 Art. 10-Gesetz umfasst u. a. bewaffnete Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland, die Begehung internationaler terroristischer Anschläge mit unmittelbarem Bezug zur Bundesrepublik Deutschland oder die internationale Verbreitung von Kriegswaffen. 2 Dies folgt aus dem Verweis in § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Gesetzentwurf auf § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Gesetzentwurf . Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 5 Vorweg sei angemerkt, dass sich in der Gesetzesbegründung zu diesem Komplex keine Ausführungen finden, woraus geschlossen werden kann, dass von Regierungsseite jedenfalls von einer Nichtanwendung des Unionsrechts und insbesondere der eben genannten Individualrechte als Rechtmäßigkeitsmaßstab ausgegangen wird. 2. Sekundärrechtliche Vorgaben: Richtlinie 2002/58 Sekundärrechtliche Vorgaben für eine Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung im Sinne des § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf könnten sich aus der Richtlinie 2002/58, der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (im Folgenden auch: RL 2002/58), ergeben. Nach Art. 1 Abs. 1 und 2 RL 2002/58 sieht diese Richtlinie – in Ergänzung der Datenschutzrichtlinie 95/46 – „die Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten vor, die erforderlich sind, um einen gleichwertigen Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten, insbesondere des Rechts auf Privatsphäre und Vertraulichkeit, in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation sowie den freien Verkehr dieser Daten und von elektronischen Kommunikationsgeräten und -diensten in der Gemeinschaft zu gewährleisten.“ Zu diesem Zweck enthalten Art. 5, 6, 8 Abs. 1 bis 4 sowie Art. 9 RL 2002/58 Rechte Einzelner und Pflichten der Mitgliedstaaten in Bezug auf Vertraulichkeit der Kommunikation sowie die Speicherung und Verarbeitung von (personenbezogenen) Daten. Hinsichtlich der einschlägigen Begriffsbestimmungen verweist die RL 2002/58 in ihrem Art. 2 Abs. 1 nicht nur auf die Datenschutzrichtlinie 95/46, sie übernimmt auch die Begriffsbestimmung der Richtlinie 2002/21 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste. Die letztgenannte Richtlinie und der dort definierte Begriff der Telekommunikationsnetze sind nach der Gesetzesbegründung letztlich auch maßgeblich für den in § 6 Abs. 1 Gesetzentwurf verwandten Begriff der Telekommunikationsnetze, aus denen die Datenerhebung bei der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung erfolgt. Ob und inwieweit die RL 2002/58 auf die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung im Rahmen des § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf Anwendung findet, hängt von dem Verhältnis von Art. 1 Abs. 3 und Art. 15 RL 2002/58 ab: Nach Art. 1 Abs. 3 RL 2002/58 gilt diese Richtlinie „auf keinen Fall für Tätigkeiten betreffend die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die Sicherheit des Staates (einschließlich seines wirtschaftlichen Wohls, wenn die Tätigkeit die Sicherheit des Staates berührt) und die Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich.“ Hiernach wäre die Richtlinie auf eine zum Schutze der Sicherheit des Staates etc. erfolgende Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nicht anwendbar . Art. 15 Abs. 1 Satz 1 RL 2002/58 sieht hingegen vor, dass die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen können, die die oben genannten Richtlinienrechte und -pflichten beschränken, „sofern eine solche Beschränkung gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie 95/46/EG für die nationale Sicherheit, (d. h. die Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist.“ In Satz 2 von Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 6 wird ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck „unter anderem durch Rechtsvorschriften vorsehen [können], dass Daten aus den in diesem Absatz aufgeführten Gründen während einer begrenzten Zeit aufbewahrt werden.“ Einschränkend wird in Art. 15 Abs. 1 Satz 3 RL 2002/58 allerdings vorgegeben, dass „alle in diesem Absatz genannten Maßnahmen den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts einschließlich den in Artikel 6 Absätze 1 und 2 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Grundsätzen entsprechen [müssen].“ Unter die letztgenannten fallen in jedem Fall die Unionsgrundrechte. Nach dieser Vorschrift sind die Mitgliedstaaten somit berechtigt, von den Richtlinienvorgaben abzuweichen, wenn es etwa um die Sicherheit des Staates oder um Maßnahmen der Strafverfolgung geht, sie müssen hierbei aber Unionsgrundrechte beachten. Vor dem Hintergrund des Anwendungsausschlusses in Art. 1 Abs. 3 RL 2002/58 verwundert die Abweichungsbefugnis in Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58. Denn letztere setzt denklogisch voraus, dass die Mitgliedstaaten an die Richtlinienvorgaben gebunden sind, obwohl diese nach Art. 1 Abs. 3 RL 2002/58 gerade nicht bei Tätigkeiten betreffend etwa die Sicherheit des Staates oder die Strafverfolgung beachtet werden müssen. Soweit ersichtlich, lassen sich der Rechtsprechung der Unionsgerichte keine ausdrücklichen Aussagen zum Verhältnis dieser beiden Bestimmungen entnehmen. Ein Hinweis auf den Umstand , dass der Ausschluss nach Art. 1 Abs. 3 AEUV nicht umfassend gemeint sein kann, ergibt sich jedenfalls aus den EuGH-Entscheidungen, in denen auf Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 Bezug genommen wird, ohne zugleich die erst genannte Richtlinienbestimmung zu erwähnen (vgl. etwa EuGH, Rs. C-275/06, Rn. 47 ff.). Hierdurch bringt der EuGH zumindest implizit den Geltungsanspruch des Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 zum Ausdruck. Eine Möglichkeit, den in Art. 3 Abs. 1 AEUV und Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 angelegten Normwiderspruch aufzulösen, könnte in der folgenden Auslegung bestehen: Art. 1 Abs. 3 RL 2002/58 schließt die Harmonisierung des Datenschutzrechts in den in dieser Vorschrift genannten Bereichen durch die Richtlinie zwar aus. Die Mitgliedstaaten sollen in diesen Fällen aber über Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 wenigstens an die Unionsgrundrechte und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gebunden sein. Ein solches Verständnis wird im Schrifttum zum Teil begrüßt3, zum Teil aber auch abgelehnt.4 Ohne die Rechtsfrage an diese Stelle abschließend beantworten zu können, spricht jedenfalls der Wortlaut und der der Rechtsprechung zu entnehmende Geltungsanspruch des Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 für eine aus dieser Norm folgenden grundrechtlichen Beachtungspflicht. Danach würden die in Art. 5, 6, 8 Abs. 1 bis 4 sowie Art. 9 RL 2002/58 geregelten Rechte Einzelner und Pflichten der Mitgliedstaaten sowie sonstige Harmonisierungsvorgaben der RL 2002/58 zwar keine Anwen- 3 Vgl., wenngleich für den Bereich der Vorratsdatenspeicherung, Roßnagel, NJW 2016, 533 (539), der insoweit die BT-Drs. 18/5088, S. 22 zitiert. 4 Vgl. Wollenschläger/Krönke, NJW 2016, 906 (908). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 7 dung finden. Die Mitgliedstaaten wären nach Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 bei Tätigkeiten aus Gründen der Sicherheit des Landes wie etwa nach § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf aber an Unionsgrundrechte (siehe dazu unten unter 4.) sowie allgemeine Grundsätze des Unionsrechts gebunden. 3. Art. 18 Abs. 1 AEUV Art. 18 Abs. 1 AEUV verbietet im Anwendungsbereich der Verträge (siehe unter 3.1.) Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit (siehe unter 3.2.). Gegenüber besonderen Ausprägungen des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit tritt Art. 18 Abs. 1 AEUV zwar zurück. Solche besonderen Diskriminierungsverbote enthalten die Grundfreiheiten (insbesondere die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit, vgl. Art. 49, 56 f. bzw. 45 AEUV). Vorliegend ist jedoch nicht ersichtlich , dass eine Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung in Gestalt des § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf die Schutzbereiche dieser wirtschaftlich geprägten Individualrechte tangieren könnte, so dass Art. 18 Abs. 1 AEUV – vorbehaltlich seiner sogleich zu prüfenden Voraussetzungen – Anwendung finden würde. 3.1. Anwendungsbereich der Verträge Art. 18 Abs. 1 AEUV erfasst nicht jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern nur solche, die im Anwendungsbereich der Verträge vorgenommen werden. Eine abstrakte Definition, unter welchen Voraussetzungen der Anwendungsbereich der Verträge eröffnet wird, lässt sich der Rechtsprechung zwar nicht entnehmen, es lassen sich jedoch verschiedene Fallgruppen unterscheiden. Die wohl weitreichendste Fallgruppe beruht auf Art. 21 Abs. 1 AEUV, der unionsbürgerlichen Freizügigkeit. Nehmen Unionsbürger ihr allgemeines Aufenthalts- und Bewegungsrecht aus dieser Vertragsbestimmung rechtmäßig war und begeben sich in einen anderen Mitgliedstaat, so ist damit bereits der Anwendungsbereich der Verträge eröffnet. Art. 18 Abs. 1 AEUV gewährt sodann Schutz vor jeglichen ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen seitens des Aufenthaltsstaates . Vorliegend dürfte diese Fallgruppe jedoch nicht einschlägig sein, da sich die BND-Tätigkeit nach § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf auf das Ausland bezieht und damit wohl gerade nicht auf Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten, die sich in Deutschland aufhalten (vgl. auch ausdrücklich § 6 Abs. 4 Gesetzentwurf ). Eine andere Fallgruppe knüpft an die Regelung des betreffenden Sachbereichs durch das primäre und sekundäre Unionsrecht an. Insoweit könnte hier auf die oben unter 2. erörterte RL 2002/58 abgestellt werden. Deren Regelungsgehalt beschränkt sich für den hier relevanten Bereich jedoch – soweit ersichtlich – nur auf die Pflicht zur Beachtung von Unionsgrundrechten und „allgemeinen Grundsätzen“ des Unions- (und früheren Gemeinschafts-)rechts. Zu letzteren dürfte insbesondere der hier erörterte Art. 18 Abs. 1 AEUV gehören. Da der EuGH zudem hinsichtlich der Voraussetzungen für die Eröffnung des vertraglichen Anwendungsbereichs durchaus großzügig ist, könnte die Anknüpfung über Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 aus Unionssicht genügen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 8 Im Schrifttum wird darüber hinaus noch – allerdings mit Blick auf § 5 Artikel 10-Gesetz – vertreten , dass sich ein Anknüpfungspunkt für die Anwendung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit aus dem Rahmenbeschluss 2002/475 zur Terrorismusbekämpfung sowie der sog. Dual-use-Verordnung Nr. 1334/2000 ergeben könnte.5 Zwar enthalten diese Rechtsakte keine ausdrücklichen Vorgaben für nachrichtendienstliche Tätigkeiten der Mitgliedstaaten . Sie beziehen sich allerdings zum Teil auf Schutzgüter, im Lichte derer BND-Tätigkeiten nach § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf zulässig sind. Auch dieser Zusammenhang könnte aus Unionssicht – ggf. ergänzend zu Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 – für eine Eröffnung des vertraglichen Anwendungsbereichs streiten. Nimmt man vor diesem Hintergrund im Grundsatz an, dass der Anwendungsbereich der Verträge hinsichtlich einer BND-Tätigkeit nach § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf eröffnet ist, wäre mit Blick auf die territoriale Reichweite der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung zu fragen, ob dies auch dann gilt, wenn die nachrichtendienstliche Tätigkeit Sachverhalte betrifft, die sich außerhalb des jeweiligen mitgliedstaatlichen Hoheitsgebiets abspielen. Eine ähnlich gelagerte Frage stellt sich im Hinblick auf die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes und deren Funktion als Rechtmäßigkeitsmaßstab für Tätigkeiten nach § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf (vgl. dazu die Ausarbeitung von WD 3). Soweit ersichtlich, besteht für den unionalen Kontext keine Rechtsprechung der Unionsgerichte. EU-Rechtsakte dürften die Mitgliedstaaten grundsätzlich zunächst nur hinsichtlich des eigenen Hoheitsgebiets binden. Gegen eine Freistellung von dieser Bindung bei Tätigwerden auf dem Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten spricht jedoch zweierlei: zum einen, dass die Ausland-Ausland -Fernmeldeaufklärung durch deutsche Behörden vorgenommen wird und damit auf deutsche Staatsgewalt zurückgeht, deren Bindung an das Unionsrecht unzweifelhaft ist, und zum anderen, dass diese Art der Aufklärung definitionsgemäß vom Inland und damit von einem mitgliedstaatlichen Hoheitsgebiet aus erfolgt. Diese beiden Erwägungen streiten sodann auch für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Verträge in Fällen, in denen sich die nachrichtendienstliche Tätigkeit des BND nach § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf auf Sachverhalte bezieht, die außerhalb der EU in Drittstaaten liegen. Eine abschließende Bewertung dieser beiden Situationen und der sich daraus ergebenden Konsequenzen ist mit Blick auf die bereits erwähnte fehlende unionsgerichtliche Rechtsprechung allerdings nicht möglich. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die sich auf die Sicherheit der Mitgliedstaaten beziehenden Vorschriften des primären Unionsrechts in Art. 72, 346, 347, 348 AEUV nicht als Bereichsausnahmen vergleichbar den Art. 45 Abs. 4 AEUV und 51 Abs. 1 AEUV angesehen werden, die eine Anwendung des Unionsrechts bei Maßnahmen zur Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit prinzipiell ausschließen. Den Art. 72, 346, 347 und 348 AEUV kommt nach Ansicht im Schrifttum die Funktion zu, die Bedürfnisse des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bzw. des Binnenmarkts einerseits und die Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten 5 Vgl. Huber, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2014, § 5 Artikel 10-Gesetz, Rn. 47 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 9 in ein angemessenes Verhältnis zu setzen.6 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH besteht kein allgemeiner Vorbehalt der Außen- und Sicherheitspolitik zugunsten der Mitgliedstaaten, „der jede Maßnahme, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit getroffen wird, vom Anwendungsbereich des Unionsrechts ausnähme“.7 Mithin sind diese Regelungsbereiche nicht vom Anwendungsbereich der Verträge ausgenommen, sondern lediglich als Rechtfertigungsgrund anzusehen , der die Mitgliedstaaten – unter Wahrung unionrechtlicher und durch die Unionsgerichte kontrollierter Grenzen – berechtigt, zur Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen von Unionsrecht abzuweichen.8 3.2. Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit Geht man vor diesem Hintergrund davon aus, dass der Anwendungsbereich der Verträge eröffnet ist, so stellt sich die Frage, ob vorliegend eine offene oder zumindest versteckte Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorliegt (siehe unter 3.2.1.). Ist das der Fall, kommt es entscheidend auf eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung an (siehe unter 3.2.2.). 3.2.1. Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit Eine offene, d. h. unmittelbar an das Merkmal der Staatsangehörigkeit anknüpfende Ungleichbehandlung könnte darin gesehen werden, dass eine Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nach § 6 Abs. 4 Gesetzentwurf gegenüber deutschen Staatsangehörigen und inländischen juristischen Personen unzulässig ist. Dies gilt zwar auch gegenüber sich im Bundesgebiet aufhaltenden Personen , so dass auch in Deutschland ansässige Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten § 6 Gesetzentwurf nicht unterliegen. Dies ändert aber nichts an der Ungleichbehandlung von sich im Ausland aufhaltenden Unionsbürgern gegenüber den sich dort ebenfalls befindenden deutschen Staatsangehörigen . Aus Zeitgründen wurde vorliegend nicht geprüft, ob deutsche Staatsangehörige (und inländische juristische Personen) ggf. auf Grundlage anderer Bestimmungen – etwa des Art. 10-Gesetzes – im Ausland zum Zielobjekt nachrichtendienstlicher Tätigkeit gemacht werden können. Soweit dies der Fall ist, die nachrichtendienstliche Tätigkeit aber strengeren Anforderungen unterliegt als bei § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf, wäre ebenfalls von einer Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit auszugehen. 3.2.2. Rechtfertigung Nimmt man eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit an, so wäre in einem zweiten Schritt zu klären, ob sie gerechtfertigt sein könnte. Als Rechtfertigungsgrund könnte mit 6 Vgl. Jaeckel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim – Das Recht der Europäischen Union, Stand: 58. EL, Januar 2016, Art. 346 AEUV, Rn. 1. 7 EuGH, Urteil vom 4.03.2010, Rs. C-38/06, Rn. 62. 8 Vgl. Jaeckel, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim – Das Recht der Europäischen Union, Stand: 58. EL, Januar 2016, Art. 346 AEUV, Rn. 3 und Art. 347 AEUV, Rn. 4; Röben, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim – Das Recht der Europäischen Union, Stand: 58. EL, Januar 2016, Art. 72 AEUV, Rn. 18 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 10 Blick auf die Anwendungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf in genereller Hinsicht zwar die innere und äußere Sicherheit des Staates geltend gemacht werden. Problematisch wäre jedoch die Verhältnismäßigkeit der Mittel, insbesondere die Erforderlichkeit. Diese wäre im Kontext des Diskriminierungsverbots allerdings nicht mit Blick auf den abstrakten Eingriff durch die Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu beurteilen, sondern unter einem gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkt: Es wäre zu begründen, warum eine Ausland -Ausland-Fernmeldeerklärung gegenüber (ausländischen) Unionsbürgern in der Art und Weise erforderlich ist, nicht aber (oder ggf. nur unter strengeren Anforderungen) gegenüber eigenen Staatsangehörigen. Ob eine solche Begründung möglich ist, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers. Wie einleitend ausgeführt, enthält die Gesetzesbegründung hierzu keine Ausführungen . Mangels einschlägiger Rechtsprechung der Unionsgerichte könnte bei einem möglichen Vorliegen zudem ohnehin nicht abschließend bestimmt werden, ob sie den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen würde. 4. Unionsgrundrechte Hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf mit Unionsgrundrechten ist zwischen der Frage nach der mitgliedstaatlichen Bindung (siehe unter 4.1.) und den aus den Unionsgrundrechten folgenden materiellen Anforderungen (siehe unter 4.2.) zu unterscheiden. 4.1. Mitgliedstaatliche Bindung Nach Art. 51 Abs. 1 GRCh sind die Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte – anders als die EU und ihre Organe – nicht umfassend, sondern dem Wortlaut der Bestimmung nach nur „bei Durchführung des Unionsrecht“ gebunden. Der EuGH versteht diese Formulierung jedoch weit und geht von einer mitgliedstaatlichen Bindung der Mitgliedstaaten immer dann aus, wenn im konkreten Fall der „Anwendungsbereich des Unionsrechts“ eröffnet ist.9 Hierzu genügt nach der Rechtsprechung des EuGH das Bestehen sachlich einschlägiger Verpflichtungen und Berechtigungen , die vor allem aus dem sekundären Unionsrecht folgen können.10 Vorliegend sieht Art. 15 Abs. 1 Satz 3 RL 2002/58 sogar ein ausdrückliche Bindungspflicht der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte (und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts) vor, so dass aus unionsrechtlicher Sicht der Anwendungsbereich desselbigen als eröffnet angesehen werden könnte, obgleich sich der Rechtsprechung keine konkreten Beispiele für diesen grundrechtlichen Beachtungsbefehl entnehmen lassen. Eine auf diesem Wege erfolgende Begründung der mitgliedstaatlichen Bindung an Unionsgrundrechte könnte aus Sicht der BVerfG-Rechtsprechung allerdings als problematisch beurteilt werden . Nach dieser akzeptiert das BVerfG eine Bindung an die Unionsgrundrechte und ein Zurücktreten der grundgesetzlichen Verbürgung nur insoweit, als das nationale Recht durch das Unionsrecht determiniert wird.11 Das sei dann der Fall, wenn das Unionsrecht in der Sache inhaltliche 9 Vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2013, Rs. C-617/10, Rn. 19 ff. 10 Vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2013, Rs. C-617/10, Rn. 24 ff. 11 Vgl. BVerfGE 133, 277, Rn. 88 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 11 Vorgaben, Gebote oder Verbote enthalte. Fehle es hieran, sind mitgliedstaatliche Maßnahmen an nationalen Grundrechten zu messen. Vorliegend fehlt es an inhaltlichen Vorgaben, da Art. 1 Abs. 3 RL 2002/58 die Anwendung dieser Richtlinie bzw. der harmonisierten Vorgaben für den hier relevanten Bereich ausschließt. Mit Ausnahme des Art. 18 Abs. 1 AEUV, dessen Anwendung vorliegend wohl entscheidend (nur) über Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 begründet werden kann, bestehen hier in der Sache auch keine Verbote oder Gebote, sondern eben nur die aus Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 folgende unionsgrundrechtliche Beachtungspflicht. Ob diese den Anforderungen des BVerfG an die Unionsgrundrechtsbindung genügt, lässt sich vorliegend nicht abschließend bestimmen . Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der EuGH in Fällen, in denen das Unionsrecht – wie hier – das nationale Recht „nicht vollständig bestimmt“, von einer ausschließlichen Prüfung am Maßstab unionaler Grundrechte absieht und eine parallele Anwendung nationaler Grundrechte zulässt, soweit hierdurch weder das Schutzniveau der Grundrechte-Charta, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden.12 Dies setzt aber voraus, dass der betreffende Sachverhalt – hier die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten nach § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf – auch am Maßstab nationaler Grundrechte gemessen werden . Wäre dies der Fall, so würde anschließend zu prüfen sein, ob die Anwendung nationaler Grundrechte nicht zu einer Beeinträchtigung des Schutzniveaus der Grundrechte-Charta oder des Vorrangs, der Einheit und der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde. Eine Antwort hierauf ist in diesem Rahmen nicht möglich. Hinsichtlich der Problematik der territorialen Reichweite der nachrichtendienstlichen Tätigkeit wird auf die Ausführungen oben unter 3.1. verwiesen. 4.2. Materielle Anforderungen der Unionsgrundrechte Geht man im Weiteren von einer Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte aus, so stellt sich die Frage nach den daraus folgenden materiellen Vorgaben für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit im Sinne des § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf. Von Bedeutung sind hierbei die in der Anfrage genannten Art. 7 und 8 GRCh als auch das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 47 GRCh. Welche Vorgaben sich hieraus ergeben, lässt sich den Ausführungen des EuGH im Schrems-Urteil entnehmen.13 Zwar bezog sich diese Rechtssache u. a. auf die Zulässigkeit des Datentransfers von der EU in die USA auf Grundlage der sog. Safe-Harbor-Grundsätze. Mit Blick auf die Snowden -Enthüllungen ergriff der EuGH in diesem Urteil die Gelegenheit, um das unionsrechtliche Daten- und Rechtsschutzniveau zu beschreiben, das etwa im Fall von staatlichen Maßnahmen aus Gründen der legitimen nationalen Sicherheit eingehalten werden muss:14 „Zu dem innerhalb der Union garantierten Schutzniveau der Freiheiten und Grundrechte ist festzustellen, dass eine Unionsregelung, die einen Eingriff in die durch die 12 EuGH, Urteil vom 26.02.2013, Rs. C-617/10, Rn. 29. 13 EuGH, Urteil vom 6.10.2015, Rs. C-362/14, Rn. 67 ff. 14 Vgl. EuGH, Urteil vom 6.10.2015, Rs. C-362/14, Rn. 88, 91 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 12 Art. 7 und 8 der Charta garantierten Grundrechte enthält, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung einer Maßnahme vorsehen und Mindestanforderungen aufstellen muss, so dass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer Daten vor Missbrauchsrisiken sowie vor jedem unberechtigten Zugang zu diesen Daten und jeder unberechtigten Nutzung ermöglichen. Das Erfordernis, über solche Garantien zu verfügen, ist umso bedeutsamer, wenn die personenbezogenen Daten automatisch verarbeitet werden und eine erhebliche Gefahr des unberechtigten Zugangs zu ihnen besteht […]. Darüber hinaus verlangt der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens auf Unionsebene vor allem, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken […]. Nicht auf das absolut Notwendige beschränkt ist eine Regelung, die generell die Speicherung aller personenbezogenen Daten sämtlicher Personen, deren Daten aus der Union in die Vereinigten Staaten übermittelt wurden, gestattet, ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des verfolgten Ziels vorzunehmen und ohne ein objektives Kriterium vorzusehen, das es ermöglicht, den Zugang der Behörden zu den Daten und deren spätere Nutzung auf ganz bestimmte, strikt begrenzte Zwecke zu beschränken, die den sowohl mit dem Zugang zu diesen Daten als auch mit deren Nutzung verbundenen Eingriff zu rechtfertigen vermögen […]. Insbesondere verletzt eine Regelung, die es den Behörden gestattet, generell auf den Inhalt elektronischer Kommunikation zuzugreifen, den Wesensgehalt des durch Art. 7 der Charta garantierten Grundrechts auf Achtung des Privatlebens […]. Desgleichen verletzt eine Regelung, die keine Möglichkeit für den Bürger vorsieht, mittels eines Rechtsbehelfs Zugang zu den ihn betreffenden personenbezogenen Daten zu erlangen oder ihre Berichtigung oder Löschung zu erwirken, den Wesensgehalt des in Art. 47 der Charta verankerten Grundrechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz. Nach Art. 47 Abs. 1 der Charta hat nämlich jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Insoweit ist schon das Vorhandensein einer wirksamen, zur Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dienenden gerichtlichen Kontrolle dem Wesen eines Rechtsstaats inhärent […].“15 Insbesondere für Grundrechtseingriffe in Art. 7 GRCh stellt der EuGH mit der Formulierung, wonach diese auf das absolut Notwendige beschränkt werden müssen, hohe Hürden auf. Den anschließenden generellen Beispielen lässt sich allerdings nur entnehmen, wann diese Grenzen (in 15 EuGH, Urteil vom 6.10.2015, Rs. C-362/14, Rn. 91 bis 95. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 99/16 Seite 13 negativer Hinsicht) nicht eingehalten werden. Welche Voraussetzungen in positiver Hinsicht bestehen müssen, um die unionalen Grundrechtsanforderungen in diesem Bereich zu erfüllen, lässt sich der Rechtsprechung des EuGH hingegen nicht entnehmen. Blickt man mit diesen Vorgaben auf § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf, so spricht viel dafür, dass durch diese Bestimmung eine generelle Speicherung „aller personenbezogenen Daten sämtlicher Personen […], ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des verfolgten Ziels vorzunehmen und ohne ein objektives Kriterium vorzusehen, das es ermöglicht, den Zugang der Behörden zu den Daten und deren spätere Nutzung auf ganz bestimmte, strikt begrenzte Zwecke zu beschränken“ gerade nicht gestattet ist. Auch dürfte die Regelung keinen generellen Zugriff auf den Inhalt elektronischer Kommunikation ermöglichen. Eine abschließende Bewertung dieser Fragen lässt sich allerdings aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit in diesem Rahmen nicht vornehmen. Im Übrigen bedeutet die Einhaltung der vom EuGH formulierten negativen Grundrechtsgrenzen nicht zugleich, dass ein ungerechtfertigter Verstoß gegen Art. 7 GRCh ausgeschlossen ist. Einer besonderen Erörterung bedürfte ferner der Aspekt des Rechtsschutzes. Ob und inwieweit Unionsbürgern im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf wirksame Rechtsbehelfe im Sinne des Art. 47 GRC zustehen, lässt sich vorliegend angesichts der Kürze der Zeit ebenfalls nicht beurteilen. Nach dem derzeit geltenden § 7 BND-Gesetz besteht ein Auskunftsanspruch unter den Voraussetzungen des § 15 BVerfSchG. Gegen dessen Ablehnung dürfte Rechtsschutz nach allgemeinen (innerstaatlichen) Grundsätzen bestehen, so dass jedenfalls die im Schrems-Urteil aufgestellten negativen Grenzen eingehalten sein dürften. 5. Fazit Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine abschließende Entscheidung über die Vereinbarkeit des § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf mit Unionsrecht, insbesondere mit Art. 18 Abs. 1 AEUV und Unionsgrundrechten, mangels einschlägiger Rechtsprechung der Unionsgerichte zwar nicht möglich ist. Dennoch spricht insbesondere der Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 RL 2002/58 für eine Bindung der Mitgliedstaaten an die genannten Individualrechte bei Tätigkeiten zum Schutz der Sicherheit des Staates, die auf eine Speicherung, Verarbeitung und Verwendung von personenbezogenen Daten im Rahmen elektronischer Kommunikation hinauslaufen. Ob und inwieweit sodann die materiellen Anforderungen des Art. 18 Abs. 1 AEUV sowie der einschlägigen Unionsgrundrechte durch § 6 Abs. 3 Gesetzentwurf im Einzelnen eingehalten werden, konnte im Rahmen dieser Ausarbeitung nur skizziert werden. – Fachbereich Europa –