© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 99/15 Investitionsschutzabkommen der EU und ihre Auswirkungen auf Kommunen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 2 Investitionsschutzabkommen der EU und ihre Auswirkungen auf Kommunen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 99/15 Abschluss der Arbeit: 2. September 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Bewertung von Aussagen in der Publikation im Zusammenhang mit dem TTIP-Verhandlungsmandat 4 2.1. Hintergrund der Fragestellung 4 2.2. Bewertung der Aussage betreffend einen Verstoß gegen Investitionsschutzabkommen 5 2.2.1. Allgemeiner Rahmen von Investitionsschutzverträgen 5 2.2.2. Materielle Investitionsschutzrechte 6 2.2.2.1. Verletzung der Schirmklausel („umbrella clause“) 6 2.2.2.2. Verletzung des Grundsatzes der fairen und billigen Behandlung („fair and equitable treatment“) 7 2.2.2.3. Enteignungsschutz 8 2.2.3. Beispiel: Materielle Investitionsschutzbestimmungen des CETA 8 2.2.3.1. Anspruch auf Marktzugang und Gleichbehandlung 9 2.2.3.2. Bestandschutz – Grundsatz gerechter und billiger Behandlung (fair and equitable treatment) 10 2.2.3.3. Bestandschutz – Anspruch auf vollen Schutz und Sicherheit (full protection and security) 11 2.2.3.4. Bestandschutz – Anspruch auf Entschädigung bei Verlusten in Notstandsituationen (compensation for losses) 11 2.2.3.5. Bestandschutz – Schutz gegen Enteignungen und enteignungsgleiche Eingriffe 11 2.2.4. Zusammenfassung 13 2.3. Bewertung der Aussage betreffend die einheitliche Verpflichtung und völkerrechtliche Verantwortlichkeit 13 2.3.1. Völker- und europarechtliche Grundsätze der Verantwortlichkeit 13 2.3.2. Verfassungsrechtliche Grundsätze der Verantwortlichkeit 14 2.3.3. Innerstaatliche Haftungsverteilung und Regress 14 2.3.4. Zusammenfassung 15 3. Bewertung der Auswirkungen von Investitionsschutzbestimmungen auf Gemeinden 16 3.1. Hintergrund der Fragestellung 16 3.2. Bewertung 16 3.2.1. Enteignungsverbot 17 3.2.2. Grundsatz der gerechten und billigen Behandlung 18 3.3. Folgerungen 19 4. Bewertung der Möglichkeit, dass Bürgermeister oder andere kommunale Amtsträge aufgrund von Investitionsschutzbestimmungen verklagt werden können 19 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung behandelt verschiedene Fragen betreffend die Wirkungen von potenziellen Investitionsschutzregelungen . Die Fragestellungen, zu denen gutachtlich Stellung bezogen wird, zielen auf das projektierte Abkommen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) zwischen der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten von Amerika ab. Die Verhandlungen hierüber insgesamt und insbesondere im Hinblick auf den Investitionsschutzteil dauern gegenwärtig an. Dem Fachbereich liegt keine valide Textfassung für ein TTIP-Abkommen vor, auf deren Grundlage die Ausgestaltung materieller und prozessualer Investorenschutzrechte im TTIP-Abkommen abschließend bewertet werden könnte. Insbesondere steht nach dem derzeitigen Verhandlungsstand weder fest, ob es im TTIP-Abkommen einen investitionsschutzrechtlichen Streitbeilegungsmechanismus geben noch wie dieser ausgestaltet sein wird. Daher gehen die folgenden Ausführungen primär von den allgemeinen Grundsätzen des völkervertraglichen Investitionsschutzes sowie ergänzend von den entsprechenden Bestimmungen des zwischen der EU und Kanada ausgehandelten Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) aus. Die hieraus resultierenden Schlüsse können jedoch nicht die Beurteilung der spezifischen Wirkungen entsprechender Bestimmungen des TTIP-Abkommens präjudizieren. 2. Bewertung von Aussagen in der Publikation im Zusammenhang mit dem TTIP-Verhandlungsmandat 2.1. Hintergrund der Fragestellung Den Hintergrund der ersten Fragestellung dieser Ausarbeitung bildet die folgende Passage mit der Überschrift „Vor wem schützen Sie [d.h. Investoren, Anm. d. Verf.] Investitionsschutzabkommen “ in der Publikation »„Hilfe, ich werde enteignet!” Abkommen schützen Auslandsinvestitionen « der Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing „Germany Trade and Invest – GTAI“: „Die Verpflichtungen eines Investitionsschutzabkommens verpflichten den Staat als Einheit und damit Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Sowohl der Erlass neuer Gesetze durch das Parlament als auch die Anwendung bestehender Gesetze durch die Behörden oder die Entscheidung eines bestimmten Falls durch die Gerichte können gegen ein Investitionsschutzabkommen verstoßen. Ferner ist der Staat völkerrechtlich für das Handeln von Teilstaaten, Ländern und Gemeinden verantwortlich. Die innerstaatliche Macht- und Kompetenzverteilung ist unerheblich. Somit kann auch das Handeln eines Bürgermeisters zu Schadensersatzansprüchen gegen den Staat als Ganzes führen.“ Mit Blick auf diese Aussagen wird ergänzend auf eine Passage der Leitlinien für die Verhandlungen über TTIP zwischen der EU und den USA (im Folgenden: Verhandlungsmandat)1 verwiesen: 1 Rats-Dok. 11103/13, abrufbar unter http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-11103-2013-DCL- 1/de/pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 5 „Das Investitionsschutzkapitel des Abkommens sollte von allen Behörden und sonstigen Stellen auf subzentraler Ebene (zum Beispiel Staaten oder Gemeinden) eingehalten werden .“ Vor diesem Hintergrund wird die Frage aufgeworfen, wie die in der Publikation getroffenen Aussagen im Zusammenhang mit dem Verhandlungsmandat zu bewerten sind. 2.2. Bewertung der Aussage betreffend einen Verstoß gegen Investitionsschutzabkommen Die Aussage der Publikation, „Sowohl der Erlass neuer Gesetze durch das Parlament als auch die Anwendung bestehender Gesetze durch die Behörden oder die Entscheidung eines bestimmten Falls durch die Gerichte können gegen ein Investitionsschutzabkommen verstoßen“ wird aus hiesiger Sicht dahingehend verstanden, dass aus einem Investitionsschutzabkommen Bindungen für die nationalen Gesetzgeber und Behörden resultieren können, die diese in ihren Handlungsmöglichkeiten beschränken. Zur Bewertung dieser Aussage werden im Folgenden zunächst die Hintergründe von Investitionsschutzverträgen (hierzu 2.2.1.) sowie der materiellen Investitionsschutzrechte dargestellt (hierzu 2.2.2.), bevor abschließend auf die entsprechenden Regelungen im CETA eingegangen wird (hierzu 2.2.3.). 2.2.1. Allgemeiner Rahmen von Investitionsschutzverträgen Die vorstehend genannte Passage zielt im ersten Absatz zunächst auf den Verpflichtungsumfang von Investitionsschutzabkommen ab. Der Begriff „Verpflichtungen eines Investitionsschutzabkommens “ bezieht sich aus hiesiger Sicht auf die Bestimmungen sowohl zur Zulassung als auch zum Schutz von Auslandsinvestitionen entsprechend dem Ziel von bi- und multilateralen sog. Investitionsförderungs- und -schutzverträgen2 (IFV)3, einen sicheren Rechtsrahmen für Investitionen in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu schaffen.4 Zu diesem Zweck enthalten IFVs verschiedene Rechte, auf die sich der Investor gegenüber dem jeweils fremden Vertragsstaat berufen kann. Hierzu zählen beispielsweise das Recht auf gerechte und billige Behandlung, das Verbot von willkürlichen oder diskriminierenden Maßnahmen, das Recht auf Inländergleichbehandlung und Meistbegünstigung sowie Enteignungsregelungen.5 Darüber hinaus sehen diese Abkommen Regeln zur Durchsetzung dieser Rechte in Form von Streitbeilegungsmechanismen im Verhältnis zwischen (privatrechtlichen) Investoren und dem Gaststaat vor, d.h. jenem Staat, in welchem die Investition getätigt wird (Investor-state dispute settlement, ISDS). ISDS-Verfahren räumen den (privaten) Investoren aus einem Vertragsstaat das Recht ein, den jeweils anderen 2 Im Englischen „Bilateral Investment Treaties (BITs)“, „Multilateral Investment Treaties (MITs)“ oder allgemein „International Investment Agreements (IIAs)“. 3 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2011, § 23, Rn. 8. Nach Angaben der Germany Trade & Invest wurden die derzeit weltweit meisten IVFs von Deutschland abgeschlossen (141, davon sind 126 in Kraft), online abrufbar unter http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Recht-Zoll/wirtschafts-und-steuerrecht ,did=56586.html. 4 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, Kap. 4, Rn. 103. 5 Vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2011, § 23, Rn. 14 ff.; Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, Kap. 4, Rn. 195. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 6 Vertragsstaat bei Nichteinhaltung der den Investor betreffenden Vertragsbestimmungen vor einem internationalen Schiedsgericht auf Zahlung einer Entschädigung zu verklagen.6 2.2.2. Materielle Investitionsschutzrechte Die Aussage der Publikation ist vor dem Hintergrund der materiellen Investitionsschutzrechte des jeweiligen Abkommens zu bewerten.7 Jedes Abkommen regelt den spezifischen Gegenstand, das Ausmaß, die Ausgestaltung und weitere Besonderheiten des Schutzes ausländischer Investitionen im Gaststaat und die damit einhergehenden Rechten und Pflichten der daran beteiligten Parteien. Während der deutsche Mustervertrag und die ICSID-Convention bestimmte prozessuale Regeln enthalten, ist deswegen eine pauschalisierte Auflistung von Klagegründen, die in materiell -rechtlicher Hinsicht ein schiedsrichterliches Streitbeilegungsverfahren auslösen können, nicht möglich. Die meisten IFVs enthalten jedoch bestimmte Standardklauseln, aus denen sich allgemeine investitionsschützende Grundsätze ableiten lassen. Dabei können Klagen gegen Entscheidungen von Gesetzgebern oder Behörden, aus denen eine Beeinträchtigung von Investitionen resultiert, insbesondere auf die im Folgenden dargestellten investitionsschützenden Grundprinzipien gestützt werden. 2.2.2.1. Verletzung der Schirmklausel („umbrella clause“) IFVs enthalten regelmäßig eine sog. Schirmklausel (oder „umbrella clause“), die besagt, dass jeder Vertragsstaat jede andere Verpflichtung (d.h. seine außerhalb des BITs übernommene Verpflichtungen 8) einzuhalten hat, die er in Bezug auf Kapitalanlagen von Investoren des anderen Vertragsstaats auf seinem Hoheitsgebiet übernommen hat (vgl. z.B. Art. 7 Abs. 2 des deutschen Mustervertrags). Jedoch ist uneindeutig, ob darunter jegliche Vereinbarungen zwischen Investor und Gaststaat sowie einseitige Zusagen des Gaststaates gegenüber dem Investor fallen, die dadurch den Rang einer völkerrechtlichen Verpflichtung verliehen bekommen, so dass ihre Nichterfüllung eine vor dem Schiedsgericht einklagbare Völkerrechtsverletzung darstellen würde.9 Die Praxis der internationalen IFV-Schiedsgerichtsbarkeit spricht dafür, dass eine solche Schirmklausel in der Tat einen eigenständigen völkerrechtlichen Verpflichtungsgehalt genießt.10 Als Konsequenz könnten auch Verletzungen des Gaststaates gegenüber dem Investor nach dem einschlägigen nationalen Recht dank einer entsprechender Schirmklausel in dem IFV zugleich 6 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, Kap. 4, Rn. 350 ff. 7 Classen, Der EuGH und die Schiedsgerichtsbarkeit in Investitionsschutzabkommen, EuR 2012, S. 611 (621). 8 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 340. 9 Vgl. ICSID, Noble Ventures Inc. v. Romania, Case No. ARB/01/11 (Award) 2005, Nr. 46 ff.; anders jedoch: ICSID, SGS v. Republic of Pakistan, Case No. ARB/01/13, Decision on Jurisdiction, ILM 42 (2003), S. 1290, Nr. 172. 10 Vgl. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 341 m.w.N. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 7 als Verletzung des Investitionsschutzabkommens im Wege der schiedsgerichtlichen Streitbeilegung eingeklagt werden.11 2.2.2.2. Verletzung des Grundsatzes der fairen und billigen Behandlung („fair and equitable treatment“) Ein anderer Grundsatz im Bereich des vertraglichen Investitionsschutzes ist die Garantie der fairen und billigen Behandlung („fair and equitable treatment“) von ausländischen Investitionen auf dem Hoheitsgebiet des Gaststaates.12 Danach genießen ausländische Investoren und Investitionen einen Mindeststandard an Gewährleistung von „full protection and security“ durch den Gaststaat (vgl. Art. 2 des deutschen Mustervertrags). Der Kern dieser Garantie deckt sich in der Regel mit dem völkergewohnheitsrechtlichen Minimumstandard bei der Behandlung von Fremden durch den Gaststaat.13 Nach der schiedsrichterlichen Praxis setzt eine Verletzung dieses Grundsatzes ein willkürliches, empörendes oder böswilliges Verhalten oder einen groben Sorgfaltsverstoß voraus (sog. Neer-Formel).14 Neuerdings wird der Standard der fairen und billigen Behandlung in einer investorfreundlichen Art und Weise vor allem als Ausdruck des Grundsatzes von Treu und Glauben im Hinblick auf Änderungen der Rechtslage und des Vertrauensschutzes hinsichtlich legitimer Erwartungen und der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen gedeutet.15 Verletzungen des „fair and equitable treatment“ Gebots können i.d.R. vor einem Schiedsgericht gerügt werden und eine Pflicht des verletzenden Gaststaats zu umfassenden finanziellen Entschädigungen begründen.16 Voraussetzung für eine auf einer Verletzung dieses Grundsatzes beruhende Klage ist jedoch grds. die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges des jeweiligen Gaststaates („local remedies rule“).17 Die Rechtswegerschöpfung wird jedoch ausnahmsweise in Fällen nicht vorausgesetzt, in denen die unfaire und/oder unbillige Behandlung durch Akte der Exekutive oder des Gesetzgebers des Gaststaates erfolgt.18 11 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 341. 12 Vgl. dazu Dolzer, Fair and Equitable Treatment: A Key Standard in Investment treaties, The International Lawyer 39 (2005), S. 87 ff. 13 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 342, 343 m.w.N. 14 US-Mexican General Claims Commission, United States v. Mexico, RIAA 4 (1926), S. 60; ICSID (Additional Facility ), Waste Management Inc. v. United Mexican States, Case No. ARB(AF)/98/2, ILM 43 (2004), S. 9 Nr. 98. 15 ICSID (Additional Facility), Tecmed S.A. v. The United Mexican States, Case No. ARB(AF)/00/2, ILM 43 (2004), S. 133. 16 Vgl. ICSID, CMS GAS Transmission Co. v. Argentine Republic, Case No. ARB/01/8, ILM 44 (2005), S. 1205, Nr. 399 ff. 17 Vgl. ICSID (Additional Facility), The Loewen Group Inc. & Raymond Loewen v. United States of America, Case No. ARB(AF)/98/3, Final Award. 18 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 347. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 8 2.2.2.3. Enteignungsschutz Ein anderer wichtiger Schutzmechanismus in Investitionsabkommen stellt das Verbot von (de facto) Enteignungen oder enteignungsgleichen Maßnahmen dar (vgl. Art. 4 Abs. 2 des deutschen Mustervertrags).19 Eine durch die Schiedsgerichte im Rahmen einer Investorklage festgestellte Verletzung dieses Grundsatzes führt zu einer Entschädigungspflicht des Gaststaates. Für das Vorliegen einer Enteignung ist von Bedeutung, ob und inwieweit die in Frage kommende Maßnahme des Gaststaates die Renditebasis der getätigten Investition mindert oder vernichtet. Die Schiedsgerichte ziehen bei dieser Beurteilung eine verhältnismäßige Beziehung zwischen dem dem Investor zugefügten Schaden und der staatlichen Zwecksetzung heran.20 Problematisch ist die Feststellung einer (de facto) Enteignung, wenn die betroffene Kapitalanlage des Investors an sich unberührt bleibt, aber die Renditebasis nachhaltig beeinträchtigt, aber nicht im Kern zerstört wird, wobei der Gaststaat keinen unmittelbaren Vorteil davon zieht.21 In solchen Fällen ist in der neuen schiedsrichterlichen Praxis die Tendenz festzustellen, dass die aus der jeweiligen Maßnahme des Gaststaates resultierenden Entschädigungsansprüche nicht auf eine - wie gesehen - schwer begründbare Enteignung gestützt werden, sondern auf dem „fair and equitable treatment“ Prinzip.22 2.2.3. Beispiel: Materielle Investitionsschutzbestimmungen des CETA Die in der Publikation angesprochenen investitionsschutzrechtlichen Folgen für Entscheidungen der nationalen Gesetzgeber und Behörden sind abhängig von den konkreten Investitionsschutzbestimmungen . Als Beispiel für potenzielle Beschränkungen wird im Folgenden auf die projektierten Bestimmungen des CETA zum Investitionsschutz eingegangen. Neben den Marktzugangsregelungen und dem Anspruch auf Nichtdiskriminierung (hierzu 2.2.3.1.)23 enthält das CETA insbesondere einen Bestandschutz bei legislativem Handeln. Dieser Bestandsschutz ist in vier Ausprägungen gewährleistet: Schutz gegen Verletzung des Grundsatzes gerechter und billiger Behandlung (hierzu 2.2.3.2.), Anspruch auf vollen Schutz und Sicherheit für ausländische Investoren (hierzu 2.2.3.3.), Entschädigung für Verluste bei Krieg, Notstand und weiteren Krisen (hierzu 2.2.3.4.), Schutz vor entschädigungslosen Enteignungen und enteignungsgleichen Eingriffen durch den Gesetzgeber (hierzu 2.2.3.5.). 19 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 350. 20 ICSID, Tecmed S.A. v. The United Mexican States, Case No. ARB(AF)/00/2, ILM 43 (2004), S. 133. 21 Vgl. ICSID, CMS GAS Transmission Co. v. Argentine Republic, Case No. ARB/01/8, ILM 44 (2005), S. 1205, Nr. 252 ff. 22 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 347 a.E. 23 Vgl. Ausarbeitung PE6 – 3000 – 141/14 v. 15. August 2014 (EU-Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel aus mit GVO gefütterten Tieren), S. 8 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 9 2.2.3.1. Anspruch auf Marktzugang und Gleichbehandlung In Kapitel 10 Abschnitt 2 Art. X.5 CETA (Performance Requirements) sowie Kapitel 10 Abschnitt 2 Art. X.4 CETA werden bestimmte wettbewerbsbeschränkende Marktzugangsschranken im Hinblick auf handelsrelevante Investitionsmaßnahmen für unzulässig erklärt. Darüber hinaus regelt Kapitel 10 Abschnitt 3 Art. X.6 CETA (National Treatment) den grundsätzlichen Anspruch ausländischer Investoren auf Gleichbehandlung mit inländischen Investoren sowie in Kapitel 10 Abschnitt 3 Art. X.7 CETA (Most-Favoured-Nation Treatment) einen entsprechenden Anspruch von Investoren aus Drittstaaten, ohne das jedoch vorteilhaftere Behandlungsstandards aus Drittabkommen zur Anwendung kommen können (Kapitel 10 Abschnitt 3 Art. X.7 Abs. 4 S. 2 CETA). Die Ansprüche auf Gleichbehandlung beziehen sich jeweils auf den Marktzugang sowie die Erweiterung , den Betrieb, Erhalt und die Disposition der Investition im jeweiligen Territorium.24 Dabei ist der Anspruch davon abhängig, dass sich der ausländische Investor in einer vergleichbaren Situation wie der inländische Investor befindet (like situations, Kapitel 10 Abschnitt 3 Art. X.6 Abs. 1, Art. X.7 Abs. 1 CETA). Im Hinblick auf den Anspruch auf Gleichbehandlung ist zu berücksichtigen, dass das CETA eine Vielzahl von Ausnahmeregelungen vorsieht. Dies betrifft insbesondere sektorspezifische Ausnahmen,25 Ausnahmen für bestimmte Bereiche staatlichen Handelns26 und insbesondere den Bereich des Steuerwesens,27 Ausnahmen für bereits bestehende diskriminierende Maßnahmen28 oder allgemeine Ausnahmen entsprechend GATT Art. XX (General Exceptions)29 zum Schutz bestimmter Güter wie beispielsweise der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.30 Schließlich sieht Kapitel 10 Abschnitt 4 Art. X.12 CETA das Verbot von Beschränkungen des Kapitalverkehrs im Hinblick auf getätigte Investitionen insbesondere hinsichtlich der Rückführung von investiertem Kapital und seiner Erträge vor. 24 Zur Reichweite des Meistbegünstigungsgrundsatzes vgl. Emilio Augustín Maffezini v. The Kingdom of Spain, ICSID Case No. ARB/97/7, Decision on the Objections to Jurisdiction v. 25. Januar 2000, 5 ICSID Report 2002, Rn. 38 ff., abrufbar unter http://italaw.com/documents/Maffezini-Jurisdiction-English_001.pdf sowie Reinisch, How Narrow are Narrow Dispute Settlement Clauses in Investment Treaties?, in: JIDS 2011, S. 115 ff. 25 Vgl. Kapitel 10 Abschnitt 1 Art. X.1 Abs. 2 lit. b) CETA (Dienstleistungen im Luftverkehrsbereich); Kapitel 10 Abschnitt 1 Art. X.1 Abs. 3 CETA (audiovisuelle Dienstleistungen für die EU/Kulturindustrie für Kanada). 26 Vgl. Kapitel 10 Abschnitt 1 Art. X.1 Abs. 2 lit c) CETA, Kapitel 10 Abschnitt 5 Art. X.14 Abs. 5 lit. a) CETA (Vergaberecht); Kapitel 10 Abschnitt 5 Art. X.14 Abs. 2 lit. b) CETA (Subventionen). 27 Kapitel 32 Art. X.06 CETA. 28 Kapitel 10 Abschnitt 5 Art. X.14 Abs. 1 lit. a) und b) CETA iVm Annex I CETA (existing non‐conforming measures ). 29 Abrufbar unter http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/gatt47_02_e.htm#articleXX. 30 Kapitel 32 Art. X.02 Abs. 1 CETA. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 10 2.2.3.2. Bestandschutz – Grundsatz gerechter und billiger Behandlung (fair and equitable treatment ) Der Grundsatz der gerechten und billigen Behandlung entspricht dem völkerrechtlichen Standard bei der Behandlung von Fremden durch den Gaststaat und umfasst insbesondere das rechtstaatliche Prinzip der Beständigkeit rechtlicher Normen und der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns sowie den Grundsatz des Vertrauensschutzes.31 Nach der schiedsrichterlichen Praxis setzt eine Verletzung dieses Grundsatzes ein willkürliches bzw. böswilliges Verhalten oder einen groben Sorgfaltsverstoß voraus.32 Von besonderer Bedeutung für die Rechtmäßigkeit legislativer Maßnahmen ist zudem der Aspekt des Vertrauensschutzes: Wenn sich durch gesetzgeberische Maßnahmen grundlegende Garantien oder Rahmenbedingungen ändern, kann dies insbesondere bei rückwirkenden Gesetzen eine Pflicht des verletzenden Gaststaats zu umfassenden finanziellen Entschädigungen begründen.33 Dies bedeutet aber nicht, dass legislatives Handeln nach Abschluss eines Freihandelsabkommens im Sinne einer „Stillhaltepflicht“ für den Gesetzgeber grundsätzlich verboten ist. Der Vertrauensschutz schützt vor willkürlichem und intransparentem Verhalten des Gaststaates, auch bei der Gesetzgebung.34 Dies gilt beispielsweise dann, wenn zum Abschluss des Abkommens bereits bestehende Regelungen unerwartet zurückgenommen werden .35 In Kapitel 10 Art. X.9 CETA wird der Grundsatz des fair and equitable treatment gegenüber früheren Investitionsschutzabkommen weitergehend konkretisiert. Eine Klagemöglichkeit besteht nur dann, wenn einer der Tatbestände aus Abs. 2 erfüllt ist. Der Vertrauensschutz („legitimate expectations“) wird nur in Abs. 4 angesprochen und soll lediglich berücksichtigt werden („may 31 Kuijper/Pernice/Hindelang/Schwarz/Reuling, Study Investor-State Dispute Settlement (ISDS). Provisions in the EU’s international investment agreements, September 2014, S.16; Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren in Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers, Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium , August 2014, S. 11; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 342, 343 m.w.N. 32 US-Mexican General Claims Commission, United States v. Mexico, RIAA 4 (1926), S. 60; ICSID (Additional Facility ), Waste Management Inc. v. United Mexican States, Case No. ARB(AF)/98/2, ILM 43 (2004), S. 9 Nr. 98. 33 Vgl. ICSID, CMS GAS Transmission Co. v. Argentine Republic, Case No. ARB/01/8, ILM 44 (2005), S. 1205, Nr. 399 ff. Schill. Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren in Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers. Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium, August 2014. S. 12. 34 Vgl. ICSID, Tecmed S.A. v. The United Mexican States. Case no. ARB(AF)/00/2, ILM 43 (2004), Nr. 154. 35 ICSID, Tecmed S.A. v. The United Mexican States. Case no. ARB(AF)/00/2, ILM 43 (2004), Nr. 154. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 11 take into account“). Dies lässt darauf schließen, dass der Prüfungsmaßstab im CETA in dieser Hinsicht „extrem zurückhaltend und souveränitätsschonend“ 36 ist. Vor diesem Hintergrund ist die bisherige Rechtsprechung der Schiedsgerichte, insbesondere im Hinblick auf die strengen Anforderungen an den Vertrauensschutz, nicht umfassend auf zukünftige Investitionsschutzklagen im Rahmen des CETA übertragbar. 2.2.3.3. Bestandschutz – Anspruch auf vollen Schutz und Sicherheit (full protection and security) Kapitel 10 Abschnitt 4 Art. X.9 Abs. 1 und 5 CETA normiert einen Anspruch auf vollen Schutz und Sicherheit (full protection and security). In der schiedsgerichtlichen Rechtsprechung wird dieser Anspruch als umfassende Schutzpflicht des Staates vor staatlichen und privaten Eingriffen auch mittels Rechtsdurchsetzungsmechanismen verstanden und wurde beispielsweise dann als verletzt angesehen, wenn ein Staat keinen Polizeischutz gegen gewalttätige Demonstranten gewährt oder Betriebsstätten des Unternehmens rechtswidrig zerstört werden.37 Demgegenüber wird der Anspruch im CETA im Kapitel 10 Abschnitt 4 Art. X.9 Abs. 5 CETA auf vollen Schutz und Sicherheit für die „physische Sicherheit“ für Investoren und Investitionen durch die jeweilige Exekutive begrenzt. 2.2.3.4. Bestandschutz – Anspruch auf Entschädigung bei Verlusten in Notstandsituationen (compensation for losses) Kapitel 10 Abschnitt 4 Art. X.10 CETA gewährt einen Schutz in Form von Entschädigungen für Verluste (compensation for losses), die durch Krieg, Naturkatastrophen oder andere Notsituationen entstehen. Diese Klausel ist standardmäßig in Investitionsschutzabkommen enthalten, kommt jedoch selten zur Anwendung.38 2.2.3.5. Bestandschutz – Schutz gegen Enteignungen und enteignungsgleiche Eingriffe Kapitel 10 Art. X.11 CETA statuiert das Verbot von Enteignungen oder enteignungsgleichen Maßnahmen . Geschützt werden Investoren vor Nationalisierungen, Enteignungen und Maßnahmen, 36 Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren in Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers, Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium, August 2014, S. 14. Vgl. dazu Kuijper/ Pernice/Hindelang/Schwarz/Reuling. Study Investor-State Dispute Settlement (ISDS). Provisions in the EU’s international investment agreements, September 2014, S. 17. 37 Vgl. ICSID, American Manufacturing and Trading, Inc v. Republic of Zaire, Case No. ARB/93/1, ILM 36 (1997) S. 1531, Rn. 6.04 ff. 38 Schill, Gutachten, S. 15; Vgl. Kuijper/Pernice/Hindelang/Schwarz/Reuling. Study Investor-State Dispute Settlement (ISDS). Provisions in the EU’s international investment agreements, September 2014, S. 17. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 12 die einer Enteignung bzw. Nationalisierung gleichkommen.39 Auch Umweltauflagen können beispielsweise eine solche indirekte Enteignung darstellen.40 Eine durch die Schiedsgerichte im Rahmen einer Investorenklage festgestellte Verletzung dieses Grundsatzes führt zu einer Entschädigungspflicht des Gaststaates.41 Für das Vorliegen einer Enteignung ist von Bedeutung, ob und inwieweit die in Frage kommende Maßnahme des Gaststaates die Renditebasis der getätigten Investition mindert oder vernichtet. Die Schiedsgerichte legen dieser Beurteilung eine verhältnismäßige Beziehung zwischen dem Investor zugefügten Schaden und der staatlichen Zwecksetzung zugrunde.42 Erst bei einer Unverhältnismäßigkeit wird die Enteignungsschwelle als überschritten erachtet. Bei der Änderung von Rahmenbedingungen „im Interesse des Umweltschutzes, Gesundheitsschutzes und anderer Allgemeinbelange“ ist diese Schwelle besonders hoch.43 In der Ausgestaltung des Enteignungsverbotes im CETA fehlt ein Hinweis auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung . Die Zielsetzung der Maßnahme ist gleichwohl auch im CETA ausschlaggebend für die Rechtmäßigkeit der enteignungsgleichen Maßnahme. Kapitel 10 Annex X. 11 Abs. 3 CETA nimmt gesetzgeberische Maßnahmen, die dem Allgemeinwohl dienen („public welfare objectives “), ausdrücklich vom Enteignungsverbot aus. Hierunter fallen insbesondere Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit, Sicherheit und Umwelt („health, security and environment“). Enteignungen und enteignungsgleiche Maßnahmen können somit rechtmäßig sein, wenn sie zum Schutz von Gemeinwohlinteressen erlassen wurden.44 Eine Enteignung oder enteignungsgleiche Maßnahme kann dann rechtmäßig sein, wenn mit ihr ein öffentliches Ziel (public purpose) verfolgt wird, sie im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (due process) in nicht diskriminierender Weise (non‐discriminatory manner) erfolgt und mit der Zahlung einer unverzüglichen, adäquaten und effektiven Entschädigung45 verbunden ist. Zudem muss ein entsprechender Rechtsschutz46 gegen die enteignende oder enteignungsgleiche Maßnahme gewährleistet sein. 39 Schill. Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren in Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers. Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium, August 2014. S. 16. 40 Krajewski. Umweltschutz und internationales Investitionsschutzrecht am Beispiel der Vattenfall-Klagen und des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens (TTIP). In: ZUR 2014, S. 397. 41 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 350. 42 ICSID, Tecmed S.A. v. The United Mexican States, Case No. ARB(AF)/00/2, ILM 43 (2004), S. 133. 43 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 351. 44 Dies ist vergleichbar mit den Voraussetzungen aus Art. 14 Abs. 3 GG („nur zum Wohle der Allgemeinheit“). Vgl. Schill. Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren in Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers. Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium, August 2014. S. 16. 45 Kapitel 10 Abschnitt 4 Art. X.11 Abs. 2 und 3 CETA. 46 Kapitel 10 Abschnitt 4 Art. X.11 Abs. 4 CETA. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 13 2.2.4. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, dass die in der Publikation getroffene Aussage, wonach sowohl der Erlass neuer Gesetze durch das Parlament als auch die Anwendung bestehender Gesetze durch die Behörden oder die Entscheidung eines bestimmten Falls durch die Gerichte gegen ein Investitionsschutzabkommen verstoßen können, im Grundsatz zutreffend ist. Insoweit ist jedoch ergänzend anzumerken, dass aus einem Verstoß an sich nicht zwingend folgt, dass die Handlungen rechtswidrig bzw. nicht rechtfertigungsfähig im Sinne des jeweiligen Investitionsschutzabkommens sind oder aus dem Abkommen Handlungsbeschränkungen für die vorgenannten Einrichtungen resultieren.47 2.3. Bewertung der Aussage betreffend die einheitliche Verpflichtung und völkerrechtliche Verantwortlichkeit Die zweite Aussage der Publikation beinhaltet zunächst die Verpflichtung des jeweiligen Vertragsstaates eines Investitionsschutzabkommens als einheitliche sowie die Darstellung, dass der Staat völkerrechtlich für das Handeln von Teilstaaten, Ländern und Gemeinden verantwortlich sei. Die innerstaatliche Macht- und Kompetenzverteilung sei unerheblich. Somit könne auch das Handeln eines Bürgermeisters zu Schadensersatzansprüchen gegen den Staat als Ganzes führen. Vor diesem Hintergrund stellt sich zunächst die Frage nach dem Verpflichtungsgrund eines Investitionsschutzabkommens 2.3.1. Völker- und europarechtliche Grundsätze der Verantwortlichkeit Traditionell gilt im Völkerrecht die Regel, dass die Staaten als einheitliche Völkerrechtssubjekte aufgefasst werden. Dementsprechend werden Völkerrechtsverstöße gleich welcher staatlichen Untergliederung oder welchen Organs als Verstöße des betreffenden Staats angesehen. Innerstaatliche Zuständigkeits- und Haftungsfragen sind für das Völkerrecht grundsätzlich nicht von Bedeutung . Auch aus Sicht des Unionsrechts ist die innerstaatliche Organisation ihrer Mitgliedstaaten bzw. die innerstaatliche Kompetenzverteilung nicht von Bedeutung. Der Umstand, dass ein Bundesstaat völkerrechtlich als Einheitsstaat betrachtet wird, gilt gleichermaßen für das Unionsrecht. Mitglieder der EU sind allein die Mitgliedstaaten.48 47 Zu den Rechtfertigungsgründen siehe unten 3.2. 48 Für die Haftungsverteilung und den Regress im Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten im Rahmen von EU-Investitionsabkommen vgl. die Verordnung (EU) Nr. 912/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Schaffung der Rahmenbedingungen für die Regelung der finanziellen Verantwortung bei Investor-Staat-Streitigkeiten vor Schiedsgerichten, welche durch internationale Übereinkünfte eingesetzt wurden , bei denen die Europäische Union Vertragspartei ist, ABl. L 257/121, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0912&qid=1441196721694&from=DE sowie hierzu Karpenstein/Kottmann, Prozessführung, Haftung und Regress in Schiedsstreitigkeiten auf Grundlage von EU- Investitionsabkommen, EuZW 2015, S. 256 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 14 2.3.2. Verfassungsrechtliche Grundsätze der Verantwortlichkeit Gemäß den vorstehenden Grundsätzen ist aus Sicht des Völkerrechts die Bundesrepublik Deutschland für alle Handlungen ihrer Organe und regionaler oder kommunaler Untergliederungen verantwortlich. Während die Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland auf nationaler Ebene entsprechend dem bundesstaatlichen Prinzip (Art. 20, 28, 30, 79 GG) „als Glieder des Bundes Staaten mit eigener - wenn auch gegenständlich beschränkter - nicht vom Bund abgeleiteter, sondern von ihm anerkannter staatlicher Hoheitsmacht“49 sind. Dementsprechend wirken sie an der innerstaatlichen Willensbildung auch im Hinblick auf die Beteiligung der Bundesrepublik am europäischen Integrationsprozess mit (Art. 23 GG). Jedoch werden die deutschen Bundesländer in ihrem Verhältnis zur EU durch die Bundesrepublik Deutschland mediatisiert. In grenzüberschreitenden Angelegenheiten und mithin auch in Angelegenheiten der EU erfolgt eine einheitliche Außenvertretung des Gesamtstaates durch den Bund (Art. 31 Abs. 1 GG). Die Kommunen (Gemeinden und Landkreise) sind als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften rechtsfähige juristische Personen des öffentlichen Rechts, Träger staatlicher Gewalt50 und werden in ihrer Selbstverwaltung durch die institutionelle Garantie des Art. 28 Abs. 2 GG geschützt . Die Kommunen sind somit „selbst ein Teil des Staates, in dessen Aufbau sie integriert und innerhalb dessen sie mit eigenen Rechten ausgestattet“51 sind. In der Bundesrepublik Deutschland als zweigliedriger Bundesstaat, bestehend aus dem Bund und den Länder, gelten die kommunalen Körperschaften dabei verfassungsrechtlich als Teil der Exekutive und sind staatsorganisationsrechtlich Teile der Länder. Die föderale Ordnung führt so in Verbindung mit der Außenkompetenz des Bundes zu einer doppelten Mediatisierung der Kommunen, deren Beteiligung in europäischen Angelegenheiten über den Bund und das jeweilige Land vermittelt ist. Dementsprechend sind Kommunen im Bundesstaat durch die Länder mediatisierte Selbstverwaltungseinheiten ohne Eigenstaatlichkeit und einer entsprechenden völkerrechtlichen Verantwortlichkeit . 2.3.3. Innerstaatliche Haftungsverteilung und Regress Von der einheitlichen Außenvertretung unberührt bleibt die Frage der innerstaatlichen Lastenverteilung im Falle finanzwirksamer Entscheidungen zwischenstaatlicher Einrichtungen bei einer Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands. Diese richtet sich grundsätzlich nach der innerstaatlichen Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung 49 BVerfGE 1, 14 (34). 50 BVerfGE 61, 82 (103), 83, 37 (53 ff.); 110, 370 (401). 51 BVerfGE 107, 1 (11). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 15 (Art. 104a Abs. 6 GG).52 Entsprechend dem Verursacherprinzip ordnet Art 104a Abs. 6 S. 1 GG, konkretisiert durch das Lastentragungsgesetz,53 die Last grundsätzlich der Gebietskörperschaft zu, in deren innerstaatlichem Zuständigkeits- und Aufgabenbereich die lastenbegründende Pflichtverletzung durch legislatives, exekutives oder judikatives Fehlverhalten stattgefunden hat.54 Dementsprechend ist beispielsweise ein Bundesland gemäß § 5 LastG dem Bund zur Erstattung aller von ihm aufgewendeten Beträge verpflichtet, die Deutschland auf Grund seiner Verurteilung durch ein internationales Schiedsgericht zu tragen hatte. Aus Art. 104a Abs. 6 GG in Verbindung mit dem LastG ergibt sich jedoch nicht, ob und unter welchen Voraussetzungen kommunale Selbstverwaltungskörperschaften für die in ihrer Verantwortung verursachten Verletzungen des internationalen Rechts haften. Art. 104 a GG geht davon aus, dass im zweigliedrigen Bundesstaat jeder Rechtsverstoß von Hoheitsträgern entweder im Verantwortungsbereich des Bundes oder eines Landes liegen muss.55 Ein unmittelbarer Regress des Bundes bei staatlichen Stellen, die der Organisationshoheit der Länder unterfallen, erscheint daher ebenso ausgeschlossen wie ein Erstattungsanspruch des Bundes gegen Kommunen, die im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsbefugnisse eine Verletzung der Investitionsschutzregeln verantworten .56 Für die Kommunen als Selbstverwaltungskörperschaften ist vielmehr davon auszugehen , dass Regressansprüche eines dem Bund auf Grund von Art. 104 a GG verpflichteten Landes gegen eine Gemeinde unter den Vorbehalt eines Spezialgesetzes stehen.57 2.3.4. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, dass die in der Publikation getroffene Aussage zutrifft, wonach die Verpflichtungen eines Investitionsschutzabkommens den Staat als Einheit betreffen, der Staat völkerrechtlich für das Handeln von Teilstaaten, Ländern und Gemeinden verantwortlich und die innerstaatliche Macht- und Kompetenzverteilung insoweit unerheblich ist. Dementsprechend ist auch die Aussage im Grundsatz zutreffend, dass Handlungen einer Kommune, vertreten 52 D.h. insbesondere nach Art 30, 70 ff. und 83 ff. GG, vgl. hierzu BT-Drs. 16/813, S. 19. Für die Haftungsverteilung zwischen dem Bund und den Ländern im Rahmen der Auftragsverwaltung gem. Art. 85 GG vgl. Schmitt/Wohlrab: „Richtiger“ Klagegegner bei Maßnahmen im Rahmen der Auftragsverwaltung nach Art. 85 GG am Beispiel des „Moratoriums“ für Kernkraftwerke, NVwZ 2015, S. 193 ff. sowie Schmitt/Wohlrab, Haftung des Bundes in der Auftragsverwaltung am Beispiel des so genannten „Moratoriums“ für Kernkraftwerke, NVwZ 2015, S. 932 ff. 53 Gesetz zur Lastentragung im Bund-Länder-Verhältnis bei Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen (LastG), BGBl. I S. 2098, 2105. 54 Vgl. BT-Drs 16/813, 19 sowie BVerfGE 116, 271 (322 f.). Zum gegenwärtigen Verfahren betreffend das Kraftwerk Moorburg vgl. Vattenfall AB et al v. Federal Republic of Germany, ICSID Case No. ARB/09/6, Request for Arbitration abrufbar unter http://www.italaw.com/sites/default/files/case-documents/ita0889.pdf. 55 Burger, Die Haftung der Kommunen für Verstöße gegen EU-Recht – Teil 2, KommJur 2013, S. 41 (42 f.); Meyer/Luttmann, EU-Anlastungsrisiko als Haftungsproblem zwischen Staat und Kommunen, NVwZ 2006, S. 144 (146). 56 Meyer/Luttmann, EU-Anlastungsrisiko als Haftungsproblem zwischen Staat und Kommunen, NVwZ 2006, S. 144 (146) mit Verweis darauf, dass dies nicht für die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg gilt. 57 Vgl. Karpenstein/Kottmann, EuZW 2015, S. 256 (260) mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 30. November 1995, Az. 7 C 56/93, NVwZ 1996, 595 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 16 durch den Bürgermeister, entsprechend dem jeweiligen Kommunalrecht zu einer Haftung des Bundes führen können. Hierbei sind jedoch potenzielle Regressansprüche zu berücksichtigen, die sich mit Blick auf einen Rückgriff auf die Kommunen insbesondere nach dem jeweiligen Landesrecht richten. 3. Bewertung der Auswirkungen von Investitionsschutzbestimmungen auf Gemeinden 3.1. Hintergrund der Fragestellung Der zweiten Fragestellung liegen die folgenden Annahmen zugrunde: „Ein Unternehmen [kann] einen Staat verklagen (nicht umgekehrt!), für den Fall, dass dieser ein Gesetz erlässt (oder einen Beschluss fasst), der die erwartete Gewinnerwartung eines Konzerns schmälern könnte.“ „Beispiel: Die Stadt Schwabach hat vor einigen Jahren beschlossen, dass Glyphosat auf öffentlichen Plätzen nicht mehr eingesetzt werden darf. Das wäre mit TTIP oder CETA nicht mehr möglich.“ „Die Stadt müsste befürchten, eine Klage von Monsanto an den Hals zu bekommen und entweder den Beschluss zurücknehmen oder Schadensersatz zahlen.“ Vor diesem Hintergrund wird die Frage gestellt, ob das für die Stadt Schwabach angeführte Beispiel zutreffend ist. 3.2. Bewertung Wie oben dargestellt, können nationale Maßnahmen grundsätzlich gegen materielle Investitionsschutzbestimmungen verstoßen. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob das in der Fragestellung angesprochene Verbot des Einsatzes von Glyphosat auf öffentlichen Flächen durch eine Gemeinde rechtswidrig in materielle Investitionsschutzrechte eingreift, wofür im Folgenden die Investitionsschutzbestimmungen des CETA zugrunde gelegt werden. Hierbei ist darauf hinzuweisen , dass der in der Fragestellung angegebene Sachverhalt nur vage umrissen ist und daher keine abschließende Bewertung vorgenommen werden kann. Insbesondere bleibt aus hiesiger Sicht unklar , worauf sich das Verbot der Stadt Schwabach konkret bezieht und in welchen Umfang es den Einsatz von Glyphosat untersagt. Das Einsatzverbot stellt sich aus hiesiger Sicht vielmehr als autonome Entscheidung einer Kommune für den Umgang mit gebietskörperschaftseigenen Anlagen und mithin als eine Entscheidung über eine Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung dar. Insofern dürfte bereits eine investitionsschutzrechtliche Relevanz fernliegen. Zudem umfasst die Frage nach einem zulässigen Verbot nicht lediglich Aspekte des Investitionsschutzes , sondern auch die Frage nach dem unionsrechtskonformen Umgang mit dem Wirkstoff: Die gegenwärtig wirksame Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat in der EU erfolgte 2002. Mit Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 17 der Richtlinie 2010/77/EU58 wurde die Genehmigung von Glyphosat bis zum 31. Dezember 2015 verlängert. Momentan läuft das Verfahren zur erneuten Genehmigung nach den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009.59 Auch bei einer erneuten Genehmigung des Wirkstoffs kann die Kommission seine Verwendung in Pflanzenschutzmitteln bzw. deren Einsatz nach Art. 6 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 beschränken sowie nach Art. 21 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 die Genehmigung jederzeit überprüfen und nach Art. 21 Abs. 3 ggf. eine Änderung der Genehmigung erlassen. Es sind momentan mehrere Klagen vor dem EuG anhängig, mit denen Unternehmen gegen eine Genehmigungsüberprüfung von Wirkstoffen durch die Kommission und daraus resultierende Beschränkungsvorgaben für Pflanzenschutzmittel, welche den Wirkstoff beinhalten , klagen.60 Vor diesem Hintergrund können die Mitgliedstaaten nicht die Verwendung eines von der Kommission genehmigten Wirkstoffs verbieten. Ihnen obliegt jedoch die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, welche diesen Wirkstoff enthalten, unter Beachtung der EU-Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit des Wirkstoffs. Vor diesem Hintergrund und mit Hinweis auf die Zweifel, dass das Einsatzverbot überhaupt eine investitionsschutzrechtlich relevante Handlung darstellt, beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die Einschätzung, ob investitionsschutzrechtliche Bestimmungen dem in der Fragestellung angesprochenen Verbot entgegenstehen. Diesbezüglich kommen von den unter 2.2.2. genannten materiellen Investitionsschutzrechten insbesondere das Verbot enteignungsgleicher Maßnahmen sowie der Grundsatz der billigen und gerechten Behandlung in Betracht. Dass die Rechte auf Kompensation in Notstandssituationen und Anspruch auf Sicherheit und Schutz berührt sein könnten, erscheint hingegen mit Blick auf den der Fragestellung zugrundeliegenden Sachverhalt fernliegend. 3.2.1. Enteignungsverbot Die Einführung eines Verwendungsverbots könnte gegen das Enteignungsverbot gemäß Kapitel 10 Art. X.11 CETA verstoßen. Die aus dem Verwendungsverbot resultierenden Gewinneinbußen ließen zwar die Substanz des Eigentums von Monsanto unberührt, könnten jedoch eine indirekte Enteignung im Sinne des Kapitels 10 Annex Art. X.11 Abs. 1 lit. b CETA darstellen. Dies entspräche dem Umstand, dass in der schiedsgerichtlichen Rechtsprechung „unverhältnismäßige Maßnahmen des Umweltschutzes“ als indirekte Enteignungen anerkannt und dementsprechende 58 Richtlinie 2010/77/EU der Kommission vom 10. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG hinsichtlich des Ablaufs der Fristen für die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe in Anhang I, ABl. 2010 L, 293/48 (53), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010L0077&from=DE. 59 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, ABl. 2009 L, 309/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009R1107-20140630&from=EN. 60 EuG, Klage eingereicht am 4. November 2013, Rs. T-584/13 – BASF Agro u. a./Kommission; EuG, Klage eingereicht am 14. August 2013, Rs. T-451/13 – Syngenta Crop Protection u. a./Kommission. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 18 Schadensersatzpflichten für den Gaststaat ausgesprochen worden sind.61 Statt des ansonsten gebräuchlichen „proportionality tests“62 erforderte gemäß Kapitel 10 Annex Art. X.11 Abs. 2 CETA die Feststellung einer indirekten Enteignung im Rahmen des CETA eine Abwägung zwischen Rechtmäßigkeit der gesetzgeberischen Maßnahmen einerseits und dem Investorenschutz andererseits , wobei die Dauer des Eingriffs, die wirtschaftliche Auswirkung der Maßnahme und der Vertrauensschutz des Investors berücksichtigt werden müssen.63 Die Feststellung einer (indirekten) Enteignung im Sinne des Kapitel 10 Annex Art. X.11 CETA ist gemäß Abs. 3 dann ausgeschlossen, wenn eine nichtdiskriminierende Maßnahme erwiesenermaßen dem Schutz von Allgemeinwohlinteressen („health, security and environment“) dient. Soweit also der Beweis erbracht wird, dass es sich bei der Einführung eines Verwendungsverbots um eine Maßnahme zum Schutz von Gesundheits-, Sicherheits-, oder Umweltinteressen, mithin von Allgemeinwohlinteressen, handelt, ließe sich ein ISDS-Verfahren nicht mit Erfolg auf das Enteignungsverbot gemäß Kapitel 10 Art. X.11 CETA stützen. 3.2.2. Grundsatz der gerechten und billigen Behandlung Die unmittelbar kausal aus der Einführung eines Einsatzverbots resultierenden Verluste für Monsanto könnten gegen den Grundsatz der gerechten und billigen Behandlung gemäß Kapitel 10 Art. X.9 CETA verstoßen. Dieser Grundsatz wird in Kapitel 10 Art. X.9 Abs. 2 CETA durch einzelne Tatbestände weiter konkretisiert.64 Der für den Bestandsschutz bei legislativem Handeln relevante Vertrauensschutz wird außerhalb der Tatbestände erwähnt und soll lediglich „berücksichtigt werden“ (Kapitel 10 Art. X.9 Abs. 4 CETA). Dies lässt darauf schließen, dass legislatives Handeln der Vertragsparteien nur ausnahmsweise an den strengen Maßstäben des Vertrauensschutzes der Investoren65 gemessen werden soll. Aus der schiedsgerichtlichen Rechtsprechung ergibt sich zudem, dass auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der gerechten und billigen Behandlung eine Gesetzesänderung zu Zwecken des Allgemeinwohls mit Blick auf die staatliche 61 Vgl. Wälde/Kolo, Investor-State-Disputes: The Interface between Treaty-based international Investment Protection and Fiscal Sovereignty, Intertax Bd. 35 (2007), S. 424. Die Frage, ob Gewinnerwartungen ein schützenswertes Gut im Rahmen von Investitionsschutzregeln sind, stellt sich gegenwärtig auch in dem ISDS Verfahren Vattenfall/Deutschland, vgl. ICSID, Vattenfall AB and others v. Federal Republic of Germany, Case No. ARB/12/12. 62 Vgl. oben 2.3.2.4. 63 Kapitel 10 Annex X. 11 Abs. 2 CETA. 64 Siehe oben 2.3.2.1. 65 Vgl. hierzu Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Auflage 2014, S. 347. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 99/15 Seite 19 Souveränität zum Erlass neuer regulatorischer Maßnahmen zulässig ist.66 Im Hinblick auf den Grundsatz der billigen und gerechten Behandlung und des Vertrauensschutzes ist hierbei die Transparenz des gesetzgeberischen Handelns von besonderer Bedeutung:67 „[…] whether a Party made a specific representation to an investor to induce a covered investment , that created a legitimate expectation, and upon which the investor relied in deciding to make or maintain the covered investment, but that the Party subsequently frustrated .“ Vor diesem Hintergrund müsste sich die Einführung eines Einsatzverbots als willkürlich erweisen . Mit Blick auf das bereits bestehende Einsatzverbot dürfte der Nachweis schwerlich zu erbringen sein, dass die Einführung eines Einsatzverbots willkürlich erfolgt und hierdurch legitime Erwartungen enttäuscht werden. 3.3. Folgerungen Es erscheint bereits fraglich, ob das Einsatzverbot der Gemeinde überhaupt eine investitionsschutzrechtlich relevante Handlung darstellt. Im Rahmen der hier möglichen Einschätzung dürften materielle Investitionsschutzrechte dem Einsatzverbot jedenfalls nicht entgegen stehen. 4. Bewertung der Möglichkeit, dass Bürgermeister oder andere kommunale Amtsträge aufgrund von Investitionsschutzbestimmungen verklagt werden können Abschließend ist auf die Frage einzugehen, ob Bürgermeister oder andere kommunale Amtsträger Beklagte in einem ISDS-Verfahren sein können. Hierfür ist zunächst auf den Grundsatz der einheitlichen Außenvertretung zu verweisen. Auch wenn der Verstoß einer Kommune den Verfahrensgegenstand bildet, genießt diese unmittelbar betroffene Körperschaft weder Parteistatus noch die Verfahrensgarantien der Vertragsparteien. Die verfahrens- und prozessrechtlichen Interessen der betroffenen Kommune sind daher nach nationalen Grundsätzen durch den Bund zu wahren.68 66 “It is each State’s undeniable right and privilege to exercise its sovereign legislative power. A state has the right to enact, modify, or cancel a law at its own discretion. Save for the existence of an agreement, in the form of a stabilization clause or otherwise, there is nothing objectionable about the amendment brought to the regulatory framework existing at the time and investor made its investment”, ICSID, Parkerings-Compagniet AS v. Lithuania , Case No. ARB/05/8, Rn. 332. Vgl. dazu Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren in Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers. Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium, August 2014, S. 12. 67 Vgl. ICSID, Tecmed S.A. v. The United Mexican States, Case No. ARB(AF)/00/2, ILM 43 (2004), Nr. 154: “The investor expects the host State to act […] so that it may know beforehand any and all rules and regulations that will govern its investments, as well as the goals of the policies and administrative practices or directives”. 68 Zu der Diskussion, ob sich Art. 32 GG auch auf transnationale Investoren bezieht vgl. Karpenstein/Kottmann, EuZW 2015, S. 256 (260).