© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 97/16 Verhältnis des right to regulate zum Investitionsschutz Analyse des CETA-Entwurfs Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 2 Verhältnis des right to regulate zum Investitionsschutz Analyse des CETA-Entwurfs Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 97/16 Abschluss der Arbeit: 1.8.2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 5 2. Investitionsschutz in bisherigen Abkommen 5 2.1. Problemkonstellation: right to regulate und Investitionsschutz 5 2.2. Ausgestaltung des Investitionsschutzes in bisherigen Abkommen 7 2.2.1. Fair and Equitable Treatment / Gerechte und billige Behandlung 7 2.2.2. Legitimate Expectations / Legitime Erwartungen 8 2.2.2.1. Legitime Erwartungen in Bezug auf die Rechtslage 8 2.2.2.2. Großzügige Annahme legitimer Erwartungen 8 2.2.2.3. Ansätze zur Begrenzung der Annahme legitimer Erwartungen 9 2.2.2.3.1. Erfordernis eines besonderen Vertrauenstatbestands 9 2.2.2.3.2. Verhältnismäßigkeitsprüfung 10 2.2.2.4. Zwischenergebnis zu den legitimen Erwartungen 10 2.2.3. Enteignungsschutz 11 2.2.3.1. Direkte und indirekte Enteignung 11 2.2.3.2. Abgrenzung indirekter Enteignung von entschädigungsfreier regulatorischer Maßnahme 12 2.2.3.2.1. Der sole effects-Ansatz 12 2.2.3.2.2. Der police powers-Ansatz 12 2.2.3.3. Rechtsfolgen direkter und indirekter Enteignung 13 2.2.3.4. Unterschiede zwischen Enteignung und Verletzung des FET- Standards 14 2.2.3.5. Zwischenergebnis zum Enteignungsschutz 15 2.3. Fazit zum Investitionsschutz in bisherigen Abkommen 15 3. Ausgestaltung des Investitionsschutzes in CETA 15 3.1. Allgemeiner Rahmen des Investitionsschutzes in CETA 15 3.2. Der FET-Standard in CETA 16 3.2.1. Ausgestaltung des FET-Standards in CETA 16 3.2.2. Auslegung des FET-Standards durch die CETA-Vertragsparteien 17 3.2.3. Zwischenergebnis zum FET-Standard 17 3.3. Die Rolle legitimer Erwartungen in CETA 18 3.3.1. Kein eigener Tatbestand 18 3.3.2. Ermessen bei der Berücksichtigung legitimer Erwartungen 19 3.3.3. Das Merkmal „spezifische Erklärung“ 19 3.3.4. Zwischenergebnis zu den legitimen Erwartungen 20 3.4. Enteignungsschutz in CETA 21 3.4.1. Definition der Enteignung in CETA 21 3.4.2. Die Rechtsfolgen einer Enteignung in CETA 22 3.4.3. Zwischenergebnis zum Enteignungsschutz 23 3.5. Das right to regulate in CETA 23 3.5.1. Die Formulierung des right to regulate im Vertragstext 23 3.5.2. Bedeutung des right to regulate nach dem Wortlaut 24 3.5.3. Bedeutung des right to regulate unter systematischen Gesichtspunkten 25 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 4 3.5.4. Das right to regulate in Bezug auf den FET-Standard 26 3.5.5. Das right to regulate in Bezug auf den Enteignungsschutz 27 3.5.6. Zwischenergebnis zum right to regulate 27 3.6. Fazit zum Verhältnis des right to regulate zum Investitionsschutz in CETA 28 4. Erforderlichkeit eines Investitionsgerichts in CETA 28 4.1. Keine unmittelbare Anwendbarkeit von CETA 29 4.2. Rechtsschutzmöglichkeiten im nationalen Recht 29 4.2.1. Rechtsschutz gegen Enteignung 30 4.2.2. Rechtsschutz gegen ungerechte und unbillige Behandlung (FET) 31 4.2.3. Unterschiede zwischen nationalen Gerichtsverfahren und Investitionsschutzklagen 32 4.2.3.1. Rechtlicher Beurteilungsmaßstab 33 4.2.3.2. Potentielle Rechtsfolgen 33 4.2.3.3. Klagegenstand 34 4.3. Verhältnis der verschiedenen Klagemöglichkeiten 36 4.4. Erforderlichkeit eines Investitionsgerichts 36 4.4.1. Argumente für ein Investitionsgericht 37 4.4.2. Argumente gegen ein Investitionsgericht 38 4.5. Fazit zur Erforderlichkeit eines Investitionsgerichts in CETA 38 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 5 1. Fragestellung Die vorliegende Ausarbeitung befasst sich mit dem Investitionsschutz im Entwurf des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) in der Fassung vom 5. Juli 2016.1 In CETA wird ein (Investitions-)Gericht für Streitigkeiten zwischen Investoren und den CETA-Vertragsparteien (Kanada, EU und EU-Mitgliedstaaten ) errichtet. Diese Ausarbeitung beschäftigt sich mit der Frage, welche Fallkonstellationen denkbar sind, in denen ein Investor eine Klage gegen eine CETA-Vertragspartei vor dem Investitionsgericht erheben könnte und welchen Einschränkungen das right to regulate der Vertragsparteien dadurch unterliegen könnte. Die Ausarbeitung fokussiert sich dementsprechend auf regulatorische Maßnahmen der Vertragsparteien, die in Investitionsstreitigkeiten angegriffen werden könnten. Nach einer Darstellung des Investitionsschutzes, wie er bisher beispielsweise in bi- und multilateralen Abkommen geregelt worden ist (2.), werden der Investitionsschutz in CETA dargestellt und seine Auswirkungen auf das right to regulate der Vertragsparteien untersucht (3.). Daran anschließend wird die Frage behandelt, ob der Investitionsschutz nach CETA erforderlich ist oder bereits ausreichend Schutz für Investoren durch die bestehende Gerichtsbarkeit auf nationaler und europäischer Ebene besteht (4.). 2. Investitionsschutz in bisherigen Abkommen Es existieren vielfältige völkerrechtliche Abkommen zwischen Staaten mit Regelungen zum Investitionsschutz . Diese Abkommen enthalten oftmals auch Regelungen über die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten und Investoren. So sind z.B. auch im Abkommen über die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA in Kapitel 11 Investitionsschutzrechte mit Investitionsschiedsgerichtsbarkeit vorgesehen.2 2.1. Problemkonstellation: right to regulate und Investitionsschutz Der Investitionsschutz kann sich auf alle hoheitlichen Maßnahmen der Exekutive, Legislative und Judikative beziehen.3 Entsprechend der Fragestellung konzentriert sich diese Ausarbeitung auf den Investitionsschutz im Hinblick auf regulatorische Maßnahmen der Legislative. Diese können auf zwei Arten in Investitionsstreitigkeiten in den Mittelpunkt treten. Die Klage eines Inves- 1 Konsolidierter CETA-Text im Anhang des Kommissionsvorschlags für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits vom 5. Juli 2016, abrufbar unter: http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1468331821354&uri=CELEX:52016PC0443. 2 Kapitel 11 NAFTA (North American Free Trade Agreement vom 17. Dezember 1992), abrufbar (auf Englisch) unter: https://www.nafta-sec-alena.org/Home/Legal-Texts/North-American-Free-Trade-Agreement. 3 Gramlich/Conen, Streitbeilegung bei Auslandsinvestitionen – „guter“ Rechtsschutz für (private) Investoren, SchiedsVZ 2015, S. 225 (230 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 6 tors kann sich direkt gegen ein Gesetz richten oder gegen administrative Ausführungshandlungen , denen ein Gesetz zugrunde liegt. Bisher waren vornehmlich diese Ausführungshandlungen Mittelpunkt der Schiedsgerichtspraxis.4 Inhaltlich können sich die Investoren bei ihren Klagen gegen regulatorische Maßnahmen insbesondere auf zwei Klagegründe stützen: den Schutz vor direkter und indirekter Enteignung sowie den Grundsatz gerechter und billiger Behandlung, das fair and equitable treatment (FET). Beide Investitionsschutzrechte, Enteignungsschutz und der Anspruch auf gerechte und billige Behandlung , sind auch in CETA enthalten und können von Investoren geltend gemacht werden. Auf andere Investitionsschutzrechte, z.B. den Grundsatz der Inländergleichbehandlung oder das Meistbegünstigungsprinzip , die in der Debatte um das right to regulate eine geringere Rolle spielen, wird in dieser Ausarbeitung nur am Rande eingegangen.5 Es besteht bei Kritikern des Investitionsschutzes die Befürchtung, dass das Prinzip des FET die gesetzgeberische Freiheit und die staatliche Handlungsfähigkeit (das right to regulate) einschränkt ,6 indem Staaten aus Angst vor Investitionsschutzklagen vor Änderungen zurückschrecken und ihre Rechtslage unverändert lassen.7 Ein Investor kann zwar einem Staat nicht verbieten , Gesetze zu erlassen, möglicherweise kann aber die Änderung der Rechtslage als Verletzung des FET-Standards qualifiziert werden und damit Grund für eine Investitionsschutzklage sein. Im Bereich des Enteignungsschutzes erheben Kritiker ähnliche Bedenken wie beim FET-Standard, der betroffene Staat könnte vor regulatorischen Maßnahmen, die möglicherweise enteignend in Investorenrechte eingreifen, aus Furcht vor Investitionsschutzklagen zurückschrecken.8 Beispielsweise hatte Argentinien für ausländische Investoren besonders vorteilhafte Regelungen geschaffen, um Investitionen anzuziehen. Während der argentinischen Wirtschaftskrise von 1998 bis 2002 wurden einige dieser Regelungen wieder zurückgenommen. Investoren verklagten deshalb Argentinien auf der Grundlage verschiedener bilateraler Investitionsschutzabkommen wegen einer Verletzung des FET und indirekter Enteignung vor Schiedsgerichten auf Schadensersatz und stützten sich dabei auf die Änderung der innerstaatlichen Rechtslage.9 4 Vgl. Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 49. 5 Vgl. zu den oft geltend gemachten Klagegründen auch Wagner, Warum sind Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) gefährlich?, 28. Januar 2015, S. 2, abrufbar unter: https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/isdsfaq .pdf. 6 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (407). 7 Z.B. Wagner, Warum sind Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) gefährlich?, 28. Januar 2015, S. 3 f., abrufbar unter: https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/isds-faq.pdf; Europäische Initiative gegen TTIP und CETA, URL: https://stop-ttip.org/de/wo-liegt-das-problem/faq/. 8 Steinbach, Investor-Staat-Schiedsverfahren und Verfassungsrecht, RabelsZ 2016, S. 1 (7 f.). 9 Vgl. Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 113. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 7 In einem anderen Schiedsverfahren, der Entscheidung ADC v. Hungary, stellte das Schiedsgericht zum Verhältnis von Investitionsschutz und right to regulate fest: […] while a sovereign State possesses the inherent right to regulate its domestic affairs, the exercise of such right is not unlimited and must have its boundaries. […] the rule of law, which includes treaty obligations, provides such boundaries. Therefore, when a State enters into a bilateral investment treaty […], it becomes bound by it and the investment protection obligations it undertook therein must be honoured rather than be ignored by a later argument of the State’s right to regulate.10 2.2. Ausgestaltung des Investitionsschutzes in bisherigen Abkommen 2.2.1. Fair and Equitable Treatment / Gerechte und billige Behandlung Der FET-Standard zählt zu den bedeutendsten Schutzstandards für Investoren, die sich in Investor -Staat-Schiedsverfahren häufig darauf berufen.11 Der Begriff FET ist ein offener Rechtsbegriff, dessen Inhalt auslegungsbedürftig ist. In Investitionsschutzabkommen gibt es verschiedene Arten , den FET-Standard festzulegen. Möglich ist es, in FET-Klauseln auf bestehendes Völkerrecht zu verweisen oder eine Art selbständigen FET-Begriff im jeweiligen Abkommen festzulegen.12 Den bisherigen Investitionsschutzabkommen ist im Hinblick auf den FET-Standard gemein, dass dieser Standard in den Abkommen selbst gar nicht oder nur unter Bezugnahme auf nicht näher bestimmte Rechtsbegriffe definiert worden ist. Schiedsgerichte beziehen sich in ihren Entscheidungen oft auf die Entscheidungen anderer Schiedsgerichte, um die jeweilige FET-Klausel auszulegen.13 Bei der Analyse von Schiedsgerichtsentscheidungen in der Literatur werden verschiedene Fallgruppen des FET unterschieden. Die Fallgruppen von FET umfassen verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Ansprüche der Investoren. In Verfahrenshinsicht gelten das Verbot der Rechtsversagung in Bezug auf judikatives Handeln und der Anspruch auf ein faires und gerechtes Verfahren bei Maßnahmen der Exekutive . In materiell-rechtlicher Hinsicht gilt u. a. das Gebot des Schutzes legitimer Erwartungen, der legitimate expectations.14 10 ADC v. Hungary, ICSID Case No. ARB/03/16, 2. Oktober 2006, Rn. 423, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.italaw.com/documents/ADCvHungaryAward.pdf. Zustimmend zu dieser Ansicht auch Dolzer, Fair and Equitable Treatment: Today's Contours, SANCJIL 2014 (12), S. 29. 11 Vgl. Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 20. 12 Dazu ausführlich Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen , 2012, S. 24 ff. 13 Vgl. Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 48. 14 Vgl. zu diesen Fallgruppen Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen , 2012, S. 49. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 8 2.2.2. Legitimate Expectations / Legitime Erwartungen Legitime Erwartungen (legitimate expectations) sind Bestandteil des FET-Standards. Der Begriff hat sich in der Schiedsrechtsprechung als Unterkategorie des FET-Standards etabliert und spielt auch beim Enteignungsschutz eine Rolle.15 Da die FET-Standards in Investitionsschutzabkommen nicht definiert sind, fehlt es auch an einer Definition des Begriffs der legitimen Erwartungen. 2.2.2.1. Legitime Erwartungen in Bezug auf die Rechtslage Legitime Erwartungen können auf mehrere Arten entstehen. Handlungen der Verwaltung, Investor -Staat-Verträge,16 aber auch die bestehende nationale Rechtslage sind als Auslöser legitimer Erwartungen denkbar.17 Die Möglichkeit, dass allein die nationale Rechtslage zum Zeitpunkt der Investition legitime Erwartungen begründet, könnte regulatorische Maßnahmen als begründungsbedürftigen Eingriff in diese legitimen Erwartungen erscheinen lassen. 2.2.2.2. Großzügige Annahme legitimer Erwartungen Für die großzügige Annahme legitimer Erwartungen von Investoren steht in der Schiedsgerichtspraxis der Fall Tecmed. Dort klagte ein spanisches Unternehmen mit der Begründung, seine Investition in Mexiko sei dadurch enteignet worden, dass eine Jahreslizenz für eine Mülldeponie aus Umweltschutzgründen nicht verlängert wurde. Im Schiedsspruch heißt es dort: The foreign investor expects the host State to act in a consistent manner, free from ambiguity and totally transparently in its relations with the foreign investor, so that it may know beforehand any and all rules and regulations that will govern its investments, as well as the goals of the relevant policies and administrative practices or directives, to be able to plan its investment and comply with such regulations. Any and all State actions conforming to such criteria should relate not only to the guidelines, directives or requirements issued, or the resolutions approved thereunder, but also to the goals underlying such regulations.18 15 Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 49. Ausführlich zum Verhältnis und der Entwicklung FET – legitime Erwartungen: Potestà, Legitimate Expectations in Investment Treaty Law: Understanding the Roots and the Limits of a Controversial Concept, ICSID Review 28-1 (2013), S. 88 (98 ff.). 16 Zu diesen beiden Handlungsformen: Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 114 ff. 17 Dazu Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 117 ff. 18 Tecmed v. Mexico, ICSID Case No. ARB/07/12, 29. Mai 2003, Rn. 154, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.italaw.com/sites/default/files/case-documents/ita0854.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 9 Die Definition legitimer Erwartungen im Fall Tecmed wird oftmals als zu weitreichend kritisiert .19 Insbesondere sei dies keine Definition legitimer Erwartungen, sondern die Beschreibung perfekter Regulierung, die kaum ein Staat gewährleisten könne.20 2.2.2.3. Ansätze zur Begrenzung der Annahme legitimer Erwartungen In der Schiedsgerichtspraxis ist versucht worden, einschränkende Elemente für das Konzept der legitimen Erwartungen zu entwickeln.21 Diese lassen sich in zwei Ansätze unterteilen. 2.2.2.3.1. Erfordernis eines besonderen Vertrauenstatbestands Ein Ansatz verlangt für die Entstehung legitimer Erwartungen einen besonderen Vertrauenstatbestand wie z.B. einen Investor-Staat-Vertrag oder eine behördliche Zusicherung.22 Im Fall Charanne BV v. Spain stellte beispielsweise das zuständige Schiedsgericht im Januar 2016 fest, dass ein Investor keine legitime Erwartung haben kann, dass die zum Zeitpunkt der Investition geltende Rechtslage nicht geändert wird, wenn kein besonderer Vertrauenstatbestand vorliegt. Dieser Schiedsspruch wurde unter dem Energiecharta-Vertrag gefällt. In diesem ist in Art. 10 Abs. 1 geregelt, dass Investoren fair and equitable treatment zuteilwerden muss. Der klagende Investor hatte sich gegen die Kürzung von Einspeisevergütungen für Solarstrom gewandt. Die bei der Investitionsentscheidung geltende Rechtslage wurde vom Schiedsgericht nicht als ausreichend für die Begründung legitimer Erwartungen angesehen.23 Mangels einer besonderen Verpflichtungserklärung (im spanischen Original: „compromiso específico“) in Form einer Stabilisierungsklausel oder einer sonstigen Erklärung von Spanien, dass die Rechtslage nicht geändert würde, wurde die Klage abgewiesen. Bei diesem Ansatz ist letztlich die umstrittene und offene 19 Vgl. Douglas, Nothing if not Critical for Investment Treat Methanex: Occidental, Eureko and Methanex, Arbitration International 2006, S. 27 (28); Potestà, Legitimate Expectations in Investment Treaty Law: Understanding the Roots and the Limits of a Controversial Concept, ICSID Review 28-1 (2013), S. 88 (99 f.); White Industries Australia Limited v The Republic of India, UNCITRAL, 30. November 2011, Rn. 10.3.5 ff., abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.italaw.com/sites/default/files/case-documents/ita0906.pdf; Saluka v. Czech Republic , Partial Award, PCA, UNCITRAL, 17. März 2006, Rn. 302, 304, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.italaw .com/sites/default/files/case-documents/ita0740.pdf. 20 Douglas, Nothing if not Critical for Investment Treat Methanex: Occidental, Eureko and Methanex, Arbitration International 2006, S. 27 (28). 21 Potestà, Legitimate Expectations in Investment Treaty Law: Understanding the Roots and the Limits of a Controversial Concept, ICSID Review 28-1 (2013), S. 88 (100). 22 Vgl. Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 117. 23 Charanne v. Spain, SCC Award, Arbitration No: 062/2012, 21. Januar 2016, Rn. 499, abrufbar (auf Englisch [inoffizielle Übersetzung aus dem Spanischen]) unter: http://www.italaw.com/sites/default/files/case-documents/italaw 7162.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 10 Frage, wie der Vertrauenstatbestand konkret aussehen muss. Es ist nicht abschließend geklärt, worauf er gegründet werden kann.24 2.2.2.3.2. Verhältnismäßigkeitsprüfung Nach einer anderen Ansicht in der jüngeren Schiedsgerichtspraxis schützen die legitimen Erwartungen das Vertrauen in die Rechtslage nur vor Änderungen, deren negative Auswirkungen auf die Investition in einem deutlichen Missverhältnis zu dem mit der Reglung verfolgten Zweck stehen .25 Es wird also eine Verhältnismäßigkeitsprüfung der regulatorischen Maßnahmen vorgenommen . Eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung nimmt den Zweck und die Angemessenheit der regulatorischen Maßnahme in Augenschein. Das Schiedsgericht stellte im Fall Total S.A. v. Argentina diese Prüfung wie folgt dar: […] The host State’s right to regulate domestic matters in the public interest has to be taken into consideration as well.[…] The circumstances and reasons (importance and urgency of the public need pursued) for carrying out a change impacting negatively on a foreign investor’s operations on the one hand, and the seriousness of the prejudice caused on the other hand, compared in the light of a standard of reasonableness and proportionality are relevant. The determination of a breach of the standard requires, therefore, “a weighing of the Claimant’s reasonable and legitimate expectations on the one hand and the Respondent ’s legitimate regulatory interest on the other.”26 Bei diesem Ansatz werden also die abstrakte Bedeutung und der konkrete Zweck der regulatorischen Maßnahme mit dem beim Investor verursachten Schaden abgewogen,27 um das Investitionsschutzrecht der legitimen Erwartungen zu begrenzen. 2.2.2.4. Zwischenergebnis zu den legitimen Erwartungen Der Begriff der legitimen Erwartungen wird in Literatur und Schiedsrechtsprechung kontrovers diskutiert. Die Frage, ob allein Gesetze bereits legitime Erwartungen von Investoren begründen können und deren Änderung die legitimen Erwartungen verletzt, ist in der Rechtspraxis nicht abschließend geklärt. Teilweise werden regulatorische Maßnahmen einem Verhältnismäßigkeitstest unterzogen, teilweise wird ein spezifischer Vertrauenstatbestand gefordert, um den Anwendungsbereich des Investitionsschutzrechts der legitimen Erwartungen zu beschränken. 24 Henckels, Protecting Regulatory Autonomy through Greater Precision in Investment Treaties: The TPP, CETA, and TTIP, JIntEconLaw 2016, S. 27 (38). 25 Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 121. 26 Total S.A. v. Argentina, ICSID Case No. ARB/04/01, Decision on Liability, 21. Dezember 2010, Rn. 123, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.italaw.com/sites/default/files/case-documents/ita0868.pdf. 27 Schernbeck, Der Fair and Equitable Treatment Standard in internationalen Investitionsschutzabkommen, 2012, S. 121. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 11 2.2.3. Enteignungsschutz Vorschriften zu Anforderungen und zum Schutz vor direkter und indirekter Enteignung finden sich regelmäßig in Investitionsschutzabkommen. 2.2.3.1. Direkte und indirekte Enteignung Direkte Enteignung bedeutet die formelle Entziehung der Nutzungs- und Verfügungsgewalt über eine Sache durch eine hoheitliche Maßnahme.28 Eine derartige Maßnahme stand im Fokus von Enteignungsstreitigkeiten in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, während heute die indirekte Enteignung als Streitgegenstand an Bedeutung gewonnen hat.29 Indirekte Enteignungen sind Maßnahmen, die den Wert von Investitionen erheblich schmälern, ohne dem Investor formell das Eigentum zu entziehen.30 Investitionsschutzabkommen definieren regelmäßig nicht, was genau eine indirekte Enteignung konstituiert.31 Die Definition indirekter Enteignung wird deshalb nach Ansicht der Literatur im internationalen Investitionsschutzrecht künftig eine bedeutende Rolle spielen.32 Besonders die Abgrenzung von indirekter Enteignung und entschädigungsfreier regulatorischer Maßnahme fällt schwer,33 ist aber aufgrund unterschiedlicher Rechtsfolgen – Entschädigungspflicht bei indirekter Enteignung oder Entschädigungsfreiheit bei einer regulatorischen Maßnahme – von enormer Bedeutung.34 28 Krajewski/Ceyssens, Internationaler Investitionsschutz und innerstaatliche Regulierung, AVR 2007, S. 180 (191); Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183. 29 Yannaca-Small, “Indirect Expropriation” and the “Right to Regulate” in International Investment Law, in: International Investment Law: A Changing Landscape, 2005, S. 43 (44). Vgl. auch Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 125. 30 Krajewski/Ceyssens, Internationaler Investitionsschutz und innerstaatliche Regulierung, AVR 2007, S. 180 (191). 31 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, S. 289. Beispiele für Ansätze zur Definition nennt Yannaca-Small, “Indirect Expropriation” and the “Right to Regulate” in International Investment Law, in: International Investment Law: A Changing Landscape, 2005, S. 43 (48 f.). 32 Yannaca-Small, “Indirect Expropriation” and the “Right to Regulate” in International Investment Law, in: International Investment Law: A Changing Landscape, 2005, S. 43 (44). 33 Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 125. 34 Dazu Yannaca-Small, “Indirect Expropriation” and the “Right to Regulate” in International Investment Law, in: International Investment Law: A Changing Landscape, 2005, S. 43 (48). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 12 2.2.3.2. Abgrenzung indirekter Enteignung von entschädigungsfreier regulatorischer Maßnahme Bei der Abgrenzung von indirekter Enteignung und entschädigungsfreier regulatorischer Maßnahme , haben sich zwei Ansätze herausgebildet, der sole effects-Ansatz und der police powers- Ansatz.35 2.2.3.2.1. Der sole effects-Ansatz Der sole effects-Ansatz berücksichtigt allein die Auswirkungen einer Maßnahme auf die Investition , nicht dagegen den Regelungszweck der Maßnahme.36 Nach diesem Ansatz muss die indirekte Enteignung von der Intensität des Eingriffs her mit einer direkten Enteignung vergleichbar sein.37 Ein Beispiel für diesen Ansatz stellt die Entscheidung Metalclad v. Mexico dar,38 bei dem mit folgenden Worten die Berücksichtigung des Zwecks der regulatorischen Maßnahme ausgeschlossen wurde: The Tribunal need not decide or consider the motivation or intent of the adoption of the Ecological Decree. Indeed, a finding of expropriation on the basis of the Ecological Decree is not essential to the Tribunal’s finding of a violation of NAFTA Article 1110. However, the Tribunal considers that the implementation of the Ecological Decree would, in and of itself, constitute an act tantamount to expropriation.39 2.2.3.2.2. Der police powers-Ansatz Der police powers-Ansatz bezieht bei der Beurteilung regulatorischer Maßnahmen den Zweck der regulatorischen Maßnahme ein.40 Dabei sind zwei verschiedene Richtungen zu unterscheiden. 35 Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 125. Vgl. dazu auch Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (184). 36 Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 125; Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (185). 37 Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (185). 38 Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 125. 39 Metalclad v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1, 30. August 2000, Rn. 111, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.italaw.com/sites/default/files/case-documents/ita0510.pdf. 40 Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 125 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 13 Der radikale police powers-Ansatz berücksichtigt allein den Zweck der regulatorischen Maßnahme , während die Auswirkungen auf den Investor unberücksichtigt bleiben.41 In einem Schiedsspruch heißt es dazu wie folgt: But as a matter of general international law, a non-discriminatory regulation for a public purpose, […] which affects, inter alios, a foreign investor or investment is not deemed expropriatory and compensable unless specific commitments had been given by the regulating government […] that the government would refrain from such regulation.42 Der gemäßigte police powers-Ansatz geht einen Mittelweg zwischen dem sole effects-Ansatz und dem radikalen police powers-Ansatz und berücksichtigt in einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sowohl den mit der Maßnahme verfolgten Zweck als auch die Beeinträchtigungen des Investors.43 Beispielhaft für diesen Ansatz steht folgende Passage in dem Schiedsspruch Tecmed v. Mexiko: After establishing that regulatory actions and measures will not be initially excluded from the definition of expropriatory acts, […] , the Arbitral Tribunal will consider, in order to determine if they are to be characterized as expropriatory, whether such actions or measures are proportional to the public interest presumably protected thereby and to the protection legally granted to investments, taking into account that the significance of such impact has a key role upon deciding the proportionality.44 2.2.3.3. Rechtsfolgen direkter und indirekter Enteignung Enteignungsschutz bedeutet nicht, dass jede Enteignung verboten ist. Für eine rechtmäßige Enteignung müssen nach der herrschenden Rechtspraxis jedoch vier Voraussetzungen erfüllt sein:45 (1) Die Enteignung muss dazu bestimmt sein, dem öffentlichen Interesse zu dienen. (2) Die Enteignung darf nicht diskriminierend sein. 41 Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (185). Zustimmend zu diesem Ansatz auch: Krajewski/Ceyssens, Internationaler Investitionsschutz und innerstaatliche Regulierung, AVR 2007, S. 180 (194 f.). Ablehnend zu diesem Ansatz: Kriebaum, Eigentumsschutz im Völkerrecht , 2008, S. 365. 42 Methanex Corporation v. United States of America, UNCITRAL, Final Award, 3. August 2005, Part IV, Chapter D, Rn. 7, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.italaw.com/sites/default/files/casedocuments /ita0529.pdf. 43 Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (186). 44 Tecmed v. Mexico, ICSID Case No. ARB/07/12, 29. Mai 2003, Rn. 122, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.italaw.com/sites/default/files/case-documents/ita0854.pdf. 45 Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 124; Fortier/Drymer, Indirect Expropriation in the Law of International Investment: I Know It When I See It, or Caveat Investor, ICSID Review – Foreign Investment Law Journal 2004, S. 293 (295 f.); Kriebaum, Eigentumsschutz im Völkerrecht, 2008, S. 216. Art. 1110 Abs. 1 NAFTA enthält z.B. genau diese Voraussetzungen. Abrufbar (auf Englisch) unter: https://www.nafta-secalena .org/Home/Legal-Texts/North-American-Free-Trade-Agreement. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 14 (3) Die Enteignung muss nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ablaufen.46 (4) Der Investor muss für die Enteignung entschädigt werden. Eine Entschädigungszahlung ist also Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Enteignung.47 Falls eine Enteignung ohne Entschädigung durchgeführt wird, ist die Enteignung rechtswidrig. Dann besteht ein Anspruch auf Wiederherstellung des Zustands vor der Enteignung48 und bei Unmöglichkeit der Wiederherstellung ein Anspruch auf Schadensersatz.49 Wird festgestellt, dass eine Maßnahme eine Enteignung darstellt, ist damit also gleichzeitig festgestellt, dass eine Entschädigungspflicht besteht.50 Diese Entschädigungspflicht muss nach der sogenannten Hull-Formel prompt, adequate und effective sein.51 Das Erfordernis einer Entschädigung bedeutet für regulatorische Maßnahmen, dass sie in einem Spannungsfeld stehen. Entweder stellen sie keine Enteignung dar und sind entschädigungsfrei oder sie stellen eine (indirekte) Enteignung dar und führen zur vollen Entschädigungspflicht des Staates, selbst wenn hochrangige Allgemeinwohlinteressen verfolgt werden.52 Dieses „Alles-oder- Nichts-System“ führt zu der enormen Bedeutung, die der oben dargestellten Abgrenzung von indirekter Enteignung und entschädigungsfreier regulatorischer Maßnahme zukommt.53 2.2.3.4. Unterschiede zwischen Enteignung und Verletzung des FET-Standards Ein Unterschied zwischen einer Enteignung und der Verletzung des FET-Standards liegt darin, dass eine Enteignung eine Entschädigungspflicht auslöst, während bei Verletzung des FET-Standards ein Anspruch auf Schadensersatz besteht, der den Ausgleich aller Vermögenseinbußen umfasst .54 Dieser Unterschied wird aber dadurch begrenzt, dass eine entschädigungslose Enteignung rechtswidrig ist und ebenfalls einen Schadensersatzanspruch auslöst. In der Schiedsgerichtspraxis werden regelmäßig sowohl eine Verletzung des FET-Standards als auch kumulativ eine rechtswidrige entschädigungslose Enteignung geltend gemacht, sodass sich 46 Diese Voraussetzung einer rechtmäßigen Enteignung wird abgelehnt von Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, S. 237 f. Ob dies zutrifft oder nicht, ist für die vorliegende Fragestellung jedoch irrelevant. 47 Kriebaum, Eigentumsschutz im Völkerrecht, 2008, S. 216. 48 Dazu Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, S. 239. 49 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, S. 239; Kriebaum, Eigentumsschutz im Völkerrecht , 2008, S. 216; Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (188). 50 Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (187). 51 Die Formel ist nach dem amerikanischen Außenminister Hull im Jahr 1938 benannt und findet sich in AJIL Supplement: Official Documents 1938, S. 181 (193). 52 Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (187). 53 Kriebaum, Eigentumsschutz im Völkerrecht, 2008, S. 216. 54 Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (192). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 15 Schiedsgerichte mit beiden Aspekten zusammen beschäftigen. Die genaue Abgrenzung kann mangels hinreichender Vorklärung durch Literatur und Schiedsgerichte im Rahmen dieses Gutachtens nicht dargestellt werden. 2.2.3.5. Zwischenergebnis zum Enteignungsschutz In bisherigen Investitionsschutzabkommen bleibt meist offen, was unter indirekter Enteignung zu verstehen ist. Die Abgrenzung zwischen indirekter Enteignung und entschädigungsfreier Maßnahme ist aber wegen der damit verbundenen finanziellen Folgen für den betroffenen Staat von enormer Bedeutung. Die Schiedsgerichtspraxis ist sich bei der Abgrenzung uneinig, hat aber die Auswirkungen einer Maßnahme auf den Investor, den Zweck der Maßnahme und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung als mögliche relevante Abgrenzungskriterien entwickelt. Welche Kriterien die jeweiligen Schiedsgerichte dabei konkret verwenden, ist unterschiedlich. 2.3. Fazit zum Investitionsschutz in bisherigen Abkommen Im bisherigen internationalen Investitionsschutz wurden regulatorische Maßnahmen vornehmlich und teilweise auch erfolgreich mit der Begründung angegriffen, diese Maßnahmen würden legitime Erwartungen von Investoren und damit den FET-Standard verletzen oder eine rechtswidrige indirekte Enteignung darstellen. Um das Regulierungsinteresse von Staaten mit dem Schutz von Investoren in Einklang zu bringen, hat die Schiedsgerichtspraxis Ansätze zur Begrenzung dieser beiden Investitionsschutzrechte entwickelt. Ein Ansatz fordert einen besonderen Vertrauenstatbestand zur Begründung legitimer Erwartungen, der über die bloße Rechtslage hinausgeht . Ein anderer Ansatz sieht eine Prüfung des Zwecks und der Verhältnismäßigkeit der regulatorischen Maßnahmen vor, wobei nur unverhältnismäßige Maßnahmen den FET-Standard verletzen . Auch bei der indirekten Enteignung wurde teilweise der Regulierungszweck von Maßnahmen berücksichtigt. Letztlich verbleiben aber aufgrund unterschiedlicher Schiedsgerichtspraxis und fehlender Definitionen in Investitionsschutzabkommen Unsicherheiten bei der Anwendung der Investitionsschutzvorschriften. 3. Ausgestaltung des Investitionsschutzes in CETA Im Folgenden soll der Investitionsschutz im Rahmen von CETA geprüft werden, um festzustellen , inwiefern die dort normierten Investitionsschutzrechte das right to regulate der Vertragsparteien beschränken. 3.1. Allgemeiner Rahmen des Investitionsschutzes in CETA Der Investitionsschutz ist in CETA in Kapitel 8 (Investitionen) geregelt. Nach Art. 8.18 Abs. 1 CETA i.V.m. Art. 8.18 Abs. 5 CETA können sich Investoren vor dem Investitionsgericht nur auf die Verletzung von Rechten aus Kapitel 8 Abschnitt C und Abschnitt D berufen. In diesen Abschnitten sind unter anderem die Grundsätze der Inländergleichbehandlung und der Meistbegünstigung , das fair and equitable treatment und der Schutz vor Enteignung als wichtigste Investitionsschutzrechte geregelt. Die Aufnahme dieser Rechte in ein Investitionsschutzabkommen entspricht der bisherigen völkerrechtlichen Praxis. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 16 3.2. Der FET-Standard in CETA 3.2.1. Ausgestaltung des FET-Standards in CETA Der FET-Standard wird in Art. 8.10 Abs. 1 CETA wie folgt festgelegt: Nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gewährt jede Vertragspartei in ihrem Gebiet den erfassten Investitionen der anderen Vertragspartei sowie Investoren in Bezug auf ihre erfassten Investitionen eine gerechte und billige Behandlung sowie vollen Schutz und volle Sicherheit . Zunächst erinnert diese Klausel an andere selbständige FET-Klauseln in Investitionsschutzverträgen . Allerdings wird in Art. 8.10 Abs. 1 CETA auf die Absätze 2 bis 7 von Art. 8.10 CETA verwiesen . Art. 8.10 Abs. 2 CETA enthält eine Liste von Tatbeständen, die einen Verstoß gegen die Verpflichtung zu gerechter und billiger Behandlung darstellen. Dazu zählen a) eine Rechtsverweigerung in straf-, zivil- oder verwaltungsrechtlichen Verfahren, b) eine grundlegende Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze, einschließlich einer grundlegenden Verletzung der Pflicht zur Transparenz, in Gerichts- und Verwaltungsverfahren , c) offensichtliche Willkür, d) gezielte Diskriminierung aus offenkundig ungerechtfertigten Gründen wie Geschlecht, Rasse oder religiöser Überzeugung, e) missbräuchliche Behandlung von Investoren wie Nötigung, Zwang und Schikane oder f) ein […] Verstoß gegen etwaige weitere von den Vertragsparteien nach Absatz 3 festgelegte Bestandteile der Verpflichtung zur gerechten und billigen Behandlung. Im Gegensatz zu den traditionellen FET-Klauseln enthält CETA also eine Liste der Verhaltensweisen , die unter den FET-Standard fallen. Nach Ansicht der Kommission ist diese Liste abschließend , wodurch eine missbräuchlich weite Auslegung der FET-Klausel verhindert werden soll.55 Dieses Enumerationsprinzip in CETA ist neuartig. Es findet sich aber auch in den Entwürfen zu TTIP56 und dem EU-Singapur-Freihandelsabkommen (EU-Singapore Free Trade Agreement – EUSFTA).57 Die UN Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) empfahl 2012 zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit, FET-Klauseln nicht in Investitionsschutzabkommen aufzunehmen oder beispielsweise mit einem abschließenden Katalog zum Inhalt des FET-Standards mehr Klarheit über den Regelungsinhalt zu schaffen.58 CETA wählt letzteren Ansatz. 55 Kommission, CETA – Summary of the final negotiating results, S. 11, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/december/tradoc_152982.pdf. 56 Art. 3 Abs. 2 TTIP, Vorschlag der Kommission abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib /docs/2015/september/tradoc_153807.pdf. 57 EU-Singapore Free Trade Agreement, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index .cfm?id=961. 58 UNCTAD, World Investment Report 2012, S. 139, abrufbar (auf Englisch) unter: http://unctad.org/en/Publications Library/wir2012_embargoed_en.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 17 3.2.2. Auslegung des FET-Standards durch die CETA-Vertragsparteien Die CETA-Vertragsparteien haben zwei Möglichkeiten, auf Inhalt und Auslegung der FET-Klausel Einfluss zu nehmen. Nach Art. 8.10 Abs. 3 CETA i.V.m. Art. 8.10 Abs. 2 lit. f CETA besteht die Möglichkeit, dass die Vertragsparteien über den Gemischten CETA-Ausschuss Elemente des FET-Standards abändern. Die Liste der Fallgruppen in Art. 8.10 Abs. 2 CETA, die eine Verletzung des FET-Standards bedeuten , kann durch die CETA-Vertragsparteien bei Bedarf um neue Tatbestände erweitert werden .59 Diese Erweiterungsmöglichkeit ist, nach Ansicht der Literatur, die notwendige und logische Folge des abgeschlossenen Katalogs in Art. 8.10 Abs. 2 CETA, mit welcher der fehlenden Rechtsfortbildungsmöglichkeit des Investitionsgerichts Rechnung getragen werden soll.60 Eine andere Möglichkeit der Vertragsparteien, auf die FET-Klausel Einfluss zu nehmen, ergibt sich aus Art. 8.31 Abs. 3 CETA. Dieser bestimmt: Bei ernsthaften Bedenken in Bezug auf Auslegungsfragen, die sich auf Investitionen auswirken können, kann der Ausschuss für Dienstleistungen und Investitionen dem Gemischten CETA-Ausschuss nach Artikel 8.44 Absatz 3 Buchstabe a die Annahme von Auslegungen dieses Abkommens empfehlen. Eine vom Gemischten CETA-Ausschuss angenommene Auslegung ist für das nach diesem Abschnitt errichtete Gericht bindend. […] Diese Interpretationshoheit der Vertragsparteien kann auch bei Fehlentwicklungen in der Rechtsprechung des Investitionsgerichts wahrgenommen werden. Die Kommission sieht diese Interpretationsmöglichkeit als weiteren Schutzanker vor einer ausufernden Auslegung der FET-Klausel in der Praxis des Investitionsgerichts.61 3.2.3. Zwischenergebnis zum FET-Standard Der FET-Standard in CETA geht neue Wege im Vergleich zu bisherigen Investitionsschutzabkommen , indem der Tatbestand des fair and equitable treatment im Abkommen selbst definiert wird. Dies stellt nach Auffassung der Kommission – ebenso wie die Möglichkeit der Vertragsparteien, auf die Auslegung der FET-Klausel Einfluss zu nehmen – einen Fortschritt im Vergleich zu bisherigen Investitionsschutzabkommen dar, da der FET-Standard dadurch enger gefasst ist, was die Rechtssicherheit erhöht und Investoren weniger Möglichkeiten zu (rechtsmissbräuchlichen) Investitionsschutzklagen gegen regulatorische Maßnahmen eröffnet.62 59 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406, (416). 60 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406, (416). 61 Kommission, Factsheet on investment protection in CETA, S. 7, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa .eu/doclib/docs/2013/november/tradoc_151918.pdf. 62 Vgl. Kommission, Factsheet on investment protection in CETA, S. 2 und 7, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/november/tradoc_151918.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 18 3.3. Die Rolle legitimer Erwartungen in CETA Die Verletzung legitimer Erwartungen ist in Art. 8.10 Abs. 2 CETA nicht als eigener Verletzungstatbestand im Rahmen des FET-Standards aufgeführt. Es findet sich aber in Art. 8.10 Abs. 4 CETA folgende Formulierung: Im Zusammenhang mit der oben dargelegten Verpflichtung zur gerechten und billigen Behandlung kann das Gericht berücksichtigen, ob eine Vertragspartei gegenüber einem Investor , um ihn zur Vornahme einer erfassten Investition zu bewegen, eine spezifische Erklärung abgegeben hat, die ein berechtigtes Vertrauen begründet und auf die sich der Investor bei der Entscheidung, die erfasste Investition zu tätigen oder aufrechtzuerhalten, verlassen hat, an die sich die Vertragspartei im Nachhinein aber nicht gehalten hat. Diese Klausel gibt unter mehreren Gesichtspunkten Anlass zur näheren Analyse. 3.3.1. Kein eigener Tatbestand Die Bezugnahme auf die vorhergehende FET-Klausel spricht dafür, dass das Konzept der legitimen Erwartungen nur im Rahmen der in der FET-Klausel genannten Verletzungstatbestände in Art. 8.10 Abs. 2 CETA Anwendung finden kann.63 Für diese Annahme spricht auch, dass im EU- Singapur-Freihandelsabkommen (EU-Singapore Free Trade Agreement – EUSFTA)64 in Art. 9.4 Abs. 2 EUSFTA die Verletzung legitimer Erwartungen explizit als eigener Verletzungstatbestand aufgeführt wird, während dies in CETA nicht der Fall ist.65 Damit weicht CETA von der bisherigen Konzeption ab, den Schutz legitimer Erwartungen als eigenständigen Bestandteil des FET- Standards anzusehen.66 In der Literatur wird die Fallgruppe der offensichtlichen Willkür aus Art. 8.10 Abs. 2 lit. c CETA als mögliches Einfallstor für die Anwendung des Schutzkonzepts legitimer Erwartungen angesehen .67 In der Literatur wird teilweise die Meinung vertreten, durch die Systematik von CETA verlagere sich das Problem der Auslegung des FET-Standards im Hinblick auf die legitimen Erwartungen lediglich hin zu der Frage nach der Auslegung von offensichtlicher Willkür, sodass das 63 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (421). 64 EU-Singapore Free Trade Agreement, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index .cfm?id=961. 65 Escher/Sliskovic, Aktuelle Entwicklungen des Investitionsschutzrechts, RIW 2016, S. 190 (194). 66 Escher/Sliskovic, Aktuelle Entwicklungen des Investitionsschutzrechts, RIW 2016, S. 190 (194). 67 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (422 f.); Escher/Sliskovic, Aktuelle Entwicklungen des Investitionsschutzrechts, RIW 2016, S. 190 (194). Escher und Sliskovic besprechen in ihrem Aufsatz das Abkommen TTIP. TTIP enthält aber im Entwurf der Kommission eine fast identische FET-Klausel, sodass die Argumentation auf CETA übertragbar ist. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 19 Ziel einer rechtssicheren Definition des FET-Standards verfehlt werde.68 In eine andere Richtung zielt die Kritik, in der neuartigen Regelungstechnik zum FET in CETA liege eine Absenkung des bisherigen Schutzstandards von Investoren, da die Anforderungen an eine Verletzung des FET- Standards erhöht worden seien. So verletze nach CETA nicht allein Willkür, sondern nur offensichtliche Willkür den Grundsatz der gerechten und billigen Behandlung.69 3.3.2. Ermessen bei der Berücksichtigung legitimer Erwartungen Art. 8.10 Abs. 4 CETA legt für den Schutz legitimer Erwartungen fest, dass das Investitionsgericht diese Erwartungen berücksichtigen „kann“. Für das Gericht besteht also Ermessen, ob es die Verletzung legitimer Erwartungen überhaupt berücksichtigt.70 In der Literatur wird diese Wortwahl zum Teil kritisiert, da hieraus das Verhältnis und die Verbindung zu den Tatbeständen in Art. 8.10 Abs. 2 CETA nicht klar werde und den Gerichten keine Richtschnur für die Art und Weise der Berücksichtigung an die Hand gegeben werde.71 3.3.3. Das Merkmal „spezifische Erklärung“ Art. 8.10 Abs. 4 CETA enthält ein einschränkendes Merkmal für die Begründung einer legitimen Erwartung. Danach muss eine „spezifische Erklärung“ als Grundlage für legitime Erwartungen vorliegen. Auf Englisch wird der Begriff „specific representation“ verwendet. Der Begriff „spezifische Erklärung“ wird in CETA nicht näher definiert. Damit stellen sich dieselben Auslegungsfragen wie bei den bisherigen Ansätzen in der Schiedsgerichtspraxis, die für die Verletzung legitimer Erwartungen einen besonderen Vertrauenstatbestand verlangen.72 Insbesondere stellt sich die Frage, worauf ein Vertrauenstatbestand begründet werden kann. Der Wortlaut in Art. 8.10 Abs. 4 CETA spricht nach hiesiger Auffassung dagegen, allein die geltende Rechtslage zum Zeitpunkt der Investition als anspruchsbegründenden Vertrauenstatbestand anzusehen. Eine abstrakt-generelle Regelung, wie z.B. ein Gesetz, ist keine „Erklärung“, sondern eine Rechtsregel, die keinen direkten Adressaten kennt. Selbst wenn darin eine Erklärung gesehen werden sollte, spricht die Abstraktheit von Gesetzen dagegen, diese als „spezifische “ Erklärung anzusehen. Es gibt zwar Stimmen in der Literatur und Schiedssprüche, nach denen bereits die Gesetzgebung, die für bestimmte Investitionsarten z.B. Steuervorteile verspricht, als Grundlage einer legitimen 68 Escher/Sliskovic, Aktuelle Entwicklungen des Investitionsschutzrechts, RIW 2016, S. 190 (194); Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (423). 69 Escher/Sliskovic, Aktuelle Entwicklungen des Investitionsschutzrechts, RIW 2016, S. 190 (194). 70 Kriebaum, FET and Expropriation in the (Invisible) EU Model BIT, The Journal of World Investment & Trade 2014, S. 454 (478). 71 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (422). 72 Siehe dazu auch oben 2.2.2.3.1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 20 Erwartung im Rahmen von Investitionsschutzabkommen angesehen werden kann.73 Allerdings wird von den Vertretern dieser Ansicht eingeräumt, dass konkrete Zusicherungen eines Gaststaates bessere Erfolgschancen vor einem Gericht hätten als die bloße Berufung auf eine veränderte Gesetzeslage.74 So wird in anderen Teilen der Schiedsgerichtspraxis das Vertrauen in die geltende Rechtslage als nicht ausreichend für die Begründung eines besonderen Vertrauenstatbestands angesehen.75 Eine solche weite Auslegung der „spezifischen Erklärung“ stünde zudem im Gegensatz zu der Ansicht der Kommission, nach der bloße Änderungen der Rechtslage keine Verletzung von Investitionsschutzrechten nach CETA darstellen können.76 Nach hiesiger Auffassung sprechen daher gute Gründe dafür, die Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Investition nicht als spezifische Erklärung i.S.v. Art. 8.10 Abs. 4 CETA anzusehen,77 die legitime Erwartungen begründen kann. Dafür spricht auch aus systematischen Gründen, dass nach Art. 8.9 Abs. 2 CETA die bloße Tatsache einer Gesetzesänderung mit daraus resultierenden Schäden des Investors allein keinen Verstoß gegen Investitionsschutzrechte darstellt.78 3.3.4. Zwischenergebnis zu den legitimen Erwartungen Die legitimen Erwartungen werden in CETA nicht als eigener Verletzungstatbestand des FET- Standards aufgeführt, obwohl die bisherige Schiedsgerichtspraxis die legitimen Erwartungen häufig in den Mittelpunkt der Erörterung des FET-Standards gestellt hat. CETA verlangt für das Entstehen legitimer Erwartungen zudem eine spezifische Erklärung, was nach hiesiger Auffassung dagegen spricht, allein die geltende Rechtslage zum Zeitpunkt der Investition als Grundlage legitimer Investorenerwartungen anzusehen. Es kann daher angenommen werden, dass die Be- 73 Kriebaum, FET and Expropriation in the (Invisible) EU Model BIT, The Journal of World Investment & Trade 2014, S. 454 (478); Henckels, Protecting Regulatory Autonomy through Greater Precision in Investment Treaties: The TPP, CETA, and TTIP, JIntEconLaw 2016, S. 27 (38). 74 Kriebaum, FET and Expropriation in the (Invisible) EU Model BIT, The Journal of World Investment & Trade 2014, S. 454 (478); Henckels, Protecting Regulatory Autonomy through Greater Precision in Investment Treaties: The TPP, CETA, and TTIP, JIntEconLaw 2016, S. 27 (38). 75 Mit weiteren Beispielen: Charanne v. Spain, SCC Award, Arbitration No: 062/2012, 21. Januar 2016, Rn. 499 ff., abrufbar (auf Englisch [inoffizielle Übersetzung aus dem Spanischen]) unter: http://www.italaw.com/sites /default/files/case-documents/italaw7162.pdf. 76 Kommission, Factsheet on investment protection in CETA S. 2, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa .eu/doclib/docs/2013/november/tradoc_151918.pdf. 77 Jedenfalls wären unter CETA weniger regulatorische Maßnahmen als in bisherigen Investitionsschutzabkommen angreifbar, meint Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (420). 78 Welche Bedeutung dieses right to regulate in Art. 8.9 CETA für die Auslegung hat, wird noch gesondert unter 3.5.4. dargelegt werden. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 21 deutung der legitimen Erwartungen für Investitionsschutzklagen in CETA, verglichen mit anderen Investitionsschutzabkommen, verhältnismäßig gering sein wird.79 Die legitimen Erwartungen von Investoren dürften in CETA kein erfolgreicher Klagegrund sein, um Schadensersatz allein wegen einer Gesetzesänderung zu verlangen. Vielmehr setzt eine legitime Erwartung eine spezifische Erklärung des Gaststaates gegenüber dem Investor voraus. Es besteht mithin die Möglichkeit für einen Investor, aussichtsreich zu klagen, wenn der Gaststaat ihm gegenüber die Beibehaltung der relevanten Rechtsordnung zum Zeitpunkt der Investition ausdrücklich zugesichert hat und dann ändert. 3.4. Enteignungsschutz in CETA 3.4.1. Definition der Enteignung in CETA Der Enteignungsschutz ist in Art. 8.12 CETA geregelt. Nach Art. 8.12 Abs. 1 Satz 1 CETA sind direkte und indirekte Enteignungen vom Enteignungsschutz erfasst. Art. 8.12 Abs. 1 Satz 2 CETA verweist für die Auslegung dieser Begriffe auf Anhang 8-A CETA. Nach Anhang 8-A Nr. 1 lit. b CETA liegt eine indirekte Enteignung vor, wenn die Maßnahme oder Reihe von Maßnahmen einer Vertragspartei eine der direkten Enteignung gleiche Wirkung entfaltet, insofern als dem Investor in wesentlichem Maße grundlegende Eigentümerrechte an seiner Investition entzogen werden, darunter das Recht, diese zu verwenden, zu nutzen und darüber zu verfügen, ohne dass eine förmliche Eigentumsübertragung oder eine Beschlagnahme erfolgt. Dies wird in Anhang 8-A Nr. 2 und 3 CETA weiter konkretisiert. Nach Nr. 2 erfolgt die Feststellung einer indirekten Enteignung im Einzelfall unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen und der Dauer der Maßnahme, des Ausmaßes, in dem die Maßnahme den vernünftigen Erwartungen, die mit der Investition verbunden sind, zuwiderläuft und der Art der Maßnahme , insbesondere deren Gegenstand, Kontext und Ziel. Nr. 3 des Anhangs 8-A stellt klar, dass diskriminierungsfreie Maßnahmen einer Vertragspartei, die zu dem Zweck konzipiert und angewendet werden, den Schutz berechtigter Gemeinwohlziele wie öffentliche Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz zu gewährleisten, keine indirekte Enteignung darstellen; davon ausgenommen sind die seltenen Fälle, in denen die Auswirkungen einer Maßnahme oder einer Reihe von Maßnahmen unter Berücksichtigung ihres Zweckes so schwerwiegend sind, dass sie offenkundig überzogen erscheinen. 79 In diese Richtung auch Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (420). Für das hier vergleichbare TTIP sehen eine Absenkung des Investorenschutzes im Hinblick auf legitime Erwartungen auch Escher/Sliskovic, Aktuelle Entwicklungen des Investitionsschutzrechts, RIW 2016, S. 190 (194). In einem vom BMWi in Auftrag gegebenen Gutachten wird ebenfalls eine Absenkung des FET-Standards im Vergleich zu bisherigen Investitionsschutzabkommen gesehen: Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 14, abrufbar unter https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/ceta-gutachten -investitionsschutz,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 22 Nach Ansicht der Kommission stellt die Definition in Nr. 3 sicher, dass regulatorische Maßnahmen mit legitimen Zwecken keine indirekte Enteignung sein können. Auch biete Nr. 2 des Anhangs 8-A aufgrund der detaillierten Definition einer indirekten Enteignung eine größere Rechtssicherheit als bisherige Investitionsschutzabkommen.80 Nach Anhang 8-A Nr. 2 lit. a CETA kann allein aus der nachteiligen Wirkung einer Maßnahme auf den Investor keine indirekte Enteignung abgeleitet werden. Dies ist nach hiesiger Auffassung eine Absage an den sole effects-Ansatz.81 Anhang 8-A Nr. 3 Hs. 1 CETA nimmt Maßnahmen, die berechtigte Gemeinwohlziele verfolgen, vom Anwendungsbereich der indirekten Enteignung aus. Dies entspricht dem radikalen police powers-Ansatz.82 Allerdings ist in Anhang 8-A Nr. 3 Hs. 2 CETA geregelt, dass besonders schwerwiegende Auswirkungen auf den Investor doch eine indirekte Enteignung darstellen können. Damit wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgegeben, die jedoch gegenüber der Verhältnismäßigkeitsprüfung im gemäßigten police powers-Ansatz83 abgemildert ist, da nur offenkundig überzogene Maßnahmen eine indirekte Enteignung darstellen. CETA verfolgt also nach hiesiger Auffassung eine Mittelposition zwischen dem radikalen und dem gemäßigten police powers-Ansatz. Dabei wird dem legitimen Zweck einer Maßnahme ein hoher Stellenwert eingeräumt, der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hohe Hürden für das Vorliegen einer indirekten Enteignung aufstellt.84 3.4.2. Die Rechtsfolgen einer Enteignung in CETA Die Rechtsfolgen der Enteignung richten sich danach, ob eine rechtmäßige oder eine rechtswidrige Enteignung vorliegt. Gemäß Art. 8.12 Abs. 1 CETA muss eine rechtmäßige Enteignung a) zu einem öffentlichen Zweck, b) nach einem rechtsstaatlichen Verfahren, c) diskriminierungsfrei und d) gegen Zahlung einer prompten, adäquaten und effektiven Entschädigung 80 Kommission, Factsheet on investment protection in CETA, S. 3, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa .eu/doclib/docs/2013/november/tradoc_151918.pdf. 81 Zum sole effects-Ansatz siehe oben unter 2.2.3.2.1. 82 Zum radikalen police powers-Ansatz siehe oben unter 2.2.3.2.2. 83 Zum gemäßigten police powers-Ansatz siehe oben unter 2.2.3.2.2. 84 Von einer widerlegbaren Vermutung sprechen Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht 2010, S. 289 f. Diese besprechen den zu Anhang 8-A CETA sehr ähnlichen amerikanischen Modellvertragstext. Die Autoren halten diese Regelung für den bisher differenziertesten Lösungsansatz bei der Regelung indirekter Enteignungen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 23 erfolgen. Diese Voraussetzungen stimmen mit den auch sonst üblichen Enteignungsvoraussetzungen im Völkergewohnheitsrecht und in Investitionsschutzabkommen überein.85 Bei Vorliegen einer Enteignung besteht also Anspruch auf Entschädigung. Liegt keine Enteignung vor, besteht kein Anspruch auf Entschädigung. Wenn eine Enteignung vorliegt und keine Entschädigung gezahlt wird, ist die Enteignung rechtswidrig , sodass nach allgemeinen Grundsätzen86 eine Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes erfolgen müsste. In Art. 8.39 Abs. 1 lit. b CETA ist geregelt, dass eine Rückerstattung von Vermögenswerten möglich ist, der erstattungspflichtige Staat aber auch Schadensersatz in Höhe des Marktwerts leisten kann. 3.4.3. Zwischenergebnis zum Enteignungsschutz CETA enthält Vorgaben zur Auslegung des Begriffs der indirekten Enteignung und schafft damit im Vergleich zu anderen Investitionsschutzabkommen ein gesteigertes Maß an Rechtssicherheit. Bei der Beurteilung der Frage, ob wegen enteignender Wirkung von regulatorischen Maßnahmen eine Entschädigung zu zahlen ist, misst CETA nach hiesiger Auffassung dem öffentlichen Interesse am right to regulate einen hohen Stellenwert bei, da regulatorische Maßnahmen keine indirekten Enteignungen darstellen, wenn sie dem Schutz berechtigter Gemeinwohlziele dienen und nicht offenkundig überzogen erscheinen. Bei einer diskriminierungsfreien Maßnahme zum Umweltschutz beispielsweise dürfte vom Investitionsgericht nur bei einer offenkundig überzogenen Maßnahme eine indirekte Enteignung festgestellt und dem Investor Schadensersatz zugesprochen werden.87 Im Vergleich zu früheren Investitionsschutzabkommen wird damit die Möglichkeit der Investoren, aussichtsreich Klage gegen regulatorische Maßnahmen zu erheben, beschränkt. 3.5. Das right to regulate in CETA Der Anwendungsbereich der Investitionsschutzrechte wurde in CETA beschränkt, weswegen die Regulierungsfreiheit der Vertragsparteien durch CETA insoweit weniger begrenzt wird als durch bisherige Investitionsschutzabkommen. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Bedeutung CETA dem right to regulate selbst zumisst. 3.5.1. Die Formulierung des right to regulate im Vertragstext Die ausdrückliche Erwähnung des right to regulate in CETA ist bemerkenswert, da Investitionsschutzabkommen bislang kaum ausdrückliche Ausnahmen für Regulierungsbedürfnisse enthielten .88 In der Präambel von CETA sprechen die Vertragsparteien davon, anzuerkennen, 85 Siehe oben unter 2.2.3.3. 86 Siehe oben unter 2.2.3.3. 87 Vgl. Anhang 8-A Nr. 3 CETA. 88 Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (192). So auch Kommission, Factsheet on investment protection in CETA, S. 1, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/november/tradoc_151918.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 24 dass die Bestimmungen dieses Abkommens den Vertragsparteien das Recht zugestehen, in ihren Hoheitsgebieten regelnd tätig zu werden, und dass sie die Flexibilität der Vertragsparteien wahren, berechtigte Gemeinwohlziele wie öffentliche Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz, öffentliche Sittlichkeit sowie Förderung und Schutz der kulturellen Vielfalt zu verfolgen und dass die Bestimmungen dieses Abkommens Investitionen sowie Investoren in Bezug auf ihre Investitionen schützen und eine beiderseitig vorteilhafte Wirtschaftstätigkeit fördern sollen, ohne das Recht der Vertragsparteien zu untergraben, im öffentlichen Interesse innerhalb ihrer Hoheitsgebiete regelnd tätig zu werden [.] Auch im Vertragstext selbst finden sich Passagen zum right to regulate. Im Kapitel 23 von CETA über Handel und Arbeit und im Kapitel 24 von CETA über Handel und Umwelt finden sich Vorschriften zum right to regulate. Für den Investitionsschutz entscheidend sind die Vorschriften über das right to regulate im Kapitel 8 von CETA. Art. 8.9 Abs. 1 CETA lautet: Für die Zwecke dieses Kapitels bekräftigen die Vertragsparteien ihr Recht, zur Erreichung legitimer politischer Ziele wie des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit, des Schutzes der Umwelt oder der öffentlichen Sittlichkeit, des Sozial- oder Verbraucherschutzes oder der Förderung und des Schutzes der kulturellen Vielfalt in ihrem jeweiligen Gebiet regelnd tätig zu werden. Art. 8.9 Abs. 2 CETA lautet: Zur Klarstellung: Die bloße Tatsache, dass eine Vertragspartei – auch durch Änderung ihrer Gesetze – Regelungen in einer Art und Weise trifft, die sich auf eine Investition negativ auswirkt oder die Erwartungen eines Investors, einschließlich seiner Gewinnerwartungen, beeinträchtigt , stellt keinen Verstoß gegen eine Verpflichtung aus diesem Abschnitt dar. Die Absätze 3 und 4 von Art. 8.10 CETA beschäftigen sich mit Subventionen und werden deshalb nicht näher untersucht. 3.5.2. Bedeutung des right to regulate nach dem Wortlaut Die doppelte Erwähnung des right to regulate in der Präambel stellt die Bedeutung dieses Prinzips für die Vertragsparteien heraus. Die konkrete Regelung in Art. 8.9 Abs. 1 CETA spricht aber nur von einer Bekräftigung des Prinzips. Dies klingt wie eine unverbindliche Zielvorstellung, die Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 25 ebenfalls in der Präambel enthalten sein könnte.89 In Art. 2.1 des Kommissionsvorschlags für TTIP90 ist beispielsweise festgelegt, dass „provisions of this section shall not affect the right of the Parties to regulate […] to achieve legitimate policy objectives”. Diese Vorschrift ist als eine verbindliche Regelung formuliert und unterscheidet sich von der Bestimmung in CETA. Eine bloße Bekräftigung wie in CETA gibt, so die Kritik in Teilen der Literatur, nicht vor, welche Wirkungen das right to regulate tatsächlich haben soll.91 3.5.3. Bedeutung des right to regulate unter systematischen Gesichtspunkten Art. 28.3 Abs. 1 CETA enthält einen Verweis auf Art. XX des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994 (WTO-Abkommen – GATT 1994) für die Abschnitt B und C des Kapitels 8 zum Investitionsschutz. Art. XX GATT 1994 lautet: Unter dem Vorbehalt, daß die folgenden Maßnahmen nicht so angewendet werden, daß sie zu einer willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen gleiche Verhältnisse bestehen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen, darf keine Bestimmung dieses Abkommens so ausgelegt werden , daß sie eine Vertragspartei daran hindert, folgende Maßnahmen zu beschließen oder durchzuführen:92 Art. XX GATT 1994 bestimmt demnach, dass das Abkommen nicht dergestalt ausgelegt werden dürfe, dass es die Gesetzgebungsbefugnisse der Vertragsparteien in den nachfolgend aufgeführten Bereichen, wie z.B. Maßnahmen zum Schutz der menschlichen, tierischen und pflanzlichen Gesundheit , beschränkt. In Art. 28.3 Abs. 2 CETA sind zudem für die Abschnitte B und C des Kapitels 8 ebenfalls Ausnahmen vorgesehen, wonach CETA in diesem Bereich nicht dahingehend auszulegen ist, dass es die Annahme oder Durchsetzung von Maßnahmen einer Vertragspartei verhindert, die zum Schutz bestimmter Rechtsgüter erforderlich sind. 89 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (424). Zur geringen rechtlichen Wirkung der Präambel siehe Krajewski, Anmerkungen zum Gutachten von Dr. Stephan Schill zu den Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren im Entwurf des CETA auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers vom 22.9.2014, S. 5, abrufbar unter: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen _az/EU-USA_Freihandelsabkommen/Thesenpapier_Klageprivilegien_in_CETA.PDF. 90 TTIP, Vorschlag der Kommission, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/september /tradoc_153807.pdf. 91 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (424). 92 Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen 1994 vom 15. April 1994, ABl. Nr. L 336 vom 23. Dezember 1994, S. 11, Gesamttext konsolidiert abrufbar unter: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen &Gesetzesnummer=10006207. Anmerkung des Verfassers: Das WTO-Abkommen von 1994 inkorporiert das GATT-Abkommen von 1947, sodass hier der (konsolidierte) Wortlaut des Abkommens von 1947 relevant ist. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 26 Die Verweisung in Art. 28.3 Abs. 1 und die Regelung in Art. 28.3 Abs. 2 CETA erfassen gerade nicht die Vorgaben zu FET und Enteignung, da diese Vorschriften in Abschnitt D des Kapitels 8 stehen. Diese Verweisungstechnik legt nach einigen Stimmen in der Literatur nahe, dass anders als in Art. XX GATT 1994 das right to regulate der Vertragsparteien in Abschnitt D des Kapitels 8 von CETA nicht abgesichert ist.93 Allerdings könnte die Verweisung und Regelung auch nur auf die Abschnitte B und C des 8. Kapitels von CETA beschränkt sein, da diese Abschnitte klassische WTO-Themen, wie die Meistbegünstigung oder die Inländergleichbehandlung, betreffen und in diesem Zusammenhang ein Gleichlauf zwischen der Rechtsprechung in CETA- und WTO-Angelegenheiten sichergestellt werden sollte. Es gibt zudem andere Stimmen in der Literatur, die in dem fehlenden Verweis der besonderen Ausnahmekataloge in Art. 28.3 CETA auf Abschnitt D des 8. Kapitels, in dem der FET-Standard und der Enteignungsschutz enthalten sind, einen größeren Regulierungsspielraum der Vertragsparteien sehen. Denn während die Ausnahmevorschriften in Art. 28.3 CETA nur bestimmte Allgemeinwohlinteressen zur Rechtfertigung erlauben, könnte dies im Umkehrschluss bedeuten, dass ohne diesen Verweis alle Allgemeinwohlinteressen eine regulatorische Maßnahme rechtfertigen könnten. Schließlich werde in Art. 8.9 des Abschnitts D das right to regulate verankert.94 3.5.4. Das right to regulate in Bezug auf den FET-Standard Aus dem Zusammenspiel von Art. 8.9 Abs. 2 CETA (right to regulate) und Art. 8.10 Abs. 4 CETA (legitimate expectations) dürfte sich ergeben, dass abstrakt-generelle Regelungen wie Gesetze keine spezifische Erklärung i.S.v. Art. 8.10 Abs. 4 CETA sein können. Wenn nach Art. 8.9 Abs. 2 CETA eine Gesetzesänderung „keinen Verstoß gegen eine Verpflichtung aus diesem Abschnitt [darstellt]“ (also auch des FET-Standards inklusive legitimer Erwartungen), kann die bestehende 93 Ernst, „Fair and equitable treatment“ im CETA – Innovation im Spannungsverhältnis zwischen Investor und Staat, KritV 2015, S. 406 (424 f.). So wohl auch Krajewski, Anmerkungen zum Gutachten von Dr. Stephan Schill zu den Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren im Entwurf des CETA auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers vom 22.9.2014, S. 5, abrufbar unter: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/EU-USA_Freihandelsabkommen /Thesenpapier_Klageprivilegien_in_CETA.PDF. Zu den möglichen negativen Auswirkungen der Verweisung auf die GATT-Vorschriften für die Abschnitte B und C des 8. Abschnitts siehe Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 128 f. 94 Melo Araujo, The EU Deep Trade Agenda, 2016, S. 128. So auch: Holterhus, Investitionsschutzgericht in CETA: ein Schritt in die richtige Richtung, 8.3.2016, verfassungsblog.de, URL: http://verfassungsblog.de/investitionsschutzgericht -in-ceta-ein-schritt-in-die-richtige-richtung/. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 27 Gesetzeslage zum Zeitpunkt der Investition nach hiesiger Auffassung keinen Vertrauenstatbestand in Form einer spezifischen Erklärung begründen,95 auf den sich ein Investor im Rahmen einer Fallgruppe des Art. 8.10 Abs. 2 CETA stützen kann. 3.5.5. Das right to regulate in Bezug auf den Enteignungsschutz Wie oben bereits dargelegt96 betont bereits die Definition der indirekten Enteignung in Anhang 8-A die Bedeutung legitimer öffentlicher Interessen bei regulatorischen Maßnahmen. Dass den Regelungen zum right to regulate darüber hinaus eine besondere Bedeutung zukommt, ist nach hiesiger Auffassung eher unwahrscheinlich, ggf. verstärken sie die Bedeutung der Gemeinwohlziele im Rahmen der ggf. nach Anhang 8-A Nr. 3 erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. 3.5.6. Zwischenergebnis zum right to regulate Die Bedeutung des in CETA normierten right to regulate ist umstritten. Es bleibt die Frage, ob das right to regulate lediglich eine deklaratorische Funktion hat oder darüber hinaus eine rechtliche Wirkung entfaltet. In der Literatur wird seine Aufnahme zum Teil als möglicherweise inhaltsleeres , deklaratorisches Zugeständnis an CETA-Kritiker gewertet.97 Die Kommission selbst sieht in der Aufnahme des right to regulate hingegen eine Klarstellung.98 Gleichzeitig sei es eine wichtige Interpretationshilfe für das Investitionsgericht bei der Auslegung der Investitionsvorschriften, sodass Maßnahmen zur Erreichung legitimer Ziele, z.B. Gesundheits- oder Verbraucherschutz, keine Verletzung von Investitiosschutzrechten darstellen würden.99 Nach hiesiger Auffassung bewirkt das right to regulate in Bezug auf den FET-Standard, dass allein die geltende Rechtslage zum Zeitpunkt der Investition keine legitimen Investorenerwartungen begründen kann. In Bezug auf den Enteignungsschutz dürfte das right to regulate bereits über die Definition der indirekten Enteignung geschützt sein. 95 Da dem Investor die Regulierungsfreiheit des Gaststaates bewusst sein müsse, könne sich ein Investor grundsätzlich nicht allein auf die zur Zeit der Investition geltende Rechtslage berufen, meint auch Hölken, Legitime Regulierung durch den Staat im Konflikt mit dem Investorenschutz, KSzW 2011, S. 183 (190 f.). Andere Ansicht wohl Krajewski, Anmerkungen zum Gutachten von Dr. Stephan Schill zu den Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren im Entwurf des CETA auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers vom 22.9.2014, S. 5, abrufbar unter https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin /media/gruenebundestag_de/themen_az/EU-USA_Freihandelsabkommen/Thesenpapier_Klageprivilegien _in_CETA.PDF. 96 Siehe oben unter 3.4.1. 97 Escher/Sliskovic, Aktuelle Entwicklungen des Investitionsschutzrechts, RIW 2016, S. 190 (195). 98 Kommission, TTIP Meeting report, 17. September 2015, S. 3, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa .eu/doclib/docs/2015/september/tradoc_153803.pdf. 99 Kommission, Factsheet on investment protection in CETA, S. 2, abrufbar (auf Englisch) unter: http://trade.ec.europa .eu/doclib/docs/2013/november/tradoc_151918.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 28 3.6. Fazit zum Verhältnis des right to regulate zum Investitionsschutz in CETA Im Vergleich zu bisherigen Investitionsschutzabkommen zeichnet sich CETA durch engere Definitionen der Tatbestände der FET-Klausel und der (indirekten) Enteignung aus. Diese Definitionen sollen dazu dienen, die Zahl von Investitionsschutzklagen zu minimieren und das ausdrücklich in CETA normierte right to regulate zu schützen. Es kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend festgestellt werden, inwiefern – trotz dieser Änderungen in CETA im Vergleich zu anderen Investitionsschutzabkommen – Klagen von Investoren wegen regulatorischer Maßnahmen erhoben werden. So sind Klagen gegen Gesetzesänderungen beispielsweise in den besonderen Fällen denkbar, in denen dem Investor eine Beibehaltung der Rechtslage spezifisch zugesichert wurde,100 sodass eine Änderung durch regulatorische Maßnahmen ggf. offensichtlich willkürlich ist und den FET-Standard nach Art. 8.10 CETA verletzt oder eine indirekt enteignende Regulation offenkundig überzogen ist. Die Möglichkeit erfolgreicher Klagen allein aufgrund von regulatorischen Maßnahmen scheint im Vergleich zu anderen Abkommen jedoch beschränkt worden zu sein. 4. Erforderlichkeit eines Investitionsgerichts in CETA Nach Art. 8.18 Abs. 1 CETA hat ein Investor im Rahmen von CETA die Möglichkeit, Klage vor dem Investitionsgericht zu erheben, wenn eine Vertragspartei ihre Verpflichtungen aus Teil C und D des 8. Kapitels von CETA verletzt hat. In Teil D sind sowohl Art. 8.10 CETA zur gerechten und billigen Behandlung (FET) als auch Art. 8.12 CETA mit den Vorgaben zur Enteignung enthalten . Wenn eine Vertragspartei ihre aus diesen Artikeln folgenden Pflichten verletzt, kann der Investor mithin Klage vor dem Investitionsgericht erheben. Gefragt worden ist, ob bereits ausreichender Schutz von Investoren durch die ordentliche Gerichtsbarkeit auf nationaler und europäischer Ebene besteht und ein Investitionsgericht daher nicht erforderlich ist. Dafür ist zum einen von Bedeutung, ob CETA unmittelbar anwendbar ist und sich Investoren vor nationalen Gerichten bzw. der europäischen Gerichtsbarkeit überhaupt auf die Investitionsschutzrechte aus CETA berufen können (4.2.). Wenn dies nicht der Fall ist, ist die Frage zu klären , ob Investoren dennoch, gestützt auf nationale oder europäische Normen und Rechtsbehelfe, gegen Maßnahmen der Vertragsparteien vorgehen können, die willkürlich bzw. diskriminierend sind oder sie indirekt enteignen. Es ist mithin zu untersuchen, ob Investoren Klage vor nationalen Gerichten oder der europäischen Gerichtsbarkeit aus den Gründen erheben können, aus denen sie vor dem durch CETA installierten Investitionsgericht klagen könnten (4.3.). Anschließend wird das Verhältnis der nationalen und europäischen Rechtsschutzmöglichkeiten zum Investitionsschutz in CETA dargestellt (4.4.). Auf diesen Grundlagen wird abschließend die Erforderlichkeit eines speziellen Investitionsschutzes erörtert (4.5.). 100 In diesem Kontext ist fraglich, wer innerstaatlich befugt wäre, dem Investor gegenüber eine spezifische Erklärung zur Beibehaltung der Rechtslage zu geben und inwiefern die nationale Rechtmäßigkeit einer solchen Erklärung entscheidend für den Erfolg der Investitionsschutzklage wäre. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 29 4.1. Keine unmittelbare Anwendbarkeit von CETA In Art. 30.6 CETA („Privatrechte“) sind die Wirkungen des Abkommens in den (internen) Rechtsordnungen der Vertragsparteien geregelt. Nach Art. 30.6 Abs. 1 CETA begründen die Bestimmungen von CETA ausschließlich Rechte und Pflichten auf völkerrechtlicher Ebene zwischen den Vertragsparteien, nicht aber im Verhältnis zu natürlichen und juristischen (Privat-)Personen. Auch ist es nicht möglich, sich innerstaatlich direkt auf das Abkommen zu berufen.101 Art. 30.6 Abs. 2 CETA schließt ferner aus, dass eine Vertragspartei in ihrem internen Recht Verfahren gegen die andere Vertragspartei ermöglicht mit der Begründung, dass deren Maßnahmen gegen das Abkommen verstoßen.102 CETA schließt mit Art. 30.6 seine unmittelbare Anwendung in den Rechtsordnungen der Vertragsparteien aus. Es ist Investoren mithin nicht möglich, vor nationalen Gerichten oder der europäischen Gerichtsbarkeit, gestützt auf Investitionsschutzrechte aus CETA, gegen Maßnahmen der Vertragsparteien vorzugehen. 4.2. Rechtsschutzmöglichkeiten im nationalen Recht Es sind keine Klagen vor nationalen Gerichten bzw. der europäischen Gerichtsbarkeit möglich, bei denen sich der Investor auf Regelungen aus CETA beruft. Es ist daher zu prüfen, ob die Möglichkeit für Investoren besteht, Klagen gegen die Vertragsparteien auf der Grundlage nationaler oder europäischer Rechtsvorgaben zu erheben, welche mit den Investitionsschutzklagen, die CETA vor dem Investitionsgericht ermöglicht, vergleichbar sind. Im folgenden Abschnitt wird (am Beispiel der deutschen Rechtsordnung) untersucht, inwiefern eine Klage wegen der Verletzung von Investitionsschutzrechten vor nationalen Gerichten auf der Grundlage nationaler Rechtsnormen möglich wäre. Dabei werden beispielhaft die Möglichkeiten geprüft, auf nationaler Ebene gegen Maßnahmen vorzugehen, die nach CETA eine Verletzung des Schutzes vor Enteignung und eine Verletzung des FET-Standards darstellen. Es ist dabei allerdings zu bedenken, dass weitere Investitionsschutzrechte in CETA existieren, deren Verhältnis zum Rechtsschutz für ausländische Investoren, wie er im nationalen Recht besteht, in dieser Ausarbeitung nicht geklärt werden kann.103 101 Art. 30.6 Abs. 1 CETA lautet: „Dieses Abkommen ist nicht dahingehend auszulegen, dass es andere Rechte oder Pflichten für Personen begründet als die zwischen den Vertragsparteien nach dem Völkerrecht geschaffenen Rechte oder Pflichten, noch dass es in den internen Rechtsordnungen der Vertragsparteien unmittelbar geltend gemacht werden kann.“ 102 Art. 30.6 Abs. 2 CETA lautet: „Eine Vertragspartei darf in ihrem internen Recht kein Klagerecht gegen die andere Partei vorsehen, das sich darauf gründet, dass eine Maßnahme der anderen Vertragspartei mit diesem Abkommen nicht vereinbar ist.“ 103 Vgl. dazu Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 10, abrufbar unter https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion /PDF/C-D/ceta-gutachten-investitionsschutz,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 30 4.2.1. Rechtsschutz gegen Enteignung Im Folgenden wird untersucht, inwiefern sich die Vorgaben zu Enteignungen und die Möglichkeiten , aufgrund unrechtmäßiger Enteignungen Rechtsschutz zu erhalten, im nationalen und europäischen Recht von den Regelungen in CETA unterscheiden. Ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Auftrag gegebenes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die CETA‐Vorschriften zu Enteignungen in ihren Tatbestandsvoraussetzungen nicht über die verfassungsrechtlichen Vorgaben in Deutschland hinausgehen.104 Art. 8.12 Abs. 1 CETA setzt für die Rechtmäßigkeit von Enteignungen voraus, dass die Enteignung einem öffentlichen Zweck dient, nach einem rechtsstaatlichen Verfahren abläuft, diskriminierungsfrei ist und gegen Zahlung einer prompten, adäquaten und effektiven Entschädigung erfolgt . Die meisten dieser Voraussetzungen sieht auch Art. 14 Abs. 3 Grundgesetz (GG) vor. Eine Enteignung ist danach nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen . Sowohl nach den Vorgaben von CETA wie auch der Rechtsordnung der Bundesrepublik ist für direkte Enteignungen Entschädigung zu leisten. Bei Ausbleiben einer Entschädigung ist die direkte Enteignung sowohl nach nationalem Recht wie auch nach den Vorgaben von CETA rechtswidrig. Anders ist die Rechtslage hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen an indirekte Enteignungen und der diesbezüglichen Entschädigungspflicht. Das Gutachten im Auftrag des BMWi stellt auf die Rechtsfigur der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung ab und kommt zu dem Ergebnis, dass der Investitionsschutz durch CETA „gegen Maßnahmen des Gesetzgebers, die in Eigentum ohne Titelentzug eingreifen, hinter den Anforderungen in Art. 14 Abs. 1 GG zurück [bleibe]“105 und der Schutz durch CETA mithin nicht über die Schutzmöglichkeiten des nationalen Rechts hinausgehe. Andere Stimmen in der Literatur kritisieren, das internationale Investitionsschutzrecht ermögliche mit dem Schutz vor indirekten Enteignungen Entschädigungsansprüche für regulative Maßnahmen, die im deutschen Recht unbekannt sind.106 In der Tat setzt Art. 8.12 Abs. 1 CETA auch für eine indirekte Enteignung die Zahlung einer prompten, adäquaten und effektiven Entschädigung voraus. Im deutschen Recht ist der Staat im Fall von direkten Enteignungen nach Art. 14 Abs. 3 GG zur Entschädigung verpflichtet.107 Für indirekte Enteignungen ist eine Entschädigungs- bzw. Ausgleichspflicht im GG nicht ausdrücklich angeordnet.108 104 Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 16. 105 Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 18. 106 Steinbach, Investor-Staat-Schiedsverfahren und Verfassungsrecht, RabelsZ 2016, S. 1 (8). 107 Kapsa, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015, 21. Kapitel, Rn. 14. 108 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 222. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 31 Grundsätzlich ist der Gesetzgeber nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vielmehr berechtigt, das Eigentum mithilfe von Inhalts- und Schrankenbestimmungen zu begrenzen.109 Er muss dabei die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers mit den öffentlichen Interessen abwägen und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. In einigen Fällen sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen daher ausgleichspflichtig, sie erfordern eine kompensatorische Entschädigung des Eigentümers .110 Inwiefern sich die Fallgruppe der indirekten Enteignungen nach den Vorgaben in Anhang 8-A des CETA und die ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen im deutschen Recht ähneln bzw. unterscheiden, kann im Rahmen dieses Gutachtens nicht abschließend festgestellt werden.111 Wichtige Unterschiede zwischen der deutschen Rechtsordnung und CETA bestehen im Hinblick auf die möglichen Rechtsfolgen rechtswidriger Enteignungen (und Inhalts- und Schrankenbestimmungen ). Gegen rechtswidrige Enteignungen (und Inhalts- und Schrankenbestimmungen) ist im deutschen Recht nämlich „nur“ eine Klage gegen die Inhalts- und Schrankenbestimmung bzw. die Enteignung möglich, mit dem Ziel, dass ein Gericht diese aufhebt, aber keine Schadensersatzklage .112 CETA hingegen ermöglicht ausschließlich Schadensersatzklagen. Selbst wenn der Schutzumfang im Hinblick auf Enteignungen in CETA und im deutschen Recht vergleichbar sein sollte, unterscheiden sich zumindest die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen rechtswidrige Enteignungen . Darin wird von einigen Stimmen in der Literatur eine Beschränkung des Gesetzgebers gesehen. Im Rahmen des Enteignungsschutzes von CETA führe eine rechtswidrige indirekte Enteignung zu einem vom Investitionsgericht festgelegten Schadensersatz. Im deutschen Recht entscheide hingegen allein der Gesetzgeber über die Höhe von Entschädigungen. Folglich beschränke die Möglichkeit von Schadensersatzklagen in CETA den Spielraum des Gesetzgebers.113 4.2.2. Rechtsschutz gegen ungerechte und unbillige Behandlung (FET) Auch im Hinblick auf eine Verletzung der FET-Klausel in CETA ist zu prüfen, ob gegen staatliche Maßnahmen, welche im Rahmen von CETA Verletzungen des Grundsatzes der gerechten und billigen Behandlung darstellen, vor nationalen Gerichten Klagen erhoben werden könnten. 109 Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 59. EL, Stand: Juli 2010, Art. 14 GG, Rn. 23. 110 Kapsa, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015, 21. Kapitel, Rn. 17; Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz- Kommentar, 54. EL, Stand: Januar 2009, Art. 14 GG, Rn. 40. 111 Nach Ansicht von Krajewski ist ein solcher Vergleich schon methodisch nicht möglich, da die Anwendung der unterschiedlichen Rechtsnormen in hohem Maße von den Wertungen des jeweiligen Rechtsanwenders abhängen : Anmerkungen zum Gutachten von Dr. Stephan Schill zu den Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren im Entwurf des CETA auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers vom 22.9.2014, S. 2, abrufbar unter https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media /gruenebundestag_de/themen_az/EU-USA_Freihandelsabkommen/Thesenpapier_Klageprivilegien _in_CETA.PDF. 112 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 222. 113 Krajewski, Anmerkungen zum Gutachten von Dr. Stephan Schill zu den Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren im Entwurf des CETA auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers vom 22.9.2014, S. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 32 Die FET-Klausel soll Investoren vor der Ausübung unzulässigen Zwangs oder Diskriminierung schützen, verbietet willkürliche Maßnahmen, widersprüchliches und intransparentes Verhalten und erfordert faire, rechtsstaatliche Verfahren.114 Das Gutachten im Auftrag des BMWi kommt im Hinblick auf die FET-Klausel in CETA zu dem Ergebnis, dass der Anspruch eines Investors gegenüber dem Gaststaat auf gerechte und billige Behandlung in CETA im Wesentlichen auf ein Verbot offensichtlich willkürlicher Maßnahmen und ein Mindestmaß an Vertrauensschutz reduziert worden sei. Der Schutz, der für Investoren im deutschen Recht durch das verfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestünde, sei im Vergleich umfassender .115 Diese Wertung wird in einem Gegengutachten bezweifelt. Die zukünftige Auslegung der FET- Klausel von CETA durch das Investitionsgericht sei nicht vorherzusehen und ein Vergleich mit dem nationalen, durch jahrelange Rechtsprechung präzisierten Vertrauensschutz nicht zulässig .116 Die Schlussfolgerung, dass der Investitionsschutz in CETA durch die FET-Klausel mit dem für Investoren in Deutschland verfügbaren materiellen Schutzmöglichkeiten vergleichbar ist, wird von dem Gegengutachten bestritten. Der genaue Schutzumfang kann vorliegend nicht abschließend festgestellt und verglichen werden.117 In jedem Fall unterscheiden sich auch in Bezug auf die FET-Klausel die Rechtsschutzmöglichkeiten nach CETA und im nationalen Recht.118 4.2.3. Unterschiede zwischen nationalen Gerichtsverfahren und Investitionsschutzklagen Es sind aufgrund von Maßnahmen, gegen die wegen Verletzung des FET-Standards oder rechtswidrige Enteignung vor dem CETA-Investitionsgericht Klage erhoben werden könnte, auch Klagen vor nationalen Gerichten bzw. der europäischen Gerichtsbarkeit möglich. Wie oben schon kurz erwähnt, gibt es jedoch weitere Investitionsschutzrechte in CETA, die möglicherweise nicht in gleicher Weise im nationalen Recht enthalten sind.119 Bezüglich aller Investitionsschutzrechte gibt es aber Unterschiede zwischen dem Rechtsschutz, der durch das CETA-Investitionsgericht und nationale Gerichte bzw. die europäische Gerichtsbarkeit gewährleistet wird. 114 Von Hammerstein/Roegele, Der Fair and Equitable Treatment-Standard im Investitionsschutzrecht, SchiedsVZ 2015, S. 275 (277 f.). 115 Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 13 ff. 116 Krajewski, Anmerkungen zum Gutachten von Dr. Stephan Schill zu den Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren im Entwurf des CETA auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers vom 22.9.2014, S. 3 f. 117 S. zu der Kritik an einem solchen Vergleich auch den Verweis in Fußnote 110. 118 Vgl. dazu unten unter 4.2.3.2. 119 Vgl. dazu Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 10. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 33 4.2.3.1. Rechtlicher Beurteilungsmaßstab Zum einen unterscheiden sich die Rechtsnormen, nach denen der Sachverhalt beurteilt wird. Wie oben dargestellt, ist CETA nicht unmittelbar anwendbar, die nationalen Gerichte und die europäische Gerichtsbarkeit wenden mithin nicht die Vorgaben von CETA an, sondern allein nationales Recht bzw. Unionsrecht. Andererseits ist das Investitionsgericht nur befugt, über eine Verletzung der Vorgaben von CETA zu entscheiden. Art. 8.31 Abs. 2 CETA postuliert ausdrücklich: „Es fällt nicht in die Zuständigkeit des Gerichts, die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, die angeblich einen Verstoß gegen dieses Abkommen darstellt, nach dem internen Recht einer Vertragspartei zu beurteilen.“120 4.2.3.2. Potentielle Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen von Klagen gegen hoheitliche Maßnahmen sind im nationalen Recht bzw. Unionsrecht oftmals andere als im Bereich der Investor-Staat-Schiedsverfahren. Ein Schiedsgericht hat grundsätzlich nicht die Kompetenz, Rechtsakte der Vertragsparteien aufzuheben und ihre Rechtsfolgen zu beseitigen.121 Auch von dem CETA-Investitionsgericht kann ein Investor nicht die Aufhebung von Rechtsakten der Vertragsparteien verlangen.122 So besagt Art. 8.39 Abs. 1 CETA: „Erlässt das Gericht einen endgültigen Urteilsspruch gegen den Beklagten, so kann es nur Folgendes – einzeln oder zusammen – zusprechen: a) Schadensersatz in Geld, gegebenenfalls zuzüglich aufgelaufener Zinsen, b) Rückerstattung von Vermögenswerten […].“ Das Investitionsgericht kann mithin nur Schadensersatz zusprechen.123 Im deutschen Recht und im Unionsrecht ist ein Schadensersatzanspruch gegen den Staat im Rahmen der sog. Staatshaftung möglich. Das deutsche Staatshaftungsrecht geht allerdings von einem Vorrang der sogenannten primären Rechtsschutzmöglichkeiten vor (sekundären) Schadensersatz- 120 Weiter steht dort: „Zur Klarstellung: Bei seiner Beurteilung, ob eine Maßnahme im Einklang mit diesem Abkommen steht, kann das Gericht das interne Recht einer Vertragspartei, soweit angezeigt, als Tatsache heranziehen. Dabei folgt das Gericht der herrschenden Auslegung des internen Rechts durch die Gerichte und Behörden der betreffenden Vertragspartei, wobei eine etwaige vom Gericht vorgenommene Deutung internen Rechts für die Gerichte und Behörden dieser Vertragspartei nicht bindend ist.“ 121 Steinbach, Investor-Staat-Schiedsverfahren und Verfassungsrecht, RabelsZ 80 (2016), S. 1 (10). 122 Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 26 f. 123 Die Verantwortung für die Begleichung derartiger Schadensersatzansprüche ist auf Unionsebene geregelt in: Verordnung (EU) Nr. 912/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Schaffung der Rahmenbedingungen für die Regelung der finanziellen Verantwortung bei Investor-Staat-Streitigkeiten vor Schiedsgerichten, welche durch internationale Übereinkünfte eingesetzt wurden, bei denen die Europäische Union Vertragspartei ist, ABl. 2014 L, 257/121, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0912&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 34 ansprüchen aus. Es ist im deutschen Recht nicht zulässig, einen rechtswidrigen Zustand zu dulden und Schadensersatz zu fordern.124 Stattdessen ist Klage gegen die rechtswidrige Maßnahme zu erheben mit dem Ziel, diese Maßnahme aufheben zu lassen.125 Ähnlich ist es im Unionsrecht, auch dort ist der Kläger verpflichtet, Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage im zumutbaren Rahmen zu nutzen. Der Kläger darf einen Schaden nicht dulden, um ihn anschließend zu liquidieren.126 Im Unionsrecht und im deutschen Recht muss der Kläger folglich vorrangig im Wege des primären Rechtsschutzes gegen rechtswidriges Staatshandeln vorgehen. Im deutschen Recht kommt dafür insbesondere die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO in Betracht. Das Ziel einer Anfechtungsklage ist die Aufhebung des Verwaltungsakts, gegen welchen geklagt wird, um die von ihm geschaffenen Rechtswirkungen zu beseitigen.127 Im Unionsrecht kann eine natürliche oder juristische Person gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter der Union, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, gemäß Art. 263 Abs. 1 und 4 AEUV Klage erheben, um Handlung bzw. Rechtsakt aufheben zu lassen. 4.2.3.3. Klagegenstand Fraglich ist, inwiefern Investoren im Unionsrecht bzw. im nationalen Recht die Möglichkeit haben , gegen Gesetze zu klagen, durch welche sie ihre Investitionen geschädigt sehen. Insbesondere im Hinblick auf das right to regulate ist diese Frage von Bedeutung. Unter engen Voraussetzungen ist eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV gegen Verordnungen und Richtlinien des Unionsgesetzgebers möglich. Problematisch ist dabei die Klagebefugnis, welche erfordert, dass der Investor durch die Verordnung oder Richtlinie der Union unmittelbar und individuell betroffen 124 BVerfGE 58, 300 (324). Dort heißt es: „Sieht der Bürger in der gegen ihn gerichteten Maßnahme eine Enteignung, so kann er eine Entschädigung nur einklagen, wenn hierfür eine gesetzliche Anspruchsgrundlage vorhanden ist. Fehlt sie, so muß er sich bei den Verwaltungsgerichten um die Aufhebung des Eingriffsaktes bemühen. Er kann aber nicht unter Verzicht auf die Anfechtung eine ihm vom Gesetz nicht zugebilligte Entschädigung beanspruchen ; mangels gesetzlicher Grundlage können die Gerichte auch keine Entschädigung zusprechen.“ 125 Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 59. EL, Stand: Juli 2010, Art. 14 GG, Rn. 330. 126 Jacob/Kottmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 55. EL, Stand: Januar 2015, Art. 340 AEUV, Rn. 50; Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV, Rn. 18. 127 von Nicolai, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 42 VwGO, Rn. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 35 ist.128 Im deutschen Recht ist keine Anfechtungsklage gegen Gesetze möglich, Klagegenstand einer Anfechtungsklage nach § 42 VwGO kann nur ein Verwaltungsakt sein.129 Klagen von Individuen gegen Gesetze sind in Deutschland durch Verfassungsbeschwerden beim BVerfG möglich.130 Jedoch setzt eine Verfassungsbeschwerde voraus, dass der Kläger durch den sog. Beschwerdegegenstand unmittelbar betroffen ist. Der Kläger muss geltend machen können, durch das angegriffene Gesetz und nicht erst durch dessen Vollzug in seinen Rechten verletzt zu sein.131 Die (sekundäre) Staatshaftung greift in Deutschland grundsätzlich nicht im Fall von legislativem Unrecht.132 Da der Gesetzgeber Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit wahrnimmt, nicht jedoch gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen handelt, scheidet beispielsweise eine Amtshaftung für „legislatives Unrecht“ aus.133 Im Unionsrecht ist hingegen eine Staatshaftung nach Art. 340 AEUV für legislatives Unrecht möglich,134 sofern eine „hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, die einzelnen schützenden Rechtsnorm“ vorliegt.135 Im Rahmen eines Investor-Staat-Schiedsverfahrens kann der Investor auch wegen eines Gesetzes Klage erheben, sofern er geltend macht, die Vertragspartei habe ihn hierdurch in seinen Investitionsschutzrechten verletzt. Es ist insofern unerheblich, ob die Verletzung durch einen Verwaltungsakt , ein Gesetz oder eine judikative Maßnahme erfolgt.136 Auch im Rahmen von CETA wird der Klagegegenstand nicht auf exekutive Rechtsakte beschränkt. Klagegegenstand ist nach Art. 8.18 Abs. 1 CETA die „Verletzung einer Pflicht“ durch eine Vertragspartei, ohne nähere Konkretisierung , wie die Pflichtverletzung erfolgt sein muss. Art. 8.2 Abs. 1 CETA bestimmt, dass das 8. Kapitel zum Investitionsschutz „für von einer Vertragspartei in ihrem Gebiet eingeführte oder 128 Unmittelbare Betroffenheit liegt vor, wenn der Rechtsakt selbst und nicht erst eine in seiner Folge hinzutretende Durchführungsmaßnahme in den Interessenkreis des Klägers eingreift (EuGH, Urt. v. 6.3.1979, Rs. 92/78, ECLI:EU:C:1979:53, – Simmenthal, Rn. 27 ff.). Individuell betroffen ist der Kläger nur, wenn der Rechtsakt ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt (EuGH, Urt. v. 15.7.1963, Rs. 25/62, ECLI:EU:C:1963:17, Slg. 1963, 211 (238) – Plaumann). 129 von Nicolai, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, 16. Aufl. 2014, § 42 VwGO, Rn. 3. 130 Gramlich/Conen, Streitbeilegung bei Auslandsinvestitionen – „guter“ Rechtsschutz für (private) Investoren, SchiedsVZ 2015, S. 225 (231 f.). 131 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 42. EL, Stand: Oktober 2013, § 90 BVerfGG, Rn. 373 a. 132 Kapsa, in: Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015, 21. Kapitel, Rn. 14; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht , 6. Aufl. 2013, S. 281, 338 und 610. 133 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 105 f. 134 Dörr, Staatshaftung in Europa – Nationales und Unionsrecht, 2013, S. 34. 135 EuGH, Urt. v. 24.10.1973, Rs. 43/72, ECLI:EU:C:1973:108 – Merkur/Kommission, Rn. 8. 136 Gramlich/Conen, Streitbeilegung bei Auslandsinvestitionen – „guter“ Rechtsschutz für (private) Investoren, SchiedsVZ 2015, S. 225 (230 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 36 aufrechterhaltene Maßnahmen“ gilt. Der Begriff der Maßnahmen umfasst nach Ansicht des für das BMWi erstellten Gutachtens auch gesetzgeberisches Handeln.137 4.3. Verhältnis der verschiedenen Klagemöglichkeiten Art. 8.22 Abs. 1 lit. f und g CETA verbietet den Investoren, parallel Klage vor den staatlichen Gerichten und dem Investitionsgericht zu erheben. So ist nach Art. 8.22 Abs. 1 lit. f und g CETA eine Klage vor dem Investitionsgericht nur möglich, wenn der klagende Investor f) etwaige bereits nach internem oder internationalem Recht angestrengte Klagen oder Gerichtsverfahren in Bezug auf eine Maßnahme, die angeblich einen Verstoß gegen das Abkommen darstellt und die in seiner Klage angeführt wird, zurücknimmt beziehungsweise einstellt und g) auf sein Recht verzichtet, in Bezug auf eine Maßnahme, die angeblich einen Verstoß gegen das Abkommen darstellt und die in seiner Klage angeführt wird, eine Klage oder ein Gerichtsverfahren nach internem oder internationalem Recht anzustrengen. Das Konzeptpapier der Kommission führt hierzu aus: Parallelverfahren sind im CETA untersagt, d. h., Investoren dürfen nicht gleichzeitig innerstaatliche Gerichte anrufen und auf die ISDS-Regelung zurückgreifen. Ziel ist es, Doppelentschädigungen und voneinander abweichende Gerichtsentscheidungen zu vermeiden .138 4.4. Erforderlichkeit eines Investitionsgerichts Da Klagen von Investoren im Hinblick auf Investitionsschutzrechte, wenngleich mit anderer Begründung (nationales bzw. europäisches Recht statt der Investitionsschutzrechte aus CETA) und anderen Rechtsfolgen (primärer Rechtsschutz anstelle von Schadensersatzklagen), auch vor nationalen Gerichten bzw. der Europäischen Gerichtsbarkeit (zumindest in den hier geprüften Fällen einer Enteignung oder Verletzung des FET) grundsätzlich möglich sind, stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit eines Investitionsgerichts.139 137 Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 12. 138 Kommission, Konzeptpapier – Investitionen in der TTIP und darüber hinaus: der Reformkurs, S. 3, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153455.pdf. 139 Zur unionsrechtlichen Zulässigkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren s. die Ausarbeitung, Unionsrechtliche Zulässigkeit von Investor-Staat-Schiedsverfahren in Freihandelsabkommen der Europäischen Union (EU), PE 6 – 3000 – 25/15. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 37 4.4.1. Argumente für ein Investitionsgericht Die Kommission führt zu der Erforderlichkeit eines Investitionsgerichts, wie es in CETA konzipiert ist, in ihrem bereits oben zitierten Konzeptpapier aus: Die innerstaatlichen Gerichte müssen sich bei der Beurteilung von Investitionsstreitigkeiten jedoch auf die Anwendung des nationalen Rechts beschränken. Dem gegenüber entscheiden die ISDS-Schiedsgerichte – wie andere internationale Gerichte – nur über die Vereinbarkeit staatlicher Maßnahmen (einschließlich aller staatlichen Akteure) mit den internationalen Investitionsregeln. Diese Unterscheidung ist insbesondere dann von Bedeutung , wenn die Bestimmungen einer internationalen Übereinkunft nicht unmittelbar in nationales Recht umgesetzt wurden, was bei den meisten internationalen Handels- und Investitionsabkommen, insbesondere in den USA, Kanada und der EU, der Fall ist. Damit stehen die ISDS Schiedsgerichte insoweit auf einer Stufe mit anderen internationalen Justizorganen , als die bei ihnen anhängigen Verfahren juristisch gesehen keine aus nationalem Recht hervorgegangenen Berufungsverfahren sind, sondern vielmehr auf die Anwendung internationaler Vorschriften abstellen.140 Die Kommission begründet die Notwendigkeit eines Investitionsgerichts mithin mit der fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit von CETA. Das ist insbesondere in den Fällen relevant, in denen für die Investitionsschutzrechte aus CETA keine vergleichbaren Äquivalente in den nationalen Rechtsordnungen existieren. So wird in dem für das BMWi erstellten Gutachten ausgeführt, der Meistbegünstigungsgrundsatz aus Art. 8.7 CETA und der Anspruch auf Inländergleichbehandlung nach Art. 8.6 CETA würden über die Vorgaben des nationalen Recht hinausgehen und Lücken schließen, „die durch die nur begrenzte Grundrechtsberechtigung ausländischer Investoren und die Differenzierungsmöglichkeiten zwischen ausländischen und inländischen Investoren durch Verfassungsrecht ermöglicht werden“.141 Eine andere Begründung der Erforderlichkeit von Schiedsgerichten in der Literatur ist die Angst vor „institutionell befangenen“ Gerichten, welche bei Streitigkeiten zwischen einem ausländischen Investor und dem Staat, dem sie selbst angehören, nicht völlig unabhängig entscheiden.142 Dieses Argument greift nach einigen Stimmen nicht nur bei Staaten mit defizitären Rechtssystemen , sondern bereits aufgrund der Tatsache, dass es wegen unterschiedlicher nationaler Rechtstraditionen zu schwierigen Situationen kommen könne.143 Weitere Vorteile von Schiedsgerichten werden in der fachlichen Kompetenz der Schiedsrichter, der verhältnismäßig effizienten 140 Kommission, Konzeptpapier – Investitionen in der TTIP und darüber hinaus: der Reformkurs, S. 10, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/may/tradoc_153455.pdf. 141 Schill, Auswirkungen der Bestimmungen zum Investitionsschutz und zu dem Investor‐Staat‐Schiedsverfahren im Entwurf des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada (CETA) auf den Handlungsspielraum des Gesetzgebers (Kurzgutachten), S. 9 ff. 142 Classen, Der EuGH und die Schiedsgerichtsbarkeit in Investitionsschutzabkommen, EuR 2012, S. 611 (615). 143 Classen, Die Unterwerfung demokratischer Hoheitsgewalt unter eine Schiedsgerichtsbarkeit, EuZW 2014, S. 611 (613). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 38 Streitbeilegung und der erleichterten Durchsetzbarkeit von Schiedssprüchen im Vergleich zu nationalen Gerichtsurteilen gesehen.144 4.4.2. Argumente gegen ein Investitionsgericht Es gibt demgegenüber in der Literatur und der politisch-gesellschaftlichen Diskussion um die Freihandelsabkommen viele Stimmen, welche die Ansicht vertreten, dass (auch ohne eine unmittelbare Anwendung des jeweiligen Freihandelsabkommens) der nationale Rechtsweg ausreichend Schutzmöglichkeiten für Investoren bietet.145 So heißt es beispielsweise in der Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zur Errichtung eines Investitionsgerichts für TTIP: Der Deutsche Richterbund sieht keine Notwendigkeit für die Errichtung eines Sondergerichtes für Investoren. Bei den Mitgliedstaaten handelt es sich um Rechtsstaaten, welche allen Rechtsuchenden den Zugang zum Recht über die staatliche Gerichtsbarkeit eröffnen und garantieren. Es ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, den Zugang zum Recht für alle sicherzustellen und durch die entsprechende Ausstattung der Gerichte dafür zu sorgen, dass der Zugang auch für ausländische Investoren gangbar ist.“146 Neben derartigen Ausführungen zur mangelnden Erforderlichkeit gibt es außerdem viel grundsätzliche Kritik an der Institution des besonderen Investitionsschutz durch Schiedsgerichte147 und den Hinweis darauf, dass nationale Investoren ebenfalls auf den nationalen bzw. europäischen Rechtsschutz beschränkt sind und nicht vor einem Investitionsgericht Schadensersatzklagen erheben können.148 4.5. Fazit zur Erforderlichkeit eines Investitionsgerichts in CETA Die Rechtsschutzmöglichkeiten im nationalen Recht bzw. Unionsrecht und die Möglichkeiten des CETA unterscheiden sich in Bezug auf die anzuwendenden Rechtsnormen, den möglichen Klagegegenstand und die potentiellen Rechtsfolgen voneinander. Das Investitionsgericht wendet die Normen des CETA an, die nationalen Gerichte ihr jeweiliges nationales Recht. Die nationalen 144 Vgl. die Aufzählung bei Reinisch, in: Tietje, Internationales Wirtschaftsrecht, 2015, § 18, Rn. 19 ff. 145 Z.B.: Jaeger, Zum Vorschlag einer permanenten Investitionsgerichtsbarkeit, EuR 2016, S. 203 (227); Deutscher Richterbund, Stellungnahme zur Errichtung eines Investitionsgerichts für TTIP – Vorschlag der Europäischen Kommission vom 16.09.2015 und 12.11.2015, abrufbar unter http://www.drb.de/fileadmin/docs/Stellungnahmen /2016/DRB_160201_Stn_Nr_04_Europaeisches_Investitionsgericht.pdf. 146 Z.B.: Deutscher Richterbund, Stellungnahme zur Errichtung eines Investitionsgerichts für TTIP – Vorschlag der Europäischen Kommission vom 16.09.2015 und 12.11.2015, S. 3, abrufbar unter http://www.drb.de/fileadmin /docs/Stellungnahmen/2016/DRB_160201_Stn_Nr_04_Europaeisches_Investitionsgericht.pdf. 147 S. dazu beispielsweise: Classen, Die Unterwerfung demokratischer Hoheitsgewalt unter eine Schiedsgerichtsbarkeit , EuZW 2014, S. 611 (614); Wagner, Warum sind Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) gefährlich?, 28. Januar 2015, abrufbar unter: https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/isds-faq.pdf. 148 Gramlich/Conen, Streitbeilegung bei Auslandsinvestitionen – „guter“ Rechtsschutz für (private) Investoren, SchiedsVZ 2015, S. 225 (231 f.); Krajewski, Investor-Staats-Schiedsgerichtsbarkeit im TTIP, EuZW 2015, S. 105. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 97/16 Seite 39 Gerichte können hoheitliche Rechtsakte aufheben, das Investitionsgericht den Gaststaat zu Schadensersatz verurteilen. Es gibt sowohl Argumente für wie auch gegen die Einrichtung eines Investitionsgerichts in CETA. Schlussendlich handelt es sich um eine politische Frage, ob ein derartiges Gericht für erforderlich erachtet wird.149 – Fachbereich Europa – 149 So auch Classen, Die Unterwerfung demokratischer Hoheitsgewalt unter eine Schiedsgerichtsbarkeit, EuZW 2014, S. 611 (616).