© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 95/17 Die Möglichkeit nationaler Verbote von Glyphosat Die Rechtslage nach der erneuten Zulassung auf Unionsebene Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 2 Die Möglichkeit nationaler Verbote von Glyphosat Die Rechtslage nach der erneuten Zulassung auf Unionsebene Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 95/17 Abschluss der Arbeit: 12.12.2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Rechtlicher Rahmen für die Genehmigung von Wirkstoffen und die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln 4 2.1. Verteilung der Entscheidungskompetenzen zwischen Union und Mitgliedstaaten 4 2.2. Nationale Verfahren zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln 5 3. Vorgaben des Unionsrechts zu den Kompetenzen der Mitgliedstaaten 6 3.1. Zulassung nach Art. 29 und 31 PflanzenschutzVO 6 3.1.1. Zulassungsvoraussetzungen 6 3.1.2. Zulassung unter Auflagen 8 3.1.3. Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel 9 3.2. Zulassungsauflagen und Zulassungsverbot nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO 10 3.2.1. Voraussetzungen von Auflagen 10 3.2.2. Voraussetzungen eines Verbots 11 3.2.2.1. Wortlautauslegung 11 3.2.2.2. Historische Auslegung 11 3.2.2.3. Teleologische und systematische Auslegung 13 3.2.2.4. Zwischenergebnis 14 3.2.3. Zulassungsverbot oder Auflagen für glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel 14 3.3. Aufhebung einer Zulassung nach Art. 44 der PflanzenschutzVO 15 3.3.1. Voraussetzungen 15 3.3.2. Aufhebung der Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel 15 3.4. Notfallmaßnahmen nach Art. 69 ff. PflanzenschutzVO 15 3.5. Maßnahmen nach Art. 1 Abs. 4 PflanzenschutzVO 16 4. Vorgaben des deutschen Rechts 17 4.1. Zulassung von Pflanzenschutzmitteln 17 4.2. Aufhebung einer Zulassung 17 4.2.1. Voraussetzungen von § 39 PflSchG 17 4.2.2. Aufhebung der Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel 17 4.3. Möglichkeiten des deutschen Gesetzgebers 18 5. Das Verbot von Chlorpyrifos 18 6. Fazit 18 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 4 1. Fragestellung Im Zusammenhang mit der erneuten Genehmigung von Glyphosat auf Unionsebene haben Mitgliedstaaten wie Frankreich Presseberichten zufolge angekündigt, auf nationaler Ebene Glyphosat bzw. glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel zu verbieten.1 In diesem Zusammenhang ist der Fachbereich um Auskunft ersucht worden, ob der deutsche Gesetzgeber, insbesondere unter dem Aspekt der Biodiversität, auf nationaler Ebene ein (stufenweises) Verbot von Glyphosat durchsetzen kann. Beispielhaft wurde vom Fragesteller diesbezüglich auf das Verbot von Insektengiften mit dem Wirkstoff Chlorpyrifos in Deutschland verwiesen. Das nachfolgende Gutachten untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen Wirkstoffe bzw. Pflanzenschutzmittel auf nationaler Ebene verboten bzw. ihre Zulassungen aufgehoben werden können und inwieweit die nationale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln an die europäische Genehmigung des Wirkstoffs, der dem Pflanzenschutzmittel zugrunde liegt, gebunden ist. Es wird dafür zunächst der rechtliche Rahmen des Unionsrechts für die Genehmigung von Wirkstoffen und die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln dargestellt (2.). Anschließend erfolgt eine Untersuchung der Möglichkeiten, die das Unionsrecht den Mitgliedstaaten gewährt, Pflanzenschutzmittel (unter Auflagen) zuzulassen, zu verbieten und erteilte Zulassungen aufzuheben (3.). Daran anschließend erfolgt ein kurzer Überblick über die entsprechenden Vorgaben des deutschen Rechts (4.). Abschließend wird das Verbot von Insektengiften mit dem Wirkstoff Chlorpyrifos erörtert (5.). 2. Rechtlicher Rahmen für die Genehmigung von Wirkstoffen und die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln 2.1. Verteilung der Entscheidungskompetenzen zwischen Union und Mitgliedstaaten Die rechtlichen Vorgaben für die Genehmigung von Wirkstoffen auf Unionsebene und die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln durch nationale Behörden sind auf Unionsebene primär in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (im Folgenden: PflanzenschutzVO)2 enthalten.3 Wirkstoffe, wie Glyphosat, werden für die gesamte EU nach Art. 13 PflanzenschutzVO auf Unionsebene genehmigt. Den Mitgliedstaaten obliegt hingegen die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln , welche den Wirkstoff enthalten. Nach Art. 29 Abs. 1 lit. a) PflanzenschutzVO wird ein Pflanzenschutzmittel nur zugelassen, wenn seine Wirkstoffe genehmigt sind. 1 https://www.nzz.ch/wirtschaft/frankreich-verbietet-glyphosat-ab-2022-ld.1318329. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, ABl. 2009 L, 309/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009R1107-20170828&qid=1512998953626&from=DE. 3 Daneben existieren weitere Durchführungsverordnungen der Kommission sowie Rechtsakte auf der nationalen Ebene, insbesondere das PflSchG, welches das deutsche Recht an die PflanzenschutzVO anpasst. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 5 Die Mitgliedstaaten entscheiden nicht autonom über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, sondern haben die Entscheidung auf Unionsebene über die Genehmigungsfähigkeit des jeweiligen Wirkstoffs zu beachten. Ausweislich der Erwägungsgründe der PflanzenschutzVO soll über die Genehmigung von Wirkstoffen auf Gemeinschaftsebene auf der Grundlage harmonisierter Kriterien entschieden werden, um in allen Mitgliedstaaten dasselbe Schutzniveau zu gewährleisten. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln soll hingegen durch die Mitgliedstaaten erfolgen, da die Pflanzenschutzmittel unterschiedlich zusammengesetzt sind und für verschiedene Pflanzen und unter variierenden Bedingungen eingesetzt werden können, sodass eine pauschale Zulassung auf Unionsebene nicht sinnvoll erscheint. 2.2. Nationale Verfahren zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln Ziel der PflanzenschutzVO ist nach ihrem Erwägungsgrund 9, Handelshemmnisse für Pflanzenschutzmittel zu beseitigen. Zu diesem Zweck wurde mit der PflanzenschutzVO zusätzlich zu der einheitlichen Genehmigung von Wirkstoffen auf Unionsebene ein System der Zonenzulassung (Art. 35 ff. PflanzenschutzVO) und der gegenseitigen Anerkennung (Art. 40 ff. PflanzenschutzVO) von Pflanzenschutzmittelzulassungen etabliert. Diese Systeme beruhen auf der Bestimmung sogenannter Zonen (Norden, Süden und Mitte)4, in denen im Wesentlichen ein Mitgliedstaat über die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels in der gesamten Zone entscheidet. Wenn ein Hersteller die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels veranlassen will, muss er gemäß Art. 33 Abs. 1 PflanzenschutzVO in jedem Staat, in dem er sein Pflanzenschutzmittel in den Verkehr bringen möchte, einen Antrag auf Zulassung stellen. Der Antrag wird dann nach Art. 35 PflanzenschutzVO von einem Mitgliedstaat der jeweiligen Zone geprüft. Auf der Grundlage dieser Prüfung entscheidet jeder Mitgliedstaat selbst gemäß Art. 36 Abs. 2 PflanzenschutzVO über die Zulassung. Gemäß den Ausführungen der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in ihrem Guidance document zur Pflanzenschutzmittelzulassung soll dies aber keine erneute Bewertung des Zulassungsantrags bedeuten. Vielmehr sollen die Mitgliedstaaten ihre Bewertung auf die besonderen nationalen Bedürfnisse beschränken.5 Wird das Pflanzenschutzmittel von der prüfenden Zulassungsbehörde einer Zone nach den Vorgaben der PflanzenschutzVO zugelassen , ist es mithin auch in den anderen Mitgliedstaaten, für die der Antrag gestellt worden ist, von den dortigen Zulassungsbehörden zuzulassen, ggf. unter Anpassung der Anwendungsbestimmungen 6 gemäß Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO (s. dazu unter 3.2.). Eine andere Zulassungsmöglichkeit für den Hersteller bietet das System der gegenseitigen Anerkennung , welches in den Art. 40 ff. PflanzenschutzVO geregelt ist. Danach kann ein Hersteller, 4 Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, ABl. 2009 L, 309/1. 5 Kommission, Guidance document on zonal evaluation and mutual recognition under Regulation (EC) No 1107/2009, SANCO/13169/2010 rev. 9, S. 14 und 16 (“Other MS [Member States] must not re-evaluate the application but shall restrict the assessment to their national requirements described under article 36(3) and national data protection”); abrufbar unter https://ec.europa.eu/food/sites/food/files/plant/docs/pesticides_ppp_appproc _guide_mut-rec_en.pdf. 6 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 17.10.2011, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Pflanzenschutzrechtes , BT-Drucksache 17/7317, S. 39. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 6 dessen Pflanzenschutzmittel bereits in einem Mitgliedstaat zugelassen ist, eine Zulassung für dasselbe Pflanzenschutzmittel, für dieselben Verwendungen und unter vergleichbaren landwirtschaftlichen Bedingungen in einem anderen Mitgliedstaat nach dem Verfahren der gegenseitigen Anerkennung beantragen. Der Mitgliedstaat, dem ein solcher Antrag vorgelegt wird, erteilt nach einer Prüfung im Hinblick auf die Bedingungen in seinem Hoheitsgebiet für das betreffende Pflanzenschutzmittel eine Zulassung unter den gleichen Bedingungen wie der Mitgliedstaat, der den Antrag bereits zuvor geprüft hat, es sei denn, er greift auf die Möglichkeit einer Sonderregelung nach Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO zurück. 3. Vorgaben des Unionsrechts zu den Kompetenzen der Mitgliedstaaten Ein Pflanzenschutzmittel darf gemäß Art. 28 Abs. 1 PflanzenschutzVO nur in den Verkehr gebracht oder verwendet werden, wenn es in dem jeweiligen Mitgliedstaat zugelassen wurde. Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist grundsätzlich durch die Genehmigung des in ihm enthaltenen Wirkstoffs auf Unionsebene bedingt, die Erkenntnisse aus dem Genehmigungsverfahren über die Eigenschaften des Wirkstoffs sind der Pflanzenschutzmittelzulassung zu Grunde zu legen. Im Folgenden wird untersucht, welche Möglichkeiten den Mitgliedstaaten im Rahmen des Zulassungsverfahrens und darüber hinaus nach der PflanzenschutzVO offen stehen, um ein Pflanzenschutzmittel trotz einer Genehmigung des in ihm enthaltenen Wirkstoffs auf Unionsebene zu beschränken oder zu verbieten. Dafür kommen als einschlägige Normen Art. 29 und 31 Pflanzenschutz VO (s. unter 3.1.), Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO (s. unter 3.2.), Art. 44 Abs. 1 und 3 PflanzenschutzVO (s. unter 3.3.), Art. 69 ff. PflanzenschutzVO (s. unter 3.4.) und Art. 1 Abs. 4 PflanzenschutzVO (s. unter 3.5.) in Betracht. Es wird für jede Norm geprüft, was ihre Voraussetzungen sind und ob eine Anwendung der Norm im Falle von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln , insbesondere unter Aspekten der Biodiversität, möglich ist. 3.1. Zulassung nach Art. 29 und 31 PflanzenschutzVO Art. 29 PflanzenschutzVO legt die Voraussetzungen für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels fest. Gemäß Art. 31 Abs. 2 PflanzenschutzVO werden in der Zulassung Anforderungen für das Inverkehrbringen und die Verwendung des Pflanzenschutzmittels festgelegt. Art. 29 und 31 PflanzenschutzVO sind von der nationalen Behörde anzuwenden, die für die Zulassungsprüfung eines Pflanzenschutzmittels verantwortlich ist. 3.1.1. Zulassungsvoraussetzungen Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO benennt die Anforderungen, die ein Pflanzenschutzmittel erfüllen muss, um zugelassen zu werden. So müssen nach Art. 29 Abs. 1 lit. a) PflanzenschutzVO beispielsweise die Wirkstoffe, Safener und Synergisten genehmigt sein, damit das Pflanzenschutzmittel zugelassen werden kann. Für die hier vorliegende Fragestellung ist von Interesse, ob es Zulassungsvoraussetzungen gibt, über welche die zuständige nationale Behörde autonom entscheidet. Nach Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO ist Voraussetzung für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels, dass es unter Berücksichtigung des neuesten Stands von Wissenschaft und Technik die Anforderungen von Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 7 Art. 4 Abs. 3 der PflanzenschutzVO erfüllt. Die Anforderungen von Art. 4 Abs. 3 lit. b) Pflanzenschutz VO sind u. a., dass Pflanzenschutzmittel keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen oder von Tieren haben. Art. 4 Abs. 3 lit. c) und e) PflanzenschutzVO stellen die Anforderungen auf, dass das Pflanzenschutzmittel keine unannehmbaren Auswirkungen auf Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse und auf die Umwelt haben darf. Wenn Pflanzenschutzmittel, die Glyphosat beinhalten, derartige Auswirkungen haben, dürfen sie nach Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO nicht zugelassen werden. Fraglich ist, wann derartige schädliche bzw. unannehmbare Auswirkungen vorliegen. Vorgaben hierzu finden sich in der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 546/2011.7 Diese gibt detailliert vor, unter welchen Umständen die Voraussetzungen aus Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO vorliegen oder nicht. Die Mitgliedstaaten können mithin nicht aus eigenen Erwägungen heraus schädliche Auswirkungen eines Pflanzenschutzmittels auf die Gesundheit von Menschen oder unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt annehmen und deswegen eine Zulassung nach Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO verweigern. Sie sind insoweit an die von der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 vorgegebenen Kriterien gebunden. Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO in der Ausgestaltung durch die Verordnung (EU) Nr. 546/2011 ermöglicht keine Neuüberprüfung des von der Kommission genehmigten Wirkstoffs , sondern nur die Kontrolle seines konkreten Einsatzes in dem jeweils zuzulassenden Pflanzenschutzmittel . Die Kontrolle der Pflanzenschutzmittel baut auf den Erkenntnissen des Wirkstoffgenehmigungsverfahrens auf. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eines Wirkstoffs wird z.B. nach Randnummer 3.6.1. des Anhangs II der PflanzenschutzVO die annehmbare Anwenderexposition (Acceptable Operator Exposure Level, AOEL) festgestellt. Die schädlichen Auswirkungen eines Pflanzenschutzmittels auf die Gesundheit von Menschen werden nach Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. b) PflanzenschutzVO in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 geprüft, indem die Mitgliedstaaten kontrollieren, ob die Verwendung eines Pflanzenschutzmittels zu einer wahrscheinlich zu verzeichnenden Exposition des Anwenders gegenüber dem im Pflanzenschutzmittel enthaltenen Wirkstoff führt.8 Ein Pflanzenschutzmittel ist folglich wegen schädlicher Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren nicht zuzulassen, „wenn der Anwender bei der Handhabung und Verwendung des Pflanzenschutzmittels gemäß den vorgeschlagenen Bedingungen, einschließlich Dosis und Anwendungsmethode, einer höheren als der annehmbaren Anwenderexposition (AOEL = Acceptable Operator Exposition Level) ausgesetzt ist“.9 Die Mitgliedstaaten prüfen nach Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. b) PflanzenschutzVO also nicht die grundsätzlich möglichen schädlichen Auswirkungen eines Wirkstoffs auf die menschliche Gesundheit, sondern die konkreten Auswirkungen (insbesondere die Anwenderexposition) eines bestimmten Pflanzenschutzmittels, welches den Wirkstoff beinhaltet. 7 Verordnung (EU) Nr. 546/2011 der Kommission vom 10. Juni 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich einheitlicher Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, ABl. 2011, L 155/127, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUri Serv/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:155:0127:0175:DE:PDF. 8 2.4.1.1 des Teils B der Verordnung (EU) Nr. 546/2011. 9 2.4.1.1. des Teils C der Verordnung (EU) Nr. 546/2011. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 8 Die Anforderungen des Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO an die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels können somit nicht losgelöst von dem Genehmigungsverfahren des in dem Pflanzenschutzmittel enthaltenen Wirkstoffs geprüft werden. Die Genehmigung des Wirkstoffs auf Unionsebene wirkt sich auf die Zulassung des jeweiligen Pflanzenschutzmittels aus. Das folgt aus den Vorgaben des Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO i.V.m. der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 und den Erwägungsgründen der PflanzenschutzVO, welche das Ziel eines gleichen Schutzniveaus in allen Mitgliedstaaten benennen. Diesem Ziel würde eine Auslegung der Pflanzenschutz VO zuwider laufen, nach der die Mitgliedstaaten losgelöst von der Genehmigung eines Wirkstoffs auf Unionsebene über die Zulassung der ihn enthaltenden Pflanzenschutzmittel entscheiden können und dabei bezüglich des Wirkstoffs zu anderen Ergebnissen als die Kommission kommen. Im Rahmen der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln wird nicht die Prüfung des Wirkstoffs wiederholt, sondern die Wirkungsweise des Pflanzenschutzmittels kontrolliert. Die Bindungswirkung der Genehmigungsentscheidungen wird auch bei der Lektüre von Pflanzenschutzmittelzulassungen des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) deutlich. Beispielsweise nimmt das BVL in der Zulassung des Pflanzenschutzmittels Agree 50 WG mehrfach auf die Genehmigungsentscheidung des in dem Mittel enthaltenen Wirkstoffs Bezug .10 3.1.2. Zulassung unter Auflagen Art. 31 PflanzenschutzVO regelt die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, Pflanzenschutzmittel unter Auflagen zuzulassen. Nach Art. 31 Abs. 1 PflanzenschutzVO kann bei der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels festgelegt werden, bei welchen Pflanzen oder Pflanzenerzeugnissen und nicht-landwirtschaftlichen Bereichen (z. B. Bahnanlagen, öffentliche Bereiche, Lagerräume) und für welche Zwecke das Pflanzenschutzmittel verwendet werden darf. Gemäß Art. 31 Abs. 2 PflanzenschutzVO werden in der Zulassung die Anforderungen für das Inverkehrbringen und die Verwendung des Pflanzenschutzmittels festgelegt. Art. 31 Abs. 4 der PflanzenschutzVO zählt mögliche Anforderungen auf, welche im Rahmen einer Zulassung festgelegt werden können. Zudem enthält Art. 31 Abs. 4 lit. a) Pflanzenschutz-VO eine Art Generalklausel, wonach Beschränkungen in Bezug auf Vertrieb und Verwendung des Pflanzenschutzmittels, die dem Schutz der Gesundheit von Menschen oder der Umwelt dienen sollen, möglich sind. Art. 31 PflanzenschutzVO ermöglicht mithin verschiedene Beschränkungen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln durch die Mitgliedstaaten. Auch im Rahmen des Art. 31 PflanzenschutzVO dürfen nach dem Sinn und Zweck der Pflanzenschutz VO bestimmte Aspekte des Wirkstoffs, die bereits im Rahmen der Wirkstoffgenehmigung untersucht worden sind, nicht neu bewertet werden. Die Auflagen nach Art. 31 Pflanzenschutz VO sollen vielmehr auf besondere Auswirkungen des jeweiligen Pflanzenschutzmittels reagieren . 10 BVL, Zulassungsbericht für Agree 50 WG, Antragsnummer: 007638-00/00, 12.11.2015, abrufbar unter https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/04_Pflanzenschutzmittel/01_zulassungsberichte/007638-00- 00.html. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 9 3.1.3. Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel Gefragt worden ist, ob ein nationales Verbot von Glyphosat, insbesondere aufgrund von Biodiversitätsaspekten , möglich sei. Nach Art. 4 Abs. 3 lit. e) iii) PflanzenschutzVO setzt die Genehmigung eines Wirkstoffs voraus, dass Pflanzenschutzmittel, die ihn beinhalten, unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben. Die Verordnung (EU) Nr. 546/2011 gibt den Mitgliedstaaten keine konkreten Bewertungsvorgaben für diese Zulassungsanforderung vor. Es heißt lediglich in den allgemeinen Grundsätzen, dass die Mitgliedstaaten darauf zu achten haben, „dass die Verwendung der Pflanzenschutzmittel keine langfristigen Auswirkungen auf den Bestand und die Vielfalt der nicht zu den Zielgruppen gehörenden Arten hat.“11 Die Verordnung (EU) Nr. 283/2013,12 welche die Datenforderungen für die Genehmigungsanträge festlegt, gibt in Nr. 5 der Einleitung des Abschnitts 8 ihres Anhangs vor, dass „die potenziellen Auswirkungen des Wirkstoffs auf die Biodiversität und das Ökosystem, einschließlich indirekter Auswirkungen durch Änderungen in den Nahrungsnetzen , zu untersuchen“ sind. Deutschland war als Berichterstatter am Verfahren der erneuten Glyphosatgenehmigung beteiligt. Im Rahmen des Bewertungsberichts wurden mögliche Schäden durch eine Belastung des Naturhaushalts sowie durch Abfälle des Pflanzenschutzmittels geprüft und bewertet. Im Bericht werden Bedenken im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt in Folge einer Störung von Nahrungsnetzen (sog. Nahrungsnetzeffekte) geäußert. Glyphosat sei für Vögel, Säugetiere und Insekten nicht unmittelbar schädlich, es töte jedoch auf den behandelten Kulturflächen auch diejenigen Pflanzen ab, die Insekten Nahrung bieten.13 Diese Auswirkungen unterscheiden sich aufgrund der verschiedenen landwirtschaftlichen und landschaftsökologischen Bedingungen in den Mitgliedstaaten. In dem Bewertungsbericht wird die Notwendigkeit von Maßnahmen betont, um solche Effekte und nachteilige Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu reduzieren, und werden außerdem Ausgleichsmaßnahmen angeregt.14 Die unterschiedlichen Ausprägungen der Nahrungsnetzeffekte in den Mitgliedstaaten legen ein nationales Vorgehen im Rahmen der Pflanzenschutzmittelzulassung nahe. 11 1.5 des Teils C der Verordnung (EU) Nr. 546/2011. 12 Verordnung (EU) Nr. 283/2013 der Kommission vom 1. März 2013 zur Festlegung der Datenanforderungen für Wirkstoffe gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. 2013 L, 93/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02013R0283-20141117&qid=1513004893533&from=DE. 13 Final addendum to the Renewal Assessment Report - public version - Risk assessment provided by the rapporteur Member State Germany and co-rapporteur Member State Slovakia for the active substance glyphosate […], S. 134, abrufbar unter http://registerofquestions.efsa.europa.eu/roqFrontend/outputLoader?output=ON-4302. 14 Final addendum to the Renewal Assessment Report - public version - Risk assessment provided by the rapporteur Member State Germany and co-rapporteur Member State Slovakia for the active substance glyphosate […], S. 134. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 10 Es ist zu überlegen, ob aufgrund der Einschätzung, dass bezüglich des Einsatzes von Glyphosat Bedenken im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt bestehen, ein unannehmbares Risiko im Hinblick auf die Umwelt angenommen werden kann, welches nach Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. e) PflanzenschutzVO zur Verweigerung der Zulassung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittel führen muss. Aus der Glyphosat-Bewertung im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der EU kann nicht direkt eine Gebotenheit der Zulassungsverweigerung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln in Deutschland abgeleitet werden. Vielmehr ist im Zulassungsverfahren zunächst für die einzelnen glyphosathaltigen Mittel und ihre Anwendungen unter Berücksichtigung der landwirtschaftlichen und ökologischen Bedingungen in Deutschland zu prüfen, ob die Auswirkungen des jeweiligen Pflanzenschutzmittels in Folge von Nahrungsnetzeffekten auf die Umwelt in Deutschland ein unannehmbares Ausmaß haben und ob die Auswirkungen durch Risikominderungsmaßnahmen gemäß Art. 31 PflanzenschutzVO auf ein annehmbares Maß gesenkt werden können. Erst eine solche Prüfung ermöglicht eine Zulassungsentscheidung nach Art. 29, 31 PflanzenschutzVO. 3.2. Zulassungsauflagen und Zulassungsverbot nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO Grundsätzlich entscheidet der mit der Zulassungsprüfung innerhalb einer Zone gemäß Art. 35 PflanzenschutzVO beauftragte Mitgliedstaat über die Zulassung bzw. Zulassungsbeschränkungen nach Art. 29 und 31 PflanzenschutzVO. Art. 36 Abs. 3 der PflanzenschutzVO eröffnet sowohl im Zulassungsverfahren gemäß Art. 33 PflanzenschutzVO als auch im Rahmen des Systems der gegenseitigen Anerkennung (s. den Verweis in Art. 41 Abs. 1 PflanzenschutzVO) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, voneinander abweichende Zulassungsentscheidungen zu treffen. Nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, eigene nationale Zulassungsbedingungen festzulegen und, wenn dies als Schutzmaßnahme nicht genügt, die Zulassung zu verweigern. In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung des deutschen Pflanzenschutzgesetzes an die Unionsvorgaben steht dementsprechend in der Begründung: „Wird das Pflanzenschutzmittel von der prüfenden Zulassungsbehörde nach den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zugelassen, ist es auch in den anderen Ländern, für die der Antrag gestellt worden ist, von den dortigen Zulassungsbehörden zuzulassen, ggf. unter Anpassung der Anwendungsbestimmungen.“15 Im Folgenden werden zunächst die zwei Möglichkeiten des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO dargestellt , eine Zulassung mit Verwendungsbestimmungen zu erlassen (3.2.1.) oder eine Zulassung zu verweigern (3.2.2.). Anschließend wird die Anwendung von Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO auf glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel geprüft (3.2.3.). 3.2.1. Voraussetzungen von Auflagen Bei der Entscheidung über die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels kann die innerhalb einer Zone zuständige Behörde nach Art. 31 PflanzenschutzVO verschiedene Auflagen für das Inverkehrbringen und die Verwendung des Pflanzenschutzmittels festlegen. Art. 36 Abs. 3 UAbs. 1 PflanzenschutzVO ermöglicht den Mitgliedstaaten in Fällen, in denen ein anderer Mitgliedstaat 15 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 17.10.2011, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Pflanzenschutzrechts , BT-Drucksache 17/7317, S. 39. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 11 der Zone für die Zulassungsprüfung verantwortlich ist, eigene Zulassungsvoraussetzungen festzulegen . Nach Art. 36 Abs. 3 UAbs. 1 können die Mitgliedstaaten unter Beachtung des Unionsrechts Zulassungsbedingungen und andere Maßnahmen zur Risikominderung in Abweichung von der Entscheidung des für die Zulassungsprüfung verantwortlichen Staates festlegen. Die Voraussetzungen dieser Möglichkeit lassen sich aufgrund der mehrdeutigen Formulierung des Unterabsatzes nicht abschließend bestimmen. Dort heißt es: „Abweichend von Absatz 2 und vorbehaltlich des Gemeinschaftsrechts können geeignete Bedingungen in Bezug auf die Anforderungen gemäß Artikel 31 Absätze 3 und 4 und andere Maßnahmen zur Risikominderung, die sich aus den spezifischen Verwendungsbedingungen ergeben, festgelegt werden.“ Es ist nicht klar, ob sich auch die Zulassungsbedingungen nach Art. 31 Abs. 3 und 4 oder nur die anderen Maßnahmen zur Risikominderung aus den spezifischen Verwendungsbedingungen des Mitgliedstaats ergeben müssen . Folglich kann nicht sicher entschieden werden, ob die Festlegung nationaler Verwendungsbestimmungen spezifische Verwendungsbedingungen im jeweiligen Mitgliedstaat voraussetzt. Dafür sprechen die nachfolgenden Ausführungen zu den Verbotsvoraussetzungen (s. unten unter 3.2.2.). 3.2.2. Voraussetzungen eines Verbots Art. 36 Abs. 3 UAbs. 2 der PflanzenschutzVO sieht eine Möglichkeit für Mitgliedstaaten vor, die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nicht nur zu begrenzen, sondern sogar zu verweigern, wenn für den Mitgliedstaat angesichts spezifischer ökologischer oder landwirtschaftlicher Bedingungen berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass das betreffende Produkt ein unannehmbares Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt und dieses Risiko nicht durch Verwendungsbestimmungen ausgeräumt werden kann. Entscheidend für die Möglichkeit eines nationalen Verbots ist das Verständnis des Begriffs „spezifisch“ in § 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO. Es gibt hierzu bisher noch keine Rechtsprechung, sodass im Folgenden eine Auslegung nach den juristischen Auslegungsgrundsätzen vorgenommen wird. 3.2.2.1. Wortlautauslegung Die Auslegung nach dem Wortlaut legt nahe, dass in dem jeweiligen Mitgliedstaat ökologische und landwirtschaftliche Bedingungen vorliegen müssen, die ihn von anderen Mitgliedstaaten unterscheiden . Nur in diesen Fällen gebietet die spezifische Situation eine Abweichung von der allgemeinen Zulassungspraxis. 3.2.2.2. Historische Auslegung Auch Ausführungen zu Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO im Rechtsetzungsverfahren können als Argument für die Ansicht herangezogen werden, dass nationale Verwendungsbestimmungen gemäß Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO bestimmter äußerer Faktoren bedürfen, welche die Situation im jeweiligen Mitgliedstaat von der anderer Staaten unterscheidet. In ihrer Folgenabschätzung zu Beginn des Rechtsetzungsverfahrens ist die Kommission zu dem Schluss gekommen: „It is proposed that mutual recognition becomes the norm and that Member States within a zone could only amend the authorisations in accordance with already existing Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 12 legislation on the protection of the health of distributors, users or workers.“16 Das Europäische Parlament forderte im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine stärkere Berücksichtigung nationaler Besonderheiten und ergänzte die PflanzenschutzVO in Bezug auf das Zonenzulassungssystem in Art. 37 um die Möglichkeit nationaler Ausnahmen und in Art. 42 um eine entsprechende Möglichkeit der Mitgliedstaaten im Anerkennungsverfahren.17 Die Kommission hat den Änderungsvorschlägen des Parlaments widersprochen, da sie in diesen eine Ablehnung des Systems der Zulassungszonen für Pflanzenschutzmittel und der obligatorischen gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen innerhalb einer Zone sah. Die Kommission wollte zur Erreichung der Harmonisierungsziele festlegen, dass die Mitgliedstaaten „nur beim Schutz der Arbeitnehmer strengere nationale Maßnahmen erlassen [können], da das EU-Recht auf diesem Gebiet nur eine Mindestharmonisierung schafft.“18 Im anschließend erstellten Gemeinsamen Standpunkt des Rates findet sich in Art. 36 Abs. 3 die Möglichkeit einer nationalen Zulassungsausnahme.19 Die Kommission erklärte dazu, dass an der obligatorischen gegenseitigen Anerkennung festgehalten werde, aber durch eine Ausnahmeregelung eine Anpassung an lokale Bedingungen sowie in Ausnahmefällen die Verweigerung – seitens der Mitgliedstaaten – aufgrund spezifischer und begründeter Risiken für Gesundheit oder Umwelt, die anders nicht ausgeschlossen werden können, zulässig sein solle.20 Die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe verständigten sich schlussendlich auf die jetzige Formulierung des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO. Die Entwicklung zeigt deutlich das Bestreben der Kommission, eine Harmonisierung der Pflanzenschutzmittelzulassung in der Union nicht durch Sonderrechte der Mitgliedstaaten zu gefährden. Der Blick auf die Rechtsentwicklung legt daher den Schluss nahe, dass nur ökologische und landwirtschaftliche Besonderheiten eines Mitgliedstaats ein nationales Verbot eines in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Pflanzenschutzmittels rechtfertigen können. 16 Kommission, Staff Working document – report on the impact assessment for a regulation replacing directive 91/414/EEC on plant protection products, SANCO/10273/2006 Rev. 5, abrufbar unter https://ec.europa .eu/food/sites/food/files/plant/docs/pesticides_legis_ia-report-2006.pdf. 17 Europäisches Parlament, Protokoll 23. Oktober 2007, ABl. 2008, C 263E, S. 18–246. 18 Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, KOM(2008) 93 endgültig, S. 7, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52008PC0093&qid=1466509394055&from=DE. 19 Rat, Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 15. September 2008 im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, Ratsdokumentennummer: 11119/8/08 REV. 8. 20 Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG-Vertrag zum gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, KOM(2008) 578 endgültig, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52008PC0578&qid=1466509520569&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 13 3.2.2.3. Teleologische und systematische Auslegung Für die Auslegung des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO nach teleologischen Gesichtspunkten können die Erwägungsgründe der PflanzenschutzVO herangezogen werden. In Erwägungsgrund 29 steht: „Besondere ökologische oder landwirtschaftliche Bedingungen im Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten können es jedoch erforderlich machen, dass die Mitgliedstaaten auf Antrag die von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Zulassung anerkennen oder ändern, oder die Zulassung des Pflanzenschutzmittels in ihrem Gebiet verweigern, wo dies aufgrund besonderer ökologischer oder landwirtschaftlicher Gegebenheiten gerechtfertigt ist oder wo das in dieser Verordnung vorgeschriebene hohe Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt nicht erreicht werden kann.“ Nach diesen Ausführungen kann sowohl die Tatsache besonderer ökologischer und landwirtschaftlicher Gegebenheiten eine Abweichung von der allgemeinen Zulassung rechtfertigen, als auch Fälle, in denen andernfalls das von der Pflanzenschutz VO vorgegebene Schutzniveau nicht erreicht werden kann. Das Wort „oder“ bezeichnet grundsätzlich ein Alternativverhältnis. Fraglich ist, ob die Bezugnahme auf das in der PflanzenschutzVO vorgeschriebene hohe Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt voraussetzt, dass bei einem Einsatz des jeweiligen Pflanzenschutzmittels das Schutzniveau im betreffenden Mitgliedstaat unter das Schutzniveau in den anderen Staaten derselben Zone sinken würde oder ob es genügt , dass der Mitgliedstaat ein hohes Schutzniveau anstrebt und daher die Zulassung eines Mittels verweigert. Der Wortlaut des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO und das angestrebte Ziel einer Harmonisierung der Pflanzenschutzmittelzulassung in den Mitgliedstaaten sprechen für die erste Auslegungsvariante, d.h. eine eigenständige Schutzpolitik der Mitgliedstaaten allein genügt nicht, sondern es müssen besondere äußere Umstände hinzukommen, die einen nationalen Sonderweg rechtfertigen. Für die zweite Auslegungsvariante spricht das Ziel der PflanzenschutzVO, ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt zu gewährleisten . Die Bedeutung dieses Ziels könnte nationale Sonderwege zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt rechtfertigen. Außer diesem Ziel finden sich aber keine weiteren Gründe für ein weites Verständnis des nationalen Abweichungsrechts in Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO. Randnummer C.2.1. des Teils II des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 546/2011, welche die Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln festlegt, besagt: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei Entscheidungen über die Gewährung von Zulassungen den Bedingungen im vorgeschlagenen Verwendungsgebiet in Bezug auf Landwirtschaft, Pflanzengesundheit oder Umwelt (einschließlich Klima) Rechnung getragen wird. Erwägungen dieser Art können spezifische Verwendungsbedingungen und Verwendungsbeschränkungen nach sich ziehen und dazu führen, dass eine Zulassung nur für bestimmte, jedoch nicht alle Gebiete des betreffenden Mitgliedstaats erteilt wird.“21 Auch nach den Vorgaben der Durchführungsverordnung sind mithin allein äußere 21 Verordnung (EU) Nr. 546/2011 der Kommission vom 10. Juni 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich einheitlicher Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, ABl. 2011, L 155/127, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUri Serv/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:155:0127:0175:DE:PDF. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 14 Umstände wie Landwirtschaft und Klima entscheidend für die Möglichkeit eines Mitgliedstaats, gesonderte Verwendungsbeschränkungen festzulegen. 3.2.2.4. Zwischenergebnis Der Wortlaut, der historische Hintergrund des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO sowie teleologische und systematische Erwägungen sprechen für eine Beschränkung der Abweichungsmöglichkeit nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO – insbesondere bezüglich der Verbotsmöglichkeit – nur auf Fälle, in denen diese den ökologischen und landwirtschaftlichen Besonderheiten in einem Mitgliedstaat geschuldet sind. 3.2.3. Zulassungsverbot oder Auflagen für glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel Fraglich ist, ob Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO aufgrund der Ausführungen des Bewertungsberichts zu den ökologischen Folgen des (übermäßigen) Einsatzes von Glyphosat im Hinblick auf den Aspekt der Biodiversität ein nationales Verbot oder Auflagen begründen kann. Wie oben festgestellt, ermöglicht Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO Abweichungen der Mitgliedstaaten von der Zulassungspraxis in ihrer Zone, wenn diese Abweichungen durch besondere Umstände in ihrem Staatsgebiet angezeigt sind. Fraglich ist im Hinblick auf die Rolle Deutschlands als Berichterstatter, ob die Ausführungen im Bewertungsbericht zu den ökologischen Folgen des Glyphosat-Einsatzes speziell für Deutschland gelten. Im Bewertungsbericht werden Bedenken bezüglich des Einsatzes von Glyphosat im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt geäußert und empfohlen, die Genehmigung für Glyphosat mit der Maßgabe zu verbinden, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um solche Effekte und nachteilige Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu reduzieren.22 Im Bericht wird betont, dass die Stärke der Auswirkungen auf die Umwelt in Folge von Nahrungsnetzeffekten von den landwirtschaftlichen und landschaftsökologischen Bedingungen abhängt, unter denen die Anwendung stattfindet.23 Da sich diese zwischen den Mitgliedstaaten erheblich unterscheiden können, ist bei einer Zulassungsentscheidung gemäß Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO zu prüfen, ob spezifische Bedingungen im jeweiligen Mitgliedstaat vorliegen, die zu unannehmbaren Auswirkungen führen können. Das kann nur im jeweiligen Zulassungsverfahren geprüft werden. Selbst wenn Risiken für die Umwelt in Folge der Nahrungsnetzeffekte im Zulassungsverfahren festgestellt werden, führt dies aber nicht zwangsläufig zu einer Verweigerung der Zulassung. Die zuständige Behörde hat zunächst zu prüfen , ob die Risiken durch Verwendungsbestimmungen bzw. andere Maßnahmen zur Risikominderung auf ein vertretbares Maß gesenkt werden können. 22 BVL, Pressemitteilung, abrufbar unter https://www.bvl.bund.de/DE/08_PresseInfothek/01_FuerJournalisten /01_Presse_und_Hintergrundinformationen/04_Pflanzenschutzmittel/2014/2014_01_06_pi_glyphosat.html. 23 Final addendum to the Renewal Assessment Report - public version - Risk assessment provided by the rapporteur Member State Germany and co-rapporteur Member State Slovakia for the active substance glyphosate […], S. 134, (“As the severity of indirect effects of herbicide use on farmland bird (and mammal) species diversity strongly depends on agricultural and landscape properties, an assessment considering all different conditions all over the EU is hardly possible.”), abrufbar unter http://registerofquestions.efsa.europa.eu/roqFrontend/output Loader?output=ON-4302. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 15 3.3. Aufhebung einer Zulassung nach Art. 44 der PflanzenschutzVO Die Art. 29 ff. PflanzenschutzVO regeln die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, ein Pflanzenschutzmittel nicht oder nur beschränkt zuzulassen. Art. 44 PflanzenschutzVO regelt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, eine Zulassung nachträglich zu beschränken oder aufzuheben. Art. 44 Abs. 3 PflanzenschutzVO benennt die Voraussetzungen, unter denen ein Mitgliedstaat die Zulassung aufheben oder ändern muss. Art. 44 Abs. 1 PflanzenschutzVO benennt die Voraussetzungen, unter denen ein Mitgliedstaat eine Zulassung ändern kann. 3.3.1. Voraussetzungen Eine Zulassung muss nach Art. 44 Abs. 3 lit. a) und Art. 29 der PflanzenschutzVO aufgehoben werden, wenn die Zulassungsanforderungen nach Art. 29 PflanzenschutzVO nicht oder nicht mehr erfüllt sind. Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO setzt für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels insbesondere voraus, dass seine Wirkstoffe, Safener und Synergisten genehmigt sind und die Genehmigungsanforderungen gemäß Art. 4 Abs. 3 erfüllt sind. Nach Art. 44 Abs. 1 PflanzenschutzVO kann ein Mitgliedstaat eine Zulassung aufheben, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass eine Anforderung aus Art. 29 PflanzenschutzVO durch das Pflanzenschutzmittel nicht mehr erfüllt ist. 3.3.2. Aufhebung der Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel Ebenso wie bei den bereits diskutierten Normen zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln stellt sich die Frage, ob ein Vorgehen der Mitgliedstaaten gemäß Art. 44 PflanzenschutzVO gegen glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel aus Biodiversitätsaspekten möglich ist. Es kann diesbezüglich jedoch auf die oben stehenden Ausführungen unter 3.1.3. verwiesen werden. 3.4. Notfallmaßnahmen nach Art. 69 ff. PflanzenschutzVO Die Art. 69 ff. PflanzenschutzVO ermöglichen sogenannte Notfallmaßnahmen. Wenn davon auszugehen ist, dass ein genehmigter Wirkstoff oder ein Pflanzenschutzmittel, das gemäß der PflanzenschutzVO zugelassen wurde, wahrscheinlich ein schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt und dass diesem Risiko durch Maßnahmen, die der betreffende Mitgliedstaat oder die betreffenden Mitgliedstaaten getroffen hat bzw. haben, nicht auf zufrieden stellende Weise begegnet werden kann, sieht Art. 69 Pflanzenschutz VO vor, dass die Kommission von sich aus oder auf Verlangen eines Mitgliedstaats unverzüglich Maßnahmen zur Einschränkung oder zum Verbot der Verwendung und/oder des Verkaufs dieses Stoffs oder Produkts trifft. In extremen Notfällen kann die Kommission gemäß Art. 70 PflanzenschutzVO vorläufig Notfallmaßnahmen treffen. Wenn ein Mitgliedstaat die Kommission offiziell über die Notwendigkeit von Notfallmaßnahmen unterrichtet hat und die Kommission nicht gemäß Art. 69 oder 70 PflanzenschutzVO handelt, so kann der Mitgliedstaat nach Art. 71 PflanzenschutzVO vorläufige Schutzmaßnahmen ergreifen. Die erneute Genehmigung von Glyphosat auf Unionsebene steht grundsätzlich der Annahme eines Mitgliedstaats entgegen, dass Glyphosat ein schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit von Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 16 Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt und dass diesem Risiko durch Maßnahmen, welche die Mitgliedstaaten getroffen haben, nicht auf zufrieden stellende Weise begegnet werden kann. Wenn ein solches Risiko von der Bundesregierung dennoch bejaht würde, müsste sie die Kommission unterrichten und entsprechende Maßnahmen auf Unionsebene verlangen. Erst wenn dieses Bemühen erfolglos bleibt, dürfte Deutschland nach Art. 71 PflanzenschutzVO selbständig Schutzmaßnahmen ergreifen. 3.5. Maßnahmen nach Art. 1 Abs. 4 PflanzenschutzVO Nach Art. 1 Abs. 4 Satz 2 PflanzenschutzVO ist es den Mitgliedstaaten freigestellt, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, wenn wissenschaftliche Ungewissheit besteht, ob die in ihrem Hoheitsgebiet zuzulassenden Pflanzenschutzmittel Gefahren für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt bergen. Fraglich ist, ob auf der Grundlage dieser Norm ein Mitgliedstaat die Verwendung eines Wirkstoffs bzw. eines diesen Wirkstoff beinhaltenden Pflanzenschutzmittels beschränken oder verbieten kann. Dafür müsste Art. 1 Abs. 4 Satz 2 PflanzenschutzVO die Mitgliedstaaten zu einem nachträglichen Verbot bzw. einer Beschränkung eines bereits zugelassenen und im Verkehr befindlichen Pflanzenschutzmittels ermächtigen. Die Auslegung des Art. 1 Abs. 4 Satz 2 PflanzenschutzVO spricht gegen eine solche Ermächtigung zu nachträglichen Maßnahmen. Gemäß dem Wortlaut der Norm ist es insbesondere den Mitgliedstaaten freigestellt, das Vorsorgeprinzip in Bezug auf „zuzulassende Pflanzenschutzmittel“ anzuwenden. Diese Formulierung „zuzulassende Pflanzenschutzmittel “24 spricht dafür, dass dem Vorsorgeprinzip im Rahmen des Zulassungsverfahrens Bedeutung zukommt. Es geht bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips durch die Mitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 4 also um die Möglichkeit, ein Pflanzenschutzmittel aufgrund des Vorsorgeprinzips wegen wissenschaftlicher Ungewissheit gar nicht erst zuzulassen, nicht um den Widerruf einer Zulassung. Zudem spricht auch die Systematik des Art. 1 und der PflanzenschutzVO insgesamt gegen ein Verständnis des Art. 1 Abs. 4 als eine Ermächtigungsnorm. Art. 1 PflanzenschutzVO legt Gegenstand und Ziel der Verordnung fest. Es handelt sich bei den Vorgaben dieses Artikels folglich um Zielbestimmungen und allgemeine Grundlagen, nicht um individuelle Verfahrensvorgaben oder Ermächtigungsgrundlagen. Die Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse der Mitgliedstaaten sind erst in den späteren Kapiteln der Verordnung, insbesondere in Kapitel III, geregelt. Aus den oben dargestellten Gründen erscheint es aus hiesiger Sicht für einen Mitgliedstaat daher nicht möglich, allein gestützt auf Art. 1 Abs. 4 PflanzenschutzVO ein Pflanzenschutzmittel oder einen Wirkstoff zu verbieten bzw. zu beschränken. 24 In der englischen Fassung: „plant protection products to be authorised”. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 17 4. Vorgaben des deutschen Rechts 4.1. Zulassung von Pflanzenschutzmitteln § 35 Abs. 1 des deutschen Pflanzenschutzgesetzes (PflSchG)25 bestimmt, dass bei der Prüfung eines Antrags auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels, dessen Wirkstoff nach Art. 4 der Pflanzenschutz VO genehmigt worden ist, die aus dem Genehmigungsverfahren abgeleiteten Erkenntnisse über die Eigenschaften des Wirkstoffs zu Grunde zu legen sind. Das deutsche Recht verpflichtet mithin für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zur Beachtung der Wirkstoffgenehmigung auf Unionsebene. Zuständig für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, wie auch deren Aufhebung und Änderung, ist in Deutschland gemäß § 33 Abs. 1 PflSchG das BVL. 4.2. Aufhebung einer Zulassung In Deutschland wurde die Zulassungsaufhebung in § 39 PflSchG geregelt. Nach § 39 Abs. 1 PflSchG ist eine Zulassung zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen des Art. 44 Abs. 3 lit. a), c) oder e) PflanzenschutzVO vorliegen, und nach § 39 Abs. 2 PflSchG kann eine Zulassung widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 44 Abs. 1 oder Abs. 3 lit. d) PflanzenschutzVO erfüllt sind. 4.2.1. Voraussetzungen von § 39 PflSchG Eine Zulassung muss nach § 39 Abs. 1 PflSchG i.V.m. Art. 44 Abs. 3 lit. a) und Art. 29 der Pflanzenschutz VO aufgehoben werden, wenn die Zulassungsanforderungen nach Art. 29 Pflanzenschutz VO nicht oder nicht mehr erfüllt sind. Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO setzt für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels insbesondere voraus, dass seine Wirkstoffe, Safener und Synergisten genehmigt sind und die Genehmigungsanforderungen gemäß Art. 4 Abs. 3 erfüllt sind. Nach § 39 Abs. 2 PflSchG i.V.m. Art. 44 Abs. 1 und Abs. 3 lit. d) PflanzenschutzVO kann das BVL eine Zulassung aufheben, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass eine Anforderung aus Art. 29 PflanzenschutzVO durch das Pflanzenschutzmittel nicht mehr erfüllt ist oder nach den neuesten wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen die Art der Verwendung und die verwendeten Mengen geändert werden können. § 39 Abs. 2 PflSchG stellt diese Entscheidung in das Ermessen der Behörde. Ausweislich des Wortlauts muss die Behörde nicht handeln, sie „kann“ handeln. Das BVL hat insoweit einen Ermessensspielraum.26 4.2.2. Aufhebung der Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel Der Entscheidung über die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels liegen die Bewertungen aus dem Genehmigungsverfahren zugrunde. Es ist jedoch möglich, dass spezielle Aspekte des jeweiligen Pflanzenschutzmittels, dessen Zusammensetzung oder Anwendung, unannehmbare Aus- 25 Pflanzenschutzgesetz vom 6. Februar 2012 (BGBl. I S. 148 ff., 1281), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 2. Dezember 2014 (BGBl. I S. 1928). 26 Metzger, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 201. EgL Januar 2015; § 39 PflSchG, Rn. 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 18 wirkungen auf die Umwelt haben oder die Besonderheiten der deutschen Ökologie und Landwirtschaft eine Aufhebung der Zulassung begründen. Insbesondere die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die Biodiversität unterscheiden sich zwischen den Mitgliedstaaten aufgrund der verschiedenen landwirtschaftlichen und landschaftsökologischen Bedingungen (s. dazu auch unter 3.1.3. und 3.2.3.). 4.3. Möglichkeiten des deutschen Gesetzgebers Die Normen des PflSchG ermöglichen de lege lata kein Verbot von Pflanzenschutzmitteln, die im Widerspruch zu der Entscheidung auf Unionsebene über die Zulassung des jeweiligen Wirkstoffs steht. § 35 Abs. 1 PflSchG gibt vor, dass der Prüfung eines Antrags auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels , dessen Wirkstoff nach Art. 4 der PflanzenschutzVO genehmigt worden ist, die aus dem Genehmigungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse über die Eigenschaften des Wirkstoffs zu Grunde zu legen sind. Das PflSchG kann zwar grundsätzlich durch den deutschen Gesetzgeber geändert werden. Auch bei einer Änderung des PflSchG müssten jedoch weiterhin die unmittelbar geltenden Vorgaben der PflanzenschutzVO beachtet werden. Auch eine Änderung des deutschen Rechts würde mithin kein Verbot von Pflanzenschutzmitteln ermöglichen, welches losgelöst von der Unionsentscheidung über den im Pflanzenschutzmittel enthaltenen Wirkstoff ergeht, denn diese Bindung wird auch durch die PflanzenschutzVO vorgegeben. 5. Das Verbot von Chlorpyrifos Auf Unionsebene ist im August 2013 die Genehmigung des Wirkstoffs Chlorpyrifos durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 762/2013 bis zum 31. Januar 2018 verlängert worden.27 In Deutschland wurde die Genehmigung des Insekten-Streumittels NEXION Neu und die Zulassung von Garten-Loxiran, die beide Chlorpyrifos als Wirkstoff beinhalten, hingegen am 2. Oktober 2013 bzw. am 6. November 2013 widerrufen. Ausweislich der Meldung auf Seiten des BVL erfolgte der Widerruf in beiden Fällen auf Antrag des Zulassungsinhabers.28 Auf den ersten Blick lassen sich dem Zulassungswiderruf von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Chlorpyrifos in Deutschland daher keine Argumentationsansätze entnehmen, auf die ein Widerruf der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Glyphosat sich stützen ließe. 6. Fazit In dem Zulassungsverfahren nach Art. 28 ff. PflanzenschutzVO wird das Pflanzenschutzmittel geprüft. Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln wird in verschiedenen Aspekten durch die Ge- 27 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 762/2013 der Kommission vom 7. August 2013 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 hinsichtlich der Verlängerung der Dauer der Genehmigung für die Wirkstoffe Chlorpyrifos […], ABl. L 2013, 213/14, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R0762&qid=1513013477043&from=DE. 28 https://www.bvl.bund.de/DE/04_Pflanzenschutzmittel/06_Fachmeldungen/2013/2013_10_28_Fa_Widerrufe .html und https://www.bvl.bund.de/DE/04_Pflanzenschutzmittel/06_Fachmeldungen /2013/2013_11_18_Fa_%C3%84nderung_Zulassung_Pflanzenschutzmittel_Loxiran.html. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 95/17 Seite 19 nehmigung des im Pflanzenschutzmittel verwendeten Wirkstoffs bedingt. Die Zulassungsentscheidung ist insoweit an die europäische Wirkstoffgenehmigung gebunden und darf dieser nicht zuwiderlaufen. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach Art. 28 ff. PflanzenschutzVO werden jedoch auch andere Aspekte als jene, welche bereits im Rahmen der Wirkstoffgenehmigung geprüft worden sind, von den Mitgliedstaaten untersucht. Zudem können gemäß Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO spezifische nationale Verwendungsbedingungen und deren Konsequenzen, beispielsweise für die Biodiversität, in die Prüfung einbezogen werden, welche der Zulassung des Pflanzenschutzmittels möglicherweise entgegenstehen oder bestimmte Auflagen erfordern. Unter diesen Voraussetzungen sind nationale Zulassungen unter Auflagen oder ein nationales Verbot von Pflanzenschutzmitteln , deren Wirkstoff auf Unionsebene genehmigt worden ist, möglich. Die Frage, ob glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Biodiversität nicht zugelassen werden dürfen, oder spezifische nationale Verwendungsbedingungen existieren, die einer Zulassung entgegenstehen, kann im Rahmen dieses Gutachtens nicht geklärt werden. – Fachbereich Europa –