© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 094/19 Möglichkeiten für eine staatliche zivile Seenotrettung der Europäischen Union Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 2 Möglichkeiten für eine staatliche zivile Seenotrettung der Europäischen Union Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 094/19 Abschluss der Arbeit: 18. November 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Bestehende Instrumente der Europäischen Union 4 2.1. Katastrophenschutzverfahren der Union 4 2.1.1. Begriff der „Katastrophe“ 4 2.1.2. Bewältigungsmaßnahmen 6 2.1.3. Präventionsmaßnahmen 6 2.1.4. Vorschriften über die finanzielle Unterstützung 6 2.1.5. Zwischenergebnis 7 2.2. Integrierte EU-Regelung für die politische Reaktion auf Krisen (IPCR) 7 2.3. Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) 8 2.4. Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) 9 2.5. Finanzielle Förderung 9 2.5.1. EU-Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika (EUTF) 9 2.5.2. Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI) 10 2.5.3. Visa und Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) 10 2.5.4. Fonds für integriertes Grenzmanagement (IBMF) 11 3. Zuständigkeit der Union für ergänzende Maßnahmen 11 3.1. Politik im Bereich Grenzkontrollen, Art. 77 AEUV 12 3.2. Asylpolitik, Art. 78 AEUV 12 3.3. Katastrophenschutz, Art. 196 AEUV 12 3.4. Humanitäre Hilfe, Art. 214 AEUV 12 3.5. Solidaritätsklausel, Art. 222 AEUV 13 3.6. Kompetenzabrundung, Art. 352 AEUV 13 4. Ergebnis 14 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 4 1. Einleitung Der Fachbereich Europa ist um Auskunft gebeten worden, inwieweit die Europäische Union eine staatliche zivile Seenotrettungsmission für im Mittelmeer in Seenot geratene Flüchtlinge durchführen , ausstatten und/oder finanzieren kann. Hierbei sollte insbesondere geprüft werden, ob schon bestehende (bzw. in Planung befindliche) Instrumente für eine solche Mission genutzt oder inwieweit hierfür ergänzende Maßnahmen ergriffen werden könnten. 2. Bestehende Instrumente der Europäischen Union Soweit ersichtlich, könnten folgende Instrumente als Grundlage für eine staatliche zivile Seenotrettungsmission der Union in Betracht kommen. 2.1. Katastrophenschutzverfahren der Union Das Katastrophenschutzverfahren der Union beruht auf dem Beschluss Nr. 1313/2013/EU (nachfolgend : Katastrophenschutzbeschluss).1 Dieses Verfahren hat zum Ziel, im Bereich des Katastrophenschutzes die Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten zu verstärken und die Koordinierung zu erleichtern, um die Wirksamkeit der Präventions-, Vorsorge- und Bewältigungssysteme für Naturkatastrophen und vom Menschen verursachte Katastrophen zu verbessern . Hierbei wird unterschieden zwischen präventiven2 und vorsorglichen3 Maßnahmen zur Vorbereitung auf eine Katastrophe und solchen, die erst greifen, wenn schon eine Katastrophe eingetreten ist (sog. Bewältigungsmaßnahmen). Das Verfahren greift sowohl für innereuropäische, als auch außereuropäische Katastrophen (Art. 2 Abs. 1). Die maßgebliche Koordinierung der Hilfsmaßnahmen erfolgt hierbei durch das Europäische Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen (ERCC). 2.1.1. Begriff der „Katastrophe“ Entscheidendes Begriffsmerkmal der einschlägigen Bestimmungen über Vorsorge-, Präventionsund Bewältigungsmaßnahmen ist ihr Bezug zu „Katastrophenrisiken“ bzw. der Eintritt einer „Katastrophe “. Der Katastrophenschutzbeschluss selbst definiert die Katastrophe als „jede Situation, die ernsthafte Auswirkungen auf Menschen, Umwelt oder Eigentum, einschließlich Kulturgütern, hat oder haben kann“ (Art. 4 Nr. 1). Nähere Hinweise dazu, welche konkreten Situationen als Katastrophe von dem Beschluss erfasst werden, finden sich in Art. 1 Abs. 2: 1 Beschluss Nr. 1313/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über ein Katastrophenschutzverfahren der Union. 2 Präventive Maßnahmen sind solche, die darauf abzielen, Risiken zu verringern oder die schädlichen Folgen von Katastrophen für Menschen, Umwelt und Eigentum, einschließlich Kulturgütern, abzuschwächen (Art. 4 Nr. 4). 3 Vorsorgliche Maßnahmen sind Fähigkeiten personeller und materieller Mittel sowie von Strukturen, Gemeinschaften und Organisationen zu einer wirksamen und raschen Katastrophenbewältigung, erzielt durch vorab durchgeführte Maßnahmen (Art. 4 Nr. 3). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 5 „Der durch das Unionsverfahren gewährleistete Schutz gilt vor allem den Menschen, aber auch der Umwelt und dem Eigentum, einschließlich Kulturgütern, bei allen Arten von Naturkatastrophen und vom Menschen verursachten Katastrophen innerhalb oder außerhalb der Union, einschließlich bei den Folgen von Terroranschlägen, technischen, radiologischen und Umweltkatastrophen, Meeresverschmutzung oder akuten Krisen im Gesundheitsbereich . Im Falle der Folgen von Terroranschlägen oder radiologischen Katastrophen kann das Unionsverfahren lediglich Vorsorge- und Bewältigungsmaßnahmen abdecken.“ Diese Bestimmung deutet darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Begriff der Katastrophe wohl in erster Linie konkrete, schwer zu kontrollierende Extremereignisse im Blick hatte, die typischerweise eine Vielzahl von Menschenleben oder Sachgütern gefährden. Die in Art. 1 Abs. 2 aufgeführten Beispiele lassen nicht eindeutig darauf schließen, dass auch das drohende Ertrinken von Flüchtlingen im Mittelmeer als solches eine Katastrophe im Sinne dieser Bestimmung darstellt . Da der Katastrophenschutzbeschluss auf der Rechtsgrundlage des Art. 196 Abs. 2 AEUV beruht, der der Union im Bereich des Katastrophenschutzes die Kompetenz zum Erlass von Fördermaßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten verleiht, ist zur weiteren Auslegung auch das Begriffsverständnis der Katastrophe in Rahmen dieser Bestimmung heranzuziehen. Der Europäische Gerichtshof hatte bislang noch keine Gelegenheit über dieses Begriffsmerkmal zu entscheiden. Auf eine gesicherte Rechtsprechung kann daher nicht zurückgegriffen werden. Die Lösungsansätze in der Literatur gehen dahin, den Begriff der Katastrophe als Eintreten oder Drohen eines Großschadenfalls zu qualifizieren; dies schließe schwere Notfälle mit ein, die sich inner- oder außerhalb der Union ereignen, einschließlich Terroranschlägen, Technologiekatastrophen , Strahlen- und Umweltunfälle oder unfallbedingte Meeresverschmutzung.4 Vielfach wird darauf abgestellt, ob das Ereignis thermische oder mechanische Energie erzeugt und sich unkontrolliert verbreitet. Demgemäß wird nicht jede erhebliche Schädigung des Menschen durch den Menschen als Katastrophe im europarechtlichen Sinne verstanden: Völker- oder Massenmorde, Pogrome oder Vertreibungen rechtfertigen humanitäre Hilfe, seien jedoch keine Katastrophen im Sinne von Art. 196 AEUV.5 Insgesamt erscheint es eher zweifelhaft, ob man die Situation im Mittelmeer als solche auch als Katastrophe im europarechtlichen Sinne verstehen kann – gleichwohl sie erhebliches menschliches Leid verursacht. Anders wäre dies möglicherweise in Fällen zu beurteilen, wenn ein anderes konkretes Extremereignis, das seinerseits als Katastrophe in diesem Sinne anzusehen wäre (etwa eine Naturkatastrophe oder ein Strahlenunfall), die betroffenen Personen unmittelbar dazu zwingt, sich auf seeuntaugliche Schiffe zu begeben, um so den Auswirkungen der Katastrophe zu entkommen. 4 Matz-Lück, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 196 AEUV, Rn. 3. 5 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 196 AEUV, Rn. 14. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 6 2.1.2. Bewältigungsmaßnahmen Mit Blick auf Bewältigungsmaßnahmen wäre zudem zu beachten, dass nach den einschlägigen Art. 14 ff. Katastrophenschutzbeschluss nur ein von der Katastrophe „betroffener“ Mitgliedstaat bzw. Drittstaat (Art. 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1) berechtigt ist, über das ERCC ein Hilfesuchen an die (anderen) Mitgliedstaaten zu richten. Nach dem Wortlaut der Regelungen wird man eine Betroffenheit wohl nur annehmen können, wenn ein Mitgliedstaat von dem Wirkungsbereich der Katastrophe selbst unmittelbar erfasst wird. Im Falle des Ertrinkens von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Wirkungsbereich dieses Ereignisses jedenfalls in geographischer Hinsicht auf den Ort des Unglücks beschränkt ist. Das Hoheitsgebiet bzw. die Hoheitsgewässer eines Staates enden 12 Seemeilen von seiner Küstenlinie entfernt.6 Die größten Teile des Mittelmeeres sind daher keinem Staat zugeordnet, sodass unklar ist, welcher Mitgliedstaat als Betroffener die anderen Mitgliedstaaten über das ERCC um Hilfe ersuchen könnte. Rechtsprechung des EuGH liegt hierzu nicht vor. 2.1.3. Präventionsmaßnahmen Mit Blick auf Präventionsmaßnahmen sieht Art. 12 vor, dass die Mitgliedstaaten mit Unterstützung der Kommission besondere Kapazitäten zur Katastrophenbewältigung bereithalten. Zu diesem Zweck könnte die Kommission den Mitgliedstaaten auch direkte Finanzhilfen gewähren (Art. 12 Abs. 3). Allerdings dient die Einrichtung dieser sog. rescEU-Kapazitäten speziell dazu, „um in Überforderungssituationen Hilfe zu leisten, in denen die gesamten auf nationaler Ebene verfügbaren Kapazitäten und die von Mitgliedstaaten für den Europäischen Katastrophenschutz- Pool bereitgehaltenen Kapazitäten unter den gegebenen Umständen nicht ausreichen, um die verschiedenen in Artikel 1 Absatz 2 genannten Arten von Katastrophen wirksam zu bewältigen.“. Es erscheint in tatsächlicher Hinsicht fraglich, ob diese Voraussetzung im Hinblick auf die vorhandenen Kapazitäten für eine Seenotrettung erfüllt ist. Dies kann im Rahmen des vorliegenden Gutachtens nicht überprüft werden. 2.1.4. Vorschriften über die finanzielle Unterstützung Darüber hinaus enthält der Katastrophenschutzbeschluss Vorschriften über die finanzielle Unterstützung im Bereich Katastrophenprävention, -vorsorge und -bewältigung (Art. 20 ff.). Neben allgemeinen Maßnahmen etwa im Bereich des Wissensaustauschs gemäß Art. 20 kann die Union jedoch auch Maßnahmen in Verbindung mit Ausrüstungen und Einsätzen gemäß Art. 23 fördern. Gemäß Art. 23 Abs. 1 Buchst. d kommt auch die Finanzierung von Transportressourcen in Betracht , die für rasche Bewältigungsmaßnahmen im Falle von Katastrophen erforderlich sind. Dies gilt aber nur nach den zusätzlichen Voraussetzungen der Ziffern i) – v), wonach insbesondere ein Hilfeersuchen von einem betroffenen Mitgliedstaat vorliegen muss. Der Beschluss definiert den Begriff der „Transportressourcen“ nicht. Die Sonderregelung des Art. 23 Abs. 4 könnte jedoch möglicherweise als Hinweis darauf gedeutet werden, dass hiermit in erster Linie Mittel gemeint sind, die die eigentliche „Sachhilfe“ (etwa Hilfsgüter und Hilfsmittel) 6 Art. 2 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 7 zum jeweiligen Ort der Katastrophe bringen sollen.7 Ein Rettungsschiff ist jedoch selbst das Rettungsmittel und würde nach diesem Verständnis nicht unter diese Kategorie fallen. Ein weiteres Begriffsverständnis erschiene jedoch ebenfalls denkbar. Rechtsprechung des EuGH liegt hierzu nicht vor. 2.1.5. Zwischenergebnis Im Ergebnis bestehen insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen einer Katastrophe im Sinne des Katastrophenschutzbeschlusses Bedenken gegen die Anwendbarkeit des europäischen Katastrophenschutzverfahrens und darauf beruhender Unterstützungsmaßnahmen durch die Union. Darüber hinaus ist fraglich, welcher Mitgliedstaat als Betroffener berechtigt wäre, die anderen Mitgliedstaaten über das ERCC um Hilfe zu ersuchen. 2.2. Integrierte EU-Regelung für die politische Reaktion auf Krisen (IPCR) Die IPCR beruht auf dem Beschluss 2014/415/EU des Rates über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union8 sowie dem auf dieser Grundlage erlassenen Durchführungsbeschluss 2018/1993 des Rates über die Integrierte EU-Regelung für die politische Reaktion auf Krisen (IPCR-Beschluss).9 Die IPCR soll im Fall von Krisen mit weitreichenden Auswirkungen oder von großer politischer Bedeutung eine frühzeitige Koordinierung und Reaktion auf politischer Ebene der Union ermöglichen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Krise ihren Ursprung innerhalb oder außerhalb der Union hat. Eine „Krise“ ist eine Situation von so großer Tragweite oder politischer Bedeutung, dass eine zügige Koordinierung der Politik und der Reaktion auf der politischen Ebene der Union erforderlich ist (Art. 3 Buchst. a des IPCR-Beschlusses).10 Mit Blick auf den in diesem Zusammenhang wohl zu berücksichtigenden politischen Einschätzungsspielraum sowohl der Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung, den Vorsitz des Rates um eine Aktivierung der IPCR zu ersuchen, als auch der Entscheidung des Vorsitzes, dem Ersuchen nachzukommen (Art. 4) dürfte sich das Ertrinken von Flüchtlingen im Mittelmeer unter den Begriff der „Krise“ im Sinne der einschlägigen Bestimmungen fassen lassen. Es gibt zwei IPCR-Aktivierungsmodi, über die der Vorsitz des Rates der Europäischen Union je nach Schwere der Krise und Reaktionsbedarf entscheidet (Art. 2): 7 Hierunter fällt auch die Lagerung der Güter oder der Hilfsmittel und die Umverpackung (vgl. Art. 23 Abs. 4). 8 Beschluss des Rates vom 24. Juni 2014 über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union (2014/415/EU). 9 Durchführungsbeschluss (EU) 2018/1993 des Rates über die Integrierte EU-Regelung für die politische Reaktion auf Krisen vom 11. Dezember 2018. 10 Der Begriff „Krise“ geht insoweit über die Begriffsdefinition in Art. 3 Buchst. c des Beschluss 2014/415/EU hinaus , welche hierunter „eine Katastrophe oder einen Terroranschlag von so großer Tragweite oder politischer Bedeutung, dass eine zeitnahe Koordinierung der Politik und der Reaktion auf der politischen Ebene der Union erforderlich ist“ versteht. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 8 - der „Informationsaustausch-Modus“, der dazu dient, ein klares Bild von der Lage zu erlangen und die Voraussetzung für eine eventuelle vollständige Aktivierung zu schaffen - und der „Modus der vollständigen Aktivierung“, der die Vorbereitung von Reaktionsmaßnahmen einschließt. Eine spezielle Internet-Plattform, die vom Generalsekretariat des Rates entwickelt und verwaltet wird, dient hierbei als wichtigste Komponente der IPCR und als elektronische Verbindungsstelle zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 9). Daneben sind u.a. „Gespräche am runden Tisch“ (Art. 7), eine „Integrierte Lageeinschätzung und -auswertung“ (Art. 8) sowie eine zentrale Anlaufstelle (Art. 10) vorgesehen. Entscheidend ist jedoch, dass diese Komponenten lediglich dazu dienen, eine schnellere Koordinierung der politischen Willensbildung zwischen den Mitgliedstaaten zu erreichen. Der IPCR- Beschluss als solcher bietet keine eigenständige Rechtsgrundlage zur Durchführung, Ausstattung oder Finanzierung einer europäischen Seenotrettungsmission. 2.3. Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) Mit der Verordnung 2016/162411 (nachfolgend: Frontex-Verordnung) wird eine „Europäische Grenz- und Küstenwache“ eingerichtet, die auf europäischer Ebene für eine integrierte Grenzverwaltung an den Außengrenzen sorgen soll, um das Überschreiten der Außengrenzen effizient zu steuern. Die integrierte europäische Grenzverwaltung wird in gemeinsamer Verantwortung von der hierfür geschaffenen europäischen Agentur (Frontex) und den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden einschließlich der nationalen Küstenwache wahrgenommen (Art. 5 Abs. 1). Sämtliche Aufgaben von Frontex sind darauf gerichtet, „zu einem effizienten, hohen und einheitlichen Niveau der Grenzkontrollen […] beizutragen“ (Art. 8 Abs. 1). Die einschlägigen Einzelbestimmungen erkennen zwar an, dass es im Rahmen der Überwachung der Seeaußengrenzen zur Notwendigkeit von Maßnahmen zur Seenotrettung kommen kann (vgl. nur Art. 8 Abs. 1 Buchst. d-f, Art. 14 Abs. 2 Buchst. e, Art. 34 Abs. 3). Eine von Maßnahmen zur Grenzüberwachung losgelöste Seenotrettung erscheint jedoch nicht möglich. Besonders deutlich bringt dies auch die in einigen dieser Bestimmungen in Bezug genommene Seeaußengrenzenverordnung12 zum Ausdruck , die in ihrem Art. 9 von „Such- und Rettungssituationen, die sich während eines Seeeinsatzes ergeben können“ spricht. 11 Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung des Rates 2005/267/EG. 12 Verordnung (EU) Nr. 656/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 9 Nach diesen Bestimmungen kommt Maßnahmen zur Seenotrettung eine (lediglich) ergänzende bzw. begleitende Bedeutung im Rahmen von Grenzüberwachungseinsätzen zu. Dementsprechend sind auch die zur Unterstützung einzelner Mitgliedstaaten bestehenden Frontex-Operationen Minerva 13, Poseidon14 und Themis15 im Schwerpunkt als Grenzüberwachungseinsätze konzipiert. Eine ausschließlich auf Seenotrettung gerichtete zivile Operation dürfte nach Maßgabe der Frontex-Verordnung somit ausscheiden. 2.4. Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) Die Verordnung 1406/2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs16 (EMSA-Verordnung) überträgt der EMSA verschiedene Aufgaben im Bereich der Sicherheit des Seeverkehrs, zu denen allerdings nicht die Durchführung, Ausstattung oder Finanzierung von zivilen Seenotrettungseinsätzen zählt. So kann die EMSA zwar in Zusammenarbeit u.a. mit Frontex die Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung von „Aufgaben der Küstenwache“ unterstützen, etwa durch „gemeinsame Kapazitätsnutzung durch die Planung und Durchführung von Mehrzweckeinsätzen und durch die gemeinsame Nutzung von Ausrüstungsgegenständen und Fähigkeiten […]“ (Art. 2b Abs. 1 Buchst. e). Dies ist allerdings ausdrücklich nur „im Rahmen [des] Mandats“ von Frontex möglich, was nach den obigen Ausführungen (siehe unter 2.3.) keine ausschließlich auf Seenotrettung gerichteten zivilen Operationen einschließt. 2.5. Finanzielle Förderung Es gibt einige EU-Fonds, die im Zusammenhang mit humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Krisenbewältigung aufgebaut wurden bzw. sich in Planung befinden. Ziele und Umfang der finanziellen Mittel variieren bei den verschiedenen Fonds. 2.5.1. EU-Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika (EUTF) Der „Nothilfe Treuhandfonds der Europäischen Union zur Unterstützung der Stabilität und zur Bekämpfung der Ursachen irregulärer Migration und Vertreibung in Afrika“ beruht auf einer Vereinbarung auf dem Migrationsgipfel in Valletta aus dem Jahre 2015.17 Gemäß Art. 2 Nr. 2.2 dieser 13 https://frontex.europa.eu/along-eu-borders/main-operations/operations-minerva-indalo-spain-/ 14 https://frontex.europa.eu/along-eu-borders/main-operations/operation-poseidon-greece-/ 15 https://frontex.europa.eu/along-eu-borders/main-operations/operation-themis-italy-/ 16 Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs. 17 Agreement establishing the European Union Emergency Trust Fund for stability and addressing root causes of irregular migration and displaced persons in Africa. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 10 Vereinbarung sollen die Hilfsgelder nur für Maßnahmen verwendet werden, die in den ausdrücklich in dieser Norm aufgeführten Ländern durchgeführt werden. Eine außerhalb ihrer Hoheitsgewässer durchzuführende Seenotrettungsmission wäre demnach wohl nicht förderfähig. 2.5.2. Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI) Am 14. Juni 2018 hat die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit vorgelegt.18 Ausgehend von diesem Entwurf käme im Rahmen der darin vorgesehenen „geografischen Programme“ in Gebieten der „Nachbarschaft“ (Art. 4 Abs. 2 Buchst. a) auch eine Förderung der grenzübergreifende Zusammenarbeit in Betracht, die auch die „maritime Zusammenarbeit im Umkreis von Meeresbecken und die interregionale Zusammenarbeit“ einschließt (Art. 18 Abs. 1). Auch im Rahmen des „thematischen Programms“ erscheint eine Förderung für zivile Maßnahmen zur Seenotrettung im Bereich „Menschenrechte und Demokratie“ (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a, Art. 10 Abs. 2 Buchst. d, Anhang III) nicht von vornherein ausgeschlossen, dürfte allerdings nach den Grundsätzen der Programmplanung, welche den Fokus auf die Förderung der Zivilgesellschaft in Drittländern zu legen scheint, eher untypisch sein. Art. 10 Abs. 2 Buchst. d formuliert hierzu: „Mit den in Artikel 4 Absatz 3 Buchstaben a und b genannten thematischen Programmen „Menschenrechte und Demokratie“ und „Zivilgesellschaft“ wird unabhängig von der Zustimmung der Regierungen und anderer Behörden der betreffenden Drittländer Unterstützung geleistet. Diese thematischen Programme dienen hauptsächlich der Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft.“ Der Vorschlag der Kommission befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren, so dass gegenwärtig die Eignung dieses Instruments zur Förderung einer staatlichen zivilen Seenotrettungsmission nicht abschließend geklärt werden kann. 2.5.3. Visa und Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) Dieser Fonds beruht auf der Verordnung (EU) 514/2014.19 Weder den in Art. 3 aufgeführten Förderzielen noch die Einzelbestimmungen über förderfähige Maßnahmen enthalten hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Seenotrettungsmissionen von diesen Vorschriften erfasst werden soll- 18 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit, COM(2018) 460 final. 19 Verordnung (EU) Nr. 514/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Einrichtung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, zur Änderung der Entscheidung 2008/381/EG des Rates und zur Aufhebung der Entscheidungen Nr. 573/2007/EG und Nr. 575/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Entscheidung 2007/435/EG des Rates sowie zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und das Instrument für die finanzielle Unterstützung der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung und des Krisenmanagements. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 11 ten. Lediglich die 31. Begründungserwägung bringt zum Ausdruck, dass der Fonds auch der Ergänzung und Verstärkung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Überwachung der Seeaußengrenzen dienen sollte, was ausdrücklich auch Seenotrettungsaktionen einschließt. „(31) Der Fonds sollte die Tätigkeiten der durch die Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates errichteten Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergänzen und verstärken, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, den Mitgliedstaaten bei der Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen die erforderliche Unterstützung zu leisten sowie die besten Vorgehensweisen für die Beschaffung von Reisedokumenten und die Abschiebung von Drittstaatsangehörigen , die sich unrechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, zu ermitteln sowie den Mitgliedstaaten in Situationen, in denen sie verstärkte technische und operative Hilfe an den Außengrenzen benötigen, beizustehen, wobei dies auch bei humanitären Notfällen und Seenotrettungsaktionen der Fall sein kann.“ Allerdings wird nicht hinreichend deutlich, auf welche konkrete Verordnungsvorschrift sich derartige Förderungen stützen lassen könnten. Darüber hinaus wäre zu beachten, dass eine Seenotrettungsaktion hierbei (lediglich) einen ergänzenden Bestandteil von als Grenzüberwachungseinsätze konzipierter Maßnahmen darstellen würde (siehe unter 2.3.). Eine Förderung von ausschließlich auf Seenotrettung gerichteter ziviler Operationen dürfte insoweit ausscheiden. 2.5.4. Fonds für integriertes Grenzmanagement (IBMF) Am 12. Juni 2018 hat die Europäische Kommission einen Verordnungsvorschlag zur Schaffung eines Instruments für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzmanagement und Visa im Rahmen des Fonds für integriertes Grenzmanagement vorgelegt. 20 Der Vorschlag zielt u.a. auf die Unterstützung eines wirksamen integrierten europäischen Grenzmanagements durch die Europäische Grenz- und Küstenwache (Art. 3 Abs. 2 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1). Nach Anhang II erfasst dies auch die Unterstützung von Such- und Rettungseinsätzen, allerdings nur „im Rahmen der Grenzüberwachung “ auf See. Eine ausschließliche zivile Seenotrettungsmission dürfte hiernach nicht förderfähig sein. 3. Zuständigkeit der Union für ergänzende Maßnahmen Nach den obigen Ausführungen erscheint es zweifelhaft, ob sich eine staatliche zivile Seenotrettungsmission mit den bestehenden rechtlichen Instrumenten durchführen, ausstatten oder finanzieren ließe. Somit ist nachfolgend zu prüfen, inwieweit die rechtlichen Voraussetzungen hierfür im Wege der Rechtsetzung geschaffen werden könnten. 20 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Instruments für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzmanagement und Visa im Rahmen des Fonds für integriertes Grenzmanagement , COM(2018) 473 final. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 12 3.1. Politik im Bereich Grenzkontrollen, Art. 77 AEUV Es ist wohl davon auszugehen, dass sich Maßnahmen zur Durchführung, Ausstattung oder Finanzierung von ausschließlich zivilen Seenotrettungsmissionen nicht auf Art. 77 AEUV stützen lassen . Insbesondere dürfte dies nicht als Maßnahme im Bereich „eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen“ im Sinne von Abs. 2 Buchst. d dieser Vorschrift zu erfassen sein, soweit die Seenotrettung nicht lediglich als Begleitmaßnahme eines Grenzschutzeinsatzes konzipiert ist (siehe hierzu unter 2.3.). Mangels einschlägiger Rechtsprechung des EuGH ist hierzu jedoch keine abschließende Bewertung möglich. 3.2. Asylpolitik, Art. 78 AEUV Die Vorschrift in Art. 78 Abs. 2 AEUV ermächtigt die Union zum Erlass von Maßnahmen in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem. Hierzu gehört nach den Buchstaben a bis g der Vorschrift die Schaffung eines einheitlichen Asyl- und subsidiären Schutzstatus, gemeinsame Regelungen im Falle eines Massenzustroms, gemeinsame Verfahren für die Gewährung und den Entzug des einheitlichen Status, Kriterien und Verfahren für die Bestimmung von Zuständigkeiten , Normen über die Aufnahmebedingungen und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Es ist nicht ersichtlich, unter welche dieser Bestimmungen die Durchführung, Ausstattung oder Finanzierung von zivilen Seenotrettungsmission gefasst werden könnte, zumal im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, dass diese Rechtsgrundlage grundsätzlich keine operativen Maßnahmen einschließt.21 Mangels einschlägiger Rechtsprechung des EuGH ist hierzu jedoch keine abschließende Bewertung möglich. 3.3. Katastrophenschutz, Art. 196 AEUV Im Lichte der vorstehenden Ausführungen zum Begriff der „Katastrophe“ (siehe unter 2.1.) erscheint die Anwendung von Art. 196 AEUV zum Erlass von Fördermaßnahmen im Bereich der Seenotrettung zweifelhaft. 3.4. Humanitäre Hilfe, Art. 214 AEUV Im Rahmen des auswärtigen Handelns der Union können nach Art. 214 Abs. 2 AEUV „Maßnahmen der humanitären Hilfe“ durchgeführt werden. Nach Abs. 1 der Vorschrift dienen derartige Maßnahmen dazu, „Einwohnern von Drittländern, die von Naturkatastrophen oder von vom Menschen verursachten Katastrophen betroffen sind, gezielt Hilfe, Rettung und Schutz zu bringen , damit die aus diesen Notständen resultierenden humanitären Bedürfnisse gedeckt werden können.“ Aus der Bezugnahme auf „Einwohner von Drittländern“ wird im Schrifttum gefolgert, dass es sich um „Notstände in Drittländern“22 handeln muss, was im Falle von Seenotfällen außerhalb der staatlichen Hoheitsgewässer nicht gegeben wäre. Diesbezüglich erscheint allerdings auch eine weitere Auslegung denkbar, da sich aus dem als personelle Einschränkung gefassten Wortlaut („Einwohnern von Drittländern“) nicht zwingend ergibt, dass das auswärtige Handeln der Union im Bereich der humanitären Hilfe außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten in 21 Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 78 AEUV, Rn. 37, 21. 22 Streinz/Kruis, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 214, Rn. 10. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 13 geographischer Hinsicht weiter beschränkt werden sollte. Ungeachtet dessen, erscheint es jedoch - wie oben ausführlich dargelegt - zweifelhaft, ob es sich bei der Situation im Mittelmeer um eine „Katastrophe“ im Sinne dieser Bestimmung handelt. In diesem Zusammenhang wäre aber zu berücksichtigen , dass einige Stimmen im Schrifttum jedenfalls mit Blick auf den Begriff der humanitären Hilfe von einem weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Unionsgesetzgebers ausgehen.23 Mangels einschlägiger Rechtsprechung des EuGH ist hierzu jedoch keine abschließende Bewertung möglich. 3.5. Solidaritätsklausel, Art. 222 AEUV Ebenfalls Element des auswärtigen Handelns der Union ist die Solidaritätsklausel nach Art. 222 AEUV. Sowohl die darin vorgesehenen Maßnahmen der Union (Abs. 1) als auch die der Mitgliedstaaten (Abs. 2) knüpfen u.a. an das Vorliegen einer „Katastrophe“ und das Hilfeersuchen eines Mitgliedstaates an. Darüber hinaus stellt die Solidaritätsklausel klar, dass eine Unterstützung durch die Union nur „innerhalb des Hoheitsgebiets“ des ersuchenden Mitgliedstaats möglich ist (Abs. 1 Buchst. b) und dass nur ein „von [einer] Katastrophe […] betroffene(r)“ Mitgliedstaat die anderen Mitgliedstaaten um Hilfe ersuchen kann (Abs. 2). Insoweit kann auf die obenstehenden Ausführungen verwiesen werden (siehe unter 2.1.). 3.6. Kompetenzabrundung, Art. 352 AEUV Soweit gezielte Maßnahmen der Union zur Durchführung, Ausstattung oder Finanzierung von zivilen Seenotrettungsmissionen als von den allgemein Werten der Union gemäß Art. 3 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 2 EUV umfasst angesehen werden können, und zugleich davon auszugehen ist, dass die Verträge die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorsehen, wäre möglicherweise daran zu denken, Maßnahmen in diesem Bereich auf die sog. Kompetenzabrundungsklausel des Art. 352 AEUV zu stützen. Allerdings wird eine solche Vorgehensweise durch Erklärung Nr. 41 der Schlussakte ausdrücklich ausgeschlossen: „41. Erklärung zu Artikel 352 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union Die Konferenz erklärt, dass die in Artikel 352 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union enthaltene Bezugnahme auf die Ziele der Union die in Artikel 3 Absätze 2 und 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele sowie die Ziele des Artikels 3 Absatz 5 des genannten Vertrags hinsichtlich des auswärtigen Handelns nach dem Fünften Teil des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union betrifft. Es ist daher ausgeschlossen, dass auf Artikel 352 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gestützte Maßnahmen ausschließlich Ziele nach Artikel 3 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union verfolgen. In diesem Zusammenhang 23 Bungenberg, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 214 AEUV, Rn. 21. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 094/19 Seite 14 stellt die Konferenz fest, dass gemäß Artikel 31 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik keine Gesetzgebungsakte erlassen werden dürfen.“ Derartige Erklärungen sind zwar nicht Bestandteil der Verträge, jedoch ein deutlicher Anhaltspunkt , der im Rahmen der Auslegung der entsprechenden Vertragsbestimmungen zu berücksichtigen ist.24 4. Ergebnis Mit Blick auf die im Rahmen der vorliegenden Ausarbeitung geprüften bestehenden Instrumente erscheint es zweifelhaft, dass eine ausschließlich als zivile Seenotrettungsmission konzipierte Maßnahme von der EU durchgeführt, ausgestattet oder finanziert werden könnte. Als vertragliche Grundlage zur Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für derartige Maßnahmen kämen allenfalls die Bestimmungen in Art. 196 bzw. 214 AEUV in Betracht, die die Union zum Erlass von Fördermaßnahmen im Bereich des Katastrophenschutzes bzw. zur Festlegung des Rahmens von Maßnahmen der humanitären Hilfe ermächtigt. In diesem Zusammenhang erscheint jedoch insbesondere fraglich, ob die Situation im Mittelmeer eine „Katastrophe“ im Sinne dieser Bestimmungen darstellt. – Fachbereich Europa – 24 Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 51 EUV, Rn. 6.