© 2018 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 94/18 Formale Voraussetzungen für die Änderung der Anlageleitlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 94/18 Seite 2 Formale Voraussetzungen für die Änderung der Anlageleitlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 94/18 Abschluss der Arbeit: 25. Juni 2018 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 94/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Anlagepolitik des ESM 4 3. Formale Voraussetzungen für die Änderung der Anlageleitlinien 4 3.1. Direktorium 4 3.2. Beschlüsse des Direktoriums 5 3.2.1. Beschlussfähigkeit 5 3.2.2. Abstimmungsmehrheiten 6 3.2.3. Stimmrechtsanteile 6 3.3. Beschluss zur Änderung der Anlageleitlinien 6 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 94/18 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich wird um Beantwortung der Frage ersucht, unter welchen formalen Voraussetzungen der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) seine Anlageleitlinien ändern kann. Insbesondere die erforderlichen Mehrheitsverhältnisse sind hierbei von Interesse. 2. Anlagepolitik des ESM Rechtsgrundlage für die Anlagepolitik des ESM ist Art. 22 des ESM-Vertrags1. Nach Absatz 1 Satz 1 dieses Artikels führt der Geschäftsführende Direktor „[in] Einklang mit den Leitlinien, die vom Direktorium zu beschließen und regelmäßig zu überprüfen sind, […] für den ESM eine umsichtige Anlagepolitik durch, um diesem die höchste Bonität zu sichern.“ Nach Art. 22 Abs. 2 ESM-Vertrag haben die „Operationen des ESM […] den Grundsätzen eines soliden Finanz- und Risikomanagements“ zu entsprechen. Die derzeit aktuellen Anlageleitlinien datieren vom 22. September 2016 und sind auf den Seiten des ESM abrufbar.2 3. Formale Voraussetzungen für die Änderung der Anlageleitlinien Wie sich aus Art. 22 Abs. 1 S. 1 ESM-Vertrag ergibt, sind die Anlageleitlinien vom Direktorium des ESM zu beschließen und regelmäßig zu überprüfen. Hieraus folgt auch die Befugnis zu ihrer Änderung. Im Folgenden werden die Vorgaben zum Direktorium (3.1.) und zu seinen Beschlüssen in allgemeiner Hinsicht beschrieben (3.2.). Hierauf aufbauend sind die Anforderungen an einen Beschluss zur Änderung der Anlageleitlinien darzustellen (3.3.). 3.1. Direktorium Das Direktorium ist neben dem Gouverneursrat und dem Geschäftsführenden Direktor eines der Organe bzw. internen Einrichtungen des ESM, vgl. Art. 4 Abs. 1 ESM-Vertrag.3 Aufbau und Struktur des Direktoriums sind in Art. 6 ESM-Vertrag geregelt. Die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Direktoriums werden von den Mitgliedern des Gouverneursrats 1 Der ESM-Vertrag ist online abrufbar auf den Internetseiten des ESM unter https://www.esm.europa.eu/sites /default/files/20150203_-_esm_treaty_-_de.pdf (letztmaliger Abruf am 25.06.18). 2 Siehe unter https://www.esm.europa.eu/sites/default/files/esm_investment_guideline_20160922.pdf (letztmaliger Abruf am 25.06.18). 3 Siehe zur weiteren Struktur bzw. weiteren Bediensteten des ESM die Angaben auf den Internetseiten des ESM unter https://www.esm.europa.eu/esm-governance (letztmaliger Abruf am 25.06.18). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 94/18 Seite 5 ernannt, wobei jedes Mitglied des letztgenannten Gremiums je ein Mitglied und ein stellvertretendes Mitglied des Direktoriums benennt, Art. 6 Abs. 1 S. 1 ESM-Vertrag.4 Das stellvertretende Mitglied ist bevollmächtigt, bei Abwesenheit des Mitglieds in dessen Namen zu handeln, Art. 6 Abs. 1 S. 3 ESM-Vertrag. Im Gouverneursrat sind die ESM-Vertragsparteien mit je einem Mitglied und einem stellvertretenden Mitglied vertreten, Art. 5 Abs. 1 S. 1 ESM-Vertrag.5 Bei dem Mitglied muss es sich nach Art. 5 Abs. 1 S. 3 ESM-Vertrag um „ein Regierungsmitglied des jeweiligen ESM-Mitglieds mit Zuständigkeit für die Finanzen“ handeln. Wie auch beim Direktorium ist das stellvertretende Mitglied des Gouverneursrats bevollmächtigt, bei Abwesenheit des Gouverneursratsmitglieds in dessen Namen zu handeln, Art. 5 Abs. 1 S. 4 ESM-Vertrag. Vorgaben zur Person des Stellvertreters enthält der ESM-Vertrag – anders als in Bezug auf das Mitglied – nicht. Deutsches Mitglied im Gouverneursrat ist entsprechend der Vorgabe in Art. 5 Abs. 1 S. 3 ESM- Vertrag der derzeitige Bundesfinanzminister Olaf Scholz.6 Deutsches Mitglied im Direktorium ist der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Dr. Jörg Kukies.7 Angaben über deren Stellvertreter sind den Angaben auf den Seiten des ESM nicht oder nicht in aktueller Form zu entnehmen.8 3.2. Beschlüsse des Direktoriums Die Voraussetzungen für Beschlüsse des Direktoriums ergeben sich aus den Vorgaben zur Beschlussfähigkeit dieses Organs (3.2.1.), zu der jeweils notwendigen Abstimmungsmehrheit (3.2.2.) sowie zu den Stimmrechtsanteilen, die auf jedes ESM-Mitglied und seinen Vertreter im Direktorium entfallen (3.2.3.). Was sich hieraus für einen Beschluss zur Änderung der Anlageleitlinien aus deutscher Perspektive ergibt, wird unter 3.2.4. dargestellt. 3.2.1. Beschlussfähigkeit Die Beschlussfähigkeit des Direktoriums (und des Gouverneursrats) ist in Art. 4 Abs. 2 S. 2 ESM- Vertrag geregelt. Sie ist erreicht, wenn 2/3 der stimmberechtigten Mitglieder, auf die insgesamt 2/3 der Stimmrechte entfallen, anwesend sind. 4 Siehe zu Beobachtern in diesem Gremium Art. 6 Abs. 2 bis 4 ESM-Vertrag. 5 Siehe zum Vorsitz Art. 5 Abs. 2 ESM-Vertrag, zu Beobachtern in diesem Gremium Art. 5 Abs. 3 bis 5 ESM-Vertrag . 6 Vgl. die Angaben auf den Interseiten des ESM unter https://www.esm.europa.eu/esm-governance (letztmaliger Abruf am 25.06.18). 7 Siehe ebenda. 8 So werden im Rahmen der Auflistung der Direktoriumsmitglieder und ihrer Stellvertreter noch Dr. Thomas Steffen, ehemaliger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, und Thomas Westphal angegeben. Letzterer ist laut BMF-Organigramm Abteilungsleiter der Abteilung E für Europapolitik, so dass er auch weiterhin Stellvertreter sein könnte. Siehe unter https://www.esm.europa.eu/esm-governance/board-directors-and-alternate-director (letztmaliger Abruf am 25.06.18). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 94/18 Seite 6 Bei derzeit 19 ESM-Vertragsparteien müssen somit mindestens 13 Mitglieder bzw. Stellvertreter anwesend sein. Zur Stimmrechtsverteilung, die ebenfalls einen Umfang von 2/3 aufweisen muss, siehe unten unter 3.2.3. 3.2.2. Abstimmungsmehrheiten Die verschiedenen Abstimmungsmehrheiten für Direktorium (und Gouverneursrat) sind in Art. 4 Abs. 2 S. 1 ESM-Vertrag aufgeführt: neben dem gegenseitigen Einvernehmen sind dies die qualifizierte oder die einfache Mehrheit. Nach Art. 6 Abs. 5 ESM-Vertrag beschließt das Direktorium mit qualifizierter Mehrheit, soweit im ESM-Vertrag nichts anderes vorgesehen ist. Qualifizierte Mehrheit in diesem Sinne bedeutet nach Art. 4 Abs. 5 ESM-Vertrag, dass 80% der abgegebenen Stimmen erforderlich sind. 3.2.3. Stimmrechtsanteile Für die Bestimmung der Beschlussfähigkeit und die Frage nach der erforderlichen Stimmanzahl für die jeweilige Abstimmungsmehrheit sind die Stimmrechtsanteile der Mitglieder entscheidend . Vorgaben hierzu finden sich in Art. 4 Abs. 7 ESM-Vertrag. Danach bestimmen sich die Stimmrechtsanteile nach den Kapitalanteilen der jeweiligen ESM-Mitgliedstaaten am Stammkapital des ESM. Art. 4 Abs. 7 ESM-Vertrag verweist insoweit auf Anhang II des ESM-Vertrags. Danach hat Deutschland mit 1.900.238 Kapitalanteilen von insgesamt 7.047.987 Anteilen einen Stimmrechtsanteil von 26,9616 % (vgl. auch Anhang I des ESM-Vertrags), also etwas mehr als 1/4 der Stimmen. 3.3. Beschluss zur Änderung der Anlageleitlinien Da Art. 22 Abs. 1 S. 1 ESM-Vertrag keine expliziten Vorgaben zur Abstimmungsmehrheit für einen Beschluss des Direktoriums zur Änderung der Anlageleitlinien enthält, erfolgt dieser nach Art. 6 Abs. 5 ESM-Vertrag mit qualifizierter Mehrheit, so dass bei Beschlussfähigkeit des Gremiums 80% der abgegebenen Stimmen erreicht sein müssen. Aus deutscher Sicht mit einem Stimmrechtsanteil von etwas mehr als 1/4 der Stimmen bedeutet dies, dass eine Abwesenheit allein des deutschen Direktoriumsmitglieds oder seines Stellvertreters der Beschlussfähigkeit des Gremiums nicht entgegensteht, da dann immer noch mehr als 2/3 der Mitglieder (18 von 19), die 2/3 der Stimmrechtsanteile auf sich vereinen (100%-26,9616%= 73,0384%), zugegen wäre. Auch das für eine qualifizierte Mehrheit erforderliche Quorum von 80% der abgegebenen Stimmen kann dann erreicht werden, weil sich dieses in einer solchen Situation nur auf die anwesenden Mitglieder und ihre (nach Kapitalbeteiligung gewichteten) Stimmen bezieht, der Stimmrechtsanteil Deutschlands insoweit nicht berücksichtigt wird. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 94/18 Seite 7 Ist das deutsche Mitglied bzw. sein Stellvertreter hingegen anwesend, so kommt Deutschland angesichts des Stimmrechtsanteils von etwas mehr als 1/4 der Stimmen eine Sperrminorität zu, da dieser Anteil mehr als 20% der abgegeben Stimmen ausmacht, das Quorum von 80% für die qualifizierte Mehrheit somit nicht erreicht werden kann. – Fachbereich Europa –