© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 92/15 Emergency Liquidity Assistance (ELA) im Lichte der Ziele und Aufgaben des ESZB Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 2 Emergency Liquidity Assistance (ELA) im Lichte der Ziele und Aufgaben des ESZB Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 92/15 Abschluss der Arbeit: 20.07.2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund und Fragestellung 4 2. (Unions-)Rechtlicher Rahmen für die Gewährung von ELA 5 3. Beantwortung der Frage 6 3.1. Art. 14.4. ESZB-Satzung 7 3.1.1. Der aus Art. 14.4. ESZB-Satzung folgende Handlungs- bzw. Rechtmäßigkeitsmaßstab 7 3.1.2. Die sich aus Art. 14.4. ESZB-Satzung ergebenden Handlungsoptionen des EZB-Rates 8 3.1.3. Zur gerichtlichen Kontrolldichte bei EZB-Handlungen 9 3.2. Für eine ELA-Einschränkung sprechende Ziele und Aufgaben des ESZB 10 3.2.1. Preisstabilität und gemeinsame Geldpolitik 11 3.2.2. Verbot der monetären Staatsfinanzierung 11 3.2.3. Zum Solvenzkriterium 13 3.2.3.1. Bedeutung 13 3.2.3.2. Kompetenz zur Feststellung der Solvenz – Bankenaufsicht 13 3.3. Für eine ELA-Gewährung sprechende Ziele und Aufgaben des ESZB 14 3.3.1. Förderung des reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme 15 3.3.2. Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems 16 3.3.2.1. Begriff 16 3.3.2.2. Finanzstabilität und ELA 17 3.3.2.3. Finanzstabilität im Ziel- und Aufgabenspektrum des ESZB 17 3.3.2.4. Vorgaben für die ELA-Beurteilung seitens des EZB-Rates im Zusammenhang mit der Finanzstabilität 18 4. Zusammenfassung 20 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 4 1. Hintergrund und Fragestellung Am 6. Juli 2015 beschloss der EZB-Rat, Emergency Liquidity Assistance (Notfall-Liquiditätshilfe, kurz: ELA) für griechische Banken auf dem am 26. Juni 2015 festgelegten Niveau beizubehalten1 und entschied sich damit wohl gegen eine von der griechischen Zentralbank beantragte Ausweitung dieser Liquiditätshilfen.2 Hierauf nimmt der Ökonom Martin Hellwig in einem Beitrag für die TAZ vom 9. Juli 2015 Bezug und kritisiert das Einfrieren der ELA als „fragwürdig – denn nach dem europäischen Vertrag hat die EZB die Aufgabe, das ‚reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern‘ und das in allen Mitgliedstaaten, auch in Griechenland. Das Einfrieren der Notkredite hätte die Schließung der griechischen Banken und massive Einschränkungen des Zahlungsverkehrs zur Folge. Das ist nicht mit den vertraglichen Pflichten der EZB vereinbar.“3 Des Weiteren beanstandet er die seitens der EZB aufgestellte Vorgabe, ELA nur an solvente Banken zu gewähren. Diese rein interne Regel könne keinen Vorrang vor der im „EU-Vertrag gesetzte[n] Verantwortung für die Funktionsfähigkeit der Zahlungssysteme […] haben.“ Seiner Ansicht nach könne die Versagung weiterer Unterstützung für die griechischen Geschäftsbanken zu einer Zerstörung des dortigen Banken- und schließlich Wirtschaftssystems führen. Vor diesem Hintergrund wird der Fachbereich um die Beantwortung folgender Frage ersucht: Stehen Art. 127 Abs. 2 Spiegelstr. 4 AEUV, wonach die Förderung des reibungslosen Funktionieren der Zahlungssysteme zu den grundlegenden ESZB-Aufgaben gehört, und andere einschlägige Vorschriften der Europäischen Verträge im Widerspruch zu den Verfahren der EZB/des ESZB zur Notfall-Liquiditätshilfe bzw. widersprechen die Kriterien oder die geübte Praxis bei der Vergabe von Liquiditätshilfen den Vorgaben des AEUV zur Sicherstellung des Zahlungsverkehrs und falls ja, welche Vorschriften genießen Vorrang? Im Folgenden wird zunächst der (unions-)rechtliche Rahmen für die Gewährung von ELA kurz dargestellt (siehe unter 2.). Auf dieser Grundlage soll dann den gestellten Fragen nachgegangen und die ELA-Gewährung im Lichte der Ziele- und Aufgaben des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) betrachtet werden (siehe unter 3.). Aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit für die Erstellung der Ausarbeitung lassen sich die dabei aufgeworfenen Rechtsprobleme allerdings nicht erschöpfend erörtern. 1 Vgl. die Pressemitteilung der EZB vom 06.07.15, online abrufbar unter https://www.ecb.europa .eu/press/pr/date/2015/html/pr150706.de.html (letztmaliger Abruf am 20.07.15). 2 Dies lässt sich der EZB-Pressemitteilung (o. Fn. 1) jedenfalls nicht eindeutig entnehmen. Vgl. aber den Bericht vom 09.07.15 über Aussagen des Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Dr. Jens Weidmann, in diesem Zusammenhang , online abrufbar unter https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Themen /2015/2015_07_09_weidmann_turning_points.html (letztmaliger Abruf am 20.07.15). 3 Siehe zu diesem Zitat sowie zu den nachfolgenden Ausführungen, Hellwig, Die EZB erpresst die Griechen, TAZ v. 09.07.15, online abrufbar im Pressearchiv des DBT unter http://prarchiv.bundestag.btg/Press- Dok/docview.html;sessionid=CADBB25B3A55B30118BFA1CA?mode=pressmap&doclist=DBT:PressmapServlet :doclist&n=40&pdf=0 (letztmaliger Abruf am 20.07.15). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 5 2. (Unions-)Rechtlicher Rahmen für die Gewährung von ELA Die Gewährung von ELA wird weder im Primärrecht (EU- und AEU-Vertrag sowie ESZB-Satzung 4) noch – soweit ersichtlich5 – in verbindlichen Sekundärrechtsakten der EU geregelt oder auch nur erwähnt.6 Nach dem für die Praxis bisher allein relevanten Verständnis der EZB ist unter ELA „die Bereitstellung von Zentralbankgeld und/oder jeder sonstigen Hilfe, die möglichweise zu einem Anstieg von Zentralbankgeld führt, durch eine nationale Zentralbank (NZB) des Eurosystems an ein solventes Finanzinstitute oder eine Gruppe solventer Finanzinstitute mit vorübergehenden Liquiditätsproblen zu verstehen […]“.7 Die Gewährung von ELA wird von Seiten der EZB nicht als Teil der einheitlichen Geldpolitik angesehen und damit als eine (autonome) Maßnahme der NZBen.8 Im Schrifttum finden sich allerdings Ansichten, wonach die Gewährung von ELA im Euro-Währungsgebiet auch als Beitrag zur Finanzstabilität im Sinne des Art. 127 Abs. 5 AEUV sowie Art. 3.3 ESZB-Satzung verstanden und folglich als Aufgabe des Eurosystems angesehen werden könne.9 Hiergegen wird allerdings eingewandt, dass die Formulierung dieser Vertragsvorschrift 4 Protokoll (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank , online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/de_statute_2.pdf (letztmaliger Abruf am 20.07.15). 5 Aussage beruht auf Auswertung der EU-Datenbank „EurLex“: Suche mit Stichwort „Emergency Liquidity Assistance “ in Rubrik „Rechtsvorschriften“ am 20.07.15. Die drei angezeigten Treffer betreffen Kommissionsbeschlüsse im Beihilfenrecht, die tatbestandlich auf durch nationale Zentralbanken gewährte Liquiditätshilfen Bezug nehmen. 6 Siehe auch Zilioli/Athanassiou in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015 (im Folgenden: von der Groeben/Schwarze/Hatje), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 51. 7 Vgl. die Beschreibung der EZB in dem EZB-Dokument „Verfahren, die der Rolle des EZB-Rates gemäß Art. 14.4 ESZB-Satzung hinsichtlich der Gewährung von ELA an einzelne Kreditinstitute zugrunde liegen“ (im Folgenden : EZB, ELA-Verfahren); online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/201402_elaprocedures .de.pdf?f7dbc28df4f31e59e7c9c5f7b3a64601 (letztmaliger Abruf am 20.07.15). 8 EZB, ELA-Verfahren (o. Fn. 7). Vgl. auch Steven, in: Siekmann (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Währungsunion , 2013 (im Folgenden: EWU-Kommentar), Art. 14 Satzung, Rn. 50. Von der Kommission wird die Gewährung solcher Notfallhilfen daher als beihilferelevante staatliche Maßnahme im Sinne des Art. 107 AEUV eingestuft , vgl. die sog. Bankenmitteilung der Kommission, ABl.EU 2013 Nr. C 216/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52013XC0730(01)&from=DE (letztmaliger Abruf am20.07.15 ), Rn. 62 ff. 9 Vgl. ausführlich zur Diskussion Radtke, Liquiditätshilfen im Eurosystem – Zentralbanken als Lender of Last Resort, 2010 (im Folgenden: Radtke, Liquiditätshilfen), S. 87 ff., die im Ergebnis davon ausgeht, dass diese Aufgabe der EZB nicht übertragen wurde. Befürwortend mit Blick auf die „Vergemeinschaftung“ der Bankenaufsicht bei der EZB, Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 54, Fn. 117. Eher eine bereits erfolgte Übertragung befürwortend Waldhoff, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 127 AEUV, Rn. 78, Fn. 386. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 6 nahe lege, dass die Finanzstabilitätsaufgabe hauptsächlich von anderen wahrzunehmen sei und der vertraglich vorgesehene Beitrag der ESZB daher nicht in deren Finanzierung liegen könne.10 Folgt man mangels unionsgerichtlicher Klärung dem Verständnis der EZB, wonach es sich bei der ELA-Gewährung um eine autonome Aufgabe der NZBen handelt, ergibt sich die Verbindung zum Unionsrecht aus Art. 14.4. ESZB-Satzung. Nach dieser Bestimmung können die NZBen andere als die in der ESZB-Satzung bezeichneten Aufgaben wahrnehmen, und zwar in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung.11 Die Wahrnehmung dieser Aufgaben kann allerdings vom EZB-Rat untersagt werden, wenn dieser mit Zweidrittelmehrheit feststellt, dass diese Aufgaben – und damit auch die ELA-Gewährung – nicht mit den Zielen und Aufgaben des ESZB vereinbar sind. Damit der EZB-Rat die Vereinbarkeit von ELA mit den Zielen und Aufgaben des ESZB prüfen kann, sehen die von der EZB herausgegebenen Verfahrensvorgaben für die ELA-Gewährung Informationspflichten der NZBen vor: Danach müssen die NZBen in der Regel nachträglich u. a. die betroffenen Geschäftsbanken, die gewährten ELA-Volumen, die hierfür gegebenen Sicherheiten /Garantien12, die für ELA zu zahlen Zinssätze, die genauen Gründe für die ELA-Gewährung sowie „eine von der Aufsichtsinstanz erstellte kurz- und mittelfristige Beurteilung der Liquiditätsausstattung und Solvenz des ELA erhaltenden Instituts, einschließlich der Kriterien, die zu einem positiven Ergebnis hinsichtlich der Solvenz geführt haben,“ mitteilen.13 Bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte sind die Informationen im Vorfeld der Gewährung mitzuteilen. Auf Antrag einer NZB kann der EZB-Rat zudem beschließen, einen Schwellenwert festzulegen und bei Zahlungen unterhalb dieses Wertes keinen Widerspruch zu erheben. 3. Beantwortung der Frage Geht man von diesen (unions-)rechtlichen Rahmenvorgaben aus, so sind zur Beantwortung der gestellten Frage zu den EZB-Vorgaben hinsichtlich der Gewährung von ELA folgende Aspekte zu 10 So etwa Steven, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 50. Vgl. zu dieser Thematik im Übrigen unten Fn. 68, wonach die Frage der Zuständigkeit der ELA-Gewährung für die hier relevante Frage nicht entscheidend ist. 11 Vgl. allgemein hierzu Steven, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 44 ff.; Zilioli/Athanassiou , in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 45: zu derartigen Aufgaben werden neben der Gewährung von Notkrediten etwa die Tätigkeit der NZBen als Fiskalagenten ihrer Staaten, Investmentgeschäfte mit Eigenbeständen sowie die (mittlerweile zum großen Teil auf das ESZB übertragene) Bankenaufsicht gezählt. 12 Die Inanspruchnahme von ELA wird aus Sicht der Geschäftsbanken dann erforderlich, wenn letztere nicht über notenbankfähige Sicherheiten für Refinanzierungsgeschäfte mit der EZB verfügen und aus diesem Grund keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zur Liquiditätsversorgung im Rahmen regulärer oder temporärer geldpolitischer Maßnahmen des ESZB haben (vgl. Art. 18.1. Spglstr. 2 ESZB-Satzung). Allerdings erfolgt auch der Zugang zu ELA nur gegen Sicherheiten, diese müssen allerdings nicht EZB-notenbankfähig sein, vgl. dazu Zilioli /Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 51, Fn. 112. Siehe hierzu für die Situation in Griechenland die EZB-Pressmitteilung unter abrufbar unter https://www.ecb.europa .eu/press/pr/date/2015/html/pr150204.en.html (letztmaliger Abruf am 20.07.15). 13 EZB, ELA-Verfahren (o. Fn. 7). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 7 beleuchten: zunächst Inhalt und Reichweite des Art. 14.4. ESZB-Satzung (siehe unter 3.1.), sodann die für eine Einschränkung (siehe unter 3.2.) und ggf. für eine Gewährung von ELA sprechenden Aufgaben und Ziele des ESZB (siehe unter 3.3.), um hieraus ggf. Vorgaben insbesondere hinsichtlich des Solvenzkriteriums abzuleiten. Dabei wird auch auf die im TAZ-Artikel in Bezug genommene Aufgabe nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 4 AEUV, der Förderung des reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme, eingegangen. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Beschlüsse der EZB zu ELA-Gewährungen bisher nicht – soweit bekannt – Gegenstand unionsgerichtlicher Verfahren gewesen sind. Zu den damit zusammenhängenden Fragen, insbesondere in Bezug auf die einschlägigen materiellen Rechtmäßigkeitsmaßstäbe , liegt daher keine Rechtsprechung vor. Da etwaige Beschlüsse der EZB in diesem Bereich in der Regel auch nicht veröffentlicht werden (vgl. Art. 132 Abs. 2 AEUV, 34.2. ESZB- Satzung), liegen – mit Ausnahme der einschlägigen Angaben in Pressemitteilungen – zudem keine Informationen zu den jeweiligen Beweggründen der EZB vor. Maßstab für die im Folgenden zu beantwortenden Rechtsfragen sind daher allein die im einschlägigen Schrifttum sowie durch die EZB vertretenen Rechtsansichten. Diese beziehen sich allerdings nur in allgemeiner Weise auf ELA-Gewährungen, ohne auf tatsächliche Konstellationen einzugehen, die denen Griechenlands ähneln, in denen alle relevanten Geschäftsbanken auf Notfall-Liquiditätshilfen angewiesen sind. 3.1. Art. 14.4. ESZB-Satzung Im Hinblick auf Art. 14.4. ESZB-Satzung stellen sich drei Fragen: Erstens ist zu klären, welcher Handlungs- bzw. Rechtmäßigkeitsmaßstab sich aus dieser Bestimmung für die Frage nach ELA- Vorgaben ergibt (siehe unter 3.1.1.). Zweitens ist zu beleuchten, welche Handlungsoptionen sich für den EZB-Rat ergeben, wenn er von einer Unvereinbarkeit der ELA-Gewährung mit den Zielen und Aufgaben der ESZB ausgeht (siehe unter 3.1.2.). Schließlich ist drittens auf die gerichtliche Kontrolldichte einzugehen, von der bei der Rechtskontrolle von EZB-Handlungen durch Unionsgerichte auszugehen ist (siehe unter 3.1.3.). 3.1.1. Der aus Art. 14.4. ESZB-Satzung folgende Handlungs- bzw. Rechtmäßigkeitsmaßstab Art. 14.4. ESZB-Satzung erhebt nach seinem Wortlaut die Ziele und Aufgaben des ESZB zum Handlungs- bzw. Rechtmäßigkeitsmaßstab für ein (untersagendes) Tätigwerden des EZB-Rates in Bezug auf eine autonome Aufgabenwahrnehmung der NZBen. Hierdurch wird auf Art. 127 Abs. 1, 2 und 5 AEUV bzw. die nahezu gleichlautenden Art. 2, 3.1. und 3.3. ESZB-Satzung Bezug genommen, in denen einerseits die Ziele des ESZB sowie andererseits die Aufgaben formuliert werden. Hinsichtlich der in Art. 127 Abs. 1 AEUV bzw. Art. 2 ESZB-Satzung formulierten Ziele gilt es zwischen dem vorrangig zu verfolgenden (Primär-)Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität und dem (nachrangigen Sekundär- oder Neben-)Ziel der Unterstützung der „allgemeinen Wirtschaftspolitik der Union“ zu unterscheiden.14 Zu den hier relevanten Aufgaben zählen vorliegend die Festlegung und Ausführung der unionalen Geldpolitik nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 1 AEUV, die 14 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.06.2015, Rs. C-64/14 (Gauweiler u. a.), Rn. 42 ff. Siehe hierzu im Einzelnen Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 282 AEUV, Rn. 29 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 8 Förderung des reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 1 AEUV sowie das Beitragen zu einer reibungslosen Durchführung der von den zuständigen Behörden auf dem Gebiet der Aufsicht über die Kreditinstitute und der Stabilität des Finanzsystems ergriffenen Maßnahmen nach Art. 127 Abs. 5 AEUV. Aus diesem heterogenen Ziel- und Aufgabenspektrum sind somit die Vorgaben zu entnehmen, die sich für den EZB-Rat im Hinblick auf sein Tätigwerden bezüglich der ELA-Gewährung durch NZBen ergeben. Welche dies im Einzelnen sind, kann angesichts fehlender Rechtsprechung einerseits sowie des Abstraktionsgrads bzw. der Konkretisierungsnotwendigkeit sowohl der Ziele als auch der Aufgaben anderseits im Folgenden lediglich anhand der wenigen dazu im Schrifttum und von Seiten der EZB vertretenen Rechtsansichten nachgezeichnet werden. Diese beziehen sich zudem weit überwiegend nur auf Aspekte, die für eine Unvereinbarkeit bzw. Einschränkung der ELA-Gewährung ins Feld geführt werden. Dazu wird auch das an die NZBen sowie die EZB gerichtete vertragliche Verbot der monetären Staatsfinanzierung nach Art. 123 Abs. 1 AEUV bzw. 21.1. ESZB-Satzung gezählt15, obgleich es sich hierbei weder um Ziel noch um Aufgabe des ESZB handelt (siehe dazu insgesamt unten unter 3.2.). Für dessen Berücksichtigung in diesem Rahmen wird – soweit überhaupt – Art. 271 Abs. 1 Buchst. d) AEUV aufgeführt, wonach die EZB die Einhaltung der sich u. a. aus den Verträgen ergebenden Verpflichtungen der NZBen überwacht und hierzu den EU-Gerichtshof anrufen kann.16 Dessen ungeachtet dürften sich sowohl die für eine Einschränkung als auch die für eine Gewährung von ELA sprechenden Erwägungen und damit auch Vorgaben insgesamt aus dem Ziel- und Aufgabenspektrum sowie aus Art. 123 AEUV bzw. aus einer Abwägung der daraus folgenden, u. U. auch gegenläufigen rechtlichen Ge- und Verbote. 3.1.2. Die sich aus Art. 14.4. ESZB-Satzung ergebenden Handlungsoptionen des EZB-Rates Betrachtet man die dem EZB-Rat durch Art. 14.4. ESZB-Satzung eingeräumten Handlungsoptionen dem Wortlaut nach, so kann dieser die Unvereinbarkeit der Aufgabenwahrnehmung durch die NZBen mit den Zielen und Aufgaben der ESZB feststellen. Im Schrifttum wird hieraus der Schluss gezogen, dass der EZB-Rat „ein Veto einlegen“ könne17 bzw. der Vorschrift eine Abwehrfunktion zukomme, sie aber den EZB-Rat im Hinblick auf die autonomen NZB-Aufgaben nicht ermächtige, „positiv gestaltend tätig zu werden.“18 Vor diesem Hintergrund wird der EZB-Rat jedenfalls eine Untersagung der jeweiligen Aufgabenwahrnehmung und somit auch der ELA-Gewährung aussprechen dürfen. Im Schrifttum findet sich ferner die etwas weitergehende Auffassung, wonach der EZB-Rat auf Grundlage von Art. 14.4. ESZB-Satzung „allenfalls zu erkennen geben [kann], dass er gegen eine in einer bestimmten Weise gestalteten nationalen Aufgabe keine Einwendungen erheben 15 Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 121 ff. 16 Vgl. Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 54. 17 Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 45. 18 Steven, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 52. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 9 würde.“19 Eine Begründung für eine solche Auslegung der Handlungsoptionen in Art. 14.4. ESZB-Rat wird jedoch nicht angeführt. Unterstellt man ihre Richtigkeit, ist mit Blick auf den einleitend erwähnten Beschluss des EZB-Rates einerseits sowie auf die Verfahrensvorgaben zur ELA-Gewährung20 andererseits fraglich, ob der EZB-Rat nicht darüber hinausgegangen ist. Nach dem Beschluss ist zum einen die ELA an griechische Geschäftsbanken auf dem Stand vom 26. Juni 2015 beizubehalten und zum anderen eine Anpassung der Abschläge auf Sicherheiten vorzunehmen , die von der griechischen Zentralbank für ELA akzeptiert werden.21 Die ELA-Verfahrensvorgaben sehen nicht nur Informationspflichten vor, sondern auch ein Antragsverfahren für Festlegung gesonderter Schwellenwerte. Betrachtet man beides zusammen, gibt der EZB-Rat mehr als nur zu erkennen, dass er bei bestimmter Ausgestaltung keine Einwände erheben wird. Es greift vielmehr gestaltend und begleitend in die ELA-Vergabe ein. Ob eine derartige Handlungsoption auf Grundlage von Art. 14.4. ESZB-Satzung noch als zulässig angesehen werden kann, weckt mit Blick auf den Wortlaut einerseits sowie der Tatsache, dass es sich bei der ELA- Gewährung um eine autonome NZB-Aufgabe handelt, anderseits, gewisse Zweifel. Ob sich diese mit der Überlegung ausräumen lassen, dass in einer Untersagungskompetenz als milderes Mittel immer auch die Handlungsoption enthalten sei, durch ausgestaltende Vorgaben die Untersagung abzuwenden, lässt sich mangels einschlägiger Rechtsprechung nicht abschließend entscheiden. 3.1.3. Zur gerichtlichen Kontrolldichte bei EZB-Handlungen Handlungen der EBZ unterliegen ebenso wie Maßnahmen anderer EU-Organe und Einrichtungen der Rechtskontrolle durch den Gerichtshof der EU (vgl. etwa Art. 263 Abs. 1 AEUV).22 Allerdings ist der EZB – ebenso wie anderen Organen und insbesondere dem Unionsgesetzgeber in vergleichbaren Konstellationen23 – ein weites Ermessen einzuräumen, wenn diese „Entscheidungen technischer Natur treffen und komplexe Prognosen und Beurteilungen vornehmen muss“.24 Dies dürfte auch für Beschlüsse in Sachen ELA gelten, auch und gerade, wenn sich die Vorgaben hierfür aus einer Abwägung aus dem heterogenen Ziel- und Aufgabenspektrum des ESZB ergeben . Zum Tragen kommt das weite Ermessen vor allem im Zusammenhang mit dem Grundsatz 19 So Steven, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 52. 20 EZB, ELA-Verfahren (o. Fn. 7). 21 Vgl. Pressemitteilung der EZB vom 06.07.15 (o. Fn. 1). 22 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.06.2015, Rs. C-64/14 (Gauweiler u. a.), Rn. 41, wobei die Rechtskontrolle der EZB im konkreten Fall ausdrücklich nur auf die Einhaltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 2 EUV bezogen wird. Sie gilt jedoch für alle rechtlichen Vorgaben, die das Unionsrecht an die Handlungen der EZB stellt. 23 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 16.12.2008, Rs. C-127/07 P (Société Arcelor Atlantique et Lorraine u.a.), Rn. 57, mit weiteren Nachweisen. Siehe ferner EuGH, Urt. 01.02.2007, Rs. C-266/05 P (Sison/Rat), Rn. 33. Siehe dazu mit weiteren zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 54. Ergzlfg. 2014 (im Folgenden: Grabitz/Hilf/Nettesheim), Art. 263 AEUV, Rn. 191. 24 EuGH, Urt. v. 16.06.2015, Rs. C-64/14 (Gauweiler u. a.), Rn. 68; vgl. ferner die Schlussanträge des GA Villalón vom 14.01.2015 zu dieser Rechtssache, Rn. 107 ff. (111). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 10 der Verhältnismäßigkeit nach Art. 5 Abs. 4 EUV, an dessen Maßstab auch das Handeln der EZB zu messen ist.25 Kehrseite des weiten Ermessens, welches der EZB bei Entscheidungen technischer Natur sowie bei der Vornahme komplexer Prognosen und Beurteilungen eingeräumt wird, ist eine entsprechend zurückgenommene gerichtliche Kontrolldichte. Hierzu finden sich in den Schlussanträgen zum OMT-Urteil folgende Aussagen des Generalanwalts: „Die Gerichte müssen daher bei einer Kontrolle der Tätigkeit der EZB die Gefahr vermeiden, sich an die Stelle dieses Organs zu setzen, indem sie sich auf ein hochgradig technisches Terrain begeben, auf dem eine Spezialisierung und Erfahrung erforderlich sind, die nach den Verträgen allein bei der EZB liegen. Deshalb muss die Intensität der gerichtlichen Kontrolle des Handelns der EZB unbeschadet ihres zwingenden Charakters durch ein erhebliches Maß an Zurückhaltung gekennzeichnet sein.“26 In der Konsequenz bedeutet die zurückgenommene gerichtliche Kontrolldichte aus Sicht des EuGH, dass „der Kontrolle der Einhaltung bestimmter verfahrensrechtlicher Garantien wesentliche Bedeutung zu[kommt]. Zu diesen Garantien gehört die Verpflichtung des ESZB, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und seine Entscheidungen hinreichend zu begründen.“27 Um der auf diese Art eingeschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle Genüge zu tun, wäre in einem konkreten Fall die Begründung des jeweiligen EZB-Beschlusses zu überprüfen. Dies ist außerhalb gerichtlicher Verfahren allerdings insoweit problematisch, als die EZB nicht verpflichtet ist, Beschlüsse zu veröffentlichen (vgl. Art. 132 Abs. 2 AEUV). Informationen zu deren Inhalt ergeben sich jedoch oftmals aus Pressemitteilungen. Soweit die wesentlichen Elemente der betreffenden Maßnahme solchen Mitteilungen entnommen werden können, sind auch derartige Dokumente nach der Rechtsprechung prinzipiell geeignet, dem EU-Gerichtshof die gebotene Rechtskontrolle zu ermöglichen.28 Ob dies allerdings auch für ELA-Pressemitteilungen gilt, erscheint mit Blick auf die Pressemitteilung zum einleitend erwähnten Beschluss bezüglich griechischer ELA fraglich , da darin keine ausdrückliche Begründung für die getroffenen Entscheidungen mitgeteilt wird. 3.2. Für eine ELA-Einschränkung sprechende Ziele und Aufgaben des ESZB Wendet man sich vor diesem Hintergrund den für eine ELA-Einschränkung sprechenden Zielen und Aufgaben der ESZB und den darauf folgenden Vorgaben für die ELA-Gewährung zu, so werden im Schrifttum zwei Aspekte angeführt: das Ziel der Preisstabilität verbunden mit der gemeinsamen Geldpolitik zum einen (siehe unter 3.2.1.) und das oben bereits kurz erwähnte Verbot 25 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.06.2015, Rs. C-64/14 (Gauweiler u. a.), Rn. 66 ff. 26 GA Villalón, Schlussanträge zu EuGH, Urt. v. 16.06.2015, Rs. C-64/14 (Gauweiler u. a.), Rn. 110 u. 111. 27 EuGH, Urt. v. 16.06.2015, Rs. C-64/14 (Gauweiler u. a.), Rn. 69. 28 So EuGH, Urt. v. 16.06.2015, Rs. C-64/14 (Gauweiler u. a.), Rn. 71, für den besonderen Fall der Umstände zum OMT-Programm. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 11 der monetären Staatsfinanzierung nach Art. 123 AEUV zum anderen (siehe unter 3.2.2.).29 Beide Aspekte bauen u. a. auf dem Solvenzkriterium auf (dazu unter 3.2.3.). 3.2.1. Preisstabilität und gemeinsame Geldpolitik Im Zusammenhang von Preisstabilität als dem übergeordneten ESZB-Ziel einerseits und ELA andererseits wird im Schrifttum zunächst allgemein darauf hingewiesen, dass es durch die Gewährung von Liquiditätshilfen zu einem Anstieg der Geldmenge komme, wodurch auch das Risiko einer Inflation zunehme.30 Dies gelte insbesondere, wenn mehrere Zentralbanken gleichzeitig Liquiditätshilfen auf demselben Geldmarkt vergeben.31 Ob und inwieweit eine solche Gefahr mit Blick auf die Situation in Griechenland besteht, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Zu einer möglichen Beeinträchtigung der gemeinsamen Geldpolitik als einer der Hauptaufgaben des ESZB durch die Gewährung von ELA sollen im Folgenden die Ausführungen aus einer Kommentierung des Art. 14.4. ESZB-Satzung zitiert werden: „Liquiditätshilfen in Krisenfällen können sich auf die Geldpolitik auswirken, vor allem wenn keine Höchstbeträge festgelegt werden oder wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Empfänger in absehbarer Zeit wieder Marktzugang gewinnen. Abgesehen davon, dass das Renommee leidet , stellen „unbegrenzte“ Kredite an Banken ohne (oder weitgehend ohne) Marktzugang den geldpolitischen Transmissionsmechanismus vor Schwierigkeiten, insbesondere wenn davon auszugehen ist, dass die ELA-Empfänger (zB wegen unzureichender Solvenz oder Rentabilität) den Zugang zum Markt wahrscheinlich nicht zurückgewinnen werden; zu Problemen kommt es, weil entweder die Intermediärfunktion der Empfänger äußerst eingeschränkt ist oder weil die mit der ELA verbundenen (höheren) Kosten (im Fall von Kreditinstituten, die noch an der Finanzintermediation mitwirken) geeignet sind, die Transmission der geldpolitisch festgelegten Zinssätze zu verzerren. Diese Bedenken haben im Gefolge der Finanzkrise noch an Bedeutung gewonnen, da sich einerseits der auf ELA entfallende Anteil an der Gesamtliquidität, die die Zentralbanken ihren Gegenparteien zur Verfügung stellen, seit Beginn der Krise erheblich erhöht hat und andererseits die Zahl der einzelnen Kreditinstitute, die zur Finanzierung ihrer Geschäfte außerordentliche Liquiditätshilfen in Anspruch nehmen müssen, gestiegen ist.“32 3.2.2. Verbot der monetären Staatsfinanzierung Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nach Art. 123 AEUV untersagt sowohl der EZB als auch den NZBen, den Organen und Einrichtungen der Union, Zentralregierungen, regionalen o- 29 Vgl. etwa Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 52; Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 121; Steven, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 52, allerdings nur auf die Geldpolitik abstellend. 30 Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 128 f. 31 Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 128 f. 32 Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 53. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 12 der lokalen Gebietskörperschaften, sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlichen Unternehmen der Mitgliedstaaten Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten zur Verfügung zu stellen sowie von diesen unmittelbar Schuldtitel zu erwerben (vgl. daneben Art. 21.1. sowie Art. 21.3 ESZB-Satzung). Dieses Verbot wird von der EZB33 sowie im Schrifttum34 weit ausgelegt und auch auf ELA angewendet . Ein Verstoß sei insbesondere dann gegeben, wenn hierdurch zahlungsunfähige Geschäftsbanken unterstützt werden.35 Ist eine Geschäftsbank nämlich nicht mehr (nur) illiquide, sondern zahlungsunfähig, etwa weil eine Vielzahl der durch sie gehaltenen Staatsanleihen aufgrund ihrer nicht mehr gegebenen Werthaltigkeit abgeschrieben werden muss36, würde die Geldversorgung in Form der ELA von einer Liquiditäts- zu einer Art Solvenzhilfe.37 Aus Sicht der EZB, der Kommission sowie der dazu auch im Schrifttum vertretenen Ansichten handelt es sich dann um eine (wirtschaftspolitische) staatliche Aufgabe, deren Ausführung durch eine NZB einen Verstoß gegen das Verbot der monetären (Staats-)Finanzierung begründe.38 Dementsprechend sieht das von der EZB vorgegebene Verfahren für die Gewährung von ELA zum einen vor, dass diese nur solventen Finanzinstituten oder einer Gruppe von Instituten mit 33 EZB, Konvergenzbericht Mai 2006, S. 72 (online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/conrep /cr2006de.pdf – letztmaliger Abruf am 20.07.15); dies., Konvergenzbericht Dezember 2006, S. 34 (online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/conrep/cr200612de.pdf – letztmaliger Abruf am 20.07.15), dies., Konvergenzbericht Mai 2008, S. 24 (online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/conrep /cr200805de.pdf – letztmaliger Abruf am 20.07.15). 34 Vgl. Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 130 ff. (mit ausführlicher Begründung); im Ergebnis ebenso, wenngleich ohne eigene Begründung und im Wesentlichen mit Verweis auf EZB-Dokumente, Tutsch, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 123 AEUV, Rn. 21; Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 54. 35 EZB, Konvergenzbericht Mai 2006, S. 73 (o. Fn. 33); dies., Konvergenzbericht Dezember 2006, S. 35 (o. Fn. 33), dies., Konvergenzbericht Mai 2008, S. 25 f. (o. Fn. 33). 36 In diesem Zusammenhang findet sich in der Pressemitteilung zum einleitend erwähnten ELA-Beschluss der EZB (o. Fn. 1) folgende Aussage: „Die Finanzlage der Hellenischen Republik hat Auswirkungen auf die griechischen Banken, da die für ELA bereitgestellten Sicherheiten in erheblichem Umfang auf staatsverbundenen Titeln basieren.“ Vgl. etwa zu diesem Thema auch den Monatsbericht der Bundesbank vom Mai 2015 (online abrufbar unter http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte /2015/2015_05_monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile – letztmaliger Abruf am 20.07.15), S. 74; Commerzbank – Economic Research/Enconomic Insight: Euro trotz Staatspleite, vom 18.05.2015; DZ Bank AG Research , Griechenland: Ein Grexit-Szenario vom 19.02.2015, S. 3. 37 Vgl. Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 140 ff. 38 Vgl. die o. in Fn. 33 aufgeführten Nachweise zur EZB. Siehe ferner die Stellungnahme der EZB in CON/2008/46, unter Tz. 4.2. (online abrufbar unter https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/en_con_2008_46_f_sign.pdf – letztmaliger Abruf am 20.07.15). Die Kommission betrachtet Solvenzhilfen seitens der NZB als beihilferelevante und damit staatliche Maßnahmen, vgl. dazu die Ausführungen in der sog. Bankenmitteilung 2013, ABl.EU 2013 Nr. C 216/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52013XC0730(01)&from=DE, (letztmaliger Abruf am 20.07.15), Rn. 62 ff. Aus dem Schrifttum Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 138 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 13 vorübergehenden Liquiditätsproblemen zugutekommen darf.39 Um dies beurteilen zu können, enthalten die ELA-Verfahrensvorgaben entsprechende Informationspflichten.40 3.2.3. Zum Solvenzkriterium 3.2.3.1. Bedeutung In beiden für eine mögliche Einschränkung von ELA sprechenden Aspekten spielt das Solvenzkriterium eine entscheidende Rolle: Im Zusammenhang mit der Durchführung der gemeinsamen Geldpolitik soll es gewährleisten, dass nur solche Geschäftsbanken Notfallliquiditätshilfen erhalten, deren Mitwirkung bzw. baldige Rückkehr an den Markt zumindest wahrscheinlich ist und die daher in der Lage sind, die durch die EZB gesendeten geldpolitischen Signale adäquat transportieren zu können bzw. nicht zu verzerren. Im Kontext des Art. 123 AEUV stellt das Solvenzkriterium die Grenze zu einer rein staatlichen (wirtschaftspolitischen) Aufgabe dar, die außerhalb des Verantwortungsbereiches einer NZB liegt und von ihr nicht wahrgenommen werden darf, ohne gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung zu verstoßen. 3.2.3.2. Kompetenz zur Feststellung der Solvenz – Bankenaufsicht In den ELA-Verfahrensvorschriften findet sich hinsichtlich der durch die NZBen bereitzustellenden Informationen auch die bereits oben zitierte Vorgabe, „eine von der Aufsichtsinstanz erstellte kurz- und mittelfristige Beurteilung der Liquiditätsausstattung und Solvenz des ELA erhaltenden Instituts, einschließlich der Kriterien, die zu einem positiven Ergebnis hinsichtlich der Solvenz geführt haben“, zu übermitteln. Diese Vorgabe fand ihren Ursprung in der alten Rechtslage, nach der es sich bei der Bankenaufsicht um eine grundsätzlich den Mitgliedstaaten verbliebene Zuständigkeit handelte.41 Nach Art. 127 Abs. 5 AEUV kam der EZB zu der Zeit lediglich die Aufgabe zu, „zur reibungslosen Durchführung der von den zuständigen Behörden auf dem Gebiet der Aufsicht über die Kreditinstitute […] ergriffenen Maßnahmen“ beizutragen. Mittlerweile hat der Rat von der Möglichkeit nach Art. 127 Abs. 6 AEUV Gebrauch gemacht und der EZB Aufgaben im Bereich der Bankenaufsicht übertragen: der sog. einheitliche Aufsichtsme- 39 EZB, ELA-Verfahren (o. Fn. 7). 40 Siehe dazu oben unter 2., S. 6. 41 Siehe noch auf Grundlage der alten Rechtslage, Waldhoff, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 127 AEUV, Rn. 66 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 14 chanismus für Banken (SSM) nahm am 4. November 2014 auf Grundlage der sog. SSM-Verordnung seine Arbeit auf.42 Nunmehr verfügt die EZB selbst – im Anwendungsbereich der SSM-Verordnung und im Rahmen der dort vorgesehenen Ausgestaltung43 – über Aufsichtsbefugnisse und ist daher in der Lage, die Solvenz der ihrer Aufsicht unterstehenden Institute zu überprüfen. Um mögliche Interessenskonflikte zwischen geld- und währungspolitischen Aufgaben einerseits und solchen der Bankenaufsicht andererseits zu vermeiden, wurde eine Trennung der jeweiligen Aufgabenbereiche vorgenommen.44 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Einschränkung einer durch NZBen vorgenommenen ELA-Gewährung mit Blick auf Solvenzkriterium nur dann in Betracht kommt, wenn die Insolvenz ggf. auch förmlich durch die EZB festgestellt wurde. Offen ist zudem, in welchem Zusammenhang bzw. Verhältnis das bankenaufsichtsrechtliche Instrumentarium auf Grundlage der SSM-Verordnung zu den ELA-bezogenen Handlungsoptionen nach Art. 14.4. ESZB-Satzung steht. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass im Zuge der „Vergemeinschaftung “ der Bankenaufsicht in den Händen der EZB auch ein Übergang der ELA-Kompetenz auf dieses Organ befürwortet wird.45 3.3. Für eine ELA-Gewährung sprechende Ziele und Aufgaben des ESZB Wie oben bereits angedeutet, wird den für eine ELA-Einschränkung sprechenden Zielen und Aufgaben des ESZB im Schrifttum weitaus mehr Platz eingeräumt als den dafür sprechenden Aspekten . Im Folgenden sollen insoweit zum einen die Förderung des reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 4 AEUV (siehe unter 3.3.1.) und zum anderen der Aspekt der Finanzsystemstabilität betrachtet werden, zu dem die EZB nach Art. 127 Abs. 5 AEUV einen Beitrag zu leisten hat (siehe unter 3.3.2.). 42 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, ABl.EU 2013 Nr. L 287/63, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R1024&qid=1437043339615&from=DE (letztmaliger Abruf am 20.07.15). Siehe zum einheitlichen Aufsichtsmechanismus auch den Überblick bei Selmayr, in: von der Groeben /Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 127 AEUV, Rn. 51 ff. 43 Siehe dazu ebenfalls die Angaben bei Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 127 AEUV, Rn. 55. Zu Einzelheiten, insbesondere auch zur Zuständigkeitsverteilung hinsichtlich der Primärverantwortung für die Bankenaufsicht zwischen EZB einerseits und nationalen Aufsichtsinstituten andererseits, Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik in der Währungsunion, 2015, S. 137 ff. 44 Vgl. dazu ebenfalls Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 127 AEUV, Rn. 56. 45 So Zilioli/Athanassiou, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 14 ESZB-Satzung, Rn. 54, Fn. 117. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 15 3.3.1. Förderung des reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme Die im einleitend angeführten TAZ-Artikel in Bezug genommene Aufgabe nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 4 AEUV findet im Zusammenhang mit Vorgaben für eine ELA-Gewährung bisher kaum Erwähnung.46 Blickt man in die Kommentierungen dieser Vertragsvorschrift47 sowie auf das von Seiten der EZB vertretene Verständnis zu dieser Vorschrift, so ergibt sich hieraus eine Verantwortung, die eher infrastruktureller Natur ist. Unter dem Begriff der Zahlungssysteme versteht die EZB ein System, welches aus einem Instrumentarium, Bankverfahren und in der Regel aus Interbank-Überweisungssystemen besteht, die den Geldumlauf vereinfachen.48 Das Bestehen eines solchen Zahlungssystems ist Voraussetzung dafür, dass Zentralbanken ihrer geldpolitischen Aufgabe nachkommen , indem sie Liquidität in ein Währungssystem einbringen und wieder abziehen und auf diese Weise die Geldmenge steuern können.49 Zahlungssysteme werden als „technisches Rückrat einer modernen Geldwirtschaft“ bezeichnet und ermöglichen „den raschen elektronischen Geldtransfer im Interbanken- wie im Kundenverkehr sowie die elektronische Verrechnung […] von unbaren Forderungen und Gegenforderungen.“50 Bei Zahlungssystemen handelt es somit um ein grundlegendes „Werkzeug zur Durchführung der Geldpolitik“51 oder – in anderen Worten – um einen „Transmissionskanal“.52 Angesichts eines solchen – allgemein anerkannten – Verständnisses des Aufgabengegenstandes nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 4 AEUV verwundert es nicht weiter, dass die Frage nach der Ausstattung der an einem solchem System teilnehmenden Geschäftsbanken mit Liquidität jedenfalls in diesem Kontext keine Rolle spielt. Um im Bild des Transmissionskanals zu bleiben, geht es bei dieser ESZB-Aufgabe um die Gewährleistung, dass es ein Kanalsystem gibt, nicht aber, dass jede Geschäftsbank befähigt wird, es zu nutzen. 46 Ein Hinweis auf Art. 127 Abs. 2 Spgstr. 4 AEUV als mögliche Rechtsgrundlage für Krisenmaßnahmen des ESZB findet sich bei Waldhoff, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 127 AEUV, Rn. 78, allerdings ohne Begründung und ohne Hinweis auf die darauf ggf. zu stützenden konkreten Maßnahmen. Die Möglichkeit ELA zu gewähren, stellt Waldhoff hingegen daneben und stützt diese auf die „lender of the last resort“-Funktion, die er allerdings bei der EZB sieht (vgl. dazu oben Fn. 9 sowie unten unter 3.3.2.2., S. 16). 47 Siehe etwa Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 127 AEUV, Rn. 28 ff.; Griller, in: : Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 23), Art. 127 AEUV, Rn. 50 ff.; Waldhoff, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 127 AEUV, Rn. 57 ff. 48 Vgl. die Definition in EZB, Monatsbericht 4/2002, Die Rolle des Eurosystems bei Zahlungs- und Verrechnungssystemen , S. 51 (online abrufbar unter http://www.uni-leipzig.de/bankinstitut/files/dokumente/2002-06-04- 04.pdf. – letztmaliger Abruf am 20.07.15). 49 Griller, in: : Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 23), Art. 127 AEUV, Rn. 50; Waldhoff, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 127 AEUV, Rn. 57. 50 Beide Zitierungen von Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 127 AEUV, Rn. 28. 51 Griller, in: : Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 23), Art. 127 AEUV, Rn. 50 52 Waldhoff, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 127 AEUV, Rn. 57. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 16 Die Aufgabe, das reibungslose Funktionieren eines solchen Systems zu fördern, umfasst allerdings (auch) die Sicherstellung, dass nur solche Institutionen daran teilnehmen können, die für das Funktionieren keine Gefährdung darstellen. Deutlich wird das an dem durch die ESZB im Rahmen ihrer Aufgabe nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 4 AEUV betriebenen Zahlungssystems, dem sog. TARGET 2.53 Nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. a) TARGET-Leitlinie wird die Teilnahme einer Geschäftsbank am TARGET 2-System u. a. dann suspendiert oder fristlos beendet, wenn ein Insolvenzverfahren über deren Vermögen eröffnet wird. Hierdurch – sowie durch entsprechende Zugangsvoraussetzungen für die Teilnahme am Zahlungsverkehrssystem – soll dem Eintritt der beiden maßgeblichen Risiken für das reibungslose Funktionieren solcher Systeme begegnet werden: dem des endgültigen Zahlungsausfalls (Kreditrisiko) und dem der vorübergehenden Zahlungsunfähigkeit eines Teilnehmers (Liquiditätsrisiko).54 Das Solvenzkriterium dient in diesem Zusammenhang folglich als formale Grundvoraussetzung für eine Beteiligung an Zahlungssystemen. Eine Vorgabe materieller Natur, für die Solvenz der teilnehmenden Geschäftsbanken Sorge zu tragen bzw. die Geschäftsbanken mit Solvenzhilfen am Leben zu erhalten und damit ggf. auch für eine ELA-Gewährung an insolvente Finanzinstitute offen zu sein, lässt sich dem (bisher) allgemein anerkannten Verständnis von Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 4 AEUV hingegen nicht entnehmen. 3.3.2. Beitrag zur Stabilität des Finanzsystems (Positive) Vorgaben für eine ELA-Gewährung könnten sich allerdings aus dem zu leistenden Beitrag des ESZB zur Stabilität des Finanzsystems ergeben. Hierzu ist zunächst auf den Begriff der Finanzstabilität (siehe unter 3.3.2.1.) sowie den Zusammenhang von Finanzstabilität und ELA- Gewährung einzugehen (siehe unter 3.3.2.2.). Anschließend soll die Finanzstabilität im Ziel- und Aufgabenspektrum des ESZB verortet werden (siehe unter 3.3.2.3.), bevor schlussendlich die sich daraus ergebenden Vorgaben für die ELA-Beurteilung seitens des EZB-Rates zu betrachten sind (siehe unter 3.3.2.4.). 3.3.2.1. Begriff Wendet man sich zunächst dem Begriff der Finanzstabilität zu, so ist festzustellen, dass dieser unionsrechtlich nicht weiter definiert ist. Im Schrifttum wird darunter bspw. die allgemeine Stabilität des Finanzsystems, die dauerhafte Aufrechterhaltung der Geldversorgung der Wirtschaft 53 TARGET steht für Trans European Automated Real-time Gross Settlement Transfer System, in Deutsch: transeuropäisches automatisiertes Echtzeit-Brutto-Express-Zahlungsverkehrssystem. Seine Rechtsgrundlage findet es in der Leitlinie der EZB vom 5.12.2012 (EZB/2012/27) – im Folgenden: TARGET-Leitlinie, in konsolidierter Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02012O0027- 20140607&qid=1437132448657&from=DE (letztmaliger Abruf am 20.07.15). Siehe hierzu allgemein Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 127 AEUV, Rn. 31. 54 Vgl. EZB, Monatsbericht 4/2002 (o. Fn. 48), S. 52. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 17 und die Widerstandsfähigkeit von Banken und Finanzinstituten gegenüber Systemkrisen verstanden .55 Die Bundesbank definiert Finanzstabilität in ähnlicher Weise als Zustand, in dem „das Finanzsystem – auch in Phasen der Anspannung oder von Umbrüchen – in der Lage ist, seine Funktionen zu erfüllen und Finanztransaktionen aller Art effizient und sicher abzuwickeln.“56 3.3.2.2. Finanzstabilität und ELA Geraten einzelne oder eine Vielzahl, ggf. auch systemrelevante Banken in Liquiditätsschwierigkeiten , so drohen die hierdurch eintretenden Bankenkrisen die Stabilität des Finanzsystems zu gefährden.57 Die Vergabe von ELA wird in diesem Zusammenhang als ein (traditionelles) Mittel angesehen, dass den für Finanzstabilität in der Regel verantwortlichen Zentralbanken zur Verfügung steht, um Banken in der Krise zu stabilisieren.58 Ist Geschäftsbanken die Refinanzierung auf andere Weise, insbesondere auf dem Interbankenmarkt, nicht möglich, bleiben allein die Zentralbanken als Liquiditätsquelle, als sog. Kreditgeber der letzten Instanz (engl. lender of the last resort ).59 3.3.2.3. Finanzstabilität im Ziel- und Aufgabenspektrum des ESZB Wendet man sich vor diesem Hintergrund der Verortung der Finanzstabilität im Ziel- und Aufgabenspektrum des ESZB zu, so sind bereits unabhängig von Art. 127 Abs. 5 AEUV enge Verknüpfungen mit der Preisstabilität, der Geldpolitik aber auch der Wirtschaftspolitik der Union erkennbar 60: Im Zusammenhang mit dem Primärziel der Preisstabilität nach Art. 127 Abs. 1 S. 1 AEUV lässt sich Finanzstabilität als deren notwendige Voraussetzung betrachten, da nur ein stabiles Finanzsystem die Gewähr dafür bietet, dass die von der Zentralbank ausgesandten geldpolitischen Signale über die Banken in die Realwirtschaft übermittelt werden.61 Ähnliches gilt für die von der EZB verantwortete Aufgabe der Durchführung einer einheitlichen Geldpolitik nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 1, Art. 119 Abs. 2 AEUV. Die Einheitlichkeit ist nur 55 Siehe etwa Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 127 AEUV, Rn. 38. 56 Siehe Internetauftritt der Bundesbank, online abrufbar unter https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Glossareintraege /F/finanzstabilitaet.html (letztmaliger Abruf am 20.07.15). 57 Vgl. Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 61 ff.; Waldhoff, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 127 AEUV, Rn. 78. 58 Siehe dazu ausführlich Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 49 ff. 59 Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 49. 60 Vgl. dazu oben unter 3.1.1., S. 7 ff. 61 Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 282 AEUV, Rn. 61; Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 127 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 18 dann gewährleistet, wenn das Finanzsystem in allen Euro-Mitgliedstaaten gleichermaßen stabil ist.62 Schließlich ist die Finanzstabilität in einem marktwirtschaftlichen Umfeld, in dem etwa die Unternehmensfinanzierung zu rund 70% über Banken erfolgt63, als wichtiger Bestandteil des gegenüber der Preisstabilität nachrangigen ESZB-Ziels der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Union nach Art. 127 Abs. 1 S. 2 AEUV anzusehen.64 Angesichts dieser Interdependenzen scheint die ausdrückliche Erwähnung im Kontext von Art. 127 Abs. 5 AEUV der Bedeutung der Finanzstabilität nicht vollständig gerecht zu werden. Denn danach besteht zwar eine enge Verbindung mit der Aufsicht über Kreditinstitute. Die diesbezüglich bestehende Aufgabe des ESZB beschränkt sich nach dem Wortlaut dieser Vertragsvorschrift aber lediglich darauf, zur reibungslosen Durchführung der von den dafür zuständigen (nationalen ) Behörden in diesen Bereichen ergriffenen Maßnahmen beizutragen. Hieraus wird allgemein und ungeachtet der Verknüpfungen mit den übrigen Zielen und Aufgaben des ESZB der Schluss gezogen, dass der EZB jedenfalls keine Primärverantwortung für die Gewährleistung der Finanzstabilität zukommt, es sich dabei um eine Nebenaufgabe handelt.65 Ob diese Einschätzung vor dem Hintergrund der mittlerweile erfolgten „Vergemeinschaftung“ der Bankenaufsicht in den Händen der EZB durch Einführung des Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus einerseits sowie der Einrichtung weiterer Gremien wie etwa dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken66 andererseits noch angemessen ist, erscheint fraglich, bedarf an dieser Stelle jedoch keiner Vertiefung. Denn die bereits aus der vertraglich ausdrücklich erwähnten Nebenaufgabe resultierende Verantwortung des ESZB für die Finanzstabilität dürfte für den Einsatz von ELA als Instrument zur Stabilisierung von Geschäftsbanken sprechen und bei der Abwägung im Rahmen der Anwendung des Art. 14.4. ESZB-Satzung durch den EZB-Rat einzustellen sein. 3.3.2.4. Vorgaben für die ELA-Beurteilung seitens des EZB-Rates im Zusammenhang mit der Finanzstabilität In der Regel unproblematisch dürfte vor diesem Hintergrund – wie auch von der EZB vorgesehen 67 – die Gewährung von ELA an solvente Kreditinstitute sein. In Abhängigkeit von der Gefährdung der Finanzstabilität erscheint es im Übrigen vertretbar, auf den Aspekt der Finanzstabilität eine großzügige Handhabung des Kriteriums der nur vorübergehenden Liquiditätsprobleme zu 62 Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 282 AEUV, Rn. 62. 63 Vgl. Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 127 AEUV, Rn. 40, mit Nachweisen. 64 Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 282 AEUV, Rn. 63. 65 Waldhoff, in: EWU-Kommentar (o. Fn. 8), Art. 127 AEUV, Rn. 78; Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 282 AEUV, Rn. 63. 66 Siehe dazu Selmayr, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje (o. Fn. 6), Art. 282 AEUV, Rn. 64. 67 Siehe EZB, ELA-Verfahren (o. Fn. 7) sowie oben unter 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 19 stützten. Auch hinsichtlich der Höhe der zum Einsatz kommenden Hilfen könnte der Aspekt der Finanzstabilität insoweit positiv ins Feld geführt werden. Fraglich ist hingegen, ob die ESZB-Verantwortung für Finanzstabilität bei entsprechender Gefahr für diese auch eine ELA-Gewährung an insolvente Geschäftsbanken gebieten könnte.68 Hiergegen spricht der Umstand, dass eine Unterstützung in diesem Fall nach der von der EZB, der Kommission und im Schrifttum vertretenen Rechtsansicht als Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nach Art. 123 AEUV angesehen wird.69 Es ist nach jetziger Rechtslage nicht erkennbar, dass der Beitrag zur Finanzstabilität als ESZB-Aufgabe nach Art. 127 Abs. 5 AEUV ins Feld geführt werden könnte, um einen Verstoß gegen diese Vertragsvorschrift zu rechtfertigen70 und ELA auch insolventen Geschäftsbanken zukommen zu lassen. Lehnt man die herrschende Auslegung des Art. 123 AEUV hingegen ab und sieht die Zurverfügungstellung von Liquidität an insolvente Geschäftsbanken (Solvenzhilfen) nicht als Verstoß gegen diese Vertragsvorschrift, so wäre ebenfalls fraglich, ob sie unionsrechtlich zulässig wäre. Zu klären wäre insoweit nämlich, ob allein die Gewährung von Solvenzhilfen genügen würde, um die Finanzstabilität herzustellen. Denn die betroffenen Geschäftsbanken müssten hierdurch in die Lage versetzt werden, auf absehbare Zeit wieder Zugang zum Markt zu erhalten, um so ihrer finanziellen Intermediärfunktion im Rahmen der EZSB-Geldpolitik nach Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 1 AEUV nachzukommen.71 Ein solches Gelingen wird von dem jeweiligen Einzelfall abhängen und lässt sich – erst recht an dieser Stelle – nicht pauschal beantworten. Mit Blick auf die Situation in Griechenland erscheint dies jedenfalls insoweit problematisch, als die die Solvenz betreffenden Probleme der Banken v. a. auf der unsicheren Werthaltigkeit der von ihnen gehaltenen griechischen Staatsanleihen beruhen.72 Daran zeigt sich auch, auf welche Weise die Finanzstabilität mit der allgemeinen Wirtschaftslage und Wirtschaftspolitik verknüpft ist, für die nach der unionsrechtlichen Kompetenzverteilung in primärer Hinsicht die Mitgliedstaaten zuständig sind. 68 Diese Frage würde sich auch dann stellen, wenn – wie von Stimmen im Schrifttum befürwortet – das ESZB für ELA zuständig und deren Gewährung in den unionalen Verantwortungsbereich fallen würde, vgl. dazu oben unter 2., S. 5. Sie ist insoweit nicht von Bedeutung als sich der aus dem Zielen- und Aufgabenspektrum der EZSB sowie dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung ergebende Rechtmäßigkeitsmaßstab für ELA der Gleiche bliebe, wenn die EZB für deren Gewährung zuständig wäre. 69 Siehe dazu oben unter 3.2.2., S. 12, vgl. die Nachweise in Fn. 33 und 34. 70 Fraglich ist, ob der Rat von seiner Rechtssetzungskompetenz nach Art. 125 Abs. 2 AEUV Gebrauch machen könnte, um sein daraus folgendes Konkretisierungsrecht für die Anwendung des Art. 123 AEUV dergestalt auszuüben , dass entweder Ausnahmen aus Gründen der Finanzstabilität zulässig oder die ELA-Gewährung nicht als Verstoß gegen Art. 123 AEUV anzusehen wäre. Nach der zurzeit geltenden Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Art. 104 und 104 b Abs. 1 des Vertrages vorgesehenen Verbote, ABl.EG 1993 Nr. L 332/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31993R3603&qid=1437380216213&from=DE (letztmaliger Abruf am 20.07.15), ist das jedenfalls nicht der Fall. Siehe dazu Radtke, Liquiditätshilfen (o. Fn. 9), S. 149 f. 71 Siehe dazu oben unter 3.2.1., S. 11 f. 72 Siehe oben unter Fn. 36. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 92/15 Seite 20 Die EZB kann hierbei nach Art. 127 Abs. 1 S. 2 AEUV allenfalls unterstützend tätig werden, soweit das vorrangige Ziel der Preisstabilität nicht beeinträchtigt wird. Für derartige Abwägungsentscheidungen käme – wie oben dargestellt – dem EZB-Rat zudem ein weites Ermessen zu, welches einer nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.73 Im Zusammenhang mit der Gewährung von Solvenzhilfen wäre zudem klärungsbedürftig, in welchem Verhältnis ein so verstandenes Notinstrument der NZBen zu den für die Abwicklung von Finanzinstituten bestehenden Vorschriften der EU in Gestalt der sog. Bankenabwicklungsrichtlinie 74 zum einen und des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus75 für den Euro-Raum zum anderen stehen würde^1. 4. Zusammenfassung Es ist nach derzeitiger Rechtslage sowie dem allgemein anerkannten Verständnis von Art. 127 Abs. 2 Spglstr. 4 AEUV nicht erkennbar, dass das Verfahren der EZB in Bezug auf die ELA-Gewährung durch die NZBen bzw. die dabei angewandten Kriterien mit der genannten oder anderen Vorschriften des Unionsrechts in Widerspruch stehen. Insbesondere die Anforderung, ELA nur an solvente Geschäftsbanken zu gewähren, lässt sich sowohl auf das vorrangige ESZB-Ziel der Preisstabilität, die ESZB-Aufgabe der Festlegung und Ausführung einer einheitlichen Geldpolitik sowie auf das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nach Art. 123 AEUV stützen. Es ist höchst fraglich, ob die für eine ELA-Gewährung sprechende ESZB-Aufgabe nach Art. 127 Abs. 5 AEUV, einen Beitrag zur Finanzstabilität zu leisten, gegen die genannten Vertragsvorschriften bei einer vom EZB-Rat vorzunehmenden Abwägung ins Feld geführt werden könnte, bei der es um die Gewährung von Liquiditätshilfen an insolvente Geschäftsbanken geht. Eine solche Maßnahme mag aus wirtschaftspolitischen Gründen sinnvoll erscheinen, sie läge aber wohl außerhalb des vorrangig auf Preisstabilität ausgerichteten Mandats der EZB. 73 Siehe oben unter 3.1.3., S. 9 f. 74 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen […], ABl.EU 2014 Nr. L 173/90, online abrufbar http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014L0059&from=DE (letztmaliger Abruf am 20.07.15). 75 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds […], ABl.EU 2014 Nr. L 225/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02014R0806-20140730&qid=1437379339989&from=DE (letztmaliger Abruf am 20.07.15).