© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 089/20 Vereinbarkeit der Regelungen des geplanten § 6a GSA Fleisch mit dem Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Vereinbarkeit der Regelungen des geplanten § 6a GSA Fleisch mit dem Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 089/20 Abschluss der Arbeit: 22. Oktober 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Gesetzentwurf des Bundesregierung zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz 4 3. Unionsrechtliche Anforderungen an ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen 4 3.1. Vorgaben in Bezug auf die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen 5 3.1.1. Keine vorrangige Anwendung der Entsenderichtlinie 6 3.1.2. Prüfung der Dienstleistungsfreiheit 8 3.1.2.1. Eröffnung des Schutzbereiches 8 3.1.2.2. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit 8 3.1.2.3. Zum Vorliegen einer Rechtfertigungsmöglichkeit 9 3.1.2.4. Verhältnismäßigkeit 9 3.1.2.4.1. Legitimer Zweck der Maßnahme 9 3.1.2.4.2. Geeignetheit 9 3.1.2.4.3. Erforderlichkeit 10 3.1.3. Prüfung der Arbeitnehmerfreizügigkeit 13 3.1.3.1. Eröffnung des Schutzbereichs 13 3.1.3.2. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit 13 3.1.3.3. Zum Vorliegen einer Rechtfertigungsmöglichkeit 13 3.2. Vorgaben in Bezug auf den Einsatz von Leiharbeit 14 4. Unionsrechtliche Bewertung des Kooperationsverbotes gem. des neuen § 6a Abs. 1 GSA ( Art. 2, 5. Des Gesetzentwurfs des Bundesregierung zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz 14 4.1. Vereinbarkeit des Kooperationsverbotes mit der Niederlassungsfreiheit 14 4.1.1. Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit 15 4.1.2. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit 15 4.1.3. Zwischenergebnis 16 4.2. Vereinbarkeit des Kooperationsverbotes mit den europäischen Grundrechten 16 5. Fazit 17 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa wurde um Prüfung gebeten, ob die Regelungen des geplanten § 6a GSA im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzkontrollgesetz ) mit dem Unionsrecht vereinbar sind. 2. Gesetzentwurf des Bundesregierung zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz der Bundesregierung vom 31. August 20201, reagiert diese auf anhaltend problematischen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Diese rückten im Rahmen der Corona-Pandemie durch COVID-19-Ausbrüche in mehreren deutschen Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetrieben in den Fokus der Öffentlichkeit . Da trotz verstärkter Maßnahmen und Initiativen zur Verbesserung der Arbeits- und Unterbringungsbedingungen nach wie vor Missstände festzustellen seien, bestünde Handlungsbedarf . Kernstück des Gesetzentwurfs ist ein geplantes Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen in der Fleischindustrie. Das Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) soll durch einen neuen § 6a ergänzt werden, in welchem neben dem Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie auch Arbeitnehmerüberlassungen untersagt werden und ein sog. Kooperationsverbot (dazu unter 4.) eingeführt wird. Verstöße gegen die Verbote des geplanten § 6a GSA Fleisch sollen gem. den geplanten §§ 6b und 6c GSA Fleisch von der Zollverwaltung überprüft werden und strafbewährt sein. 3. Unionsrechtliche Anforderungen an ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen Fraglich ist, ob ein nationales Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Soweit von dem geplanten Verbot des § 6a GSA Fleisch auch die grenzüberschreitende Entsendung oder Überlassung von ArbeitnehmerInnen erfasst ist, könnte es gegen die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV verstoßen (hierzu unter 3.1.). In diesem Zusammenhang ist auf die Bedeutung der Entsenderichtlinie2 einzugehen. Darüber hinaus könnte ein solches Verbot im Hinblick auf Arbeitnehmerüberlassungen auch ungeachtet eines grenzüberschreitenden Bezugs gegen Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie3 verstoßen (hierzu unter 3.2.). 1 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz, abrufbar unter: https://dip21.bundestag .de/dip21/btd/19/219/1921978.pdf. 2 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. 3 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 5 3.1. Vorgaben in Bezug auf die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen Aus primärrechtlicher Sicht wird das Recht zur grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmer Innen von der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV geschützt.4 Auch die Überlassung von ArbeitnehmerInnen stellt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine von dieser Vertragsbestimmung erfasste Dienstleistung dar.5 Hierauf kann sich sowohl die die Dienstleistung erbringende Person, als auch der/die EmpfängerIn der Dienstleistung berufen.6 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Schutz entsandter ArbeitnehmerInnen während ihrer Entsendung im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit von der Entsenderichtlinie erfasst wird (Art. 1). Konkret wird durch Art. 3 Abs. 1 der Entsenderichtlinie festgelegt, in Hinblick auf welche Aspekte die „Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ des Aufnahmemitgliedstaates zu beachten sind, ohne jedoch den Inhalt der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu harmonisieren .7 Nach der Rechtsprechung des EuGH wird durch diese Vorschrift der Grad an Schutz vorgegeben, den der Aufnahmemitgliedstaat in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen zugunsten der von diesen in sein Hoheitsgebiet entsandten ArbeitnehmerInnen abzuverlangen berechtigt ist.8 Für andere als in dieser Vorschrift aufgeführte Aspekte darf der Aufnahmemitgliedstaat Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen nur nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 10 Entsenderichtlinie anwenden. Von der hiernach im Verhältnis zur Dienstleistungsfreiheit somit grundsätzlich vorrangigen Anwendung der speziellen Vorgaben der Entsenderichtlinie sieht der EuGH lediglich dann ab, wenn die in Rede stehende nationale Regelung „die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen […] nicht unmittelbar betrifft“.9 Derartige nationale Maßnahmen unterfallen nicht der Entsenderichtlinie und sind daher am Maßstab der Dienstleistungsfreiheit zu überprüfen.10 Da ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Art. 3 Abs. 1 Entsenderichtlinie – wie sogleich zu zeigen sein wird – nicht unmittelbar im Sinne dieser Rechtsprechung betrifft (hierzu unter 3.1.1.), ist im 4 EuGH, Rs. C-113/89, Rush Portuguesa, Rn. 11 f. 5 EuGH, Rs. C-493/99, Kommission/Deutschland, Rn. 18. In bestimmten Konstellationen der Arbeitnehmerüberlassung kann allerdings auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit maßgeblich sein, EuGH, Rs. C-113/89, Rush Portuguesa , Rn. 16. 6 EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 54. 7 EuGH, Rs. C-522/12, Isbir, Rn. 33. 8 EuGH, Rs. C-346/06, Rüffert, Rn. 33. 9 EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 46. 10 Vgl. EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 52. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 6 Weiteren die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV als Prüfungsmaßstab heranzuziehen (hierzu unter 3.1.2.). 3.1.1. Keine vorrangige Anwendung der Entsenderichtlinie Fraglich ist folglich, ob die Entsenderichtlinie vorliegend vorrangig anzuwenden ist. Die Entsenderichtlinie findet sowohl auf die grenzüberschreitende Entsendung als auch Überlassung von ArbeitnehmerInnen Anwendung (Art. 1 Abs. 3). Die für den Schutz der entsandten ArbeitnehmerInnen maßgebliche Vorschrift in Art. 3 Entsenderichtlinie bezieht sich (in der ab 30. Juli 2020 maßgeblichen Fassung11) nach ihrem Abs. 1 Buchst. a bis i auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bezüglich folgender Aspekte: „a) Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten; b) bezahlter Mindestjahresurlaub; c) Entlohnung, einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme; d) Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen ; e) Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz; f) Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Schwangeren und Wöchnerinnen, Kindern und Jugendlichen; g) Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie andere Nichtdiskriminierungsbestimmungen ; h) Bedingungen für die Unterkünfte von Arbeitnehmern, wenn sie vom Arbeitgeber für Arbeitnehmer, die von ihrem regelmäßigen Arbeitsplatz entfernt sind, zur Verfügung gestellt werden; i) Zulagen oder Kostenerstattungen zur Deckung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten für Arbeitnehmer, die aus beruflichen Gründen nicht zu Hause wohnen.“ Nach der Gesetzesbegründung des Bundesregierung zielt das geplante Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen zwar allgemein darauf ab, die Einhaltung der Arbeits - und Beschäftigungsbedingungen der ArbeitnehmerInnen insbesondere im Hinblick auf die 11 Siehe Art. 3 der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass in Bezug auf die Richtlinie 2018/957 aktuell eine Nichtigkeitsklage beim EuGH anhängig ist, siehe Rs. C-620/18. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 7 Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz (Buchst. b) und die Bedingungen für die Unterkünfte (Buchst. h) zu verbessern.12 Allerdings gestaltet ein solches Verbot die Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen nicht inhaltlich aus, indem es etwa konkrete Anforderungen in Bezug auf die Unterkünfte für ArbeitnehmerInnen formulieren würde. Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Verbote sollen dabei ausweislich seiner Begründung zu einer Verbesserung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen führen, indem sie Verantwortlichkeiten offenlegen und so zu einer effektiven Kontrolle beitragen sollen.13 Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage14 ergibt sich, dass das Vorhaben wohl insbesondere auf Schwierigkeiten der Kontrolle der der Einhaltung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bei Subunternehmern abzielt.15 Derartige Schwierigkeiten würden sich durch eine direkte Anstellung der betreffenden ArbeitnehmerInnen bei dem jeweiligen Betrieb weitestgehend erübrigen . Zur Frage der Anwendung des Art. 3 Entsenderichtlinie auf ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen liegt zwar, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung des EuGH vor. Soweit man ein solches Verbot im Lichte des Gesetzentwurfs jedoch als ein Element eines Systems wirksamer Kontrollen begreift, ließe sich auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache De Clercq verweisen. Darin hatte der EuGH festgestellt, dass bestimmte nationale Maßnahmen , die gewährleisten sollen, dass die zuständigen „Behörden wirksame Kontrollen vornehmen können, um die Einhaltung der […] Arbeits‑ und Beschäftigungsbedingungen sicherzustellen“, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gemäß Art. 3 Abs. 1 Entsenderichtlinie nicht unmittelbar betreffen und somit nicht in ihren Anwendungsbereich fallen.16 12 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz , S. 19, 20. 13 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz , S. 24, 25. 14 Im Vorfeld zum Gesetzgebungsverfahren, zu einem Eckpunkte-Papier der Bundesregierung vom 20. Mai 2020, welches inhaltlich übereinstimmende Verbote vorsah. 15 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 19/6041 – Arbeitsschutzkontrollen in Deutschland, Bundestagsdrucksache 19/7218 vom 22. Januar 2019, S. 4: „Die Überwachung des Arbeitsschutzes bei Subunternehmern und insbesondere in Subunternehmer-“ketten“, bei denen ausländische Beschäftigte oder Subunternehmer involviert sind, dies ist gerade in den sicherheitskritischen Branchen wie im Baugewerbe, bei Schlachthöfen, in der Abfallwirtschaft häufig der Fall, stellt für den Vollzug des Arbeitsschutzgesetzes und der entsprechenden Vorschriften eine grundsätzliche Herausforderung dar, etwa weil aufwändige Recherchen über den Arbeitgeberstatus etc. erforderlich sind“. 16 EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 46 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 8 Im Ergebnis dürfte vorliegend davon auszugehen sein, dass ein solches Verbot nicht den in der Rechtsprechung geforderten Unmittelbarkeitsbezug erfüllt und die Entsendrichtlinie somit nicht anwendbar ist. 3.1.2. Prüfung der Dienstleistungsfreiheit Fraglich ist mithin, ob das Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen mit der Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 AEUV vereinbar ist. 3.1.2.1. Eröffnung des Schutzbereiches Das Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen müsste zunächst in den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit fallen. Gemäß der Rechtsprechung des EuGH fällt das Recht zur grenzüberschreitenden Entsendung von ArbeitnehmerInnen in den sachlichen Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 AEUV.17 Unternehmen aus dem europäischen Ausland werden zudem Unionsbürgern gleichgestellt und sind gem. Art. 62 i.V.m. 54 Abs. 1 AEUV vom persönlichen Schutzbereich erfasst. Auch der notwendige grenzüberschreitende Bezug liegt in Fällen vor, in denen ein Werkvertragsunternehmen aus einem anderen Mitgliedstaat in Deutschland tätig wird oder ArbeiterInnen aus dem Ausland entsendet. Der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ist folglich eröffnet. 3.1.2.2. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verlangt Art. 56 AEUV „nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Umstands , dass er in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist als dem, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort rechtmäßig vergleichbare Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden , zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.“18 Soweit ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen nicht ausschließlich auf Entsendungen durch EU-ausländische Unternehmen anwendbar ist, ist darin keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu sehen. Anhaltspunkte für eine mittelbare Diskriminierung sind nicht ersichtlich. Allerdings unterbindet ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen die grenzüberschreitende Entsendung und Überlassung von ArbeitnehmerInnen in dem betreffenden Bereich und stellt somit eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar. 17 EuGH, Rs. C-113/89, Rush Portuguesa, Rn. 11 f. 18 Vgl. EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq, Rn. 53, dort mwN. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 9 3.1.2.3. Zum Vorliegen einer Rechtfertigungsmöglichkeit Die durch eine nationale Maßnahme bewirkte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit kann gerechtfertigt sein, wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruht und geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was dazu erforderlich ist.19 Die mit dem Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen bezweckte Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten dient letztlich der Einhaltung bestimmter Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (wie Sicherheit, Gesundheit und Hygiene am Arbeitsplatz und die Unterkunftsbedingungen für die ArbeitnehmerInnen), die zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen. 3.1.2.4. Verhältnismäßigkeit Das Verbot müsste zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Dieser verlangt , dass die gegenständliche Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt und geeignet ist, die Erreichung des rechtmäßig verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hierzu Erforderliche hinauszugehen.20 3.1.2.4.1. Legitimer Zweck der Maßnahme Wie bereits dargestellt, zielt der Gesetzentwurf der Bundesregierung darauf ab, die Einhaltung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der ArbeitnehmerInnen insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit, Gesundheitsschutz und Hygiene am Arbeitsplatz und die Bedingungen für die Unterkünfte zu verbessern. Insbesondere soll durch diese Maßnahmen das derzeitige Infektionsgeschehen im Rahmen der Corona-Pandemie in Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetrieben eingeschränkt werden. Ein legitimer Zweck liegt mithin vor. 3.1.2.4.2. Geeignetheit Das Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen müsste zudem geeignet sein, diese Ziele zu fördern. Da die Beschäftigungsverhältnisse in den fraglichen Betrieben durch ein entsprechendes Verbot von Fremdpersonal deutlich klarer nachzuvollziehen wären und zudem derzeitige zur Umgehung von arbeitsrechtlichen und arbeitsschutzrechtlichen Regelungen etablierte Vorgehensweisen unterbunden würden, ist dieses geeignet, den legitimen Zweck der Maßnahme zu fördern. 19 EuGH, Rs. C-577/10, Kommission/Belgien, Rn. 44, 49. 20 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV, Rn. 51. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 10 3.1.2.4.3. Erforderlichkeit Fraglich ist allerdings, ob die Maßnahmen auch erforderlich sind. Dies ist der Fall, soweit kein gleichsam wirksames, aber milderes Mittel ersichtlich ist. In seiner Rechtsprechung hat sich der EuGH bereits mit dem von mitgliedstaatlicher Seite geltend gemachten Bedürfnis für besondere Maßnahmen zur Gewährleistung einer wirksamen Kontrolle von Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und Arbeitnehmer Innen in den Aufnahmemitgliedstaat entsenden, befasst und anerkannt, dass sich die Kontrollmöglichkeiten insoweit unterscheiden: „48 Der Gerichtshof hat nämlich bereits festgestellt, dass zwischen Unternehmen, die in dem Mitgliedstaat niedergelassen sind, in dessen Hoheitsgebiet die Dienstleistung erbracht wird, und Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind und Erwerbstätige in den erstgenannten Mitgliedstaat entsenden, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, objektive Unterschiede bestehen, was die Möglichkeit betrifft, über die die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Dienstleistung erbracht wird, verfügen, um die Einhaltung der Regeln zu prüfen, mit denen gewährleistet werden soll, dass die Rechte beachtet werden, die Erwerbstätigen im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats durch dessen nationale Rechtsvorschriften eingeräumt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2001, Finalarte u. a., C‑49/98, C‑50/98, C‑52/98 bis C‑54/98 und C‑68/98 bis C‑71/98, Slg. 2001, I‑7831, Randnrn. 63, 64 und 73). […]“21 In den betreffenden Fällen ging es allerdings stets um Maßnahmen, die die grenzüberschreitende Entsendung von ArbeitnehmerInnen nicht als solche untersagten, sondern lediglich die Kontrollen in Bezug auf die (grundsätzlich erlaubte) Entsendung betrafen.22 Bei einem Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen erscheint es daher angezeigt, besonders zu prüfen, ob dieses unter Berücksichtigung seiner konkreten Begründung und Ausgestaltung tatsächlich erforderlich ist, um die Einhaltung bestimmter Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sicherstellen zu können. Dabei obliegt es nach der Rechtsprechung des EuGH dem Mitgliedstaat die Erforderlichkeit der betreffenden Maßnahme „hinreichend überzeugend“ darzulegen.23 Hieran dürften bei einem Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen, das eine besonders einschneidende Beschränkung des von der Dienstleistungsfreiheit umfassten Rechts zur grenzüberschreitenden Entsendung von ArbeitnehmerInnen bewirkt, hohe Anforderungen zu stellen sein. Dies ergibt sich vorliegend auch daraus, dass die Union mit der Richtlinie 2014/67/EU24 einen 21 EuGH, Rs. C‑577/10, Kommission/Belgien, Rn. 48. 22 Die betreffenden Fälle betrafen insbesondere Meldepflichten, EuGH, Rs. C‑577/10, Kommission/Belgien; EuGH, Rs. C‑315/13, De Clercq. 23 EuGH, Rs. C‑577/10, Kommission/Belgien, Rn. 55. 24 Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt -Informationssystems („IMI-Verordnung“ ) Text von Bedeutung für den EWR. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 11 rechtlichen Rahmen zur Gewährleistung u.a. der „Durchsetzung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen “ im Aufnahmemitgliedstaat geschaffen hat, wodurch letztlich die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit erleichtert werden soll (vgl. Art. 1 der Richtlinie 2014/67/EU, Art. 53 Abs. 1 AEUV). Vor diesem Hintergrund wäre ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen wohl allenfalls zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber konkret darlegt, dass selbst unter Ausschöpfung aller in der Richtlinie 2014/67/EU vorgesehenen und auf ihrer Grundlage zulässigen Mittel (u.a. in Bezug auf Verwaltungszusammenarbeit, Überwachung der Einhaltung, Durchsetzung, Haftung, Sanktionen), eine wirksame Kontrolle aufgrund außergewöhnlicher Umstände in dem betreffenden Sektor praktisch nicht hinreichend gewährleistet werden kann. Für das Vorliegen solcher die Fleischindustrie im Besonderen betreffenden Umstände könnte die im Vergleich zu anderen Lebensmittelindustrien hohe Rate von Fremdpersonal in den Betrieben sprechen. So würden in der Fleischindustrie laut Gesetzesbegründung Werkvertragsarbeitnehmer Innen weitestgehend in Bereichen eingesetzt, die das Kerngeschäft ausmachen (Schlachtung, Zerlegung, Verarbeitung), weshalb ihr Anteil in Betrieben der Fleischindustrie vielfach über 50 Prozent liege.25 Aus Nordrhein-Westphalen lägen zudem Informationen vor, wonach die Quote der WerkvertragsarbeitnehmerInnen in manchen Betrieben in den Kernbereichen sogar bei 100 Prozent liege und pro Produktionsstandort bis zu 30 Werkvertragsunternehmen beteiligt seien. Das unübersichtliche Nebeneinander verschiedener Beschäftigungsverhältnisse sei dabei mangels klarer Verantwortlichkeiten ursächlich für arbeitsschutzrechtliche und arbeitsrechtliche Verstöße und Arbeitsunfälle in den Betrieben.26 Dass derartige Anstellungsstrukturen in den Betrieben die Einhaltung des Arbeitsschutzes beeinträchtigen und die behördliche Kontrolle massiv erschweren, könnte vorliegend für die Erforderlichkeit der Beschränkungen sprechen. Zudem befänden sich gerade ausländische MitarbeiterInnen in der Fleischindustrie aufgrund von Sprachbarrieren und der in der Branche häufigen Verknüpfung von Arbeitsverträgen mit Mietverträgen in einem ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnis und seien deshalb als besonders schutzbedürftig zu bewerten. Durch weitere, teils rechtswidrige Praktiken, werde ihnen zudem in vielen Fällen die Durchsetzung ihrer Rechte erschwert.27 Da etwa häufig auf den Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrags verzichtet werde28 und wie dargestellt in der Regel mehrere Subun- 25 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz , S. 3, 20. 26 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz , S. 20, 21, 22. 27 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz , S. 23. 28 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz , S. 23. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 12 ternehmerInnen in denselben Betrieben und Bereichen beschäftigt seien, ließe sich die Arbeibtgeber Inneneigenschaft im Rahmen des behördlichen Vorgehens häufig nicht aufklären. Diese Umstände führten zum einen dazu, dass die Kooperation der ArbeitnehmerInnen mit der Behörde erschwert werde und zum anderen behördliche Kontrollen zusätzlich beeinträchtigt werden. Fraglich ist, ob die Erhöhung der Kontrolldichte und die Schaffung neuer Kompetenzen zur besseren Durchsetzung bestehender Regelungen geeignete mildere Mittel darstellen. Gegen diese Annahme spricht allerdings, dass mit dem GSA Fleisch bereits Sonderregelungen für eine erhöhte Kontrolle in der Fleischindustrie bestehen, diese allein aber nicht zum gewünschten Erfolgt führten . Auch eine Selbstverpflichtung betroffener Betriebe stellt, auf Grund ihres nicht verpflichtenden Charakters, gerade kein gleichgeeignetes Mittel dar. Ferner stellt auch die zusätzliche Einführung von (höheren) Bußgeldern im Falle von Verstößen gegen bereits existierende Regelungen vorliegend gerade kein milderes, gleich geeignetes Mittel dar. Zwar ist, wie im Falle aller Buß- und Ordnungsgelder, von einer gewissen Abschreckungswirkung auf die BetriebsinhaberInnen auszugehen. Die entsprechende Nachverfolgung von Verstößen , welche letztlich erst zu einer Verhängung von Strafen führen kann allerdings, ist wie dargestellt nicht gewährleistet. So kann eine (höhere) Strafandrohung gerade nicht die Schwierigkeiten bei der behördlichen Kontrolle und der Kooperation mit betroffenen ArbeitnehmerInnen beseitigen . Insbesondere im Bereich des Infektionsschutzes scheint zudem ein Vorgehen, welches bestehende Strukturen weitestgehend beibehält (Selbtverpflichtungen, höhere Bußgelder) nicht geeignet , das erhöhte Infektionsgeschehen in Betrieben der Fleischindustrie einzudämmen. Die Verknüpfung von die Ausbreitung begünstigender Umstände in den Betrieben, wie die in der Fleischverarbeitung zwangsläufig niedrige Temperatur am Arbeitsort mit der vorherrschenden Unterbringungssituation von Werkvertrags- und LeiharbeitnehmerInnen führt, das zeigt das Infektionsgeschehen , zu einer schwer kontrollierbaren Situation. Die für die Fleischindustrie typische Unterbringung vieler ArbeitnehmerInnen in Massenunterkünften, der fehlende Raum um auch in Pausenzeiten den Mindestabstand einzuhalten sowie mangelnde Hygieneangebote gehen mit den seit Jahren bemängelten Verstößen gegen den Arbeitsschutz in der Branche einher. Diese zeigen sich in der aktuellen Krise besonders drastisch und sprechen daher ebenfalls für die Annahme der Erforderlichkeit des Verbots. Ein milderes Mittel könnte zwar die Verpflichtung der Betriebe zur Überarbeitung der Situation in den Unterkünften, kombiniert mit der Verpflichtung zur Verbesserung der Hygieneangebote am Arbeitsplatz darstellen. Die Tatsache, dass sich auch die übrigen Probleme in der Branche nicht durch strengere Auflagen für Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen zufriedenstellend auflösen ließen, spricht allerdings gegen die Geeignetheit weiterer Arbeitsschutzregelungen . Auch eine schnelle Einführung etwaiger Verpflichtungen ist daher nicht im gleichen Maße geeignet die Infektionsgefahr zu beschränken, wie ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen. Im Ergebnis handelt es sich bei der Beurteilung der Erforderlichkeit des Verbots von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen um eine Abwägungsfrage, in die insbesondere auch medizinische und epidemiologische Argumente einfließen müssen. Anhand der in der Gesetzesbegründung dargestellten Ausgangslage ist eine Rechtfertigung der Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit durch das Verbot allerdings als gut begründbar zu bewerten. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 13 3.1.3. Prüfung der Arbeitnehmerfreizügigkeit Das Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen könnte zudem gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit gem. Art. 45 AEUV verstoßen. 3.1.3.1. Eröffnung des Schutzbereichs Auch der Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist, in Bezug auf ArbeitnehmerInnen aus dem europäischen Ausland, welche in Deutschland im Rahmen von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen in der Fleischindustrie tätig sind, eröffnet. 3.1.3.2. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit Zwar stellt das Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen keine Diskriminierung ausländischer ArbeitnehmerInnen dar, die Arbeitnehmerfreizügigkeit verbietet allerdings nach der sog. Bosman-Formel des EuGH auch alle anderen "Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen.“29 Das geplante Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen würde zwangsläufig zu einer Umstrukturierung der Beschäftigungsstrukturen führen, die zur Folge hätte, dass Werkvertrags- und LeiharbeitnehmerInnen in der Fleischindustrie nicht mehr beschäftigt würden. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme/Neuanstellung von Mitarbeiter Innen zur Deckung des Bedarfs hoch, dennoch beeinträchtigt das Verbot die Rechte der betroffenen Personen maßgeblich. So ist denkbar, dass MitarbeiterInnen von Werkvertrags- oder Leiharbeitsunternehmen aus verschiedenen Gründen gerade keine Festanstellung anstreben und durch die Regelungen in der konkreten Ausgestaltung ihrer Anstellungsverhältnisses beeinträchtigt werden. Eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit liegt vor. 3.1.3.3. Zum Vorliegen einer Rechtfertigungsmöglichkeit Die Anforderungen an die Rechtfertigung der Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit entsprechen den unter 3.1.2.4.3. in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit dargestellten. Auch hier ist vom Vorliegen zwingender Gründe des Allgemeininteresses, der Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, auszugehen. In Bezug auf die Verhältnismäßigkeitserwägungen ist vorliegend zudem hinzuzufügen, dass das Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen gerade den Anforderungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu entsprechen versucht. Die derzeitige Situation in der Fleischindustrie führt ausweislich der Gesetzesbegründung zu einer besonders hohen Gefährdung ausländischer 29 EuGH Rs. C-415/93, Bosman. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 14 ArbeitnehmerInnen.30 Die übrigen Verhältnismäßigkeitserwägungen sind im Wesentlichen übertragbar , mit dem Ergebnis, dass wohl auch die Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen ist. 3.2. Vorgaben in Bezug auf den Einsatz von Leiharbeit Ein Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen könnte gegen Art. 4 Leiharbeitsrichtlinie verstoßen, wonach „Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit […] nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt [sind]“. Zu dieser Vorschrift liegt, soweit ersichtlich, bislang nur ein einziges Urteil des EuGH vor. Darin stellt der EuGH fest, dass diese Vorschrift ausschließlich eine an die mitgliedstaatlichen Behörden gerichtete Überprüfungsverpflichtung enthält, jedoch keine Verpflichtung begründet, Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 gerechtfertigt sind.31 Vor diesem Hintergrund ist auf diese Vorschrift an dieser Stelle nicht näher einzugehen. 4. Unionsrechtliche Bewertung des Kooperationsverbotes gem. des neuen § 6a Abs. 1 GSA ( Art. 2, 5. Des Gesetzentwurfs des Bundesregierung zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz Neben dem Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen sieht der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zudem ein sog. Kooperationsverbot für Betriebe der Fleischindustrie vor. Der geplante § 6a Abs. 1 GSA regelt dabei, dass ein Betrieb oder eine vom Gesetz neu definierte „übergreifende Organisation“ der Fleischverarbeitung nur einen Inhaber haben darf, vgl. § 6a Abs. 1 GSA Fleisch. Dazu wird der Begriff des Betriebsinhabers in § 6a Abs. 3 GSA Fleisch abweichend vom Betriebsverfassungsgesetz definiert. Ergänzend wird im geplanten § 6a Abs. 4 GSA Fleisch die überbetriebliche Organisation definiert, auch diese darf nur einen Inhaber haben, vgl. § 6a Abs. 1 GSA Fleisch. Sie ist immer dann gegeben, wenn in einem überbetrieblichen , nicht notwendig räumlich zusammenhängenden Produktionsverbund „die Arbeitsabläufe im Bereich der … Fleischverarbeitung aufeinander abgestimmt sind“. Ein Verstoß hiergegen ist mittelbar über § 7 Abs. 1 Nr. 1-3 GSA Fleisch als Ordnungswidrigkeit sanktioniert. Fraglich ist, ob dieses sog. Kooperationsverbot mit dem Unionsrecht vereinbar ist. 4.1. Vereinbarkeit des Kooperationsverbotes mit der Niederlassungsfreiheit Zunächst könnte auch das sog. Kooperationsverbot eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV darstellen. 30 Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz , S. 22, 33. 31 EuGH, Rs. C-533/13, AKT, Rn. 32. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 15 4.1.1. Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit Vom persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit sind sowohl Unionsbürger als natürliche Personen als auch juristische Personen aus den Mitgliedstaaten erfasst, vgl. Art. 49 i.V.m. 54 UA 1 AUEV. Der sachliche Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit umfasst laut Rechtsprechung des EuGH „die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit".32 Dabei muss es sich zudem um eine selbständige Tätigkeit handeln und es muss ein grenzüberschreitender Bezug vorliegen.33 Die vom sachlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit im Rahmen dieser Tätigkeit geschützten Verhaltensweisen reichen dabei von der Aufnahme einer Tätigkeit/Einrichtung einer Niederlassung über die Ausübung bis hin zum Aufenthalt im jeweiligen Mitgliedstaat nach Beendigung der Tätigkeit. Der Betrieb eines von den Regelungen des GSA Fleisch erfassten Unternehmens durch eine aus einem anderen Mitgliedstaat stammende natürliche oder juristische Person, stellt eine in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallende Tätigkeit dar. 4.1.2. Zum Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit Fraglich ist allerdings, ob das sog. Kooperationsverbot eine der laut Rechtsprechung geschützten Verhaltensweisen beeinträchtigt. Eine Diskriminierung durch das sog. Kooperationsverbot, welches für in- und ausländische Betriebe der Fleischindustrie gleichermaßen gilt, liegt nicht vor. Nach heutiger Rechtsprechung des EuGH enthält die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV allerdings, ebenso wie die anderen Grundfreiheiten, ein allgemeines Beschränkungsverbot und verbietet somit alle Maßnahmen, die die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindern oder weniger attraktiv machen können.34 Der Betrieb eines in den Anwendungsbereich des GSA Fleisch fallenden Unternehmens wird durch die Regelung des geplanten § 6a Abs. 1 GSA Fleisch gerade nicht verboten. Es sollen vielmehr Vorgaben zur Betriebsführung, konkret zur Inhabereigenschaft, eingeführt werden, welche die Ausübung der Niederlassungsfreiheit allenfalls mittelbar betreffen. Jede Niederlassung ist auch mit der Eingliederung in die innerstaatliche Rechtsordnung verbunden und wäre grundsätzlich tatbestandlich relevant für die Niederlassungsfreiheit.35 Da es gerade 32 EuGH, Rs. C-221/89, Factortame. 33 Korte, in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 16, 19. 34 Korte, in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 49. 35 Kainer, in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 61. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 16 der Zweck einer Niederlassung ist, die Standortbedingungen des jeweiligen Mitgliedstaates zu nutzen, kann nicht umgekehrt jede damit verbundene Anpassung zugleich eine Beschränkung darstellen.36 Nach Rechtsprechung des EuGH ist es daher geboten, den Tatbestand des Beschränkungsverbotes auf Maßnahmen zu begrenzen, welche den Marktzugang bei einer grenzüberschreitenden Niederlassung behindern.37 Regelungen die hingegen lediglich die Modalitäten der Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit betreffen, sollen demnach grundsätzlich keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen. Ausnahmsweise kann eine Ausübungsregelung jedoch marktzugangsbeschränkende Wirkung entfalten, wenn sie eine prohibitive (marktzugangsversperrende ) Wirkung hat.38 Bei der fraglichen Inhaberregelung des geplanten § 6a Abs. 1 GSA Fleisch handelt es sich um eine Regelung des innerstaatlichen Rechts, welche als reine Ausübungsregelung zu bewerten ist. Da sie zudem keine prohibitive Wirkung auf den Marktzugang bei Niederlassung eines ausländischen Unternehmens in Deutschland hat, ist bereits nicht vom Vorliegen einer Beschränkung im Sinne des Art. 49 AEUV auszugehen. 4.1.3. Zwischenergebnis Die Inhaberregelung des geplanten § 6a Abs. 1 GSA Fleisch stellt mangels Beschränkung keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV dar. 4.2. Vereinbarkeit des Kooperationsverbotes mit den europäischen Grundrechten Das Kooperationsverbot könnte außerdem gegen die Unternehmerfreiheit aus Art. 16 der europäischen Grundrechtecharta (GRC) verstoßen. Diese zählt zwar zum europäischen Primärrecht, gilt aber für die Mitgliedstaaten gem. Art. 51 Abs. 1 GRC ausschließlich bei Durchführung des Rechts der Union. Sowohl bei dem geplanten Arbeitsschutzkontrollgesetz als auch bei dem GSA Fleisch, welches durch Art. 2 des geplanten Gesetzes um den § 6a (Abs. 1) ergänzt werden soll, handelt es sich um nationales Recht. Obwohl die genaue Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Art. 51 Abs. GRC umstritten ist39, ist dieser im vorliegenden Fall ausgehend von der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH hierzu nicht eröffnet. Ein Verstoß gegen die Rechte der Europäischen Grundrechtecharta liegt folglich nicht vor. 36 Kainer, in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 61. 37 Vgl. EuGH, Rs. C-577/11, DKV Belgium, Rn. 33; EuGH, Rs. C-565/08, Kommission/Italien, Rn. 46; EuGH Rs. C- 400/08, Kommission/Spanien. 38 Vgl. EuGH, Rs. C-142/05, Mickelsson und Roos; EuGH, Rs. I-4273, Rn. 25 ff. (für die Warenverkehrsfreiheit); Kainer, in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 49 AEUV, Rn. 66. 39 Vgl. etwa Jarass, Charta der Grundrechte der EU, Art. 51 Abs. 1 GRC, Rn. 28. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 089/20 Seite 17 5. Fazit Das Verbot von Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen stellt eine Beeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar. Eine Rechtfertigung der Beeinträchtigungen ist allerdings aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gut vertretbar . Das im geplanten § 6a Abs. 1 GSA Fleisch festgelegte sog. Kooperationsverbot stellt nach der hier vertretenen Ansicht wohl bereits keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Im Falle der Annahme einer Beschränkung, bestünde für diese allerdings ebenfalls die Möglichkeit der Rechtfertigung aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses. Ein Verstoß gegen die Rechte der europäischen Grundrechtecharta liegt nicht vor. - Fachbereich Europa -