© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 89/17 Abstimmung im Berufungsausschuss Konsequenzen nationaler Innenrechtsverstöße Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 89/17 Seite 2 Abstimmung im Berufungsausschuss Konsequenzen nationaler Innenrechtsverstöße Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 89/17 Abschluss der Arbeit: 30.11.2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 89/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vorgaben der einschlägigen Geschäftsordnungen 4 3. Konsequenzen auf Unionsebene 5 3.1. Vorgaben des Sekundärrechts und der Geschäftsordnung 5 3.2. Vorgaben des Primärrechts 6 4. Fazit 7 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 89/17 Seite 4 1. Fragestellung Am 27. November 2017 haben die Vertreter der Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed – SCPAFF) dem Kommissionsentwurf einer Durchführungsverordnung zugestimmt, mit welcher der Pflanzenschutzmittelwirkstoff Glyphosat für die Dauer von fünf Jahren erneut zugelassen wird.1 Der Vertreter der Bundesregierung hatte der Zulassung zugestimmt , obwohl zwischen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein Dissens über die Frage der Neuzulassung von Glyphosat bestand und sich der deutsche Vertreter in den vorangegangenen Abstimmungen im Ausschuss aus diesem Grund stets enthalten hatte.2 Vor diesem Hintergrund ist der Fachbereich um Auskunft ersucht worden, welche Konsequenzen der nationale Dissens der beiden Minister für die Zulassungsentscheidung hat. 2. Vorgaben der einschlägigen Geschäftsordnungen Fraglich ist zunächst, ob das Vorgehen des deutschen Vertreters im Berufungsausschuss im Einklang mit den Vorgaben der einschlägigen Geschäftsordnungen steht. § 9 der Geschäftsordnung der Bundesregierung3 lautet: „Der Geschäftsbereich der einzelnen Bundesminister wird in den Grundzügen durch den Bundeskanzler festgelegt. Bei Überschneidungen und sich daraus ergebenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Bundesministern entscheidet die Bundesregierung durch Beschluss.“ Laut Presseberichten hat es keinen Beschluss der Bundesregierung zur Zulassung von Glyphosat gegeben.4 Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien5 bestimmt in ihrem Kapitel 5 zur Zusammenarbeit in § 19 Abs. 1: „In Angelegenheiten, die die Geschäftsbereiche mehrerer Bundesministerien berühren, arbeiten diese zusammen, um die Einheitlichkeit der Maßnahmen und Erklärungen der Bundesregierung zu gewährleisten. Für die rechtzeitige und umfassende Beteiligung ist das federführende Bundesministerium verantwortlich.“ § 19 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung bestimmt: „Solange Meinungsverschiedenheiten bestehen, darf das federführende Bundesministerium keine allgemein bindenden Entscheidungen treffen, die das Einvernehmen anderer Bundesministerien voraussetzen.“ In Abschnitt 8 zu Völkerrechtlichen Verträgen und Vorhaben im Rahmen der EU des Kapitels 6 der Geschäftsordnung der Bundesministerien steht § 74 1 Protokoll der Sitzung am 27.11.2017, abrufbar unter https://ec.europa.eu/food/sites/food/files /plant/docs/sc_phyto_20171127_pppl_summary.pdf. 2 https://www.tagesschau.de/ausland/glyphosat-verlaengert-103.html. 3 Geschäftsordnung der Bundesregierung, abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Statische- Seiten/Breg/regierung-und-verfassung-geschaeftsordnung-der-bundesregierung.html. 4 „Das Gift“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.11.2017, S. 3. 5 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien, abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/Shared- Docs/downloads/DE/themen/moderne-verwaltung/ggo.pdf?__blob=publicationFile&v=2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 89/17 Seite 5 Abs. 6, demzufolge „die Haltung der Bundesregierung zu Vorhaben der Europäischen Union […] in den Gremien der Europäischen Union einheitlich darzustellen“ ist. Diesen Vorgaben einer einheitlichen, abgestimmten Vorgehensweise widerspricht das Verhalten des deutschen Vertreters im Ausschuss wie es sich in der Presse darstellt. Ergänzend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Geschäftsordnung der Bundesregierung und die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien sog. Innenrecht darstellen, welches unmittelbar nur die jeweiligen Organwalter bindet und ohne Außenwirkung für andere Verfassungsorgane oder die Bürger ist.6 Konsequenz des Rechtstatus als Innenrecht ist nach der wohl herrschenden Meinung in der Literatur, dass die Verletzung von Bestimmungen der Geschäftsordnungen durch einen Außenrechtsakt grundsätzlich keine Auswirkungen auf dessen Wirksamkeit hat.7 Aus Gründen der Rechtssicherheit als Element des Rechtsstaatsprinzips ist der Außenrechtsakt wirksam, denn die Trennung zwischen Außenrecht und Innenrecht erfolgt gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen.8 Nach der wohl herrschenden Meinung in der Literatur führt ein Handeln entgegen der Geschäftsordnung in Bezug auf einen Außenrechtsakt nicht zu dessen Unwirksamkeit, es sei denn der Verstoß gegen die Geschäftsordnung stellt zugleich einen Verstoß gegen das Grundgesetz dar. 3. Konsequenzen auf Unionsebene 3.1. Vorgaben des Sekundärrechts und der Geschäftsordnung Die unionsrechtlichen Verfahrensvorgaben für Abstimmungen über Durchführungsverordnungen in einem der zuständigen Fachausschüsse oder dem Berufungsausschuss finden sich im Wesentlichen in der Komitologie-Verordnung (EU) Nr. 182/2011.9 Art. 6 Abs. 3 der Komitologie-Verordnung bestimmt, dass die Kommission einen Durchführungsrechtsakt erlässt, wenn der Berufungsausschuss diesbezüglich eine befürwortende Stellungnahme abgibt. Wird keine Stellungnahme abgegeben, so kann die Kommission den Durchführungsrechtsakt erlassen. Gibt der Berufungsausschuss eine ablehnende Stellungnahme ab, so erlässt die Kommission den Durchführungsrechtsakt nicht. 6 Detterbeck, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band 3, 2005, § 66, Rn. 55. 7 Epping, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck‘scher Onlinekommentar Grundgesetz, 34. Edition, Stand: 15.08.2017, Art. 65 GG, Rn. 19; Detterbeck, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band 3, 2005, § 66, Rn. 59; Schmidt, Die Geschäftsordnungen der Verfassungsorgane als individuell-abstrakte Regelungen des Innenrechts , AöR 128 (2003), S. 608 (643). 8 Schmidt, Die Geschäftsordnungen der Verfassungsorgane als individuell-abstrakte Regelungen des Innenrechts, AöR 128 (2003), S. 608 (643). 9 Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. L 55/13 vom 28.2.2011, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R0182&qid=1511946180241&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 89/17 Seite 6 Die Geschäftsordnung des Berufungsausschusses10 bestimmt in ihrem Art. 4 Abs. 3, dass der Berufungsausschuss seine Stellungnahme gemäß Art. 6 Abs. 1 der Komitologie-Verordnung mit qualifizierter Mehrheit abgibt. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung gilt jeder Mitgliedstaat als ein Mitglied des Berufungsausschusses. Weitere Vorgaben zur Bindungswirkung des Abstimmungsverhaltens der nationalen Vertreter im (Berufungs-)Ausschuss enthalten weder die Komitologie-Verordnung noch die Geschäftsordnung des Berufungsausschusses. 3.2. Vorgaben des Primärrechts Im Primärrecht existieren keine speziellen Vorgaben für das Abstimmungsverhalten der Mitgliedstaaten in Fachausschüssen oder dem Berufungsausschuss zum Erlass von Durchführungsverordnungen . Es existieren jedoch primärrechtliche Vorgaben zu der Abstimmung der Mitgliedstaaten im Rat. Art. 16 Abs. 2 EUV legt fest, dass das Abstimmungsverhalten der Ratsmitglieder der jeweiligen Regierung verbindlich zugerechnet wird. Nach der herrschenden Meinung in der Literatur folgt daraus, dass gegen nationales Recht verstoßendes Abstimmungsverhalten eines nationalen Vertreters im Rat nach Unionsrecht gültig ist.11 Weder Vertretungsmängel noch der Verstoß eines Regierungsmitglieds gegen einen ihn bindenden Kabinettsbeschluss hätten demnach Auswirkungen auf die Gültigkeit des vom Rat beschlossenen Rechtsakts.12 Nichts anderes kann für das Abstimmungsverhalten der nationalen Vertreter in einem mitgliedstaatlich besetzten Ausschuss bzw. Berufungsausschuss gelten. In beiden Fällen gilt die Erwägung , dass es die europäische Rechtssicherheit erfordert, dass die Stimmenabgabe eines Mitgliedstaats nicht aus nationalen Gründen wieder rückgängig gemacht werden kann. Aus dem Grund der Rechtssicherheit herrscht auch im Völkerrecht der in Art. 46 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über „das Recht der Verträge13 kodifizierte Grundsatz, dass ein Staat sich 10 Geschäftsordnung des Berufungsausschusses (Verordnung (EU) Nr. 182/2011), vom Berufungsausschuss angenommen am 29. März 2011, ABl. C 183/5 vom 24.6.2011, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011Q0624(01)&from=DE. 11 Obwexer, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 16 EUV, Rn. 35; Epping, in: Vedder/Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, 2012, Art. 16 EUV, Rn. 16; Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 16 EUV, Rn. 7. 12 Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 16 EUV, Rn. 16. 13 Gesetz zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge vom 3.8.1985, BGBl. 1985 II, S. 926 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 89/17 Seite 7 nicht darauf berufen kann, seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen ausgedrückt worden und daher ungültig sei“.14 4. Fazit Mangels ausdrücklicher Vorgaben in der Komitologie-Verordnung oder der Geschäftsordnung des Berufungsausschusses sprechen die besseren Gründe für die Annahme, dass das Abstimmungsverhalten der nationalen Vertreter im Ausschuss dem jeweiligen Mitgliedstaat verbindlich zugerechnet wird (wie in Art. 16 Abs. 2 EUV in Bezug auf den Rat vorgegeben) und die Missachtung nationalen Innenrechts durch Vertreter der Mitgliedstaaten im Berufungsausschuss ohne Bedeutung für die Rechtsbindung des verabschiedeten Rechtsaktes ist. – Fachbereich Europa – 14 Ausführlich zum Hintergrund sowie Sinn und Zweck dieser Regel: Rensmann, in: Dörr/Schmalenbach, Vienna Convention on the law of Treaties – a commentary, 2012, Art. 46 WVK, Rn. 1 ff.