© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 088/19 Immobilienerwerb durch ausländische Investoren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 088/19 Seite 2 Immobilienerwerb durch ausländische Investoren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 088/19 Abschluss der Arbeit: 25.09.2010 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 088/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Europarechtlicher Prüfungsmaßstab für Erwerbsbeschränkungen von Immobilien 4 2.1. Kapitalverkehrsfreiheit 4 2.2. Niederlassungsfreiheit 4 2.3. Arbeitnehmerfreizügigkeit 4 2.4. Abgrenzung 5 3. Eingriff durch ein Erwerbsverbot 5 4. Rechtfertigung einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs 6 5. Ergebnis 7 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 088/19 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich ist um Auskunft gebeten worden, ob ein an ausländische Investoren gerichtetes Verbot eines Mitgliedstaats, Immobilien innerhalb seines Staatsgebietes zu erwerben, mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. 2. Europarechtlicher Prüfungsmaßstab für Erwerbsbeschränkungen von Immobilien 2.1. Kapitalverkehrsfreiheit Gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Der Kapitalverkehr ist in Art. 63 AEUV nicht näher definiert. Der EuGH hat zur Definition des Begriffs in ständiger Rechtsprechung hilfsweise auf die Nomenklatur des Anhangs I der Kapitalverkehrs-Richtlinie 88/3611 zurückgegriffen.2 Gemäß Anhang I der Richtlinie gehören zum Kapitalverkehr Immobilieninvestitionen . Dazu zählen ausdrücklich auch die Immobilieninvestitionen von Gebietsfremden im Gebiet eines Mitgliedstaats. 2.2. Niederlassungsfreiheit Art. 49 Abs. 1 Satz 1 AEUV verbietet die Beschränkung der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats. Art. 50 Abs. 1 AEUV ermächtigt das Europäische Parlament und den Rat Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit zu erlassen. Gemäß Art. 50 Abs. 2 lit. e AEUV sind sie dabei insbesondere ermächtigt , den Erwerb und die Nutzung von Grundbesitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch Angehörige eines anderen Mitgliedstaats zu ermöglichen. Aus Art. 50 Abs. 2 lit. e AEUV folgt somit, dass die Niederlassungsfreiheit auch den Erwerb der für die Niederlassung erforderlichen gewerblich genutzten Immobilien umfasst. Soweit der Erwerb von Immobilien zur auf Dauer angelegten Ausübung des Gewerbes in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich ist, ist dieser Erwerb vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst.3 2.3. Arbeitnehmerfreizügigkeit Grundsätzlich beinhaltet die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 43 AEUV nicht die Freiheit des Immobilienerwerbs. Allerdings stellt der Zugang zu einer Wohnung und zum Eigentum an der Wohnung nach Ansicht des EuGH eine notwendige Ergänzung zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar.4 Dieser Anspruch ist ausdrücklich im Sekundärrecht der EU festgehalten. Gemäß Art. 9 1 Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages, ABl. 1988, Nr. L 178/5, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:31988L0361. 2 EuGH, Urt. v. 12.2.2009, Rs. C‑67/08 – Block, Rn. 19 m.w.N. 3 Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EL 62, Stand: Juli 2017, Art. 63 AEUV, Rn. 309. 4 EuGH, Urt. v. 30.5.1989, Rs. C-305/87 - Kommission/Griechenland, Rn. 18. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 088/19 Seite 5 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/20115 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union genießen Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt sind, hinsichtlich einer Wohnung, einschließlich der Erlangung des Eigentums an der von ihnen benötigten Wohnung, alle Rechte und Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer. 2.4. Abgrenzung Zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten im Zusammenhang mit dem Immobilienerwerb hat der EuGH ausgeführt, dass eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmungen über das Niederlassungsrecht grundsätzlich sei, dass eine dauernde Präsenz im Aufnahmemitgliedstaat sichergestellt werde und dass im Fall des Erwerbs und des Besitzes von Grundstücken deren Verwaltung aktiv erfolge.6 Der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit ist in Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten insbesondere dann eröffnet, wenn ein „passiver“ Immobilienerwerb vorliegt, beispielsweise ein Ferienhaus zum Eigengebrauch und/oder zur Fremdvermietung erworben wird.7 In einem Urteil aus 2018 hat der EuGH allerdings betont, dass „das Recht, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats Immobilien zu erwerben, zu nutzen und darüber zu verfügen, wenn es ergänzend zum Niederlassungsrecht ausgeübt wird, zu Kapitalverkehr führt.“8 Auch wenn die fragliche Regelung a priori unter beide Grundfreiheiten fallen könne, würden etwaige aus ihr resultierende Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit im Kontext der Ausgangsverfahren eine unvermeidliche Folge der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen und damit keine eigenständige Prüfung der Regelung anhand von Art. 49 AEUV rechtfertigen.9 Diesem Urteil zufolge dürfte die Kapitalverkehrsfreiheit den Prüfungsmaßstab für eine Regelung bilden, welche den Immobilienerwerb von ausländischen Investoren in den jeweiligen Mitgliedstaaten ausschließen . 3. Eingriff durch ein Erwerbsverbot Der Kern der europäischen Grundfreiheiten ist der Schutz des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs .10 Die Grundfreiheiten verbieten in ihrem jeweiligen Bereich zum einen alle Maß- 5 Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, ABl. 2011, Nr. L 141/1, abrufbar unter https://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02011R0492-20160512&from=DE. 6 EuGH, Urt. v. 11.10.2007, Rs. C-451/05 – ELISA, Rn. 64 m.w.N. 7 Lange, Europarechtliche Vereinbarkeit von Grunderwerbsbeschränkungen – Analyse der Rechtsprechung des EuGH, EWS 2004, S. 389 (392). 8 EuGH, Urt. v. 6.3.2018, Rs. C‑52/16 und C‑113/16 – SEGRO, Rn. 54. 9 EuGH, Urt. v. 6.3.2018, Rs. C‑52/16 und C‑113/16 – SEGRO, Rn. 55. 10 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EL 42, Stand: September 2000, Art. 45 AEUV, Rn. 204. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 088/19 Seite 6 nahmen, die sich unmittelbar oder mittelbar, offen oder verdeckt im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr diskriminierend zu Lasten von Bürgern oder Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten auswirken.11 Zum anderen verbieten sie Beschränkungen der Grundfreiheiten, welche rein faktisch den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr behindern.12 Ein Verbot des Immobilienerwerbs für ausländische Investoren im jeweiligen Mitgliedstaat stellt eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, soweit eine derartige Regelung auf die Nationalität des Investors abstellt. Soweit – anders als bei der vorliegend zugrunde liegenden Fragestellung – ein Erwerbsverbot nicht an die Nationalität eines Investors sondern an seinen Standort im Ausland anknüpfte, könnte dieses eine mittelbare Diskriminierung darstellen, bei der auf ein anderes Unterscheidungskriterium als das der Staatsangehörigkeit zurückgegriffen, im Ergebnis jedoch auch eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bewirkt wird, weil typischerweise Angehörige eines bestimmten Mitgliedstaats das Kriterium erfüllen bzw. nicht erfüllen.13 Da im Ausland ansässige Investoren häufig auch EU-Ausländer sein dürften, dürfte ein an im Ausland ansässige Investoren gerichtetes Erwerbsverbot, das anders als die diesem Sachstand zugrundliegende Fragestellung , nicht auf die Staatsangehörigkeit abstellte, als mittelbare Diskriminierung zu werten sein.14 Nach der Rechtsprechung des EuGH führten auch nicht unmittelbar oder mittelbar diskriminierende Einschränkungen des Immobilienerwerbs zu einer nach Art. 63 AEUV verbotenen Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten.15 4. Rechtfertigung einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs Eine Rechtfertigung von Eingriffen in die Kapitalverkehrsfreiheit, die zur unterschiedlichen Behandlung eigener Staatsangehöriger und Angehöriger der EU-Mitgliedstaaten führen und keine willkürliche Diskriminierung darstellen (Art. 63 Abs. 3 AEUV), ist nur möglich, soweit sie – unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – aus den in Art. 65 AEUV genannten Gründen erfolgte.16 Diese dürften für das hier in Frage stehende Erwerbsverbot nicht einschlägig sein. Die als Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in Grundfreiheiten anerkannten ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe können nur Eingriffe rechtfertigen, die weder unmittelbar noch mittelbar 11 Sedlaczek/Züger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Rn. 4 ff. 12 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EL 42, Stand: September 2000, Art. 45 AEUV, Rn. 204. 13 Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 18 AEUV, Rn. 12. 14 Sedlaczek/Züger, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018 Rn. 9 ff.; Lange, Europarechtliche Vereinbarkeit von Grunderwerbsbeschränkungen – Analyse der Rechtsprechung des EuGH, EWS 2004, S. 389 (393 f.). 15 EuGH, Urt. v. 25.1.2007, Rs. C‑370/05 – Festersen, Rn. 25. 16 Art. 65 Abs. 1 lit. b) AEUV nennt beispielsweise die Verhinderung von Zuwiderhandlungen gegen die innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 088/19 Seite 7 diskriminierend sind.17 Hierauf ließe sich ein Erwerbsverbot für ausländische Investoren mithin nicht stützen. 5. Ergebnis Ein an ausländische Investoren gerichtetes Verbot eines Mitgliedstaates, Immobilien innerhalb seines eigenen Staatsgebietes zu erwerben, dürfte – soweit dieses Erwerbsverbot auf die Staatsangehörigkeit des Erwerbers abstellt – mit dem Recht der Europäischen Union nicht vereinbar sein. Eine abschließende Beurteilung der Europarechtskonformität ist nur auf Grundlage einer konkreten Regelung möglich. – Fachbereich Europa – 17 EuGH, Urt. v. 5.3.2002, verb. Rs. C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99 – Reisch u.a., Rn. 33; EuGH, Urt. v. 25.1.2007, Rs. C-370/05 – Festersen, Rn. 26; EuGH, Urt. v. 23.9.2013, Rs C-452/01 – Ospelt, Rn. 34; EuGH, Urt. v. 28.1.2016, Rs. C-375/14 – Laezza, Rn. 26, für die Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit; EuGH, Urt. v. 8.6.2017, Rs. C-296/15 – Medisanus, Rn. 80, für die Warenverkehrsfreiheit. In der Literatur wird diese Differenzierung auch kritisiert mit der Begründung, sie zwänge die Interessenabwägung in ein formales Korsett, das der Komplexität der Konflikte zwischen mitgliedstaatlicher Regelungsgewalt und Wirtschaftsintegration kaum gerecht werde, von Wilmowsky in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten , 4. Auflage 2014, § 12, Rn. 13.