© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 88/15 Der Vorschlag zur Einführung einer Kapazitätsreserve im Lichte des EU-Beihilferechts Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 2 Der Vorschlag zur Einführung einer Kapazitätsreserve im Lichte des EU-Beihilferechts Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 88/15 Abschluss der Arbeit: 23.07.2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund und Fragestellung 4 2. Grundzüge des EU-Beihilferechts 4 2.1. Materielles Beihilferecht 4 2.2. Vollzug des Beihilferechts 5 2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren 5 2.2.2. Freistellungsverordnungen und ex-post-Kontrolle 6 2.3. Relevante Aspekte für die vorliegende Ausarbeitung 7 3. Kapazitätsreserve und Einbeziehung von Braunkohlekraftwerksblöcken im Lichte des EU- Beihilferechts 7 3.1. Konzept der Kapazitätsreserve und der Einbeziehung von Braunkohlekraftwerksblöcken 8 3.2. Beihilferechtliche Einschätzung der Kapazitätsreserve 9 3.2.1. Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV? 9 3.2.1.1. Begünstigung 10 3.2.1.1.1. Vergütung für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 11 3.2.1.1.2. Vergütung im Rahmen der Kapazitätsreserve 12 3.2.1.2. Staatlichkeit der Mittel 12 3.2.1.2.1. Umlagefinanzierung 12 3.2.1.2.2. Finanzierung nach dem Verursacherprinzip 13 3.2.1.3. Die übrigen Beihilfemerkmale 13 3.2.2. Rechtfertigung nach Maßgabe der Energiebeihilfeleitlinien 14 3.2.2.1. Erforderlichkeit staatlicher Maßnahmen 15 3.2.2.2. Geeignetheit 15 3.2.2.3. Angemessenheit 16 3.2.2.4. Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel 16 3.2.3. Zusammenfassung 17 3.3. Beihilferechtliche Einschätzung der Einbeziehung von Braunkohlekraftwerksblöcken in die Kapazitätsreserve 17 3.3.1. Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV 18 3.3.1.1. Einbeziehung ohne Ausschreibung 18 3.3.1.2. Zusätzliche Gegenleistung 18 3.3.2. Rechtfertigung 20 3.3.2.1. Rechtfertigung nach Maßgabe der Energiebeihilfeleitlinien 20 3.3.2.2. Rechtfertigung aus Gründen des Umweltschutzes 21 3.3.3. Zusammenfassung 21 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 4 1. Hintergrund und Fragestellung Am 1. Juli 2015 haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD eine politische Vereinbarung über Eckpunkte der Energiewende getroffen (im Folgenden: politische Eckpunkte).1 Zu diesen Eckpunkten zählt u. a. die Einführung einer sog. Kapazitätsreserve, in welche auch Braunkohlekraftwerksanlagen einbezogen werden sollen. Der Fachbereich wird in diesem Zusammenhang um eine beihilferechtliche Bewertung dieser beiden Elemente der politischen Vereinbarung ersucht. Aufgrund der allgemein formulierten Aussagen sowie der noch vorzunehmenden Ausgestaltung der genannten Eckpunkte ist vorliegend nur eine erste und keinesfalls abschließende Einschätzung möglich. Diese wird mit einer kurzen Einführung in die Grundzüge des EU-Beihilferechts (siehe unter 2.) eingeleitet. Anschließend erfolgt die Untersuchung des Vorschlags zur Kapazitätsreserve im Lichte des EU-Beihilferechts untersucht (siehe unter 3.). 2. Grundzüge des EU-Beihilferechts 2.1. Materielles Beihilferecht Den materiellen Kern des EU-Beihilferechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen . Das Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV gilt allerdings nicht absolut, sondern nur insoweit, als in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen „anderen Bestimmungen“ zählt vor allem Art. 107 Abs. 3 AEUV.2 Danach können Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden (Ermessensausnahme). 1 „Eckpunkte für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende – Politische Vereinbarung der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD vom 1. Juli 2015“, online aufrufbar auf den Seiten des BMWi unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/E/eckpunkte-energiewende,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache =de,rwb=true.pdf (letztmaliger Abruf am 24.07.15). 2 Weitere primärrechtliche Vorschriften in diesem Zusammenhang sind die hier nicht relevanten Art. 107 Abs. 2 AEUV (zwingende Legalausnahmen), Art. 93 AEUV für den Verkehrsbereich und Art. 106 Abs. 2 AEUV für Unternehmen , die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 5 2.2. Vollzug des Beihilferechts Der Vollzug des EU-Beihilferechts obliegt auf Grundlage von Art. 108 AEUV vor allem der Kommission .3 In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind dabei zwei Ansätze zu unterscheiden: eine primärrechtlich angelegte ex-ante-Prüfung (siehe unter 2.2.1.) und eine sekundärrechtlich geprägte ex-post-Kontrolle (siehe unter 2.2.2). 2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren Nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV sowie der sekundärrechtlichen Konkretisierung in Gestalt der Beihilfenverfahrensordnung4 können mitgliedstaatliche Vorhaben zum einen vorab (präventiv) überprüft werden. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist hierbei die Pflicht der Mitgliedstaaten , Beihilfen vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV). Diese prüft sodann, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und ob sie insbesondere nach Art. 107 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt werden kann. Erst im Anschluss hieran darf der betreffende Mitgliedstaat die Beihilfe gewähren (sog. Durchführungsverbot , vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV). Der Notifizierung und eigentlichen Einleitung eines Beihilfeverfahrens gehen oftmals sog. Pränotifizierungsgespräche voraus, die einen informellen Charakter haben und durch Kommissionshinweise auf benötigte Informationen seitens des notifizierenden Mitgliedstaats der Verfahrensbeschleunigung dienen.5 Insbesondere im Zusammenhang mit den in Art. 107 Abs. 3 AEUV geregelten Ausnahmen kommt der Kommission bei deren Prüfung ein weites Ermessen zu, welches sie nach Maßgabe komplexer wirtschaftlicher und sozialer Wertungen ausübt, die auf die Union als Ganzes zu beziehen sind.6 Dieses Ermessen ist gerichtlich – anders als die Frage, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 3 Zu den wenigen, zum Teil auf Ausnahmesituationen beschränkten Kompetenzen des Rates im EU-Beihilfenrecht nach Art. 107 Abs. 3 lit. e, Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 sowie Art. 109 AEUV, vgl. allgemein Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfen- und Vergaberecht, 2007 (im Folgenden: Frenz, Beihilfen- und Vergaberecht), Rn. 1224 ff. 4 Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags, ABl.EU 1999 Nr. L 83/1 (konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1417182877791&uri=CELEX:01999R0659-20130820 (letztmaliger Abruf am 24.07.15). 5 Siehe hierzu Generaldirektion Wettbewerb der Kommission, State Aid – Manual of Procedures, Section 4, S. , online abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/state_aid/studies_reports/sa_manproc_en.pdf (letztmaliger Abruf am 24.07.15). 6 Vgl. Kreuschitz, in: Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht) - Band 3: Beihilfen- und Vergaberecht, 2011 (im Folgenden: MüKo- Wettbewerbsrecht), Art. 107 AEUV, Rn. 523. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 6 107 Abs. 1 AEUV vorliegt oder nicht – nur daraufhin überprüfbar, ob eine offensichtlich fehlerhafte Würdigung des betreffenden Sachverhalts oder ein Ermessensmissbrauch vorliegt.7 Die Unionsgerichte dürfen bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausübung dieser Entscheidungsfreiheit die Beurteilung der Kommission nicht durch eine eigene Beurteilung ersetzen.8 Von hoher praktischer Bedeutung sind an dieser Stelle daher zahlreiche Sekundärrechtsakte, in denen die Kommission einerseits ihre Ermessenspraxis u. a. zur Auslegung des Art. 107 Abs. 3 AEUV und andererseits die beihilferechtliche Rechtsprechung der Unionsgerichte verschriftlicht hat, um die Rechtssicherheit (Vorhersehbarkeit) und Transparenz ihres Entscheidungsprozesses zu erhöhen.9 Zu diesen Rechtsakten gehören sowohl rechtlich verbindliche als auch nicht verbindliche Maßnahmen, wobei letztere – ähnlich wie nationale Verwaltungsvorschriften – zumindest eine Selbstbindung der Kommission begründen.10 Zur Gruppe der erstgenannten Akte zählt etwa die De-Minimis-Verordnung, in der festgelegt wird, ab welchen Schwellenwerten der staatlichen Förderung das EU-Beihilferecht überhaupt zur Anwendung gelangt.11 Nicht verbindliche Vorschriften werden in Form sog. Leitlinien, Unionsrahmen und Mitteilungen12 erlassen. Die Einhaltung der darin enthaltenen Vorgaben gewährleistet in der Regel einen positiven Ausgang des Beihilfeverfahrens. Im vorliegenden Kontext sind insbesondere die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen13 (im Folgenden: Energiebeihilfeleitlinien) von Bedeutung. 2.2.2. Freistellungsverordnungen und ex-post-Kontrolle Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Notifizierung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte vorab bekannt gegebene materielle und formale Anforderungen eingehalten werden.14 Diese Anforderungen ergeben sich aus sog. Freistellungsverordnungen, die 7 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-333/07 (Société Régie Networks), Slg. 2008, I-10807, Rn. 78. 8 Vgl. bspw. EuGH, Rs. C-456/00 (Frankreich/Kommission), Slg. 2002, I-11949, Rn. 41. 9 Cremer, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 107 AEUV, Rn. 4. 10 Vgl. bspw. EuGH, Rs. C-288/96 (Deutschland/Deutschland), Slg. 2000, I-8237, Rn. 62; EuGH, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Slg. 2002, I-2289, Rn. 52. 11 Vgl. aktuelle die Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen, ABl.EU 2013 Nr. L 352/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R1407&qid=1417597248357&from=DE – letztmaliger Abruf am 24.07.15. 12 Ein Gesamtüberblick über die verschiedenen Rechtsakte findet sich auf den Seiten der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission unter http://ec.europa.eu/competition/state_aid/legislation/compilation/index_de.html (Stand vom 15.04.2014). Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der ermessenskonkretisierenden Kommissionsakte , vgl. Frenz, Beihilfe- und Vergaberecht (Fn. 3), Rn. 747 ff. 13 Mitteilung der Kommission, ABl.EU 2014 Nr. C 200/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52014XC0628(01)&from=DE (letztmaliger Abruf am 24.07.15). 14 Dieser Bereich des Beihilferechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilferechtsreform („State Aid Modernisation “) ausgebaut, vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilferecht, NJW 2014, S. 3128 (3130). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 7 die Kommission auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer sie dazu ermächtigenden Verordnung des Rates im Sinne des Art. 109 AEUV erlassen kann.15 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt . Die Kommission kann die gleichwohl zu meldende Gewährung solcher Beihilfen jedoch nachträglich kontrollieren. Derzeit maßgeblich ist die im Juni 2014 neu erlassene sog. allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung16 (im Folgenden: AGVO), die auch verschiedene Kategorien von Umweltschutz- und Energiebeihilfen vorsieht. Das Kommissionsmonitoring ist hingegen in den Art. 10 ff. AGVO geregelt. 2.3. Relevante Aspekte für die vorliegende Ausarbeitung Wie bereits angedeutet, ist vorliegend der Bereich der Energiebeihilfen betroffen. In materieller Hinsicht stellen sich dabei sowohl Fragen nach dem Vorliegen der Beihilfemerkmale im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV als auch solche nach der Rechtfertigung gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV. In Bezug auf letzteres sind – soweit ersichtlich – allein die in den Energiebeihilfeleitlinien geregelten Beihilfen zur Förderung einer angemessenen Stromerzeugung von Relevanz (vgl. dort Tz. 216 ff.). Eine Anwendung der AGVO kommt daher nicht in Betracht, so dass in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine Notifizierung bei und Vorabprüfung durch die Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV geboten ist. Nach telefonischen Auskünften durch das BMWi sollen demnächst Pränotifizierungsgespräche mit der Kommission aufgenommen werden. 3. Kapazitätsreserve und Einbeziehung von Braunkohlekraftwerksblöcken im Lichte des EU- Beihilferechts Im Hinblick auf die beihilferechtliche Einschätzung der Kapazitätsreserve sowie der geplanten Einbeziehung der Braunkohlekraftwerksblöcke soll zunächst Konzept beschrieben werden, welches in den politischen Eckpunkten festgelegt wurde (siehe unter 3.1.). Anschließend werden die Kapazitätsreserve (siehe unter 3.2.) und die Einbeziehung der Braunkohlekraftwerke (siehe unter 3.3.) jeweils getrennt im Lichte des EU-Beihilferechts beleuchtet. 15 Bei der Verordnung des Rates auf Grundlage von Art. 109 AEUV handelt es sich um die Verordnung (EG) Nr. 994/98 vom 7. Mai 1998 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfe, ABl.EG 1998 Nr. L 142/1, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01998R0994- 20130820&qid=1430746279772&from=DE – letztmaliger Abruf am 24.07.15. 16 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 AEUV, ABl.EU 2014 Nr. L 187/1 (online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0651&qid=1417702206558&from=DE – letztmalig abgerufen am 24.07.15). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 8 3.1. Konzept der Kapazitätsreserve und der Einbeziehung von Braunkohlekraftwerksblöcken Ziel der Kapazitätsreserve ist ausweislich der politischen Eckpunkte eine zusätzliche Absicherung des Strommarktes 2.0 durch Vorhaltung von Stromerzeugungskapazitäten.17 Diese sollen nur dann zum Einsatz kommen, wenn im Ausnahmefall die Nachfrage an Strom am Großhandelsmarkt trotz freier Preisbildung nicht gedeckt werden kann. Anders als bei einem Kapazitätsmarkt erfolgt die Vorhaltung von Stromerzeugungskapazitäten bei der Kapazitätsreserve nur durch solche Kraftwerke, die nicht am Strommarkt teilnehmen. Sie stehen somit nicht im Wettbewerb zu solchen Kraftwerken, die für den Strommarkt produzieren und beeinflussen daher auch nicht die dort erfolgende Preisbildung. In den politischen Eckpunkten finden sich keine Hinweise auf Auswahl, Vergütung und Finanzierung der in die Kapazitätsreserve einzubeziehenden Kraftwerke. Geht man insoweit von den bereits vorher von Seiten des BMWi zur Verfügung gestellten Informationen aus, so sollen die Reservekraftwerke wettbewerblich ausgeschrieben werden.18 Mitbieten können alle Kraftwerke unabhängig vom verwendeten Energieträger und der eingesetzten Techologie, wobei die günstigsten Kraftwerke den Zuschlag erhalten sollen, also diejenigen mit den geringsten Kosten für die Vorhaltung von Stromerzeugungskapazitäten.19 Wie und durch wen diese Kosten im Ergebnis vergütet werden, lässt sich den Informationen hingegen nicht eindeutig entnehmen. Nach Maßgabe des Verursacherprinzips sollen in jedem Fall die Stromlieferanten herangezogen werden, die zu wenig Strom eingekauft und dadurch den Einsatz der Kapazitätsreserve (mit-)verursacht haben.20 Deren Beitrag soll nach telefonischer Auskunft durch das BMWi allerdings nur die Kosten für den konkreten Einsatz der Kapazitätsreserve decken (v. a. Brennstoffkosten). Die reinen Vorhaltekosten sollen dagegen über eine Umlage finanziert werden, wobei deren Ausgestaltung noch nicht feststeht. Das so ausgestaltete Konzept der (reinen) Kapazitätsreserve wurde in der politischen Vereinbarung um ein weiteres Element ergänzt: Als Alternative zum bisherigen Vorschlag des BMWi zur 17 Vgl. hierzu und den nachfolgenden Ausführungen, Politische Eckpunkte (o. Fn. 1), S. 4. 18 Vgl. etwa BMWi, Eckpunkte Papier „Strommarkt“ für die Energieklausur mit den Koalitionsfraktionen vom 21. März 2015, S. 4, online abrufbar unter http://phasenpruefer.info/wp-content/uploads/2015/03/Eckpunkte-Papier -f%C3%BCr-Klausur.pdf (letztmaliger Abruf am 24.07.15). 19 Vgl. BMWi, Die Kapazitätsreserve, S. 3, online abrufbar unter http://phasenpruefer.info/wp-content/uploads /2015/03/Erl%C3%A4uterung-Kapazit%C3%A4tsreserve.pdf (letztmaliger Abruf am 24.07.15). 20 Von einer Tragung aller Kosten einschließlich der Vorhaltung ausgehend, BMWi, Grünbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“, Kap. 11, S. 52. Ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Vorhaltekosten, BMWi, Die Kapazitätsreserve (O. Fn. 19), S. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 9 Einführung eines Klimabeitrags21 sehen die politischen Eckpunkte vor, dass auch Braunkohlekraftwerke in einem Umfang von 2,7 GW Bestandteil der Kapazitätsreserve werden.22 Dorthin sollen sie auf vertraglicher Basis überführt und anschließend schrittweise stillgelegt werden. Hierfür sollen die Betreiber eine kostenbasierte Vergütung auf Basis der zum Zeitpunkt der Verhandlungen verfügbaren Marktdaten erhalten. Details sollen zunächst mit den Betreibern vertraglich geregelt und dann gesetzlich umgesetzt werden. Die dabei entstehenden Kosten sollen in der gleichen Weise wie bei der sonstigen Kapazitätsreserve getragen werden: nach Verursacherprinzip hinsichtlich des konkreten Einsatzes und durch Umlage hinsichtlich der reinen Vorhaltekosten. Eine Entscheidung über die Ausgestaltung der letzteren ist nach Auskünften des BMWi ebenfalls noch nicht gefallen. Vergleicht man diesen Aspekt der politischen Vereinbarung mit der ursprünglich projektierten Kapazitätsreserve, so ist zunächst festzuhalten, dass die Einbeziehung der Braunkohlekraftwerke – anders als bei sonstigen „Kapazitäts-“Kraftwerken – nicht durch Ausschreibung und auch nicht technologieneutral erfolgen soll. Ferner tritt ein weiterer Sinn und Zweck hinzu. Neben der Versorgungssicherheit als zentrales Anliegen der Kapazitätsreserve geht es bei der Einbeziehung der Braunkohlekraftwerke auch um Emissionsminderungen und damit um Klimaschutz. Da die betroffenen Braunkohlekraftwerke grundsätzlich nur Stromerzeugungskapazitäten vorhalten und nur im Ausnahmefall Strom auch produzieren sollen, werden bereits durch deren Einbeziehung und später auch durch deren Stilllegung CO2-Emissionen reduziert. 3.2. Beihilferechtliche Einschätzung der Kapazitätsreserve 3.2.1. Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV? Hinsichtlich der Frage, ob die Konstruktion der Kapazitätsreserve eine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, gilt es vorliegend insbesondere zwei Beihilfemerkmale zu untersuchen: das Vorliegen einer Begünstigung (siehe unter 3.2.1.1.) und die Staatlichkeit der Mittel (siehe unter 3.2.1.2.). Auf die übrigen Beihilfemerkmale wird abschließend kurz eingegangen (siehe unter 3.2.1.3.). 21 Siehe dazu auf den Seiten des BMWi die Ergebnisse des Task Force „CO2-Minderung“, online abrufbar unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/der-nationale-klimaschutzbeitrag-der-deutschen-stromerzeugung ,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (letztmaliger Abruf unter 24.07.15). 22 Vgl. hierzu und den nachfolgenden Ausführungen, Politische Eckpunkte (o. Fn. 1), S. 7 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 10 3.2.1.1. Begünstigung Unter einer Begünstigung wird allgemein jeder geldwerte Vorteil verstanden, dem keine angemessene Gegenleistung gegenübersteht.23 Erfasst werden v. a. positive Leistungen wie sie typischerweise bei Subventionen vorliegen.24 Das Fehlen einer angemessenen Gegenleistung ist dann anzunehmen, wenn der Begünstigte den geldwerten Vorteil unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte.25 Einen geldwerten Vorteil erhalten die in die Kapazitätsreserve einbezogenen Kraftwerksbetreiber durch die Vergütung ihrer Vorhalte- und ggf. Einsatzkosten. Für die Annahme einer Begünstigung dürfte entscheidend sein, ob die Vorhaltung von Kapazitäten und ggf. ihr Einsatz im Kapazitätsnotfall im Verhältnis zur dafür gewährten Vergütung als angemessen anzusehen sind. In einer beihilferechtlichen Kommissionentscheidung vom 23. Juli 2014 zum britischen Kapazitätsmarkt nahm die Kommission eine Begünstigung der am Kapazitätsmarkt beteiligten Betreiber an. Sie verwies dabei allein auf den Umstand, dass durch die Vergütung der zur Verfügung gestellten Kapazitäten eine zusätzlicher geldwerter Vorteil gewährt wird, der über das hinausgeht, was die Betreiber am Strommarkt sonst erhalten hätten.26 Ob diese Argumentation auf die Konstruktion der Kapazitätsreserve übertragbar ist, erscheint höchst fraglich. Denn anderes als im britischen Fall, nehmen die Kapazitätsbetreiber eben nicht am Strommarkt teil, sondern stellen ihre Anlage ausschließlich der Kapazitätsreserve zur Verfügung . Darüber hinaus weckt die Kommissionansicht an sich bereits rechtliche Zweifel, da sie die Frage nach der angemessenen Gegenleistung im Hinblick auf die Zurverfügungstellung von Kapazitäten überhaupt nicht aufwirft. Diese Frage stellt sich jedoch in jedem Fall hinsichtlich der Kapazitätsreserve , da die alleinige Vorhaltung von jederzeit abrufbaren Stromerzeugungskapazitäten aufgrund des damit verbundenen Aufwandes und der Kosten ohne weiteres als Gegenleistung in Betracht zu ziehen ist. Zu klären ist allein, ob der hierfür als Vergütung gewährte Ausgleich vor dem Hintergrund dieser Gegenleistung angemessen ist. Hierfür haben sich in der Kommissionspraxis und der Rechtsprechung – je nach Beihilfekonstellation – verschiedene Ansätze herausgebildet.27 Vorliegend ist hinsichtlich der Kapazitätsreserve, 23 Arhold, in: MüKo-Wettbewerbsrecht (o. Fn. 6), Art. 107 AEUV, Rn. 107 ff. 24 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-387/92 (Banco Exterior de España), Slg. 1994, I-877, Rn. 13. (Alle Entscheidungen der EU-Gerichte sind online unter Angabe der Rs.-Nr. abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/recherche.jsf?language =de – letztmaliger Abruf am 18.06.14). Siehe auch Arhold, in: MüKo-Wettbewerbsrecht (o. Fn. 6), Art. 107 AEUV, Rn. 108. 25 Frenz, Beihilfe- und Vergaberecht (Fn. 3), Rn. 174 ff.; Arhold, in: MüKo-Wettbewerbsrecht (o. Fn. 6), Art. 107 AEUV, Rn. 143. 26 Kommission, C (2014) 5083 final, State aid SA.35980 – United Kingdom, online abrufbar unter http://ec.europa .eu/competition/state_aid/cases/253240/253240_1579271_165_2.pdf (letztmaliger Abruf am 24.07.15), Tz. 112. Siehe dazu sowie zur Beschreibung des britischen Kapazitätsmarktes auch Helbig, ER 2015, S. 9 ff. 27 Siehe den Überblick bei Kleine/Sühnel, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (Hrsg.), Europäisches Beihilferecht, 2013 (im Folgenden: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 89 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 11 deren Sinn und Zweck in einer zusätzlichen Absicherung des Strommarktes im Hinblick auf die Versorgungssicherheit besteht, von einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) auszugehen.28 3.2.1.1.1. Vergütung für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Für die Beurteilung, ob die für die Erbringung solcher Dienstleistungen gewährte Vergütung eine Beihilfe darstellt, hat der EuGH in der Rechtssache Altmark Trans folgende vier kumulativ zu erfüllende Kriterien entwickelt29: 1. Das begünstigte Unternehmen muss tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen [bzw. DAWI30] betraut und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein. 2. Die Parameter, anhand deren der Ausgleich [bzw. die Vergütung für die DAWI] berechnet wird, müssen zuvor objektiv und transparent aufgestellt werden, um zu verhindern, dass der Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber konkurrierenden Unternehmen begünstigt. Ein nachträglicher Ausgleich etwaiger Verluste ist anderenfalls als Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen. 3. Der gewährte Ausgleich darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken. Nur bei Einhaltung dieser Voraussetzung ist gewährleistet, dass dem betreffenden Unternehmen kein Vorteil gewährt wird, der dadurch, dass er die Wettbewerbsstellung dieses Unternehmens stärkt, den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht. 4. Erfolgt die Auswahl des die DAWI erbringenden Unternehmens nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge und damit nicht nach den Kriterien des wirtschaftlichsten oder günstigsten Angebots, ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die 28 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 21.12.2011, Rs. C-242/10 (ENEL), Rn. 50 ff., im Hinblick auf einen Dispatching-Dienst. Einleitend stellt der EuGH fest, dass die Mitgliedstaaten unter Beachtung des Unionsrechts berechtigt sind, den Umfang und die Organisation ihrer DAWI zu bestimmen. Siehe ferner die Auffassung der Kommission im Hinblick auf eine irische Regelung zu Kapazitätsreserven aus Gründen der Versorgungssicherheit, Kommission, C (2003) 4488 final, State aid N 475/2003 – Ireland, online abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition /state_aid/cases/137628/137628_485545_28_2.pdf (letztmaliger Abruf am 24.07.15), Tz. 19 ff. 29 EuGH, Urt. v. 24.07.03, C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 87 ff.; aus neuerer Rechtsprechung siehe EuGH, Urt. v. 08.05.2013, verb. Rs. C-197/11 und C-203/11 (Libert u. a.), Rn. 84 ff. Vgl. dazu im Einzelnen auch Kleine/Sühnel , in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (o. Fn. 27), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 189 ff. 30 Vgl. hinsichtlich der Gleichsetzung, EuG, Urt. v. 12.02.2008, Rs. T-289/03 (BUPA/Kommission), Rn. 162; dazu auch Kleine/Sühnel, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (o. Fn. 27), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 200. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 12 dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind. Werden diese Kriterien eingehalten, stellt die als Ausgleich für die Erbringung der DAWI gewährte Vergütung keine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, anderenfalls ist von einer (rechtfertigungsfähigen) Beihilfe auszugehen.31 3.2.1.1.2. Vergütung im Rahmen der Kapazitätsreserve Soweit die Vergütung für die Kapazitätsreserve hinsichtlich ihrer weiteren Ausgestaltung diesen Kriterien genügt, wäre bereits das Vorliegen einer Begünstigung und damit auch einer Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV abzulehnen. In Richtung einer solchen Ausgestaltung weist jedenfalls die Absicht, die in die Kapazitätsreserve einzubeziehenden Kraftwerke durch wettbewerbliche Ausschreibung zu ermitteln. Im Übrigen ist die weitere Konkretisierung abzuwarten. Der Information halber sei an dieser noch auf die Entscheidung der Kommission zur irischen Regelung einer Kapazitätsreserve aus dem Jahre 2003 hingewiesen, in der diese das Vorliegen aller vier Altmark-Trans-Kriterien bejaht und das Vorliegen einer Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV entsprechend verneint hat.32 3.2.1.2. Staatlichkeit der Mittel Soweit die Altmark-Trans-Kriterien nicht eingehalten werden sollen, stellt sich die Frage, ob die dann in der Vergütung liegende Begünstigung aus staatlichen Mitteln im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV stammt. Das ist nach ständiger Rechtsprechung dann der Fall, wenn sie entweder direkt durch staatliche Stellen gewährt wird oder, wenn dies über öffentliche oder private Einrichtungen erfolgt, die staatlicherseits zur Durchführung der Beihilfengewährung errichtet oder benannt worden sind, und die konkrete Gewährung dem Staat zurechenbar ist.33 Im Hinblick auf die Kapazitätsreserve gilt es insoweit zu unterscheiden zwischen der Finanzierung der Vergütung in Form der Umlage für die (reinen) Vorhaltekosten einerseits (siehe unter 3.2.1.2.1.) sowie der Finanzierung nach dem Verursacherprinzip hinsichtlich der konkreten Einsatzkosten der Kapazitätsreserve andererseits (siehe unter 3.2.1.2.2.). 3.2.1.2.1. Umlagefinanzierung Obgleich die konkrete Ausgestaltung der Umlagefinanzierung noch nicht feststeht, soll im Folgenden davon ausgegangen werden, dass eine dem Netzentgelt bzw. der EEG-Umlage ähnliche Form gewählt würde, in deren Konsequenz die Kosten von den Stromendverbrauchern getragen würden. Die beihilferechtliche Besonderheit einer solchen Konstruktion liegt in der Regel darin, 31 Vgl. EuGH, Urt. v. 24.07.03, C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 94. 32 Siehe den Nachweis oben unter Fn. 28. 33 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.05.2002, Rs. C-482/99 (Frankreich/Kommission „Stardust Marine“), Rn. 24, 37; siehe dazu auch Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 1201 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 13 dass die per Umlage bewegten Geldmittel nicht – wie bei Subventionen oder anderen Formen klassischer Beihilfen – über bzw. aus dem Staatshaushalt fließen und es somit nicht zu Belastung desselben kommt. Sowohl in der Rechtsprechung als auch von der Kommission wird eine Staatlichkeit der Mittel in solchen Fällen dem Grunde nach dennoch angenommen, wenn nur der Staat die zur Begünstigung führenden Mittel bzw. den dafür notwendigen Mittelfluss kontrolliert.34 So hat die Kommission insbesondere in ihren Beschlüssen zur Netzentgelt- und EEG-Umlage-Befreiung hinsichtlich der jeweiligen Umlagen eine Staatlichkeit der Mittel bejaht, da die Kosten der als Begünstigung anzusehenden Befreiung von der Entrichtung der Netzentgelte bzw. der EEG-Umlage durch staatliche Vorgaben und unter staatlicher Kontrolle auf alle Stromendverbraucher umgelegt wurden.35 Vor diesem Hintergrund könnte eine Umlagefinanzierung der Vorhaltekosten – vorbehaltlich einer Einordnung als Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV einerseits und der konkreten Ausgestaltung andererseits – die Voraussetzung der Staatlichkeit der Mittel erfüllen. 3.2.1.2.2. Finanzierung nach dem Verursacherprinzip Ob dies auch für die Finanzierung nach dem Verursacherprinzip gelten würde, ist fraglich. Soweit ersichtlich, ist die beihilferechtliche Relevanz derartiger Finanzierungsmodelle bisher nicht erörtert worden. Zwar würde auch ein hierdurch bestimmter Mittelfluss staatlich vorgegeben sein und eine Haushaltsbelastung vermeiden. Es erscheint aber fernliegend, aus einem anerkannten Grundsatz der Haftungsverteilung eine Staatlichkeit der Mittel abzuleiten. Jedenfalls würde das zu einer extrem weiten Auslegung dieses Beihilfemerkmals führen, die bereits im Hinblick auf die Kommissionsauffassung zur Netzentgelt- und EEG-Umlage umstritten ist.36 3.2.1.3. Die übrigen Beihilfemerkmale Läge eine auf staatlichen Mitteln beruhende Begünstigung vor, müssten nach Art. 107 Abs. 1 AEUV ferner noch die Merkmale der Selektivität, der Wettbewerbsverfälschung sowie der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels erfüllt sein. Die Selektivität erfordert, dass nur bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt werden. Ausgeschlossen und nicht beihilferelevant sind umgekehrt solche staatlichen Fördermaßnahmen , die nicht auf die Bevorzugung einzelner Wirtschaftsteilnehmer zielen, sondern un- 34 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 17.07.2008, Rs. C-206/06 (Essent Netwerk), Slg. 2008, I-5497, Rn. 65 ff. 35 Vgl. Kommission, Beschluss SA.34045 (Netzentgeltbefreiung), Rn. 37 ff.; Eröffnungsbeschluss SA.33995 (EEG- Umlagebefreiung), Rn. 81 ff. 36 Siehe dazu etwa Germelmann, Beihilferechtliche Rahmenvorgaben für staatliche Umlagesysteme - Neue Konturen für das Kriterium der staatlichen Mittel?, EWS 2013, S. 161 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 14 terschiedslos der gesamten Wirtschaft zugutekommen (etwa allgemeine Infrastrukturmaßnahmen ).37 Da die Kapazitätsvergütung nur den in die Kapazitätsreserve einbezogenen Unternehmen zugutekommen würde, wäre das Merkmal der Selektivität ohne weiteres zu bejahen. Die Merkmale der Wettbewerbsverfälschung und der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels werden – bei Vorliegen der übrigen Elemente des Art. 107 Abs. 1 AEUV – in der Regel bejaht. Denn an beide Voraussetzungen werden nur geringe Anforderungen gestellt, die allenfalls etwa aufgrund einer niedrigen Beihilfehöhe (sog. de-minimis-Beihilfen) oder besonderer Umstände verneint werden könnten.38 3.2.2. Rechtfertigung nach Maßgabe der Energiebeihilfeleitlinien Wäre je nach Ausgestaltung der Kapazitätsreserve oder der hierzu vertretenen Rechtsansichten39 eine Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzunehmen, bestünde gleichwohl die Möglichkeit , diese nach Maßgabe von Art. 107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV in Verbindung mit den Energiebeihilfeleitlinien zu rechtfertigen. Thematisch einschlägig sind die darin enthaltenen Vorgaben zu Beihilfen zur Förderung einer angemessenen Stromerzeugung. Diese beziehen sich ausdrücklich auf Systemumstellungen hin zu erneuerneuerbaren Energiequellen.40 Um den damit verbundenen Herausforderungen für die Gewährleistung einer angemessenen Stromerzeugung zu begegnen, sehen die Leitlinien bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen die Möglichkeit vor, staatliche Beihilfen für die Zurverfügungstellung von Stromerzeugungskapazitäten zu gewähren.41 Dabei weist die Kommission einleitend darauf hin, dass „Beihilfen zur Förderung der angemessenen Stromerzeugung […] im Widerspruch zu dem Ziel der schrittweisen Abschaffung umweltgefährdender Subventionen, u. a. für die Stromerzeugung auf der Basis fossiler Brennstoffe, stehen [können]. Deshalb sollten die Mitgliedstaaten vorrangig andere Ansätze zur Sicherstellung einer angemessenen Stromerzeugung wählen, die dem Ziel der allmählichen Abschaffung umweltschädigender und wirtschaftlich nachteiliger Subventionen nicht abträglich sind, zum Beispiel eine Förderung der Nachfragesteuerung und der Ausbau der Verbindungskapazität.“42 37 Vgl. zu diesem Merkmal Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 9. Aufl. 2014, Rn. 1205 ff. 38 Siehe zu diesen beiden Merkmalen Haratsch/Koenig/Pechstein, aaO, Rn. 1208 und 1209. 39 Nach telefonischen Auskünften des BMWi soll die Kommission dazu neigen, die Konstruktion der Kapazitätsreserve als beihilferelevant im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu betrachten. Welche rechtlichen Erwägungen dahinter stehen, lässt zum jetzigen Zeitpunkt verfasserseits nicht beantworten. In dogmatisch-prozeduraler Hinsicht hat dies jedoch zur Folge, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit des Beihilfevorhabens nach Maßgabe der von der Kommission vorgegeben Energiebeihilfeleitlinien zu treffen ist. Im Übrigen genießt die Kommission bei der Beurteilung auf dieser Ebene einen weiten Beurteilungsspielraum, der ihr im Hinblick auf den rechtlich umfassend überprüfbaren Beihilfetatbestand nach Art. 107 Abs. 1 AEUV grundsätzlich nicht zukommt . 40 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 216. 41 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 218 ff. 42 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 220. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 15 Die im Einzelnen nachzuweisenden Voraussetzungen sind – der Kommissionspraxis zur Beurteilung der Zulässigkeit von Beihilfen entsprechend – in fünf Kategorien eingeteilt, von denen vier beihilfekategorienspezifische Elemente enthalten: die Erforderlichkeit staatlicher Maßnahmen (siehe unter 3.2.2.1.), Geeignetheit (siehe unter 3.2.2.2.), Angemessenheit (siehe unter 3.2.2.3.) und die Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel (siehe unter 3.2.2.4.). Im Folgenden soll auf einzelne, nach jetzigem Kenntnisstand relevant erscheinende Punkte der jeweiligen Kategorien kurz eingegangen werden. Im Übrigen wird auf die Energiebeihilfeleitlinie verwiesen. Eine als Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestufte Kapazitätsreserve müsste grundsätzlich allen dort aufgeführten Voraussetzungen genügen, wobei diese der Kommission und auch den Mitgliedstaaten oftmals einen nicht unerheblichen Einschätzungsspielraum belassen. 3.2.2.1. Erforderlichkeit staatlicher Maßnahmen Hinsichtlich der Erforderlichkeit entsprechender staatlicher Maßnahmen zur Kapazitätssicherung ist zunächst vorgesehen, dass „Art und Ursachen eines Kapazitätsproblems und folglich die Erforderlichkeit einer staatlichen Beihilfe zur Sicherstellung einer angemessenen Stromerzeugung […] ordnungsgemäß analysiert und quantifiziert werden [sollten], z. B. im Hinblick auf Probleme bei der Spitzenlastkapazität und der saisonalen Kapazität sowie der Spitzennachfrage […]. Die Mitgliedstaaten sollten eindeutig nachweisen, warum nicht davon auszugehen ist, dass der Markt ohne staatliche Intervention eine angemessene Stromerzeugung sicherstellen kann […].“43 Aussagen zur Erforderlichkeit der Kapazitätsreserve lassen sich den politischen Eckpunkten nicht entnehmen. Das BMWi-eigene Papier zur Kapazitätsreserve enthält jedoch die Aussage, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland seine Jahreshöchstlast decken kann, „von verschiedenen Untersuchungen […] selbst für die Jahre 2012 und 2025 auf nahezu 100% geschätzt wird.“44 Gleichwohl wird die Einführung einer Kapazitätsreserve in Höhe von 5% der erwarteten Jahreshöchstlast von etwa 4 GW vorgeschlagen.45 Ob sich derartige Annahmen mit den von der Kommission vorgegeben Anforderungen an die Erforderlichkeit der Einrichtung einer Kapazitätsreserve vertragen, bleibt abzuwarten. 3.2.2.2. Geeignetheit In Bezug auf die Geeignetheit enthalten die Energiebeihilfeleitlinien zwei Vorgaben: zum einen sollten Beihilfen ausschließlich für die Bereitstellung von Erzeugungskapazitäten gewährt werden ; entsprechend soll nur die Bereitstellung vergütet werden, nicht aber der im Notfall im Rahmen des Kapazitätsmechanismus erzeugte Strom.46 Soweit ersichtlich, erfüllt das Konzept der Kapazitätsreserve diese Anforderung, da nur die Vorhaltekosten und die Kosten des konkreten 43 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 222 f. 44 BMWi, Die Kapazitätsreserve (o. Fn. 19), S. 1 45 BMWi, Die Kapazitätsreserve (o. Fn. 19), S. 1 46 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 225. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 16 Einsatzes (insbesondere die Brennstoffkosten) vergütet werden, nicht aber der in diesem Rahmen erzeugte Strom. Zum anderen soll die Einbeziehung von Stromerzeugungskapazitäten in die Reserve technologieneutral erfolgen: u. a. sollen auch Betreiber, die substituierbare Technologien (z.B. Lastensteuerung oder Speicherlösungen) verwenden, adressiert werden.47 Nach den bereits bestehenden Vorgaben sollen die Ausschreibungen technologieneutral durchgeführt werden, so dass dieser Voraussetzung entsprochen werden könnte. 3.2.2.3. Angemessenheit Die hinsichtlich der Angemessenheit bestehenden Voraussetzungen beinhalten Vorgaben zur Bemessung des zu gewährenden Beihilfebetrages (u. a. Berücksichtigung einer angemessenen Rendite , vorzugsweise über Durchführung einer Ausschreibung, Vermeidung von Zufallsgewinnen) und weisen zahlreiche Übereinstimmungen mit den oben dargestellten Altmark-Trans-Kriterien zur Konkretisierung des Beihilfetatbestandes nach Art. 107 Abs. 1 AEUV auf.48 Sie wären bei der weiteren Ausgestaltung des Kapazitätsmarktes entsprechend zu beachten. Eine weitere Voraussetzung könnte sich dabei u. U. als problematisch erweisen. Die Kommission fordert, dass Kapazitätsmaßnahmen „durch ihre Ausgestaltung sicherstellen [sollten], dass der Preis für die Verfügbarkeit von Erzeugungskapazität automatisch gegen Null geht, wenn davon auszugehen ist, dass die bereitgestellte Kapazität den Kapazitätsbedarf decken kann.“49 Dies ist im Rahmen einer gesonderten Kapazitätsreserve, die mit Ausnahme der anfänglichen Einbeziehung an sich keine Marktelemente aufweist und sich dadurch von der Konzeptionen eines Kapazitätsmarktes unterscheidet, nur schwerlich umzusetzen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Kommission angesichts der Wesensunterschiede zwischen einer Kapazitätsreserve einerseits und einem Kapazitätsmarkt andererseits auf die Einhaltung dieser Voraussetzung verzichtet. 3.2.2.4. Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel Zur Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel beinhalten die Energiebeihilfeleitlinien zwei Vorgaben: zum einen soll die Maßnahme so ausgestaltet sein, „dass alle Kapazitäten, die konkret zur Behebung des Erzeugungsdefizits beitragen können, an der Maßnahme teilnehmen können“, wobei u. a. folgende Faktoren zu berücksichtigen sind: Beteiligung von Stromerzeugern, die unterschiedliche Technologien einsetzen, und Beteiligung von Betreibern aus anderen Mitgliedstaaten.50 47 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 226. 48 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 228-230; vgl. insoweit auch oben unter 3.2.1.1.1., S. 11. 49 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 231. 50 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 232, Buchst. a) und b). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 17 Wie oben bereits ausgeführt wurde, sollen die Ausschreibungen technologieneutral erfolgen. Eine Beteiligung von Betreibern aus anderen Mitgliedstaaten wird zumindest in den politischen Eckpunkten nicht weiter erwähnt. Hier bleibt die weitere Ausgestaltung abzuwarten. Zum anderen sollte die Förderung u. a. nicht dazu führen, dass Anreize, in Verbindungskapazität zu investieren, verringert werden und die Marktkopplung (mit ausländischen Energiemärkten) erschwert wird; schließlich sollen im Falle technisch und wirtschaftlich vergleichbarer Parameter sollten kohlenstoffarme Stromerzeuger bevorzugt werden.51 Auch hier wird die weitere Ausgestaltung zeigen, ob die Kapazitätsreserve diesen Voraussetzungen entsprechen wird. 3.2.3. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beihilferelevanz der Kapazitätsreserve zunächst davon abhängt, ob das Beihilfemerkmal der Begünstigung vorliegt. Die Zurverfügungstellung von Kapazitätsreserven aus Gründen der Versorgungssicherheit ist als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse anzusehen, so dass eine dafür gewährte Vergütung bei Einhaltung der sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebenden vier Altmark-Trans-Kriterien nicht als Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen ist. Lässt sich eine Einhaltung im Rahmen der anstehenden Ausgestaltung des Kapazitätsreservekonzepts nicht gewährleisten, wäre hinsichtlich der geplanten Finanzierung der Vergütung in Gestalt einer Umlage wohl von dem Beihilfemerkmal der Staatlichkeit der Mittel auszugehen. An dem Vorliegen der weiteren Beihilfemerkmale bestünden dann keine Zweifel, so dass eine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV unter diesen Voraussetzungen anzunehmen wäre. Entscheidend für die unionsrechtliche Zulässigkeit wäre sodann die Rechtfertigung am Maßstab der Energiebeihilfeleitlinien. Vorbehaltlich der noch ausstehenden Ausgestaltung erscheint eine Vereinbarkeit mit den hierfür thematisch einschlägigen Leitlinienvorgaben zu Beihilfen zur Förderung einer angemessenen Stromförderung dem Grunde nach möglich. Diese Einschätzung ergibt sich insbesondere mit Blick auf den der Kapazitätsreserve zugrunde liegenden Ansatz der wettbewerblichen Ausschreibung der einzubeziehenden Anlagenbetreiber sowie der Technologieneutralität . Problematisch erscheint insoweit allein die Frage nach der Erforderlichkeit der Kapazitätsreserve an sich bzw. ihres Umfangs, wenn nach untersuchungsgestützten Angaben des BMWi die Wahrscheinlichkeit der Deckung der Jahreshöchstlast auf nahezu 100% geschätzt wird. 3.3. Beihilferechtliche Einschätzung der Einbeziehung von Braunkohlekraftwerksblöcken in die Kapazitätsreserve Auch hinsichtlich der Einbeziehung von Braunkohlekraftwerksblöcken gilt es hinsichtlich der beihilferechtlichen Einschätzung zwischen Fragen des Beihilfetatbestandes nach Art. 107 Abs. 1 AEUV einerseits (siehe unter 3.3.1.) und der Rechtfertigung andererseits (siehe unter 3.3.2.) zu unterscheiden. 51 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien, Tz. 233 Buchst. a), b) und e). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 18 3.3.1. Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV Im Vergleich zur ursprünglichen Konzeption der Kapazitätsreserve ergeben sich vorliegend zwei Unterschiede hinsichtlich der Beurteilung der Beihilfequalität nach Art. 107 Abs. 1 AEUV. Beide sind dem Merkmal der Begünstigung zuzuordnen, wobei der erste die Art und Weise der Einbeziehung in die Reserve betrifft (siehe unter 3.3.1.1.), der zweite die zu erbringende Gegenleistung (siehe unter 3.3.1.2.). Im Übrigen gilt das oben zur Kapazitätsreserve Ausgeführte – sowohl hinsichtlich der für als auch der gegen eine beihilferechtliche Zulässigkeit sprechenden Erwägungen, denn auch die einbezogenen Braunkohlekraftwerke sollen an der Sicherstellung der Stromversorgung mitwirken und somit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringen, die im Falle einer Qualifizierung als Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV in erster Linie am Maßstab der Energiebeihilfeleitlinien zu rechtfertigen wären. 3.3.1.1. Einbeziehung ohne Ausschreibung Anders als die Auswahl der übrigen in die Reserve aufzunehmenden Kraftwerke erfolgt die Einbeziehung der Braunkohlekraftwerksblöcke nicht per Ausschreibung, sondern durch Festlegung und anschließende vertragliche Vereinbarung. Dieser Unterschied betrifft das vierte Altmark- Trans-Kriterium, welches Vorgaben zur Höhe der Vergütung für die DAWI enthält.52 Soweit die Auswahl des betreffenden Unternehmens nicht durch Ausschreibung erfolgt, ist Maßstab für die Bestimmung der Höhe ein durchschnittlich gut geführtes Unternehmen. Ein so zu erfolgender Nachweis bedarf eines größeren Aufwandes, als dies bei einer Ausschreibung der Fall wäre.53 Inwieweit den daraus folgenden Anforderungen Rechnung getragen werden kann, muss mit Blick auf die noch ausstehende Ausgestaltung abgewartet werden. Soweit die Anforderungen nicht eingehalten werden (können), wäre jedenfalls von einer Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV auszugehen. 3.3.1.2. Zusätzliche Gegenleistung Nach den politischen Eckpunkten zielt die Einbeziehung der Braunkohlekraftwerke in die Kapazitätsreserve nicht allein auf deren Stromerzeugungskapazitäten, sondern auch auf eine Minderung des CO2-Ausstosses – durch die Einbeziehung gerade dieser Kraftwerke und deren spätere Stilllegung. Fraglich ist zunächst, ob ein solches Anliegen auf dieser Ebene des Beihilfetatbestandes überhaupt eine Bedeutung zukommt, wenn die Altmark-Trans-Kriterien im Übrigen eingehalten werden . Denn nach bisheriger Rechtsprechung wäre dann das Vorliegen einer Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV abzulehnen. Dass die Braunkohlekraftwerke dann als weitere Gegenleistungen CO2- Emissionen „einsparen“, dürfte hieran nichts ändern bzw. zu keiner anderen Beurteilung führen. Eine anderes Ergebnis und damit die Annahme einer Begünstigung könnte allenfalls unter der 52 Siehe oben unter 3.2.1.1.1., S. 11. 53 Nach von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 55. Ergänzungslieferung 2015 (im Folgenden: Grabitz/Hilfe/Nettesheim), Art. 107 AEUV, Rn. 64, ist dies sogar nicht immer möglich. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 19 Voraussetzung angenommen werden, dass die betroffenen Braunkohlekraftwerke ohne die geplante Einbeziehung aus wirtschaftlichen Gründen im Wettbewerb am Strommarkt nicht hätten bestehen können und aus diesen Gründen stillgelegt werden müssen. Ob dies der Fall ist, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Könnten die Altmark-Trans-Kriterien, insbesondere mit Blick auf die Konsequenzen einer fehlenden Ausschreibung, nicht eingehalten werden, würde sich indes die Frage stellen, ob die zusätzliche Gegenleistung in Gestalt der Emissionsreduzierung dies rekompensieren könnte und so weiterhin von einer Angemessenheit und dem daraus folgenden Fehlen einer Begünstigung auszugehen wäre. Soweit ersichtlich, sind derartige Konstellationen in beihilferechtlicher Hinsicht bisher nicht Gegenstand von Erörterungen gewesen. Außerhalb des oben beschriebenen Ansatzes auf Grundlage der Altmark-Trans-Rechtsprechung wird die Angemessenheit von Vorteil und Gegenleistung am Maßstab des sog. Private Investor Test gemessen: es wird untersucht, ob ein marktwirtschaftlich handelnder Marktteilnehmer ebenso gehandelt hätte, wie die die Vergütung gewährende staatliche Stelle.54 Da es sich bei einer Emissionsminderung – anders etwa als bei Zinsen für ein gewährtes Darlehen etc. – jedoch nicht um eine übliche marktgängige Leistung handelt, kommt man mit diesem Ansatz vorliegend nicht weiter. Gegen eine Kompensationswirkung lässt sich anführen, dass auch die übrigen in die Kapazitätsreserve einbezogenen Kraftwerksbetreiber mangels Einsatz am Strommarkt zu einer Reduktion von CO2-Emissionen beitragen würden. Das Einsparvolumen mag in Abhängigkeit von der jeweiligen Technik variieren und wird im Vergleich mit emissionsintensiven Braunkohlekraftwerke in der Regel geringer sein, der grundsätzliche Effekt bliebe jedoch der Gleiche. Ein weiteres Argument, welches gegen die Annahme einer Kompensationswirkung ins Feld geführt werden könnte, liegt im System des Handels mit Emissionszertifikaten begründet. Eingeführt durch die sog. Emissionshandelsrichtlinie55 zielt der damit verfolgte Ansatz darauf ab, CO2- Emissionen einen Marktwert zuzuordnen, der von den emittierenden Anlagebetreiber zu tragen ist, um auf diese Weise einen wirtschaftlichen Anreiz für eine Emissionsreduzierung zu schaffen .56 Die Einbeziehung von Braunkohlekraftwerken in die Kapazitätsreserve könnte diesen Ansatz – auch wenn er in der Praxis aufgrund des niedrigen Zertifikatspreises bisher nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat – insoweit konterkarieren, als die betreffenden Betreiber zum Verzicht auf Emissionen nicht durch den dafür zu zahlenden Preis angehalten werden, sondern durch eine staatlicherseits gewährte Vergütung (für die bloße Vorhaltung ihrer Stromerzeugungskapazitäten ). Hierdurch würden die Kosten für die Emissionsreduktion – ausgehend von einer 54 Siehe dazu Kleine/Sühnel, in: Birnstiel/Bungenberg/Heinrich (o. Fn. 27), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 105 ff.; von Wallenberg/Schütte, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (o. Fn. 53), Art. 107 AEUV, Rn. 52 ff. 55 Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft […], ABl.EU 2003 Nr. L 275/32, mehrfach geändert, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02003L0087-20140430&qid=1430304164847&from=DE (letztmaliger Abruf am 24.07.15). 56 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.10.2013, verb. Rs. C-566/11 u. w. (Iberdrola u. a.), Rn. 49 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 20 Umlagefinanzierung – im Ergebnis von den Stromendverbrauchern und damit quasi von der Allgemeinheit getragen und nicht von den emittierenden Unternehmen. Vor diesem Hintergrund sprechen die besseren Argumente gegen eine Kompensationswirkung und damit für die Bejahung einer Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV, soweit die Altmark-Trans-Kriterien im Übrigen nicht eingehalten würden. 3.3.2. Rechtfertigung Wäre hiernach von einer Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV auszugehen, käme es zunächst darauf an, ob die Einbeziehung der Braunkohlekraftwerke in die Kapazitätsreserve den Vorgaben der Energiebeihilfeleitlinien zu Beihilfen zur Förderung einer angemessenen Stromerzeugung genügen könnte (siehe unter 3.3.2.1.). Sollte das nicht möglich sein, wäre die Frage zu beantworten, ob eine Rechtfertigung auch außerhalb dieser Vorgaben in Betracht käme (siehe unter 3.3.2.2.). 3.3.2.1. Rechtfertigung nach Maßgabe der Energiebeihilfeleitlinien Hinsichtlich der Einhaltung der Kommissionvorgaben bezüglich der Förderung einer angemessenen Stromerzeugung weist die Einbeziehung der Braunkohlekraftwerke – im Vergleich zur sonstigen Kapazitätsreserve – mehrere Probleme auf. An erster Stelle ist der Aspekt der fehlenden Technologieneutralität zu nennen, der sowohl im Rahmen der Geeignetheit als auch bei der Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel als Voraussetzung genannt wird.57 Das Braunkohlesegment der Kapazitätsreserve steht dieser Vorgabe diametral entgegen. Ein zweites Problem generiert die fehlende Ausschreibung als Einbeziehungsvoraussetzung. Sie betrifft die Angemessenheit des in Frage stehenden Beihilfegesamtbetrages und dort die hiervon umfasste (angemessene) Rendite.58 Nach Ansicht der Kommission führen Ausschreibungen unter normalen Umständen zur Bestimmung angemessener Renditen, die in den zulässigerweise zu gewährenden Beihilfebetrag eingestellt werden dürfen. Ohne Durchführung einer Ausschreibung dürfte der Nachweis einer zulässigen Renditehöhe deutlich schwerer fallen. An dritter Stelle ist schließlich die Soll-Vorgabe zu nennen, wonach die jeweilige Kapazitätsmaßnahme im Fall technisch und wirtschaftlich vergleichbarer Parameter kohlenstoffarme Stromerzeuger bevorzugen muss, um übermäßige negative Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel zu vermeiden.59 Das Braunkohlesegment der Kapazitätsreserve steht auch dieser Vorgabe entgegen. Ob angesichts dieser Aspekte eine Rechtfertigung am Maßstab der Energieleitlinien ausgeschlossen ist, lässt sich angesichts des Wertungsspielraums, den die Vorgaben insgesamt eröffnen, und 57 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 226 bzw. 232 Buchst. a). 58 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 228 f. 59 Vgl. Energiebeihilfeleitlinien (o. Fn. 13), Tz. 233 Buchst. e). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 21 des der Kommission auf dieser Ebene des Beihilferechts eingeräumten Ermessens60 an dieser Stelle nicht abschließend entscheiden. 3.3.2.2. Rechtfertigung aus Gründen des Umweltschutzes Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob angesichts der durch die Einbeziehung der Braunkohle in die Kapazitätsreserve bewirkten Reduzierung der CO2-Emissionen eine Rechtfertigung aus Gründen des Umweltschutzes nicht auch direkt am Maßstab des Art. 107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV, der Grundlage für die Energiebeihilfeleitlinien, möglich wäre. Angesichts des Ermessensspielraums, welcher der Kommission bei der Anwendung des Art. 107 Abs. 3 AEUV zukommt61, kann eine solche Möglichkeit nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Gegen sie spricht indes, dass die Kommission ihr Ermessen in Bezug auf Beihilfen im Umwelt- und Energiebereich eben in der Energieleitlinie konkretisiert hat und die Einbeziehung von Braunkohlekraftwerken in die geplante Kapazitätsreserve mit den dortigen Vorgaben nur schwer zu vereinbaren ist. Soweit allerdings das mit dem Braunkohlesegment der Kapazitätsreserve verfolgte Ziel des schrittweisen Rückzugs eines emissionsintensiven Energieträgers aus der Stromerzeugung bei der Formulierung der Energiebeihilfeleitlinien nicht berücksichtigt wurde, bliebe für eine direkte Anwendung des Art. 107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV durchaus Raum. Zu klären wäre insoweit, ob und unter welchen Voraussetzungen die Kommission ein solches Anliegen als rechtfertigungsfähig einstufen würde. Mit Blick auf das bereits erwähnte Kommissionsermessen bei der Anwendung des Art. 107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV lässt sich dies nicht vorhersagen. Gegen eine Rechtfertigung aus Gründen des Umweltschutzes sprechen allerdings die oben im Zusammenhang mit der zusätzlichen Gegenleistung angeführten Umstände. Danach ist die staatlich veranlasste finanzielle Unterstützung eines solchen Rückzugs nur schwerlich mit dem Ansatz der Emissionshandelsrichtlinie vereinbar, da die Kosten für die Emissionsreduktion nicht von den Emittenten mittels Emissionszertifikaten getragen würden, sondern (überwiegend) per Umlage von den Stromendverbrauchern.62 Ob dies aufgewogen werden könnte durch das geplante CO2- Einsparvolumen einerseits und eine durch das zeitliche Moment einfacher umzusetzende sozialverträgliche Abwicklung der betroffenen Energiesparte andererseits, lässt sich an dieser Stelle nicht entscheiden. Angesichts des Kommissionsermessens scheint dies jedenfalls nicht per se ausgeschlossen. 3.3.3. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich nach jetzigem Stand festhalten, dass die Einbeziehung von Braunkohlekraftwerken in das Konzept der Kapazitätsreserve sowohl auf der Ebene des Beihilfetatbestandes nach Art. 107 Abs. 1 AEUV als auch auf Ebene der Rechtfertigung nach Maßgabe der Energiebeihilfeleitlinien Probleme aufwirft. Durch den Verzicht auf Ausschreibung wird der 60 Siehe dazu oben unter 2.2.1., S. 5. 61 Siehe dazu oben unter 2.2.1., S. 5. 62 Siehe oben unter 3.3.1.2., S. 18 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 88/15 Seite 22 Nachweis der Einhaltung der Altmark-Trans-Kriterien erschwert, so dass die Bejahung einer Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV wahrscheinlicher wird. Das mit dem Braunkohlesegment der Kapazitätsreserve zusätzlich verfolgte Anliegen der CO2-Emissionsreduktion dürfte insoweit nicht kompensierend wirken. Eine dann notwendige Rechtfertigung am Maßstab der Kommissionsvorgaben zu Beihilfen zur Förderung einer angemessenen Stromversorgung dürfte angesichts der fehlenden Technologieneutralität, der fehlenden Ausschreibung sowie der Benachteiligung kohlenstoffarmer Energieträger nur schwer möglich sein. Eine Rechtfertigung aus Gründen des Umweltschutzes direkt am Maßstab des Art. 107 Abs. 3 Buchst. c) AEUV ist zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, begegnet aber gleichwohl Bedenken. Diese speisen sich vor allem daraus, dass das Braunkohlesegment der Kapazitätsreserve dem Ansatz des EU-Emissionshandels zuwiderläuft .