© 2016 Deutscher Bundestag PE 6-3000-85/16 188 Zur Vereinbarkeit des „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ mit dem Recht der Europäischen Union Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Die wesentlichen Regelungen des Gesetzentwurfs Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze1 (nachfolgend: AÜG-E) sieht zur Neuregelung des AÜG im Wesentlichen folgende Regelungen vor. Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer sollen künftig bis zu einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten bei einem Entleiher eingesetzt werden können. In einem Tarifvertrag der Einsatzbranche oder auf Grund eines solchen Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung sollen dazu abweichende Regelungen vereinbart werden können. Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer sollen künftig nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmerinnen und –arbeitnehmern beim Entleiher gleichgestellt werden (Equal Pay). Längere Abweichungen sind künftig nur möglich, wenn durch (Branchen-)Zuschlagstarifverträge sichergestellt wird, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer stufenweise an ein Arbeitsentgelt herangeführt werden, das von den Tarifvertragsparteien der Zeitarbeitsbranche als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist. Dieses gleichwertige Arbeitsentgelt muss nach spätestens 15 Monaten Einsatzdauer erreicht werden. Die stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt muss spätestens nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen beginnen. Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern sollen nicht als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen. Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer sollen bei den für die Mitbestimmung geltenden Schwellenwerten auch beim Entleiher zu berücksichtigen sein, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht. Zur Vermeidung des Missbrauchs von Werkvertragsgestaltungen sollen künftig bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht besser gestellt sein als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Dabei soll die von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelte Abgrenzung von abhängiger zu selbstständiger Tätigkeit in eine gesetzliche Definition einfließen , wer als Arbeitnehmer anzusehen ist. Es soll auch gesetzlich klargestellt werden, dass ein Arbeitsverhältnis unabhängig von der Bezeichnung eines Beschäftigungsverhältnisses und des Vertragsinhalts vorliegt, wenn die tatsächliche Vertragsdurchführung der eines Arbeitsverhältnisses entspricht. 1 Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze (Stand: 1. Juni 2016), abrufbar unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Schwerpunkte/referententwurfarbeitnehmerueberlassungsge - setz.pdf;jsessionid=9348A8CB55517F21DC84F1E0F3CA3AF9?__blob=publicationFile&v=1. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –85/16 Seite 5 Über die Neuregelung des AÜG hinaus soll in § 80 Absatz 2 und § 92 Absatz 1 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes eine gesetzliche Klarstellung des Inhalts des bereits bestehenden Informationsrechts des Betriebsrats über den Einsatz von Personen, die nicht im Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber des Betriebs stehen, vorgenommen werden. Nachfolgend wird untersucht, ob die vorgesehenen Änderungen des AÜG mit der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit2 (nachfolgend: Leiharbeits-RL) vereinbar sind. Änderungen des AÜG, die redaktioneller Natur sind, bleiben unberücksichtigt. 2. Zur Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes mit der Leiharbeits-RL § 1 Abs. 1 AÜG-E soll künftig folgende Fassung haben: „Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen (Arbeitnehmerüberlassung ) wollen, bedürfen der Erlaubnis. Arbeitnehmer werden zur Arbeitsleistung überlassen , wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen. Die Überlassung und das Tätigwerdenlassen von Arbeitnehmern als Leiharbeitnehmer ist nur zulässig, soweit zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht. Die Überlassung von Arbeitnehmern ist vorübergehend bis zu einer Überlassungshöchstdauer nach Absatz 1b zulässig. Verleiher und Entleiher haben die Überlassung von Leiharbeitnehmern in ihrem Vertrag ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen, bevor sie den Leiharbeitnehmer überlassen oder tätig werden lassen. Vor der Überlassung haben sie die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren.“ § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG-E beinhaltet eine Legaldefinition der Arbeitnehmerüberlassung. Diese entspricht Art. 1 Abs. 1 Leiharbeits-RL, die den Anwendungsbereich dieser Richtlinie bestimmt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden…“. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG-E normiert die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer gilt. Diese müssen zu diesem Zweck in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sein und seinen Weisungen unterliegen. Nach Art. 1 Abs. 1 Leiharbeits-RL müssen die als Leiharbeitnehmer geltenden Beschäftigten dem „entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.“ Übereinstimmung besteht zwischen dem Erfordernis der weisungsabhängigen Beschäftigung. Das Erfordernis der Eingliederung in die Arbeitsorganisation ließe sich den Begriffsbestimmungen in Art. 3 2 Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit, ABl L 327/9, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/?qid=1465199970472&uri=CELEX:32008L0104 . Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –85/16 Seite 6 Abs. 1 Buchst. c) und e) Leiharbeits-RL entnehmen. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) Leiharbeits-RL gilt als „Leiharbeitnehmer“ ein Arbeitnehmer, „der mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen hat oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden und dort3 unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten;“. In Art. 1 Buchst. e) Leiharbeits-RL wird die „Überlassung“ als Zeitraum definiert, „während dessen der Leiharbeitnehmer dem entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, um dort4 unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten ;“. Entsprechend der Vorgabe des Art. 1 Abs. 1 Leiharbeits-RL soll die Leiharbeit für ein entleihendes Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG-E vorübergehend erfolgen, wobei die Richtlinie offen lässt, wie die Überlassungsdauer zu bemessen ist. § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG-E macht von der in Art. 1 Abs. 1 Leiharbeits-RL eröffneten Option Gebrauch , als Leiharbeitnehmer nur solche gelten zu lassen, mit denen Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben. Der Ausschluss der Option eines Beschäftigungsverhältnisses , das nicht die Merkmale eines Arbeitsvertrages erfüllt, ist als für Arbeitnehmer günstigere Regelung nach Art. 9 Abs. 1 Leiharbeits-RL zulässig. Das in § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG-E vorgesehene Erfordernis, dass die Arbeitnehmerüberlassung im Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher explizit so genannt werden muss und dass nach § 1 Abs. 1 Satz 6 AÜG-E vor Überlassung die Person des Leiharbeitnehmers unter Bezugnahme auf diesen Vertrag zu konkretisieren ist, ist in der Leiharbeits-RL so nicht vorgesehen, wird von dieser allerdings auch nicht ausgeschlossen. § 1 AÜG soll folgender Absatz 1 a eingefügt werden: „Die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer zur Herstellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft ist keine Arbeitnehmerüberlassung, wenn der Arbeitgeber Mitglied der Arbeitsgemeinschaft ist, für alle Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges gelten und alle Mitglieder auf Grund des Arbeitsgemeinschaftsvertrages zur selbständigen Erbringung von Vertragsleistungen verpflichtet sind. Für einen Arbeitgeber mit Geschäftssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes ist die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer zur Herstellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft auch dann keine Arbeitnehmerüberlassung, wenn für ihn deutsche Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges wie für die anderen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft nicht gelten, er aber die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt.“ Diese bereits in der geltenden Fassung des AÜG genannten und an einem neuen Standort zusammengefassten Regeln, nach denen keine Arbeitnehmerüberlassung vorliegen soll, dürfte mit der Leiharbeits-RL vereinbar sein. Soweit die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer Arbeits- 3 Hervorhebung v. Verf. 4 Hervorhebung v. Verf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –85/16 Seite 7 gemeinschaft zur Herstellung eines Werks erfolgt, wäre bereits das Merkmal der betrieblichen Eingliederung des Arbeitnehmers in einem Leihunternehmen nicht erfüllt, wenn – wie diese Vorschrift voraussetzt – der Arbeitgeber selber Mitglied der Arbeitsgemeinschaft ist und der Arbeitnehmer insoweit weiterhin seiner betrieblichen Sphäre zurechenbar ist.5 § 1 AÜG soll folgender Absatz 1 b eingefügt werden: „Der Verleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen; der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen. Der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher ist vollständig anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen . In einem Tarifvertrag von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Satz 3 können abweichende tarifvertragliche Regelungen im Betrieb eines nicht tarifgebundenen Entleihers durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung übernommen werden. In einer auf Grund eines Tarifvertrages von Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche getroffenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer festgelegt werden. Können auf Grund eines Tarifvertrages nach Satz 5 abweichende Regelungen in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung getroffen werden, kann auch in Betrieben eines nicht tarifgebundenen Entleihers bis zu einer Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten davon Gebrauch gemacht werden, soweit nicht durch diesen Tarifvertrag eine von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauer für Betriebs- oder Dienstvereinbarungen festgelegt ist. Unterfällt der Betrieb des nicht tarifgebundenen Entleihers bei Abschluss einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung nach Satz 4 oder Satz 6 den Geltungsbereichen mehrerer Tarifverträge, ist auf den für die Branche des Entleihers repräsentativen Tarifvertrag abzustellen. Die Kirchen und die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften können von Satz 1 abweichende Überlassungshöchstdauern in ihren Regelungen vorsehen.“ Nach vorstehender Regelung darf derselbe Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen werden. Eine abweichende Überlassungshöchstdauer darf in einem Tarifvertrag der Einsatzbranche festgelegt werden. In seiner Entscheidung vom 17. März 20156 stellte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) klar, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits-RL nicht verpflichtet sind, Verbote oder Einschränkungen des Einsatzortes, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses iSd Art. 4 Abs. 1 Leiharbeits -RL gerechtfertigt sind, unangewendet zu lassen. Dieser vom EuGH den Mitgliedstaaten zuerkannte weite Regelungsspielraum besteht auch hinsichtlich der Frage, ob diese das Merkmal „vorübergehend“ in Art. 1 Abs. 1 Leiharbeits-RL konkretisieren oder nicht. Den Mitgliedstaaten steht es daher auch frei, prinzipiell gesetzlich vorgesehene Obergrenzen der Verleihdauer durch tarifliche Abweichungsmöglichkeiten aufzulockern.7 5 Vgl. Dazu Koch, in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 16. Aufl. 2015, § 120 Rn. 13. 6 EuGH, Rs. C-533/13 (AKT/Shell Aviation Finland), Rn. 30 f. 7 Juncker, EuZA 2016, 141. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –85/16 Seite 8 Eine den bisherigen Regelungsbereich des § 1 Abs. 3 AÜG erweiternde neue Nummer 2b entzieht die Anwendung der Vorgaben des AÜG in weiten Teilen für Gestaltungen in Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes, die vorsehen, dass bei einer Verlagerung der Aufgaben von Beschäftigten auf einen Dritten das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbesteht, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung aber künftig bei einem Dritten nach dessen Weisung erbracht wird. Als für Arbeitnehmer günstigere Regelung iSd Art. 9 Abs. 1 Leiharbeits-RL, die ausweislich der Gesetzbegründung dem Interesse des Bestandsschutzes der Arbeitsverhältnisse der von der Aufgabenverlagerung betroffenen Arbeitnehmern dienen soll8, steht diese nicht im Widerspruch zur Leiharbeits-RL. Eine weitere Ergänzung des § 1 Abs. 3 AÜG – eingefügt in einer neuen Nummer 2c – sieht eine Ausnahme vom Anwendungsbereich des AÜG vor für Überlassungen von Arbeitnehmern zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, soweit diese Tarifverträge des öffentlichen Rechts oder Regelungen der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften anwenden. Hierfür dürfte die Leiharbeits-RL keine Anwendung finden, da diese Arbeitgeber nicht die Merkmale eines Leiharbeitsunternehmens nach Art. 3 Buchst. b) Leiharbeits-RL erfüllen. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese mit Leiharbeitnehmern Arbeitsverträge schließt oder Beschäftigungsverhältnisse eingeht, um sie entleihenden Unternehmen zu überlassen. Da die in der Ausnahmeregelung der Nummer 2c geregelten Überlassungen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen, ist der Anwendungsbereich der Leiharbeits-RL auch nach Art. 1 Abs. 2 Leiharbeits-RL nicht eröffnet , da diese Richtlinie nur für öffentliche Unternehmen Anwendung findet, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Nach § 8 Abs. 1 AÜG-E ist der Verleiher verpflichtet, „dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren…“ Dies entspricht der Vorgabe in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Leiharbeits-RL. Dort heißt es: „Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer entsprechen während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.“ Die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen werden in Art. 3 Buchst. f) Leiharbeits -RL definiert: „ „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen , die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgelegt sind und sich auf folgende Punkte beziehen: 8 AÜG-E S. 20. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –85/16 Seite 9 i) Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub , arbeitsfreie Tage, ii) Arbeitsentgelt.“ Nach § 8 Abs. 4 AÜG-E kann ein Tarifvertrag hinsichtlich des Arbeitsentgelts vom Gleichstellungsgrundsatz für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Entleiher abweichen. Diese Option eröffnet Art. 5 Abs. 2 Leiharbeits-RL für Leiharbeitsverhältnisse, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen haben und in der Zeit zwischen den Überlassungen entlohnt werden. „In Bezug auf das Arbeitsentgelt können die Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner die Möglichkeit vorsehen, dass vom Grundsatz des Absatzes 1 abgewichen wird, wenn Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden.“ Der Erwägungsgrund 15 der Leiharbeits-RL unterstreicht diese Abweichungsoption wie folgt: „Unbefristete Arbeitsverträge sind die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses. Im Falle von Arbeitnehmern, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen geschlossen haben, sollte angesichts des hierdurch gegebenen besonderen Schutzes die Möglichkeit vorgesehen werden, von den im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln abzuweichen.“ Der Entwurf fügt in § 9 Abs. 1 AÜG als Nummer 1 ein Widerspruchsrecht von Leiharbeitnehmern im Falle einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung ohne Verleiherlaubnis ein. Mit Ausübung dieses Gestaltungsrechts innerhalb einer Monatsfrist soll die ansonsten bestehende Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher nicht eintreten. Gleiches sieht eine neue Nummer 1a in § 9 Abs. 1 AÜG im Falle einer entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG erfolgenden verdeckten Arbeitnehmerüberlassung und eine neue Nummer 1b bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer vor. Die Leiharbeits-RL schließt ein Widerspruchsrecht von Leiharbeitnehmern, mit dessen Ausübung ein wegen Verstoßes gegen Vorschriften der Arbeitnehmerüberlassung unwirksames Arbeitsverhältnisses wirksam wird, nicht aus. Art. 10 Leiharbeits -RL verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich dazu, für den Fall der Nichteinhaltung der Leiharbeits-RL durch Leiharbeitsunternehmen oder durch entleihende Unternehmen geeignete Maßnahmen – insb. die Verhängung von Sanktionen – zu ergreifen, ohne diese näher zu qualifizieren . Entsprechende im AÜG bereits vorgesehene Sanktionen sollen in § 16 Abs. 1 AÜG-E verschärft werden. Mit einem neuen § 10a AÜG-E soll sichergestellt werden, dass sich die in §§ 9, 10 AÜG vorgesehenen Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das AÜG nicht dadurch umgangen werden können, dass ein anderes Unternehmen ohne arbeitsvertragliche Beziehung zu dem Leiharbeitnehmer zwischengeschaltet wird. Damit folgt der Gesetzgeber der nach Art. 10 Abs. 2 Leiharbeits-RL bestehenden Verpflichtung, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Durchführung dieser Richtlinie zu gewährleisten. Nach 11 Abs. 2 Satz 2 AÜG-E hat der Verleiher „den Leiharbeitnehmer vor jeder Überlassung darüber zu informieren, dass er als Leiharbeitnehmer tätig wird.“ Eine solche Informationspflicht Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –85/16 Seite 10 besteht nach der Leiharbeits-RL nicht; diese schließt eine solche im Recht der Mitgliedstaaten allerdings aber auch nicht aus. Nach Art. 8 Leiharbeits-RL sind lediglich den Arbeitnehmervertretungen „angemessene Informationen über den Einsatz von Leiharbeitnehmern“ im Zuge der Unterrichtung über die Beschäftigungslage in dem Unternehmen vorzulegen.9 Der Entwurf ergänzt das in § 11 Abs. 5 AÜG bereits normierte Leistungsverweigerungsrecht von Leiharbeitskräften, als Streikbrecher tätig zu werden, um ein entsprechendes Verbot. Dies steht im Einklang mit der Leiharbeits-RL. Dies bringt diese Richtlinie in ihrem 20. Erwägungsgrund zum Ausdruck. „Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen über Einschränkungen oder Verbote der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern lassen die nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten unberührt, die es verbieten, streikende Arbeitnehmer durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen.“ Eine europarechtliche Regelung der Frage des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher ist im Übrigen nicht vorstellbar, da der Europäischen Union die Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitskampfrecht fehlt.10 § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG-E sieht eine Klarstellung vor, nach der es für die Feststellung eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages , wenn sich Vertrag und seine praktische Durchführung widersprechen , die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses maßgebend ist. Dies entspricht der Leiharbeits-RL, was schon daran deutlich wird, dass nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) Leiharbeits-RL für den Begriff des Leiharbeitnehmers sowohl auf den Arbeitsvertrag wie das Beschäftigungsverhältnis abzustellen ist. Nach den in § 14 AÜG vorgesehenen Ergänzungen sollen Leiharbeitnehmer mit Ausnahme des § 112a Betriebsverfassungsgesetz bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten und bei einer längeren Gesamtdauer der Entleihung als sechs Monate in der Unternehmensmitbestimmung auch im Entleiherunternehmen mitgezählt werden. Art. 7 Abs. 1 Leiharbeits-RL verpflichtet lediglich dazu, dass Leiharbeitnehmer unter den von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen im Leiharbeitsunternehmen bei der Schwelle für die Einrichtung der Arbeitnehmervertretung zu berücksichtigen sind. Nach Art. 7 Abs. 2 Leiharbeits-RL können die Mitgliedstaaten „unter den von ihnen festgelegten Bedingungen vorsehen, dass Leiharbeitnehmer im entleihenden Unternehmen bei der Berechnung des Schwellenwertes für die Einrichtung der nach Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht oder in den Tarifverträgen vorgesehenen Arbeitnehmervertretungen im gleichen Maße berücksichtigt werden wie Arbeitnehmer, die das entleihende Unternehmen für die gleiche Dauer unmittelbar beschäftigen würde.“ Zur Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung enthält die Leiharbeits -RL keine Regelungen. 9 Dazu vgl. auch Juncker, EuZA 2016, 141 (142). 10 Juncker, EuZA 2016, 141 (142). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 –85/16 Seite 11 In einem ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) neu eingefügten § 611a BGB-E soll zur Vermeidung missbräuchlicher Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes durch vorgeblich selbständige Tätigkeiten festgelegt werden, wer Arbeitnehmer ist. Der Begriff des Arbeitnehmers ist allerdings auch ein Rechtsbegriff des EU-Rechts. Er findet sich in einer Vielzahl von primär- und sekundärrechtlichen Normen des Unionsrechts, u.a. auch in der Leiharbeits-RL. Bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung beansprucht der europarechtliche Arbeitnehmerbegriff Vorrang gegenüber eine Definition des Arbeitnehmers in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Martin/Simonfay11 soll für eine (grenzüberschreitende ) Arbeitnehmerüberlassung folgendes maßgebend sein: Der Wechsel des Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat muss der eigentliche Gegenstand der Dienstleistung sein, auf den sich dieses Vertragsverhältnis bezieht. Der Arbeitnehmer muss seine Aufgaben unter Aufsicht und Leitung des ausleihenden Unternehmens ausüben. Der EuGH relativiert vorstehenden Prüfungsmaßstab für das Vorliegen eines Arbeitnehmerstatus durch folgenden Hinweis: „Hingegen erlaubt der Umstand, dass das Unternehmen, dem die betreffende Leistung zugutekommt, kontrolliert, ob diese vertragsgemäß ist, oder allgemeine Anweisungen an die Arbeitnehmer des Dienstleistungserbringers erteilen kann, als solcher nicht die Schlussfolgerung, dass eine Überlassung von Arbeitskräften vorliegt.“ Die Umschreibung des Arbeitsverhältnisses im Verhältnis zum ausleihenden Unternehmen erfolgt nach dem methodischen Ansatz des EuGH nicht begrifflich scharf, sondern soll sich erst bei einer offenen, typologischen Betrachtung erschließen.12 Dem entspricht die Formulierung in § 611a Satz 4 BGB-E. „Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen.“ Der EuGH fordert in vorstehender Entscheidung abweichend zu § 611a BGB-E keine persönliche Abhängigkeit für das Arbeitsverhältnis und umschreibt nicht näher das von ihm verwandte Kriterium Leitung, so dass offen bleiben muss, ob dieses Kriterium dem in § 611a Satz 2 BGB-E umschriebenen Weisungsrecht entspricht. Ob der EuGH die § 611a BGB-E vorgenommene Umschreibung des Arbeitnehmers in Übereinstimmung mit dem europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff wertet, bliebe abzuwarten. 3. Ergebnis Eine Unvereinbarkeit des AÜG-E in der dieser Expertise zugrundeliegenden Fassung mit Leiharbeits -RL konnte nicht festgestellt werden. - Fachbereich Europa - 11 EuGH, Rs. C-586/13, Urt. v. 18.06.2016, Rn. 41. 12 So auch Juncker, EuZA 2016, 141 (142).