© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 082/19 Unionsrechtlicher Artenschutz von Wolf, Biber und Kormoran Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstößen gegen die Fauna-Flora- Habitat-Richtlinie sowie gegen die Vogelschutzrichtlinie Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unionsrechtlicher Artenschutz von Wolf, Biber und Kormoran Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstößen gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sowie gegen die Vogelschutzrichtlinie Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 082/19 Abschluss der Arbeit: 25. Oktober 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 3 Inhalt 1. Fragestellung und Vorbemerkung 4 2. Die unionsrechtlichen Artenschutzbestimmungen 4 2.1. Rechtsrahmen 4 2.1.1. Zur sog. Artenschutzverordnung (EG) 338/97 6 2.1.2. Zur Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG 6 2.1.3. Zur Vogelschutz-Richtlinie 2009/147/EG 7 2.2. Die Wolf und Biber erfassenden unionsrechtlichen Artenschutzbestimmungen 9 2.3. Die Kormorane erfassenden Artenschutzbestimmungen der Vogelschutzrichtlinie 9 3. Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission 10 3.1. Allgemeines 10 3.2. Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstößen gegen Artenschutzbestimmungen zugunsten der Tierarten Wolf, Europäischer Biber und Kormoran 10 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 4 1. Fragestellung und Vorbemerkung Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, Vertragsverletzungsverfahren zu ermitteln, mit denen die Europäische Kommission (KOM) Verstöße gegen Artenschutzbestimmungen für die Tierarten Wolf (Canis lupus), Europäischer Biber (Castor fiber) sowie Kormoran (Phalacrocorax carbo) verfolgt. Soweit derartige Verfahren geführt werden, wird nach dem Verfahrensstand sowie nach den zu erwartenden Entscheidungen und zu möglichen Konsequenzen gefragt. Mit dem vorliegenden Sachstand wird eingangs der Unionsrechtsrahmen für den Schutz der genannten Tierarten umrissen. In einem weiteren Schritt werden die Rechercheergebnisse zu Vertragsverletzungsverfahren dargelegt. Diese basieren auf Auskünften der KOM auf der Grundlage der von ihr administrierten Datenbank für Vertragsverletzungsverfahren,1 deren Auswertungsverlässlichkeit Beschränkungen hinsichtlich der abfragbaren Parameter unterliegt.2 Zu den Fragen nach dem Stand laufender Vertragsverletzungsverfahren, zu erwartenden Entscheidungen sowie nach möglichen Konsequenzen kann lediglich auf die offiziell von der KOM verlautbarten jeweils verfahrensbezogenen Informationen verwiesen werden. Die KOM hat es – in geübter Praxis – auf Anfrage abgelehnt, weitere Informationen über die Verfahrensgegenstände und -verläufe laufender Vertragsverletzungsverfahren zu übermitteln. 2. Die unionsrechtlichen Artenschutzbestimmungen 2.1. Rechtsrahmen Die in Art. 3 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union (EUV)3 kodifizierte Aufgabe einer nachhaltigen Entwicklung des Wirtschaftslebens und eines hohen Maßes an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität gehört seit dem Vertrag von Amsterdam4 zum Katalog der explizit aufgeführten Zielsetzungen der Europäischen Union (EU).5 1 Europäische Kommission, Datenbank: Entscheidungen in Verletzungsverfahren. 2 Die KOM hat in ihren Antworten auf die Auskunftsersuchen des Fachbereichs Europa darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse ihrer Auswertung der unter Fn. 1 genannten Datenbank unter Berücksichtigung der technischen Beschränkungen dieser Datenbank verlässlich sind. Die Datenbank wurde durch die KOM mit folgenden Parametern einzeln und in logischer Kombination abgefragt: Richtlinie 92/43/EWG, Richtlinie 2009/147 EG, die Artenbezeichnungen für Wolf (Canis lupus), Europäischen Biber (Castor fiber) und Kormoran (Phalacrocoridae) in den Sprachen Englisch, Französisch und Latein. Die KOM weist darauf hin, dass mit den Suchparametern der Richtlinienbezeichnungen wesentlich mehr Resultate bei der Datenbanksuche erzielt würden, da die Rechtsakte eine große Bandbreite von Tierarten erfassten. Die Suchergebnisse auf der Grundlage der kombinierten Abfragen seien aufgrund der spezifischeren Abfragedaten im Rahmen einer sog. Wortsuche weniger verlässlich, da der Suchbegriff mit den bei der Anlegung der Datenbankfiche verwendeten exakt übereinstimmen müsse. Auch seien Variationen in den bei der Anlegung der Fiches verwendeten Amtssprachen letztlich nicht auszuschließen . Dies habe Einfluss auf die Verlässlichkeit der Rechercheergebnisse vorgenommener Wortsuchen. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) i.d.F. des Vertrages von Lissabon vom 13. Dezember 2007, konsolidierte Fassung 2016, ABl. C 202/13 vom 7. Juni 2016. 4 Art. 2 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) i.d.F. des Vertrages von Amsterdam , ABl. C 340 vom 10. November 1997. 5 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) unterstreicht in ständiger Rechtsprechung, dass der Umweltschutz zu den „wesentlichen Zielen der Gemeinschaft“ gehört. Vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 191 AEUV, Rn. 5 mit weiteren Verweisen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 5 Die Umweltpolitik wird in Art. 4 Abs. 2 lit e. des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)6 als Politikbereich der zwischen Union und Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeit bestimmt; damit können hier sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten gesetzgeberische Akte erlassen. Für die grundsätzliche Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten gilt hier aber, dass sie diese nur ausüben dürfen, sofern und soweit die Union von ihrer Rechtsetzungsbefugnis nicht Gebrauch gemacht hat oder diese nicht mehr ausübt (sog. Sperrwirkung).7 Mit Art. 191 AEUV wird die Umweltpolitik als eigenständige Unionspolitik verankert und ihre Zielsetzungen und Handlungsprinzipien festgeschrieben. Die Kompetenznorm des Art. 192 AEUV bildet die Rechtsgrundlage für den Erlass umweltpolitischer Sekundärrechtsakte zur Verfolgung der zuvor bestimmten Politikziele und Art. 193 AEUV enthält eine Klausel, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, vom sekundärrechtlich gewährleisteten Schutzstandard verstärkend abzuweichen und strengere Maßnahmen zu treffen. Die Vorläuferbestimmungen8 der Kompetenznorm des Art. 192 AEUV bildete die Rechtsgrundlage für den Erlass der drei artenschutzrechtlich zentralen Sekundärrechtsakte der Union, der sog. Artenschutzverordnung (EG) Nr. 338/979, der sog. Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie10 92/43/EWG (FFH- RL) sowie der sog. Vogelschutzrichtlinie11 2009/147/EG (VRL). Neben anderen tragen die darin kodifizierten Artenschutzbestimmungen im internationalen Kontext dazu bei, die Ziele der einschlägigen völkerrechtlichen Naturschutzübereinkommen, wie des Washingtoner Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (WA),12 6 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) i.d.F. des Vertrages von Lissabon vom 13. Dezember 2007, konsolidierte Fassung 2016, ABl. C 202/47 vom 7. Juni 2016. 7 Mit Blick auf die durch das Subsidiaritätsprinzip bewirkte Begrenzung der Verfügbarkeit dieser Zuständigkeiten für die Union wird die geteilte Zuständigkeit auch als „konkurrierende Zuständigkeit“ charakterisiert. Sie stellt den „Regelfall“ der europäischen Kompetenzordnung dar. Vgl. Calliess in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 AEUV, Rn. 2. 8 Dies sind Art. 175 EG-Vertrag i.d.F. des Vertrags von Amsterdam (1999) sowie Art. 130s EG-Vertrag i.d.F. des Vertrags von Maastricht (1992). 9 Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wild lebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels (ABl. L 61 vom 3. März 1997, S. 1), konsolidierte Fassung vom 4. Februar 2017. 10 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 vom 22. Juli 1992, S. 7), konsolidierte Fassung vom 1. Juli 2013. 11 Richtlinie 2009/147/EG vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. L 20 vom 26. Januar 2010, S. 7), konsolidierte Fassung vom 26. Juni 2019. 12 Washingtoner Artenschutzübereinkommen vom 3. März 1973 – Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora, BGBl. II 1976, 73. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 6 der Berner Konvention,13, der Bonner Konvention14 und des Übereinkommens über die biologische Vielfalt15 zu verwirklichen.16 2.1.1. Zur sog. Artenschutzverordnung (EG) 338/97 Die Artenschutzverordnung zielt – ebenso wie das ihr zugrunde liegende WA – auf den Schutz bedrohter freilebender Tier- und Pflanzenarten durch Regelung des internationalen Handels mit diesen. Sie erfasst in erster Linie17 den Handel mit Drittstaaten, somit die Einfuhr, Ausfuhr und Wiederausfuhr von Exemplaren bedrohter Arten in und aus der Union. Die der Verordnung unterfallenden Arten werden in Abhängigkeit von ihrem individuellen Bedrohungsgrad in vier Anhängen (A bis D) erfasst; auf sie findet ein je nach Anhangszuordnung abgestufter Katalog von Bestimmungen unterschiedlich intensiver Schutzregimes, darunter Einfuhrkontrollen und -verbote sowie Verkaufsverbote, Anwendung. Die Artenschutzverordnung bestimmt Mindestregelungen , über deren Standard die Mitgliedstaaten mit strengeren Vorschriften hinausgehen können, solange sie dabei den Anforderungen des Unionsrechts genügen.18 2.1.2. Zur Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG Die FFH-RL zielt mit ihrem Regelungskatalog neben dem Schutz der in ihren Anhängen IV und V bezeichneten Tier- und Pflanzenarten (Art. 12 bis 16 FFH-RL) auf die Erhaltung natürlicher Räume und des europäischen Naturerbes insgesamt durch die Errichtung eines zusammenhängenden europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete, dem sog. Natura-2000-Netz (Art. 3 Abs. 1 FFH-RL). 13 Berner Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume 19. September 1979 (Convention on the Conservation of Europe Wildlife and Natural Habitats ), BGBl. II 1984, 618. Neben den Mitgliedstaaten ist auch die Union Vertragspartei. Hierzu erging der Beschluss 82/72/EWG des Rates vom 3. Dezember 1981 über den Abschluss des Übereinkommens über die Erhaltung der europäischen wild lebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (ABl. L 38 vom 10.2.1982, S. 1). 14 Bonner Übereinkommen über die Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten vom 23.6.1979 (Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals), BGBl. II 1984. Neben den Mitgliedstaaten ist auch die Union Vertragspartei. Hierzu erging der Beschluss 82/461/EWG des Rates vom 24. Juni 1982 über den Abschluss des Übereinkommens zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten, ABl. L 210 vom 19. Juli 1982, S. 10. 15 Übereinkommen über die biologische Vielfalt vom 5. Juni 1992 (Convention on Biological Diversity), BGBl. II 1993, 1741. Neben den Mitgliedstaaten ist auch die Union Vertragspartei. Hierzu erging der Beschluss 93/626/EWG des Rates vom 25. Oktober 1993 über den Abschluss des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (ABl. L 309 vom 13.12.1993, S. 1). 16 Vgl. Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Artenschutz im internationalen und europäischen Recht, 89. EL, Februar 2019, Vorbem. zu §§ 37-55, Rn.2 und 9. 17 Neben ihrem Regelungsschwerpunkt des Handels mit Drittstaaten bestimmt die VO (EG) 338/97 in Art. 8 Regelungen zur innergemeinschaftlichen Vermarktung erfasster Arten und gilt damit für den Handel innerhalb eines Mitgliedstaates sowie Transaktionen zwischen Mitgliedstaaten. Vgl. Gellermann, Fn. 16, Rn. 15. 18 Vgl. Gellermann, Fn. 16, Rn. 10 ff., Epiney, Umweltrecht der Europäischen Union, 4. Auflage, Baden-Baden, 2019, 9. Kapitel, Rn. 36. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 7 Zentrales Regelungselement der FFH-RL ist gemäß Art. 3 Abs. 1 die Errichtung des „Natura 2000“-Netzes, das aus natürlichen Lebensraumtypen (Anhang I) und sog. Habitaten für bestimmte Arten (Anhang II) besteht und auf die Bewahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der erfassten und geschützten Lebensraumtypen und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse abzielt (Art. 2 Abs. 2 FFH-RL). Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, zu dieser Errichtung durch Ausweisung besonderer Schutzgebiete beizutragen und in diesen Gebieten konkrete Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen (Art. 4 i.V.m. Art. 6 FFH-RL).19 Die genuin artenschutzrechtlichen Vorschriften der FFH-Richtlinie bestimmen – unabhängig von der Ansässigkeit der betroffenen Arten in einem Gebiet des „Natura 2000“-Netzes – die Verpflichtung zur Gewährleistung eines strengen Artenschutzsystems, das insbesondere auf allgemeinen Verboten zum Schutz der von Anhang IV lit. a FFH-RL erfassten Tierarten beruht, darunter die Verbote des absichtlichen Fangs, der Tötung, der Störung, der Zerstörung oder der Entnahme von Eiern aus der Natur (Art. 12 FFH-RL). Art. 13 FFH-RL bestimmt vergleichbar strenge und den Schutzbedürfnissen der von Anhang IV lit. b FFH-RL erfassten Pflanzenarten entsprechende Verbote. Art. 14 FFH-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen, mit denen sichergestellt wird, dass die Naturentnahme der von Anhang V FFH-RL erfassten Tier- und Pflanzenarten sowie deren Nutzung einen günstigen Erhaltungszustand nicht beeinträchtigen. Unzulässige Methoden des Fangs und der Tötung der in Anhang V lit. a) genannten wildlebenden Tierarten verbieten die Bestimmungen des Art. 15 FFH-RL. Nach den Regelungen des Art. 16 FFH-RL können die Mitgliedstaaten im Einzelfall von den artenschutzrechtlichen Verboten der Richtlinie abweichen; dies jedoch nur, wenn einer der in Art. 16 Abs. 1 lit. a–e FFH-RL bezeichneten Abweichungsgründe vorliegt, die Abweichung alternativlos ist und die Populationen der betroffenen Arten ungeachtet der Abweichung in einem günstigen Erhaltungszustand verbleiben.20 2.1.3. Zur Vogelschutz-Richtlinie 2009/147/EG Ziel der Vogelschutzrichtlinie (VRL) ist die dauerhafte Erhaltung sämtlicher im Gebiet der EU- Mitgliedstaaten natürlicherweise vorkommenden Vogelarten einschließlich der Zugvogelarten. Sie enthält Bestimmungen über den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung dieser Arten und regelt darüber hinaus deren Nutzung (Art. 1 VRL). Im Unterschied zur Artenschutz-VO und zur FFH-RL wird der von den Bestimmungen geregelte Schutzbereich nicht über die Aufzählung schutzbedürftiger Arten in Listen, sondern vielmehr durch das Kriterium der Beheimatung im Gebiet der EU definiert.21 Die VRL erlegt den Mitgliedstaaten Verpflichtungen allgemeiner Art auf; hinzu treten die Pflicht zur Einrichtung von Schutzgebieten sowie direkte artenschutzrechtliche Bestimmungen und weitere Verpflichtungen. Als Verpflichtung allgemeiner Art erlegt Art. 2 VRL den Mitgliedstaaten auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Bestände der unter die VRL fallenden Vogelarten auf einem 19 Zur Errichtung des „Natura 2000“-Netzes vgl. Epiney, Fn. 18, Rn. 58 ff. 20 Vgl. hierzu a. Gellermann, Fn. 16, Rn. 24 ff., Epiney, Fn. 18, Rn. 79 ff. 21 Vgl. Epiney, Fn. 18, Rn. 42 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 8 Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht. Nach dieser Maßgabe sorgen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 Abs. 1 VRL mit den notwendigen Maßnahmen dafür, für alle unter die VRL fallenden Vogelarten eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume zu erhalten oder wiederherzustellen. Nach Art. 3 Abs. 2 VRL gehören hierzu insbesondere die Einrichtung von Schutzgebieten, die Pflege und ökologisch richtige Gestaltung der Lebensräume in und außerhalb von Schutzgebieten, die Wiederherstellung zerstörter Lebensstätten sowie die Neuschaffung von Lebensstätten.22 Art. 4 Abs. 1 VRL bestimmt besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich der Lebensräume der in Anhang I VRL aufgeführten besonders bedrohten Arten, um deren Überleben und Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen. Diese umfassen die Ausweisung von Schutzgebieten, die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig am geeignetsten sind (Art. 4 Abs. 1 S. 4 VRL). Für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten müssen die Mitgliedstaaten Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten ausweisen.23 Nicht lebensraumbezogene sondern genuin artenschutzrechtliche Regelungen umfassen die Art. 5 bis 9 sowie 13 VRL.24 Hierzu gehören insbesondere das von den Mitgliedstaaten vorzusehende Verbot des absichtlichen Tötens und des Fangs von Vögeln, des absichtlichen Zerstörens oder der Beschädigung von Nestern und Eiern, des Sammelns der Eier und deren Besitz, der Haltung von Vögeln nicht jagdbarer Arten sowie der absichtlichen Störung, insbesondere während der Reproduktionsphase (Art. 5 VRL). Art. 6 VRL sieht für alle unter die VRL fallenden Vogelarten ein Vermarktungsverbot für lebende und tote Vögeln sowie deren erkennbare Teile oder aus ihnen gewonnene Erzeugnisse vor; es umfasst den Verkauf, die Beförderung und die Haltung für den Verkauf sowie das Anbieten zum Verkauf. Art. 7 und 8 VRL bestimmen Regelungen über die Jagd, den Fang und die Tötung der in Anhang II VRL bezeichneten Arten sowie unzulässige Fang- und Tötungsmethoden. Art. 9 VRL ermöglicht den Mitgliedstaaten die Abweichung von den Verboten der Art. 5 bis 8 VRL, sofern drei kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen vorliegen : So muss einer der von Art. 9 Abs. 1 lit a-c VRL abschließend aufgeführten Gründe vorliegen, es darf keine andere zufriedenstellende Alternativlösung zur Verfolgung der in Art. 9 Abs. 1 VRL genannten Ziele verfügbar sein, und schließlich ist den in Art. 9 Abs. 2 VRL bezeichneten formalen Anforderungen zu entsprechen.25 Art. 13 VRL schließt die Anwendung der aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen aus, soweit sie hinsichtlich der Erhaltung der in ihren Anwendungsbereich fallenden Vogelarten zu einer Verschlechterung der derzeitigen Lage führen. 22 Vgl. a. Epiney, Fn. 18, Rn. 45 ff. 23 Vgl. a. Epiney, Fn. 18, Rn. 48 ff. 24 Vgl. Gellermann, Fn. 16, Rn. 18. 25 Vgl. hierzu a. Gellermann, Fn. 16, Rn. 19 ff., Epiney, Fn. 18, Rn. 52 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 9 2.2. Die Wolf und Biber erfassenden unionsrechtlichen Artenschutzbestimmungen Die europäischen Populationen des Wolfs (Canis lupus) sind mit wenigen Ausnahmen26 in Anhang A der Artenschutzverordnung (EG) 338/97 verzeichnet. Verzeichnisgegenstand von Anhang A der Artenschutzverordnung sind die in Anhang I des WA aufgeführten Arten sowie alle Arten, die im gemeinschaftlichen oder internationalen Handel gefragt sind oder sein könnten und vom Aussterben bedroht oder so selten sind, dass jeglicher Handel das Überleben der Art gefährden würde, oder die einer besonders schutzwürdigen Gattung oder Art angehören (Art. 3 Abs. 1 Artenschutzverordnung ). Die in Anhang A verzeichneten Arten unterfallen dem strengsten Schutzregime der Artenschutzverordnung. Die europäischen Populationen des Wolfs sind – abgesehen von Ausnahmen – darüber hinaus in den Anhängen II27 und IV28 lit. a FFH-RL verzeichnet. Sie unterfallen damit dem strengen Schutzsystem gemäß Art. 12 FFH-RL und ihre Habitate sind im Zuge der Errichtung des sog. Natura -2000-Netzes als besondere Schutzgebiete auszuweisen (Art. 3 Abs. 1 FFH-RL). Die vom Verzeichnis in den genannten Anhängen ausgenommenen Populationen werden von Anhang V29 lit a FFH-RL erfasst. Für sie gelten die besonderen Überwachungsmaßgaben des Art. 14 FFH-RL sowie die Beschränkungen gemäß Art. 15 FFH-RL. Die europäischen Populationen des Bibers (Castor fiber) sind mit wenigen Ausnahmen30 in den Anhängen II und IV lit. a FFH-RL verzeichnet. Die dort ausgenommenen Populationen sind in Anhang V lit. a FFH-RL verzeichnet. Es gelten hier die für den Wolf oben beschriebenen Rechtsfolgen. 2.3. Die Kormorane erfassenden Artenschutzbestimmungen der Vogelschutzrichtlinie Der Kormoran (Phalacrocorax carbo) fällt als in den europäischen Territorien der EU-Mitgliedstaaten beheimatete wildlebende Vogelart in den Anwendungsbereich der VRL (Art. 1), ohne jedoch einen besonderen Schutzstatus zu genießen, wie etwa die in Anhang I VRL aufgeführten besonders bedrohten Arten. Der Kormoran ist auch nicht in Anhang II VRL verzeichnet; daher gehört er nicht zu den jagdbaren Vogelarten gemäß Art. 7 VRL. 26 Ausnahmen sind die spanischen Populationen nördlich des Duero und die griechischen Populationen nördlich des 39. Breitengrades. Diese sind in Anhang B der Artenschutzverordnung verzeichnet, der durch Art. 3 Abs. 2 Artenschutzverordnung bestimmt wird. 27 Hiervon ausgenommen sind: die estnische Population, die griechischen Populationen südlich des 39. Breitengrades , die spanischen Populationen südlich des Duero, die lettischen, litauischen und finnischen Populationen. 28 Ausnahme hiervon sind die griechischen Populationen nördlich des 39. Breitengrades, die estnischen Populationen , die spanischen Populationen nördlich des Duero, die bulgarischen, lettischen, litauischen, polnischen, slowakischen Populationen und die finnischen Populationen innerhalb des Rentierhaltungsareals. 29 Anhang V lit a FFH-RL benennt die spanischen Populationen nördlich des Duero, griechischen Populationen nördlich des 39. Breitengrades, die finnischen Populationen innerhalb des Rentierhaltungsareals sowie die bulgarischen , lettischen, litauischen, estnischen, polnischen und slowakischen Populationen. 30 Hiervon ausgenommen sind: die estnischen, lettischen, litauischen, finnischen und schwedischen Populationen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 082/19 Seite 10 3. Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission 3.1. Allgemeines Art. 258 AEUV ermächtigt die KOM,31 den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen, um gegen Verletzungen des Unionsrechts durch einzelne Mitgliedstaaten vorzugehen. Hierzu gehören u.a. die nicht fristgerechte oder mangelnde Implementierung umsetzungsbedürftiger europäischer Sekundärrechtsakte, wie z.B. Richtlinien in nationales Recht, oder der Erlass unionsrechtswidrigen nationalen Rechts.32 Die Umsetzung von Richtlinien bzw. Ergänzung von Verordnungen und der exekutive Verwaltungsvollzug unterliegen der gerichtlichen Kontrolle der Unionsgerichte . Der Klageerhebung durch die KOM geht ein Vorverfahren voraus, das einerseits Möglichkeiten einer außergerichtlichen Einigung eröffnen und andererseits der Festlegung des prozessualen Streitgegenstandes dienen soll. Die KOM beanstandet dabei in einem ersten Schritt gegenüber dem Mitgliedstaat durch ein sog. Mahnschreiben eine Verletzung des Unionsrechts. Der Mitgliedstaat kann sich zu den im Mahnschreiben erhobenen Vorwürfen äußern, ist dazu aber nicht verpflichtet . Hält die KOM auch nach den Einlassungen eines Mitgliedstaats weiterhin an ihrer Ansicht fest, dass Unionsrecht verletzt worden ist, übermittelt sie dem Mitgliedstaat in einem zweiten Schritt eine mit Gründen versehene Stellungnahme. Kann der Mitgliedstaat innerhalb der von der KOM in ihrer Stellungnahme vorgegebenen Frist (in der Regel zwei Monate) den Vorwurf der Rechtsverletzung nicht ausräumen, kann die KOM in einem dritten Schritt den EuGH anrufen (Art. 258 AEUV).33 Der EuGH stellt gemäß Art. 260 Abs. 1 AEUV ggf. eine Verletzung des Unionsrechts durch den Mitgliedstaat fest und benennt Maßnahmen, die der Mitgliedstaat zu ergreifen hat, um seinen Verstoß zu beenden. Wenn der Mitgliedstaat auch dem Urteil nicht Folge leistet, kann die Kommission nach Art. 260 Abs. 2 AEUV den EuGH in einem zweiten Gerichtsverfahren erneut anrufen und die Verhängung eines Pauschalbetrags oder eines Zwangsgeldes gegen den Mitgliedstaat zu beantragen.34 3.2. Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstößen gegen Artenschutzbestimmungen zugunsten der Tierarten Wolf, Europäischer Biber und Kormoran Die Ergebnisse der Recherchen der KOM in der von ihr administrierten Datenbank über Vertragsverletzungsverfahren sind gegliedert nach Tierart beigefügt als Anlage. – Fachbereich Europa – 31 Art. 259 AEUV räumt auch den Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Klageerhebung gegen einen anderen Mitgliedstaat ein, wenn Verstöße gegen die Verträge geahndet werden sollen. 32 Vgl. a. Thiele, Europäisches Prozessrecht, München, 2014, § 5, Rn. 10 ff. 33 Vgl. a. Thiele, Fn. 32, § 5, Rn. 17 ff. 34 Zur Berechnung der Sanktionshöhe vgl. Thiele, Fn. 32, § 5, Rn. 51 ff.