© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 80/15 Glyphosat Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 2 Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 80/15 Abschluss der Arbeit: 20.8.2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa © 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 80/15 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergrund 5 2. Fragestellung 5 3. Genehmigung von Glyphosat auf EU-Ebene 6 3.1. Voraussetzungen einer erneuten Genehmigung 6 3.1.1. Krebsgefahr 6 3.1.1.1. Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 7 3.1.1.2. Die IARC Studie 7 3.1.2. Vernachlässigbarkeit der Exposition 8 3.1.3. Risiken für die Umwelt 9 3.2. Genehmigung mit Verwendungsbeschränkung 10 3.3. Genehmigungsverlängerung 10 3.3.1. Möglichkeiten einer Genehmigungsverlängerung 11 3.3.2. Voraussetzungen einer Genehmigungsverlängerung nach Art. 17 UAbs. 1 PflanzenschutzVO 12 3.3.3. Möglichkeit einer zweiten Genehmigungsverlängerung 13 3.3.4. Zeitdauer einer Genehmigungsverlängerung nach Art. 17 UAbs. 1 PflanzenschutzVO 13 3.3.5. Kontrollmöglichkeiten von Parlament und Rat 13 3.4. Möglichkeiten gegen eine (erneute) Genehmigung vorzugehen 14 4. Abweichungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten 15 4.1. Zulassung nach Art. 29, 31 PflanzenschutzVO 15 4.1.1. Voraussetzungen des Art. 29 PflanzenschutzVO 16 4.1.2. Voraussetzungen des Art. 31 PflanzenschutzVO 17 4.1.3. Klagemöglichkeiten von Unternehmen 18 4.1.4. Gebotenheit einer Inanspruchnahme 18 4.1.4.1. IARC-Studie 19 4.1.4.2. Warnung des Umweltbundesamtes 19 4.1.4.3. Bedeutung des Vorsorgeprinzips 20 4.1.4.3.1. Voraussetzungen des Vorsorgeprinzips 21 4.1.4.3.2. Konsequenzen des Vorsorgeprinzips 21 4.1.4.3.3. Begrenzte rechtliche Kontrolle des Vorsorgeprinzips 24 4.1.5. Zwischenergebnis 25 4.2. Zulassung nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO 25 4.2.1. Voraussetzungen der Verwendungsbestimmungen 26 4.2.2. Voraussetzungen des Verbots 27 4.2.2.1. Wortlautauslegung 27 4.2.2.2. Teleologische Auslegung 27 4.2.2.3. Historische Auslegung 28 4.2.2.4. Zwischenergebnis 29 4.2.3. Zeitpunkt einer Verwendungsbestimmung bzw. eines Verbots 30 4.2.4. Klagemöglichkeiten von Unternehmen 30 4.2.5. Gebotenheit einer Inanspruchnahme 30 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 4 4.2.6. Zwischenergebnis 31 4.3. Änderung oder Aufhebung nach Art. 44 der PflanzenschutzVO 32 4.3.1. Voraussetzungen 32 4.3.1.1. Vorgehen nach § 39 Abs. 1 PflSchG 32 4.3.1.2. Vorgehen nach § 39 Abs. 2 PflSchG 32 4.3.1.3. Sonderfall – Genehmigungen nach 91/414/EWG 33 4.3.2. Klagemöglichkeiten von Unternehmen 34 4.3.3. Gebotenheit einer Inanspruchnahme 34 4.3.3.1. Vorgehen nach § 39 Abs. 1 PflSchG 34 4.3.3.2. Vorgehen nach § 39 Abs. 2 PflSchG 34 4.3.4. Zwischenergebnis 35 4.4. Maßnahmen nach Art. 1 Abs. 4 PflanzenschutzVO 35 4.5. Notfallmaßnahmen nach Art. 69 ff. PflanzenschutzVO 36 5. Fazit 36 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 5 1. Hintergrund Die aktuell noch wirksame Genehmigung des Wirkstoffs Glyphosat in der EU erfolgte 2002. Mit der Richtlinie 2010/77/EU1 wurde die Genehmigung von Glyphosat bis zum 31. Dezember 2015 verlängert. Momentan läuft das Verfahren zur erneuten Genehmigung nach den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (im Folgenden: PflanzenschutzVO).2 Die Genehmigung eines Wirkstoffes erfolgt in der EU auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 2 Pflanzenschutz VO mittels einer Durchführungsverordnung der Kommission, welche sich dafür auf die Schlussfolgerungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority – EFSA) stützt. Deren Schlussfolgerungen wiederum basieren insbesondere auf dem Bewertungsbericht des berichterstattenden Mitgliedstaates. Im Fall der erneuten Genehmigung von Glyphosat ist Deutschland als berichterstattender Mitgliedstaat verantwortlich für die Erstellung dieses Bewertungsberichts. Der Bericht wurde in Deutschland durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) u.a. unter Beteiligung des Umweltbundesamtes erstellt und am 1. April 2015 an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zur Weiterleitung an die EFSA übersandt. Die Schlussfolgerungen des EFSA stehen noch aus. 2. Fragestellung Vor diesem Hintergrund soll das Gutachten die folgenden Fragestellungen bearbeiten: Zunächst soll die mögliche Genehmigung von Glyphosat auf europäischer Ebene untersucht werden . Das europäische Genehmigungsverfahren für Wirkstoffe wie Glyphosat ist in Kapitel II der PflanzenschutzVO geregelt. Die nachfolgenden Ausführungen unter 3. untersuchen, unter welchen Voraussetzungen eine erneute Genehmigung eines Wirkstoffes möglich bzw. verboten ist (3.1.). Weiterhin wird untersucht, unter welchen Bedingungen eine Genehmigung mit Beschränkungen versehen werden kann (3.2.) und inwieweit die (erneute) Verlängerung einer Genehmigung zulässig ist (3.3.). Abschließend werden die Möglichkeiten vorgestellt, rechtlich gegen eine Genehmigung vorzugehen (3.4.). Der zweite Themenkomplex dieser Ausarbeitung betrifft die Fragen, ob und inwieweit es die PflanzenschutzVO den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Verwendung eines in der EU genehmigten Wirkstoffs in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu verbieten. Über die Genehmigung eines Wirkstoffes entscheidet die EU-Kommission, die Mitgliedstaaten sind aber für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, welche den fraglichen Wirkstoff beinhalten, verantwortlich. Unter 4. werden die Entscheidungskompetenzen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich untersucht. Dabei werden fünf verschiedene Regelungen aus der PflanzenschutzVO dargestellt, auf welche möglicherweise nationale Maßnahmen zu der Beschränkung oder dem Verbot eines bestimmten 1 Richtlinie 2010/77/EU der Kommission vom 10. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG hinsichtlich des Ablaufs der Fristen für die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe in Anhang I, ABl. 2010 L, 293/48 (53), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010L0077&from=DE. 2 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, ABl. 2009 L, 309/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009R1107-20140630&from=EN. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 6 Pflanzenschutzmittels gestützt werden könnten. In diesem Rahmen werden insbesondere erörtert : die Voraussetzungen der jeweiligen Maßnahmen, die Klagemöglichkeiten von Unternehmen gegen derartige Maßnahmen, die Gebotenheit einer solchen Maßnahme. Mangels entsprechender Präzedenzfälle stützen sich die nachfolgenden Ausführungen zu den Normen der PflanzenschutzVO im Wesentlichen auf den Gesetzeswortlaut und die Dokumente seiner Entstehung. Da zu den meisten Fragen noch keine Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) existiert, sind abschließende Feststellungen nicht möglich. 3. Genehmigung von Glyphosat auf EU-Ebene 3.1. Voraussetzungen einer erneuten Genehmigung Gemäß Art. 4 der PflanzenschutzVO wird ein Wirkstoff genehmigt, wenn die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, welche den Wirkstoff enthalten, weder schädliche Auswirkungen auf Menschen oder Tiere noch unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt haben. Darüber hinaus müssen die Pflanzenschutzmittel hinreichend wirksam sein, keine schädlichen Auswirkungen auf Menschen oder Tiere oder unannehmbare Auswirkungen auf Pflanzen und auf die Umwelt haben sowie bei den zu bekämpfenden Wirbeltieren keine unnötigen Leiden oder Schmerzen verursachen . In Anhang II der PflanzenschutzVO werden die Verfahren und Kriterien für die Genehmigung von Wirkstoffen weiter präzisiert. Wirkstoffe können gemäß Art. 5 PflanzenschutzVO in der EU höchstens für eine Zeitdauer von 10 Jahren genehmigt werden, anschließend ist eine Erneuerung der Genehmigung nach Art. 14 PflanzenschutzVO erforderlich. Inhaltliche Voraussetzung der Erneuerung ist gemäß Art. 14 PflanzenschutzVO, dass die Genehmigungskriterien des Art. 4 der PflanzenschutzVO erfüllt sind. 3.1.1. Krebsgefahr Gemäß Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 der PflanzenschutzVO wird bei der Genehmigung eines Wirkstoffes zunächst ermittelt, ob die Genehmigungskriterien nach Anhang II Nummern 3.6.2 bis 3.6.4 und 3.7 erfüllt sind. In der Randnummer 3.6.3 des Anhangs II der PflanzenschutzVO wird festgelegt, dass ein Wirkstoff nur dann genehmigt wird, wenn er auf der Grundlage der von der Behörde überprüften Auswertung von Karzinogenitätsversuchen sowie von anderen verfügbaren Daten und Informationen, einschließlich einer Überprüfung der wissenschaftlichen Literatur, nicht gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1272/20083 als karzinogene Substanz der Kategorie 1A oder 1B eingestuft wird oder einzustufen ist, es sei denn, die Exposition von Menschen gegenüber diesem 3 Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, ABl. 2008 L, 353/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02008R1272-20150601&qid=1438933631000&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 7 Wirkstoff in einem Pflanzenschutzmittel ist unter realistisch anzunehmenden Verwendungsbedingungen vernachlässigbar. Das ist der Fall, wenn das Mittel in geschlossenen Systemen oder unter anderen Bedingungen verwendet wird, bei denen der Kontakt mit Menschen ausgeschlossen ist und Rückstände des betreffenden Wirkstoffs in Nahrungs- und Futtermitteln den gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b) Verordnung (EG) Nr. 396/20054 festgelegten Standardwert nicht übersteigen. 3.1.1.1. Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 Wann ein Stoff als karzinogen einzustufen ist, bestimmt sich nach der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008. Dort ist insbesondere der Abschnitt 3.6 des Anhangs I relevant. Gemäß Randnummer 3.6.1.1 des Anhangs I wird ein Stoff oder ein Gemisch, der bzw. das Krebs erzeugen oder die Krebshäufigkeit erhöhen kann, als karzinogen angesehen. In die Kategorie 1A karzinogener Substanzen fallen Stoffe, die bekanntermaßen beim Menschen karzinogen sind. Diese Einstufung erfolgt überwiegend aufgrund von Nachweisen beim Menschen. Die Kategorie 1B gilt für Stoffe, die wahrscheinlich beim Menschen karzinogen sind. Diese Einstufung erfolgt überwiegend aufgrund von Nachweisen bei Tieren. Die Randnummer 3.6.2.1 gibt vor, dass die Einstufung in die Kategorien 1A und 1B auf der Aussagekraft von Nachweisen, die in zuverlässigen und anerkannten Untersuchungen gewonnen wurden, und zusätzlichen Erwägungen (zur Beweiskraft der Daten) beruht . Gemäß Randnummer 3.6.2.2.1 des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 muss eine Bewertung „auf allen vorhandenen Daten beruhen, darunter von Experten begutachtete veröffentlichte Studien und auf zusätzlichen anerkannten Daten“. Die Einstufung in die Kategorien 1A und 1B beruht gemäß der Tabelle 3.6.1 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 auf Nachweisen aus epidemiologischen Studien, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Exposition von Menschen gegenüber einem Stoff und der Entwicklung von Krebs herstellen (bekanntes Humankarzinogen ), oder aus Tierversuchen, deren Beweiskraft ausreicht, eine karzinogene Wirkung beim Tier (wahrscheinliches Humankarzinogen) nachzuweisen.5 3.1.1.2. Die IARC Studie Die Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation WHO (International Agency for Research on Cancer - IARC) hat Glyphosat in ihrer Studie, deren Kurzfassung in der Zeitschrift „Lancet“ am 20. März 2015 veröffentlicht wurde, als wahrscheinlich krebserzeugend eingestuft.6 Diese Bewertung muss nach hiesiger Ansicht gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 als eine von Experten begutachtete veröffentlichte Studie im Genehmigungsverfahren von Glyphosat berücksichtigt werden. Ausweislich ihrer Pressemitteilung vom 30. Juli 4 Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Februar 2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates, ABl. 2005 L, 70/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02005R0396- 20150116&qid=1438933234087&from=DE. 5 Für weitere Details zur Einstufung vgl. die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008. 6 IARC, Bericht zu Glyphosat, Monographie (Volume 112), abrufbar unter http://monographs.iarc.fr/ENG/Monographs /vol112/mono112-02.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 8 2015 wird die EFSA die Studie im Rahmen des laufenden Genehmigungsverfahrens berücksichtigen .7 Allerdings wird für die Bewertung von Glyphosat nicht allein die IARC-Studie berücksichtigt . Deutschland hat als berichterstattender Mitgliedstaat in seinem Bericht, der am 1. April 2015 übermittelt wurde, über 30 andere epidemiologische Studien ausgewertet und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich kein gesicherter Zusammenhang zwischen Glyphosatexposition und einem erhöhten Risiko für Non-Hodgkin Lymphome oder andere Krebsarten ergibt.8 Angesichts dieser Divergenzen kann aus hiesiger Sicht nicht beurteilt werden, ob die EFSA Glyphosat als karzinogene Substanz einstufen wird. 3.1.2. Vernachlässigbarkeit der Exposition Selbst wenn die EFSA Glyphosat als karzinogene Substanz einstufen würde, folgt daraus noch nicht zwangsläufig, dass die Kommission eine erneute Genehmigung für Glyphosat verweigern muss. Denn gemäß Art. 4 PflanzenschutzVO in Verbindung mit 3.6.3 des Anhangs II der Pflanzenschutz VO kann ein Wirkstoff trotz einer Einstufung als karzinogen genehmigt werden, wenn die Exposition von Menschen gegenüber diesem Wirkstoff in einem Pflanzenschutzmittel unter realistisch anzunehmenden Verwendungsbedingungen vernachlässigbar ist. Zur Definition, wann die Exposition des Menschen in Bezug auf einen bestimmten Wirkstoff vernachlässigbar ist, hat die Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der Kommission einen Leitlinien- Entwurf erstellt.9 Bisher ist dieser Entwurf nicht öffentlich zugänglich. Es ist daher momentan nicht möglich einzuschätzen, wie die EFSA auf der Grundlage der Vorgaben des Leitlinien-Entwurfs die Exposition des Menschen in Bezug auf Glyphosat bewerten wird. Die Beweislast für die Vernachlässigbarkeit der Exposition liegt im Ergebnis bei den Herstellern. Nach Art. 7 Abs. 1 PflanzenschutzVO muss ein Antragsteller für eine Genehmigung ein vollständiges Dossier vorlegen, um nachzuweisen, dass der Wirkstoff die Genehmigungskriterien gemäß Art. 4 PflanzenschutzVO erfüllt. Hat der Antragsteller trotz einer Aufforderung und Fristsetzung des berichterstattenden Mitgliedstaates nicht alle für eine Prüfung erforderlichen Elemente vorgelegt , teilt der berichterstattende Mitgliedstaat nach Art. 9 Abs. 2 Satz 3 PflanzenschutzVO dem Antragsteller, den anderen Mitgliedstaaten und der Kommission mit, dass der Antrag nicht zulässig ist. Die Vernachlässigbarkeit der Exposition ist ein (ergänzendes) Genehmigungskriterium, wenn der Stoff karzinogen ist und muss folglich vom Antragsteller mit seinem Dossier belegt werden. Falls der Antragsteller eine vernachlässigbare Exposition nicht belegen kann, kann der Wirkstoff bei Karzinogenität nicht genehmigt werden. 7 Pressemitteilung EFSA v. 30. Juli 2015, abrufbar unter http://www.efsa.europa.eu/de/press/news/150730. 8 Mitteilung 007/2015 des BfR v. 23. März 2015, abrufbar unter http://www.bfr.bund.de/cm/343/loest-glyphosatkrebs -aus.pdf. 9 DG Sanco, Draft Guidance Document on the assessment of negligible exposure of an active substance in a plant protection product under realistic conditions of use, doc. SANCO/12096/2014. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 9 Dem Gericht der Europäischen Union (EuG) lag zuletzt die Klage von mehreren Unternehmen gegen die Durchführungsverordnung 578/2012 der Kommission vor, mit welcher diese die Genehmigung für den Wirkstoff Diphenylamin versagt hat.10 Mit der Durchführungsverordnung 578/2012 untersagte die Kommission die Genehmigung des Wirkstoffes Diphenylamin, da es nicht möglich war „eine zuverlässige Bewertung der Verbraucherexposition durchzuführen, da Daten über Rückstände in rohen und verarbeiteten Äpfeln fehlten und das Vorhandensein von Nitrosaminen in Äpfeln nicht ausgeschlossen werden konnte. […]“.11 Die Kommission stütze sich bei ihrer Verordnung auf die Schlussfolgerungen von EFSA, deren ausführliche Zusammenfassung im EFSA Journal veröffentlicht worden ist.12 Der Durchführungsverordnung lässt sich entnehmen , dass die Kommission die Verantwortung für den Nachweis der fehlenden Verbraucherexposition beim Antragsteller sieht. 3.1.3. Risiken für die Umwelt Nach Art. 4 Abs. 3 lit. e) iii) PflanzenschutzVO setzt die Genehmigung eines Wirkstoffes voraus, dass Pflanzenschutzmittel, die ihn beinhalten, unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben. Die Verordnung (EU) Nr. 283/2013,13 welche die Datenforderungen für die Genehmigungsanträge festlegt, gibt in Nr. 5 der Einleitung des Abschnitts 8 ihres Anhangs vor, dass „die potenziellen Auswirkungen des Wirkstoffs auf die Biodiversität und das Ökosystem, einschließlich indirekter Auswirkungen durch Änderungen in den Nahrungsnetzen, zu untersuchen “ sind. Das Umweltbundesamt ist an der deutschen Berichterstattung im Glyphosatgenehmigungsverfahren beteiligt. Es ist gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 3 PflSchG an der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und nach § 41 Abs. 3 Nr. 3 PflSchG an der Berichterstellung für die Genehmigung eines Wirkstoffes beteiligt. Es prüft und bewertet mögliche Schäden durch eine Belastung des Naturhaushaltes sowie durch Abfälle des Pflanzenschutzmittels. In seinen Ausführungen für den Bericht Deutschlands zur Neubewertung bezüglich der Genehmigung von Glyphosat äußerte das Umweltbundesamt Bedenken im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt in Folge einer Störung von Nahrungsnetzen (sog. Nahrungsnetzeffekte). Glyphosat sei für Vögel, Säugetiere und Insekten 10 EuG, Klage eingereicht am 14. September 2012, Rs. T-415/12 – Xeda International u. a./Kommission; die Klage ist mittlerweile zurückgenommen worden, s. EuG, Beschluss v. 21. Februar 2014, Rs. T-415/12, E- CLI:EU:T:2014:45. 11 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 578/2012 der Kommission vom 29. Juni 2012 zur Nichtgenehmigung des Wirkstoffs Diphenylamin gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. 2012 L, 171/2, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R0578&from=DE. 12 EFSA, Conclusion on the peer review of the pesticide risk assessment of the active substance diphenylamine, EFSA Journal 2012;10(1):2486, S. 59 ff.; abrufbar unter http://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/doc/2486.pdf. 13 Verordnung (EU) Nr. 283/2013 der Kommission vom 1. März 2013 zur Festlegung der Datenanforderungen für Wirkstoffe gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. 2013 L, 93/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUri- Serv/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:093:0001:0084:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 10 nicht unmittelbar schädlich, es töte jedoch auf den behandelten Kulturflächen auch diejenigen Pflanzen ab, die Insekten Nahrung bieten.14 Das Umweltbundesamt kam in seiner Bewertung zu dem Ergebnis, dass das Ausmaß der möglichen Auswirkungen auf die Umwelt in Folge von Nahrungsnetzeffekten von den landwirtschaftlichen und landschaftsökologischen Bedingungen abhängt, unter denen die Anwendung stattfindet . Zudem sind nach Ansicht des Umweltbundesamtes Maßnahmen der Mitgliedstaaten denkbar , welche die nachteiligen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt möglicherweise reduzieren .15 Daher wird in dem Bewertungsbericht der Kommission vorgeschlagen, die Genehmigung für Glyphosat mit der Maßgabe zu verbinden, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um solche Effekte und nachteilige Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu reduzieren.16 Auch in Bezug auf das Genehmigungskriterium des Art. 4 Abs. 3 lit. e) iii) PflanzenschutzVO kann vor diesem Hintergrund im Rahmen dieses Gutachtens nicht beurteilt werden, wie die EFSA in ihrer Stellungnahme entscheiden wird. 3.2. Genehmigung mit Verwendungsbeschränkung Die Kommission kann einen Wirkstoff genehmigen, aber seine Verwendung in Pflanzenschutzmitteln bzw. deren Einsatz nach Art. 6 PflanzenschutzVO beschränken. Nach Art. 21 Abs. 1 PflanzenschutzVO kann die Kommission die Genehmigung jederzeit überprüfen und nach Art. 21 Abs. 3 ggf. eine Änderung der Genehmigung erlassen. Es sind momentan mehrere Klagen vor dem EuG anhängig, mit denen Unternehmen gegen eine Genehmigungsüberprüfung von Wirkstoffen durch die Kommission und daraus resultierende Beschränkungsvorgaben für Pflanzenschutzmittel , welche den Wirkstoff beinhalten, klagen.17 Vor diesem Hintergrund wäre auch im Fall von Glyphosat die Erteilung einer um Beschränkungen ergänzten Genehmigung nach Art. 6 PflanzenschutzVO denkbar. 3.3. Genehmigungsverlängerung Die Glyphosat-Genehmigung aus 2002 lief ursprünglich am 30. Juni 2012 aus, wurde aber bis zum 31. Dezember 2015 verlängert. Diese Verlängerung erfolgte durch den Erlass der Richtlinie 14 BVL, Pressemitteilung, abrufbar unter http://www.bvl.bund.de/DE/08_PresseInfothek/01_FuerJournalisten /01_Presse_und_Hintergrundinformationen/04_Pflanzenschutzmittel/2014/2014_01_06_pi_glyphosat.html. 15 So die telefonischen Auskünfte des Umweltbundesamtes. 16 BVL, Pressemitteilung, abrufbar unter http://www.bvl.bund.de/DE/08_PresseInfothek/01_FuerJournalisten /01_Presse_und_Hintergrundinformationen/04_Pflanzenschutzmittel/2014/2014_01_06_pi_glyphosat.html. 17 EuG, Klage eingereicht am 4. November 2013, Rs. T-584/13 – BASF Agro u. a./Kommission; EuG, Klage eingereicht am 14. August 2013, Rs. T-451/13 – Syngenta Crop Protection u. a./Kommission. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 11 2010/77/EU,18 mit welcher der im Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG19 festgehaltene Genehmigungszeitraum von Glyphosat geändert wurde. Gegenwärtig stellt sich die Frage, ob bis zum 31. Dezember 2015 über den Antrag der Glyphosat- Hersteller auf Erneuerung der Genehmigung von der Kommission entschieden werden kann. Daher steht die Überlegung im Raum, dass die EU eine nochmalige Genehmigungsverlängerung bis zur Entscheidung über die erneute Genehmigung erlässt. Mittlerweile findet sich die Zeitdauer der Glyphosat-Genehmigung nicht mehr im Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG, sondern im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011.20 Dieser Anhang müsste geändert werden , damit die Genehmigung von Glyphosat verlängert wird. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob eine nochmalige Zulassungsverlängerung der geltenden Genehmigung von Glyphosat, die ursprünglich bereits am 30. Juni 2012 auslief, möglich ist. Im Folgenden wird darauf eingegangen, welche Möglichkeiten die PflanzenschutzVO für eine solche Verlängerung bereithält (3.3.1), was die Voraussetzungen einer Genehmigungsverlängerung sind (3.3.2), ob eine zweite Genehmigungsverlängerung möglich ist (3.3.3), welchen Zeitraum eine solche Genehmigungsverlängerung umfassen würde (3.3.4) und welche Kontrollmöglichkeiten Rat und Parlament diesbezüglich haben (3.3.5). 3.3.1. Möglichkeiten einer Genehmigungsverlängerung Eine Verlängerung der Genehmigungen verschiedener Substanzen, die im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 aufgezählt sind, darunter Glyphosat, wurde auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (SCPAFF) am 13. und 14. Juli 2015 diskutiert. Die Tagesordnung erwähnt als Punkt B.04: „Exchange of views and possible opinion of the Committee on a draft Commission Implementing Regulation amending Commission Implementing Regulation (EU) No 540/2011 as regards the extension of the approval periods of the active substances […] Glyphosate.” 21 In Erwägung gezogen wurde mithin eine Durchführungsverordnung der Kommission, welche die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 18 Richtlinie 2010/77/EU der Kommission vom 10. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG hinsichtlich des Ablaufs der Fristen für die Aufnahme bestimmter Wirkstoffe in Anhang I, ABl. 2010 L, 293/48 (53), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010L0077&from=DE. 19 Richtlinie des Rates 91/414/EWG vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. 1991 L, 230/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01991L0414- 20110801&from=EN. 20 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 der Kommission vom 25. Mai 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Liste zugelassener Wirkstoffe , ABl. 2011 L, 153/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2011:153:0001:0186:DE:PDF. 21 Standing Committee on plants, animals, food and feed (SCPAFF), Section Phytopharmaceuticals - Plant Protection Products – Legislation; Agenda 13-14.7.2015, abrufbar unter http://ec.europa.eu/food/plant/standing_committees /sc_phytopharmaceuticals/docs/ag_2015071314_pppl_en.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 12 ergänzen soll. Der Entwurf des Anhangs dieser Durchführungsverordnung sieht für Glyphosat eine Verlängerung der Genehmigung bis zum 30. Juni 2016 vor.22 In der aktuell geltenden PflanzenschutzVO ist die Möglichkeit einer solchen Genehmigungsverlängerung ausdrücklich geregelt. Gemäß Art. 17 UAbs. 1 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 PflanzenschutzVO kann eine Entscheidung angenommen werden, mit welcher der Ablauf des Genehmigungszeitraums für den betreffenden Antragsteller um einen Zeitraum hinausgeschoben wird, der für die Prüfung des Antrags ausreicht, wenn die Genehmigung aus Gründen, die der Antragsteller nicht zu verantworten hat, vor einer Entscheidung über die Erneuerung ausläuft. Außerdem regelt Art. 17 UAbs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 5 PflanzenschutzVO die Möglichkeit, eine Verordnung zu erlassen, mit welcher der Ablauf der Genehmigung um einen Zeitraum hinausgeschoben wird, der für die Prüfung des Antrags ausreicht, wenn der Antragsteller nicht den in Art. 15 Abs. 1 vorgeschriebenen Zeitraum von drei Jahren einhalten konnte, da der Wirkstoff in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG für einen Zeitraum eingetragen war, der vor dem 14. Juni 2014 auslief. Das Protokoll bzw. die Tagesordnung des Ausschusses SCPAFF benennt als Rechtsgrundlage der diskutierten Genehmigungsverlängerung den Art. 17 der PflanzenschutzVO.23 Der Entwurf der Durchführungsverordnung benennt den UAbs. 1 von Art. 17 der PflanzenschutzVO als Grundlage .24 3.3.2. Voraussetzungen einer Genehmigungsverlängerung nach Art. 17 UAbs. 1 Pflanzenschutz VO Gemäß Art. 17 UAbs. 1 ist eine Verlängerung möglich, wenn die Genehmigung aus Gründen, die der Antragsteller nicht zu verantworten hat, vor einer Entscheidung über die Erneuerung ausläuft . So begründet die Kommission ihre Durchführungsverordnung: „Due to the fact that the assessment of the substances has been delayed, the approvals of those active substances are likely to expire before a decision has been taken on their renewal. It is therefore necessary to extend their approval periods.” Die materiellen Voraussetzungen für eine Genehmigungsverlängerung nach Art. 17 UAbs. 1 PflanzenschutzVO liegen mithin vor. 22 Vom Auftraggeber der Anfrage zur Verfügung gestellt. 23 Standing Committee on plants, animals, food and feed (SCPAFF), Section Phytopharmaceuticals - Plant Protection Products – Legislation; Agenda 13-14.7.2015, abrufbar unter http://ec.europa.eu/food/plant/standing_committees /sc_phytopharmaceuticals/docs/ag_2015071314_pppl_en.pdf. 24 Vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt. („Having regard to Regulation (EC) No 1107/2009 of the European Parliament and of the Council of 21 October 2009 concerning the placing of plant protection products on the market and repealing Council Directives 79/117/EEC and 91/414/EEC24, and in particular the first paragraph of Article 17 thereof”). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 13 Die Verfahrensvorschriften für den Erlass einer Entscheidung nach Art. 17 UAbs. 1 folgen aus Art. 79 Abs. 3 der PflanzenschutzVO, der auf den Beschluss 1999/468/EG25 verweist. Der Begriff „Entscheidung“ in Art. 17 UAbs. 1 der PflanzenschutzVO ist ein Sammelbegriff, der verschiedene Rechtsakte umfasst. Die Kommission kann folglich eine Genehmigung nach Art. 17 UAbs. 1 durch verschiedene Rechtsakte verlängern und ist nicht auf einen bestimmten Rechtsakt beschränkt. Auch Art. 79 Abs. 3 PflanzenschutzVO und die Normen, auf die er verweist, beschränken die Kommission nicht auf einen bestimmten Rechtsakt. Die von der Kommission gewählte Form der Durchführungsverordnung ist mithin zulässig. Der Beschluss 1999/468/EG ist mittlerweile durch die Verordnung (EU) Nr. 182/201126 aufgehoben bzw. ersetzt worden. Art. 79 Abs. 3 der PflanzenschutzVO verweist auf Art. 5 des Beschlusses 1999/468/EG, der durch Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 ersetzt worden ist. Nach Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 erfordert eine Durchführungsmaßnahme der Kommission eine befürwortende Stellungnahme des zuständigen Ausschusses (hier des SCPAFF). 3.3.3. Möglichkeit einer zweiten Genehmigungsverlängerung Vorliegend geht es um eine zweite Genehmigungsverlängerung von Glyphosat, nachdem die Genehmigung bereits einmal bis zum 31. Dezember 2015 verlängert worden ist. Art. 17 Pflanzenschutz VO erwähnt die Möglichkeit einer zweiten Verlängerung nicht ausdrücklich, er schließt sie aber auch nicht aus. Es gibt keine Rechtsprechung zu der Frage, ob Art. 17 PflanzenschutzVO eine zweite Genehmigungsverlängerung ermöglicht. Grundsätzlich ist eine Verlängerung um den Zeitraum , der für die Antragsprüfung erforderlich ist, möglich. Ob eine solche Verlängerung in ein oder zwei Schritten erfolgt, ist nach hiesiger Auffassung letztlich unerheblich. 3.3.4. Zeitdauer einer Genehmigungsverlängerung nach Art. 17 UAbs. 1 PflanzenschutzVO Die Genehmigung kann nach Art. 17 PflanzenschutzVO bis zu einem Zeitpunkt verlängert werden , der zur endgültigen Entscheidung über den erneuten Genehmigungsantrag ausreicht. Die Länge dieses Zeitraums wird gemäß Art. 17 anhand der folgenden Elemente festgelegt: dem Zeitbedarf für die Vorlage der erforderlichen Informationen, dem Zeitbedarf für den Abschluss des Verfahrens und ggf. der Notwendigkeit, die Erstellung eines kohärenten Arbeitsprogramms zu gewährleisten . Der Entwurf der Durchführungsverordnung sieht eine Verlängerung der Glyphosat- Genehmigung bis zum 30. Juni 2016 vor. 3.3.5. Kontrollmöglichkeiten von Parlament und Rat Das Europäische Parlament und der Rat haben gemäß der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 in Bezug auf Durchführungsmaßnahmen grundsätzlich keine Entscheidungskompetenzen. Gemäß 25 Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. 1999 L, 184/23, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1999D0468:20060723:DE:PDF. 26 Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. 2011 L, 55/13, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R0182&qid=1439389878015&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 14 Art. 11 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 können sie die Kommission aber jederzeit darauf hinweisen , dass der Entwurf eines Durchführungsrechtsakts ihres Erachtens die im Basisrechtsakt (hier: die PflanzenschutzVO) vorgesehenen Durchführungsbefugnisse überschreitet, wenn der Basisrechtsakt nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden ist. In diesem Fall überprüft die Kommission den Entwurf des Durchführungsrechtsakts unter Berücksichtigung der vorgetragenen Standpunkte und unterrichtet das Europäische Parlament und den Rat darüber, ob sie beabsichtigt, den Entwurf des Durchführungsrechtsakts beizubehalten, abzuändern oder zurückzuziehen . Da die PflanzenschutzVO ausdrücklich in Art. 17 die Möglichkeit einer Genehmigungsverlängerung vorsieht, ist nicht ersichtlich, dass die Kommission mit dem Erlass einer Durchführungsverordnung zur zweiten Verlängerung der Glyphosat-Genehmigung um ein halbes Jahr ihre Befugnisse überschreitet. 3.4. Möglichkeiten gegen eine (erneute) Genehmigung vorzugehen Mehrere Umweltschutzverbände haben die Kommission bereits aufgefordert, ihre Genehmigung bestimmter Wirkstoffe intern zu überprüfen. Sie haben sich dafür auf Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1367/200627 gestützt. Angesichts der Klageanträge ist davon auszugehen, dass es das Ziel der Verbände war, gegen die Durchführungsverordnung, mit welcher ein Wirkstoff wie Metam genehmigt wurde, vorzugehen. Als die Kommission die Überprüfung bzw. den Antrag darauf abgelehnt hat, haben die Verbände Klagen beim EuG gegen die Ablehnungsbescheide der Kommission erhoben. 28 In der Rechtssache T-192/12 wies das EuG die Klage als teilweise offensichtlich unzulässig und teilweise offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend zurück,29 da die Klägerin in dieser Rechtssache zum einen zum Zeitpunkt der Klage noch nicht zwei Jahre existierte , was eine Voraussetzung der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 ist und zum anderen unzulässige Klageanträge gestellt hatte. Die beiden anderen Klagen sind mittlerweile zurückgenommen worden.30 Zudem sind gegen die Genehmigungen der Kommission Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 AEUV möglich. So hat z.B. Schweden gegen die Richtlinie 2003/112/EG geklagt, mit welcher die Kommission den Wirkstoff Paraquat genehmigt hat.31 27 Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. 2006 L, 264/13, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006R1367&qid=1439390072704&from=DE. 28 EuG, Klage eingereicht am 2. Mai 2012, Rs. T-192/12 – PAN Europe/Kommission; EuG, Klage eingereicht am 15. Oktober 2012, Rs. T-458/12 – Générations futures/Kommission; EuG, Klage eingereicht am 4. Januar 2013, Rs. T- 8/13 – ClientEarth u. a./Kommission. 29 EuG, Beschluss v. 12. März 2014, Rs. T-192-12, ECLI:EU:T:2014:152 – PAN Europe/Kommission. 30 EuG, Beschluss v. 5. März 2015, Rs. T-458/12, ECLI:EU:T:2015:155 – Générations futures/Kommission; EuG, Beschluss v. 21. Mai 2015, Rs. T-8/13, ECLI:EU:T:2015:348 – ClientEarth u. a./Kommission. 31 EuG, Urt. v. 11. Juli 2007, Rs. T-229/04, ECLI:EU:T:2007:217 – Schweden/Kommission. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 15 4. Abweichungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten Grundsätzlich können die Mitgliedstaaten nicht die Verwendung eines von der Kommission genehmigten Wirkstoffs verbieten. Die Einsatzmöglichkeit eines Wirkstoffes wird für die gesamte EU durch die Kommission genehmigt. Den Mitgliedstaaten obliegt die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln , welche den Wirkstoff enthalten. § 35 Abs. 1 des Pflanzenschutzgesetz (PflSchG)32 regelt, dass bei der Prüfung eines Antrages auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels, dessen Wirkstoff nach Art. 4 der PflanzenschutzVO genehmigt worden ist, die aus dem Genehmigungsverfahren abgeleiteten Erkenntnisse über die Eigenschaften des Wirkstoffes zu Grunde zu legen sind. Die Mitgliedstaaten entscheiden also nicht völlig autonom über die Zulassung der Pflanzenschutzmittel , sondern haben die EU-Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit des Wirkstoffs zu beachten. Diese Präjudizwirkung der Wirkstoffgenehmigung für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln folgt auch aus der PflanzenschutzVO. Nach Art. 29 Abs. 1 lit. a) Pflanzenschutz VO wird ein Pflanzenschutzmittel nur zugelassen, wenn seine Wirkstoffe genehmigt sind. Im Folgenden wird untersucht, welche Möglichkeiten den Mitgliedstaaten – insbesondere im Rahmen ihrer Verantwortung für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln – offen stehen, um die Verwendung eines Wirkstoffes bzw. der ihn enthaltenden Pflanzenschutzmittel zu beschränken oder zu verbieten. Dafür kommen Art. 29 und 31 PflanzenschutzVO (4.1.), Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO (4.2.), Art. 44 Abs. 1 und 3 PflanzenschutzVO (4.3.), Art. 1 Abs. 4 Pflanzenschutz VO (4.4.) und Art. 71 Abs. 1 PflanzenschutzVO (4.5.) in Betracht. Dabei wird für jede Norm geprüft, was ihre Voraussetzungen sind und ob eine Anwendung der Norm aufgrund des Umstandes , dass das Umweltbundesamt vor den ökologischen Folgen eines übermäßigen Glyphosateinsatzes warnt und die IARC Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ einstuft,33 und der Bedeutung des Vorsorgeprinzips im EU-Umweltrecht geboten ist. Außerdem wird untersucht, inwiefern Unternehmen gegen ein derartiges Vorgehen der Mitgliedstaaten klagen können. 4.1. Zulassung nach Art. 29, 31 PflanzenschutzVO Art. 29 PflanzenschutzVO legt die Voraussetzungen für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels fest. Nach Art. 31 Abs. 2 PflanzenschutzVO werden in der Zulassung Anforderungen für das Inverkehrbringen und die Verwendung des Pflanzenschutzmittels festgelegt. Ziel der PflanzenschutzVO ist nach Erwägungsgrund 9 der Verordnung, Handelshemmnisse für Pflanzenschutzmittel zu beseitigen. Zu diesem Zweck wurde mit der PflanzenschutzVO ein System der Zonenzulassung (Art. 35 ff. PflanzenschutzVO) und der gegenseitigen Anerkennung (Art. 40 ff. PflanzenschutzVO) etabliert. Wenn ein Hersteller die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels veranlassen will, muss er gemäß Art. 33 Abs. 1 PflanzenschutzVO in jedem Staat, in dem er sein Pflanzenschutzmittel in den Verkehr bringen möchte, einen Antrag auf Zulassung stellen. Der Antrag wird dann nach Art. 35 PflanzenschutzVO von einem Mitgliedstaat der jeweiligen 32 Pflanzenschutzgesetz vom 6. Februar 2012 (BGBl. I S. 148 ff., 1281), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 2. Dezember 2014 (BGBl. I S. 1928) geändert worden ist. 33 S. oben unter 3.1.1.2. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 16 Zone geprüft. Auf der Grundlage dieser Prüfung entscheidet jeder Mitgliedstaat selbst gemäß Art. 36 Abs. 2 über die Zulassung. Gemäß den Ausführungen der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in ihrem Guidance document zur Pflanzenschutzmittelzulassung soll dies aber keine erneute Bewertung des Zulassungsantrags bedeuten, sondern die Mitgliedstaaten sollen ihre Bewertung auf die besonderen nationalen Bedürfnisse beschränken.34 Wird das Pflanzenschutzmittel von der prüfenden Zulassungsbehörde einer Zone nach den Vorgaben der Pflanzenschutz VO zugelassen, ist es mithin grundsätzlich auch in den anderen Mitgliedstaaten, für die der Antrag gestellt worden ist, von den dortigen Zulassungsbehörden zuzulassen, ggf. unter Anpassung der Anwendungsbestimmungen.35 Eine andere Möglichkeit für den Hersteller bietet das System der gegenseitigen Anerkennung, welches in den Art. 40 ff. PflanzenschutzVO geregelt ist. Danach kann ein Hersteller, dessen Pflanzenschutzmittel bereits in einem Mitgliedstaat zugelassen ist, eine Zulassung für dasselbe Pflanzenschutzmittel, für dieselben Verwendungen und unter vergleichbaren landwirtschaftlichen Bedingungen in einem anderen Mitgliedstaat nach dem Verfahren der gegenseitigen Anerkennung beantragen. Der Mitgliedstaat, dem ein solcher Antrag vorgelegt wird, erteilt nach einer Prüfung im Hinblick auf die Bedingungen in seinem Hoheitsgebiet für das betreffende Pflanzenschutzmittel eine Zulassung grundsätzlich unter den gleichen Bedingungen wie der Mitgliedstaat , der den Antrag bereits zuvor geprüft hat. 4.1.1. Voraussetzungen des Art. 29 PflanzenschutzVO Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO benennt die Anforderungen, die ein Pflanzenschutzmittel erfüllen muss, um genehmigt zu werden. Für die vorliegende Fragestellung ist insbesondere die Voraussetzung des Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO von Bedeutung. Danach ist Voraussetzung für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels , dass es unter Berücksichtigung des neuesten Stands von Wissenschaft und Technik die Anforderungen gemäß Art. 4 Abs. 3 der PflanzenschutzVO erfüllt. Die Anforderungen von Art. 4 Abs. 3 lit. b) sind, dass Pflanzenschutzmittel keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen oder von Tieren noch auf das Grundwasser haben . Art. 4 Abs. 3 lit. c) und e) PflanzenschutzVO stellen die Anforderungen auf, dass das Pflanzenschutzmittel keine unannehmbaren Auswirkungen auf Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse und unter Berücksichtigung bestimmter Aspekte auf die Umwelt haben darf. Wenn Pflanzenschutzmittel , die Glyphosat beinhalten, schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen haben oder unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt, dürfen sie nach Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO nicht zugelassen werden. 34 EU-Kommission, Guidance document on zonal evaluation and mutual recognition under Regulation (EC) No 1107/2009, SANCO/13169/2010 rev. 9, S. 14 und 16 (“Other MS [Member States] must not re-evaluate the application but shall restrict the assessment to their national requirements described under article 36(3) and national data protection”); abrufbar unter http://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/approval_active_substances /docs/gd_mut_rec_en.pdf. 35 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 17.10.2011, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Pflanzenschutzrechtes , BT-Drucks. 17/7317, S. 39. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 17 Fraglich ist allerdings, wann derartige schädliche bzw. unannehmbare Auswirkungen vorliegen. Vorgaben hierzu finden sich in der Verordnung (EU) Nr. 546/2011.36 Diese gibt detailliert vor, unter welchen Umständen die Voraussetzungen aus Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO vorliegen oder nicht. Die Mitgliedstaaten können mithin nicht aus eigenen Erwägungen heraus schädliche Auswirkungen eines Pflanzenschutzmittels auf die Gesundheit von Menschen oder unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt annehmen und deswegen eine Zulassung nach Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO verweigern. Sie sind insoweit an die von der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 vorgegebenen Kriterien gebunden. Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO in der Ausgestaltung der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 ermöglicht keine Neuüberprüfung des von der Kommission genehmigten Wirkstoffes, sondern nur die Kontrolle seines konkreten Einsatzes in dem jeweils zuzulassenden Pflanzenschutzmittel. Die Kontrolle der Pflanzenschutzmittel baut auf den Erkenntnissen des Wirkstoffgenehmigungsverfahrens auf. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eines Wirkstoffes wird z.B. nach Randnummer 3.6.1. des Anhangs II der PflanzenschutzVO die annehmbare Anwenderexposition (Acceptable Operator Exposure Level, AOEL) festgestellt. Die schädlichen Auswirkungen eines Pflanzenschutzmittels auf die Gesundheit von Menschen werden nach Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. b) PflanzenschutzVO in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 geprüft, indem die Mitgliedstaaten kontrollieren, ob die Verwendung eines Pflanzenschutzmittels zu einer wahrscheinlich zu verzeichnende Exposition des Anwenders gegenüber dem im Pflanzenschutzmittel enthaltenen Wirkstoff führt.37 Ein Pflanzenschutzmittel ist folglich wegen schädlicher Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen und Tieren nicht zuzulassen, „wenn der Anwender bei der Handhabung und Verwendung des Pflanzenschutzmittels gemäß den vorgeschlagenen Bedingungen, einschließlich Dosis und Anwendungsmethode, einer höheren als der annehmbaren Anwenderexposition (AOEL = Acceptable Operator Exposition Level) ausgesetzt ist“.38 Die Mitgliedstaaten prüfen nach Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. b) PflanzenschutzVO also nicht die grundsätzlich möglichen, schädlichen Auswirkungen eines Wirkstoffes auf die menschliche Gesundheit, sondern die konkreten Auswirkungen (insbesondere die Anwenderexposition ) eines bestimmten Pflanzenschutzmittels, welches den Wirkstoff beinhaltet. 4.1.2. Voraussetzungen des Art. 31 PflanzenschutzVO Fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln beschränken können . Es ist zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten den Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel in Bezug auf einzelne Nutzergruppen wie nicht-berufliche Anwender und Anwenderinnen, Anwendungen wie Sikkation/Vorerntebehandlung, den Einsatz an/in der Nähe von Orten, wo sich vermehrt Kinder aufhalten oder den kommunalen Einsatz beschränken können. Hierfür kommt insbesondere Art. 31 PflanzenschutzVO in Betracht. 36 Verordnung (EU) Nr. 546/2011 der Kommission vom 10. Juni 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich einheitlicher Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, ABl. 2011 L, 155/127, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUri Serv/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:155:0127:0175:DE:PDF. 37 2.4.1.1 des Teils B der Verordnung (EU) Nr. 546/2011. 38 2.4.1.1. des Teils C der Verordnung (EU) Nr. 546/2011. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 18 Nach Art. 31 Abs. 1 PflanzenschutzVO kann bei der Zulassung festlegt werden, bei welchen Pflanzen oder Pflanzenerzeugnissen und nicht-landwirtschaftlichen Bereichen (z. B. Bahnanlagen , öffentliche Bereiche, Lagerräume) und für welche Zwecke das Pflanzenschutzmittel verwendet werden darf. Art. 31 Abs. 4 lit. d) der PflanzenschutzVO ermöglicht ausdrücklich die Einschränkung von Verwenderkategorien auf berufliche Verwender. Zudem enthält Art. 31 Abs. 4 lit. a) eine Art Generalklausel, wonach Beschränkungen in Bezug auf Vertrieb und Verwendung des Pflanzenschutzmittels, die dem Schutz der Gesundheit von Menschen oder der Umwelt dienen sollen, möglich sind. Die Möglichkeit der Beschränkung des Einsatzes eines Pflanzenschutzmittels an/in der Nähe von Orten, wo sich vermehrt Kinder aufhalten oder des kommunalen Einsatzes ist in der Pflanzenschutz VO nicht ausdrücklich geregelt. Vorgaben diesbezüglich finden sich aber in der Pflanzenschutz -Rahmenrichtlinie,39 welche nach ihrem Erwägungsgrund 3 die Maßnahmen der Pflanzenschutz VO ergänzen soll. Art. 12 der Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie gibt vor: „Die Mitgliedstaaten stellen […] sicher, dass die Verwendung von Pestiziden in bestimmten Gebieten so weit wie möglich minimiert oder verboten wird. […] Diese bestimmten Gebiete sind: a) Gebiete, die von der Allgemeinheit oder von gefährdeten Personengruppen im Sinne von Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 genutzt werden, wie öffentliche Parks und Gärten, Sport- und Freizeitplätze, Schulgelände und Kinderspielplätze sowie Gebiete in unmittelbarer Nähe von Einrichtungen des Gesundheitswesens.“ Demnach sind auch derartige Beschränkungen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich möglich. Auf europäischer Ebene existieren mithin Normen, die verschiedene Beschränkungen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln durch die Mitgliedstaaten ermöglichen. 4.1.3. Klagemöglichkeiten von Unternehmen Gemäß § 33 PflSchG ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zuständig für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels nach den Art. 29, 30, 40, 43 ff., 47 f. und 51 PflanzenschutzVO und damit auch für die Entscheidung über eine beschränkte Zulassung bzw. eine Zulassungsverweigerung. Bei einer Entscheidung zur Beschränkung oder Verweigerung einer Zulassung handelt sich um einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG. In diesen Fällen muss das Unternehmen zunächst nach § 68 VwGO einen Widerspruch einlegen und kann, wenn dieser erfolglos bleibt, eine Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO beim Verwaltungsgericht erheben mit dem Ziel, dass das Verwaltungsgericht das BVL zum Erlass des gewünschten Zulassungsbescheids verpflichtet. 4.1.4. Gebotenheit einer Inanspruchnahme Fraglich ist, inwiefern ein Vorgehen der Mitgliedstaaten gegen glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel angesichts der Ergebnisse der IARC-Studie, einer Warnung des Umweltbundesamtes vor 39 Richtlinie 2009/128/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden, ABl 2009 L 309/71, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:309:0071:0086:de:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 19 den ökologischen Folgen von Glyphosat und der Bedeutung des Vorsorgeprinzips im europäischen Umweltrecht geboten ist. Nach Art. 29 PflanzenschutzVO darf eine Zulassung nicht erteilt werden, wenn das Pflanzenschutzmittel die Anforderungen von Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO nicht erfüllt. 4.1.4.1. IARC-Studie Die Gefahr, dass der im Pflanzenschutzmittel enthaltene Wirkstoff wahrscheinlich karzinogen ist, könnte zu der Annahme führen, dass die ihn enthaltenden Pflanzenschutzmittel schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen oder Tieren haben. Das könnte die Annahme rechtfertigen , dass die Zulassungsvoraussetzung des Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. b) Pflanzenschutz VO in einem solchen Fall nicht vorliegen und folglich die Zulassung nicht erteilt werden darf. Allerdings ermöglicht Art. 29 Abs. 1 lit. e) keine vollständige Neuüberprüfung eines Wirkstoffes im Hinblick auf dessen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Gemäß den Vorgaben in der Verordnung (EU) Nr. 546/2011 überprüfen die Mitgliedstaaten im Rahmen von Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 PflanzenschutzVO allein die Konsequenzen der Anwendung eines zugelassenen Wirkstoffes in einem bestimmten Pflanzenschutzmittel. Die Karzinogenität eines Wirkstoffes wird von der EU im Rahmen des Genehmigungsverfahrens des Wirkstoffes überprüft. Hat die EFSA festgestellt, dass ein Wirkstoff nicht karzinogen ist, kann der Wirkstoff genehmigt werden, wenn auch alle anderen Genehmigungserfordernisse erfüllt sind. Hat die EFSA festgestellt, dass ein Wirkstoff karzinogen ist, wird er von der Kommission nicht genehmigt, es sei denn, die Exposition von Menschen ihm gegenüber ist vernachlässigbar. Die Frage nach der Karzinogenität eines Wirkstoffes wird (abschließend) auf der EU-Ebene kontrolliert und muss folglich nicht mehr auf Ebene der Mitgliedstaaten geprüft werden. Die Mitgliedstaaten prüfen im Rahmen von Art. 29 PflanzenschutzVO grundsätzlich nur Fragen, die im Rahmen der Genehmigung des Wirkstoffes noch nicht abschließend geklärt worden sind. Hierzu zählt gemäß Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. b) PflanzenschutzVO die Prüfung der Exposition von Menschen gegenüber dem Pflanzenschutzmittel , welches den Wirkstoff enthält. Mithin ist die IARC-Studie für die Genehmigung des Wirkstoffes Glyphosat auf EU-Ebene von Bedeutung, sie führt aber nicht zu einer Pflicht der Mitgliedstaaten, die Zulassungen von glyphosathaltigen Wirkstoffen nach Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. b) PflanzenschutzVO zu verweigern. 4.1.4.2. Warnung des Umweltbundesamtes Es ist zu prüfen, ob aufgrund der Warnung des Umweltbundesamtes, dass bezüglich des Einsatzes von Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln Bedenken im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt bestehen, ein unannehmbares Risiko im Hinblick auf die Umwelt angenommen werden kann, welches nach. Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. e) PflanzenschutzVO zur Verweigerung der Zulassung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmittel führen muss. Nach Art. 4 Abs. 3 lit. e) iii) PflanzenschutzVO dürfen Pflanzenschutzmittel unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben. Die Verordnung (EU) Nr. 546/2011 gibt den Mitgliedstaaten keine konkreten Bewertungsvorgaben für diese Zulassungsanforderung vor. Es heißt lediglich in den allgemeinen Grundsätzen, dass die Mitgliedstaaten darauf zu achten haben, Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 20 „dass die Verwendung der Pflanzenschutzmittel keine langfristigen Auswirkungen auf den Bestand und die Vielfalt der nicht zu den Zielgruppen gehörenden Arten hat.“40 In seinen Ausführungen für den Bericht Deutschlands zur Neubewertung bezüglich der Genehmigung von Glyphosat äußerte das Umweltbundesamt Bedenken im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt in Folge einer Störung von Nahrungsnetzen.41 Fraglich ist, ob das Umweltbundesamt aufgrund dieser Bedenken bereits im Rahmen des Genehmigungsverfahrens abschließend ein unannehmbares Risiko von Glyphosat bzw. Pflanzenschutzmitteln, die Glyphosat enthalten , im Sinne von Art. 4 Abs. 3 lit. e) iii) PflanzenschutzVO festgestellt hat. Gegen eine abschließende Feststellung eines unannehmbaren Risikos durch das Umweltbundesamt spricht, dass laut Umweltbundesamt das Ausmaß der Auswirkungen von Glyphosat auf die Umwelt in Folge von Nahrungsnetzeffekten von den landwirtschaftlichen und landschaftsökologischen Bedingungen abhängt, unter denen die Anwendung stattfindet. 42 Das Umweltbundesamt benennt in dem Bericht also Gefahren des Glyphosateinsatzes für die biologische Vielfalt, die von den spezifischen Besonderheiten der Landwirtschaft und Ökologie in den Mitgliedstaaten und der Verfügbarkeit von Risikominderungsmaßnahmen abhängen. Folglich kann aus der generellen Glyphosat-Bewertung des Umweltbundesamtes im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der EU nicht direkt eine Gebotenheit der Zulassungsverweigerung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln in Deutschland abgeleitet werden. Vielmehr ist im Zulassungsverfahren zunächst für die einzelnen glyphosathaltigen Mittel und ihre Anwendungen unter Berücksichtigung der landwirtschaftlichen und ökologischen Bedingungen in Deutschland zu prüfen, ob deren Auswirkungen in Folge von Nahrungsnetzeffekten auf die Umwelt in Deutschland ein unannehmbares Ausmaß haben und ob die Auswirkungen durch die aufgezeigten Risikominderungsmaßnahmen auf ein annehmbares Maß gesenkt werden können. Erst eine solche Prüfung ermöglicht eine Zulassungsentscheidung nach Art. 29, 31 PflanzenschutzVO: 4.1.4.3. Bedeutung des Vorsorgeprinzips Das Vorsorgeprinzip gebietet der EU und den Mitgliedstaaten „durch Maßnahmen, die geeignet sind, die bekannten Risiken auszuschalten, Umweltbelastungen an der Quelle vorzubeugen, sie zu verringern und nach Möglichkeit zu beseitigen“.43 Dahinter steht der Grundsatz, dass auch bei einer unsicheren Risikolage im Umweltbereich die EU bzw. ein Mitgliedstaat schon reagieren kann.44 Nach der Rechtsprechung des EuGH folgt aus dem Vorsorgeprinzip, „dass bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit 40 1.5 des Teils C der Verordnung (EU) Nr. 546/2011. 41 BVL, Pressemitteilung, abrufbar unter http://www.bvl.bund.de/DE/08_PresseInfothek/01_FuerJournalisten /01_Presse_und_Hintergrundinformationen/04_Pflanzenschutzmittel/2014/2014_01_06_pi_glyphosat.html. 42 S. oben unter 3.1.3. 43 EuGH, Urt. v. 22. Juni 2000, Rs. C-318/98, ECLI:EU:C:2000:337 – Fornasar, Rn. 37. 44 Epiney, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 75. EgL 2015, Art. 191 AEUV, Rn. 28. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 21 Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden.“45 4.1.4.3.1. Voraussetzungen des Vorsorgeprinzips Der EuGH postuliert als grundlegende Bedingungen für eine Anwendung des Vorsorgeprinzips, dass erstens die möglicherweise negativen Auswirkungen der vorgeschlagenen Anwendung des fraglichen Stoffes auf die Gesundheit bestimmt werden müssen. In einem zweiten Schritt muss eine umfassende Bewertung des Gesundheitsrisikos auf der Grundlage der zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung erfolgen.46 Wenn diese Bewertung es nicht ermöglicht, „das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, nicht schlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die öffentliche Gesundheit jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen, wenn sie objektiv und nicht diskriminierend sind.“47 Das Vorsorgeprinzip ermöglicht es Behörden somit nicht, aufgrund einer bloßen Risikobehauptung und rein hypothetischen Erwägungen tätig zu werden. Ein Einschreiten der Behörden unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip setzt voraus, dass aus wissenschaftlicher Sicht ein gewisses Risiko besteht. 48 Unter Risiko ist nach dem EuG „eine Funktion der Wahrscheinlichkeit nachteiliger Wirkungen für das von der Rechtsordnung geschützte Gut aufgrund der Verwendung eines Produktes oder Verfahrens“49 zu verstehen. Wenn eine umfassende Bewertung des Gesundheitsrisikos eines Stoffes keine abschließende Feststellung zu diesem Risiko ermöglicht, sondern Unsicherheiten verbleiben, kann aufgrund des Vorsorgeprinzips eine Entscheidung getroffen werden , gegen den fraglichen Stoff vorzugehen. 4.1.4.3.2. Konsequenzen des Vorsorgeprinzips Fraglich ist, ob das Vorsorgeprinzip in derartigen Fällen die Behörden zu einem präventiven Handeln verpflichtet oder es sie lediglich dazu ermächtigt, trotz Unsicherheiten tätig zu werden. Es ist im Folgenden zu klären, ob das Vorsorgeprinzip so zu verstehen ist, dass die zuständigen 45 EuGH, Urt. v. 5. Mai 1998, Rs. C-157/96, ECLI:EU:C:1998:191 – National Farmers' Union, Rn. 63; EuGH, Urt. v. 5. Mai 1998, Rs. C-180/96, ECLI:EU:C:1998:192 – Vereinigtes Königreich/Kommission, Rn. 99; EuGH, Urt. v. 9. September 2003, Rs. C-236/01, ECLI:EU:C:2003:431 – Monsanto, Rn. 111. 46 EuGH, Urt. v. 22. Dezember 2010, Rs. C-77/09, ECLI:EU:C:2010:803 – Gowan Comércio Internacional e Serviços Lda, Rn. 75; ähnlich: EuGH, Urt. v. 28. Januar 2010, Rs. C-333/08, ECLI:EU:C:2010:44 – Kommission/Frankreich, Rn. 92. 47 EuGH, Urt. v. 22. Dezember 2010, Rs. C-77/09, ECLI:EU:C:2010:803 – Gowan Comércio Internacional e Serviços Lda, Rn. 76; ähnlich: EuGH, Urt. v. 28. Januar 2010, Rs. C-333/08, ECLI:EU:C:2010:44 – Kommission/Frankreich, Rn. 93. 48 EuGH, Urt.v. 5. Februar 2004, Rs. C-95/01, ECLI:EU:C:2004:71 – Greenham und Abel, Rn. 43. 49 EuG, Urt. v. 11.9.2002, Rs. T-13/99 – Pfizer Animal Health SA, Rn. 147; EuG, Urt. v. 12. April 2013, T-31/07, ECLI:EU:T:2013:167 – Du Pont de Nemours (France) SAS, Rn. 144. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 22 Behörden bei Unsicherheiten bezüglich des Gesundheitsrisikos verpflichtet sind, restriktive Maßnahmen zu ergreifen. Der EuGH hat das Vorsorgeprinzip bisher primär als Ermächtigung oder Legitimation für behördliches Handeln herangezogen.50 Vorliegend geht es aber nicht um die Frage, ob die zuständigen Behörden aufgrund des Vorsorgeprinzips Zulassungen widerrufen bzw. Genehmigungen verweigern können, sondern ob sie das tun müssen. Es gibt nur eine beschränkte Anzahl von Fällen, in denen aufgrund des Vorsorgeprinzips von der europäischen Rechtsprechung eine Handlungspflicht angenommen worden ist. Nur in einem Fall ging es dabei unmittelbar um die Pflicht der zuständigen Behörde aufgrund des Vorsorgeprinzips, einen Wirkstoff nicht zu genehmigen. In den anderen Verfahren klagten Unternehmen gegen Genehmigungsverweigerungen und machten diesbezüglich eine fehlerhafte Anwendung des Vorsorgeprinzips geltend. In diesem Zusammenhang äußerte sich das EuG dann zuweilen auch über eine „Pflicht“ der Behörden. In der Rechtssache Pfizer entschied das EuG, dass nach dem Vorsorgegrundsatz eine „öffentliche Stelle verpflichtet sein kann, zu handeln, noch bevor nachteilige Wirkungen eingetreten sind.“51 Es benannte die Voraussetzungen einer solchen Handlungspflicht aber nicht näher. In der Rechtssache Artegodan stellte das EuG fest, dass der Versorgungsgrundsatz „die zuständigen Behörden verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu treffen, um bestimmte potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt auszuschließen, indem sie den mit dem Schutz dieser Interessen verbundenen Erfordernissen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumen.“52 Auch hier benannte das Gericht die Voraussetzungen für eine Handlungspflicht nicht näher. Aufschluss diesbezüglich gibt das Urteil des EuG in der Rechtssache Schweden/Kommission. In diesem Verfahren klagte Schweden gegen die Richtlinie, mit welcher die Kommission den Wirkstoff Paraquat (unter bestimmten Beschränkungen) genehmigt hatte. Schweden sah in der Genehmigung einen Verstoß u.a. gegen das Vorsorgeprinzip. Das EuG entschied, dass aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 in Verbindung mit dem Vorsorgegrundsatz folgt, „dass, wenn es um die menschliche Gesundheit geht, das Vorliegen ernsthafter Anhaltspunkte, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Stoffes erlauben, der Aufnahme dieses Stoffes in Anhang I der Richtlinie 91/414 grundsätzlich entgegensteht “ und erklärte die Richtlinie im Ergebnis für nichtig.53 50 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 158 ff. 51 EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health SA, Rn. 444. 52 EuG, Urt. v. 26. November 2002, verb. Rs. T-74/00, T-76/00, T-83/00 bis T-85/00, T-132/00, T-137/00 und T- 141/00, ECLI:EU:T:2002:283 – Artegodan, Rn. 184. 53 EuG, Urt. v. 11. Juli 2007, Rs. T-229/04, ECLI:EU:T:2007:217 – Schweden/Kommission, insbesondere Rn. 161, Hervorhebung durch den Verfasser. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 23 Diese Wertung wiederholte das EuG in den Rechtssachen Cheminova54 und Denka International BV55, in denen es allerdings nicht um eine Pflicht der Kommission zur Genehmigungsverweigerung ging, sondern um Klagen von Unternehmen, deren Wirkstoffe von der Kommission nicht genehmigt worden waren. In der Rechtssache Du Pont de Nemours ergänzte bzw. beschränkte das Gericht seine Ausführungen aus der Rechtssache Schweden/Kommission.56 In dem Verfahren hatte das Unternehmen Du Pont de Nemours gegen die Beschränkungen geklagt, welche die Kommission im Rahmen der Richtlinie festgelegt hatte, mit welcher der Wirkstoff Flusilazole für 18 Monate genehmigt wurde, festgelegt hatte. Das Gericht entschied, dass zwar in der Rechtssache Schweden/Kommission entschieden worden sei, dass das Vorliegen ernsthafter Anhaltspunkte, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Stoffes erlauben , der Aufnahme dieses Stoffes in Anhang I der Richtlinie 91/414 grundsätzlich entgegensteht. Es folge aber aus einer systematischen Interpretation der (alten) Pflanzenschutzmittelrichtlinie 91/414, dass Stoffe, an deren Unbedenklichkeit Zweifel bestehen, durch Beschränkungen genehmigungsfähig werden können.57 Nach dieser jüngsten Entscheidung des EuG ist mithin trotz des Vorliegens ernsthafter Anhaltspunkte , die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Stoffes erlauben, die Genehmigung eines Wirkstoffes möglich, wenn durch Verwendungsbeschränkungen sichergestellt werden kann, dass die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt werden. Die Möglichkeit einer Verwendungsbeschränkung begrenzt damit den Anwendungsbereich der Genehmigungsverweigerung. Die Möglichkeit einer Verwendungsbe- 54 EuG, Urt. v. 3.9.2009, Rs. T‑326/07, ECLI:EU:T:2009:299 – Cheminova, Rn. 166. 55 EuG, Urt. v. 19.11.2009, Rs. T‑334/07, ECLI:EU:T:2009:453 – Denka International BV, Rn. 180. 56 EuG, Urt. v. 12. April 2013, T-31/07, ECLI:EU:T:2013:167 – Du Pont de Nemours (France) SAS, Rn. 153. 57 EuG, Urt. v. 12. April 2013, T-31/07, ECLI:EU:T:2013:167 – Du Pont de Nemours (France) SAS, Rn. 152 (“It has been held that it followed from Article 5(1) of Directive 91/414, interpreted in combination with the precautionary principle, that, in the domain of human health, the existence of solid evidence which, while not resolving scientific uncertainty, may reasonably raise doubts as to the safety of a substance, justified, in principle, the refusal to include that substance in Annex I thereto (Sweden v Commission, cited in paragraph 140 above, paragraph 161). Nevertheless, the case-law also makes it clear, following a systematic interpretation of Articles 4 and 5 of Directive 91/414, that the effect of Article 5(4) thereof, which provides that inclusion of an active substance in Annex I thereto may be subject to restrictions on use, is to permit inclusion of active substances which do not fulfil the requirements of Article 5(1) thereof but subject to certain restrictions which exclude problematic uses of the substance involved [...]”). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 24 schränkung ist aber selbst im Lichte des Vorsorgeprinzips auszulegen. Aufgrund des Vorsorgeprinzips muss daher vor der Genehmigung eines Wirkstoffes zweifelsfrei bewiesen werden, dass die Verwendungsbeschränkungen seine Genehmigungsfähigkeit sicherstellen.58 Der EuGH hat zu der Frage einer Handlungspflicht der Behörden aufgrund des Vorsorgeprinzips, soweit ersichtlich, noch kein Urteil erlassen. Es entspricht aber zumindest der Rechtsprechung des EuG, dass „das Vorliegen ernsthafter Anhaltspunkte, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Stoffes erlauben“ aufgrund des Vorsorgeprinzips einer Genehmigung dieses Stoffes entgegensteht. Anderes gilt, wenn die Genehmigungsfähigkeit des Stoffes sich durch Beschränkungen zweifelsfrei sicherstellen lässt. 4.1.4.3.3. Begrenzte rechtliche Kontrolle des Vorsorgeprinzips Die Möglichkeiten einer juristischen und gerichtlichen Kontrolle sowohl des Prinzips als auch der aus dem Vorsorgeprinzip folgenden Handlungspflicht sind begrenzt.59 Das Vorsorgeprinzip gilt für Situationen, die durch große Ungewissheit geprägt sind und bei denen es um wissenschaftliche Probleme geht, so dass Richter in diesem Bereich lediglich eine Evidenzkontrolle vornehmen können und politische Instanzen ein weites Ermessen besitzen.60 Diese Ansicht teilt der EuGH, welcher der Kommission als zuständiger Genehmigungsbehörde ein weites Ermessen hinsichtlich ihrer Risikomaßnahmen zubilligt, wenn sie im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens handelt; „dieser Bereich impliziert nämlich insbesondere politische Entscheidungen und komplexe Beurteilungen. Eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme ist nur dann rechtswidrig, wenn sie offensichtlich ungeeignet ist.“61 Nach Ansicht des EuGH erfordert die Anwendung des Vorsorgeprinzips zunächst eine wissenschaftliche Bewertung der verschiedenen Studien zu dem potentiellen Risiko des fraglichen Stoffes für die menschliche Gesundheit. Wenn nicht mit abschließender Sicherheit ein Risiko für die Gesundheit festgestellt bzw. ausgeschlossen werden kann, schließt sich eine politische Risikoabwägung an, ob und mit welchen Maßnahmen die zuständige Behörde gegen den Stoff vorgeht. 58 EuG, Urt. v. 12. April 2013, T-31/07, ECLI:EU:T:2013:167 – Du Pont de Nemours (France) SAS, Rn. 152 f. (“[…]Nevertheless, the case-law also makes it clear, following a systematic interpretation of Articles 4 and 5 of Directive 91/414, that the effect of Article 5(4) thereof, which provides that inclusion of an active substance in Annex I thereto may be subject to restrictions on use, is to permit inclusion of active substances which do not fulfil the requirements of Article 5(1) thereof but subject to certain restrictions which exclude problematic uses of the substance involved. Since Article 5(4) of Directive 91/414 is to be regarded as a limitation on Article 5(1) thereof, it must be interpreted in the light of the precautionary principle. Consequently, before including a substance in Annex I to Directive 91/414, it must be established beyond any reasonable doubt that the restrictions on the use of the substance involved make it possible to ensure that use of that substance will be in accordance with the requirements laid down in Article 5(1) thereof.”). 59 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 169. 60 GA Mischo, Schlussanträge v. 2. Juli 2002, Rs. C-241/01, ECLI:EU:C:2002:415 – National Farmers‘ Union, Rn. 74 f. 61 EuGH, Urt. v. 22. Dezember 2010, Rs. C-77/09, ECLI:EU:C:2010:803 – Gowan Comércio Internacional e Serviços Lda, Rn. 82. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 25 Diese Risikoabwägung ist dann primär eine politische Entscheidung. Die europäische Rechtsprechung besitzt im Hinblick auf die wissenschaftliche Bewertung wie auch auf die anschließende Risikoabwägung nur einen reduzierten Prüfungsumfang. Das EuG hat in der Rechtssache Schweden /Kommission zwar die wissenschaftliche Bewertung der verschiedenen Studien und die politische Risikoabwägung der Kommission nachgeprüft. Es hat dadurch den Ermessensspielraum der Kommission verengt und eine Pflicht der zuständigen Behörde zu einer Genehmigungsverweigerung angenommen. Dabei handelte es sich jedoch um eine Einzelfallentscheidung.62 Grundsätzlich nimmt die europäische Rechtsprechung einen relativ weiten Ermessensspielraum der zuständigen Behörde im Bereich des Vorsorgeprinzips an.63 4.1.5. Zwischenergebnis Art. 29 und 31 PflanzenschutzVO sind von den deutschen Behörden anzuwenden, wenn diese für die Zulassungsprüfung eines Pflanzenschutzmittels verantwortlich sind. Für die Situation, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine bereits erteilte Zulassung in Frage stellen, bietet Art. 44 der PflanzenschutzVO den Mitgliedstaaten Handlungsmöglichkeiten (dazu weiter unten unter 4.3.). Solange keine Zulassung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln in Deutschland beantragt wird, kommt eine Anwendung von Art. 29 bzw. 31 PflanzenschutzVO nicht in Betracht . Im Fall eines Zulassungsantrags gebieten die oben diskutierten Umstände auch unter Beachtung des Vorsorgeprinzips kein Verbot glyphosathatiger Pflanzenschutzmittel. Die IARC-Studie ist für eine Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nach Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO nicht unmittelbar relevant und die Warnung des Umweltbundesamtes beinhaltet keine abschließenden Feststellungen zu den Umweltrisiken von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln in Deutschland , welche nach Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. e) iii) einer Zulassung entgegenstehen würden. Es ist diesbezüglich eine Prüfung im Rahmen des Zulassungsverfahrens erforderlich, die dann ggf. zu Zulassungsbeschränkungen oder sogar einer Untersagung führen könnte. 4.2. Zulassung nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO Grundsätzlich entscheidet der mit der Zulassungsprüfung innerhalb einer Zone gemäß Art. 35 PflanzenschutzVO beauftragte Mitgliedstaat über die Zulassung bzw. Zulassungsbeschränkungen. 62 Arndt, Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 262. 63 EuG, Urt. v. 11. September 2002, Rs. T-13/99, ECLI:EU:T:2002:209 – Pfizer Animal Health SA, Rn. 166 ff. (“Was den Umfang der gerichtlichen Kontrolle betrifft, so ist daran zu erinnern, dass die Gemeinschaftsorgane nach ständiger Rechtsprechung im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik über ein weites Ermessen hinsichtlich der Definition der verfolgten Ziele und der Wahl des für ihr Vorgehen geeigneten Instrumentariums verfügen. […] Daraus folgt, dass die Gemeinschaftsorgane im vorliegenden Fall insbesondere bei der Bestimmung des für die Gesellschaft für nicht hinnehmbar gehaltenen Risikograds über ein weites Ermessen verfügten. Darüber hinaus bezieht sich nach ständiger Rechtsprechung, wenn eine Gemeinschaftsbehörde im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Prüfungen vorzunehmen hat, das Ermessen, über das sie insoweit verfügt, in bestimmtem Umfang auch auf die Feststellung der ihrem Vorgehen zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände.“). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 26 Art. 36 Abs. 3 der PflanzenschutzVO eröffnet sowohl im Zulassungsverfahren gemäß Art. 33 PflanzenschutzVO als auch im Rahmen des Systems der gegenseitigen Anerkennung (s. den Verweis in Art. 41 Abs. 1 PflanzenschutzVO) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, voneinander abweichende Zulassungsentscheidungen zu treffen. Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, eigene nationale Zulassungsbedingungen festzulegen und, wenn dies als Schutzmaßnahme nicht genügt, die Zulassung zu verweigern. In dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Anpassung des deutschen Pflanzenschutzgesetzes an die europäischen Regelungen steht dementsprechend in der Begründung: „Wird das Pflanzenschutzmittel von der prüfenden Zulassungsbehörde nach den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zugelassen , ist es auch in den anderen Ländern, für die der Antrag gestellt worden ist, von den dortigen Zulassungsbehörden zuzulassen, ggf. unter Anpassung der Anwendungsbestimmungen.“64 Bisher gibt es noch keine abgeschlossenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, die Aufschluss bezüglich der Auslegung und Anwendungspraxis von Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO bieten könnten. Daher wird im Folgenden im Wesentlichen auf den Gesetzeswortlaut und die Dokumente zu der Entstehung der PflanzenschutzVO zurückgegriffen. Im Folgenden werden zunächst die zwei Möglichkeiten des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO dargestellt, eine Zulassung mit Verwendungsbestimmungen zu erlassen (4.2.1.) oder eine Zulassung zu verweigern (4.2.2.). Anschließend werden der Zeitpunkt ihrer Anwendung (4.2.3.), die Möglichkeit von Unternehmen gegen derartige Maßnahmen zu klagen (4.2.4.), und zuletzt die Frage nach der Gebotenheit einer Inanspruchnahme von Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO angesichts jüngster Entwicklungen im Bereich Glyphosat (4.2.5.) geprüft. 4.2.1. Voraussetzungen der Verwendungsbestimmungen Bei der Entscheidung über die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels kann ein Mitgliedstaat nach Art. 31 PflanzenschutzVO verschiedene Auflagen für das Inverkehrbringen und die Verwendung des Pflanzenschutzmittels festlegen. Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO ermöglicht den Mitgliedstaaten in Fällen, in denen ein anderer Mitgliedstaat für die Zulassungsprüfung verantwortlich ist, eigene Zulassungsvoraussetzungen festzulegen. Nach Art. 36 Abs. 3 UAbs. 1 können die Mitgliedstaaten unter Beachtung des Unionsrechts Zulassungsbedingungen und andere Maßnahmen zur Risikominderung in Abweichung von der Entscheidung des für die Zulassungsprüfung verantwortlichen Staates festlegen. Die Voraussetzungen dieser Möglichkeit lassen sich aufgrund der mehrdeutigen Formulierung des Unterabsatzes nicht abschließend bestimmen. Es steht dort: „Abweichend von Absatz 2 und vorbehaltlich des Gemeinschaftsrechts können geeignete Bedingungen in Bezug auf die Anforderungen gemäß Artikel 31 Absätze 3 und 4 und andere Maßnahmen zur Risikominderung, die sich aus den spezifischen Verwendungsbedingungen ergeben, festgelegt werden.“ Es ist nicht klar, ob sich auch die Zulassungsbedingungen oder nur die anderen Maßnahmen zur Risikominderung aus den spezifischen Verwendungsbedingungen des Mitgliedstaates ergeben müssen. Folglich kann nicht sicher entschieden werden, ob die Festlegung nationaler Verwendungsbestimmungen spezifische Verwendungsbedingungen im jeweiligen Mitgliedstaate voraussetzt. Für spezifische Bedingungen im jeweiligen Mitgliedstaat sprechen die folgenden Ausführungen zu den Verbotsvoraussetzungen. 64 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 17.10.2011, Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Pflanzenschutzrechtes , BT- Drucksache 17/7317, S. 39, Hervorhebung durch den Verfasser. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 27 In jedem Fall muss es gemäß Art. 36 Abs. 3 Satz 2 PflanzenschutzVO das Ziel derartiger Maßnahmen sein, Bedenken eines Mitgliedstaates in Bezug auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt auszuräumen. 4.2.2. Voraussetzungen des Verbots Art. 36 Abs. 3 UAbs. 2 der PflanzenschutzVO sieht eine Möglichkeit für Mitgliedstaaten vor, die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die einen bestimmten Wirkstoff enthalten, zu verweigern, wenn für den Mitgliedstaat angesichts spezifischer ökologischer oder landwirtschaftlicher Bedingungen berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass das betreffende Produkt ein unannehmbares Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt und dieses Risiko nicht durch Verwendungsbestimmungen ausgeräumt werden kann. Entscheidend für die Möglichkeit eines nationalen Verbotes ist das Verständnis des Begriffs „spezifisch“ in § 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO. Es gibt hierzu keine Rechtsprechung, sodass im Folgenden eine Auslegung nach den juristischen Auslegungsgrundsätzen vorgenommen wird. 4.2.2.1. Wortlautauslegung Die Auslegung nach dem Wortlaut legt nahe, dass in dem jeweiligen Mitgliedstaat ökologische und landwirtschaftliche Bedingungen vorliegen müssen, die ihn von anderen Mitgliedstaaten unterscheiden . Nur in diesen Fällen gebietet die spezifische Situation eine Abweichung von der allgemeinen Zulassungspraxis. 4.2.2.2. Teleologische Auslegung Für die Auslegung können zudem die Erwägungsgründe der PflanzenschutzVO herangezogen werden. In Erwägungsgrund 29 steht: „Besondere ökologische oder landwirtschaftliche Bedingungen im Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten können es jedoch erforderlich machen, dass die Mitgliedstaaten auf Antrag die von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Zulassung anerkennen oder ändern, oder die Zulassung des Pflanzenschutzmittels in ihrem Gebiet verweigern, wo dies aufgrund besonderer ökologischer oder landwirtschaftlicher Gegebenheiten gerechtfertigt ist oder wo das in dieser Verordnung vorgeschriebene hohe Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt nicht erreicht werden kann.“ Nach diesen Ausführungen kann sowohl die Tatsache besonderer ökologischer und landwirtschaftlicher Gegebenheiten eine Abweichung von der allgemeinen Zulassung rechtfertigen, als auch Fälle, in denen das hohe Schutzniveau nicht erreicht werden kann. Das Wort „oder“ bezeichnet grundsätzlich ein Alternativverhältnis . Fraglich ist, ob die Bezugnahme auf das in der PflanzenschutzVO vorgeschriebene hohe Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt voraussetzt, dass bei einem Einsatz des jeweiligen Pflanzenschutzmittels das Schutzniveau im betreffenden Mitgliedstaat unter das Schutzniveau in den anderen Staaten der Zone sinken würde oder ob es genügt, dass der Mitgliedstaat ein hohes Schutzniveau anstrebt und daher die Zulassung eines Mittels verweigert. Der Wortlaut des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO und das angestrebte Ziel einer Harmonisierung der Pflanzenschutzmittelzulassung in den Mitgliedstaaten spricht für ersteres, d.h. eine eigenständige Schutzpolitik des Mitgliedstaaten allein genügt nicht, sondern es müssen besondere äußere Umstände hinzukommen, die einen nationalen Sonderweg rechtfertigen. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 28 Dieses Verständnis des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO entspricht Randnummer C.2.1. des Teils II des Anhangs der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 546/2011, welche die Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln festlegt: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass bei Entscheidungen über die Gewährung von Zulassungen den Bedingungen im vorgeschlagenen Verwendungsgebiet in Bezug auf Landwirtschaft, Pflanzengesundheit oder Umwelt (einschließlich Klima) Rechnung getragen wird. Erwägungen dieser Art können spezifische Verwendungsbedingungen und Verwendungsbeschränkungen nach sich ziehen und dazu führen, dass eine Zulassung nur für bestimmte, jedoch nicht alle Gebiete des betreffenden Mitgliedstaats erteilt wird.“65 Auch nach den Vorgaben der Durchführungsverordnung sind mithin allein äußere Umstände wie Landwirtschaft und Klima entscheidend für die Möglichkeit eines Mitgliedstaates, Verwendungsbeschränkungen festzulegen. 4.2.2.3. Historische Auslegung Auch die Entwicklung des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO im Gesetzgebungsverfahren kann als Argument für die Ansicht herangezogen werden, dass nationale Verwendungsbestimmungen gemäß Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO bestimmter äußerer Faktoren bedürfen. In ihrer Folgenabschätzung zur Anerkennung der Genehmigungszulassung von Pflanzenschutzmitteln zwischen den Mitgliedstaaten kommt die Kommission zu dem Schluss: „It is proposed that mutual recognition becomes the norm and that Member States within a zone could only amend the authorisations in accordance with already existing legislation on the protection of the health of distributors, users or workers.“66 Das Europäische Parlament forderte in seiner ersten Lesung eine stärkere Berücksichtigung nationaler Besonderheiten und ergänzte die Pflanzenschutz VO in Bezug auf das Zonenzulassungssystem in Art. 37 um die Möglichkeit nationaler Ausnahmen und in Art. 42 um eine entsprechende Möglichkeit der Mitgliedstaaten im Anerkennungsverfahren .67 Die Kommission widersprach den Änderungsvorschlägen des Parlaments, da sie in diesen eine Ablehnung des Systems der Zulassungszonen für Pflanzenschutzmittel und der obligatorischen gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen innerhalb einer Zone sah. Die Kommission wollte zur Erreichung der Harmonisierungsziele festlegen, dass die Mitgliedstaaten „nur beim Schutz der Arbeitnehmer strengere nationale Maßnahmen erlassen [können], da das EU- Recht auf diesem Gebiet nur eine Mindestharmonisierung schafft.“68 65 Verordnung (EU) Nr. 546/2011 der Kommission vom 10. Juni 2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich einheitlicher Grundsätze für die Bewertung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, ABl. 2011 L, 155/127, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R0546&qid=1439391698836&from=DE. 66 Kommission, Staff Working document – report on the impact assessment for a regulation replacing directive 91/414/EEC on plant protection products, COM(2006) 388 final. 67 EU Parlament, Protokoll 23. Oktober 2007, (2008/C 263 E/02) ABl. C 263E vom 16.10.2008, S. 18–246. 68 Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, KOM(2008) 93 endgültig, 2006/0136 (COD), S. 7. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 29 Im anschließend erstellten Gemeinsamen Standpunkt des Rates findet sich in Art. 36 Abs. 3 die Möglichkeit einer nationalen Zulassungsausnahme.69 Die Kommission erklärte dazu, dass an der obligatorischen gegenseitigen Anerkennung festgehalten werde, aber durch eine Ausnahmeregelung eine Anpassung an lokale Bedingungen sowie in Ausnahmefällen die Verweigerung – seitens der Mitgliedstaaten – aufgrund spezifischer und begründeter Risiken für Gesundheit oder Umwelt, die anders nicht ausgeschlossen werden können, erlaubt werden solle.70 Das Europäische Parlament forderte in seiner zweiten Lesung eine Änderung der Formulierung71, wobei sich die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe schlussendlich auf die jetzige Formulierung des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO verständigt haben. Die Entwicklung zeigt deutlich das Bestreben der Kommission, eine EU-weite Harmonisierung der Pflanzenschutzmittelzulassung nicht durch Sonderrechte der Mitgliedstaaten zu gefährden. Auch der Blick auf die Rechtsentwicklung legt daher den Schluss nahe, dass nur faktische Besonderheiten eines Mitgliedstaates ein nationales Verbot eines in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Pflanzenschutzmittels rechtfertigen können. 4.2.2.4. Zwischenergebnis Argumente für eine Auslegung des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO, wonach bereits das Ziel eines Mitgliedstaates, ein besonders hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt zu erreichen, ein Abweichen von der Zulassung des Pflanzenschutzmittels durch andere Mitgliedstaaten derselben Zone rechtfertigen kann, finden sich vor allem in der Zielrichtung der PflanzenschutzVO. Ziel der Verordnung ist gemäß Erwägungsgrund 8 ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt. Die Bedeutung dieses Ziels könnte nationale Sonderwege zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt rechtfertigen. Dagegen sprechen aber die hier dargestellten Hintergründe des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO. Sie sprechen für eine Beschränkung der Abweichungsmöglichkeit nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO – insbesondere bezüglich der Verbotsmöglichkeit – auf Fälle, in denen sie den faktischen Besonderheiten in einem Mitgliedstaat geschuldet sind. Ein Verbot setzt zudem voraus, dass den spezifischen Besonderheiten des Mitgliedstaates nicht durch Verwendungsbestimmungen Genüge getan werden kann. Mangels Rechtsprechung kann hier aber keine abschließende Feststellung zum Anwendungsbereich bzw. den Voraussetzungen des Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO getroffen werden. 69 Rat, Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 15. September 2008 im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, 11119/8/08, REV 8. 70 Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG-Vertrag zum gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, KOM(2008) 578 endgültig. 71 Parlament, Empfehlung für die zweite Lesung betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, 11119/8/2008 – C6-0326/2008 – 2006/0136(COD). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 30 4.2.3. Zeitpunkt einer Verwendungsbestimmung bzw. eines Verbots Die Zulassungsbeschränkungen und die Zulassungsverweigerung nach Art. 36 Abs. 3 Pflanzenschutz VO können von den Mitgliedstaaten nur im Moment der Zulassungsentscheidung erlassen werden. Art. 37 Abs. 4 der PflanzenschutzVO bestimmt für das Zonensystem, dass andere Mitgliedstaaten als der mit der Zulassungsprüfung befasste Mitgliedstaat „innerhalb von höchstens 120 Tagen nach Erhalt des Bewertungsberichts und der Kopie der Zulassung durch den den Antrag prüfenden Mitgliedstaat über den Antrag gemäß Artikel 36 Absätze 2 und 3“ entscheiden. Daraus folgt, dass die Entscheidung, ein Pflanzenschutzmittel in einem Mitgliedstaaten vollständig zu verbieten oder durch nationale Maßnahmen zur Risikominderung einzuschränken, grundsätzlich nur in einem Zeitraum von 120 Tagen nach der Zulassung des Mittels in dem für die Prüfung verantwortlichen Mitgliedstaat möglich ist. Auch im Rahmen der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen nach Art. 40 f. PflanzenschutzVO bezieht sich der Verweis auf die Abweichungsmöglichkeiten nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO auf den Moment der Entscheidung über die Erteilung einer Zulassung. 4.2.4. Klagemöglichkeiten von Unternehmen Gemäß Art. 36 Abs. 3 UAbs. 4 PflanzenschutzVO sehen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Anfechtung einer Entscheidung über die Verweigerung der Zulassung der entsprechenden Produkte vor den nationalen Gerichten oder anderen Berufungsinstanzen vor. Weder das PflSchG noch die (deutsche) Pflanzenschutzmittelverordnung72 enthalten Vorgaben zu den möglichen Rechtsmitteln gegen Entscheidungen, mit denen die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels verweigert oder beschränkt wird. Lediglich § 36 Abs. 4 PflSchG legt fest, dass Rechtsbehelfe gegen die Anordnung von Anwendungsbestimmungen oder Auflagen ohne aufschiebende Wirkung bleiben. Wenn das BVL als zuständige Behörde die Zulassung verweigert oder beschränkt, stellt das einen Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG dar. Der Antragsteller, das Pflanzenschutzmittel produzierende Unternehmen, muss gegen diesen Verwaltungsakt gemäß § 68 Abs. 2 VwGO Widerspruch einlegen und kann anschließend eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO erheben mit dem Ziel, dass das Verwaltungsgericht das BVL zum Erlass des gewünschten Zulassungsbescheids verpflichtet. Aufgrund von § 36 Abs. 4 PflSchG bleiben die Anwendungsbestimmungen bzw. Auflagen während des Verfahrens wirksam. 4.2.5. Gebotenheit einer Inanspruchnahme Fraglich ist, inwiefern eine Inanspruchnahme der Möglichkeit des Art. 36 Abs. 3 Pflanzenschutz VO angesichts der Ergebnisse der IARC-Studie, einer Warnung des Umweltbundesamtes vor den ökologischen Folgen des übermäßigen Einsatzes von Glyphosat und der Bedeutung des Vorsorgeprinzips im europäischen Umweltrecht geboten wäre. Wie oben festgestellt, ermöglicht Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO Abweichungen der Mitgliedstaaten von der Zulassungspraxis in ihrer Zone, wenn diese Abweichungen durch besondere Umstände in ihrem Staatsgebiet angezeigt sind. 72 Pflanzenschutzmittelverordnung vom 15. Januar 2013 (BGBl. I S. 74). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 31 Die Studie des IARC gilt nicht speziell für die Situation in Deutschland, sondern betrifft die Karziogenität von Glyphosat allgemein und gilt daher für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen. Folglich ließe sich ein individuelles Vorgehen Deutschlands nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO nicht mit der IARC-Studie rechtfertigen. Fraglich ist auch im Hinblick auf die Warnung des Umweltbundesamts vor den ökologischen Folgen des Glyphosat-Einsatzes, ob diese Warnung speziell für Deutschland gilt. Das Umweltbundesamt müsste ein unannehmbares Risiko von Glyphosat bzw. Pflanzenschutzmitteln, die Glyphosat enthalten, für die Umwelt in Deutschland festgestellt haben, um ein Vorgehen nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO zu rechtfertigen. In seinen Ausführungen für den Bericht Deutschlands zur Neubewertung von Glyphosat äußerte das Umweltbundesamt Bedenken bezüglich des Einsatzes von Glyphosat im Hinblick auf den Schutz der biologischen Vielfalt und empfiehlt deshalb der EU-Kommission, die Genehmigung für Glyphosat mit der Maßgabe zu verbinden , dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um solche Effekte und nachteilige Auswirkungen auf die biologische Vielfalt zu reduzieren.73 Die vom Umweltbundesamt benannten Gefahren eines übermäßigen Glyphosateinsatzes beziehen sich allerdings nicht auf spezifische Besonderheiten der Landwirtschaft und Ökologie in Deutschland, sondern sind allgemeine Ausführungen zu den Risiken eines Einsatzes von Glyphosat in der Landwirtschaft.74 Folglich gebietet auch die Warnung des Umweltbundesamtes keine Pflicht zur Inanspruchnahme von Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO durch die Bundesrepublik. Das Umweltbundesamt hat in seiner Bewertung herausgestellt, dass die Stärke der Auswirkungen auf die Umwelt in Folge von Nahrungsnetzeffekten von den landwirtschaftlichen und landschaftsökologischen Bedingungen abhängt, unter denen die Anwendung stattfindet. Da sich diese zwischen den Mitgliedstaaten erheblich unterscheiden können, ist bei einer Zulassungsentscheidung gemäß Art. 36 Abs. 3 Pflanzenschutz VO zu prüfen, ob spezifische Bedingungen im jeweiligen Mitgliedstaate vorliegen, die zu unannehmbaren Auswirkungen führen können. Das kann nur im jeweiligen Zulassungsverfahren geprüft werden. Selbst wenn Risiken in Folge der Nahrungsnetzeffekte im Zulassungsverfahren festgestellt werden, führt dies aber nicht zwangsläufig zu einer Verweigerung der Zulassung. Die zuständige Behörde hat stattdessen zunächst zu prüfen, ob die Risiken durch Verwendungsbestimmungen bzw. andere Maßnahmen zur Risikominderung auf ein vertretbares Maß gesenkt werden können. 4.2.6. Zwischenergebnis Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO kommt im Rahmen der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zur Anwendung. Für die Situation, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine bereits erteilte Zulassung in Frage stellen, bietet Art. 44 der PflanzenschutzVO den Mitgliedstaaten Handlungsmöglichkeiten (dazu weiter unten unter 4.3.). 73 BVL, Pressemitteilung, abrufbar unter http://www.bvl.bund.de/DE/08_PresseInfothek/01_FuerJournalisten /01_Presse_und_Hintergrundinformationen/04_Pflanzenschutzmittel/2014/2014_01_06_pi_glyphosat.html. 74 So die telefonischen Auskünfte des Umweltbundesamtes vom 19. August 2015. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 32 Auch im Fall eines Zulassungsverfahrens ist aufgrund der oben dargelegten Umstände eine Inanspruchnahme von Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO durch die zuständigen Behörden nicht zwingend geboten. Weder die IARC-Studie noch die Warnung des Umweltbundesamtes beziehen sich auf spezifische Umstände der Anwendung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln in Deutschland und können folglich, auch unter Beachtung des Vorsorgeprinzips, keine Maßnahmen nach Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO rechtfertigen. 4.3. Änderung oder Aufhebung nach Art. 44 der PflanzenschutzVO Die Art. 29 ff. PflanzenschutzVO regeln die Möglichkeit für Mitgliedstaaten, ein Pflanzenschutzmittel nicht oder nur beschränkt zuzulassen. Art. 44 PflanzenschutzVO regelt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, eine Zulassung nachträglich zu beschränken oder aufzuheben. Art. 44 Abs. 3 PflanzenschutzVO benennt die Voraussetzungen, unter denen ein Mitgliedstaat die Zulassung aufhebt oder ändert. Art. 44 Abs. 1 PflanzenschutzVO benennt die Voraussetzungen, unter denen ein Mitgliedstaat eine Zulassung ändern kann. In Deutschland wurde die Anwendung dieser Norm in § 39 PflSchG geregelt. Nach § 39 Abs. 1 PflSchG ist eine Zulassung zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen des Art. 44 Abs. 3 lit. a), c) oder e) PflanzenschutzVO vorliegen und nach § 39 Abs. 2 PflSchG kann eine Zulassung widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen des Art. 44 Abs. 1 oder 3 lit. d) PflanzenschutzVO erfüllt sind. Gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 5 PflSchG ist in Deutschland das BVL für die Aufhebung oder Änderung der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels nach Art. 44 PflanzenschutzVO zuständig. Bisher gibt es noch keine abgeschlossenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, die Aufschluss bezüglich der Auslegung und Anwendungspraxis von Art. 44 Abs. 1 und 3 PflanzenschutzVO geben könnten. Im Folgenden werden die Voraussetzungen dieser Handlungsmöglichkeit (4.3.1.), die Möglichkeit von Unternehmen gegen derartige Maßnahmen zu klagen (4.3.2.) und zuletzt die Frage nach der Gebotenheit einer Inanspruchnahme von Art. 44 PflanzenschutzVO angesichts jüngster Entwicklungen im Bereich Glyphosat (4.3.3.) geprüft. 4.3.1. Voraussetzungen 4.3.1.1. Vorgehen nach § 39 Abs. 1 PflSchG Eine Zulassung muss nach § 39 Abs. 1 PflSchG i.V.m. Art. 44 Abs. 3 lit. a) und Art. 29 der Pflanzenschutz VO aufgehoben werden, wenn die Zulassungsanforderungen nach Art. 29 Pflanzenschutz VO nicht oder nicht mehr erfüllt sind. Art. 29 Abs. 1 PflanzenschutzVO setzt für die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels insbesondere voraus, dass seine Wirkstoffe, Safener und Synergisten genehmigt sind und die Genehmigungsanforderungen gemäß Art. 4 Abs. 3 erfüllt sind. 4.3.1.2. Vorgehen nach § 39 Abs. 2 PflSchG Nach Art. 44 Abs. 1 und Abs. 3 lit. d) PflanzenschutzVO und § 39 Abs. 2 PflSchG kann das BVL eine Zulassung aufheben, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass eine Anforderung aus Art. 29 PflanzenschutzVO durch das Pflanzenschutzmittel nicht mehr erfüllt ist oder nach den neuesten wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen die Art der Verwendung und die verwende- Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 33 ten Mengen geändert werden können. § 39 Abs. 2 PflSchG stellt diese Entscheidung in das Ermessen der Behörde. Ausweislich des Wortlauts muss die Behörde nicht handeln, sie „kann“ handeln. 4.3.1.3. Sonderfall – Genehmigungen nach 91/414/EWG Die aktuell noch wirksame Genehmigung von Glyphosat erfolgte nach der alten Pflanzenschutzmittelrichtlinie . Im Hinblick auf Wirkstoffe, die noch nach der alten Pflanzenschutzmittelrichtlinie 91/414/EWG75 zugelassen worden sind, ist die Ansicht vertreten worden, dass kein Vorgehen gegen die auf ihnen basierenden Pflanzenschutzmittel nach Art. 44 PflanzenschutzVO mit der Argumentation möglich sei, dass nach den Anforderungen der (neuen) PflanzenschutzVO Bedenken gegen den Wirkstoff bestehen und dieser die Kriterien von Art. 4 der PflanzenschutzVO nicht erfüllt. Selbst bei neuen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen in Bezug auf einen nach der alten Pflanzenschutzmittelrichtlinie genehmigten Wirkstoff soll ein Vorgehen nach Art. 44 der Pflanzenschutz VO in Bezug auf die ihn enthaltenden Pflanzenschutzmittel nicht möglich sein.76 Grundsätzlich ist eine Genehmigung nach der alten Pflanzenschutzmittelrichtlinie 91/414/EWG einer Genehmigung nach der PflanzenschutzVO gleichgestellt und als wirksame Genehmigung von den Mitgliedstaaten zu respektieren. Wenn aber nach Art. 44 Abs. 3 lit. a) i.V.m. Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO und § 39 Abs. 1 PflSchG wegen schädlicher Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen ein Vorgehen gegen Pflanzenschutzmittel angezeigt ist, die einen bestimmten Wirkstoff beinhalten, ist es unerheblich, ob der Wirkstoff nach der alten Richtlinie oder der neuen PflanzenschutzVO genehmigt worden ist. Aufgrund des hohen Schutzgutes der Sicherheit von Menschen, Tieren und Umwelt muss nach hiesiger Auffassung in derartigen Fällen für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit bestehen, die Zulassung der Pflanzenschutzmittel aufzuheben. Außerdem waren die Anforderungen , dass ein Pflanzenschutzmittel keine unannehmbaren Auswirkungen auf Pflanzen, Pflanzenerzeugnisse oder die Umwelt und keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf das Grundwasser hat, bereits Zulassungsanforderungen nach Art. 4 Abs. 1 lit. b) der alten Pflanzenschutzmittelrichtlinie 91/414/EWG. Und auch in der alten Pflanzenschutzmittelrichtlinie konnte gemäß Art. 4 Abs. 6 eine Zulassung zurückgenommen werden, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Zulassung nicht oder nicht mehr erfüllt waren. Mithin ist nach Art. 44 Abs. 3 lit. a) i.V.m. Art. 29 Abs. 1 lit. e) der PflanzenschutzVO und § 39 Abs. 1 PflSchG auch die Aufhebung der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln möglich, die Wirkstoffe beinhalten, welche noch nach der alten Pflanzenschutzmittelrichtlinie genehmigt worden sind. 75 S. dazu die Fussnote 11. 76 Garçon, Towards a new EU Plant Protection Regime – Legal problems arising out of the Transition with Regard to Regulatory Approvals and Authorisations, StoffR 2011, S. 1 (5). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 34 4.3.2. Klagemöglichkeiten von Unternehmen Wie bei einer Entscheidung nach Art. 29, 31 oder 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO handelt es sich auch um einen Verwaltungsakt gemäß § 35 VwVfG, wenn die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels nach Art. 44 PflanzenschutzVO geändert oder widerrufen wird. Dieser Verwaltungsakt ist für das Unternehmen, welches das Pflanzenschutzmittel herstellt oder vertreibt, belastend. Auch in diesen Fällen muss das Unternehmen zunächst nach § 68 VwGO einen Widerspruch einlegen und kann, wenn dieser erfolglos bleibt, eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO beim Verwaltungsgericht erheben. 4.3.3. Gebotenheit einer Inanspruchnahme Ebenso wie bei den bereits diskutierten Normen stellt sich die Frage, ob ein Vorgehen der Mitgliedstaaten gegen glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel angesichts der Ergebnisse der IARC- Studie, einer Warnung des Umweltbundessamtes vor den ökologischen Folgen von Glyphosat und der Bedeutung des Vorsorgeprinzips im europäischen Umweltrecht geboten ist. 4.3.3.1. Vorgehen nach § 39 Abs. 1 PflSchG Nach § 39 Abs. 1 PflSchG muss das BVL eine Zulassung aufheben, wenn die Voraussetzungen des Art. 29 PflanzenschutzVO durch das Pflanzenschutzmittel nicht mehr erfüllt werden, eine in der Zulassung enthaltene Bedingung nicht erfüllt wird oder der Zulassungsinhaber seine Verpflichtungen aufgrund der PflanzenschutzVO nicht erfüllt. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen zu der Gebotenheit einer Inanspruchnahme von Art. 29 PflanzenschutzVO unter 4.1.4. verwiesen. 4.3.3.2. Vorgehen nach § 39 Abs. 2 PflSchG Gemäß § 39 Abs. 2 PflSchG kann das BVL bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Anzeichen dafür, dass die Voraussetzungen des Art. 29 PflanzenschutzVO nicht erfüllt werden, die Zulassung widerrufen. Nach Art. 44 Abs. 1 PflanzenschutzVO können Mitgliedstaaten eine Zulassung ändern, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass eine Anforderung gemäß Art. 29 Pflanzenschutz VO nicht mehr erfüllt ist. Das BVL hat insoweit einen Ermessensspielraum.77 Wie oben festgestellt sind der IARC-Studie und der Warnung des Bundesumweltamtes wohl keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Voraussetzungen von Art. 29 Abs. 1 lit. e), Art. 4 Abs. 3 lit. b) und e) nicht erfüllt sind. Selbst wenn darin Anzeichen erblickt würden, bleibt fraglich, ob das BVL verpflichtet wäre, nach Art. 44 Abs. 1 PflanzenschutzVO in Verbindung mit § 39 Abs. 2 PflSchG tätig zu werden. Dafür ist entscheidend, ob neue Erkenntnisse den Ermessensspielraum , den das BVL nach § 39 Abs. 2 PflSchG und Art. 44 Abs. 1 PflanzenschutzVO besitzt , auf Null reduzieren. Der Unterschied zwischen der Pflicht zur Aufhebung nach Art. 44 Abs. 3 lit. a) PflanzenschutzVO in Verbindung mit § 39 Abs. 1 PflSchG und der Möglichkeit einer Aufhebung nach Art. 44 Abs. 1 PflanzenschutzVO in Verbindung mit § 39 Abs. 2 PflSchG ist, dass Ersteres greift, wenn die Voraussetzungen des Art. 29 nicht erfüllt sind, Letzteres hingegen bereits dann anwendbar ist, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass die Voraussetzungen von Art. 29 77 Metzger, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 201. EgL Januar 2015; § 39 PflSchG, Rn. 1. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 35 PflanzenschutzVO nicht erfüllt sind. Ein Anzeichen ist aber gerade noch kein Beleg dafür, dass die Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 lit. e) nicht erfüllt sind. Aus diesem Grund greift bei Anzeichen nur Art. 44 Abs. 1 PflanzenschutzVO und der Behörde steht ein Ermessen zu. Dieses reduziert sich bei Anzeichen nicht auf Null, sondern die Behörde hat bei Vorliegen allein von Anzeichen ein Ermessen, ob sie die Zulassung widerruft oder nicht. 4.3.4. Zwischenergebnis Es besteht keine Pflicht zur Aufhebung der Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel nach Art. 44 Abs. 3 lit. a) PflanzenschutzVO. Eine Pflicht zur Zulassungsaufhebung kann auch nicht unter Heranziehen des Vorsorgeprinzips begründet werden, da schon die Voraussetzungen des Art. 44 Abs. 3 lit. a) PflanzenschutzVO nicht vorliegen. Die IARC-Studie ist für eine Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nach Art. 29 Abs. 1 lit. e) PflanzenschutzVO nicht relevant und die Warnung des Umweltbundesamtes beinhaltet keine abschließenden Feststellungen zu den Umweltrisiken von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln in Deutschland. Daher ist für die einzelnen glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln und ihre Anwendungen zu prüfen, ob sie möglicherweise unannehmbare Auswirkungen auf die Umwelt haben und falls das der Fall ist, ob diese durch Risikominderungsmaßnahmen auf ein annehmbares Maß gesenkt werden können. Eine solche Prüfung kann nicht durch das Vorsorgeprinzip ersetzt werden. 4.4. Maßnahmen nach Art. 1 Abs. 4 PflanzenschutzVO Nach Art. 1 Abs. 4 Satz 2 PflanzenschutzVO ist es den Mitgliedstaaten freigestellt, das Vorsorgeprinzip anzuwenden, wenn wissenschaftliche Ungewissheit besteht, ob die in ihrem Hoheitsgebiet zuzulassenden Pflanzenschutzmittel Gefahren für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt bergen. Fraglich ist, ob auf der Grundlage dieser Norm ein Mitgliedstaat die Verwendung eines Wirkstoffs bzw. eines diesen Wirkstoff beinhaltenden Pflanzenschutzmittels beschränken oder verbieten kann. Dafür müsste Art. 1 Abs. 4 Satz 2 PflanzenschutzVO die Mitgliedstaaten zu einem nachträglichen Verbot bzw. einer Beschränkung eines bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittels ermächtigen. Die Auslegung des Art. 1 Abs. 4 Satz 2 PflanzenschutzVO spricht gegen eine solche Ermächtigung zu nachträglichen Maßnahmen. Gemäß dem Wortlaut der Norm ist es insbesondere den Mitgliedstaaten freigestellt, das Vorsorgeprinzip in Bezug auf „zuzulassende Pflanzenschutzmittel “ anzuwenden. Diese Formulierung „zuzulassende Pflanzenschutzmittel“78 spricht dafür, dass dem Vorsorgeprinzip im Rahmen des Zulassungsverfahrens Bedeutung zukommt. Es geht bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips durch die Mitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 4 also um die Möglichkeit , ein Pflanzenschutzmittel aufgrund des Vorsorgeprinzips wegen wissenschaftlicher Ungewissheit gar nicht erst zuzulassen, nicht um den Widerruf einer Zulassung. Zudem spricht auch die Systematik des Art. 1 und der PflanzenschutzVO insgesamt gegen ein Verständnis des Art. 1 Abs. 4 als eine Ermächtigungsnorm. Art. 1 PflanzenschutzVO legt Gegenstand und Ziel der Verordnung fest. Es handelt sich bei den Vorgaben dieses Artikels folglich um Zielbestimmungen und allgemeine Grundlagen, nicht um individuelle Verfahrensvorgaben oder Ermächtigungsgrundlagen. Die Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse der Mitgliedstaaten 78 In der englischen Fassung: „plant protection products to be authorised”. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 36 sind erst in den späteren Kapiteln der Verordnung, insbesondere in Kapitel III, geregelt. Aus den oben dargestellten Gründen erscheint es aus hiesiger Sicht für einen Mitgliedstaat daher nicht möglich, allein gestützt auf Art. 1 Abs. 4 PflanzenschutzVO ein Pflanzenschutzmittel oder einen Wirkstoff zu verbieten bzw. zu beschränken. 4.5. Notfallmaßnahmen nach Art. 69 ff. PflanzenschutzVO Wenn davon auszugehen ist, dass ein genehmigter Wirkstoff oder ein Pflanzenschutzmittel, das gemäß der PflanzenschutzVO zugelassen wurde, wahrscheinlich ein schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt und dass diesem Risiko durch Maßnahmen, die der betreffende Mitgliedstaat oder die betreffenden Mitgliedstaaten getroffen hat bzw. haben, nicht auf zufrieden stellende Weise begegnet werden kann, sieht Art. 69 Pflanzenschutz VO vor, dass die Kommission nach dem in Art. 79 Abs. 3 PflanzenschutzVO genannten Regelungsverfahren von sich aus oder auf Verlangen eines Mitgliedstaats unverzüglich Maßnahmen zur Einschränkung oder zum Verbot der Verwendung und/oder des Verkaufs dieses Stoffes oder Produkts trifft. In extremen Notfällen kann die Kommission gemäß Art. 70 PflanzenschutzVO vorläufig Notfallmaßnahmen treffen. Wenn ein Mitgliedstaat die Kommission offiziell über die Notwendigkeit von Notfallmaßnahmen unterrichtet hat und die Kommission nicht gemäß Art. 69 oder 70 PflanzenschutzVO handelt, so kann der Mitgliedstaat nach Art. 71 PflanzenschutzVO vorläufige Schutzmaßnahmen ergreifen. Fraglich ist, ob die Studie des IARC den Schluss erlaubt, dass Glyphosat ein schwerwiegendes Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt darstellt und dass diesem Risiko durch Maßnahmen, die der betreffende Mitgliedstaat oder die betreffenden Mitgliedstaaten getroffen hat bzw. haben, nicht auf zufrieden stellende Weise begegnet werden kann. Eine solche Bewertung ist in der vorliegenden juristischen Begutachtung nicht möglich. Wenn ein solches Risiko von der Bundesregierung bejaht wird, müsste sie die Kommission unterrichten und entsprechende Maßnahmen auf EU-Ebene verlangen. Erst wenn dieses Bemühen erfolglos bleibt, dürfte Deutschland nach Art. 71 PflanzenschutzVO selbständig Schutzmaßnahmen ergreifen. 5. Fazit Grundsätzlich können sich auch Mitgliedstaaten zur Begründung nationaler Maßnahmen auf das Vorsorgeprinzip berufen.79 Für den Bereich der Pflanzenschutzmittel ist dies ausdrücklich in dem oben bereits diskutierten Art. 1 Abs. 4 Satz 2 PflanzenschutzVO festgelegt. Sofern allerdings schon die Voraussetzungen der oben geprüften Normen nicht gegeben sind, kann auch das Vorsorgeprinzip keine Anwendung der Normen gebieten. Das Vorsorgeprinzip erweitert nicht den Anwendungsbereich einer Norm generell, sondern ermöglicht eine Tätigkeit, wenn ein von der jeweiligen Normen vorausgesetztes Risiko nicht abschließend bewertet werden kann. Vorliegend sind die oben geprüften Normen aber nicht aufgrund einer unklaren Risikolage unanwendbar, es fehlt stattdessen an anderen Voraussetzungen wie den (abschließenden) Feststellungen zu den spezifischen landschaftsökologischen Besonderheiten in Deutschland im Hinblick auf den Glyohosat -Einsatz (Art. 36 Abs. 3 PflanzenschutzVO) oder der Nicht-Erfüllung der nach Art. 29 Abs. 1, 4 Abs. 3 PflanzenschutzVO vorgegebenen Genehmigungskriterien (Art. 29 Abs. 1 und Art. 44 79 EuGH, Urt. v. 28. Januar 2010, Rs. C‑333/08, ECLI:EU:C:2010:44 – Kommission/Frankreich, Rn. 91. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 80/15 Seite 37 Abs. 3 PflanzenschutzVO). Dieses Ergebnis erfährt keine abweichende Bewertung durch die Anwendung des Vorsorgeprinzips. Der Vorsorgegrundsatz ist aber im Rahmen des Glyphosat-Genehmigungsverfahrens der EU von Bedeutung. Die IARC-Studie kann zu der Annahme führen, dass der Einsatz von Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt. Voraussetzung einer Anwendung des Vorsorgeprinzips ist zunächst eine umfassende wissenschaftliche Bewertung dieses Gesundheitsrisikos auf der Grundlage der zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung. Ermöglicht diese Bewertung keine endgültige Feststellung hinsichtlich des Krebsrisikos von Glyphosat, könnte die Kommission unter Berufung auf das Vorsorgeprinzip Glyphosat die Genehmigung verweigern. Kann das Risiko der Karziogenität nicht abschließend bewertet werden, sind nach dem Vorsorgeprinzip nämlich trotzdem Maßnahmen wie eine Genehmigungsverweigerung oder Genehmigungsbeschränkungen möglich.80 Grundsätzlich wird den zuständigen Behörden von der europäischen Rechtsprechung ein weiter Ermessensspielraum bei der wissenschaftlichen Risikoermittlung und der anschließenden Abwägung zu den Risikomaßnahmen zugesprochen. 80 In dem Gerichtsverfahren zu dem Wirkstoff Paraquat hat das EuG sogar eine Pflicht der Kommission zur Genehmigungsverweigerung unter Heranziehung des Vorsorgeprinzips festgestellt (EuG, Urt. v. 11. Juli 2007, Rs. T- 229/04, ECLI:EU:T:2007:217 – Schweden/Kommission, insbesondere Rn. 161). Allerdings ist zu bedenken, dass dieses Urteil als Einzelfallentscheidung gilt und als sehr weitgehend angesehen wird.