PE 6 - 3000 - 078/20 (31. August 2020) © 2020 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Der Fachbereich Europa wurde unter Bezugnahme auf den Sachstand PE 6 - 3000 – 019/20 mit dem Titel „Überwachung und Evaluierung restriktiver Maßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union“ gebeten, nähere Informationen zu Breite und Tiefe der Evaluierung von restriktiven Maßnahmen der Union im Rahmen der GASP zusammenzutragen. Hierbei ist für den Auftraggeber insbesondere von Interesse, ob der Rat ausschließlich Wirksamkeitsevaluierungen vornimmt. Weiterhin wurde der Fachbereich um eine stichprobenartige Analyse ersucht, ob die mit restriktiven Maßnahmen verfolgten speziellen Ziele, wie in Ziff. 33 der Leitlinien zur Umsetzung und Bewertung restriktiver Maßnahmen im Rahmen der GASP der EU angegeben, jeweils in den entsprechenden Rechtsakten niedergelegt wurden. Zur Frage der Wirksamkeitsevaluierungen Der Fachbereich Europa hat mit Unterstützung des Referats PE 4 (EU-Verbindungsbüro) das Auswärtige Amt auf Arbeitsebene kontaktiert und darauf hingewiesen, dass bei der Untersuchung des Sanktionsrechtsrahmens festgestellt wurde, dass dieser Rahmen lediglich eine laufende Überprüfung (Ongoing-Evaluation) der Wirksamkeit restriktiver Maßnahmen bestimmt. Weder zu einer Ex-ante- oder einer Ex-post-Evaluierung noch zur Frage der Untersuchung von Neben- und kollateralen Wirkungen restriktiver Maßnahmen seien Bestimmungen vorgesehen. Vor diesem Hintergrund wurde gefragt, ob der Rat tatsächlich ausschließlich Wirksamkeitsevaluierungen vornimmt . Der Fachbereich Europa hat hierzu auf Arbeitsebene die nachstehenden Informationen erhalten: Es wird zunächst vorausgeschickt, dass die Frage der Wirksamkeit von Sanktionen in der Regel nicht abschließend zu beantworten sei, da politische Entwicklungen auf vielen Faktoren beruhen und kausale Zusammenhänge daher nicht hinreichend zu klären seien. Gesichtspunkte, die Gegenstand einer ex-ante Evaluation sein könnten, flössen in der Praxis in die politische Entscheidung ein, ein Sanktionsregime zu etablieren. Zur Vorbereitung eines entsprechenden Beschlusses, der nicht in der Gruppe RELEX/Sanktionen, sondern in der jeweils regional zuständigen Ratsarbeitsgruppe (z. B COEST) angebahnt wird, träfen die einzelnen Mitgliedstaaten und nachfolgend der Rat in der Praxis eine politische Bewertung der erwarteten Kosten und Nutzen, der Verhältnismäßigkeit etc. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Fragen zur Evaluierung außenpolitischer Sanktionen der Europäischen Union Kurzinformation Fragen zur Evaluierung außenpolitischer Sanktionen der Europäischen Union Fachbereich PE 6 (Europa) Fachbereich Europa Seite 2 Zudem würden Sanktionsregime ca. alle 6-12 Monate einer Überprüfung unterzogen. Entscheidungen über die Verlängerung/Aufrechterhaltung würden von der Gruppe RELEX/Sanktionen in der Praxis ganz überwiegend einstimmig gefasst. Bei diesen regelmäßigen Überprüfungen würden Gesichtspunkte wie z. B. Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, humanitäre Hilfe sowie Folgen im wirtschaftlichen Bereich (auch innerhalb der EU) einbezogen. In die Sanktionsregime würden Ausnahmeregelungen für humanitäre Hilfe und den medizinischen Bereich aufgenommen. In den letzten Jahren sei kein Sanktionsregime formell beendet worden, sodass es insoweit keine Praxis einer formellen Ex-post Evaluation gebe. Es gebe aber Fälle, in denen Sanktionsregime in der zuvor geschilderten Weise verlängert werden, derzeit aber z. B. keinerlei Personen als mögliche Adressaten von Einreisebeschränkungen gelistet seien. So z. B. restriktive Maßnahmen bezogen auf Aktivitäten gegen Schulen in Transnistrien, die die lateinische Schrift verwenden, sowie restriktive Maßnahmen gegen Personen, deren Aktivitäten die Souveränität, territoriale Integrrität sowie verfassungsmäßige Ordnung in Bosnien und Herzegowina unterminieren. Unter Verweis auf den derzeit von Deutschland wahrgenommene EU-Ratsvorsitz werde darauf hingewiesen, dass es Ziel der Bundesregierung sei, während der Präsidentschaft Impulse für eine bessere Berücksichtigung humanitärer Belange im Verfahren zu geben: Zum einen strebe sie an, innerhalb des Verfahrens im Rat einen formalisierten und intensivierten Dialog mit humanitären Akteuren zu etablieren, zum anderen eine deutlichere Verankerung humanitärer Belange in Verfahrensregelungen . Zur Frage der mit restriktiven Maßnahmen verfolgten speziellen Ziele Nachstehend werden die Ergebnisse der untersuchten Stichprobe ausgewählter Staaten, zu denen restriktive Maßnahmen erlassen wurden, dargestellt (zitiert werden ausschließlich die Basisrechtsakte . Diese sind inzwischen mehrfach geändert worden). Russland Beschluss 2014/145/GASP des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen In beiden Rechtsakten heißt es zur Zielstellung der Maßnahmen: „Die Staats- und Regierungschef haben betont, dass eine Lösung der Krise durch Verhandlungen zwischen den Regierungen der Ukraine und der Russischen Föderation herbeigeführt werden sollte, was auch etwaige multilaterale Mechanismen einschließen kann, und die Union über weitere Maßnahmen, wie beispielsweise Reiseverbote, das Einfrieren von Vermögenswerten und die Absage des Gipfeltreffens EU-Russland, entscheiden wird, falls innerhalb eines begrenzten zeitlichen Rahmens keine Ergebnisse zu verzeichnen sind.“ (ErwGr. 3; Hervorhebung durch Autor). Beschluss 2014/512/GASP des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren Kurzinformation Fragen zur Evaluierung außenpolitischer Sanktionen der Europäischen Union Fachbereich PE 6 (Europa) Fachbereich Europa Seite 3 Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren In der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates heißt es zur Zielstellung: „Daher wird es als angemessen erachtet, weitere restriktive Maßnahmen zu ergreifen, um die Kosten für die Handlungen Russlands zu erhöhen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben, und um eine friedliche Beilegung der Krise zu unterstützen. Diese Maßnahmen werden fortlaufend überprüft und können im Lichte der Entwicklungen vor Ort ausgesetzt oder widerrufen oder durch andere restriktive Maßnahmen ergänzt werden.“ (ErwGr. 2, Hervorhebung durch Autor) Nicaragua Beschluss (GASP) 2019/1720 des Rates vom 14. Oktober 2019 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Nicaragua Verordnung (EU) 2019/1716 des Rates vom 14. Oktober 2019 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Nicaragua Im Beschluss (GASP) Nr. 2019/1720 des Rates heißt es zur Zielstellung: „In den Schlussfolgerungen des Rates wurde die Bereitschaft der Union betont, sämtliche ihr zur Verfügung stehenden politischen Instrumente zu nutzen, um zu einer friedlich verhandelten Beilegung der gegenwärtigen Krise beizutragen und auf eine weitere Beeinträchtigung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in Nicaragua zu reagieren.“ (ErwGr. 2, Hervorhebung durch Autor) Iran Beschluss 2011/235/GASP des Rates vom 12. April 2011 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Iran Verordnung (EU) Nr. 359/2011 des Rates vom 12. April 2011 über restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen, Organisationen und Einrichtungen angesichts der Lage in Iran Im Beschluss 2011/235/GASP des Rates heißt es zur Zielstellung: „ (3) In diesem Zusammenhang hat der Rat seine Entschlossenheit bekräftigt, weiterhin die Menschenrechtsverletzungen in Iran anzugehen, und seine Bereitschaft erklärt, gegen diejenigen, die für die schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte in Iran verantwortlich sind, restriktive Maßnahmen zu verhängen. (4) Restriktive Maßnahmen sollten gegen Personen verhängt werden, die entgegen den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Irans an der Anordnung oder Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Repression gegen friedliche Demonstranten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Studenten oder andere Menschen, die für ihre legitimen Rechte einschließlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung eintreten, beteiligt oder hierfür verantwortlich waren, sowie gegen Personen, die an der Anordnung oder Begehung schwerer Verstöße gegen das Recht auf ein ordentliches Verfahren, von Folter, grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder der unterschiedslosen, übermäßigen und zunehmenden Anwendung der Todesstrafe einschließlich öffentlicher Hinrichtungen, Steinigungen, Hinrichtungen durch den Strang oder Hinrichtungen jugendlicher Straftäter beteiligt oder hierfür verantwortlich waren.“ Venezuela Kurzinformation Fragen zur Evaluierung außenpolitischer Sanktionen der Europäischen Union Fachbereich PE 6 (Europa) Fachbereich Europa Seite 4 Beschluss (GASP) 2017/2074 des Rates vom 13. November 2017 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela Verordnung (EU) 2017/2063 des Rates vom 13. November 2017 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela Beschluss (GASP) 2019/1893 des Rates vom 11. November 2019 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2017/2074 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela Verordnung (EU) 2019/1889 des Rates vom 11. November 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2063 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela Im Beschluss (GASP) 2017/2074 des Rates heißt es zur Zielstellung: „(2) Am 15. Mai 2017 hat der Rat Schlussfolgerungen angenommen, in denen alle politischen Akteure und Institutionen Venezuelas aufgefordert werden, in konstruktiver Weise und unter uneingeschränkter Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte, der demokratischen Institutionen und der Gewaltenteilung auf eine Lösung der Krise im Land hinzuarbeiten. Er hat zudem darauf hingewiesen, dass die Freilassung inhaftierter politischer Gegner und die Achtung der verfassungsmäßigen Rechte ebenfalls wichtige Schritte sind, die Vertrauen schaffen und dazu beitragen, die politische Stabilität in dem Land wiederherzustellen. (3) Die Union hat wiederholt ihre uneingeschränkte Unterstützung für die Bemühungen in Venezuela bekundet, einen dringend notwendigen, konstruktiven und wirksamen Dialog zwischen der Regierung und der parlamentarischen Mehrheit in Venezuela zu ermöglichen, um so die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die vielschichtigen Herausforderungen, vor denen das Land steht, friedlich bewältigt werden. […] (5) Am 26. Juli 2017 hat die Union ihre Besorgnis über die zahlreichen Berichte über Menschenrechtsverletzungen und übermäßige Gewaltanwendung bekundet und die venezolanischen Behörden aufgefordert, die Verfassung von Venezuela (im Folgenden „Verfassung“) und die Rechtsstaatlichkeit zu achten und dafür Sorge zu tragen, dass die Grundrechte und -freiheiten, einschließlich des Rechts auf friedliche Demonstration, gewährleistet werden. (6) Am 2. August 2017 hat die Union ihrem tiefen Bedauern über die Entscheidung der venezolanischen Regierung Ausdruck verliehen, Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung durchzuführen; diese Entscheidung hat die Krise in Venezuela langfristig verschlimmert und es besteht die Gefahr, dass andere in der Verfassung vorgesehene rechtmäßige Institutionen wie die Nationalversammlung untergraben werden. Die Union hat alle Seiten zum Gewaltverzicht und alle Behörden zur uneingeschränkten Achtung aller Menschenrechte aufgefordert und ihre Bereitschaft bekundet, in einer Weise behilflich zu sein, die den Alltag der venezolanischen Bevölkerung in jedem Fall erleichtern könnte, jedoch zugleich darauf hingewiesen, dass sie bereit ist, ihre Reaktion schrittweise zu verstärken, sollten die demokratischen Grundsätze weiter untergraben und die Verfassung missachtet werden. (7) In diesem Zusammenhang sollten im Einklang mit der Erklärung der Union vom 2. August 2017 gezielte restriktive Maßnahmen gegen bestimmte natürliche und juristische Personen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen oder-verstöße oder Repressionen gegen die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition verantwortlich sind, sowie gegen Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Handlungen, politische Maßnahmen oder Tätigkeiten die Demokratie oder die Rechtsstaatlichkeit in Venezuela untergraben, und gegen mit ihnen in Verbindung stehende Personen, Organisationen und Einrichtungen verhängt werden. (8) Darüber hinaus erscheint es in Anbetracht der Gefahr weiterer Gewalttätigkeiten, übermäßiger Gewaltanwendung und Menschenrechtsverletzungen oder -verstöße angebracht, restriktive Kurzinformation Fragen zur Evaluierung außenpolitischer Sanktionen der Europäischen Union Fachbereich PE 6 (Europa) Fachbereich Europa Seite 5 Maßnahmen in Form eines Waffenembargos zu verhängen sowie zu interner Repression verwendbarer Ausrüstung spezifische Restriktionen aufzuerlegen und den Missbrauch von Telekommunikationsgerät zu verhindern.“ (Hervorhebung durch Autor) In dem hier exemplarisch angeführten Änderungsbeschluss (GASP) 2019/1893 des Rates heißt es zur Zielstellung: „Da die politische, wirtschaftliche, soziale und humanitäre Krise in Venezuela und die Handlungen, die die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte untergraben, andauern, sollten die geltenden restriktiven Maßnahmen einschließlich aller Benennungen bis zum 14. November 2020 verlängert werden. Diese Maßnahmen ziehen die breite Bevölkerung nicht in Mitleidenschaft und können bei Fortschritten im Hinblick auf die Wiederherstellung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte in Venezuela zurückgenommen werden.“ (ErwGr. 13, Hervorhebung durch Autor) Ergänzend wird zur Frage der wirtschaftlichen Auswirkungen restriktiver Maßnahmen auf die Zielstaaten sowie zur Frage von Erfolg und Misserfolg restriktiver Maßnahmen auf eine Untersuchung der Wissenschaftlichen Dienste des Europäischen Parlaments (European Parliamentary Research Service – EPRS) mit dem Titel „EU sanctions: A key foreign and security policy instrument “ (2018) verwiesen, die hier beigefügt ist als Anlage. Fachbereich Europa