© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 078/19 Vereinbarkeit der Verwendung unterschiedlicher Begriffe für Lebenspartnerschaften und Ehen im Personenstandsregister mit Art. 21 GRC Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 078/19 Seite 2 Vereinbarkeit der Verwendung unterschiedlicher Begriffe für Lebens-partnerschaften und Ehen im Personenstandsregister mit Art. 21 GRC Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 078/19 Abschluss der Arbeit: 2. Oktober 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 078/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Prüfung der Vereinbarkeit mit Art. 21 Abs. 1 GRC 4 2.1. Anwendungsbereich der Grundrechtecharta 4 2.2. Ergänzende Überlegungen zur möglichen Bedeutung von Art. 21 GRC im Rahmen der Anwendung von Art. 9 Datenschutz- Grundverordnung 5 3. Ergebnis 6 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 078/19 Seite 4 1. Einführung Seit dem 1. Oktober 2017 ist die zivilrechtliche Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare möglich . Die Eingehung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ist seitdem nicht mehr zulässig.1 Die bisherigen Eintragungen über Lebenspartnerschaften im Personenstandsregister werden nicht geändert sondern fortgeführt, was dazu führt, dass etwa aus der Eintragung „Lebenspartnerschaft aufgehoben“ die sexuelle Ausrichtung der früheren Lebenspartner weiterhin erkennbar bleibt. Im Unterschied dazu ist dies aus der Eintragung „Ehe geschieden“ als solcher seit Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare nicht (mehr) ersichtlich. Der Fachbereich ist um Auskunft gebeten worden, ob dies eine nach Art. 21 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta (GRC) verbotene Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung darstellt. 2. Prüfung der Vereinbarkeit mit Art. 21 Abs. 1 GRC 2.1. Anwendungsbereich der Grundrechtecharta Die Grundrechtecharta gilt nach ihrem Art. 51 Abs. 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Eine Anwendung der Grundrechtecharta setzt somit voraus , dass die zu überprüfende mitgliedstaatliche Maßnahme in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Die einschlägigen deutschen Vorschriften zum Personenstandsregister könnten in den Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung2 fallen; andere Unionsvorschriften sind nicht ersichtlich. Nach Art. 9 Datenschutz-Grundverordnung ist die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten, etwa zur sexuellen Orientierung, nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Vorliegend dürfte die Ausnahme in Art. 9 Abs. 2 Buchst. g einschlägig sein, welche eine Verarbeitung ausnahmsweise erlaubt, insbesondere wenn dies „aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich“ ist und die mitgliedstaatliche Regelung „in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht“. Es ist allerdings fraglich, ob diese Unionsbestimmung eine (eigenständige) Anwendung des Art. 21 GRC auf die in Rede stehenden deutschen Vorschriften ermöglicht. 1 Hinsichtlich der Einzelheiten der einschlägigen Vorschriften wird auf die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages WD 3 – 3000 – 193/19 verwiesen. 2 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 078/19 Seite 5 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind als Durchführung des Unionsrechts gemäß Art. 51 Abs. 1 GRC in erster Linie Maßnahmen zu verstehen, mit denen ein Mitgliedstaat unionsrechtliche Regelung administrativ vollzieht3 oder eine unionsrechtliche Handlungspflicht normativ umsetzt 4. Die Regelung in Art. 9 Abs. 2 Buchst. g Datenschutz-Grundverordnung ist jedoch weder auf einen administrativen Vollzug gerichtet, noch ergibt sich aus ihr eine umsetzungsbedürftige Handlungspflicht etwa zur (Ein-)Führung von Personenstandsregistern. Vielmehr stellt die Regelung eigenständige rechtliche Voraussetzungen auf, unter denen das mitgliedstaatliche Recht eine Verarbeitung entsprechender Daten vorsehen kann. Eine Anwendung der Unionsgrundrechte im Bereich unmittelbar anwendbarer Anforderungen des Unionsrechts ist in der Rechtsprechung bislang, soweit ersichtlich, nur für den Bereich der Grundfreiheiten anerkannt. Nach der ERT-Rechtsprechung des EuGH haben die Mitgliedstaaten bei der Einschränkung der Grundfreiheiten die Unionsgrundrechte als Schranken-Schranke zu beachten.5 Es ist unklar, ob diese Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten auf andere unmittelbar anwendbare Anforderungen des Unionsrechts übertragen werden kann. Vorliegend wäre eine Übertragung wohl allenfalls insoweit denkbar, als dies zur einer Abwägung des in Art. 9 Datenschutz -Grundverordnung anerkannten „erheblichen öffentlichen Interesses“ mit gegenläufigen grundrechtlichen Belangen der betroffenen Person führen würde. Allerdings würde dies vorliegend bedeuten, dass nicht eine Abwägung mit einer gegenläufigen freiheitsrechtlichen, sondern einer gleichheitsrechtlichen Position vorzunehmen wäre. Zu dieser speziellen Konstellation liegt jedoch, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung des EuGH vor. Es verbleiben somit Unsicherheiten , ob die ERT-Rechtsprechung auf Art. 9 Datenschutz-Grundverordnung übertragen werden kann und wie eine aus der Übertragung resultierende Abwägung mit gleichheitsrechtlichen Positionen zu erfolgen hätte. Es ist festzuhalten, dass Art. 21 Abs. 1 GRC vorliegend allenfalls im Rahmen der Anwendung von Art. 9 Datenschutz-Grundverordnung Berücksichtigung finden könnte. Eine eigenständige Anwendung des Art. 21 Abs. 1 GRC auf die fraglichen deutschen Vorschriften zum Personenstandsregister dürfte dagegen ausscheiden. 2.2. Ergänzende Überlegungen zur möglichen Bedeutung von Art. 21 GRC im Rahmen der Anwendung von Art. 9 Datenschutz-Grundverordnung Mit Rücksicht auf eine denkbare Berücksichtigung unionsgrundrechtlicher Belange der betroffenen Personen im Rahmen einer datenschutzrechtlichen Prüfung gemäß Art. 9 Datenschutz- Grundverordnung ist zu bedenken, dass das Vorliegen einer nach Art. 21 Abs. 1 GRC verbotenen Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung aus unterschiedlichen Gründen zweifelhaft ist. 3 Grundlegend EuGH, Wachauf, Rs. 5/88, Rn. 19-22; vgl. aus jüngerer Rechtsprechung, EuGH, verb. Rs. C‑411/10 und C‑493/10, N.S. u.a., Rn. 64 ff. 4 Vgl. EuGH, Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson, Rn. 17 ff., 26 ff.; EuGH, Rs. C‑418/11, Texdata Software, Rn. 70-75. 5 Borowsky in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 4. Aufl. 2014, Art. 51, Rn. 29. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 078/19 Seite 6 So erscheint es bereits fraglich, inwieweit gleichgeschlechtliche Paare, die vor dem 1. Oktober 2017 eine Lebenspartnerschaft begründet haben, durch die Fortführung bestehender Eintragungen im Personenstandsregister tatsächlich gegenüber Eheleuten unterschiedlichen Geschlechts benachteiligt werden. Zwar erfolgt die Offenlegung ihrer sexuellen Ausrichtung unmittelbar aus den im Personenstandsregister verwendeten Begrifflichkeiten (z.B. „Lebenspartnerschaft aufgehoben “). Allerdings legt das Personenstandsregister auch die sexuelle Orientierung derjenigen Paare unterschiedlichen Geschlechts offen, deren Ehe vor dem 1. Oktober 2017 geschlossen wurde. Bei ihnen ergibt sich dies mit Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zwar nicht mehr aus den entsprechenden Begrifflichkeiten (einheitlich: „Ehe geschieden“), wohl aber aus dem nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 PStG ebenfalls im Personenstandsregister beurkundeten Datum der Eheschließung . Denn bei einer vor dem 1. Oktober 2017 geschlossene Ehe kann es sich nur um verschiedengeschlechtliche Eheleute handeln. Eine Offenlegung erfolgt somit in beiden Fällen. In gleichheitsrechtlicher Hinsicht verbliebe somit allenfalls ein gradueller Unterschied mit Blick auf die leichtere Erkennbarkeit bei Lebenspartnerschaften. Darüber hinaus hat der EuGH klargestellt, dass es den Mitgliedstaaten nach dem Unionsrechts grundsätzlich freisteht, „für Personen gleichen Geschlechts die Ehe oder eine alternative Form der gesetzlichen Anerkennung ihrer Beziehung vorzusehen oder nicht und gegebenenfalls den Zeitpunkt festzulegen, ab dem eine solche Ehe oder alternative Form ihre Wirkungen entfaltet.“6 Nichts anderes kann für mitgliedstaatliche Vorschriften gelten, die lediglich an diese unionsrechtlich nicht zu beanstandende Rechtslage anknüpfen, indem sie etwa zu Beweiszwecken die Führung von Personenstandsregistern vorsehen.7 In der gleichheitsrechtlichen Prüfung drückt sich die unionsrechtliche Anerkennung des mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums in diesem Bereich darin aus, dass der EuGH die Vergleichbarkeit zwischen der Ehe und Lebenspartnerschaft als eine Frage betrachtet, welche von den mitgliedstaatlichen Gerichte im Lichte des mitgliedstaatlichen Regelungszusammenhangs grundsätzlich selbst zu beurteilen ist.8 Mit Rücksicht auf die nach deutschen Recht fortbestehenden Unterschiede zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft , etwa in Bezug auf die Adoption9, sind die Ehe und die Lebenspartnerschaft in Bezug auf eine Regelung, welche zur korrekten Abbildung der Sach- und Rechtslage die Fortführung bestehender Eintragungen vorsieht, in einer nicht vergleichbaren Lage. Die sich aus einer solchen Fortführung ergebenden Nachteile für (ehemalige) Lebenspartner stellen daher wohl bereits tatbestandlich keine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung gemäß Art. 21 Abs. 1 GRC dar. 3. Ergebnis Im Lichte der auf die Durchführung von Unionsrecht beschränkten Anwendbarkeit der Grundrechtecharta auf mitgliedstaatliche Maßnahmen dürfte eine eigenständige Anwendung des 6 EuGH, Rs. C‑443/15, Parris, Rn. 59. 7 Näher hierzu siehe Wissenschaftliche Dienste des Bundestages WD 3 – 3000 – 193/19, S. 5. 8 EuGH, Rs. C-267/06, Maruko, Rn. 72 f. 9 Näher hierzu siehe Wissenschaftliche Dienste des Bundestages WD 3 – 3000 – 193/19, S. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 078/19 Seite 7 Art. 21 Abs. 1 GRC auf die in Rede stehenden deutschen Vorschriften über das Personenstandsregister vorliegend ausscheiden. Allenfalls könnten auf Art. 21 Abs. 1 GRC gestützte Belange im Rahmen der Prüfung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. g Datenschutz-Grundverordnung zu berücksichtigen sein. Zu dieser speziellen Konstellation liegt, soweit ersichtlich, keine Rechtsprechung des EuGH vor. Ungeachtet dessen ist vorliegend jedoch davon auszugehen, dass die aus der Fortführung bestehender Eintragungen über Lebenspartnerschaften im Personenstandsregister folgende graduelle Benachteiligung mangels Vergleichbarkeit wohl keine Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung gemäß Art. 21 GRC darstellt. – Fachbereich Europa –