© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 076/19 Einkommensteuerrabatte für Arbeitnehmer bestimmter Branchen und Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 2 Einkommensteuerrabatte für Arbeitnehmer bestimmter Branchen und Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 076/19 Abschluss der Arbeit: 26. September 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilferecht 4 2.1. Mittelbare Beihilfen 4 2.2. Einkommensteuerrabatte für Arbeitnehmer bestimmter Branchen als mittelbare Beihilfen? 7 2.3. Zu Fragen der Rechtfertigung 8 3. Vereinbarkeit mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit 9 4. Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz 9 5. Ergebnis 10 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Im Nachgang zu einem Gutachtenauftrag zu Steuerermäßigungen für sog. Expatriates,1 wurde der Fachbereich um Prüfung ersucht, ob zeitlich begrenzte Einkommensteuerrabatte für in einem EU- Mitgliedstaat steuerpflichtige Arbeitnehmer, die nach einem bestimmten Stichtag Arbeitsverträge mit Arbeitgebern in einer bestimmten Branche geschlossen haben, mit Unionsrecht vereinbar sind. Als mögliche Prüfungsmaßstäbe wurden das EU-Beihilferecht (2.), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (3.) und der Gleichheitsgrundsatz (4.) benannt. 2. Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilferecht Hinsichtlich des EU-Beihilferechts nach Art. 107 ff. AEUV wird zunächst auf das Gutachten zum einleitend erwähnten Auftrag verwiesen, welches eine überblicksartige Darstellung zu materiellen und verfahrensmäßigen Aspekten dieses Rechtsgebiets enthält.2 Da Begünstigungen alleine von Arbeitnehmern mangels deren Unternehmenseigenschaft nicht beihilferelevant sind,3 kommt es auch im vorliegenden Kontext entscheidend darauf an, ob die hier zu erörternden Einkommensteuerrabatte sog. mittelbare Beihilfen darstellen oder nicht.4 Im Folgenden soll diese Fallgruppe zunächst abstrakt dargestellt (2.1.) und sodann im Hinblick auf die Einkommensteuerrabatte untersucht werden (2.2.). 2.1. Mittelbare Beihilfen Dass nicht nur Maßnahmen, die direkt Unternehmen zugutekommen, sondern auch „mittelbare Beihilfen“ den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen können, ergibt sich bereits vertraglich aus Art. 107 Abs. 2 Buchst. a AEUV. Danach sind „Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher “ als mit dem Binnenmarkt vereinbar anzusehen. Da Verbraucher per definitionem keine Unternehmen sind, handelt es sich hierbei um solche Maßnahmen, die Verbrauchern über Unternehmen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zugutekommen.5 Und auch in der Rechtsprechung 1 Siehe hierzu das Gutachten PE 6 - 3000 - 67/19 „Steuerermäßigung für Expatriates im Bankensektor und EU- Beihilferecht“ vom 24. September 2019 (im Folgenden: Expatriates-Gutachten). 2 Siehe Expatriates-Gutachten (Fn. 1), Pkt. 2, S. 4 ff. 3 Vgl. Expatriates-Gutachten (Fn. 1), Pkt. 3.1.1., S. 7. 4 Siehe Expatriates-Gutachten (Fn. 1), Pkt. 3.1.2.1., S. 8, sowie die dort getätigten Nachweise zu. 5 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2016, Art. 107 Abs. 2 AEUV, Rn. 8 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 5 ist diese besondere Beihilfekonstellation anerkannt.6 Allerdings werden die Konturen dieser Fallgruppe als unklar und unscharf bewertet.7 Deutlich wird dies auch an den knappen Kommissionsausführungen hierzu in der sog. Beihilfemitteilung .8 Danach sind „mittelbare Vorteile […] von bloßen sekundären wirtschaftlichen Auswirkungen zu unterscheiden, die zwangsläufig mit fast allen Beihilfemaßnahmen verbunden sind (zum Beispiel ein Anstieg der Produktion). Zu diesem Zweck sollte die vorhersehbare Wirkung der Maßnahme ex ante betrachtet werden. Ein mittelbarer Vorteil liegt vor, wenn die Maßnahme so ausgestaltet ist, dass ihre sekundären Auswirkungen bestimmbaren Unternehmen oder Gruppen von Unternehmen zugeleitet werden. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die unmittelbare Beihilfe de facto oder de jure davon abhängig gemacht wird, dass nur von bestimmten Unternehmen (zum Beispiel Unternehmen, die in einem bestimmten Gebiet niedergelassen sind) hergestellte Waren oder Dienstleistungen erworben werden […].“9 Im Unterschied zu den allgemein formulierten Steuerermäßigungen für Expatriates10 sollen die hier im Zentrum stehenden Einkommensteuerrabatte nur Arbeitnehmern aus bestimmten Branchen zustehen, so dass die Frage aufgeworfen ist, ob und welche Anforderungen im Übrigen erfüllt sein müssen, um von beihilferelevanten „sekundären wirtschaftlichen Auswirkungen“ auszugehen , die – wie hier – über die Ausgestaltung der Maßnahme „bestimmbaren Unternehmen oder Gruppen von Unternehmen“ zugutekommen. Hierzu sollen in Ergänzung des obigen Zitates aus der Beihilfemitteilung im Folgenden die wenigen unionsgerichtlichen Entscheidungen dargestellt werden, die es zu mittelbaren Beihilfen gibt. Zu nennen ist hier zunächst die Rechtssache Mediaset, in welcher es um staatliche Zuschüsse für Verbraucher zum Erwerb bestimmter TV-Decoder ging. Nach Ansicht der Kommission stellte dieser Zuschuss zugleich eine mittelbare Begünstigung der durch den betreffenden Decoder zu empfangenden Fernsehanstalten und Kabelnetzbetreiber dar, zumal darunter nicht alle der tätigen Fernsehanstalten und Kabelnetzbetreiber fielen.11 Der EuGH bestätigte, dass es sich hierbei um den Fall einer mittelbaren Beihilfe handelt.12 Im Schrifttum wird diese Konstellation z. T. unter 6 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 13.6.2002, Rs. C-382/99 (Niederlande/Kommission), Rn. 60 ff., ins. Rn. 62 f.; EuGH, Urt. v. 15.5.2019, Rs. C-706/17 (Achema u. a.), Rn. 75. 7 Siehe etwa Soltész/Hellstern, „Mittelbare Beihilfen“ – Indirekte Begünstigungen im EU-Beihilferecht, EuZW 2013, S. 491, 493. 8 Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2016 Nr. C 262/1 (letztmaliger Abruf unter 20.11.19). In dieser Mitteilung erläutert die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die einzelnen Merkmale des Beihilfetatbestandes. 9 Beihilfemitteilung (Fn. 8), Rn. 116. 10 Siehe Expatriates-Gutachten (Fn. 1), Pkt. 3.1.2.2., S. 9. 11 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.7.2011, Rs. C-403/10 P (Mediaset), Rn. 67 ff., insb. 74 ff. 12 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.7.2011, Rs. C-403/10 P (Mediaset), Rn. 81 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 6 dem Stichwort „nachfragesteuernde Maßnahmen“ erörtert.13 Sie dürfte auch die Grundlage für das obige Beispiel der Kommission in der Beihilfemitteilung bilden. In die Kategorie der „nachfragesteuernde Maßnahmen“ dürften sodann auch die Fälle aus dem Bereich des steuerbegünstigten Einsatzes von Risikokapital oder von Steuervorteilen für Investoren bei Vornahme bestimmter Unternehmensinvestitionen fallen.14 Obgleich der hierdurch unmittelbar Begünstigte Investor ebenfalls Unternehmer sein kann,15 sind es aus Sicht der Kommission und des EuGH in der Regel auch die Unternehmen, nach deren Anteilen die Nachfrage durch entsprechende steuerliche Maßnahmen für Investoren gesteuert wird.16 Auf den Einwand, dass nicht allein die Steuerermäßigung, sondern erst die autonome Entscheidung des Investors zu einem Vorteil auf Seiten der Investitionsunternehmens führe, entgegnete der EuGH, dass das „Hinzutreten einer autonomen Entscheidung der Investoren den Zusammenhang zwischen der Steuervergünstigung und dem den betreffenden Unternehmen gewährten Vorteil nicht entfallen [lässt], da nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise die Änderung der Marktbedingungen, die diesen Vorteil bewirkt, daraus folgt, dass dem Staat Steuereinnahmen entgehen.“17 Ein weiteres, in der Sache aber anders gelagerte Beispiel aus der Rechtsprechung des EuGH liegt der Rechtssache Niederlande/Kommission zugrunde, in welcher es um eine unmittelbare staatliche Beihilfe an Tankstellenbetreiber im deutsch-niederländischen Grenzgebiet ging. Mit diesen Beihilfen sollten für die auf niederländischer Seite gelegenen Tankstellen bestehenden Standortnachteile ausgeglichen werden, die sich aus den Preisunterschieden für die in Deutschland günstigere Kraftstoffe ergaben. Ein solcher Nachteilsausgleich war aber bereits in den Lieferverträgen vereinbart, die die Tankstellenbetreiber mit ihren jeweiligen Mineralölgesellschaften geschlossen hatten. Da die Anwendung dieser Klauseln zu Lasten der Mineralölgesellschaften durch die staatlichen Beihilfen an die Tankstellenbetreiber „praktisch sinnlos gemacht“ wurde, sahen sowohl die Kommission als auch der später angerufene EuGH darin (auch) mittelbare Beihilfen an die betreffenden Mineralölgesellschaften.18 Versucht man dieses Urteil zu abstrahieren, so könnte man es auf die Formel bringen, dass der Staat durch Maßnahmen gegenüber dem unmittelbar Begünstigten eine finanzielle Freistellung des mittelbar Begünstigten von privatautonom vereinbarten Lasten erreicht. 13 So etwa Soltész/Hellstern (Fn. 7), EuZW 2013, S. 490. 14 Siehe hierzu die Darstellung bei Soltész/Hellstern (Fn. 7), EuZW 2013, S. 489 f. 15 Vgl. dazu auch Beihilfemitteilung (Fn. 8), Rn. 115, in welcher die Kommission bei der Umschreibung mittelbarer Beihilfen offenbar primär davon ausgeht, dass es sich bei den unmittelbar Begünstigten um v. a. um Unternehmen handelt. 16 Vgl. insbesondere EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-156/98 (Deutschland/Kommission), Rn. 23 ff., insb. Rn. 26. 17 EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-156/98 (Deutschland/Kommission), Rn. 27. 18 Siehe EuGH, Urt. v. 13.6.2002, Rs. C-382/99 (Niederlande/Kommission), Rn. 55 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 7 2.2. Einkommensteuerrabatte für Arbeitnehmer bestimmter Branchen als mittelbare Beihilfen? Abgesehen von der Nachfragesteuerung zum einen sowie der finanziellen Freistellung zum anderen lässt sich weder der einen noch der anderen in der Rechtsprechung anerkannten Konstellation mittelbarer Beihilfen entnehmen, ob neben der (mittelbaren) Begrenzung der jeweiligen Maßnahme auf bestimmbare Unternehmen noch weitere, abstrakt formulierbare Anforderungen im Übrigen erfüllt sein müssen, damit eine „sekundäre wirtschaftliche Auswirkung“ als beihilferelevanter mittelbarer Vorteil angesehen werden kann. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden zunächst nur die Fallkonstellationen miteinander verglichen werden. Auf den ersten Blick könnte hier eine Ähnlichkeit mit der Freistellungskonstellation anzunehmen sein, wenn man unterstellt, dass der betreffende Branchenarbeitgeber durch eine dem Arbeitnehmer zustehenden Einkommensteuerrabatt Einsparungen beim Bruttogehalt erzielen kann, ohne dass das Nettoeinkommen in der Höhe verändert wird. Dem Steuerrabatt würde in einem solchen Fall eine Ersparnis bei den Lohnkosten gegenüberstehen. Anders als in der Rechtssache Niederlande/Kommission handelt es sich hier aber nicht um eine (rechtlich und/oder faktisch) zwingende Relation zwischen dem Einkommensteuerrabatt des Arbeitgebers und der „Freistellung “ auf Seiten des Arbeitgebers. Denn ob und inwieweit der Einkommensteuerrabatt des Arbeitnehmers zu einer Einsparung beim Gehalt auf Seiten Arbeitgebers führt, das dieser sonst hätte aufbringen müssen, ist eine Frage des Einzelfalls, v. a. der individuellen Vertragsverhandlungen . So ist etwa nicht ausgeschlossen, dass dieser Umstand einfach nur als Bonus verstanden wird oder bei den Vertragsverhandlungen auf Seiten des Arbeitgebers aus anderen Gründen keine Rolle spielt. Diese Einzelfallbetrachtung widerspricht zudem der in der Beihilfemitteilung geforderten ex-ante-Betrachtung der Maßnahme. Vergleicht man den Fall der Einkommensteuerrabatte hingegen mit der Konstellation nachfragesteuernder Maßnahmen, so lässt sich zunächst einwenden, dass es im ersten Fall eben gerade nicht um die Steuerung der Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen geht, die bestimmte Unternehmen auf dem Markt anbieten. Andererseits lässt sich auch nicht von der Hand weisen, dass ein für Arbeitnehmer bestimmter Branchen bestehender Einkommensteuerrabatt die Nachfrage nach Arbeitgebern aus diesen Branchen beeinflussen kann, insbesondere wenn es sich um Tätigkeiten handeln sollte, die dort branchenunabhängig erbracht werden können. In diesem Fall stellt sich allerdings die Frage, worin bei einer solchen Betrachtung die „sekundäre wirtschaftliche Auswirkung“ zum (mittelbaren) Vorteil der anstellenden Unternehmen bestehen soll. Höhere Umsätze betreffend Waren bzw. Dienstleistungen etc. sind es in dieser Konstellation gerade nicht. Blendet man aus den oben dargestellten Gründen Gehaltseinsparungen auch hier aus, so bliebe allein der sich aus dem Einkommensteuerrabatt ergebende „Standortvorteil“ der Branchenarbeitgeber bei Gewinnung von Arbeitnehmern. Eine solche „finanzielle“ Attraktivität gegenüber anderen Branchen und dort tätigen Unternehmen lässt sich zwar ohne weiteres auch einer ex-ante-Betrachtung der Einkommensteuerrabatte und ihrer sekundären Auswirkungen entnehmen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies für die Annahme einer mittelbaren Beihilfe zugunsten der Branchenunternehmen ausreicht. Im Vergleich zu den anerkannten, oben dargestellten Rechtsprechungskonstellationen der nachfragesteuernden Maßnahmen in Bezug auf Waren und Dienstleistungen einerseits sowie der Freistellung von sonst zu tragenden Kosten andererseits erscheint eine solcher Vorteil zu wenig konkret, um eine unternehmensgerichtete Begünstigung zu begründen. Gegen die Annahme einer mittelbaren Beihilfe spricht hier auch die allgemeine Erwägung, dass ein so weites Verständnis eine Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 8 nur schwer rechtssicher einzugrenzende Ausdehnung des Beihilfetatbestandes nach sich ziehen würde. Anderseits lässt sich nicht von der Hand weisen, dass branchenspezifische Einkommensteuerrabatte für die jeweils begünstigen Unternehmen einen Standortvorteil begründen (können ). Angesichts des nur geringen Rechtsprechungsbefundes sowie der insoweit wenig konkreten Kommissionsvorgaben in der Beihilfemitteilung lässt sich an dieser Stelle keine abschließende Bewertung vornehmen, ob es für die Annahme einer mittelbaren Beihilfe genügt, dass bloß „irgendwelche “ sekundären wirtschaftlichen Auswirkungen nur bestimmten Unternehmen zukommen oder ob auch die Auswirkungen an sich bestimmten Anforderungen, etwa im Verhältnis zur unmittelbaren Begünstigung, genügen müssen. 2.3. Zu Fragen der Rechtfertigung Unterstellte man für das weitere Gutachten, dass branchenbezogene Einkommensteuerrabatte als mittelbare Beihilfen anzusehen sind, würde sich die Frage nach ihrer Vereinbarkeit „mit dem Binnenmarkt“ im Sinne des Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV stellen.19 Mit Blick auf die Unschärfen bei der konkreten Bestimmung der unternehmensgerichteten mittelbaren Begünstigung dürften sich derartige Maßnahmen bereits aus formalen Gründen kaum für eine Rechtfertigung auf Grundlage von Freistellungsverordnungen eignen. Letztere sind nämlich – unabhängig von den materiellen Vorgaben – regelmäßig auch durch formale Anforderungen etwa hinsichtlich des zu bestimmenden Bruttosubventionsäquivalents oder der beihilfefähigen Kosten gekennzeichnet,20 die bei mittelbaren Beihilfen regelmäßig nur schwer abgebildet werden können. Im Rahmen einer Rechtfertigung unmittelbar am Maßstab der Rechtfertigungstatbestände in Art. 107 Abs. 2 oder 3 AEUV und der damit einhergehenden Notifizierung im Sinne des Art. 108 Abs. 3 AEUV sowie der ihr folgenden Vorab-Kontrolle dürften derartige formale Erwägungen hingegen weniger von Bedeutung sein. Hier käme es vielmehr entscheidend darauf an, aus welchen (materiellen ) Gründen und für welche Branchen die Einkommensteuerrabatte eingeführt werden sollen . Das ist jedoch eine Frage des Einzelfalls und lässt sich daher an dieser Stelle nicht pauschal beantworten. Die Annahme einer Unvereinbarkeit insbesondere mit den praktisch relevanteren Ermessenstatbeständen der Art. 107 Abs. 3 Buchst. a bis d AEUV dürfte aber umso höher sein, je mehr die Einkommensteuerrabatte dazu dienen, einzelnen vom Wettbewerb gekennzeichneten Branchen einen (besonderen) Vorteil gegenüber vergleichbaren Branchen etwa anderer Mitgliedstaaten zukommen zu lassen. Umgekehrt dürfte eine Rechtfertigung am Maßstab der genannten Vertragsvorschriften umso näher liegen, je mehr die Einkommensteuerrabatte einer Förderung 19 Siehe hierzu allgemein Expatriates-Gutachten (Fn. 1), Pkt. 2.2., S. 5 ff. 20 Siehe beispielsweise Art. 5 und Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2014 Nr. L 187/1, letzte konsolidierte Fassung vom 10.7.2017. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 9 von Zielen dienen, die unionsweit anerkannten und förderfähigen Allgemeinwohlerwägungen entsprechen. 3. Vereinbarkeit mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit Die in Art. 45 AEUV geregelte Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährleistet in erster Linie den freien Zugang zu Arbeitsmärkten anderer Mitgliedstaaten (vgl. Art. 45 Abs. 1 AEUV) und nach erfolgtem Marktzutritt in der Regel nur eine Gleichbehandlung mit den dort tätigen inländischen abhängig Erwerbstätigen (vgl. Art. 45 Abs. 3 AEUV).21 Zwar dürften Einkommensteuerrabatte für Arbeitnehmer in den Anwendungsbereich dieser Grundfreiheit bzw. ihrer sekundärrechtlichen Konkretisierungen fallen.22 Soweit den Einkommensteuerrabatten jedoch keine direkten oder indirekten Ungleichbehandlungen zu Lasten von Arbeitnehmern aus anderen EU-Mitgliedstaaten zugrunde liegen, dürfte darin bereits kein Grundfreiheitseingriff zu sehen sein.23 Und auch das – in der Reichweite umstrittene – Verbot unterschiedsloser Beschränkungen dürfte hier nicht greifen , da nicht erkennbar ist, warum Einkommensteuerrabatte für Arbeitnehmer nur bestimmter Branchen die Aufnahme und Ausübung abhängiger Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat insgesamt „weniger attraktiv“ machen soll.24 Soweit nur die Anstellung in den Branchen des betreffenden Mitgliedstaats, die von dem Steuerrabatt nicht erfasst werden, als „weniger attraktiv “ anzusehen ist, dürfte dies kein Problem der Arbeitnehmerfreizügigkeit sein. Denn diese Grundfreiheit zielt eben auf Gewährleistung des grenzüberschreitenden Verkehrs von abhängig Beschäftigen und deren Gleichbehandlung in anderen Mitgliedstaaten, sie dient aber nicht der Herstellung gleicher Arbeits- und Entlohnungsbedingungen innerhalb eines Mitgliedstaats. 4. Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz Auf Unionsebene ist der Gleichheitsgrundsatz als EU-Grundrecht in Art. 20 der Grundrechte- Charta (GRC) niedergelegt. Wie alle Unionsgrundrechte bindet auch der Gleichheitsgrundsatz in erster Linie die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (vgl. Art. 51 Abs. 1 Hs. 1 GRC). Vorliegend geht es jedoch um eine Anwendung als Prüfungsmaßstab für eine mitgliedstaatlich veranlasste Einführung von branchenspezifischen Einkommensteuerrabatten. Eine Bindung an Art. 20 GRC kommt für Mitgliedstaaten nach Art. 51 Abs. 1 Hs. 2 GRC jedoch nur „bei der Durchführung des Rechts der Union“ in Betracht. Obgleich der EuGH diese Voraussetzung weit versteht und es genügen lässt, dass der betreffende Sachverhalt „in den Anwendungsbereich des 21 Siehe hierzu auch Franzen, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 45 AEUV, Rn. 1. 22 Vgl. hierzu Franzen, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 45 AEUV, Rn. 15 ff. zum Begriff des Arbeitnehmers , sowie Rn. 108 ff. zur Gleichbehandlung im Falle steuerlicher Vergünstigungen. 23 Siehe Franzen, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 45 AEUV, Rn. 81 ff. zum Gleichbehandlungsgrundsatz , sowie Rn. 108 ff. zur Gleichbehandlung im Falle steuerlicher Vergünstigungen. 24 Vgl. zum Beschränkungsverbot der Arbeitnehmerfreizügigkeit etwa EuGH, Urt. v. 16.4.2013, Rs. C-202/11 (Las), Rn. 20; siehe zur Problematik der Reichweite Franzen, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 45 AEUV, Rn. 86 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 076/19 Seite 10 Unionsrecht“ fällt,25 werden hiervon letztlich nur solche Konstellationen erfasst, in denen Mitgliedstaaten entweder Vorgaben des Unionsrechts legislativ oder administrativ vollziehen oder in Grundfreiheiten eingreifen.26 Während ersteres hier mangels unionsrechtlicher Vorgaben des primären oder sekundären Rechts zum Einkommensteuerrecht und seiner Ausgestaltung nicht ersichtlich ist, wird hinsichtlich der Grundfreiheitsrelevanz von Einkommensteuerrabatten auf die obigen Ausführungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit verwiesen. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass gleichheitsrechtliche Erwägungen Bestandteile des Selektivitätsmerkmals des Beihilfetatbestandes nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind. Soweit das EU- Beihilferecht anwendbar ist, dürften der Gleichheitssatz und seine Vorgaben jedenfalls insoweit konsumiert werden, als die durch dieses Gebiet des Wettbewerbsrechts adressierte Relation der Unternehmer untereinander betroffen ist. Eine über das EU-Beihilferecht begründete Anwendung des Art. 20 GRC auf die Relation von Arbeitnehmern und diesen zugutekommende branchenspezifische Einkommensteuerrabatte dürfte mit Blick auf die allein unternehmensbezogene Ausrichtung des Rechtsgebietes hingegen nicht in Betracht kommen. 5. Ergebnis Eine unionsrechtliche Relevanz dürfte den vom Auftraggeber skizzierten Einkommensteuerrabatten nur in beihilferechtlicher Hinsicht zukommen. In Bezug auf diesen Prüfungsmaßstab ist im Ergebnis festzuhalten, dass sich angesichts des geringen Rechtsprechungsbefunds und der Unschärfe der Anforderungen an beihilferechtlich relevante sekundäre wirtschaftliche Auswirkungen nicht abschließend bestimmen lässt, ob Einkommensteuerrabatte für Arbeitnehmer bestimmter Branchen als mittelbare Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen sind. Soweit dies der Fall sein sollte, hinge es vom Einzelfall ab, ob und in welchem Umfang diese insbesondere am Maßstab der Rechtfertigungstatbestände in Art. 107 Abs. 2 oder 3 AEUV gerechtfertigt werden könnten. Für eine mögliche Prüfung der Einkommensteuerrabatte am Maßstab der Arbeitnehmerfreizügigkeit und des Gleichheitssatzes bestehen hingegen vorliegend keine Anhaltspunkte . – Fachbereich Europa – 25 Vgl. EuGH, Urt. v. 26.2.2013, Rs. C-617/10 (Åkerberg Fransson), Rn. 19. 26 Siehe hierzu Pache, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/AEUV/GRC, 1. Aufl. 2017, Art. 51 GRC, Rn. 19 ff.