© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 074/19 Delegationen der Europäischen Union Rechtsgrundlagen, Aufgaben und Einsatzorte Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 074/19 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Delegationen der Europäischen Union Rechtsgrundlagen, Aufgaben und Einsatzorte Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 074/19 Abschluss der Arbeit: 15. August 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 074/19 Seite 3 1. Fragestellung und Vorbemerkung Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, den Aufgabenbereich eines sog. EU-Botschafters zu umreißen und darüber hinaus einzuordnen, wessen Positionen ein EU-Botschafter nach außen vertritt. Mit dem vorliegenden Sachstand werden die unionsrechtliche Stellung sowie Aufgaben und Funktionen der Delegationen der Europäischen Union (EU) beschrieben, für die deren Leitung – umgangssprachlich: EU-Botschafter – die Verantwortung trägt. Anhand der organisatorischen und hierarchischen Einbindung der Delegationen in die Organisationsstrukturen des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (HV) wird schließlich die zweite Fragestellung beantwortet. 2. Die EU-Delegationen 2.1. Unionsrechtliche Grundlagen Mit dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon1 wurde die seit 19562 bestehende und später intensivierte Praxis der Unterhaltung von Auslandsvertretungen der europäischen Organe, insbesondere der Europäischen Kommission (KOM), in Drittstaaten und bei internationalen Organisationen, auf eine primärrechtliche Grundlage gestellt. Zugleich wurde die doppelgleisige Delegationspraxis – der Rat unterhielt parallel zu Delegationen der KOM ebenfalls Vertretungen im Ausland und an den Sitzen internationaler Organisationen – umfassend reformiert .3 Gemäß Artikel 221 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)4 wird die Union in Drittländern und bei internationalen Organisationen durch die Delegationen der Union vertreten. Die Delegationen sind der Leitung des HV unterstellt und arbeiten eng mit den diplomatischen und konsularischen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten zusammen (Abs. 2). Mit dieser Vorschrift wurden einerseits für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages bestehenden mehr als 130 Auslandsvertretungen eine explizite Rechtsgrundlage geschaffen, die nun nicht mehr nur die KOM sondern die EU insgesamt repräsentierten. Andererseits wurden die Delegationen in die mit dem Vertrag von Lissabon neu geschaffene Systemstruktur der Außenvertretung der Union eingebunden.5 1 Vertrag von Lissabon vom 13. Dezember 2007, in Kraft getreten am 1. Dezember 2009. 2 1956 wurde die erste vollwertige Auslandsvertretung der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) in London eingerichtet. Vgl. Europäische Kommission, Taking Europe to the world, Brüssel, 2004, S. 11. 3 Schmalenbach in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage, 2016, Art. 221 AEUV, Rn. 1. 4 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), konsolidierte Fassung 2016, ABl. C 202 vom 7. Juni 2016. 5 Tietje in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 66. ErgL. Februar 2019, Art. 221 AEUV, Rn. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 074/19 Seite 4 Mit seinem sog. EAD-Beschluss vom 26. Juli 20106 hat der Rat der EU die Organisation und Arbeitsweise des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) festgelegt. Die neben der EAD-Zentralverwaltung zur Struktur des EAD (Art. 1 Abs. 4 EAD-Beschluss) gehörenden EU-Delegationen werden von den Bestimmungen aus Art. 5 EAD-Beschluss erfasst; diese regeln u.a. die Errichtungsbefugnis , das interne Unterstellungsverhältnis, die Rechenschaftspflichten, die Weisungsbindung des Leiters der Delegation sowie seine Vertretungsbefugnis insbesondere beim Abschluss von Verträgen und als Partei bei Gerichtsverfahren. 2.2. Aufgaben und Funktionen Dem Wortlaut der Bestimmung des Art. 221 Abs. 1 AEUV zufolge nehmen die Delegationen der Union die ständige Vertretung der EU in Drittstaaten und bei internationalen Organisationen wahr. Ihr Aufgabenbereich umfasst gemäß Art. 32 Abs. 3 und Art. 35 des Vertrages über die Europäische Union (EUV)7 die Durchführung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie die gesamte Breite des auswärtigen Handelns der EU, so z.B. der Bereich der Entwicklungszusammenarbeit (Art. 208 AEUV),8 der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 207 AEUV) und der Beziehungen zu internationalen Organisationen (Art. 220 AEUV).9 Dabei erfüllen die Delegationen als integraler Bestandteil des EAD und in Reflexion der Koordinierungsrolle des HV10 eine Synchronisierungsfunktion 11 der verschiedenen EU-Politikbereiche, insbesondere der Entwicklungszusammenarbeit , der Handelspolitik und der GASP. Wenngleich den Delegationen nicht die Aufgaben diplomatischer oder konsularischer Vertretungen mitgliedstaatlichen Zuschnitts zukommen,12 unterstützen sie die Mitgliedstaaten auf Ersuchen in ihren diplomatischen Beziehungen und bei ihrer Aufgabe, konsularischen Schutz für die Unionsbürger in Drittstaaten zu gewähren (Art. 35 Abs. 3 EUV i.V.m. Art. 20 Abs. 2 lit c AEUV; Art. 5 Abs. 10 EAD-Beschluss). Eine weitere Aufgabe fällt den Delegationen in der Unterstützung aller Organe und Einrichtungen der EU bei ihren Auslandsaktivitäten zu. Dies gilt insbesondere für das Europäische Parlament und seine Mitglieder, den Präsidenten des Europäischen Rates sowie den Präsidenten der KOM. 6 Beschluss des Rates (2010/427/EU) vom 26. Juli 2010 über die Organisation und die Arbeitsweise des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD-Beschluss). 7 Vertrag über die Europäische Union (EUV), konsolidierte Fassung 2016, ABl. C 202 vom 7. Juni 2016. 8 Hofstötter, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 221 AEUV, Rn. 5 9 Schmalenbach, Die Delegationen der Europäischen Union in Drittländern und bei internationalen Organisationen , EuR-Beiheft 2/2012, 205 (209). 10 Für einen Überblick zu den Kompetenzen des HV vgl. Sichel, Die Gründung des Europäischen Auswärtigen Dienstes als EU-Organ, EuR 2011, 447 (448). 11 Schmalenbach, Fn. 9, S. 210 f. 12 Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 221 AEUV, Rn. 2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 074/19 Seite 5 Das Aufgabenspektrum reicht hier von der Sicherstellung des alltäglichen Informationsaustausches zwischen EU und Drittstaat bzw. internationaler Organisation über die Dienstreiseorganisation bis hin zur Unterstützung und Begleitung beim Aufenthalt im Drittstaat.13 2.3. Einsatzorte Die EU unterhält derzeit insgesamt 144 Delegationen in Drittstaaten sowie bei internationalen Organisationen .14 Die vollständige Übersicht der Einsatzorte unterliegt der Veränderlichkeit und wird vom EAD auf dessen Website veröffentlicht. 3. Organisatorische Stellung der EU-Delegationen und Weisungsrecht Die Delegationen sind gemäß Art. 27 Abs. 3 EUV i.V.m. Art. 1 Abs. 4 EAD-Beschluss organisatorisch in die Strukturen des EAD eingegliedert und unterstehen – wie dieser insgesamt – gemäß Art. 221 Abs. 2 AEUV dem HV. Sie sind wesentlicher Bestandteil der hierarchischen und funktionellen Struktur des EAD, der wiederum eine vom Generalsekretariat des Rates und von der KOM getrennte selbständige Einrichtung der EU ist und über die notwendige Rechts- und Geschäftsfähigkeit verfügt, um seine Aufgaben auszuführen (Art. 1 Abs. 2 EAD-Beschluss). Die Delegationen werden als „Diener mehrerer Herren“15 charakterisiert. So sind neben dem HV, der entweder selbst oder als Behördenleiter über die Zentralverwaltung des EAD Weisung an eine Delegation erteilen kann (Art. 5 Abs. 3 S. 1 EAD-Beschluss), auch die KOM-Mitglieder gegenüber dem Delegationsleiter weisungsbefugt. Letzteres gilt nur für diejenigen Politikbereiche, in denen die KOM die ihr durch die Verträge übertragenen Befugnisse ausübt (Art. 5 Abs. 3 S. 2 EAD-Beschluss ). Beim Weisungsrecht des HV wird unterschieden nach der Funktion, in der der HV seine Weisung erteilt. Trägt der HV als Vorsitzender des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ den sog. Ratshut, dient seine Weisung der Aufgabenerfüllung im Bereich der GASP; gestaltet er dagegen als Vizepräsident der KOM im Rahmen des Kollegialorgans KOM die Unionspolitik mit – hier trägt er sinnbildlich den sog. Kommissionshut – erstreckt sich sein Weisungsrecht auf das gesamte sonstige auswärtige Handeln der Union, teils gemeinsam mit anderen, für den jeweiligen Politikbereich zuständigen KOM-Mitgliedern.16 Der Delegationsleiter ist für die Umsetzung der Weisungen verantwortlich (Art. 5 Abs. 3 EAD-Beschluss ). – Fachbereich Europa – 13 Schmalenbach, Fn. 9, S. 209 f. 14 Dies sind derzeit die Vertretungen an folgenden Sitzen: OECD, Paris; UN, Paris; UN, Genf; UN, Rom; Wien (für eine Reihe internationaler Organisationen); WTO, Genf; Afrikanische Union, Addis Abeba; ASEAN, Jakarta; Europarat, Straßburg; UN, New York. 15 Schmalenbach, Fn. 9, S. 208. 16 Vgl. hierzu: Kokott, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 221 AEUV, Rn. 11; Schmalenbach, Fn. 9, S. 208 f.