© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 72/13 Das Mandat der Europäischen Zentralbank im Rahmen der Troika Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 72/13 Seite 2 Das Mandat der Europäischen Zentralbank im Rahmen der Troika Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 72/13 Abschluss der Arbeit: 28.06.2013 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 72/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Das Handlungsmandat der EZB im Rahmen des Verfahrens für die Gewährung von Stabilitätshilfe 4 3. Kompetenzgemäßheit des EZB-Mandates im Rahmen des ESM 5 3.1. Maßstäbe der Inanspruchnahme von Unionsorganen durch intergouvernementale Kooperationen 5 3.2. Wahrung der Verbandskompetenz 5 3.3. Wahrung der Organkompetenz 7 4. Ergebnis 7 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 72/13 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung geht auf die Frage nach der Vereinbarkeit des unionsvertraglichen Kompetenzrahmens der Europäischen Zentralbank (EZB) mit ihrem Mandat im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein, als Teil der sogenannten Troika im Rahmen ESM-Verfahren für die Gewährleistung von Finanzhilfen die makroökonomischen Anpassungsprogramme mit zu verhandeln und darüber Einfluss zu nehmen auf die Fiskal-, Sozial und Wirtschaftspolitik des betreffenden Mitgliedstaates. 2. Das Handlungsmandat der EZB im Rahmen des Verfahrens für die Gewährung von Stabilitätshilfe Handlungen der EZB im Rahmen der Troika erfolgen nicht auf Grundlage eigenständiger, primärrechtlich zugewiesener Kompetenzen. Vielmehr beruht das Handeln der EZB im Rahmen des ESM insgesamt und insbesondere der Troika auf einem Beschluss der 27 Mitgliedstaaten, in dem diese die Inanspruchnahme der Kommission und der EZB zur Mitwirkung im Rahmen des ESM genehmigt haben.1 Die der EZB auf dieser Grundlage übertragbaren und im ESM-Vertrag konsentierten Aufgaben bestehen in der Bewertung der Dringlichkeit der Stabilitätshilfeersuchen (Art. 4 Abs. 4 ESM-Vertrag (ESMV)), der Teilnahme an den Sitzungen des Gouverneursrats und des Direktoriums als Beobachter (Art. 5 Abs. 3 und 6 Abs. 2 ESMV) und, im Benehmen mit der Kommission , der Bewertung der Stabilitätshilfeersuchen (Art. 13 Abs. 1 ESMV), der Aushandlung eines Memorandum of Understanding (MoU, Art. 13 Abs. 3 ESMV) und der Überwachung der Einhaltung der mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen (Art. 13 Abs. 7 ESMV). Hinsichtlich der Verfahren für die Gewährung von Stabilitätshilfen erfolgt die Aktivierung des Handlungsmandates im konkreten Einzelfall. Beantragt ein Mitgliedstaat die Gewährung einer Finanzhilfe, überträgt der Vorsitzende des ESM-Gouverneursrates der Kommission gemäß Art. 13 Abs. 1 S. 3 ESMV die Aufgabe, im Benehmen mit der EZB die Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes2, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung und den Finanzierungsbedarf des antragstellenden Staates zu bewerten. Beschließt der ESM-Gouverneursrat auf Grundlage von Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag, dass dem um Finanzhilfe ersuchenden Mitgliedstaat grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form einer Finanzhilfefazilität gewährt werden soll, kann der ESM-Gouverneursrat gemäß Art. 13 Abs. 3 ESM der Kommission die Aufgabe übertragen, im Benehmen mit der EZB und nach Möglichkeit zusammen mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) als Troika mit dem betreffenden ESM- Mitglied ein MoU auszuhandeln, in dem die mit der Finanzhilfefazilität verbundenen Auflagen und insbesondere das makroökonomische Anpassungsprogramm im Einzelnen aufgeführt wer- 1 10. Erwägungsgrund der Präambel des ESM-Vertrages mit Verweis auf den Beschluss der Vertreter der Regierungen der 27 Mitgliedstaaten v. 20.6.2011, Rats-Dok. 11758/11. 2 Diese Feststellung kann alternativ durch eine bereits erfolgte Analyse der EZB gemäß Art. 18 Abs. 2 ESM- Vertrag substituiert werden. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 72/13 Seite 5 den. Entsprechend der Unterzeichnung des MoU durch die Kommission im Namen des ESM erfolgt auch die Verhandlung des MoU durch die Troika im Namen des ESM. 3. Kompetenzgemäßheit des EZB-Mandates im Rahmen des ESM Die Vereinbarkeit der Handlungen der EZB im Rahmen des ESM könnten bereits dadurch mit der primärrechtlichen Kompetenzordnung konfligieren, dass hierdurch die Grenzen der begrenzten Einzelermächtigungen überschritten werden und damit die EZB mangels Organkompetenz insgesamt unzulässig Einfluss nimmt auf die Fiskal-, Sozial und Wirtschaftspolitik des betreffenden Mitgliedstaates. 3.1. Maßstäbe der Inanspruchnahme von Unionsorganen durch intergouvernementale Kooperationen Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung beschränkt die Handlungslegitimation und -befugnis der Unionsorgane auf die übertragenen Kompetenzen, die ihnen die Mitgliedstaaten in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben und deren konkreter Umfang sich nach Art. 2 Abs. 6 AEUV aus den Bestimmungen der Verträge zu den einzelnen Bereichen ergibt.3 Jedoch schließt dies nicht grundsätzlich aus, dass Unionsorgane in intergouvernementale Kooperationen der Mitgliedstaaten eingebunden werden. Vielmehr können die Mitgliedstaaten in Bereichen, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, außerhalb des Rahmens der Union deren Organe mit Aufgaben wie der Koordinierung einer von den Mitgliedstaaten gemeinsam unternommenen Aktion oder der Verhandlung einer Finanzhilfe betrauen, sofern diese Aufgaben die den Organen durch die Unionsverträge übertragenen Befugnisse nicht verfälschen und das ordnungsgemäße Funktionieren der Unionsorgane nicht beeinträchtigen .4 Wahrung der Verbandskompetenz Der Europäische Gerichtshof hat in der Rechtssache C-370/12 (Pringle) festgestellt, dass der ESM mit seiner Funktion, den Finanzierungsbedarf der ESM-Mitglieder zu decken, kein währungspolitisches Instrument, sondern ein Instrument der Wirtschaftspolitik ist.5 Hierdurch greift der ESMV nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV) ein. Als bloßes Finanzierungsinstrument beeinträchtigt er nicht die Zuständigkeit der Union, Maßnahmen zur wirtschaftspolitischen 3 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi u.a.), Rn. 203. 4 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 158; EuGH, Rs. 208/80 (Lord Bruce of Donington), Rn. 14; EuGH, Rs. 230/81 (Luxemburg/Parlament), Rn. 37; EuGH, Rs. 44/84 (Hurd/Jones), Rn. 39.EuGH, Rs. C-181/91 und C-248/91 (Parlament /Rat und Kommission), Rn. 16, 20, 22; EuGH, Rs. C-316/91 (Parlament/Rat), Rn. 26, 34, 41; EuGH, Gutachten 1/92 (EWR), Rn. 32, 41; EuGH, Gutachten 1/00 (Europäischer Luftverkehrsraum), Rn. 20; EuGH, Gutachten 1/09 (Patentgerichtssystem), Rn. 75. Die Frage, ob eine Ermächtigung von Unionsorganen durch alle 27 Mitgliedstaaten erforderlich ist, damit die Kommission und die EZB mit der Durchführung von Aufgaben außerhalb der EU-Verträge unternommenen Aktionen betraut werden können, ist für die Inanspruchnahme im Rahmen des ESM insofern nicht relevant, da die 27 Mitgliedstaaten die Inanspruchnahme der Mitwirkung der Kommission und der EZB im Wege eines zwischenstaatlichen Beschlusses genehmigt haben, vgl. den Beschluss der Vertreter der Regierungen der 27 Mitgliedstaaten v. 20.6.2011, Rats-Dok. 11758/11. 5 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 56 ff., 95 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 72/13 Seite 6 Koordinierung festzulegen (Art. 2 Abs. 3, Art. 119-121, 126 AEUV), da er keine derartige Koordinierung zum Gegenstand hat.6 Mangels einer speziellen Zuständigkeit der Union für die Errichtung eines permanenten Stabilitätsmechanismus und mit Blick darauf, dass nicht der Union übertragene Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben, sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich befugt, in diesem Bereich tätig zu werden und im Rahmen der Art. 2 Abs. 3, Art. 5 AEUV ihre Zusammenarbeit zu koordinieren .7 Hierbei dürfen sie sich aber nicht über die Beachtung des Unionsrechts hinwegsetzen, was insbesondere für die Beachtung der Maßnahmen der Union im Bereich der Koordinierung der Wirtschaftspolitik gilt. Dies wird – auch mit Blick auf die Aushandlung wirtschaftspolitischer Konditionalitäten durch die Troika – durch die Kohärenzklausel des Art. 13 Abs. 3 ESMV gewährleistet, welche die Vertragsparteien dazu verpflichtet, bezüglich der betreffenden Auflagen Maßnahmen zu treffen, die mit den Maßnahmen der Union im Bereich der wirtschaftspolitischen Koordinierung vereinbar sind.8 Die Inanspruchnahme der EZB als Teil der Troika wahrt auch den Rahmen der Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik gemäß Art. 5 AEUV. Unter Bezugnahme auf die Politikbereiche der Wirtschaftspolitik (Art. 119-121 AEUV), der Beschäftigungspolitik (Art. 145-150) und der Sozialpolitik (Art. 4 Abs. 2 lit b, 156 AEUV) konkretisiert Art. 5 AEUV die Verbandskompetenz zur „Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik“ gemäß Art. 2 Abs. 3 AEUV. Danach bleiben die Mitgliedstaaten für ihre Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik grundsätzlich politisch und rechtlich verantwortlich. Die in Art. 5 AEUV angesprochene Koordinierung mitgliedstaatlicher Politiken zielt nicht auf den Erlass verbindlicher Vorgaben für die mitgliedstaatliche Politikgestaltung ab oder gar auf eine Verdrängung mitgliedstaatlicher Regelungen durch Unionsrechtsakte. Als „Interpretationshilfe bei der Auslegung und Anwendung der spezifischen Kompetenznormen“9 begründet Art. 5 AEUV keine Rechtsgrundlage für den Erlass von verbindlichen Unionsrechtsakten im Bereich der Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik , die über die Ermächtigungsgrundlagen in den konkreten Bestimmungen des AEUV hinausgehen . Aus Art. 5 AEUV folgt keine Ermächtigung für Unionsorgane, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen sie in die Wirtschafts- oder Beschäftigungspolitik direkt eingreifen oder den Mitgliedstaaten eine bestimmte Politik vorschreiben könnten. Beschließt der Rat beispielsweise Grundzüge der Wirtschaftspolitik (Art. 121 AEUV) oder Leitlinien für die Beschäftigungspolitik (Art. 148 Abs. 2 AEUV), so soll dies lediglich den Rahmen für die Koordinierung der nationalen Politiken im Rat bilden und eine multilaterale Überwachung in mitgliedstaatlicher Verantwortung ermöglichen . Dementsprechend handelt die EZB auch bei der Inanspruchnahme im Rahmen des ESMV in mitgliedstaatlicher Verantwortung: Die ihr übertragenen Befugnisse umfassen keine Letztentscheidungsbefugnis . Das Ergebnis der Verhandlungen eines MoU, welches dem betroffenen Mitgliedstaat fiskal-, sozial und wirtschaftspolitische Auflagen vorgibt, bedarf der Zustimmung des 6 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 58. 7 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 64 ff. 8 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 68 f., 109. 9 Bandilla, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 49. Ergänzungslieferung 2012, Art. 5, Rn. 4. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 72/13 Seite 7 Gouverneursrates (Art. 13 Abs. 4 ESMV). Zudem erfolgt die Tätigkeit der EZB im Rahmen des ESMV im Namen des ESM (vgl. Art. 13 Abs. 4 ESMV), so dass dieser die Auflagen des MoU mittels seiner Organe politisch und rechtlich verantwortet. 3.3. Wahrung der Organkompetenz Das Handlungsmandat der EZB verfälscht auch nicht deren primärrechtliche Befugnisse. Die der EZB durch den ESMV übertragenen Funktionen entsprechen den verschiedenen Aufgaben, mit denen sie im AEUV und in der Satzung des ESZB betraut wird.10 Durch ihre Funktionen im Rahmen des ESMV unterstützt die EZB gemäß Art. 127 Abs. 1 S. 2 AEUV im Einklang mit Art. 282 Abs. 2 AEUV die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union, um zur Verwirklichung der in Art. 3 EUV festgelegten Ziele der Union beizutragen, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist.11 Überdies geht aus Art. 6.2 der Satzung des ESZB hervor , dass die EZB befugt ist, sich an internationalen Währungseinrichtungen zu beteiligen. Art. 23 der Satzung bestätigt, dass die EZB befugt ist, „mit … internationalen Organisationen Beziehungen aufzunehmen“. 4. Ergebnis Das Handlungsmandat der EZB beruht auf einer unionsrechtskonformen Inanspruchnahme der EZB durch die ESM-Vertragsstaaten. Die EZB nimmt als Teil der Troika weder verbands- noch organkompetenzwidrigen Einfluss auf die Fiskal-, Sozial und Wirtschaftspolitik des betreffenden Mitgliedstaates. - Fachbereich Europa - 10 EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 165. 11 Vgl. Waldhoff, in: Siekmann, Kommentar zur Europäischen Währungsunion, 2012, Art. 127, Rn. 27 ff.