© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 071/20 Zur geplanten Einführung einer an der Menge nicht wiederverwerteter Kunststoffverpackungsabfälle bemessenen Eigenmittelkategorie Vereinbarkeit mit den EU-Verträgen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Zur geplanten Einführung einer an der Menge nicht wiederverwerteter Kunststoffverpackungsabfälle bemessenen Eigenmittelkategorie Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 071/20 Abschluss der Arbeit: 5. Oktober 2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vereinbarkeit mit den EU-Verträgen 4 2.1. Die Einführung eines Abrufsatzes auf Kunststoffabfälle als Prüfungsgegenstand 4 2.1.1. Entwurf für einen Eigenmittelbeschluss 4 2.1.2. Rechtliche Bedeutung und Einordnung 7 2.1.2.1. Keine Verpflichtung zur Einführung einer innerstaatlichen Abgabe 7 2.1.2.2. Verfolgung autonomer Lenkungszwecke 7 2.1.2.2.1. Abgrenzung zu den traditionellen Eigenmitteln 8 2.1.2.2.2. Abgrenzung zu den MwSt-Eigenmitteln 9 2.1.2.2.3. Abgrenzung zu den BNE-Eigenmitteln 9 2.1.2.3. Verhältnis des umweltpolitischen Anreizes zur Finanzierungsfunktion 9 2.2. Prüfung der Vereinbarkeit am Maßstab des Art. 311 Abs. 3 AEUV 10 2.2.1. Grenzen der Zulässigkeit sekundärer Lenkungszwecke 11 2.2.1.1. Begriff der Eigenmittel und ihre Finanzierungsfunktion 11 2.2.1.2. Bedeutung der Querschnittsklauseln 12 2.2.1.3. Verhältnis des Art. 311 Abs. 3 AEUV zu den Sachkompetenzen 12 2.2.1.4. Ermessen bei der Ausgestaltung des Systems der Eigenmittel 14 2.2.2. Einhaltung der zu beachtenden Grenzen 14 3. Ergebnis 15 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich ist um Auskunft gebeten worden, ob die nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 21. Juli 20201 geplante Einführung einer neuen Eigenmittelquelle, die anhand des Gewichts der nicht wiederverwerteten Verpackungsabfälle aus Kunststoff berechnet wird, mit den EU-Verträgen vereinbar ist. Dies ist nachfolgend mit Blick auf die für einen Eigenmittelbschluss in Art. 311 Abs. 3 AEUV enthaltenen Anforderungen zu prüfen. 2. Vereinbarkeit mit den EU-Verträgen Neue Eigenmittel können nur auf der Grundlage der Vertragsbestimmung in Art. 311 Abs. 3 AEUV eingeführt werden. Die geplante Einführung einer neuen Eigenmittelkategorie, die anhand des Gewichts der nicht wiederverwerteten Verpackungsabfälle aus Kunststoff berechnet wird (hierzu näher unter 2.1.), wäre somit nur in den Grenzen der Vorgaben des Art. 311 Abs. 3 AEUV (hierzu näher unter 2.2.) möglich. 2.1. Die Einführung eines Abrufsatzes auf Kunststoffabfälle als Prüfungsgegenstand 2.1.1. Entwurf für einen Eigenmittelbeschluss Zu der geplanten Einführung einer neuen Eigenmittelkategorie halten die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 21. Juli 2020 Folgendes fest: „145. Die Union wird in den kommenden Jahren auf eine Reform des Systems der Eigenmittel hinarbeiten und neue Eigenmittel einführen. 146. In einem ersten Schritt wird eine neue Eigenmittelquelle eingeführt und ab dem 1. Januar 2021 gelten, die sich aus einem Anteil der Einnahmen aus einem nationaler Beitrag zusammensetzt, der anhand des Gewichts der nicht recycelten Verpackungsabfälle aus Kunststoff mit einem Abrufsatz von 0,80 EUR pro Kilogramm berechnet wird; durch einen Mechanismus wird eine übermäßig regressive Wirkung auf die nationalen Beiträge vermieden .“ (Unterstreichung hinzugefügt) 1 Generalsekretariat des Rates, Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates (17., 18., 19., 20. und 21. Juli 2020) – Schlussfolgerungen, 21. Juli 2020, EUCO 10/20. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 5 Hiermit knüpft der Europäische Rat inhaltlich an dem Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2018 an, der bereits die Einführung neuer Eigenmittel vorsah, zu denen auch ein an dem Gewicht nicht wiederverwerteter Verpackungsabfälle bemessener Abrufsatz zählte.2 Die Begründung des Kommissionsvorschlags könnte somit nähere Hinweise zum Verständnis der Zielrichtung dieser neuen Eigenmittelkategorie liefern und ist somit im Weiteren zu berücksichtigen.3 Der Vorsitz des Rates hat am 29. Juli 2020 einen Entwurf für einen Eigenmittelbeschluss vorgelegt , welcher die Schlussfolgerungen des Rates berücksichtigt. Am 24. September 2020 wurde eine überarbeitete Fassung vorgelegt.4 Hiernach sollen die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a-c des geltenden Eigenmittelbeschlusses5 geregelten Eigenmittel um einen neuen Buchst. c und einen neuen Abs. 2 ergänzt werden (fett hervorgehoben): „Artikel 2 Eigenmittelkategorien und konkrete Methoden für ihre Berechnung (1) Folgende Einnahmen stellen in den Haushaltsplan der Union einzusetzende Eigenmittel dar: a) traditionelle Eigenmittel in Form von Abschöpfungen, Prämien, Zusatz- oder Ausgleichsbeträgen , zusätzlichen Teilbeträgen und anderen Abgaben, Zöllen des Gemeinsamen Zolltarifs und anderen Zöllen auf den Warenverkehr mit Drittländern, die von den Organen der Union eingeführt worden sind oder noch eingeführt werden, Zöllen auf die unter den ausgelaufenen Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fallenden Erzeugnisse sowie Abgaben, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Zucker vorgesehen sind; b) Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Abrufsatzes für alle Mitgliedstaaten in Höhe von 0,30 % auf den Gesamtbetrag der auf alle steuerpflichtigen Lieferungen erhobenen Mehrwertsteuer (MwSt), geteilt durch den für das jeweilige Kalenderjahr gemäß der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 des Rates berechneten gewogenen mittleren MwSt-Satz, ergeben. Die für diesen Zweck zu berücksichtigende MwSt-Bemessungsgrundlage darf für keinen Mitgliedstaat 50 % des BNE überschreiten; 2 Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, 2.5.2018, COM(2018) 325 final, vgl. hierzu Geänderter Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, 28.5.2020, COM(2020) 445 final. 3 Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, 2.5.2018, COM(2018) 325 final, ab S. 11. 4 Entwurf vom 24.9.2020, BESCHLUSS (EU, Euratom) 2020/… DES RATES vom … über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/EU, Euratom, Dok.-Nr. 10046/20. 5 2014/335/EU, Euratom: Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 6 c) Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Abrufsatzes auf das Gewicht der in dem jeweiligen Mitgliedstaat angefallenen nicht wiederverwerteten Verpackungsabfälle aus Kunststoff ergeben. Der einheitliche Abrufsatz beträgt 0,80 EUR pro Kilogramm. Für bestimmte Mitgliedstaaten gilt eine jährliche pauschale Ermäßigung gemäß Absatz 2 Unterabsatz 3; d) Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines im Rahmen des Haushaltsverfahrens unter Berücksichtigung aller übrigen Einnahmen festzulegenden einheitlichen Abrufsatzes auf den Gesamtbetrag der BNE aller Mitgliedstaaten ergeben. (2) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe c des vorliegenden Artikels bezeichnet „Kunststoff“ ein Polymer im Sinne des Artikels 3 Nummer 5 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates, dem Zusätze oder andere Stoffe hinzugefügt worden sein können; „Verpackungsabfälle“ und „stoffliche Verwertung “ haben die in Artikel 3 Nummern 2 bzw. 2c der Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und in dem Durchführungsbeschluss (EU) 2005/270/EG der Kommission festgelegte Bedeutung. Das Gewicht nicht wiederverwerteter Verpackungsabfälle aus Kunststoff wird berechnet als die Differenz zwischen dem Gewicht der in einem Mitgliedstaat in einem bestimmten Jahr angefallenen Verpackungsabfälle aus Kunststoff und dem der nach der Richtlinie 94/62/EG in demselben Jahr wiederverwerteten Verpackungsabfälle aus Kunststoff. Die folgenden Mitgliedstaaten haben Anspruch auf jährliche pauschale Ermäßigungen, ausgedrückt in jeweiligen Preisen, die auf den in Unterabsatz 1 Buchstabe c genannten Beitrag anzuwenden ist: […]“(Hervorhebung hinzugefügt) Aus den Erwägungsgründen des Entwurfs geht zudem hervor, dass durch diese neue Eigenmittelkategorie ein umweltpolitischer Anreiz geschaffen werden soll: „(6) Um die Finanzierungsinstrumente der Union besser auf deren politische Prioritäten abzustimmen, der Rolle des Gesamthaushaltsplans der Union (im Folgenden „Unionshaushalt “) für das Funktionieren des Binnenmarkts besser Rechnung zu tragen, die Ziele der Unionspolitik stärker zu unterstützen und die Beiträge der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens (BNE) zum Jahreshaushalt der Union zu verringern , ist der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 17. bis 21. Juli 2020 übereingekommen , dass die Union in den kommenden Jahren auf eine Reform des Systems der Eigenmittel hinarbeiten und neue Eigenmittel einführen wird. (7) Als erster Schritt sollte eine neue Eigenmittelkategorie eingeführt werden, die auf nationalen Beiträgen beruht, die auf der Grundlage nicht verwerteter Verpackungsabfälle aus Kunststoff berechnet werden. Im Einklang mit der europäischen Strategie für Kunststoffe kann der Unionshaushalt dazu beitragen, die Umweltbelastung durch Verpackungsabfälle aus Kunststoff zu reduzieren. Eine Eigenmittelkategorie auf der Grundlage nationaler Beiträge , die im Verhältnis zur Menge an Verpackungsabfällen aus Kunststoff berechnet wird, die in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht wiederverwertet werden, wird einen Anreiz zur Verringerung des Verbrauchs von Einwegkunststoffen, zur Förderung der stofflichen Wiederverwertung und zur Unterstützung der Kreislaufwirtschaft schaffen. Gleichzeitig Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 7 steht es den Mitgliedstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip frei, die am besten geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um diese Ziele zu erreichen. […]“(Hervorhebung hinzugefügt)“ 2.1.2. Rechtliche Bedeutung und Einordnung 2.1.2.1. Keine Verpflichtung zur Einführung einer innerstaatlichen Abgabe Nach dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 Buchst. c des Beschlussentwurfs ist der geplante Abrufsatz auf Kunststoffabfälle nicht als EU-Abgabe konzipiert.6 Es handelt sich vielmehr um eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, der Union Mittel in einem bestimmten Umfang als Einnahmen zur Verfügung zu stellen.7 Durch ihre Bemessung anhand eines Abrufsatzes auf das Gewicht nicht wiederverwerteter Verpackungsabfälle aus Kunststoff entsteht zwar ein Anreiz für die Mitgliedstaaten , durch entsprechende innerstaatliche Lenkungsmaßnahmen die Menge dieser Abfälle zu reduzieren. Allerdings begründet die geplante Vorschrift keine Verpflichtung zu konkreten Maßnahmen, wie aus dem 7. Erwägungsgrund des Beschlussentwurfs hervorgeht („[…] Gleichzeitig steht es den Mitgliedstaaten […] frei, die am besten geeigneten Maßnahmen zu ergreifen , um diese Ziele zu erreichen. […]“). Anders als es im Wortlaut dieses Erwägungsgrundes anklingt, ist wohl sogar davon auszugehen, dass die geplante Vorschrift keinerlei Verpflichtung zur Ergreifung von Maßnahmen zur Verringerung der Menge nicht wiederverwerteter Verpackungsabfälle aus Kunststoff begründen soll. Für ein solches Verständnis bietet der klare Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c des Beschlussentwurfs, der sich auf eine Verpflichtung zur Mittelbereitstellung beschränkt, keinen Raum. 2.1.2.2. Verfolgung autonomer Lenkungszwecke Ungeachtet der (jedenfalls aufgrund des geplanten Abrufsatzes auf Kunststoffabfälle) fehlenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Ergreifung innerstaatlicher Umsetzungsmaßnahmen zur Verringerung der Menge nicht wiederverwerteter Verpackungsabfälle aus Kunststoff - etwa in Form einer innerstaatlichen Abgabe auf Kunststoffabfälle - dürfte die Besonderheit der geplanten Regelung darin zu sehen sein, dass damit erstmals eine Eigenmittelkategorie eingeführt werden soll, die neben der Finanzierung des Haushalts der Union bestimmte sachpolitische Ziele autonom verfolgt (näher zur Abgrenzung zu den bisherigen Eigenmittelkategorien, s.u. 2.1.2.2.1.-3.). Zur Begründung dieser Verknüpfung des Eigenmittelsystems der Union mit sachpolitischen Zielen der Union verweist der 7. Erwägungsgrund des Beschlussentwurfs darauf, dass der umweltpolitische Lenkungszweck des geplanten Abrufsatzes auf Kunststoffabfälle mit der europäischen Strategie für Kunststoffe im Einklang stehe. Dem ließe sich hinzufügen, dass aus der Richtlinie 6 Dies bestätigt auch die Begründung der Kommission in ihrem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union, 2.5.2018, COM(2018) 325 final, ab S. 11. 7 So auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage u.a. der FDP-Fraktion, BT-Drucksache 19/22653, 17.9.2020, S. 2 („Diese sogenannte „Plastik-Abgabe“ ist eine Methode zur Berechnung der Beiträge zum EU-Haushalt, sie stellt aber keine Steuer dar.“). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 8 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle (Verpackungs-Richtlinie)8 sogar eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Ergreifung von Maßnahmen u.a. zur Abfallvermeidung und zur Wiederverwendung von Verpackungen folgt (Art. 4 und 5), wozu auch „wirtschaftliche Anreize “ zählen können (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c). Die Vorschrift in Art. 6 Verpackungs-Richtlinie schreibt ferner konkrete Recyclingquoten für verschiedene Materialien vor. Es ist anzumerken, dass die umweltpolitische Zielsetzung dieser auf der Grundlage von Art. 114 AEUV erlassenen Vorschriften ihre Grundlage in den für die Errichtung des Binnenmarkts einschlägigen Sachkompetenz der Union findet (vgl. Art. 114 Abs. 3 und Art. 11 AEUV). Auch unter Berücksichtigung dieses sekundärrechtlichen Zusammenhangs ist festzustellen, dass der geplanten Abrufsatz auf Kunststoffabfälle in der Weise eine autonome Anreizwirkung entfaltet , als diese über die aus der Verpackungs-Richtlinie folgenden Verpflichtungen hinausgeht. Denn der sich aus seiner Bemessungsgrundlage ergebende Anreiz für die Mitgliedstaaten zur Ergreifung innerstaatlicher Maßnahmen zur Abfallvermeidung und zur Wiederverwendung von Verpackungen ist nicht begrenzt auf die konkreten Zielvorgaben des Art. 6 Verpackungs-Richtlinie . Vielmehr soll das Eigenmittelsystem gezielt zur Verstärkung und Ergänzung bestehender Sachregelegungen eingesetzt werden, wie auch der 6. Erwägungsgrund des Entwurfs verdeutlicht („Um […] die Ziele der Unionspolitik stärker zu unterstützen“). Darin unterscheidet sich der geplante Abrufsatz auf Kunststoffabfälle von den bestehenden Eigenmittelkategorien , welche sich im Wesentlichen darauf beschränken, der Union bestimmte Mittel zuzuweisen, die somit als Einnahmen in den Haushaltsplan der Union einzusetzen sind (dazu näher im Folgenden unter 2.1.2.2.1.-3.). Die Frage, ob eine solche mit dem geplanten Abrufsatz auf Kunststoffabfälle vorgenommene Instrumentalisierung des Eigenmittelsystems zur verstärkten Unterstützung der Ziele einzelner Unionspolitiken mit den EU-Verträgen vereinbar ist, wird im Anschluss zu prüfen sein (siehe unter 2.2.). 2.1.2.2.1. Abgrenzung zu den traditionellen Eigenmitteln Bei den in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a des geltenden Eigenmittelbeschlusses erfassten traditionellen Eigenmitteln handelt es sich insbesondere um Abgaben und Zölle, die „von den Organen der Union eingeführt worden sind oder noch eingeführt werden“. Dies erfolgt aufgrund einer gesonderten Zuständigkeit der Union für den jeweiligen Sachbereich, z.B. für den auf Grundlage von Art. 33, 114, 207 AEUV erlassenen Zollkodex der Union.9 Die Bedeutung des Eigenmittelbeschlusses besteht somit im Wesentlichen darin, den Ertrag der grundsätzlich von den Mitgliedstaaten einzuziehenden10 traditionellen Eigenmittel der Union zuzuweisen, so dass diese als Einnahmen in den Haushaltsplan der Union einzusetzen sind. Ein autonomer Lenkungszweck, der 8 Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle. 9 Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (Neufassung). 10 Häde, in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 30. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 9 über einschlägige unionsrechtliche Sachregelung hinausginge, wird damit nicht verfolgt. Vielmehr beschränkt sich die Funktion des Eigenmittelbeschlusses insoweit darauf, die Finanzierung des Haushalts der Union sicherzustellen (Finanzierungsfunktion). 2.1.2.2.2. Abgrenzung zu den MwSt-Eigenmitteln Bei den in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des geltenden Eigenmittelbeschlusses geregelten sog. „MwSt- Eigenmitteln“ handelt es sich um einen auf Grundlage einer von den Mitgliedstaaten nach Unionsvorschriften bestimmten harmonisierten Bemessungsgrundlage bereitzustellenden Abrufsatz, konkret nach der Verordnung 1553/89 des Rates über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel11, welche wiederum auf die Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem12 verweist. Anders als bei dem geplanten Abrufsatz auf Kunststoffabfälle besteht bei den MwSt-Eigenmitteln eine unionsrechtliche Verpflichtung zur innerstaatlichen Einführung und Anwendung einer nach Unionsvorgaben harmonisierten Mehrwertsteuer . Die Regelung über die MwSt-Eigenmittel als solche bezweckt indes keinen autonomen Anreiz für die Mitgliedstaaten zur Einführung oder Ausgestaltung des Mehrwertsteuersystems in einer bestimmten Weise. 2.1.2.2.3. Abgrenzung zu den BNE-Eigenmitteln Hinsichtlich der fehlenden unionsrechtlichen Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur innerstaatlichen Erhebung einer unionsrechtlichen Vorgaben unterliegenden Abgabe ähnelt ein Abrufsatz auf Kunststoffabfälle den BNE-Eigenmitteln in Art. 2 Abs. 1 Buchst. c des geltenden Eigenmittelbeschlusses . Bei den BNE-Eigenmitteln beschränkt sich der Eigenmittelbeschluss darauf, einen bestimmten Berechnungssatz für Einnahmen der Union festzulegen, welche von den Mitgliedstaaten aus ihrem Haushalt zu finanzieren sind, ohne dass diesen entsprechende (unionsrechtlichen Vorgaben unterliegende) Einnahmen gegenüberstehen. Allerdings unterscheidet sich ein Abrufsatz auf Kunststoffabfälle auch insoweit von den BNE-Eigenmitteln, als durch diese über ihre Finanzierungsfunktion hinaus keine autonomen sachpolitischen Ziele verfolgt werden. 2.1.2.3. Verhältnis des umweltpolitischen Anreizes zur Finanzierungsfunktion Allgemein sind die im Eigenmittelbeschluss bestimmten Einnahmen der Union von den Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Verordnung 609/201413 zur Verfügung zu stellen und dienen somit der Finanzierung der Union. Dies trifft auch auf den geplanten Abrufsatz auf Kunststoffabfälle nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c des Beschlussentwurfs zu, der sich insoweit in das System der 11 Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1553/89 des Rates vom 29. Mai 1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel. 12 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. 13 Verordnung (EU, Euratom) Nr. 609/2014 des Rates vom 26. Mai 2014 zur Festlegung der Methoden und Verfahren für die Bereitstellung der traditionellen, der MwSt.- und der BNE-Eigenmittel sowie der Maßnahmen zur Bereitstellung der erforderlichen Kassenmittel (Neufassung). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 10 Eigenmittel einfügt. Der durch seinen Bemessungsansatz geschaffene umweltpolitische Anreiz erscheint demgegenüber als ergänzender bzw. sekundärer Lenkungszweck. Etwas anderes ergibt sich wohl auch nicht unter Berücksichtigung des Zusammenspiels des geplanten Abrufsatzes auf Kunststoffabfälle mit den BNE-Eigenmitteln. So werden die BNE-Eigenmittel nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d des Beschlussentwurfs (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c des geltenden Eigenmittelbeschlusses) zwar im Haushaltsverfahren (jährlich neu) festgelegt, um den Teil des Haushaltsplans zu decken, der nicht durch sonstige Einnahmen finanziert wird (vgl. Art. 5 Verordnung 609/2014).14 Das bedeutet, dass sich die in den Haushaltsplan insgesamt einzustellenden Einnahmen der Union durch die Einführung eines Abrufsatzes auf Kunststoffabfälle als neue Eigenmittelkategorie nicht erhöhen, sondern lediglich der BNE-Anteil an den Gesamteinnahmen (relativ) verringert würde. Aus dieser Perspektive könnte die Finanzierungsfunktion des geplanten Abrufsatzes auf Kunststoffabfälle möglicherweis als nachrangig gegenüber seiner umweltpolitischen Zielsetzung erscheinen. Allerdings wäre eine solche Betrachtung geeignet, auch die Finanzierungsfunktion aller übrigen Eigenmittelkategorien in Frage zu stellen, weil diese unter Berücksichtigung der flexiblen BNE-Eigenmittel für die Höhe der in den Haushalt einzustellenden Gesamteinnahmen stets als irrelevant anzusehen wären. Dies würde den Spielraum des Rates und der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Systems der Eigenmittel (näher hierzu s.u. 2.2.1.4.), etwa in Richtung einer Verringerung des BNE-Anteils an den Gesamteinnahmen (vgl. 6. Erwägungsgrund des Entwurfs), erheblich einschränken und erscheint daher als grundlegender Einwand gegen die Finanzierungsfunktion des geplanten Abrufsatzes auf Kunststoffabfälle wenig überzeugend. Auch die regressive Tendenz einer Eigenmittelkategorie mit umweltpolitischem Lenkungszweck stellt ihre grundlegende Finanzierungsfunktion wohl nicht in Frage. Der durch den geplanten Abrufsatz geschaffene Anreiz zur Verringerung der Menge nicht wiederverwerteter Kunststoffverpackungsabfälle mag im Falle seiner Wirksamkeit langfristig eine Verringerung der Einnahmen der Union aus dieser Eigenmittelkategorie zur Folge haben. Durch die flexiblen BNE-Eigenmittel als Bestandteil des Eigenmittelsystems wird diese Wirkung aber letztlich kompensiert, so dass an der Finanzierungsfunktion des geplanten Abrufsatz auf Kunststoffabfälle als Bestandteil des Eigenmittelsystems in seiner Gesamtheit keine ernsthaften Zweifel bestehen. 2.2. Prüfung der Vereinbarkeit am Maßstab des Art. 311 Abs. 3 AEUV Nach Art. 311 Abs. 1 AEUV stattet sich die Union mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können. Das System der Eigenmittel der Union wird in einem Beschluss des Rates gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV festgelegt: „Artikel 311 […] 14 So auch vorgesehen in Art. 4 Abs. 1 des Vorschlags für eine Verordnung des Rates zur Festlegung der Methoden und Verfahren für die Bereitstellung der Eigenmittel, die auf der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer -Bemessungsgrundlage, dem Emissionshandelssystem der Europäischen Union und nicht wiederverwerteten Verpackungsabfällen aus Kunststoff basieren, sowie der Maßnahmen zur Bereitstellung der erforderlichen Kassenmittel, COM(2018) 326 final. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 11 Der Rat erlässt gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einen Beschluss, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden. Darin können neue Kategorien von Eigenmitteln eingeführt oder bestehende Kategorien abgeschafft werden. Dieser Beschluss tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.“(Unterstreichung hinzugefügt) Ungeachtet des besonderen (an eine vereinfachte Vertragsänderung angelehnten) Verfahrens ist wohl davon auszugehen, dass der auf dieser Grundlage erlassene Eigenmittelbeschluss einer (unionsgerichtlichen) Überprüfung am Maßstab des Primärrechts zugänglich ist.15 Somit ist im Weiteren zu prüfen, ob ein Abrufsatz auf Kunststoffabfälle gemäß dem vorliegenden Beschlussentwurf des Rates als neue Kategorie von Eigenmitteln auf der Grundlage von Art. 311 Abs. 3 AEUV eingeführt werden könnte. Hierfür ist zu klären, inwieweit das Eigenmittelsystem auch sekundären Lenkungszwecken dienen darf (2.2.1.) und ob die hierbei zu beachtenden Grenzen vorliegend gewahrt sind (2.2.2.). 2.2.1. Grenzen der Zulässigkeit sekundärer Lenkungszwecke 2.2.1.1. Begriff der Eigenmittel und ihre Finanzierungsfunktion Der Begriff der Eigenmittel wird in Art. 311 AEUV nicht ausdrücklich definiert. Aus der Regelung in Art. 311 AEUV ergibt sich grundlegend, dass die durch Beschluss festzulegenden Eigenmittel der Finanzierung des Haushalts der Union dienen (Abs. 2). Hierdurch soll die Union in die Lage versetzt werden, ihre Ziele zu erreichen und ihre Politik durchführen zu können (Abs. 1). Diese Finanzierungsfunktion von Eigenmitteln hat der EuGH mehrfach hervorgehoben .16 In diesen Entscheidungen wird allerdings nicht deutlich, ob die im Eigenmittelbeschluss festgelegten Eigenmittel ausschließlich der Finanzierung des EU-Haushalts dienen oder ob hiermit zugleich sachpolitische Lenkungszwecke verfolgt werden dürfen. Auch wenn der Wortlaut des Art. 311 AEUV keine eindeutigen Hinweise für die Zulässigkeit sekundärer Lenkungszwecke liefert, steht er einem solchen Verständnis auch nicht etwa von vornherein entgegen. So wird zwar die Mittelausstattung der Union in Art. 311 Abs. 1 AEUV als Voraussetzung für die Erreichung ihrer Ziele und die Durchführung ihrer Politik charakterisiert („Die Union stattet sich mit den erforderlichen Mitteln aus, um ihre Ziele erreichen und ihre Politik durchführen zu können“), was eher gegen die Zulässigkeit sekundärer Lenkungszwecke sprechen könnte, welche den Eigenmittelbeschluss zu einem eigenständigen Instrument der Durchführung von Unionspolitiken umfunktionieren. Einer derart engen Lesart steht allerdings der (weite) Wortlaut der maßgeblichen Kompetenzvorschrift im dritten Absatz von Art. 311 15 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 127; Streinz/ Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Aufl. 2010, § 8; Classen, EuR 2020, 255 (266). 16 EuGH, Rs. 265/87, Schräder, Rn. 10; ähnlich EuGH, verb. Rs. C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen , Rn. 40; EuGH, Rs. 108/81, Amylum/Rat. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 12 AEUV gegenüber, in dem von der Festlegung der „Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union“ die Rede ist, welche die Verfolgung sekundärer Lenkungszwecke nicht ausschließt . 2.2.1.2. Bedeutung der Querschnittsklauseln Eine eindeutige Antwort auf die Frage der Zulässigkeit sekundärer Lenkungswecke beim Erlass des Eigenmittelbeschlusses ergibt sich auch nicht aus der Zielbestimmung des Art. 3 Abs. 3 EUV und den Querschnittsklauseln der Art. 8-13 AEUV. Nach Art. 11 AEUV müssen die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der „Unionspolitiken und -maßnahmen“ einbezogen werden. Verschiedene Stimmen im Schrifttum gehen davon aus, dass hiermit nicht nur die internen, sondern alle Unionspolitiken und letztlich „das gesamte Handeln der Union“ gemeint sind.17 Dies soll auch für die Zielbestimmung in Art. 3 Abs. 3 EUV gelten,18 wonach die Union u.a. auf ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hinwirkt. Allerdings beziehen sich diese allgemeinen Überlegungen im Schrifttum nicht ausdrücklich auf die „Institutionellen Bestimmungen und Finanzvorschriften“ des sechsten Teils des AEUV. Im Ergebnis schaffen sie damit keine hinreichende Klarheit, ob die Bezugnahme auf die „Unionspolitiken “ in Art. 11 AEUV auch die Finanzvorschrift in Art. 311 Abs. 3 AEUV einschließt. Zwingend erscheint diese Auslegung nicht mit Rücksicht auf den Umstand, dass das Eigenmittelsystem der Union jedenfalls keinen untrennbaren Sachbezug aufweist, wie dies etwa bei Harmonisierungsmaßnahmen der Fall ist (hierzu sogleich unter 2.2.1.3.). Die systematische Stellung der Querschnittsklausel im ersten Teil des AEUV und der Zielbestimmung im EUV würde ihrer Anwendung auf Art. 311 Abs. 3 AEUV im sechsten Teil des AEUV aber auch nicht entgegenstehen. 2.2.1.3. Verhältnis des Art. 311 Abs. 3 AEUV zu den Sachkompetenzen Die Frage nach der Zulässigkeit sekundärer Lenkungswecke bei der Festlegung neuer Eigenmittelkategorien wird im Schrifttum, soweit ersichtlich, nicht explizit erörtert.19 So wird zwar die Ansicht vertreten, dass es nicht zulässig wäre, auf der Grundlage von Art. 311 Abs. 3 AEUV eine Abgabe einzuführen, die nicht auf die allgemeine Haushaltsfinanzierung, sondern etwa auf Ver- 17 Epiney, Umweltrecht der EU, 4. Aufl. 2019, S. 175. 18 So Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 3 EUV, Rn. 39. 19 Siehe etwa aktuell Magiera, Modernisierung der Finanzverfassung der Europäischen Union, DVBl. 2020, 914. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 13 haltenslenkung gerichtet ist, da solche Abgaben auf Sachkompetenzen wie Art. 43, 192 AEUV beruhten . 20 Im Eigenmittelbeschluss könnte hingegen die Ertragshoheit in Bezug auf solche Abgaben auf die Union übertragen werden.21 Für die Abgrenzung der Vorschrift in Art. 311 Abs. 3 AEUV von den Sachkompetenzen wird ein Rückgriff auf die Kriterien zur Abgrenzung der Rechtsetzungskompetenzen zwischen Sachpolitiken und Harmonisierungspolitiken vorgeschlagen.22 Nach der Rechtsprechung ist hierbei auf den Regelungsschwerpunkt abzustellen.23 Allerdings wird nicht deutlich, was aus dieser Position im Schrifttum zur Abgrenzung des Art. 311 AEUV zu den Sachkompetenzen für die Frage nach der Zulässigkeit sekundärer Lenkungszwecke folgt. Einerseits erschiene es zweifelhaft, von der erwähnten Rechtsprechung des EuGH etwa auf die grundsätzliche Zulässigkeit sekundärer Lenkungszwecke bei der Einführung neuer Eigenmittel zu schließen. Denn diese Rechtsprechung bezieht sich auf die Abgrenzung von Kompetenzen innerhalb des dritten Teils des AEUV, konkret der Binnenmarktkompetenz gemäß Art. 114 AEUV von den Sachkompetenzen der internen Politiken der Union (z.B. über das Gesundheitswesen nach Art. 168 AEUV). Die Notwendigkeit zur Abgrenzung dieser Vertragsbestimmungen ergibt sich jedoch speziell aus dem untrennbaren Sachbezug24 von Harmonisierungsmaßnahmen (vgl. Art. 114 Abs. 3 AEUV). Im Unterschied dazu weist die Finanzierungsfunktion des Systems der Eigenmittel keinen untrennbaren Sachbezug etwa in der Weise auf, dass die einzelnen Eigenmittelkategorien nicht ohne eine sachpolitische Lenkungswirkung vorstellbar wären. Dies zeigen bereits die Eigenmittelkategorien im geltenden Eigenmittelbeschluss (siehe unter 2.1.2.2.), so dass die Zulässigkeit autonomer Lenkungszwecke im System der Eigenmittel jedenfalls nicht mit einem untrennbaren Bezug des Art. 311 AEUV zu den Sachkompetenzen der Union begründet werden kann.25 Andererseits dürften aus den Sachkompetenzen der Verträge unter systematischen Gesichtspunkten doch gewisse Grenzen für die Verfolgung sekundärer Lenkungszwecke im Rahmen des 20 Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 62. 21 Zu einem „kombinierten Verfahren“ aus Rechtsetzung nach der einschlägigen Sachkompetenz und Zuweisung der Ertragshoheit nach Art. 311 Abs. 3 AEUV, siehe Heselhaus, Abgabenhoheit der EG in der Umweltpolitik, 2001, S. 463; kritisch hierzu Bergfeld, Lenkungsabgaben im europäischen Finanzrecht, 2007, S. 157 f. 22 Heselhaus, Abgabenhoheit der EG in der Umweltpolitik, 2001, S. 473. 23 Mit Nachweisen Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 114 AEUV, Rn. 139. 24 Mit Nachweisen Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 114 AEUV, Rn. 139. 25 Auch die Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung des damaligen Art. 201 EWG-Vertrag (heute Art. 311 AEUV) von Art. 43 EWG-Vertrag im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik (heute Art. 43 AEUV) ist für die vorliegende Fragestellung unergiebig, weil sie den umgekehrten Fall betraf, nämlich eine Sachregelung mit immanenten Finanzierungszweck (Agrarabgaben) und die sich daraus ergebende Frage nach der Abgrenzung der Sachkompetenz von Art. 201 EWG-Vertrag, vgl. nur EuGH, Rs. 265/87, Schräder, Rn. 10: „Eine Verpflichtung, die in Rede stehende Regelung auch auf Artikel 201 EWG-Vertrag zu stützen, kann ebensowenig damit begründet werden, daß die Mitverantwortungsabgabe auch einen finanziellen Aspekt aufweist, indem sie zur Begrenzung der Marktordnungsausgaben im Getreidesektor beiträgt. Wie der Rat und die Kommission zu Recht ausführen , betrifft Artikel 201 nur die Einnahmen, die zur allgemeinen Finanzierung des Haushalts der Gemeinschaft dienen, nicht dagegen die Agrarabgaben, die in einem bestimmten Agrarsektor erhoben und nur zur Finanzierung der Ausgaben in diesem Sektor verwendet werden.“ Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 14 Art. 311 Abs. 3 AEUV abzuleiten sein, jedenfalls soweit die betreffende Regelung im Eigenmittelbeschluss zu einer Beeinträchtigung von Sachkompetenzen führen könnte.26 Zu denken wäre etwa daran, dass die Lenkungswirkung des Eigenmittelbeschlusses bestehenden Unionspolitiken zuwiderläuft oder dass hierdurch eine sachpolitische Festlegung getroffen wird, die den Gestaltungsspielraum des Unionsgesetzgebers auf der Grundlage effektiver Entscheidungsverfahren im Bereich der Sachkompetenz verengt. Mangels einschlägiger Rechtsprechung des EuGH verbleiben diesbezüglich jedoch grundlegende Unsicherheiten, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht aufgelöst werden können. 2.2.1.4. Ermessen bei der Ausgestaltung des Systems der Eigenmittel Als Zwischenergebnis der vorstehenden Ausführungen ist festzuhalten, dass die einschlägigen Vertragsbestimmungen (insb. Art. 311 Abs. 3 AEUV) keine eindeutige Antwort auf die Frage geben , inwieweit mit dem Eigenmittelbeschluss auch sekundäre Lenkungszwecke verfolgt werden dürfen. Vor diesem Hintergrund dürfte dem Umstand besondere Bedeutung beizumessen sein, dass für den Erlass und das Inkrafttreten des Eigenmittelbeschlusses ein Verfahren vorgesehen ist, das auf ein weites Ermessen27 des Rates sowie der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Eigenmittelsystems hindeutet. Denn nach Art. 311 Abs. 3 AEUV kann der vom Rat einstimmig anzunehmende Eigenmittelbeschluss erst nach Zustimmung aller Mitgliedstaaten in Kraft treten. Dem Eigenmittelbeschluss wird daher im Schrifttum eine besondere Rechtsnatur im Rang über dem Sekundärrecht zugeschrieben.28 Es ist somit davon auszugehen, dass das weite Ermessen des Rates und der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Eigenmittelsystems gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV somit grundsätzlich auch die Entscheidung über die Verfolgung sekundärer Lenkungszwecke einschließt. 2.2.2. Einhaltung der zu beachtenden Grenzen Als Ergebnis der vorstehenden Ausführungen zum Prüfungsmaßstab ist festzuhalten, dass neue Eigenmittel auf der Grundlage von Art. 311 Abs. 3 AEUV eingeführt werden können, sofern sie der Finanzierung des Haushalts der Union dienen. Es bestehen keine ernsthaften Zweifel, dass dies bei dem geplanten Abrufsatz auf Kunststoffabfälle der Fall ist (hierzu unter 2.1.2.3.). Zudem haben die vorstehenden Ausführungen ergeben, dass Art. 311 Abs. 3 AEUV unter Berücksichtigung insbesondere der Querschnittsklauseln in Art. 8-13 AEUV die Verfolgung sekundärer Lenkungszwecke bei der Einführung neuer Eigenmittelkategorien nicht per se ausschließt. Es ist 26 Siehe etwa zur Gefahr einer Beeinträchtigung effektiver Entscheidungsverfahren in der Umweltpolitik, siehe Heselhaus, Abgabenhoheit der EG in der Umweltpolitik, 2001, S. 473. 27 Mit weiteren Nachweisen Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 131. 28 Siehe nur Killmann, in: Kellerbauer/Klamert/Tomkin, 1. Aufl. 2019, Art. 311, Rn. 11. Mit weiteren Nachweisen Häde, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar, 1. Aufl. 2017, Art. 311 AEUV, Rn. 131. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 15 vielmehr davon auszugehen, dass die Entscheidung über die Verfolgung sekundärer Lenkungszwecke bei der Ausgestaltung des Eigenmittelsystems gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV grundsätzlich im Ermessen des für die Ausgestaltung des Eigenmittelsystems zuständigen Rates sowie der Mitgliedstaaten bei der Ratifikation des Eigenmittelbeschlusses steht. Dieses Ermessen ist in systematischer Hinsicht aber wohl insoweit begrenzt, als die betreffende Regelung im Eigenmittelbeschluss nicht zu einer Beeinträchtigung von Sachkompetenzen der Union etwa im Bereich der internen Politiken (z.B. Art. 192 AEUV) führen darf.29 Zu denken wäre etwa daran, dass die Lenkungswirkung des Eigenmittelbeschlusses einer bestehenden Unionspolitik zuwiderläuft oder dass hierdurch eine sachpolitische Festlegung getroffen wird, die den Gestaltungsspielraum des Unionsgesetzgebers im Bereich der Sachkompetenz verengt. Mangels einschlägiger Rechtsprechung des EuGH verbleiben diesbezüglich jedoch Unsicherheiten. Es ist nicht erkennbar, dass der geplante Abrufsatz auf Kunststoffabfälle die aufgezeigten Grenzen für die Verfolgung sekundärer Lenkungszwecke bei der Ausgestaltung des Eigenmittelsystems gemäß Art. 311 Abs. 3 AEUV überschreitet. Zum einen steht sein Zweck, die Schaffung eines Anreizes für die Mitgliedstaaten zur Ergreifung von Maßnahmen, die zur Verringerung der Menge nicht wiederverwerteter Kunststoffabfälle führen, insbesondere im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle. Zum anderen könnte der geplante Abrufsatz auf Kunststoffabfälle ungeachtet seiner umweltpolitischen Zielrichtung aufgrund seiner konkreten Ausgestaltung als Instrument zur Finanzierung des EU-Haushalts wohl nicht auf der Grundlage von Art. 192 AEUV erlassen werden.30 3. Ergebnis Neue Kategorien von Eigenmitteln können auf der Grundlage des Art. 311 Abs. 3 AEUV eingeführt werden, sofern sie der Finanzierung des Haushalts der Union dienen. Die Entscheidung, ob hiermit zugleich sekundäre Lenkungszwecke verfolgt werden sollen, steht grundsätzlich im Ermessen des für die Ausgestaltung des Eigenmittelsystems zuständigen Rates sowie der Mitgliedstaaten bei der Ratifikation des Eigenmittelbeschlusses. Es ist wohl davon auszugehen, dass dieses Ermessen insoweit begrenzt ist, als die betreffende Regelung im Eigenmittelbeschluss nicht zu einer Beeinträchtigung von Sachkompetenzen der Union etwa im Bereich der internen Politiken (z.B. Art. 192 AEUV) führen darf. Mangels einschlägiger Rechtsprechung des EuGH verbleiben diesbezüglich jedoch Unsicherheiten. Nach diesen Maßstäben ist davon auszugehen, dass die geplante Einführung einer neuen Eigenmittelkategorie , die anhand des Gewichts der nicht wiederverwerteten Verpackungsabfälle aus Kunststoff berechnet wird, mit den EU-Verträgen vereinbar ist. Der geplante Abrufsatz auf Kunststoffabfälle dient der Finanzierung des Haushalts der Union. Zudem ist nicht erkennbar, dass der hiermit zugleich verfolgte umweltpolitische Anreiz zu einer Beeinträchtigung von Sachkompetenzen der Union führt. 29 Siehe etwa zur Gefahr einer Beeinträchtigung effektiver Entscheidungsverfahren in der Umweltpolitik, Heselhaus, Abgabenhoheit der EG in der Umweltpolitik, 2001, S. 473. 30 Siehe zur unterschiedlichen Zielrichtung von Umweltabgabenregelungen, die auf der Grundlage von Art. 192 AEUV eingeführt werden, Heselhaus, Abgabenhoheit der EG in der Umweltpolitik, 2001, S. 472 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 071/20 Seite 16 - Fachbereich Europa -