© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 – 3000 - 069/19 188 Zu den im Unionsrecht bestehenden Möglichkeiten, nationalsozialistische und faschistische Symbole europaweit zu verbieten Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 2 Zu den im Unionsrecht bestehenden Möglichkeiten, nationalsozialistische und faschistische Symbole europaweit zu verbieten Aktenzeichen: PE 6 – 3000 – 069/19 Abschluss der Arbeit: 12.08.2019 Fachbereich: Fachbereich PE 6: Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Zum Verbot der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen außerhalb des Strafrechts 4 3. Unionsrechtliches Verbot der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen im Rahmen der unionsrechtlichen Kompetenz zur Harmonisierung des nationalen Strafrechts 6 3.1. Unionsweite Strafnormen auf Grundlage des Art. 83 Abs. 1 AEUV 6 3.1.1. Der Straftatkatalog in Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV 6 3.1.2. Erweiterung des Straftatenkatalogs auf Grundlage des Art. 83 Abs. 1 UA 3 AEUV 7 3.1.3. Verfahren 9 3.1.4. Das Notbremsenverfahren nach Art. 83 Abs. 3 AEUV 9 3.2. Einführung unionsweiter Strafnormen auf Grundlage des Art. 83 Abs. 1 AEUV 10 Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich ist um Auskunft gebeten worden, ob auf Grundlage des Unionsrechts die Verbreitung von nationalsozialistischen bzw. faschistischen Symbolen europaweit verboten werden kann. Nachfolgend werden die europarechtlichen Grundlagen für ein derartiges Verbot durch das Strafrecht (3) und außerhalb des Strafrechts (2) untersucht. 2. Zum Verbot der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen außerhalb des Strafrechts Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Vertrag über die Europäische Union [EUV]) wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Kompetenzen tätig, die ihr die Mitgliedstaaten in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Für ein generelles unionsrechtliches Verbot der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen dürfte der Europäischen Union (EU) keine Zuständigkeit zustehen. Die Zuständigkeit zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit liegt nach Art. 72 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bei den Mitgliedstaaten. Der Vorbehalt für innere Sicherheit und öffentliche Ordnung gilt nach der Rechtsprechung des EuGH auch im übrigen Unionsrecht als ungeschriebene Regelung zur Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten.1 Da die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Art. 72 AEUV nach Art. 53 Abs. 2 Charta der Grundrechte der EU (GRCh) nicht an die GRCh gebunden sind,2 ließen sich aus den Unionsgrundrechten auch keine Schutzpflichten in diesem Bereich ableiten. Ein unionsrechtliches Verbot der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen ließe sich aber möglicherweise auf Unionskompetenzen für sektorale Bereiche stützen. In Betracht käme ein entsprechendes Verbot als Bestandteil des Rechtsrahmens audiovisueller Mediendienste. Nach Art. 6 der Richtlinie 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste3 (nachfolgend: RL 2010/13) sorgen „(d)ie Mitgliedstaaten […] mit angemessenen Mitteln dafür, dass die audiovisuellen Mediendienste, die von den ihrer Rechtshoheit unterworfenen Mediendiensteanbietern bereitgestellt werden, nicht zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Staatsangehörigkeit aufstacheln.“ 1 EuGH, 9.12.1997, Rs. 265/95 (Kommission/Frankreich), Rn. 33 f. 2 EuGH, 27.11.2012, Rs. C-370/12 (Pringle), Rn. 179. 3 Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste), AB L 95/1, abrufbar unter: https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010L0013&from=DE. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 5 Art. 6 RL 2010/13 enthält wie die ihr entsprechende Vorgängerregelung – Art. 22a RL 89/552/EWG (Fernseh-RL) – keine Definition der verwendeten Begriffe.4 Die RL 2010/13 erfüllt nach Ansicht des EuGH mit der Verwendung des Begriffs der Aufstachelung zu Hass den Zweck, jegliche menschenverachtende Ideologie, insbesondere Bestrebungen, Gewalt durch Terroranschläge gegen eine bestimmte Personengruppe zu verherrlichen, zu verhindern . Für dieses Verbot sind die potenziellen Auswirkungen des inkriminierten Inhalts in den Ursprungsmitgliedstaaten oder in einem bestimmten Mitgliedstaat nicht maßgebend. Zu der zu der vergleichbaren Vorgänger-RL 89/552/EWG5 traf der EuGH folgende Feststellungen: „41 Zu den Wörtern „aufstacheln“ und „Hass“ ist festzustellen, dass sie zum einen eine Handlung bezeichnen, die dazu dient, ein bestimmtes Verhalten zu steuern, und zum anderen ein feindliches oder ablehnendes Gefühl gegenüber einer Gesamtheit von Personen. 42 Somit verfolgt die Richtlinie mit der Verwendung des Begriffs der Aufstachelung zu Hass den Zweck, jegliche menschenverachtende Ideologie, insbesondere Bestrebungen, Gewalt durch Terroranschläge gegen eine bestimmte Personengruppe zu verherrlichen , zu verhindern….. 45 Daher ist […] die Beachtung der die öffentliche Ordnung betreffenden Vorschrift in Art. 22a der Richtlinie von den Behörden des Mitgliedstaats zu prüfen, dessen Rechtshoheit der betreffende Fernsehveranstalter unterliegt; dies gilt unabhängig davon, ob es die betreffenden ethnischen oder kulturellen Gemeinschaften im Hoheitsgebiet dieses Staates gibt. Denn die Anwendung des in dieser Vorschrift verankerten Verbots hängt nicht von den potenziellen Auswirkungen der fraglichen Sendung im Ursprungsmitgliedstaat oder in einem bestimmten Mitgliedstaat ab, sondern lediglich vom Zusammentreffen der beiden in dieser Vorschrift enthaltenen Voraussetzungen, nämlich einer Aufstachelung zu Hass und Gründen der Rasse, des Geschlechts, der Religion oder der Nationalität. 46 Nach alledem ist Art. 22a der Richtlinie dahin auszulegen, dass Umstände wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die unter eine Vorschrift des nationalen Rechts fallen, nach der Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung verboten sind, als von dem in Art. 22a enthaltenen Begriff der Aufstachelung zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität umfasst anzusehen sind.“6 Soweit ersichtlich, hat die europäische Rechtsprechung zur Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen noch nicht entschieden. Soweit man den Anwendungsbereich des Art. 6 RL 2010/13 auch mit Blick auf die weite Auslegung dieser Vorschrift durch den EuGH hierfür als nicht erfüllt ansähe, ließe sich diese Vorschrift im Rahmen einer Gesetzesnovelle entsprechend anpassen. 4 Vgl. auch Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 167 AEUV, Rn. 219. 5 EuGH, 22.09.2011, verb. Rs. C-244/10 u. C-245/10. 6 Hervorhebungen durch Verf. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 6 3. Unionsrechtliches Verbot der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen im Rahmen der unionsrechtlichen Kompetenz zur Harmonisierung des nationalen Strafrechts Durch Richtlinien können Mindestvorschriften für das nationale Strafrecht der Mitgliedstaaten zur Festlegung von Straftaten und Strafen unter den Voraussetzungen des Art. 83 Abs. 1 AEUV (3.1.) und des Art. 83 Abs. 2 AEUV (3.2.), erlassen werden. 3.1. Unionsweite Strafnormen auf Grundlage des Art. 83 Abs. 1 AEUV Auf Grundlage Art. 83 Abs. 1 S. 1 AEUV können Richtlinien mit Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen im nationalen Strafrecht der Mitgliedstaaten in Bereichen besonders schwerer Kriminalität erlassen werden, die aufgrund der Art oder Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. 3.1.1. Der Straftatkatalog in Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV In Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV werden die Kriminalitätsbereiche genannt, für die der Unionsgesetzgeber diese Voraussetzungen als erfüllt ansah, insb. Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche , Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Die Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen dürfte davon nicht erfasst sein. Auf der Ebene des Sekundärrechts fordert der Rahmenbeschluss 2008/913/JI zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit 7 in Art. 1 Abs. 1 unter a), c) und d), dass „die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe “, „das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen…“ und „das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Verbrechen nach Artikel 6 der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs im Anhang zum Londoner Abkommen vom 8. August 1945…“ unter Strafe gestellt werden. Auch davon dürfte nicht zweifelsfrei die Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen erfasst sein, obgleich die damit verbundenen Ideologien für derartige inkriminierten Inhalte stehen dürften. Die an die Kommission, die Mitgliedstaaten und den Unternehmen der sozialen Medien gerichtete Forderung des Europäischen Parlaments in seiner Entschlie- 7 Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ABl L 328/55. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 7 ßung „Zunahme neofaschistischer Gewalttaten in Europa“ vom 25. Oktober 20188, „der Verbreitung von Rassismus, Faschismus und Fremdenfeindlichkeit im Internet […] entgegenzuwirken“,9 dürfte auch die Kriminalisierung der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen umfassen. 3.1.2. Erweiterung des Straftatenkatalogs auf Grundlage des Art. 83 Abs. 1 UA 3 AEUV Auf Grundlage der sog. Erweiterungsklausel des Art. 83 Abs. 1 UA 3 AEUV kann der Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig einen Beschluss erlassen, in dem andere Kriminalitätsbereiche bestimmt werden, die die in Art. 83 Abs. 1 S. 1 AEUV genannten Kriterien erfüllen. Diese Norm ermächtigt den Unionsgesetzgeber zur Erweiterung des Straftatenkatalogs in Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV.10 Diese Ermächtigung verleiht auch die Kompetenz zur Einführung neuer Straftatbestände.11 Während in den in Art. 83 Abs. 1 UA 2 AEUV genannten Kriminalitätsbereichen das Vorliegen der Kriterien des Art. 83 Abs. 1 S. 1 AEUV - Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität […] , die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben - vermutet werden, sind diese Voraussetzungen bei einer Erweiterung der bereits kodifizierten Kriminalitätsfeldern eingehend zu prüfen.12 Art. 83 Abs. 1 UA 3 AEUV ermächtigt den Unionsgesetzgeber – je nach Entwicklung der Kriminalität (3) – zum Erlass von Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen (4) in Bereichen besonders schwerer Kriminalität (1) mit grenzüberschreitender Dimension (2). (1) Bereiche besonders schwerer Kriminalität Für den Begriff der besonders schweren Kriminalität findet sich in den Verträgen keine Legaldefinition . Im systematischen Vergleich zu dem in Art. 86 Abs. 4 AEUV verwandten Begriff der schweren Kriminalität muss die besonders schwere Kriminalität eine gesteigerte Schwere aufweisen .13 Darüber hinausgehend ist kein unionsrechtlicher Maßstab hierfür auszumachen.14 8 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. Oktober 2018 zur Zunahme neofaschistischer Gewalttaten in Europa (2018/2869(RSP)), abrufbar unter: http://eudoxap01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=203171. 9 Entschließung des Europäischen Parlaments (Fn. 8) Ziff. 11. 10 Dorra, Strafrechtliche Legislativkompetenzen der Europäischen Union, 2013, S. 214. 11 Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. 2018, § 11, Rn. 7. 12 Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. 2018, § 11, Rn. 6. 13 Hochmayr, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 63 AEUV, Rn. 10. 14 Hochmayr, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 63 AEUV, Rn. 10. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 8 Die Qualifizierung eines Bereiches als besonders schwere Kriminalität erschließt sich in typisierender Betrachtung auf der Basis kriminalistischer Erfahrung und kriminologischer Erkenntnis,15 wofür dem Unionsgesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zusteht.16 Im Schrifttum werden vor diesem Hintergrund Zweifel angemeldet, ob dieses Merkmal im Rahmen eines Gesetzgebungsvorhabens zu einer effektiven Beschränkung führt.17 Aus unionsrechtlicher Perspektive muss sich aus der Art und den Auswirkungen der zu kriminalisierenden Bereiche die Notwendigkeit ergeben , diese unionsweit gemeinsam zu bekämpfen.18 (2) Grenzüberschreitende Dimension Aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit , sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, müssen die unionsweit geltenden Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen eine grenzüberschreitende Dimension aufweisen. Hierfür muss ein übergreifendes Unionsinteresse bestehen.19 (3) Kriminalitätsentwicklung Von der Erweiterungsklausel nach Art. 83 Abs. 1 UA 3 macht der Rat je nach Entwicklung der Kriminalität Gebrauch. Eine Erweiterung des Straftatenkatalogs in Art. 83 AEUV setzt voraus, dass sich der unionsweit zu erfassende Kriminalitätsbereich nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages weiterentwickelt und verändert hat.20 Dafür steht dem Rat und dem Europäischen Parlament ein Einschätzungsspielraum zu, dessen Ausübung sich allerdings auf einen empirischen Nachweis21 für die Kriminalitätsentwicklung stützen muss.22 Vor diesem Hintergrund erforderte eine europaweite Kriminalisierung der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen auf Grundlage des Art. 83 Abs. 1 UA 3 AEUV eine eingehende empirische Untersuchung ihrer Erscheinungsformen insb. in quantitativer und geografischer Hinsicht. Es müsste auch der Nachweis erbracht werden, dass 15 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (Stand: August 2015), Art. 83 AEUV Rn. 41; Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art 83 AEUV Rn. 8. 16 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 83 AEUV, Rn. 66. 17 Weigend, ZStW 116 (2004), 275 (283). 18 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 83 AEUV, Rn. 41; Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art 83 AEUV, Rn. 14. 19 Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art 83 AEUV, Rn 14. 20 Walter, ZStW 117 (2005), 912 (926 f.). 21 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 83, AEUV Rn. 65. 22 Suhr, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art 83 AEUV, Rn 15. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 9 sich dieses unionsweit strafrechtlich zu erfassende Verhalten nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages weiterentwickelt und verändert hat.23 (4) Mindestvorschriften zu Straftaten und Strafen Art. 83 Abs. 1 UA 3 AEUV berechtigt den Unionsgesetzgeber in Gestalt von Richtlinien zum Erlass von Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen. Diese Kompetenz umfasst nicht die Befugnis, abschließende, bereits in Detail vorgegebene Strafvorschriften zu erlassen .24 Vielmehr müssen den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der auf Grundlage des Art. 83 Abs. I AEUV erlassenen Richtlinien substanzielle Ausgestaltungsspielräume verbleiben.25 3.1.3. Verfahren Die Ausübung der Erweiterungsklausel in Art. 83 Abs. 1 UA 3 AEUV erfordert einen einstimmiger Beschluss des Rates nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Nach deutschem Verfassungsrecht setzt der Parlamentsvorbehalt des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG eine Zustimmung des Deutschen Bundestages zu der Erweiterung des Straftatenkatalogs nach Art. 83 Abs. 1 UA 3 AEUV voraus.26 3.1.4. Das Notbremsenverfahren nach Art. 83 Abs. 3 AEUV Das sog. Notbremsenverfahren (Art. 83 Abs. 3 AEUV) berechtigt ein Mitglied des Rates, wenn ein Richtlinienentwurf nach Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren würde, die Befassung des Europäischen Rates zu beantragen, was zur Aussetzung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens führte. Kommt es dazu im Europäischen Rat zu keinem Einvernehmen, eröffnet Art. 83 Abs. 3 UA 2 AEUV einer Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten die Option, dieses Gesetzgebungsvorhaben unter erleichterten Bedingungen im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit weiter zu verfolgen.27 23 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 83 AEUV Rn. 65. 24 Suhr, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art 83 AEUV, Rn. 7. 25 Vgl. dazu BVerfGE 123, 267 (Lissabon) Rn. 363: „Entsprechend begrenzend ist die allgemeine Ermächtigung zur Festlegung von Straftaten und Strafen nach Art. 83 Abs. 1 AEUV auszulegen. Dafür steht bereits der Katalog besonders schwerer Straftaten des Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV und die Voraussetzung, dass es sich um besonders schwere Kriminalität handeln muss, die aufgrund der Art oder der Auswirkung der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Der Katalog macht deutlich, dass es sich um typischerweise grenzüberschreitende schwere Kriminalitätsbereiche handelt, für die Mindestvorschriften, die den Mitgliedstaaten substantielle Ausgestaltungsspielräume belassen müssen, festgelegt werden dürfen.“ Dazu auch Sieber, ZStW 121 (2009), 1 (57) und Dorra (Fn. 10), 220 f. 26 BVerfGE 123, 267 (419). 27 Zu Einzelheiten hierzu vgl. Dorra (Fn. 10), 251 ff. Fachbereich Europa Sachstand PE 6 -3000 - 069/19 Seite 10 3.2. Einführung unionsweiter Strafnormen auf Grundlage des Art. 83 Abs. 1 AEUV Die Einführung eines strafbewehrten, EU-weit geltenden Verbots von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen auf Grundlage des Art. 83 Abs. 2 AEUV setzte voraus, dass hiermit eine Angleichung der strafrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten erfolgte und diese sich für die wirksame Durchführung der Politik der Union, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, als unerlässlich erweist. Nicht erforderlich ist, dass in einem Mitgliedstaat oder mehreren bereits Strafnormen existieren, die anzugleichen angestrebt wird.28 Diese Kompetenz besteht nur für Politikgebiete, auf denen bereits Harmonisierungmaßnahmen erfolgt sind, zu deren Durchsetzung das Strafrecht der Mitgliedstaaten angeglichen werden soll.29 Politikgebiete, in denen unionsrechtlich Recht harmonisiert ist, sind insb. Einwanderung (Art. 79 AEUV), Verkehr (Art. 90 ff. AEUV), Wettbewerb (Art. 101 ff. AEUV), Indirekte Steuern (Art. 113 AEUV), die Errichtung und Funktionieren des Binnenmarkts (Art. 114 AEUV), der Schutz des geistigen Eigentums (Art. 118 AEUV), der Gesundheitsschutz der Bevölkerung im Zusammenhang mit Arzneimitteln und Medizinprodukten (Art. 168 Abs. 4 AEUV), der Verbraucherschutz (Art. 169 AEUV), die Umwelt (Art. 191 ff. AEUV) oder der Schutz der finanziellen Interessen der Union. Derzeit dürfte kein durch Unionsrecht harmonisiertes Politikgebiet auszumachen sein, für deren wirksame Durchführung sich die Einführung strafrechtlicher Verbote der Verbreitung von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen als unerlässlich erweisen ließe. - Fachbereich Europa - 28 Dorra (Fn. 10), 247. 29 Vogel/Eisele, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 83 AEUV, Rn. 77.