© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 068/20 Vereinbarkeit eines deutschen RX-Versandhandelsverbotes mit dem Unionsrecht Unionsrechtliche Bewertung eines Verbots des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und alternativ der Einführung von Qualitätskriterien für den Versand Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Vereinbarkeit eines vollständigen Verbots des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland mit der Warenverkehrsfreiheit 5 3.1. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 5 3.2. Rechtfertigung 5 3.2.1. Verhältnismäßigkeit (Schranken-Schranke) 6 3.2.1.1. Zulässiger Zweck der Maßnahme 6 3.2.1.2. Geeignetheit 7 3.2.1.3. Erforderlichkeit 7 3.3. Fazit 9 4. Unionsrechtliche Bewertung einer Regelung zur Einführung von Qualitätskriterien 9 4.1. Nachweisbare Einhaltung der Kühlkette 10 4.2. Auslieferung der Arzneimittel durch medizinisches Fachpersonal 10 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa ist um Prüfung gebeten worden, ob die Einführung eines Versandhandelsverbotes für verschreibungspflichtige Arzneimittel (sog. RX-Versandhandelsverbot) in Deutschland mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Im Rahmen dieser Ausarbeitung soll zunächst ein kurzer Überblick über die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Bereich von Versandhandelsapotheken gegeben werden, bevor die Anforderungen an ein entsprechendes Verbot dargestellt werden. Im Anschluss wird eine unionsrechtliche Bewertung einer Einführung von Qualitätskriterien für den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln als Alternative zu einem Totalverbot vorgenommen. 2. Überblick zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH Im Jahr 2003 entschied der EuGH, dass das damalige deutsche Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung i.S.d. Art. 34 2. Alt. AEUV darstellt und damit gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 34. ff. AEUV verstößt1. Eine Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV könne nur hinsichtlich verschreibungspflichtiger Arzneimittel, nicht aber für rezeptfreie Arzneimittel geltend gemacht werden2. Im Jahr 2009 befasste sich der EuGH mit dem deutschen Fremdbesitzverbot von Apotheken und befand, dass die Niederlassungsfreiheit dem Fremdbesitzverbot nicht entgegensteht3. Die jüngste Entscheidung des Gerichtshofes in diesem Bereich, ein Vorabentscheidungsurteil vom 19. Oktober 2016, betrifft die Vereinbarkeit der deutschen Regelung über eine Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel mit den Art. 34 und 36 AEUV. In der Sache entschied der EuGH aus dogmatischer Hinsicht wenig überraschend, dass die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel eine Maßnahme mit gleicher Wirkung darstellt und nicht aus Gründen des Art. 36 AEUV gerechtfertigt werden kann4. Die Entscheidung hat eine Inländerdiskriminierung am Markt für RX-Arzneimittel zur Konsequenz. Während Versender mit Sitz im EU-Ausland ihren Kunden Rabatte gewähren können, ist dies deutschen Apotheken aufgrund der Preisbindung nicht möglich5. 1 EuGH, Rs. C-322/01, Doc Morris I. 2 EuGH, Rs. C-322/01, Doc Morris I, Rn. 132. 3 EuGH, Rs. C-171/07, Apothekerkammer des Saarlandes (Doc Morris II). 4 EuGH, Rs. C-148/15, Deutsche Parkinsonvereinigung (Doc Morris III). 5 Witt/Gregor, Die Preisbindung für Arzneimittel ist europarechtswidrig: Das EuGH-Urteil und seine Folgen, in PharmR, Heft 13, S. 485 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 5 Grundsätzlich erscheint demnach, entsprechend der Rechtsprechung des EuGH aus dem Jahr 2003, ein deutsches RX-Versandhandelsverbot denkbar6. Deutschland verzichtete allerdings in Folge des Urteils gänzlich auf ein entsprechendes Verbot und ermöglichte so den europäischen Versandhandel von verschreibungs- und nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. 3. Vereinbarkeit eines vollständigen Verbots des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland mit der Warenverkehrsfreiheit Fraglich ist, ob eine Rückkehr zu einem RX-Versandhandelsverbot für Verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Grundlage der im Urteil beschriebenen Rechtfertigungsmöglichkeit gem. Art. 36 AEUV aus Gründen des Gesundheitsschutzes (auch heute noch) unionsrechtlich möglich ist. 3.1. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit Daran, dass ein Verbot des Versandhandels mit (verschreibungspflichtigen) Arzneimitteln eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV und damit einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit darstellt, bestehen vorliegend keine Zweifel7. 3.2. Rechtfertigung Fraglich ist allerdings, ob eine Rechtfertigung eines solchen Eingriffs möglich ist. Eine Rechtfertigung gem. Art. 36 AEUV setzt voraus, dass es sich um eine Maßnahme zum Schutz eines der in Art. 36 AEUV angeführten Rechtsgüter handelt. Art. 36 S. 1 AEUV ist dabei eng auszulegen. Nur nicht-wirtschaftliche Gründe sind von dieser Ausnahmeregelung erfasst8. Die Maßnahme dürfte außerdem keine willkürliche Diskriminierung oder verschleierte Beschränkung darstellen und müsste verhältnismäßig sein9. In Betracht kommt, wie durch den EuGH in seiner Doc Morris I-Entscheidung ausgeführt, eine Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes gem. Art. 36 S. 1 Var. 3 AEUV. Obwohl der vorliegende Auftrag keine Ausführungen zu den Gründen eines möglichen RX-Versandhandelsverbots enthält, ist ein Abstellen auf Gründe des Gesundheitsschutzes im Lichte der aktuellen Diskussion um dieses naheliegend. Immer wieder wird ein solches Verbot allerdings auch zur „Rettung der Vor-Ort-Apotheken“ gefordert, da diese durch die zusätzliche Konkurrenz 6 Dass bereits einige Mitgliedstaaten eine entsprechende Regelung getroffen haben, lässt allerdings aufgrund grundverschiedener Regelungssysteme keine Rückschlüsse auf die vorliegende Frage zu, vgl. Koenig, Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel? Ein Frontalzusammenstoß mit der Rspr. des EuGH!, in PharmR 2017, Heft 03, S. 87. 7 Vgl. EuGH, Rs. C-322/01, Doc Morris I, Rn. 67 ff. 8 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV, Rn. 49. 9 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV, Rn. 50, 51. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 6 einem erhöhten Wettbewerb ausgesetzt seien10. Da wirtschaftliche oder protektionistische Gründe gerade nicht zur Rechtfertigung im Rahmen des Art. 36 AEUV geeignet sind, erscheint mithin fraglich, ob diese Zielsetzung sich als Rechtfertigungsgrund anführen ließe. Das Ziel, lokale Apotheken erhalten zu wollen, dient allerdings dem Gesundheitsschutz im Sinne des Art. 36 S.1 Var. 3 AEUV. So hätte ein Verlust von Vor-Ort-Apotheken möglicherweise negative Effekte auf die flächendeckende medizinische Versorgung in Deutschland. Das Verbot des Versandhandels mit RX-Arzneimitteln ist folglich als Rechtfertigungsgrund gem. Art. 36 S. 1 Var. 3 AEUV einzuordnen. Es stellt zudem keine willkürliche Diskriminierung oder verschleierte Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit dar. 3.2.1. Verhältnismäßigkeit (Schranken-Schranke) Das Verbot müsste zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Dieser verlangt , dass die gegenständliche Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt und geeignet ist, die Erreichung des rechtmäßig verfolgten Ziels zu gewährleisten, ohne über das hierzu Erforderliche hinauszugehen.11 Der EuGH hat in seinem Doc Morris I-Urteil grundsätzlich den Mitgliedstaaten die Entscheidung über ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel überlassen, stellt ein solches Verbot allerdings ausdrücklich unter den Vorbehalt der strikten Einhaltung von Eignungs - und Nachweisanforderungen bzgl. der Rechtfertigung12. 3.2.1.1. Zulässiger Zweck der Maßnahme Das RX-Versandhandelsverbot müsste zunächst einen legitimen Zweck verfolgen. In der laufenden rechtlichen und politischen Diskussion um ein solches Verbot in Deutschland werden unterschiedliche Rechtfertigungsgründe vorgebracht. So soll das RX-Versandhandelsverbot gemäß eines Referentenentwurfs13 des Bundesministeriums für Gesundheit aus dem Jahr 2017 verhindern, dass die Anzahl der Vor-Ort-Apotheken in Deutschland abnimmt und so die flächendeckende medizinische Versorgung der BürgerInnen beeinträchtigt wird14. Dies stehe aufgrund des durch den freien Versandhandel begünstigten Preiswettbewerbs zu befürchten. Da Versandapotheken mit Sitz im europäischen Ausland in der Regel 10 Vgl. etwa: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/12/12/gesetzentwurf-zum-rx-versandverbot -ist-da. 11 Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV, Rn. 51. 12 Koenig, Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel? Ein Frontalzusammenstoß mit der Rspr. des EuGH!, in PharmR 2017, Heft 03, S. 88. 13 Abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze _und_Verordnungen/GuV/V/Versandhandel-Verbot_RefE.pdf. 14 Vgl. dazu Referentenentwurf „Entwurf eines Gesetzes zum Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“ des BfG, S. 2 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 7 niedrigere Fixkosten im Bereich etwa des Personals hätten und zudem nicht von der Preisbindung betroffen sind, hätten diese einen Marktvorteil, der auf die bestehenden Vor-Ort-Apotheken letztlich einen verdrängenden Effekt habe15. Da Vor-Ort-Apotheken allerdings aus Sicht Vieler eine wichtige Rolle in der angemessenen medizinischen Versorgung der Bevölkerung spielen, verfolgt die Maßnahme vorliegend das legitime Ziel des Gesundheitsschutzes im Sinne des Art. 36 Abs. 1 AEUV. Zum anderen könnte ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch durch Gründe des Gesundheitsschutzes im engeren Sinne gerechtfertigt werden. Es kommt etwa das Ziel, Medikamentenfälschungen oder –missbrauch durch das Verbot einzudämmen , in Betracht16. Auch dieses stellt ein legitimes Ziel des Gesundheitsschutzes im Sinne des Art. 36 Abs. 1 AEUV dar. 3.2.1.2. Geeignetheit Die Maßnahme müsste allerdings auch geeignet sein diese legitimen Zwecke der Maßnahme zu fördern. Hinsichtlich des Schutzes der flächendeckenden medizinischen Versorgung, erscheint das Verbot des Versandhandels und damit die Beschränkung des Kreises der Teilnehmenden am Markt für verschreibungspflichtige Arzneimittel auf Vor-Ort-Apotheken grundsätzlich geeignet, zumindest zu deren Existenzsicherung beizutragen. Auch im Falle des Schutzes der BürgerInnen vor gefälschten Arzneimitteln und der besseren Prävention von Medikamentenmissbrauch ist von der Geeignetheit der Maßnahme auszugehen. 3.2.1.3. Erforderlichkeit Fraglich ist allerdings, ob das Verbot auch erforderlich ist. Dies ist der Fall, soweit kein gleichsam wirksames, aber milderes Mittel ersichtlich ist. Als milderes Mittel bzgl. des Schutzes der der flächendeckenden Versorgung wird eine neue, angepasste Festpreisregelung vorgeschlagen. In Betracht kommt etwa die Aufnahme der bisher nur für Vor-Ort-Apotheken geltenden Preisbindung in das Sozialgesetzbuch. Auf diesem Wege soll die bisher im Arzneimittelgesetz (AMG) geregelte Preisbindung aus dem AMG, und damit einem binnenmarktrelevanten Regelungsbereich, in das Sozialrecht überführt werden. Auf diesem Wege müssten sich, zumindest wohl nach den derzeitigen Vorstellungen des Bundesministeriums für Gesundheit (BfG), auch Versandhandelsapotheken, wollen sie an der deutschen Regelversorgung 15 Vgl. etwa: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/11/03/spd-nimmt-zerschlagung-vonversorgungsstrukturen -in-kauf. 16 Koenig/Bache, Verfassungsrechtliche Bewertung eines Versandhandelsverbots für verschreibungspflichtige Arzneimittel , in: PharmR 2009, Heft 6, S. 264. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 8 teilnehmen, an die Preisbindung halten17. Da auch auf diesem Wege der Preisdruck für die Vor- Ort-Apotheken reduziert werden könnte und die Festpreisregelung zudem ein milderes Mittel als ein umfassendes Verbot darstellt, bestehen insoweit begründete Zweifel an der Erforderlichkeit eines Versandhandelsverbotes für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Auch hinsichtlich der Gründe des Gesundheitsschutzes sind mildere Mittel denkbar. So könnte der Versand von RX-Arzneimitteln etwa unter Auflagen zur Wahrung der Qualität der Beratung und Aufklärung gestellt werden. Fraglich ist außerdem, wie es sich auf die Bewertung der Erforderlichkeit auswirkt, dass Deutschland nach der Doc Morris I-Entscheidung nicht entsprechend gesetzgeberisch tätig geworden ist und bis heute auch RX-Medikamente über den Versandhandel nach Deutschland vertrieben werden . Damit besteht heute zum einen eine andere Situation als zum Zeitpunkt der Doc Morris I- Entscheidung, zum anderen könnten die tatsächlichen Entwicklungen am Markt in der verbotsfreien Zeit seit 2004 ein neues Licht insbesondere auf die genannten Anforderungen an die Rechtfertigungsgründe werfen und diese unter Umständen sogar verschärfen. Die vom EuGH 2003 bestätigte Rechtfertigungsmöglichkeit stützte sich in der damaligen Konstellation der Beibehaltung des (RX-)Versandhandelsverbotes auf Gründe des Gesundheitsschutzes im engeren Sinne (Vermeidung von Arzneimittelfälschungen oder eines verstärkten Arzneimittelmissbrauchs ). Eine Rechtfertigung aus „Gründen des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit oder der Intaktheit des nationalen Gesundheitswesens“, wurde vom EuGH mangels entsprechenden Nachweises bereits im Jahr 2003 abgelehnt18. Ein heutiges Verbot des Versandhandels, um Vor-Ort-Apotheken aus Gründen des Erhalts einer flächendeckenden medizinischen Versorgung vor zu hohem Wettbewerbsdruck zu schützen, müsste folglich den vom EuGH aufgestellten unionsrechtlichen Eignungs-, Kohärenz- und Nachweisanforderungen genügen . Die Gefahrenlage müsste sowohl hinsichtlich der negativen Auswirkungen des Versandhandels auf den Gesundheitsschutz im engeren Sinne als auch für den Bestand der Vor-Ort-Apotheken statistisch nachweisbar sein19. Die Erforderlichkeit des Versandhandelsverbotes scheint mithin vorliegend sowohl in Bezug auf die Gründe des Gesundheitsschutzes im engeren Sinne als auch bzgl. des Erhalts der Vor-Ort- Apotheken fraglich. Insbesondere aufgrund der inzwischen seit 16 Jahren bestehenden Praxis des 17 So ein Gesetzentwurf des BfG, welcher aktuell der EU-Kommission zur Prüfung vorliegt, abrufbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen /GuV/A/Apothekengesetz_Kabinett.pdf. 18 EuGH, Rs. C-322/01 Doc Morris I, Rn. 123. 19 Koenig, Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel? Ein Frontalzusammenstoß mit der Rspr. des EuGH!, in PharmR 2017, Heft 03, S. 88. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 9 Versandhandels mit RX-Arzneimitteln und dem Nichteintritt der bereits im Jahr 2003 befürchteten negativen Folgen20, scheint ein Verbot schwer begründbar. Zwar wird auch Kritik an den hohen Eignungs-, Kohärenz- und Nachweisanforderungen des EuGH geäußert, dessen Kompetenz sich auf eine Evidenzkontrolle beschränke. Nach dieser Ansicht ersetze der EuGH durch zu hohe Anforderungen an die Rechtfertigung die Wertungsentscheidungen des Gesetzgebers, dem ein weiter politischer Beurteilungsspielraum zukomme und der schwierige politische Prognoseentscheidungen treffen müsse21. Hierbei handelt es sich allerdings um eine Ansicht, welche der bisherigen Rechtsprechung des EuGH im Bereich der Warenverkehrsfreiheit dem Grunde nach widerspricht. Gegen die Verhältnismäßigkeit des Verbots könnte außerdem sprechen, dass, unabhängig vom Eintritt negativer Folgen für die Versorgung der Bevölkerung durch die Verdrängung von Vor- Ort-Apotheken, auch ein positiver Effekt auf diese durch den Versandhandel wahrscheinlich ist. Die Möglichkeit verschreibungspflichtige Arzneimittel im Internet zu erwerben und zu sich liefern zu lassen, erhöht die Zugänglichkeit zur Versorgung. 3.3. Fazit Im Ergebnis ist die Einführung eines Verbotes des Versandhandels mit RX-Arzneimitteln in Deutschland mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH wohl als unverhältnismäßig, und damit als ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 34 ff. AEUV zu bewerten. Zu einem anderen Ergebnis könnten Erkenntnisse führen, die negative Auswirkungen des Versandhandels auf die Zugänglichkeit und Qualität medizinischer Versorgung nachweisen. Von einer entsprechenden Gefährdung dürfte allerdings, insbesondere mit Blick auf die Entwicklungen der letzten 16 Jahre, zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht auszugehen sein. 4. Unionsrechtliche Bewertung einer Regelung zur Einführung von Qualitätskriterien Der Fachbereich Europa wurde zudem um eine unionsrechtliche Einschätzung der Rechtmäßigkeit etwaiger Maßnahmen zur Qualitätssicherung für den Versandhandel mit RX-Arzneimitteln gebeten. Da die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen zur Qualitätssicherung vorliegend nicht bekannt ist, können diese nur dem Grunde nach auf ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht bewertet werden. 20 So ist das Versorgungsverhältnis von Apotheken zu Einwohnern lt. Zahlen der Bundesvereinigung deutscher Apothekenverbände e.V. (ABDA) durch eine hohe Konstanz geprägt, vgl. Koenig, Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel? Ein Frontalzusammenstoß mit der Rspr. des EuGH!, in PharmR 2017, Heft 03, S. 89. 21 Zu diesem Ergebnis kommt ein nicht veröffentlichtes Gutachten von Udo Di Fabio, eine Zusammenfassung des Gutachtens ist abrufbar unter: file:///C:/Users/verpe6ma13/Downloads/1Zusammenfassung_Gutachten _Prof._Di_Fabio_final.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 10 4.1. Nachweisbare Einhaltung der Kühlkette In Anlehnung an die Regelung des § 17 Abs. 2a Nr. 1 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), welcher die Anforderungen an den Versand von RX-Arzneimitteln durch Vor-Ort-Apotheken regelt , könnte auch der Versand durch Versandhandelsapotheken mit der Auflage versehen werden , dass die Arzneimittel so verpackt, transportiert und ausgeliefert werden, dass ihre Qualität und Wirksamkeit erhalten bleibt. Im Falle von besonders temperaturempfindlichen Arzneimitteln , muss dies gem. § 17 Abs. 2a Nr. 1 ApBetrO durch die versendenden Vor-Ort-Apotheken durch Temperaturkontrollen nachgewiesen werden. Fraglich ist zunächst, ob eine analoge Regelung für den Versand durch Versandapotheken einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit darstellt. Dies wäre der Fall, sollte eine entsprechende Regelung als eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV zu bewerten sein. Nach der Dassonville-Rechtsprechung des EuGH ist eine Maßnahme gleicher Wirkung jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern22. Diese Definition erfuhr im Rahmen der sog. Keck-Rechtsprechung eine Einschränkung, in welcher der EuGH entschied, dass nicht diskriminierende Verkaufsmodalitäten keine Maßnahme gleicher Wirkung darstellen23. Die Auflage eines Kühlkettennachweises ist vorliegend wohl als eine solche Verkaufsmodalität zu bewerten. Da auch die inländischen Marktteilnehmer einen entsprechenden Nachweis erbringen müssen, liegt zudem grundsätzlich keine Diskriminierung vor. Sollte, aufgrund der konkreten Ausgestaltung einer entsprechenden Vorschrift, dennoch eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34. AEUV anzunehmen sein, so könnte diese aus Gründen des Gesundheitsschutzes gem. Art. 36 Abs. 1 AEUV gerechtfertigt sein. Soweit ein effektiver Gesundheitsschutz eine entsprechende Maßnahme erfordert, ist die Rechtfertigungsmöglichkeit , ebenfalls abhängig von der konkreten Ausgestaltung, im Falle dieser recht milden Maßnahme wohl gut begründbar. 4.2. Auslieferung der Arzneimittel durch medizinisches Fachpersonal Auch im Falle der Auslieferung der Arzneimittel durch medizinisches Fachpersonal zur Sicherung der Beratungsqualität ist die unionsrechtliche Einordnung maßgeblich von der konkreten Ausgestaltung der Maßnahme abhängig. Die Regelung des § 17 Abs. 2 S. 5 ApBetrO sieht eine Lieferung durch pharmazeutisches Personal der Apotheke vor, soweit die Verschreibung von RX-Arzneimitteln der Apotheke nicht vorgelegen hat (§ 17 Abs. 2 S. 5 Nr. 1 ApBetrO) oder im Vorfeld keine Beratung zum Arzneimittel stattgefunden hat (§ 17 Abs. 2 S. 5 Nr. 2 ApBetrO). Eine parallele Vorschrift für den Versand von Arzneimittel durch Versandapotheken dürfte nach dem Gesagten mithin nicht über diese Kriterien hinausgehen und etwa eine entsprechende Pflicht bei allen Sendungen vorsehen. 22 EuGH, Rs. C-8/74, Dassonville, Rn. 3. 23 EuGH, Rs. C-267/91, Keck und Mithouard, Rn. 16. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 068/20 Seite 11 Da Versandapotheken, anders als Vor-Ort-Apotheken, gerade nicht (ausschließlich) standortnah versenden, wären diese durch eine entsprechende Vorschrift zudem stärker beeinträchtigt. Während Vor-Ort-Apotheken ihre Botendienste nach § 17 ApBetrO je nach Bedarf auch durch ihr reguläres pharmazeutisch ausgebildetes Personal ausführen können, erfordert dies für Versandapotheken , insbesondere solche mit Sitz im Ausland, einen ungleich höheren logistischen und personellen Aufwand. Da in der Folge von einer Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 34 AEUV auszugehen ist, bedürfte dies einer Rechtfertigung gem. Art. 36 Abs. 1 AEUV aus Gründen des Gesundheitsschutzes. Eine Vornahme der Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche wohl ausschlaggebend für die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit wäre, ist ohne Kenntnis der konkreten Ausgestaltung vorliegend allerdings nicht möglich. - Fachbereich Europa -