© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 68/15 Vereinbarkeit der Gesetze zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen und zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes mit dem Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 2 Vereinbarkeit der Gesetze zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen und zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes mit dem Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 68/15 Abschluss der Arbeit: 9. Juli 2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 5 2. Hintergründe 5 2.1. Gesetz über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen – InfrAG 5 2.2. Änderung des KfzStG 7 2.3. Rechtliche Einordnung der Infrastrukturabgabe und des Steuerentlastungsbetrags 9 2.3.1. Infrastrukturabgabe 9 2.3.2. Steuerentlastungsbetrag 10 2.3.2.1. Kfz-steuerliche Behandlung inländischer Fahrzeuge 10 2.3.2.2. Kfz-steuerliche Behandlung ausländischer Fahrzeuge 10 2.3.2.3. Wirkung des Steuerentlastungsbetrages 11 3. Unionsrechtliche Vorgaben 12 3.1. Zur Einführung von Straßenbenutzungsgebühren 12 3.1.1. Sekundärrecht 12 3.1.2. Stellungnahmen der Kommission 13 3.1.2.1. Weißbücher und Mitteilungen 13 3.1.2.2. Zusammenfassung 14 3.2. Zur Ausgestaltung der nationalen Kfz-Steuersysteme 14 4. Vereinbarkeit der Vorschläge zur Einführung einer Infrastrukturabgabe und zur Reform des KfzStG mit dem Unionsrecht 16 4.1. Unionsrechtliche Diskriminierungs- und Schlechterstellungsverbote 16 4.1.1. Art. 92 AEUV 16 4.1.1.1. Tatbestand des Art. 92 AEUV 17 4.1.1.2. Gebotene weite Auslegung des Art. 92 AEUV 18 4.1.2. Grundfreiheiten 19 4.1.3. Allgemeines Diskriminierungsverbot, Art. 18 AEUV 20 4.2. Bestehen einer mittelbaren Diskriminierung ausländischer Infrastrukturnutzer 20 4.2.1. Allgemeine Maßstäbe 20 4.2.2. Diskriminierende Wirkung der Vermeidung einer Doppelbelastung 22 4.2.2.1. Überwiegend negative Betroffenheit von EU-Ausländern 22 4.2.2.1.1. Isolierte Betrachtung von InfrAG und KfzStG 22 4.2.2.1.2. Gesamtbetrachtung von InfrAG und KfzStG 23 4.2.2.1.3. Folgerungen für das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung 23 4.2.2.2. Bestehen einer objektiv vergleichbaren Situation 24 4.2.2.2.1. Objektiv vergleichbare Situation im Rahmen des InfrAG und KfzStG 24 4.2.2.2.2. Auswirkung der Kfz-Steuerbefreiung für ausländische Kfz-Halter 25 4.2.2.3. Saldierung der Belastungen 27 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 4 4.2.2.3.1. Maßstäbe 28 4.2.2.3.2. Charakter der Kfz-Steuer als Grundlage des Steuerentlastungsbetrags 29 4.2.2.3.3. Charakter der Infrastrukturabgabe 30 4.2.2.3.4. Folgerungen für die Vermeidung einer Doppelbelastung durch einen Steuerentlastungsbetrag 31 4.2.2.3.5. Zusammenfassung 33 4.2.2.4. Ergebnis 34 4.2.3. Möglichkeit einer diskriminierenden Wirkung des Vignettenerwerbs 35 4.2.3.1. Maßstäbe 35 4.2.3.2. Ausgestaltung der Vignettenpreise 37 4.2.3.3. Folgerungen 37 4.2.4. Benachteiligung von Verkehrsunternehmern 38 4.3. Rechtfertigung 39 4.3.1. Rechtfertigung einer Kompensation der Infrastrukturabgabe im Rahmen der Kfz-Steuer 40 4.3.1.1. Die Grundsätze von Kohärenz und Lastenausgleich als Rechtsfertigungsgrund 40 4.3.1.2. Kohärenz zwischen Kfz-Steuer und Infrastrukturabgabe 41 4.3.1.3. Ergebnis 42 4.3.2. Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch den Systemwechsel von einer steuerfinanzierten zu einer vorwiegend nutzerfinanzierten Infrastruktur 43 4.3.3. Rechtfertigung durch die „Belastungsgleichheit“ von ausländischen und inländischen Kfz-Haltern 45 4.3.4. Rechtfertigung der Benachteiligung von Verkehrsunternehmern 46 5. Zusammenfassung 46 6. Ausblick 46 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 5 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht der Frage nach, ob das vom Deutschen Bundestag in Art. 1 des Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen beschlossene Gesetz über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen (Infrastrukturabgabengesetz, InfrAG)1 sowie die hierauf bezogenen Elemente der in Art. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes und des Versicherungssteuergesetzes (Zweites Verkehrsteueränderungsgesetz - 2.VerkehrStÄndG) vom Deutschen Bundestag beschlossenen Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KfzStG)2 mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Von der Fragestellung ausgenommen sind datenschutzrechtliche sowie beihilfenrechtliche Aspekte des InfrAG. 2. Hintergründe 2.1. Gesetz über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen – InfrAG Das InfrAG sieht vor, dass eine Infrastrukturabgabe eingeführt werden soll, die von Haltern von im Inland und im Ausland zugelassenen Pkw und Wohnmobilen gleichermaßen für die Nutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen zu entrichten ist. Halter von nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Pkw und Wohnmobilen sind zunächst nur auf Bundesautobahnen abgabepflichtig. Die Bundesregierung geht in ihrem Gesetzentwurf für ein InfrAG3 davon aus, dass aufgrund des sehr dichten Bundesfernstraßennetzes in der Bundesrepublik Deutschland nahezu alle abgabepflichtigen Halter von im Inland zugelassenen Fahrzeugen das Bundesfernstraßennetz im Jahresverlauf nutzen. Dementsprechend sieht das InfrAG vor, dass die Infrastrukturabgabe von allen Haltern von in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Pkw und Wohnmobilen grundsätzlich jeweils für ein Jahr an das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als Infrastrukturabgabenbehörde entrichtet werden (§§ 1 bis 4, 6 InfrAG) muss. Die Höhe der Infrastrukturabgabe bzw. Kosten für eine Jahresvignette bestimmen sich nach dem Hubraum und den Umwelteigenschaften des Pkw bzw. bei Wohnmobilen nach dem Gewicht (§§ 5 Abs. 1 S. 2, 8 InfrAG i.V.m. Anlage zu § 8 InfrAG). Die Infrastrukturabgabe wird für in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Kraftfahrzeuge von der Infrastrukturabgabebehörde durch Bescheid festgesetzt. Die Verpflichtung zur Entrichtung der Infrastrukturabgabe für ein Kraftfahrzeug, das nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen ist, entsteht mit der ersten Benutzung einer abgabepflichtigen Straße im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2, § 2 Abs. 3 InfrAG nach einem Grenzübertritt. Schuldner der Infrastrukturabgabe für Kfz, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassen sind, können zur Entrichtung der Infrastrukturabgabe zwischen einer sich ebenfalls an den 1 Gesetz vom 8. Juni 2015, BGBl. I 2015 Nr. 22 vom 11. Juni 2015, S.904. 2 Gesetz vom 8. Juni 2015, BGBl. I 2015 Nr. 22 vom 11. Juni 2015, S.901. 3 BT-Drs. 18/3990. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 6 spezifischen Fahrzeugeigenschaften bemessenden Jahresvignette oder einer Kurzzeitvignette zum Pauschalpreis von 15 Euro (10 Tage) oder 30 Euro (2 Monate) wählen (§§ 5 Abs. 1 S. 2, 7 Abs. 2, 8 InfrAG i.V.m. Abs. 1 S. 3 der Anlage zu § 8 InfrAG). Für im Ausland zugelassene Kraftfahrzeuge gilt die bei Erwerb der Vignette ausgegebene Buchungsbestätigung als Bescheid (§ 5 Abs. 1 S. 4 InfrAG). Der Vignettenerwerb soll entsprechend der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung4 entweder im Internet oder an Einbuchungsstellen beispielsweise an Tankstellen erfolgen können. Für die Einzelheiten zur Mitwirkung der Infrastrukturabgabeschuldner bei der Erhebung der Infrastrukturabgabe nach § 5 Abs. 5 S. 2 InfrAG wird das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in § 5 Abs. 5 S. 3 InfrAG ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Einzelheiten zu regeln. Zeitgleich mit Erlass des InfrAG wurde durch die Neufassung des § 9 Kraftfahrzeugsteuergesetz (KfzStG5) für inländische Kfz eine ermäßigte Jahressteuer (Steuerentlastungsbetrag) beschlossen.6 Die Aufnahme von Steuerentlastungsbeträgen in das KfzStG begründet die Bundesregierung damit , dass die Halter von in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Pkw oder Wohnmobilen bereits über die Zahlung der Kraftfahrzeugsteuer zur Finanzierung des Bundesfernstraßennetzes beitragen und mit den Steuerentlastungsbeträgen sichergestellt werden soll, dass den Haltern von in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Pkw oder Wohnmobilen keine zusätzlichen Belastungen auferlegt werden7 bzw. damit eine doppelte Belastung durch die gleichzeitige Kraftfahrzeugsteuer- und Infrastrukturabgabenpflicht vermieden wird.8 Die Infrastrukturabgabe soll als elektronische Vignette (E-Vignette) erhoben werden (§ 5 Abs. 1 S. 1InfrAG). Die Fahrtberechtigung ist mit dem amtlichen Kraftfahrzeugkennzeichen verknüpft, das nach Entrichtung der Infrastrukturabgabe im System freigeschaltet wird. Für die weiteren Einzelheiten wird auf das InfrAG9 sowie ergänzend hierzu auf den diesbezüglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 11. Februar 201510 und die Beratungen des Deutschen Bundestages, insbesondere die Beschlussempfehlung und den Bericht des federführenden Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (15. Ausschuss) vom 25. März 2015,11 verwiesen . 4 BT-Drs. 18/3990, S. 20. 5 Kraftfahrzeugsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 2002 (BGBl. I S. 3818). 6 BGBl. I 2015, S. 901. 7 BT-Drs. 18/3990, S. 18. 8 BT-Drs. 18/3991, S. 10. 9 BGBl. I 2015, S. 904. 10 BT-Drs. 18/3990. 11 BT-Drs. 18/4455. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 7 2.2. Änderung des KfzStG Der Übergang von der vorwiegend steuerfinanzierten Infrastruktur im Bereich der Bundesfernstraßen zur überwiegend nutzerfinanzierten Infrastruktur soll bei den Kraftfahrzeugsteuerpflichtigen nicht zu einer finanziellen Doppelbelastung bei der Einführung einer Infrastrukturabgabe führen.12 Eine solche Doppelbelastung bestünde bei der Einführung einer Infrastrukturabgabe mit dem Ziel eines Übergangs von der steuerfinanzierten zur nutzerfinanzierten Infrastruktur im Bereich der Bundesfernstraßen bei Haltern von inländischen und ausländischen Fahrzeugen, die der Kfz-Steuerpflicht unterliegen. Um eine solche Doppelbelastung beim Übergang von einer steuerfinanzierten zu einer nutzerfinanzierten Infrastruktur im Bereich der Bundesfernstraßen zu vermeiden, wird im KfzStG ein Steuerentlastungsbetrag für Kraftfahrzeuge, die in den Anwendungsbereich der Infrastrukturabgabe fallen, berücksichtigt. Konkret wurden mit dem 2. Verkehr- StÄndG insbesondere die folgenden Änderungen des KfzStG vorgenommen: Gemäß Art. 1 Nr. 2. VerkehrStÄndG wird § 1 Abs. 1 Nr. 2 KfzStG wie folgt gefasst: „2. das Halten von ausländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen, solange die Fahrzeuge sich im Inland befinden. Ausgenommen hiervon sind ausschließlich für den Güterkraftverkehr bestimmte und verwendete Kraftfahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit einem verkehrsrechtlich zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3 500 Kilogramm, die nach Artikel 5 der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (ABl. L 187 vom 20.7.1999, S. 42), die zuletzt durch die Richtlinie 2013/22/EU (ABl. L 158, S. 356) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen sind;“ Gemäß Art. 1 Nr. 7 2. VerkehrStÄndG wird § 9 KfzStG wird wie folgt geändert: a) In Absatz 3 Satz 1 wird der Satzteil vor Nummer 1 wie folgt gefasst: „Für ausländische Fahrzeuge beträgt die Steuer für jeden ganz oder teilweise im Inland zugebrachten Kalendertag“. b) Folgende Absätze 6 bis 8 werden angefügt: „(6) Für inländische Kraftfahrzeuge ermäßigt sich die Jahressteuer (Steuerentlastungsbetrag ) bei 1. Personenkraftwagen je 100 Kubikzentimeter Hubraum oder einem Teil davon, a) wenn sie mindestens die verbindlichen Grenzwerte nach Zeile B Fahrzeugklasse M der Tabellen in Nummer 5.3.1.4 des Anhangs I der Richtlinie 70/220/EWG in der bis 1. Januar 2013 geltenden Fassung einhalten und angetrieben werden 12 Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des 2. VerkehrStÄndG, BT-Drs. 18/3991, S. 10. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 8 aa) durch Fremdzündungsmotoren um 2 Euro, bb) durch Selbstzündungsmotoren um 5 Euro, b) wenn sie die Anforderungen nach Buchstabe a nicht erfüllen und angetrieben werden aa) durch Fremdzündungsmotoren um 6,50 Euro, bb) durch Selbstzündungsmotoren um 9,50 Euro, insgesamt jedoch um nicht mehr als 130 Euro; 2. Wohnmobilen je 200 Kilogramm verkehrsrechtlich zulässigem Gesamtgewicht oder einem Teil davon um 16 Euro, insgesamt jedoch um nicht mehr als 130 Euro; 3. Personenkraftwagen und Wohnmobilen mit a) zugeteiltem Oldtimer-Kennzeichen um 130 Euro, b) zugeteiltem Saisonkennzeichen für jeden Tag der Gültigkeitsdauer um den auf ihn entfallenden Bruchteil des Jahresbetrags nach den Nummern 1 bis 3 Buchstabe a. (7) Für ausländische Personenkraftwagen und Wohnmobile ermäßigt sich die Steuer nach Absatz 3 Nummer 1 und 2 um einen Steuerentlastungsbetrag von jeweils 0,35 Euro für jeden ganz oder teilweise im Inland zugebrachten Kalendertag. (8) Vom Steuerentlastungsbetrag nach den Absätzen 6 und 7 ausgenommen sind Personenkraftwagen und Wohnmobile 1. mit roten Kennzeichen im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 4, 2. von Fahrzeughaltern im Sinne des § 3a Absatz 2, 3. als Elektrofahrzeuge im Sinne des Absatzes 2.“ Gemäß Art. 1 Nr. 12 lit. f) 2. VerkehrStÄndG wird § 18 KfzStG folgender Absatz 13 angefügt: „(13) Steuerentlastungsbeträge nach § 9 Absatz 6 und 7 ist § 18 Absatz 1 Satz 2 nicht anzuwenden “ Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 9 Zu den weiteren Einzelheiten wird auf das 2. VerkehrStÄndG13 sowie ergänzend hierzu auf den diesbezüglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 11. Februar 201514 und die Beratungen des Deutschen Bundestages, insbesondere die Beschlussempfehlung und der Bericht des federführenden Finanzausschusses (7. Ausschuss) vom 25. März 2015,15 verwiesen. 2.3. Rechtliche Einordnung der Infrastrukturabgabe und des Steuerentlastungsbetrags 2.3.1. Infrastrukturabgabe Das InfrAG zielt ab auf die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr in Form einer Infrastrukturabgabe . Bei Straßenbenutzungsgebühren ist zunächst begrifflich zwischen zeitabhängigen Gebühren (Vignette) und entfernungsabhängigen Gebühren (Maut) zu unterscheiden.16 Das InfrAG sieht eine zeitabhängige Zahlungspflicht und damit die Einführung eines Vignettensystems für bestimmte Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t vor. Gebühren sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken.17 Das gilt entsprechend für Beiträge, die im Unterschied zu Gebühren schon für die potentielle Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Leistung erhoben werden.18 Durch Beiträge sollen die Personen, die aus einer öffentlichen Einrichtung einen besonderen wirtschaftlichen Nutzen ziehen oder ziehen können, an den Kosten ihrer Errichtung und Unterhaltung beteiligt werden.19 Die Infrastrukturabgabe soll für die Nutzung der Bundesfernstraßen20 bzw. bei einer Nutzung durch nicht in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gemäß § 1 Abs. 2 InfrAG nur für die Nutzung von Bundesautobahnen entrichtet werden. Entsprechend ihrem materiellen Gehalt entspricht sie einer nichtsteuerlichen Abgabe mit Gegenleistungscharakter im Sinne des Ausgleichs 13 BGBl. I 2015, S. 901. 14 BT-Drs. 18/3991. 15 BT-Drs. 18/4448. 16 Vgl. Beck, Autobahnmaut und Europarecht, NZV 2014, S. 289, 289; Hering, Die Pkw-Maut in der Europäischen Union, SVR 2012, S. 329, 329 ff. sowie zum Begriff der Maut Art. 2 lit. b und lit. c der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. 1999 L 187/42, idF ABl. 2011 L 269/1. 17 Vgl. BVerfGE 50, 217 (226); 92, 91 (115); 110, 370 (388); 132, 334 (349). 18 Vgl. BVerfGE 9, 291 (297 f.); 92, 91 (115);110, 370 (388); 113, 128 (148). 19 BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014, - 1 BvR 668/10 - u.a., Rn. 52 mit Verweis auf BVerfGE 14, 312 (317). 20 Vgl. § 1 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz vom 6. August 1953 (BGBl. I S. 903), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 31. Mai 2013 (BGBl. I S. 1388). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 10 eines spezifischen Sondervorteils.21 In einem früheren Entwurf des BMVI für ein InfrAG wurde sie definiert als eine Gebühr im Sinne der Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG, „weil sie als Zeitgebühr zur jederzeitigen Nutzung der Bundesfernstraßen während eines bestimmten Zeitraums unmittelbar berechtigt, insoweit also mit einem tatsächlich eingeräumten Vorteil korrespondiert , der im Recht zur Straßennutzung besteht. […] Die Abgabe knüpft summarisch an die tatsächliche Nutzung an.“22 Gemäß der Darlegung in dem BMVI-Entwurf für ein InfrAG könne offen bleiben, „inwieweit die Straßen vom einzelnen Abgabepflichtigen – je nach seinem privaten Entschluss – später wirklich befahren werden oder die tatsächliche Nutzung des ihm eingeräumten Rechts in seinem persönlichen Fall potenziell bleibt. Die Gebühr wird hierdurch noch nicht im abgaberechtlichen Sinn zu einem Beitrag. Selbst wenn man aber insoweit einen Beitrag unterstellen würde, hätte der Bund aufgrund seiner Annexkompetenz für den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr grundsätzlich auch die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung eines Beitrages.“ 2.3.2. Steuerentlastungsbetrag 2.3.2.1. Kfz-steuerliche Behandlung inländischer Fahrzeuge Gegenstand der Kfz-Steuerpflicht ist einerseits das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KfzStG). Ein Fahrzeug ist dann ein inländisches , wenn es unter die im Inland maßgebenden Vorschriften über das Zulassungsverfahren, d.h. die Regelungen der StVZO fällt (§ 2 Abs. 3 KfzStG). Steuerschuldner ist bei inländischen Fahrzeugen die Person, für die das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (§ 7 Nr. 1 KfzStG). Bemessungsgrundlage der Kfz-Steuer sind in der Regel die Schadstoff- und Kohlendioxidemissionen bzw. die Kohlendioxidemissionen und der Hubraum des jeweiligen Fahrzeugs (§ 8 KfzStG), auf die ein spezifischer Steuersatz Anwendung findet (§ 9 KfzStG). Die Steuer wird, wenn der Zeitpunkt der Beendigung der Steuerpflicht nicht feststeht, unbefristet, in allen anderen Fällen für einen bestimmten Zeitraum oder tageweise festgesetzt (§ 13 KfzStG). Inländische Kfz sind in den Fällen der § 3 Nr. 1 bis 10 KfzStG wegen der besonderen Zweckbestimmung des Fahrzeugs sowie in den Fällen der §§ 3a bis 3d KfzStG wegen der besonderen Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs von der Steuer befreit; § 4 KfzStG begründet eine Erstattung der Steuer bei Beförderungen von Fahrzeugen mit der Eisenbahn. Sofern die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nicht (mehr) vorliegen, dauert die Kfz-Steuerpflicht bei einem inländischen Fahrzeug grundsätzlich solange, wie das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 KfzStG). 2.3.2.2. Kfz-steuerliche Behandlung ausländischer Fahrzeuge Gegenstand der Kfz-Steuerpflicht ist zudem das Halten von ausländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen, solange die Fahrzeuge sich im Inland befinden und nicht aus- 21 Vgl. BVerfGE 108, 1 (13); 108, 186 (212); 110, 370 (384); 113, 128 (145 f.); 124, 348 (364). 22 BMVI, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen . Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 11 schließlich im Sinne der Richtlinie 1999/62/EG für den Güterverkehr bestimmt und in einem anderen EU-Mitgliedstaat zugelassen sind (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 KfzStG). Ein Fahrzeug gilt als ausländisches Fahrzeug, wenn es im Zulassungsverfahren eines anderen Staates zugelassen ist (§ 2 Abs. 4 KfzStG). Steuerschuldner ist bei einem ausländischen Fahrzeug die Person, die das Fahrzeug im Inland nutzt (§ 7 Nr. 2 KfzStG). Bemessungsgrundlage der Kfz-Steuer sind wie bei inländischen Fahrzeugen in der Regel die Schadstoff- und Kohlendioxidemissionen bzw. die Kohlendioxidemissionen und der Hubraum des jeweiligen Fahrzeugs (§ 8 KfzStG), auf die ein spezifischer Steuersatz Anwendung findet (§ 9 Abs. 3 KfzStG). Die Steuer wird, wenn der Zeitpunkt der Beendigung der Steuerpflicht nicht feststeht, unbefristet, in allen anderen Fällen für einen bestimmten Zeitraum oder tageweise festgesetzt (§ 13 KfzStG).23 Ausländische Pkw und ihre Anhänger, die zum vorübergehenden Aufenthalt in das Inland gelangen , sind vorbehaltlich der Ausnahmen in § 3 Nr. 13 S. 2 KfzStG für die Dauer bis zu einem Jahr von der Kfz-Steuer befreit (§ 3 Nr. 13 S. 1 KfzStG). Sofern die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nicht (mehr) vorliegen, dauert die Kfz-Steuerpflicht bei einem ausländischen Fahrzeug grundsätzlich solange, wie sich das Fahrzeug im Inland befindet (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 KfzStG). Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) kann die Erhebung der Steuer bei ausländischen Fahrzeugen zudem bis zu einem Jahr aussetzen, sobald mit dem Staat, in dem die Fahrzeuge zugelassen sind, Verhandlungen über ein Abkommen zum gegenseitigen Verzicht auf die Kfz- Steuer aufgenommen worden sind (§ 16 KfzStG). 2.3.2.3. Wirkung des Steuerentlastungsbetrages Die in Art. 1 Nr. 7 lit. b 2. VerkehrStÄndG als Steuerentlastungsbetrag legaldefinierte Ermäßigung der Jahressteuer für inländische Kfz zur Vermeidung einer Doppelbelastung von in- und ausländischen Kfz-Haltern ist Teil der Bestimmungen zur Festlegung des Steuersatzes gemäß § 9 Kfz- StG. Der Steuerentlastungsbetrag lässt das Entstehen der Kfz-Steuerpflicht unberührt. Er führt jedoch dazu, dass sich die Steuer, d.h. die anfallende Steuerschuld im Rahmen der jeweiligen Kfz- Steuerpflicht im Falle des Bestehens einer Infrastrukturabgabenpflichtigkeit24 bei inländischen Fahrzeugen um einen in der Höhe der jeweils zu entrichtenden Infrastrukturabgabe entsprechenden Betrag, bei ausländischen Fahrzeugen um einen Tagessatz in Höhe von 0,35 Euro, ermäßigt.25 23 Zur Besteuerung von ausländischen Fahrzeugen siehe auch §§ 10 bis 17 KraftStDV, zu den Steuersätzen § 9 Abs. 3 KfzStG , zur Entrichtung § 11 KfzStG. 24 Art. 1 Nr. 12 lit. f) 2. VerkehrStÄndG, § 18 Abs. 13 KfzStG-E. 25 2. VerkehrStÄndG, S. 14. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 12 3. Unionsrechtliche Vorgaben 3.1. Zur Einführung von Straßenbenutzungsgebühren Straßenbenutzungsgebühren unterfallen dem Regelungsbereich der gemeinsamen Verkehrspolitik gem. Art. 90 ff. AEUV.26 Die EU besitzt auf dem Gebiet der Verkehrspolitik die geteilte Zuständigkeit (Art. 4 Abs. 2 lit. g Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Das bedeutet , dass die Mitgliedstaaten bis zu einer Regelung durch die EU für diese Materie die Regelungskompetenz besitzen. Maßgeblich ist also, inwieweit die EU auf dem Gebiet der Straßenbenutzungsgebühren bereits tätig geworden ist. 3.1.1. Sekundärrecht Beim derzeitigen Stand des Unionsrechts fällt die Regelung von Straßenbenutzungsgebühren für Kfz bis zu 3,5 t Gesamtgewicht in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Union hat in diesem Bereich von ihrer geteilten Zuständigkeit in der Verkehrspolitik bislang keinen Gebrauch gemacht .27 Sekundärrechtlich regelt die Richtlinie 1999/62/EG28 die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge. Ihr Anwendungsbereich erfasst nur die Benutzung größerer Straßen (Autobahnen und andere mehrspurige Straßen) durch Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t (Art. 2 lit d RL 1999/62). Die Richtlinie erklärt Straßenbenutzungsgebühren für zulässig und legt Mindestsätze für die Kfz-Steuer und Höchstsätze für die Benutzungsgebühren fest. Dabei folgt die Richtlinie dem Nutzerprinzip: die Mitgliedstaaten können die Entgelte für die Infrastruktur auf die Nutzer entfernungsabhängig (Maut) umlegen. Daneben ist aber auch die zeitabhängige Benutzungsgebühr (Vignette) bis zu einem bestimmten Höchstsatz erlaubt. Die Mautgebührensätze können unter der Bedingung der Ertragsneutralität nach Maßgabe der Fahrzeugemissionsnormen und der Verkehrslage (Stauneigung ) alle zwei Jahre angepasst werden. Diese Richtlinie wurde im Jahr 2006 mit dem Ziel geändert ,29 Regeln für die Berechnung anlastbarer Infrastrukturkosten aufzustellen. Dadurch wurde in Bergregionen ein Mautaufschlag um bis zu 25 % zur Mitfinanzierung alternativer Infrastrukturen möglich. Mit der Novelle wurde auch eine Bestimmung in Bezug auf spezifische Gebühren eingeführt , mit der der Umweltverschmutzung und Staus entgegengewirkt werden soll. 26 Vgl. Mückenhausen, in: Lenz/Borchardt, Art. 90 AEUV, Rn. 5. 27 Vgl. die Mitteilung der Kommission vom 14. Mai 2012 über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge, KOM(2012) 199 endg, S. 3. 28 Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. L 187/42, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONS- LEG:1999L0062:20070101:DE:PDF; vgl. auch Richtlinie 93/89/EWG des Rates vom 25. Oktober 1993 über die Besteuerung bestimmter Kraftfahrzeuge zur Güterbeförderung sowie die Erhebung von Maut- und Benutzungsgebühren für bestimmte Verkehrswege durch die Mitgliedstaaten, ABl. L 279/32, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31993L0089&qid=1406555292243&from=DE sowie EuGH, Rs. C-21/94 (Parlament/Rat) zur Nichtigkeit der Richtlinie 93/89/EWG. 29 Richtlinie 2006/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2006, ABl. L 157/8, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2006:157:0008:0023:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 13 3.1.2. Stellungnahmen der Kommission 3.1.2.1. Weißbücher und Mitteilungen Für den Bereich des Individualverkehrs mit Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t enthält das Unionsrecht keine speziellen Regelungen. Nach dem Weißbuch der Kommission aus dem Jahre 1999, in dem sie die binnenmarktkonforme Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für schwere Nutzfahrzeuge und für den gewerblichen Personenverkehr empfohlen hat, soll die Erhebung von Gebühren für den privaten PKW-Verkehr aus Gründen der Subsidiarität wegen der geringen grenzüberschreitenden Auswirkungen den Mitgliedstaaten überlassen bleiben .30 In ihrem Weißbuch vom 28. März 2011 hat die Kommission die Schaffung eines EU-Rahmens für die Innenstadt-Maut sowie die Entwicklung und Validierung von Rahmenbedingungen für Straßenbenutzungsgebühren angekündigt.31 In ihrer Mitteilung „über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge “ vom 14. Mai 201232 will die Kommission mit den von ihr vorgeschlagenen Leitlinien die Mitgliedstaaten unterstützen, solche Systeme von Straßenbenutzungsgebühren einzuführen , die nicht zu einer mit dem europäischen Recht unvereinbaren Diskriminierung von EU- Ausländern führen. Hierbei konkretisiert die Kommission ihren Standpunkt dahingehend, dass entfernungsabhängige Mautsysteme vorzugswürdig seien. Bei Einführung von zeitabhängigen nationalen Vignettensystemen müssten zusätzlich zu Jahres- und Monatsvignetten Vignetten für eine Woche oder kürzere Nutzungsphasen angeboten werden. Eine Kurzzeitvignette sollte im Vergleich zur Jahresvignette zu einem verhältnismäßigen Preis angeboten werden.33 Die bei Kurzzeitvignetten entstehenden höheren Verwaltungskosten könnten zwar Berücksichtigung finden; Kurzzeitvignetten dürften allerdings nicht unverhältnismäßig teurer als Langzeitvignetten sein. Aus Sicht der Kommission seien die Bestimmungen in Art. 7a Abs. 1 der Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Preisgestaltung für Kurzzeit- und Langzeitvignetten entsprechend auch für PKW-Vignetten heranzuziehen.34 Nach diesem Prüfungsmaßstab hält die Kommission eine Bemessung des Tagespreises für nicht Gebietsansässige in einer 30 Weißbuch – Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung: Ein abgestuftes Konzept für einen Gemeinschaftsrahmen für Verkehrsinfrastrukturgebühren in der EU, KOM(1999) 466 endg., S. 15. 31 Weißbuch – Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrsraum, KOM(2011) 144 end., Ziff. 32, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0144:FIN:DE:PDF; vgl. hierzu Schröer/Kullick, Auf dem Weg zur City-Maut, NZBau 2012, S. 760. 32 Mitteilung der EU-Kommission vom 14. Mai 2012 über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge, KOM(2012) 199 endg., S. 3, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=COM:2012:0199:FIN:DE:PDF. 33 KOM(2012) 199 S. 8. 34 KOM(2012) 199, S. 8. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 14 Größenordnung zwischen dem 2,5-fachen und dem 8,2-fachen des von Gebietsansässigen erhobenen Preises für zulässig.35 Weitere Vorgaben der Kommission betreffen Anforderungen an die Bereitstellung von Informationen und die diskriminierungsfreie Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren . Die Mitgliedstaaten sollen hiernach für nicht Gebietsansässige leicht zugängliche, klare Informationen zu den Straßenbenutzungsgebühren sowie verschiedene Zahlungsoptionen bereitstellen.36 Ergänzend zu den Weißbüchern und Stellungnahmen der Kommission hat sich der ehemalige EU-Kommissar Kallas in seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom 8. Oktober 201337 zu der grundsätzlichen Möglichkeit der Einführung von angemessenen Nutzungsgebühren für alle Nutzer bei gleichzeitiger Senkung der Kraftfahrzeugsteuern für gebietsansässige Nutzer geäußert.38 3.1.2.2. Zusammenfassung Zusammenfassend geben die Weißbücher, Mitteilungen und Stellungnahme der Kommission Hinweise darauf, wie nach ihrer Auffassung die Bemessung der Gebühren für die Straßennutzung , die Art der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren sowie die Verfolgung von Rechtsverstößen gegen Regelungen zur Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren unionsrechtskonform ausgestaltet werden könnten. Auch konkrete Stellungnahmen der Kommission präjudizieren jedoch nicht die Unionsrechtskonformität späterer Maßnahmen.39 3.2. Zur Ausgestaltung der nationalen Kfz-Steuersysteme Die Kfz-Steuer ist in Deutschland entsprechend ihrer gesetzestechnischen Ausgestaltung eine Verkehrssteuer und zählt als solche zu den direkten Steuern.40 Aus Sicht des Unionsrechts besteht insbesondere wegen der erheblichen Unterschiede entsprechender Steuern und Abgaben in 35 Pressemitteilung der Kommission vom 14. Mai 2012, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-12- 471_de.htm. 36 KOM(2012) 199, S. 8 f. 37 Anfrage zur schriftlichen Beantwortung an die Kommission Artikel 117 der Geschäftsordnung Michael Cramer (Verts/ALE) vom 8. Oktober 2013, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=- //EP//TEXT+WQ+P-2013-011520+0+DOC+XML+V0//DE, 38 Antwort vom 28. Oktober 2013 abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers.do?reference =P-2013-011520&language=DE. 39 EuGH, Rs. C-415/93 (Bosman), Rn. 136. 40 BFH, Urteil von 27. Juni 1973, II R 179/71, BStBl. II 1973, S. 808 f.; BFH, Beschluss vom 13. Juli 2000, VII B 120/00 –, juris. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 15 den Mitgliedstaaten sowohl hinsichtlich ihrer Struktur als auch ihrer Höhe keine einheitliche Typisierung ,41 jedoch wird die an die Nutzung anknüpfende Besteuerung eines Fahrzeugs regelmäßig dem Bereich der indirekten Steuer zugeordnet.42 Ungeachtet der konkreten Typisierung fallen Regelungen im Bereich der Besteuerung von Kraftfahrzeugen grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.43 Eine Ausnahme besteht derzeit nur hinsichtlich einer Angleichung der mitgliedstaatlichen Kfz-Steuersätze durch die Richtlinie 1999/62/EG für Nutzfahrzeuge im Güterverkehr mit einem Gesamtgewicht von mindestens 3,5 t. Im Hinblick auf Pkw, kleine Lieferwagen und Fahrzeuge zum gewerblichen Personentransport sind die Kfz-steuerlichen Vorschriften hingegen auf europäischer Ebene grundsätzlich nicht harmonisiert.44 Eine Ausnahme hiervon stellen die Richtlinien 83/182/EWG45 und 2009/55/EG46 über potenzielle Steuerbefreiungen für die vorübergehende oder dauerhafte Verbringung bestimmter Fahrzeuge dar. Es steht den Mitgliedstaaten daher – abgesehen vom Bereich der Mehrwertsteuer – frei, ihre Steuerhoheit in Bezug auf Zulassungs- und/oder Kfz-Steuern für 41 Vgl. die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Besteuerung von Personenkraftwagen in der Europäischen Union - Handlungsmöglichkeiten auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene, KOM(2002) 431 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52002DC0431&qid=1418660492717&from=DE. 42 Vgl. EuGH, Rs. C-451/99 (Cura), Rn. 40; GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-302/12 (X), Rn. 21 ff. 43 Vgl. BVerfGE 89, 155 (181 ff.); 123, 267 (359 ff.); 129, 124 (177); 130, 318 (343). 44 Zu entsprechenden Harmonisierungsvorschlägen in den Bereichen der Kfz-Steuer und der Zulassungssteuern vgl. den Vorschlag der Europäischen Kommission vom 10. Februar 1998 für eine Richtlinie des Rates zur steuerlichen Behandlung von privaten Kraftfahrzeugen, die im Zusammenhang mit einer Verlegung des Wohnsitzes auf Dauer in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden oder die vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Zulassung benutzt werden, KOM(1998), 30 endg, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:51998PC0030&qid=1418639037750&from=DE; Vorschlag der Europäischen Kommission vom 5. Juli 2005 für eine Richtlinie des Rates über die Besteuerung von Personenkraftwagen, KOM(2005) 261 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52005PC0261&qid=1418639170915&from=DE; Vorschlag der Europäischen Kommission vom 4. April 2012 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinfachung der Verbringung von in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Kraftfahrzeugen innerhalb des Binnenmarkts , KOM(2012) 164 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012PC0164&qid=1418639338826&from=DE. 45 Richtlinie 83/182/EWG des Rates vom 28. März 1983 über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel, ABl. L 105/59, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01983L0182- 20130701&qid=1418637682168&from=DE. 46 Richtlinie 2009/55/EG des Rates vom 25. Mai 2009 über Steuerbefreiungen bei der endgültigen Verbringung persönlicher Gegenstände durch Privatpersonen aus einem Mitgliedstaat, ABl. L 145/36, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009L0055&qid=1418654566508&from=DE. Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist jedoch dahingehend eingeschränkt, dass Abgaben für die Benutzung des Fahrzeugs gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. c) von der Befreiung ausgenommen sind, vgl. zur Vorgängervorschrift (Richtlinie 83/183/EWG) vgl. EuGH, Rs. C-365/02 (Lindfors), Rn. 24 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 16 Personenkraftwagen auszuüben, solange diese Steuern mit dem Unionsrecht im Einklang stehen .47 Dementsprechend fallen die vom 2. VerkehrStÄndG erfassten Regelungen im Rahmen des Kraft- StG mangels unionsrechtlicher Harmonisierung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. 4. Vereinbarkeit der Vorschläge zur Einführung einer Infrastrukturabgabe und zur Reform des KfzStG mit dem Unionsrecht Das Unionsrecht steht der Einführung einer Infrastrukturabgabe für Pkw sowie einer Änderung des KfzStG grundsätzlich nicht entgegen. Zwar liegt die Zuständigkeit für den konkreten Bereich der Verkehrspolitik sowie für die direkten Steuern und damit auch die Zuständigkeit für die Ausgestaltung der Kfz-Steuer bei den Mitgliedstaaten. Diese müssen ihre Zuständigkeiten aber unter Wahrung des Unionsrechts ausüben und dabei insbesondere die allgemeinen und besonderen Diskriminierungsverbote beachten.48 4.1. Unionsrechtliche Diskriminierungs- und Schlechterstellungsverbote Die potenzielle Ausgestaltung der Infrastrukturabgabe ist mit Blick auf die unterschiedlichen Kfz- Nutzungsarten für Verkehrsunternehmer wie beispielsweise Kurierdienste oder Personenbeförderungen an der sog. Stillhalteklausel des Art. 92 AEUV zu messen (hierzu 4.1.1.). Für die Nutzung eines Kfz im Rahmen anderer wirtschaftlicher Tätigkeiten sind die Grundfreiheiten (hierzu 4.1.2.) sowie für sonstige, primär nichtwirtschaftliche Kfz-Nutzungen das allgemeine Diskriminierungsverbot gem. Art. 18 AEUV (hierzu 4.1.3.) einschlägig. 4.1.1. Art. 92 AEUV Art. 92 AEUV enthält ein spezielles Diskriminierungsverbot für den Verkehrssektor. Es betrifft Verkehrsunternehmer, d.h. Personen, die am Verkehr teilnehmen und dabei einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, die spezifisch auf die Nutzung der Straße als Transportweg bezogen ist.49 Für die Eigenschaft als Verkehrsunternehmer ist auf die generelle Zweckbestimmung des Fahrzeugs unabhängig vom Verwendungszweck im Einzelfall abzustellen.50 Eine Verkehrsunternehmereigenschaft besteht dabei insbesondere dann, wenn sich die wirtschaftliche Tätigkeit spezifisch auf die Nutzung der Straße als Transportweg bezieht und der entgeltliche Transport von 47 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-578/10 und C-580/10 (van Putten u.a.), Rn. 37 m.w.N.; EuGH, Rs. C-302/12 (X), Rn. 23. 48 Vgl. EuGH, Rs. C-319/02 (Manninen), Rn. 19; EuGH, Rs. C-293/06 (Deutsche Shell), Rn. 30 ff.; EuGH, Rs. C- 337/08 (X Holding), Rn. 18 f.; EuGH, Rs C-282/12 (Itelcar), Rn. 26 sowie Hufeld, Steuerstaat als Staatsform in Europa, in: Depenheuer u.a. (Hrsg.), Staat im Wort: Festschrift für Josef Isensee, 2007, S. 857 (862). Für die Betroffenheit von Bürgern des Europäischen Wirtschaftsraumes (ABl. 1994 L 1/3 ff.) und von Staaten, mit denen die EU ein Assoziationsabkommen geschlossen hat, vgl. Vöneky/ Beylage-Haarmann, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union II, 44. EL 2011, Art. 217 AEUV, Rn. 73. 49 Vgl. Kainer/Ponterlitschek, Einführung von nationalen Straßenbenutzungsgebühren für Pkw: Verstoß gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot?, ZRP 2013, S. 198 (200). 50 Vgl. EuGH, Rs. C-193/98 (Pfennigmann), Rn. 38. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 17 Waren oder Personen der eigentliche Geschäftszweck der Tätigkeit ist.51 Zudem findet Art. 92 AEUV nur Anwendung, soweit der konkrete Verkehrsunternehmer nicht vom Anwendungsbereich der oben beschriebenen Sekundärrechtsakte erfasst wird, welche insoweit abschließend sind.52 Dementsprechend sind von Art. 92 AEUV insbesondere gewerbliche Bustransporte oder Warentransporte mit Kfz unter 3,5 t erfasst.53 4.1.1.1. Tatbestand des Art. 92 AEUV Auf Grundlage von Art. 91 AEUV kann die EU Regelungen für eine gemeinsame Verkehrspolitik treffen.54 Die Kompetenz im Verkehrsbereich bleibt dabei eine zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilte, so dass die Mitgliedstaaten eigene Regelungen erlassen können, solange und soweit die Union ihre Zuständigkeiten nicht ausgeübt hat (Art. 2 Abs. 2 S. 2 AEUV). Damit die Mitgliedstaaten von ihrer dementsprechenden Zuständigkeit in unionsrechtskonformer Weise Gebrauch machen, sieht Art. 92 AEUV bestimmte Grenzen vor. Danach dürfen die Mitgliedstaaten im Sinne eines Verschlechterungsverbots ihre zum Beitrittszeitpunkt geltenden Vorschriften bis zum Erlass der in Art. 91 Abs. 1 AEUV genannten Vorschriften nicht dahingehend ändern, dass sie die wettbewerbliche Stellung von Verkehrsunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmen verschlechtern.55 Die Mitgliedstaaten dürfen ihre nationalen Regeln in ihren unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmern nicht ungünstiger gestalten, sofern der Rat nicht einstimmig eine Ausnahmeregelung hiervon bewilligt. Verboten ist demnach nicht nur die schlechtere Behandlung ausländischer gegenüber inländischen Verkehrsunternehmen, sondern schon der Abbau bestehender Vorteile für ausländische Verkehrsunternehmen.56 Verboten sind solche Maßnahmen, die alleine oder in 51 EuGH, Rs. C-193/98 (Pfennigmann), Rn. 28 f. 52 Hof, Straßenverkehrsabgaben und Europarecht, 1998, S. 200; Knauff, Transportrecht, in: Ruffert (Hrsg.), EnzEuR Band 5, 2014, § 6, Rn. 62 ff. 53 Für die Reichweite des Schlechterstellungsverbots nach Art. 92 AEUV für im Personenkraftverkehr tätige Verkehrsunternehmen vgl. Verordnung (EG) Nr. 12/98 des Rates vom 11. Dezember 1997 über die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Personenkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie ansässig sind, ABl. L 4/10, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:1998:004:0010:0014:DE:PDF. 54 Für Bestimmungen über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege vgl. beispielsweise die Richtlinie 1999/62/EG, oben 3.1.1. 55 EuGH, Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 30; Basedow, Zum Verstoß des StrBG gegen EWGVtr Art. 76, JZ 1992, 870 (872). 56 EuGH, Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 12 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 18 Kombination miteinander bewirken, dass sich die Situation für Verkehrsunternehmer aus anderen Mitgliedstaaten im Vergleich zu inländischen Verkehrsunternehmern im Sinne einer Besserbehandlung der Inländer verändert.57 4.1.1.2. Gebotene weite Auslegung des Art. 92 AEUV Mit Blick auf die unveränderte Rechtsprechung des EuGH und seine Befugnis zur verbindlichen Auslegung des Unionsrechts ist – vorbehaltlich einer ausdrücklichen Änderung der EuGH-Rechtsprechung – auch weiterhin von einer weiten Auslegung des Tatbestandes des Art. 92 AEUV und nicht lediglich von einem bloßen Verbot der Diskriminierung von Verkehrsunternehmen anderer Mitgliedstaaten auszugehen. Auch die in der rechtswissenschaftlichen Literatur geäußerten Bedenken 58 gegen einen weiten Anwendungsbereich lassen keine andere, restriktivere Auslegung des Art. 92 AEUV durch den EuGH erwarten. Hierfür sind insbesondere mit Blick auf den unveränderten Normzweck des Art. 92 AEUV keine rechtlichen Anhaltspunkte ersichtlich. Vielmehr gebietet der Normzweck des Art. 92 AEUV auch angesichts eines fortentwickelten Integrationsstandes im Bereich der Verkehrspolitik eine weite Auslegung des Schutzbereichs.59 Die Stillhalteklausel des Art. 92 AEUV soll verhindern, „dass die Einführung der gemeinsamen Verkehrspolitik durch den Rat dadurch erschwert oder behindert wird, dass ohne Billigung des Rates nationale Maßnahmen erlassen werden, die unmittelbar oder mittelbar bewirken würden, dass die Lage, in der sich in einem Mitgliedstaat die Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten befinden, im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmen in einem für erstere ungünstigeren Sinne verändert wird“.60 Dabei genügt nach Ansicht des EuGH für den Verstoß gegen Art. 92 AEUV, dass eine nationale Vorschrift die ausländischen Verkehrsunternehmen schwerer trifft als die inländischen.61 Den Mitgliedstaaten bleibt jedoch der Erlass solcher Maßnahmen unbenommen, die sich für die inländischen Verkehrsunternehmen und die Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten gleich ungünstig auswirken – mithin nicht nur der bloße 57 EuGH, Rs C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 23 ff.; vgl. hierzu Korte/Gurrek, EuR 2014, S. 420 (429) sowie Zabel, NVwZ 2015, S. 186 (188).Zur Kritik an der Rechtsprechung vgl. Jung, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl., 2011, Art. 92, Rn. 5 f. m.w.N. 58 Vgl. für eine Überholung der Auslegung des Art. 92 AEUV durch den EuGH aufgrund der Fortentwicklung des Unionsrechts vgl. Kainer/Ponterlitschek, ZRP 2013, S. 198 (199) sowie Hillgruber, Rechtsgutachten vom 17. Oktober 2014 über die Vereinbarkeit der Einführung einer Infrastrukturabgabe für Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen auf dem deutschen Bundesfernstraßennetz mit dem Recht der Europäischen Union, erstattet im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, abrufbar unter http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/Strasse/infrastrukturabgabe-gutachten .pdf?__blob=publicationFile (im Folgenden: Hillgruber, Gutachten), S. 12 ff. 59 Vgl. hierzu Korte/Gurrek, EuR 2014, S. 420 (429 ff.) sowie Zabel, NVwZ 2015, S. 186 (188 f.) 60 EuGH, Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 20. 61 EuGH, Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 20. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 19 Abbau einer bestehenden Begünstigung, sondern auch die Einführung einer für in- und ausländische Verkehrsunternehmer gleichermaßen geltenden Belastung.62 4.1.2. Grundfreiheiten Sofern die Nutzung eines Kfz von bis zu 3,5 t Gesamtgewicht nicht in den Anwendungsbereich des Art. 92 AEUV fällt, kann sich die unionsrechtliche Zulässigkeit der Einführung einer Infrastrukturabgabe und eines hierauf bezogenen Kfz-Steuerentlastungsbetrags nach den europäischen Grundfreiheiten bemessen. Die Grundfreiheiten gewährleisten die grenzüberschreitende Mobilität von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital als maßgebliche Normen zur Verwirklichung des Binnenmarkts und mit dem Ziel, einen grenzüberschreitenden Wettbewerb zu ermöglichen.63 Demnach sind Marktzugangsbeeinträchtigungen und sonstige Beschränkungen wirtschaftlicher Tätigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten sowie unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verboten, sofern die Beeinträchtigung bzw. die mittelbare Diskriminierung nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten setzt voraus, dass die grenzüberschreitende Infrastrukturnutzung im Zusammenhang mit einer unselbstständigen Tätigkeit, einer Dienstleistungserbringung oder einem Warentransport steht. Infrastrukturabgaben können den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten für Pkw-Fahrten im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr berühren und sowohl grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse (Art. 45 AEUV) wie auch grenzüberschreitende Dienstleistungen (Art. 56 AEUV) weniger attraktiv machen. Schließlich könnte die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV) beim Transport von Waren mit kleinen Nutzfahrzeugen unter 3,5t Gesamtgewicht betroffen sein. In Abgrenzung zu Art. 92 AEUV setzt die Anwendung der Grundfreiheiten voraus, dass die Leistungserbringung mit Hilfe der Verkehrsteilnahme erfolgt und die Verkehrsteilnahme nur Mittel zum Zweck ist. Im Bereich der Dienstleistungsfreiheit sieht Art. 58 Abs. 1 AEUV eine Ausnahme vom Anwendungsbereich dieser Grundfreiheit auf dem Gebiet des Verkehrs, d.h. die Nutzung der typischen Verkehrsträger und damit auch der Straße zum Zwecke der Leistungserbringung vor, um den Besonderheiten dieses Wirtschaftssektors und insbesondere seiner hohen Infrastrukturabhängigkeit gerecht zu werden.64 Wenn die Verkehrsteilnahme jedoch nicht im Zentrum der Tätigkeit steht, sondern nur Mittel zum Zweck der eigentlichen Leistungserbringung ist, so kann auch der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet sein.65 62 EuGH, Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 21; vgl. hierzu Korte/Gurrek, EuR 2014, S. 420 (429 f.) sowie Zabel, NVwZ 2015, S. 186 (188 f.). 63 EuGH, Rs C-28/09 (Kommission/Österreich), Rn. 113; vgl. Müller-Graff, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht, 2013, A I, Rn. 128. 64 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 58 AEUV, Rn. 4. 65 Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union II, 44. EL, 2011, Art. 58 AEUV, Rn. 5. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 20 4.1.3. Allgemeines Diskriminierungsverbot, Art. 18 AEUV Für den Fall, dass die Nutzung eines Kfz weder unter Art. 92 AEUV, noch in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten fällt und die grenzüberschreitende Straßennutzung gegenüber dem Regelfall der grenzüberschreitenden Nutzung keine Bezüge zum Wirtschaftsleben aufweist, greift das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV aus Gründen der Staatsangehörigkeit.66 Art. 18 AEUV untersagt jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Neben der offenen Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet Art. 18 AEUV auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer, nicht unmittelbar auf die Staatsangehörigkeit abstellender Unterscheidungsmerkmale, die typischerweise nur Ausländer oder Inländer erfüllen und damit tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen.67 Anwendbar ist das Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV nur im Anwendungsbereich der Verträge, d.h. insbesondere bei der Ausübung der durch Art. 20 und 21 AEUV geschützten Freiheit der Unionsbürger , sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten.68 Vor diesem Hintergrund fordert das allgemeine Diskriminierungsverbot gem. Art. 18 AEUV die grundsätzliche Gleichbehandlung von inländischen Haltern mit im EU-Ausland ansässigen Haltern sowohl hinsichtlich der Bemessung der Gebühren für die Nutzung deutscher Straßen, der Art und Weise der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren sowie der Verfolgung von Rechtsverstößen gegen Regelungen zur Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren. 4.2. Bestehen einer mittelbaren Diskriminierung ausländischer Infrastrukturnutzer 4.2.1. Allgemeine Maßstäbe Die Prüfungsmaßstäbe des Diskriminierungsverbots im Rahmen der Grundfreiheiten und des allgemeinen Diskriminierungsverbots entsprechen einander, so dass die folgenden Ausführungen zum Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung für beide Schutzbereiche entsprechend gelten. Die Vorschriften über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der EU verbieten Diskriminierungen, die unmittelbar an die Staatsbürgerschaft anknüpfen. Darüber hinaus verbieten sie auch alle versteckten, verschleierten, mittelbaren und indirekten Formen der Diskriminierung , die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen.69 Dies trifft insbesondere auf Maßnahmen zu, die eine Unterscheidung anhand solcher Kriterien treffen, die für alle gelten, von Ausländern faktisch aber nicht oder nur 66 EuGH, Rs. C-85/96 (Martinez Sala), Rn. 62; EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Rn. 31; EuGH, Rs. C-403/03 (Schempp), Rn. 15 ff.; EuGH, Rs. C-103/08 (Gottwald), Rn. 23 f. 67 EuGH, Rs. C-388/01 (Kommission/Italien). 68 EuGH, Rs C-103/08 (Gottwald), Rn. 23 ff.; EuGH, Rs C-382/08 (Neukirchinger), Rn. 32 ff.; EuGH, Rs. C-148/02 (Garcia Avello), Rn. 24; EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Rn. 33; EuGH, Rs. C-158/07 (Förster), Rn. 37. 69 EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 26; EuGH, Rs. C-29/95 (Pastoors und Trans-Cap), Rn. 16; EuGH, Rs. C-224/00 (Kommission/Italien), Rn. 15; EuGH, Rs. C-28/04 (Tod’s und Tod’s France), Rn. 19; EuGH, Rs. C- 73/08 (Bressol), Rn. 29. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 21 schwer erfüllt werden können bzw. sich hauptsächlich zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirken.70 Zudem kann eine Diskriminierung darin bestehen, dass unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt werden oder dass dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird.71 Für den hier relevanten Bereich des (Kfz-)Steuerrechts ist ergänzend anzumerken, dass die Mitgliedstaaten mangels entsprechender Harmonisierungsmaßnahmen jenseits der Richtlinie 1999/62/EG für die Kfz-Besteuerung zuständig bleiben. Hierbei verlangt das Unionsrecht nicht, dass die Ausübung einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat oder die Verlagerung der Tätigkeit dorthin als denjenigen, in dem bislang die Tätigkeit ausgeübt worden ist, hinsichtlich der Besteuerung neutral ist.72 Zwar können die Mitgliedstaaten – unionsrechtlich veranlasst73 oder im Rahmen von bi- und multilateralen Abkommen74 zur Beseitigung und Vermeidung einer Doppelbesteuerung – Vorgaben für die Aufteilung der Steuerhoheit in Bezug auf Kfz festlegen.75 Die Mitgliedstaaten sind aber nicht verpflichtet, ihr eigenes Steuersystem den verschiedenen Steuersystemen der anderen Mitgliedstaaten anzupassen, um namentlich Doppelbesteuerungen zu beseitigen .76 Bezogen auf die Kfz-Steuerpflichtigkeit bedeutet dies, dass beispielsweise eine Erhebung der Kfz-Steuer in zwei Mitgliedstaaten auch dann mit der Richtlinie 83/182/EWG vereinbar ist, wenn in beiden Staaten eine im Wesentlichen dauerhafte Nutzung festzustellen und somit die Doppelbelastung aus der doppelten Benutzung nationaler Straßennetze gerechtfertigt ist.77 Nachteile, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene aus der parallelen 70 EuGH, Rs. C-224/97 (Ciola), Rn. 14; EuGH, Rs. C-388/01 (Kommission/Italien), Rn. 14. 71 EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 30; EuGH, Rs. C-391/97 (Gschwind), Rn. 21; EuGH, Rs. C-147/03 (Kommission /Österreich), Rn. 41 ff.; EuGH, Rs. C-385/12 (Hervis Sport- és Divatkereskedelmi Kft.), Rn. 30. 72 Vgl. EuGH, Rs. C-365/02 (Lindfors), Rn. 34; EuGH, Rs. C-240/10 (Schulz-Delzers), Rn. 42. 73 Vgl. die Entscheidung des Rates vom 13. Mai 1965 über die Harmonisierung bestimmter Vorschriften, die den Wettbewerb im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr beeinflussen, 65/271/EWG, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31965D0271&rid=1; Richtlinie 83/182/EWG des Rates vom 28. März 1983 über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel, ABl. L 105/59, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01983L0182-20130701&qid=1418637682168&from=DE. 74 Für bilaterale Abkommen vgl. beispielsweise das Gesetz vom 17. Dezember 1970 zu dem Abkommen vom 3. November 1969 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die steuerliche Behandlung von Straßenfahrzeugen im internationalen Verkehr, BGBl. II 1970, 1318. Für multilaterale Abkommen vgl. das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen vom 18. Mai 1956 über die Besteuerung von Straßenfahrzeugen zum privaten Gebrauch im internationalen Verkehr vom 19. Dezember 1960, BGBl. II, S. 2397. 75 EuGH, Rs. C-303/12 (Imfeld und Garcet), Rn. 41; EuGH, Rs. C-451/99 (Cura), Rn. 40. 76 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-302/12 (X), Rn. 48. 77 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-302/12 (X), Rn. 45 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 22 Ausübung der Besteuerungsbefugnisse der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, stellen keine Beschränkungen beispielsweise der Grundfreiheiten dar. Jedoch müssen die nationalen Kfz-Steuersysteme insgesamt diskriminierungsfrei ausgestaltet sein.78 4.2.2. Diskriminierende Wirkung der Vermeidung einer Doppelbelastung 4.2.2.1. Überwiegend negative Betroffenheit von EU-Ausländern Zunächst stellt sich die Frage, ob die vorgesehene Vermeidung einer Doppelbelastung dazu führt, dass sich die Infrastrukturabgabe stärker auf Ausländer als auf Inländer auswirken kann. 4.2.2.1.1. Isolierte Betrachtung von InfrAG und KfzStG Die geplante Infrastrukturabgabe betrifft inländische und ausländische Kfz-Halter gleichermaßen und damit letztlich alle Autofahrer ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. Sie knüpft gemäß § 1 Abs. 1 InfrAG nicht an die Kfz-Haltereigenschaft, sondern an die Nutzung der Bundesfernstraßen an. Für sich genommen ist die Infrastrukturabgabe somit nicht diskriminierend ausgestaltet, weil inländische und ausländische Nutzer von Bundesfernstraßen gemäß § 1 InfrAG gleichermaßen die Abgabe zu entrichten haben.79 Der im KfzStG vorgesehene Steuerentlastungsbetrag in der Kfz-Steuer bezieht sich ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fahrzeughalters auf das Bestehen einer Kfz-Steuerpflicht im Inland. Steuergegenstand ist das Halten eines inländischen oder ausländischen Fahrzeugs zum Verkehr auf öffentlichen Straßen im Inland (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KfzStG). Dabei knüpft der Begriff des Haltens bei inländischen Fahrzeugen an die straßenverkehrsrechtliche Zulassung des Fahrzeugs, bei ausländischen Fahrzeugen an die Nutzung des Fahrzeugs im Inland an (vgl. § 5 Abs. 1, § 7 Nr. 1 und 2 KfzStG). Die Kfz-Steuerpflicht im Inland und dementsprechend auch der Steuerentlastungsbetrag betreffen mit Blick auf die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 13 KfzStG regelmäßig nur inländische Kfz im Sinne von § 2 Abs. 3 KfzStG bzw. inländische Steuerschuldner gemäß § 7 Nr. 1 KfzStG. Für Halter von ausländischen Kfz findet der Steuerentlastungsbetrag nur insoweit Anwendung, wie sie im Inland Kfz-steuerpflichtig sind. Dies beruht auf dem Umstand, dass ausländische Fahrzeughalter, deren Fahrzeuge nur zum vorübergehenden Aufenthalt in das Inland gelangen, insbesondere wegen der Kfz-Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 13 KfzStG in der Regel nicht im Inland Kfz-steuerpflichtig sind. Sofern Halter von ausländischen Kfz jedoch im Inland Kfz-steuerpflichtig werden, wird ebenfalls ein – in der Höhe regelmäßig günstigerer – Steuerentlastungsbetrag gewährt.80 Vor diesem Hintergrund ist auch der im KfzStG vorgesehene Steuerentlastungsbetrag für sich genommen nicht diskriminierend ausgestaltet. 78 EuGH, Rs. C-157/10 (Banco Bilbao Vizcaya Argentaria), Rn. 38. 79 Vgl. EuGH, Rs. C-464/02 (Kommission/Dänemark), Rn. 78; EuGH, verb. Rs. C-578/10 und C-580/10 (van Putten u.a.), Rn. 50; EuGH, Rs. C-114/11 (Notermans-Boddenberg), Rn. 27. 80 § 9 Abs. 7 KfzStG. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 23 4.2.2.1.2. Gesamtbetrachtung von InfrAG und KfzStG Während sowohl die Infrastrukturabgabe als auch der Steuerentlastungsbetrag für sich genommen nicht diskriminierend ausgestaltet sind, erfordert eine Verbindung beider Maßnahmen eine Neubewertung im Rahmen einer Gesamtschau, da sich die gemeinsame Wirkung beider Maßnahmen von der Wirkung der einzelnen Maßnahme unterscheiden kann.81 Zwar sind die Regelungen der geplanten Infrastrukturabgabe nicht untrennbar mit der Kfz-Steuer verbunden. Die Kfz-Steuerpflichtigkeit und die Infrastrukturabgabenpflichtigkeit entstehen unabhängig voneinander. So befreit beispielsweise die Entrichtung der Kfz-Steuer nicht von der Pflicht zur Zahlung der Abgabe. Wird jedoch die Bemessung der konkreten Kfz-Steuerschuld um einen mit der Höhe der Infrastrukturabgabe oder pauschal korrespondierenden Steuerentlastungsbetrag ermäßigt, um so wirkungsgleich die Infrastrukturabgabe für im Inland Kfz-Steuerpflichtige zu kompensieren, steht die Einführung eines Steuerentlastungsbetrags in einem unmittelbaren zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit der Erhebung der Abgabe, so dass sie – rechtlich komplex – objektiv im Sinne einer Maßnahmenkombination miteinander verkoppelt82 sind und wertungsmäßig als Einheit erscheinen.83 Dies bekräftigen auch die Begründungen der Bundesregierung zu den Gesetzentwürfen für das InfrAG84 und für das 2. VerkehrStÄndG85, indem ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass Steuerentlastungsbeträge im KfzStG aufgenommen werden sollen, um zusätzliche , über die Kfz-Steuer hinausgehende Belastungen für Halter von in Deutschland zugelassenen Pkw oder Wohnmobilen bei einem Übergang zu einer primär nutzerbasierten Infrastrukturfinanzierung durch die Infrastrukturabgabe zu vermeiden.86 Auch wenn die Belastungsentscheidung des InfrAG und die Entlastungsentscheidung im KfzStG in unterschiedlichen Gesetzen verankert werden, führt ihre Konnexität mithin dazu, dass beide Maßnahmen zusammen zu betrachten und zu bewerten sind. 4.2.2.1.3. Folgerungen für das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung Die Gesamtbetrachtung von InfrAG und KfzStG lässt erkennen, dass die Erhebung der Infrastrukturabgabe bei gleichzeitiger Anwendung eines Steuerentlastungsbetrags dazu führt, dass von der 81 GA Jacobs, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-195/90, Rn. 25; EuGH, Rs. C-385/12 (Hervis Sport- és Divatkereskedelmi Kft.), Rn. 34 ff.; vgl. auch Hillgruber, Gutachten, S. 42 f. 82 Hillgruber, Gutachten, S. 43. 83 Vgl. Boehme-Neßler, Pkw-Maut für EU-Ausländer?, NVwZ 2014, S. 97 (101). 84 BT-Drs. 18/3990, S. 18 f. 85 BT-Drs. 18/3991, S. 10. 86 Für einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Einführung einer Infrastrukturabgabe und einer gleichzeitigen Kfz-Steuerentlastung streitet auch eine Protokollerklärung zum Kabinettsbeschluss zu den Gesetzentwürfen , in der Presseberichten zufolge versichert wird, dass die Infrastrukturabgabe nicht dazu führen wird, dass sich die Belastungen für deutsche Autofahrer erhöhen werden, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 17. Dezember 2014, S. 6; Der Tagesspiegel vom 17. Dezember 2014, S. 4. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 24 Infrastrukturabgabe überwiegend EU-Ausländern betroffen sind bei gleichzeitiger Begünstigung der im Inland Kfz-Steuerpflichtigen. Zwar ist die Differenzierung für eine Steuerermäßigung anhand der Kfz-Steuerpflichtigkeit im Inland in formaler Hinsicht neutral. Sie wirkt sich aber im Ergebnis bei einer Gesamtbetrachtung von InfrAG und KfzStG in der Regel zum Nachteil von ausländischen Nutzern der Bundesfernstraßen aus: Die deutsche Kfz-Steuerpflichtigkeit dürfte regelmäßig und im Schwerpunkt im Inland ansässige Kfz-Halter betreffen, da die die Besteuerung auslösende Zulassung eines Kraftfahrzeugs regelmäßig im Wohnsitzstaat des Halters erfolgt. Ausländische Infrastrukturnutzer sind hingegen regelmäßig im Ausland Kfz-steuerpflichtig bzw. im Inland aufgrund der unionsrechtlich oder bilateral veranlassten Steuerbefreiung nicht Kfz-steuerpflichtig . Im Gegensatz zu den im Inland Kfz-Steuerpflichtigen korrespondiert mit ihrer Infrastrukturabgabenpflicht keine Entlastungsmöglichkeit. Da somit durch die an die Kfz-Steuerpflichtigkeit im Inland anknüpfende Kompensation der Infrastrukturabgabe durch einen Steuerentlastungsbetrag im Regelfall nur Ausländer negativ betroffen sind, ist tatbestandlich von einer mittelbaren diskriminierenden Wirkung der Infrastrukturabgabe in Verbindung mit dem Steuerentlastungsbetrag im Rahmen der Kfz-Steuer auszugehen. 4.2.2.2. Bestehen einer objektiv vergleichbaren Situation Gegen das tatbestandliche Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung ließe sich einwenden, dass sich inländische und ausländische Infrastrukturnutzer angesichts des Charakters und des Zwecks von InfrAG und KfzStG nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation befinden und ihre unterschiedliche, an die Kfz-Steuerpflicht anknüpfende Behandlung somit keine mittelbare Diskriminierung darstellt.87 Für die Zwecke des Vergleichs der Situation der Steuer- bzw. Abgabenpflichtigen sind die spezifischen Merkmale der betreffenden Steuer bzw. Abgabe zu berücksichtigen . Bei einer Steuervergünstigung, die Gebietsfremden nicht gewährt wird, könnte umgekehrt dann eine Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen von Steuerpflichtigen als Diskriminierung angesehen werden, wenn in Bezug auf die fragliche Steuer bzw. Abgabe kein objektiver Unterschied zwischen den beiden Gruppen von Steuer- bzw. Abgabenpflichtigen besteht, der eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte.88 4.2.2.2.1. Objektiv vergleichbare Situation im Rahmen des InfrAG und KfzStG Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass sich die inländischen und ausländischen Infrastrukturnutzer in Bezug auf das InfrAG in einer vergleichbaren Situation befinden, nicht aber inländische und ausländische Kfz-Halter in Bezug auf das KfzStG: Die Infrastrukturabgabe wird gem. § 1 Abs. 1 InfrAG aufgrund der Nutzung der Bundesfernstraßen und nicht aufgrund der vermuteten Leistungsfähigkeit des von der Kfz-Steuerpflicht betroffenen Kfz-Steuerpflichtigen erhoben. Inländische und ausländische Infrastrukturnutzer befinden 87 Vgl. EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 37; EuGH, Rs. C-383/05 (Talotta), Rn. 19; EuGH, Rs. C-527/06 (Renneberg ), Rn. 59. 88 EuGH, Rs. C-107/94 (Asscher), Rn. 42; EuGH, Rs. C-234/01 (Gerritse), Rn. 27; EuGH, Rs. C-346/04 (Conijn), Rn. 20. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 25 sich somit im Hinblick auf die Nutzung der infrastrukturpflichtigen Bundesfernstraßen in einer objektiv vergleichbaren Situation. Belastungsgrund der Kfz-Steuer als Verkehrssteuer ist die an das Halten eines Kfz im Inland anknüpfende vermutete Leistungsfähigkeit der Kfz-Halter.89 Insofern befinden sich inländische und ausländische Kfz-Halter prima facie dann nicht in einer objektiv vergleichbaren Situation, wenn das betreffende Kfz bereits im Ausland zugelassen ist, dort bereits das Halten besteuert wird und – entsprechend dem Gedanken des § 3 Nr. 13 KfzStG – nur zum vorübergehenden Aufenthalt ins Inland gelangt, während das Bereithalten von inländischen Kfz zum Verkehr auf öffentlichen Straßen regelmäßig auf Dauer angelegt ist. 4.2.2.2.2. Auswirkung der Kfz-Steuerbefreiung für ausländische Kfz-Halter Eine objektiv unterschiedliche Situation zwischen inländischen und ausländischen Kfz-Haltern könnte insbesondere daraus resultieren, dass ausländische Kfz-Halter zwar grundsätzlich steuerpflichtig , aber gem. Art. 3 Nr. 13 KfzStG von der Steuer befreit sind und somit nicht von einem Steuerentlastungsbetrag profitieren können, solange die Befreiung besteht und soweit sie reicht.90 Hieraus ließe sich folgern, dass eine mittelbare Diskriminierung durch die Nichtanwendung des Steuerentlastungsbetrages einerseits und die Betroffenheit von der Infrastrukturabgabe als Infrastrukturnutzer andererseits mangels objektiver Vergleichbarkeit der Situation inländischer und ausländischer Kfz-Halter bereits tatbestandlich abzulehnen ist. Insofern ließe sich argumentieren, dass die (weitgehende) Kfz-Steuerbefreiung ausländischer Kfz-Halter im Verhältnis zu inländischen Fahrzeughaltern eine Begünstigung darstellt, die mit der Einführung einer Infrastrukturabgabe und einem korrespondierenden Steuerentlastungsbetrag im Rahmen der Kfz-Steuer lediglich effektiv verringert wird.91 Dementsprechend könnte der (Teil-)Entzug des Vorteils keine (diskriminierende) Nachteilszufügung bedeuten, da die Anrechnung der Infrastrukturabgabe auf die Kfz-Steuer nicht dazu führe, dass sich der Halter eines in Deutschland Kfz-Steuerpflichtigen im Ergebnis besser stehe als ein von dieser Steuer befreiter Halter eines im EU-Ausland zugelassenen Kfz.92 Dieser Auffassung ist zuzugeben, dass dem Grunde nach steuerpflichtige, jedoch von der Steuer befreite ausländische Personen nicht schlechter gestellt werden dürfen als diejenigen, die der Besteuerung im Aufnahmemitgliedstaat unterliegen. Jedoch sind für einen Vergleich der Situation der Steuer- bzw. Abgabenpflichtigen die spezifischen Merkmale der betreffenden Steuer bzw. 89 Vgl. hierzu unten 4.2.2.3.2. 90 Hillgruber, Gutachten, S. 44. 91 Hillgruber, Gutachten, S. 44. 92 Hillgruber, Gutachten, S. 44 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 26 Abgabe zu berücksichtigen, und es muss in Bezug auf die konkrete Steuer bzw. Abgabe ein objektiver Unterschied bestehen.93 Insofern ist auch bei einer insgesamt gebotenen Gesamtbetrachtung auf die spezifischen Merkmale der jeweiligen Steuer bzw. Abgabe abzustellen. Im Hinblick auf den Belastungsgrund der Kfz-Steuer und die Feststellung einer objektiv vergleichbaren Situation im Rahmen des KfzStG ist zu berücksichtigen, dass auch ausländische Kfz- Halter, die das deutsche Straßenverkehrsnetz nutzen und damit im Inland grundsätzlich Kfzsteuerpflichtig werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 KfzStG), für ihr Fahrzeug eine entsprechende Zulassung von der zuständigen Stelle ihres Heimatmitgliedstaates bedürfen.94 An diese Zulassung ist regelmäßig eine Zulassungs- und Kfz-Steuerpflicht im Herkunftsmitgliedstaat geknüpft.95 Eine wirksame Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 13 KfzStG setzt voraus, dass eine entsprechende Steuerpflicht dem Grunde nach in einem anderen Mitgliedstaat besteht.96 Dementsprechend entfällt die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 13 S. 2 KfzStG, wenn die Fahrzeuge der entgeltlichen Beförderung von Personen oder Gütern dienen oder für diese Fahrzeuge ein regelmäßiger Standort im Inland begründet ist.97 Ein spezifisches Merkmal der Kfz-Steuerbefreiung von im EU-Ausland zugelassenen Kfz liegt dabei in der Verwirklichung der Ziele der Richtlinie 83/182/EWG, die Mobilität der Unionsbürger zu erleichtern und dabei zugleich sowohl eine Nullbesteuerung als auch eine Doppelbesteuerung zu vermeiden.98 Hierzu zielt die Richtlinie auf eine Abgrenzung der potenziell konkurrierenden Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten ab, indem maßgeblich auf die Bestimmung des „gewöhnlichen Wohnsitzes“99 des potenziell Steuerpflichtigen abgestellt wird. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Besteuerungsrechte im Hinblick auf vorübergehend 100 eingeführte Fahrzeuge dem Mitgliedstaat zugewiesen werden, auf dessen Gebiet sie im Wesentlichen dauerhaft benutzt werden sollen oder tatsächlich benutzt werden.101 93 EuGH, Rs. C-169/08 (Regione Sardegna), Rn. 35; EuGH, Rs. C-527/06 (Renneberg), Rn. 60. 94 Vgl. §§ 1, 2 Abs. 4 KfzStG, § 1 Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl. I S. 310, 919), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. November 2014 (BGBl. I S. 1802); § 20 Fahrzeug-Zulassungsverordnung vom 3. Februar 2011 (BGBl. I S. 139), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 30. Oktober 2014 (BGBl. I S. 1666). 95 Vgl. KOM(2012) 756 endg., S. 2 sowie hierzu SWD(2012) 429 endg., Anhang IV. 96 Vgl. Art. 1 Abs. 4 lit. a Richtlinie 83/182/EWG. Sofern eine solche gültige Zulassung nicht besteht, liegen auch die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gemäß §§ 2 Abs. 4, 3 Abs. 13 KfzStG nicht vor. 97 Vgl. hierzu BT-Drs. 18/3991, S. 13 f. 98 Art. 1 Abs. 4 lit. b) Richtlinie 83/182/EWG. 99 Art. 3 lit a), aa) und Art. 4 Abs. 1 lit. a) aa) Richtlinie 83/182/EWG, zum Begriff des gewöhnlichen Wohnsitzes vgl. EuGH, Rs. C-262/99 (Louloudakis), Rn. 55. 100 Für die – vorliegend mit Blick auf die zeitliche Grenze von einem Jahr gem. § 3 Nr. 13 KfzStG nicht zentrale – Steuerbefreiungen bei der endgültigen Verbringung persönlicher Gegenstände durch Privatpersonen aus einem Mitgliedstaat vgl. die Richtlinie 2009/55/EG des Rates vom 25. Mai 2009, ABl. L 145/36, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009L0055&qid=1418654566508&from=DE. 101 EuGH, verb. Rs. C-578/10 und C-580/10 (van Putten u.a.), Rn. 46 f. m.w.N. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 27 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Kfz-Steuerbefreiung von ausländischen Kfz-Haltern im Inland nicht primär als ein von Deutschland gewährter Steuervorteil dar, der durch die Einführung einer Infrastrukturabgabe und eines Steuerentlastungsbetrags effektiv verringert wird.102 Vielmehr dient die Steuerbefreiung der Abgrenzung der nationalen Steuerbefugnisse in der EU, um trotz einer nicht bestehenden Harmonisierung in dem Bereich eine Doppelbesteuerung von Marktteilnehmern bzw. Unionsbürgern zu vermeiden und zu beseitigen. Im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie 83/182/EWG liegt der durch § 3 Nr. 13 KfzStG gewährte „Vorteil“ mithin insbesondere in der Berücksichtigung der in einem anderen Mitgliedstaat bestehenden Belastung in Bezug auf die Zulassung bzw. das Halten eines Kfz. Unter Berücksichtigung des Normzwecks und der Ziele der Richtlinie 83/182/EWG befinden sich die inländischen und ausländischen Kfz- Halter im Hinblick auf den Besitz einer erforderlichen Zulassung als Voraussetzung für das Halten eines Fahrzeugs zum Verkehr auf öffentlichen Straßen im Inland und damit hinsichtlich der grundsätzlichen Belastungsentscheidung der Kfz-Steuer in einer objektiv vergleichbaren Situation . 4.2.2.3. Saldierung der Belastungen Gegen das tatbestandliche Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung ausländischer Infrastrukturnutzer könnte vorgebracht werden, dass inländische Infrastrukturnutzer insbesondere über die Kfz-Steuer bereits zur Finanzierung der Infrastruktur beitrügen,103 während Ausländer die Infrastruktur nutzen könnten, ohne sich an den Kosten beteiligen zu müssen. Durch die Maßnahmenkombination von InfrAG und KfzStG erfolgt für die deutschen Autofahrer eine (partielle) Umstellung von einem steuer- auf ein nutzerbasiertes Finanzierungssystem, und ausländische Kfz-Fahrer werden durch die Nutzung von Bundesautobahnen zumindest teilweise an den Kosten mitbeteiligt . Vor diesem Hintergrund wird im Hinblick auf das Vorliegen einer Diskriminierung zum Nachteil von EU-Ausländern die Auffassung vertreten, dass nicht auf eine Veränderung des status quo mit stärkerer Belastung von Ausländern, sondern vielmehr auf eine Benachteiligung im Ergebnis abzustellen sei.104 Bei einer Saldierung der jeweiligen Steuer- bzw. Abgabenpflicht komme es letztlich weiterhin zu einer (partiellen) Besserstellung von EU-Ausländern, da diese lediglich durch die Infrastrukturabgabe, nicht aber (auch) durch die Kfz-Steuer belastet würden. Insofern führe eine auf das (Gesamt-)Ergebnis abstellende, wirkungsbezogene Gesamtbetrachtung der Belastungen von Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuer typischerweise nicht zu einer Benachteiligung von EU-Ausländern.105 Die Zulässigkeit einer solchen Saldierung (d.h. die Verrechnung einer steuerlichen „Vorbelastung “ von Inländern) für die Feststellung, ob im Gesamtergebnis überhaupt eine Diskriminierung vorliege, folge daraus, dass Halter von im Inland zugelassenen Kfz bereits anderweitig, nämlich 102 So auch Mayer, Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung am 18. März 2015, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, Rn. 12. 103 So die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des InfrAG, BT-Drs. 18/3990, S. 18 f. 104 Hillgruber, Gutachten, S. 45. 105 Hillgruber, Gutachten, S. 46. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 28 durch Kfz-Steuerzahlung, einen Beitrag zur Infrastrukturfinanzierung leisten würden.106 Zudem setze auch das Unionsrecht Kfz-Steuern und Straßenbenutzungsgebühren hinsichtlich ihrer Finanzierungsfunktion in eine Wechselbeziehung zueinander, die es erlaube, die gezahlte Kfz- Steuer saldierend in die Belastungsberechnung einzubeziehen.107 Denn das Unionsrecht ziele gerade auf die Einführung eines wettbewerbsorientierten und nachhaltigen, auf dem Nutzerprinzip beruhenden Verkehrssystems mit der hierfür erforderlichen Umgestaltung der verkehrsbezogenen Entgelte und Steuern ab.108 Vor diesem Hintergrund sei die „Einführung von Bemessungsfreigrenzen in § 9 KfzStG eine notwendige Nebenfolge, die keine selbständige Beschwer der Halter von im EU-Ausland zugelassenen Kfz zu begründen vermag“109. Diese Befunde würden insbesondere belegt durch „die Festlegung gleicher Mindestsätze für Kraftfahrzeugsteuern im Sinne von Art. 3 der RL 1999/62/EG durch Art. 6 Abs. 1 der RL 1999/62/EG „ungeachtet der Strukturen der Steuern “, verbunden mit der Möglichkeit, dass Maut- oder Autobahnbenutzungsgebühren beibehalten oder eingeführt werden (Erwägungsgrund 12, Art. 7 der RL 1999/62/EG). Die Kfz-Steuer kann ferner durch eine „gleichartige“ Steuer ersetzt werden, wie Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 1999/62/EG feststellt.“110 4.2.2.3.1. Maßstäbe Eine gegen die Grundfreiheiten oder das allgemeine Diskriminierungsverbot verstoßende nachteilige steuerliche Behandlung – hier die im Wesentlichen nur ausländische Infrastrukturnutzer betreffende Infrastrukturabgabe – kann grundsätzlich nicht mit anderen steuerlichen Vergünstigungen – hier die im Wesentlichen nur inländische Kfz-Halter betreffende Kfz-Steuerpflicht – gerechtfertigt werden.111 Dementsprechend lässt sich auch eine Belastung durch die Infrastrukturabgabe , die faktisch nur von ausländischen Infrastrukturnutzern zu entrichten ist, nicht gegen (vermeintliche) Steuervorteile aufrechnen, die sich für Gebietsfremde im Hinblick auf andere Steuerpflichten ergeben. Etwas anderes könnte jedoch dann gelten, wenn inländische Infrastrukturnutzer eine vergleichbare Steuer oder Abgabe mit der spezifischen Zielsetzung einer Infrastrukturfinanzierung (§ 15 InfrAG) entrichten müssten. Die Auffassung, wonach eine mittelbare Diskriminierung infolge einer zulässigen Saldierung von Kfz-Steuer und Infrastrukturabgabe bereits tatbestandlich ausgeschlossen sei, setzte voraus, dass die saldierten Positionen einander entsprechen. Dies wäre insbesondere bei einer Substituierbarkeit der Beträge infolge eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Kfz-Steuer und der Infrastrukturfinanzierung durch einander entsprechende Zweckbestimmungen der Fall. Insofern kommt es darauf an, ob die Infrastrukturabgabe und die den Steuerentlastungsbetrag ermöglichende Kfz-Steuer gleichartig sind und denselben Zielen 106 Hillgruber, Gutachten, S. 47 f. 107 Hillgruber, Gutachten, S. 48 f. 108 Hillgruber, Gutachten, S. 46, 48. 109 Hillgruber, Gutachten, S. 47. 110 Hillgruber, Gutachten, S. 48. 111 EuGH, Rs. C-385/00 (de Groot), Rn. 97; EuGH, Rs. C-182/06 (Lakebrink), Rn. 24. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 29 dienen.112 Dabei ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die unionsrechtliche Qualifizierung einer Steuer, Abgabe oder Gebühr auch mit Blick auf Blick auf den Gegenleistungscharakter für die Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung nach objektiven Merkmalen und unabhängig von ihrer Qualifizierung im nationalen Recht vorzunehmen ist.113 4.2.2.3.2. Charakter der Kfz-Steuer als Grundlage des Steuerentlastungsbetrags Belastungsgrund der Kfz-Steuer als Verkehrssteuer ist die im Halten eines Kfz zum Ausdruck kommende vermutete Leistungsfähigkeit der Kfz-Halter.114 Gegenstand der Besteuerung ist dementsprechend das Halten eines Kraftfahrzeugs im Inland zum Verkehr auf öffentlichen Straßen (§ 1 KraftStG), unabhängig von dem Ort der Kfz-Zulassung und ohne dass es hierfür einer unmittelbaren Verknüpfung mit einer öffentlichen Leistung bedürfte.115 Als Verkehrssteuer116 knüpft die Kfz-Steuer nicht an die tatsächliche Benutzung eines Fahrzeugs, sondern an den öffentlichrechtlichen Akt der Zulassung zum Straßenverkehr117 an.118 Die Kfz-Steuer war ursprünglich zur Finanzierung der Straßenunterhaltung und des Straßenbaus zweckgebunden, hat jedoch seit der Beseitigung des Systems der Reichssteuerüberweisungen ihren Charakter als Zwecksteuer verloren.119 Sie wird nicht als Äquivalent für die Kosten erhoben, die durch die Bereitstellung des Straßennetzes und der sonstigen Verkehrseinrichtungen entstehen , sondern ist vielmehr als Steuer im Sinne von § 3 AO120 eine Geldleistung, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellt. Entsprechend dem Non-Affektationsprinzip 112 EuGH, Rs. C-169/08 (Regione Sardegna), Rn. 38. 113 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-197/94 und C-252/94 (Bautiaa und Société française maritime), Rn. 39; EuGH, Rs. C-294/99 (Athinaïki Zythopoiïa), Rn. 27. 114 Vgl. Seer, Die besonderen Verbrauchsteuern und die Umsatzsteuer – ein unabgestimmtes Konglomerat, ZfZ 2013, S. 146 (148). 115 BT-Drs. 2/480, S. 109; BFH, Urteil vom 19. Mai 2010, I R 65/09, BStBl. II 2010, S. 968. 116 BVerfGE 16, 64 (73). 117 Vgl. die entsprechenden Bestimmungen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 26. April 2012, BGBl. I S. 679, zuletzt geändert durch Artikel 4 der Verordnung vom 30. Oktober 2014, BGBl. I S. 1666 sowie der Fahrzeug -Zulassungsverordnung vom 3. Februar 2011, BGBl. I S. 139, zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 30. Oktober 2014, BGBl. I S. 1666. 118 BFH, BStBl. II 1973, S. 808 f. 119 BT-Drs. 2/480, S. 73, vgl. hierzu Kraftfahrzeugsteuergesetz 1922, RGBl. I 1922, S. 396 und Kraftfahrzeugsteuergesetz 1935, RGBl. I 1935, S. 407. 120 Abgabenordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002, BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61, zuletzt geändert durch Artikel 16 des Gesetzes vom 25. Juli 2014, BGBl. I S. 1266. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 30 fließt die Kfz-Steuer zweckungebunden in den allgemeinen Haushalt und kann damit allen Ausgabenzwecken dienen.121 Erst im Rahmen des allgemeinen Haushalts werden die für den Bau und Ausbau der Bundesfernstraßen erforderlichen Finanzmittel durch den Haushaltsgesetzgeber periodisch mit dem Haushaltsgesetz beschlossen.122 Mangels Zweckbindung besteht somit keine unmittelbare Verbindung zwischen dem Steueraufkommen aus der Kfz-Steuer und der Benutzung und Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Zwar ist die Aussage, dass Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen über die Kfz- Steuer mittelbar an der Finanzierung der inländischen Verkehrsinfrastruktur beteiligt sind, dem Grunde nach zutreffend.123 Aufgrund des Non-Affektationsprinzips tragen die in Deutschland Kfz-Steuerpflichtigen jedoch im gleichen Maße zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung bei wie die Steuerpflichtigen beispielsweise im Rahmen der Umsatz- oder Versicherungssteuer. Mit anderen Worten leistet mangels einer entsprechenden Zweckbestimmung ebenso gut jeder wie kein einziger Kfz-Steuerpflichtiger mit seiner Kfz-Steuer einen unmittelbar-kausalen Beitrag zur Infrastrukturfinanzierung im Inland.124 4.2.2.3.3. Charakter der Infrastrukturabgabe Im Gegensatz zu den Einnahmen aus der Kfz-Steuer soll die Infrastrukturabgabe gem. § 15 S. 3 InfrAG „in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verwendet “ werden. Die Infrastrukturabgabe soll somit nicht zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben , sondern speziell zur Finanzierung des Straßenausbaus und damit für einen besonderen Finanzbedarf erhoben werden. Dementsprechend hat die Infrastrukturabgabe den Charakter einer 121 Vgl. § 7 S. 1 Haushaltsgrundsätzegesetz vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2398) sowie § 8 S. 1 Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2395). 122 Für die Finanzierung der Bundesfernstraßen (ohne Maut) vgl. bspw. BT-Drs. 18/2000, Anlage, Einzelplan 12, BMVI, S. 117 ff. sowie zuvor das Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2014 (Haushaltsgesetz 2014), BGBl. I S. 914, Anlage, Einzelplan 12, BMVI, S. 121 ff. Vgl. hierzu § 5 Abs. 1 Fernstraßenausbaugesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Januar 2005 (BGBl. I S. 201), zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 9. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2833) i.V.m. Art. 3 Straßenbaufinanzierungsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 912-3, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 285 der Verordnung vom 31. Oktober 2006 (BGBl. I S. 2407). 123 Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des InfrAG, BT-Drs. 18/3990, S. 18 f. 124 Vgl. dementsprechend auch BVerfG, Urteil vom 26. August 1992, 2 BvR 478/92: „Eine Steuer ist ein Finanzierungsinstrument des Staates, aus dessen Aufkommen die Staatshaushalte allgemein - ohne jede Zweckbindung - ausgestattet werden [...] Durch die strikte Trennung von Steuererhebung und haushaltsrechtlicher Verwendungsentscheidung gewinnt der Staat rechtsstaatliche Distanz und Unabhängigkeit gegenüber dem ihn finanzierenden Steuerpflichtigen und ist deshalb allen Bürgern in gleicher Weise verantwortlich. Auf der Grundlage dieser Trennung zwischen steuerlicher Staatsfinanzierung und haushaltsrechtlicher Verwendungsentscheidung ist für den einzelnen Steuerpflichtigen weder rechtserheblich noch ersichtlich, in welchen Haushalt seine Einkommensteuerzahlungen […] fließen und welchem konkreten Verwendungszweck sie innerhalb eines bestimmten Haushalts dienen.“ Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 31 Zweckabgabe für die Nutzung des öffentlichen Straßennetzes in Deutschland und entspricht somit einer Gebühr im Sinne einer nichtsteuerlichen Abgabe mit Gegenleistungscharakter zum Ausgleich eines spezifischen Sondervorteils.125 Ihr Belastungsgrund liegt in der Einbeziehung einer durch § 1 Abs. 1 InfrAG definierten Gruppe von Infrastrukturnutzern in die Finanzierung der möglichen Nutzung einer bestimmten Verkehrsinfrastruktur .126 Die Erhebung der Abgabe wird insbesondere dann gerechtfertigt, wenn sie im Rahmen der Verfolgung eines Sachzwecks geschieht, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht , wenn mit ihr nur eine homogene Gruppe belegt wird, die in einer spezifischen Beziehung (Sachnähe) zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck steht und der deshalb eine besondere Finanzierungsverantwortung zugerechnet werden kann und wenn das Abgabenaufkommen gruppennützig verwendet wird.127 4.2.2.3.4. Folgerungen für die Vermeidung einer Doppelbelastung durch einen Steuerentlastungsbetrag Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuer sind nicht gleichartig und dienen nicht denselben Zielen: Während die Einnahmen aus der Infrastrukturabgabe unmittelbar und zweckgebunden der Infrastrukturfinanzierung dienen, sind die Einnahmen aus der Kfz-Steuer Teil des allgemeinen Haushalts und finden unabhängig vom System einer nutzerfinanzierten Verkehrsinfrastruktur Verwendung . Es besteht somit kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Erträgen der Kfz- Steuer und der Infrastrukturabgabe und sie stehen im Hinblick auf die Infrastrukturfinanzierung nicht in einem Substitutionsverhältnis zueinander. Die Be- und Entlastungsentscheidungen von Kfz-Steuer (und der hierauf bezogene Steuerentlastungsbetrag) und Infrastrukturabgabe können entsprechend ihren spezifischen Funktionen – zweckgebundene Abgabe einerseits, allgemeine Steuer andererseits – nicht miteinander verkoppelt werden. Vielmehr können Saldierungen von be- und entlastenden Entscheidungen einer konkreten Zweckabgabe regelmäßig nur innerhalb des Systems der konkreten Abgabe als „in sich geschlossenes System“ erfolgen, da sie ihrer Natur nach auf eine Gruppe sowie eine konkrete Position bezogen ist. Es widerspräche dem spezifischen Belastungscharakter einer Zweckabgabe, wenn sie „finanzierungssystemübergreifend“ zu einer mit ihr korrespondierenden Entlastung in der Gesamtheit führen würde und dementsprechend verrechnet werden könnte. Diese rechtliche Bewertung einer de iure fehlenden Verrechenbarkeit von Infrastrukturabgabe und Steuerentlastung wird nicht durch die politische Entscheidung beeinflusst, die Infrastrukturabgabe für inländische Kfz-Halter durch einen entsprechenden 125 Vgl. BVerfGE 9, 291 (298); 110, 370 (384); 124, 348 (364); Birk/Eckhoff, in: Sacksofsky/Wieland, Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, 2000, S. 54 (57); Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 119 Rn. 64. 126 Grewe, Nutzerfinanzierung öffentlicher Aufgaben, Die Verwaltung 2014, S. 467 (475); „Zuwendung von Vorteilsoptionen “. 127 BVerfG, Beschluss vom 05. März 2009 - 2 BvR 1824/05, Rn. 24 mit Verweis auf BVerfGE 110, 370 (389); 113, 128 (150). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 32 Entlastungsbetrag bei der Kfz-Steuer zu kompensieren und deren Gesamtbelastung hierdurch zu reduzieren.128 Die fehlende Gleichartigkeit von der Kfz-Steuer als Grundlage eines Steuerentlastungsbetrags einerseits und der Infrastrukturabgabe andererseits wird auch nicht durch das unionsrechtliche Ziel einer Umstellung der Infrastrukturfinanzierung von einem steuer- auf ein gebührenfinanziertes System mit einer nutzer- und verursacherorientierten Belastung entkräftet, bei der vorausgesetzt und anerkannt wird, dass Kfz-Steuer und Maut- bzw. Straßenbenutzungsgebühren hinsichtlich ihrer Finanzierungsfunktion in einer Wechselbeziehung stehen.129 Diese insbesondere in der Mitteilung der Kommission vom 14. Mai 2012 „über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge“130 zum Ausdruck kommende Zielsetzung zeitigt keine rechtsverbindlichen Wirkungen für Handlungen der Mitgliedstaaten.131 Die Regelungen im Bereich der Besteuerung von Kraftfahrzeugen fallen grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten .132 Eine Ausnahme besteht derzeit nur hinsichtlich einer Angleichung der mitgliedstaatlichen Kfz-Steuersätze durch die Richtlinie 1999/62/EG für Nutzfahrzeuge im Güterverkehr mit einem Gesamtgewicht von mindestens 3,5 t. Auf diese Fahrzeuge sind dementsprechend auch die Vorgaben der Richtlinie beschränkt. Im Hinblick auf Kfz bis 3,5 t. sind die Kfz-steuerlichen Vorschriften hingegen auf europäischer Ebene (mit Ausnahme bestimmter Steuerbefreiungen ) nicht harmonisiert. Trotz wiederholter Ansätze der Kommission konnten sich die Mitgliedstaaten im Rat gerade nicht auf harmonisierende Vorgaben für die Besteuerung von kleinen Fahrzeugen einigen133 – mit der Folge einer entsprechenden Uneinheitlichkeit der Infrastrukturfinanzierung in den Mitgliedstaaten.134 Mangels unionsrechtlicher Harmonisierung im Bereich Pkw, 128 Vgl. dagegen Hillgruber, Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung am 18. März 2015, Ausschuss-Drs. 18(15)193-A, S. 11 f. 129 Hillgruber, Gutachten, S. 48 mit Verweis auf Europäische Kommission, Weißbuch Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum, 28.3.2011, KOM (2011) 144 endg. 130 Siehe hierzu oben 3.1.2.1. 131 Vgl. Thomas, Die Bindungswirkung von Mitteilungen, Bekanntmachungen und Leitlinien der EG-Kommission, EuR 2009, 423 ff. 132 Vgl. BVerfGE 89, 155 (181 ff.); 123, 267 (359 ff.); 129, 124 (177); 130, 318 (343). 133 Zu entsprechenden Harmonisierungsvorschlägen in den Bereichen der Kfz-Steuer und der Zulassungssteuern vgl. den Vorschlag der Europäischen Kommission vom 10. Februar 1998 für eine Richtlinie des Rates zur steuerlichen Behandlung von privaten Kraftfahrzeugen, die im Zusammenhang mit einer Verlegung des Wohnsitzes auf Dauer in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden oder die vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Zulassung benutzt werden, KOM(1998), 30 endg, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:51998PC0030&qid=1418639037750&from=DE; Vorschlag der Europäischen Kommission vom 5. Juli 2005 für eine Richtlinie des Rates über die Besteuerung von Personenkraftwagen, KOM(2005) 261 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52005PC0261&qid=1418639170915&from=DE; Vorschlag der Europäischen Kommission vom 4. April 2012 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinfachung der Verbringung von in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Kraftfahrzeugen innerhalb des Binnenmarkts , KOM(2012) 164 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012PC0164&qid=1418639338826&from=DE. 134 Vgl. SWD(2012) 429 endg. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 33 kleine Lieferwagen und Fahrzeuge zum gewerblichen Personentransport und der entsprechend fortbestehenden Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer nationalen (Kfz-)Steuersysteme und zur Einführung alternativer Verkehrsinfrastrukturfinanzierungssystem vermögen somit allein die Bestrebungen der Kommission in Form von Mitteilungen oder Weißbüchern nicht herbeizuführen, dass die nationalen Kfz-Steuern „hinsichtlich ihrer Finanzierungsfunktion in einer Wechselbeziehung“135 zu anderen Verkehrsinfrastrukturfinanzierungssystemen stehen. Und auch wenn die Kommission in ihren Mitteilungen und Weißbüchern anerkennt, dass die Kombination aus Kfz-Steuern und Straßennutzungsgebühren ein korrespondierendes Regelungssystem darstellt, so lässt dies die Notwendigkeit unberührt, dass die Mitgliedstaaten ein solches Regelungssystem diskriminierungsfrei ausgestalten müssen. Schließlich dürfte im Rahmen einer Saldierung einerseits zu berücksichtigen sein, dass auch Gebietsfremde insbesondere durch die Zahlung indirekter Steuern einen gewissen Beitrag zum allgemeinen Steueraufkommen im Inland leisten. Andererseits nehmen jedenfalls inländische Kfz- Halter und Infrastrukturnutzer in weitaus größerem Ausmaß als ausländische Kfz-Halter und Infrastrukturnutzer die Infrastruktur im Inland in Anspruch und profitieren davon, dass der Staat mit der Verkehrsinfrastruktur eine wesentliche Rahmenbedingung für eine Umgebung des privaten Wirtschaftens bzw. den privaten wirtschaftlichen Erfolgs schafft und erhält.136 Übertragen auf den Sachverhalt einer grenzüberschreitenden Steuer- bzw. Abgabenpflicht könnte dies darauf schließen lassen, dass es im Hinblick auf das (finanzverfassungsrechtliche) Äquivalenzprinzip grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, dass Gebietsansässige entsprechend stärker zum allgemeinen Steueraufkommen und damit auch zur Infrastrukturfinanzierung im Inland beitragen als Gebietsfremde .137 4.2.2.3.5. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass inländische Kfz-Halter lediglich mittelbar durch die Kfz-Steuer als Teil des Bundeshaushalts einen Beitrag zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung leisten . Dieser mittelbare Beitrag steht jedoch nicht in einem Substitutionsverhältnis zu einer zweckgebundenen Infrastrukturabgabe und besteht mithin unabhängig von den im Rahmen der Abgabe anfallenden Belastungen. Mangels Gleichartigkeit lassen sich beide Positionen nicht saldieren. 135 Hillgruber, Gutachten, S. 48, vgl. auch Hillgruber, Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung am 18. März 2015, Ausschuss-Drs. 18(15)193-A, S. 10 mit der Erwägung, dass Kfz-Steuer und Infrastrukturabgabe „funktional mit Blick auf die Finanzierung der Straßenverkehrsinfrastruktur wechselseitig substitutionsfähige Instrumente darstellen und deshalb eine Berücksichtigung der einzuführenden Strukturabgabe bei der Bemessung der Kfz- Steuer sachgerecht erscheint.“ 136 Vgl. GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-169/08 (Regione Sardegna), Rn. 88. Vgl. hierzu Seiler, Steuerstaat und Binnenmarkt, in: Depenheuer u.a. (Hrsg.), Staat im Wort: Festschrift für Josef Isensee, 2007, S. 875 (878 ff.); Kirchhof, Die Steuern, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdBStR V, 3. Auflage 2007, § 118, Rn. 1 ff. 137 Zur äquivalenztheoretischen Aufteilung von Besteuerungsbefugnissen zwischen den Mitgliedstaaten vgl. EuGH, Rs. C-446/03 (Marks&Spencer), Rn. 45; EuGH, Rs. C-470/04 (N), Rn. 42 sowie Schön, Besteuerung im Binnenmarkt – die Rechtsprechung des EuGH zu den direkten Steuern, IStR 2004, S. 289 (291); Hufeld, Steuerstaat als Staatsform in Europa, in: Depenheuer u.a. (Hrsg.), Staat im Wort: Festschrift für Josef Isensee, 2007, S. 857 (864 ff.). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 34 4.2.2.4. Ergebnis Die Einführung einer Infrastrukturabgabe für alle Nutzer von Bundesfernstraßen im Inland zusammen mit einem der Infrastrukturabgabe der Höhe nach entsprechenden Steuerentlastungsbetrag im Rahmen der Kfz-Steuer für im Inland Kfz-Steuerpflichtige bewirkt ein komplexes Zusammenspiel von verschiedenen Be- und Entlastungsentscheidungen mit divergierenden rechtlichen Prämissen. Dieses Infrastrukturfinanzierungssystem muss insbesondere das unionsrechtliche Verbot der mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit wahren. In diesem rechtlich komplexen Systemzusammenhang lässt die objektiv gebotene Gesamtbetrachtung der im InfrAG und im KfzStG geregelten Be- und Entlastungsentscheidungen den Schluss zu, dass die Kombination einer an sich diskriminierungsfrei ausgestalteten Infrastrukturabgabe mit der gleichzeitigen Einführung eines kompensatorisch wirkenden Steuerentlastungsbetrags im Rahmen der Kfz-Steuer eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zulasten der nicht in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Fahrzeughalter und Nutzer der deutscher Bundesfernstraßen aus anderen Mitgliedstaaten bewirkt.138 Indem die Infrastrukturabgabe „von Haltern von im Inland und Ausland zugelassenen Pkw und Wohnmobilen gleichermaßen für die Nutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen zu entrichten ist“139, würden gebietsansässige und nicht gebietsansässige Halter zwar insoweit gleich behandelt, als beide Gruppen unterschiedslos zur Entrichtung der Infrastrukturabgabe verpflichtet blieben. Aufgrund des wirkungsgleichen Steuerentlastungsbetrags entstünden für Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen und somit im Inland Kfz-Steuerpflichtige jedoch keine zusätzlichen Belastungen. Für nicht gebietsansässige Halter ohne entsprechende Kfz-Steuerpflicht im Inland ist hingegen keine entsprechende Kompensationsmöglichkeit vorgesehen. Dementsprechend würden durch die Infrastrukturabgabe insbesondere ausländische Halter mit zusätzlichen Kosten belastet. Soweit der Steuerentlastungsbetrag unmittelbar der Kompensation der von gebietsansässigen Haltern zu entrichtenden Infrastrukturabgabe dient und damit nicht Gebietsansässige eine Abgabe entrichten müssten, von der gebietsansässige Halter faktisch befreit 138 Zur Erhebung von Autobahngebühren in der Bundesrepublik Deutschland vgl. die Antwort des Parlamentarischen Staatsekretärs Börner beim Bundesminister für Verkehr auf die Forderung des bayerischen Wirtschaftsministers nach Erhebung von Autobahngebühren in der Bundesrepublik Deutschland, in: BT-Plenarprot. 5/192 vom 24. Oktober 1968, 10410 B: „[…] die Erhebung von Autobahngebühren in der Bundesrepublik Deutschland bedarf gemäß § 7 Bundesfernstraßengesetz einer gesetzlichen Regelung. Der Deutsche Bundestag hat im Jahre 1951 den § 6 des ehemaligen Reichsautobahngesetzes, der die Möglichkeit einer Festlegung von Autobahngebühren vorsah, durch Gesetz aufgehoben. Die Bundesregierung erhielt wie alljährlich auch in diesem Sommer, ausgelöst durch die Erfahrungen deutscher Urlauber im Ausland, eine Reihe von Schreiben, die die Einführung von Gebühren für Ausländer auf deutschen Autobahnen fordern. Auf Grund der Rechtslage nach Art. 7 des EWG-Vertrages und aus Gründen des unterschiedlichen Straßenbaufinanzierungssystems kann eine solche auf Ausländer beschränkte diskriminierende Gebührenerhebung nicht erfolgen.“ 139 BT-DRs. 18/3990, S. 18. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 35 wären, führte dies zu einer Besserstellung gebietsansässiger Halter gegenüber in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässigen Haltern und mithin zu einer Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der an sich gleichermaßen Infrastrukturabgabepflichtigen.140 Die mittelbare Diskriminierung kann zwar grundsätzlich dadurch relativiert werden, dass in Zukunft eine autonome Änderung der Belastungsentscheidungen im Rahmen des KfzStG oder des InfrAG getroffen wird. Diese Option wird durch den offenen Zusammenhang zwischen der beund entlastenden Entscheidungen im KfzStG bzw. im InfrAG im Hinblick auf die Möglichkeit eröffnet , den Entlastungsbetrag im Rahmen der Kfz-Steuer unabhängig von der Belastungsentscheidung des InfrAG zu ändern. Diese potenzielle – politisch von Seiten der Koalition und der Bundesregierung explizit ausgeschlossene – tatsächliche Belastung inländischer Kfz-Halter auch durch die Infrastrukturabgabe lässt jedoch die aus der Verbindung der Be- und Entlastungsentscheidungen im KfzStG und InfrAG resultierende mittelbare Diskriminierung von EU-ausländischen Infrastrukturnutzern nicht entfallen.141 4.2.3. Möglichkeit einer diskriminierenden Wirkung des Vignettenerwerbs Eine mittelbare Diskriminierung von ausländischen Kfz-Haltern, die der Infrastrukturabgabenpflicht unterfallen, könnte zudem aus den Vorgaben für den Vignettenerwerb und für die Höhe der Vignettenpreise resultieren. 4.2.3.1. Maßstäbe Im nationalen Recht folgt aus dem Gleichheitssatz für das Steuer- und Abgabenrecht der Grundsatz der Belastungsgleichheit.142 Mit Blick auf die Einordnung der Infrastrukturabgabe als Straßenbenutzungsgebühr erfordert das Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip, dass kein Missverhältnis zwischen der Gebühr und dem Wert der Straßennutzung bestehen darf.143 Eine Abgabenerhebung darf auch aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität Sachverhalte mit denselben abgabenrechtlichen Folgen typisieren und kann von übermäßigen Differenzierungsanforderungen 140 Vgl. EuGH, Rs. C-440/08 (Gielen), Rn. 44; EuGH, Rs. C-527/06 (Renneberg), Rn. 60 sowie prägnant Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 25: „Richtig ist ebenfalls, daß Artikel 76 die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr, die deutsche und nichtdeutsche Verkehrsunternehmen gleichermaßen trifft, nicht von vornherein verbietet, da deren Lage nach den deutschen Rechtsvorschriften im Verhältnis zueinander unverändert bliebe. Die Verbindung zweier Maßnahmen kann jedoch auch dann gegen den Vertrag verstoßen, wenn jede für sich betrachtet rechtmäßig ist, da sich die gemeinsame Wirkung beider Maßnahmen von der Wirkung jeder einzelnen Maßnahme unterscheiden kann.“ 141 Vgl. Mayer, Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung am 18. März 2015, Ausschuss-Drs. 18(15)193-F, Rn. 17 f. 142 Vgl. BVerfGE 117, 1 (30); 124, 235 (244); BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561/12 u.a. -, Rn. 121. 143 Vgl. BVerfGE 50, 217 (226); 91, 207 (223); Langeloh, DÖV 2014, S. 365, 367. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 36 absehen. Die Vorteile der Typisierung müssen jedoch im rechten Verhältnis zu der mit ihr verbundenen wirtschaftlich ungleichen Wirkung auf die Abgabepflichtigen stehen.144 Zwingende unionsrechtliche Vorgaben für eine verhältnismäßige Ausgestaltung eines Vignettensystems für Pkw bestehen nicht. Jedoch findet der Grundsatz der steuer- und abgabenrechtlichen Belastungsgleichheit unionsrechtlichen Rückhalt im Diskriminierungsverbot und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.145 Dementsprechend müssen die Vignettenpreise zur Vermeidung von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit insbesondere dergestalt verhältnismäßig gestaffelt ausgestaltet sein, dass die Abgabe ihrer Höhe nach proportional zur Dauer der abgabenentsprechenden Verwendung des Fahrzeugs in dem Staat ist.146 Konkrete Anhaltspunkte zu einer verhältnismäßigen und diskriminierungsfreien Ausgestaltung der Vignettenpreise ergeben sich aus entsprechenden Vorschlägen der Kommission.147 Danach kann dies dadurch erfolgen, dass ein Vignettensystem mindestens drei Arten (wöchentliche, monatliche und jährliche Vignetten) umfasst.148 Auch wenn ein gewisser Unterschied zwischen den durchschnittlichen Tagespreisen für Langzeit- und Kurzzeitvignetten nach Ansicht der Kommission gerechtfertigt ist,149 sollte der durchschnittliche Preis pro Tag (Tagesäquivalent) der Vignette mit der kürzesten Gültigkeitsdauer nicht außer Verhältnis zum durchschnittlichen Preis pro Tag bezogen auf die Vignette mit der längsten Gültigkeitsdauer (d.h. also der Jahresvignette) stehen, da andernfalls Ausländer, die typischerweise nur kurzzeitig das deutsche Straßennetz nutzen, in ungerechtfertigter Weise benachteiligt würden.150 Danach sei es beispielsweise noch verhältnismäßig , wenn der durchschnittliche Tagespreis für einen ausländischen Kfz-Halter nicht um mehr 144 Vgl. BVerfGE 99, 280 (290); 110, 274 (292); 116, 164 (182 f.); 120, 1 (30); 123, 1 (19); 127, 224 (246). 145 Vgl. EuGH, Rs. C-54/99 (Eglise scientologique), Rn. 18; EuGH, Rs. C-9/02 (de Lasteyrie du Saillant), Rn. 49. 146 Vgl. EuGH, Rs. C-451/99 (Cura Anlagen), Rn. 69; für Ausgestaltung von Maut- und Benutzungsgebühren im Kontext der Richtlinie 1999/62/EG bzw. der Richtlinie 93/89/EG vgl. EuGH, Rs. C-157/02 (Rieser Internationale Transporte), Rn. 51 ff.; EuGH, Rs. C-205/98 (Kommission/Österreich), Rn. 109; im Hinblick auf eine u.a. unverhältnismäßige Ausgestaltung von Maut-Gebühren hat die Kommission Österreich am 26. September 2014 förmlich im Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2013/2060 mit einer begründeten Stellungnahme aufgefordert, seine Mautregelung für die Nutzung der Felbertauern-Querung in den österreichischen Alpen zu ändern, um sie mit Artikel 18 AEUV in Einklang zu bringen. Nach Ansicht der Kommission steht die betreffende Regelung in Bezug auf Lastwagen außerdem im Widerspruch zu einigen Bestimmungen der Richtlinie 1999/62/EG. Nach der derzeit geltenden Mautregelung gelten je nach Zulassungsort des Fahrzeugs unterschiedliche Tarife. Die Kommission ist der Auffassung, dass bei Privatfahrzeugen unverhältnismäßig stark differenziert wird. Bei gewerblich genutzten Fahrzeugen führe die Differenzierung außerdem zu einer Wettbewerbsverzerrung. Vgl. hierzu die Pressemitteilung der Kommission vom 25. September 2014, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release _MEMO-14-537_de.pdf sowie Europäisches Parlament, Petitionsausschuss, Mitteilung an die Mitglieder vom 30. April 2014, PE483.601v03-00, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/meetdocs /2014_2019/documents/peti/cm/1029/1029355/1029355de.pdf. 147 Siehe oben 3.1.2.1. 148 KOM(2012) 199 endg, 6. 149 KOM(2012) 199 endg, 7. 150 KOM (2012) 199 endg., S. 6 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 37 als das 8,2fache von dem Tagespreis einer Jahresvignette für Inländer abweicht, wobei die Kommission stets von Vignettensystemen mit Fixpreisen für alle Vignetten ausgeht.151 4.2.3.2. Ausgestaltung der Vignettenpreise Die Infrastrukturabgabe muss von allen Haltern von in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Pkw und Wohnmobilen grundsätzlich jeweils für ein Jahr an das KBA entrichtet werden. Die Kosten für eine Jahresvignette bestimmen sich nach dem Hubraum und den Umwelteigenschaften des Pkw bzw. bei Wohnmobilen nach dem Gewicht. Halter von nicht in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Pkw und Wohnmobilen können zwischen Zehntagesvignetten, Zweimonatsvignetten oder Jahresvignetten wählen, deren Preis sich – ebenso wie bei inländischen Kfz – nach den spezifischen Fahrzeugeigenschaften bemisst . Dementsprechend beträgt die Infrastrukturabgabe für die Zehntagesvignette zwischen 5 und 10 Euro, für die Zweimonatsvignette zwischen 16 und 30 Euro. Der Erwerb soll im Internet oder an Einbuchungsstellen, z. B. an Tankstellen, möglich sein.152 4.2.3.3. Folgerungen Die Höhe der jährlich zu entrichtenden Infrastrukturabgabe soll sich bei inländischen und ausländischen Kfz-Haltern gleichermaßen nach dem Hubraum und nach den Umwelteigenschaften des Pkw richten. Vor diesem Hintergrund bleibt die Frage, ob auch die Preisstaffelung der Kurzzeitvignetten gleichheitsgerecht bzw. insoweit diskriminierungsfrei ausgestaltet ist, da die Kurzzeitvignetten wegen der Vignettenpflicht für Halter von in Deutschland zugelassenen Kfz regelmäßig nur ausländische Kfz-Halter betreffen kann. Ergänzend ist hierbei anzumerken, dass allein eine in der Staffelung der Vignettenpreise liegende Verwaltungsvereinfachung und die Senkung der Verwaltungskosten eine Diskriminierung nicht rechtfertigen kann.153 Die im InfrAG vorgesehene dreiteilige Staffelung entspricht den allgemeinen Vorgaben der Kommission . Zudem ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Erhebung von Straßengebühren kostendeckend erfolgen muss und insofern die höheren Fixkosten bei Kurzzeitvignetten berücksichtigt werden müssen, nicht ersichtlich, dass die vorgesehene Preisstaffelung der Kurzzeitvignetten gegenüber den ebenfalls ökologisch gestaffelten Preisen für Jahresvignetten evident unverhältnismäßig ist.154 151 Kommission, Pressemitteilung vom 14. Mai 2012, IP/12/471, S. 2, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/pressrelease _IP-12-471_de.htm. 152 Siehe oben 2.1. sowie die Begründung zur Staffelung der Vignettenpreise in BT-Drs. 18/4455, S. 32 f., die über die ursprüngliche Begründung in BT-Drs. 18/3990, S. 30 hinausgeht. 153 Vgl. EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 43 ff.; EuGH, Rs. 87/99 (Zurstrassen), Rn. 24 f.; EuGH, Rs. C-514/12 (Salzburger Landeskliniken), Rn. 43. 154 Vgl. eingehend hierzu Hillgruber, Gutachten, S. 62 ff. m.w.N. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 38 Insofern ergeben sich aus hiesiger Sicht keine unionsrechtlichen Bedenken gegen die im InfrAG vorgesehenen Kosten für die Vignetten. 4.2.4. Benachteiligung von Verkehrsunternehmern Die Kompensation der Infrastrukturabgabe durch einen entsprechenden Steuerentlastungsbetrag für in Deutschland Kfz-steuerpflichtige Fahrzeughalter bzw. Fahrzeugnutzer könnte als verbotene Schlechterstellung von Verkehrsunternehmen anderer Mitgliedstaaten im Rahmen von Regelungen zu Straßenbenutzungsgebühren gem. Art. 92 AEUV zu werten sein. Art. 92 AEUV untersagt jede Verschlechterung im Verhältnis zwischen inländischen und ausländischen Verkehrsunternehmen 155 durch eine nationale Regelung, die mit einer von allen Verkehrsunternehmen zu entrichtenden Straßenbenutzungsgebühr eine neue Belastung auferlegt, die in erheblichem Umfang durch eine nur den inländischen Verkehrsunternehmern zugutekommende Senkung der Kraftfahrzeugsteuer kompensiert wird. Im Rahmen der Prüfung der Einführung einer Schwerlastabgabe in Deutschland hat der EuGH entschieden, dass die Einführung einer solchen Abgabe bei gleichzeitiger, nur den inländischen Verkehrsunternehmen zugutekommenden Entlastung durch Senkung der Kraftfahrzeugsteuer in der Zusammenschau eine dem Art. 76 EWG-Vertrag (nunmehr: Art. 92 AEUV) zuwiderlaufende Diskriminierung darstelle und daher mit dem Europarecht unvereinbar sei. Hierdurch würde die wettbewerbliche Lage der ausländischen Verkehrsunternehmen verschlechtert.156 Es gefährde das Ziel des Art. 92 AEUV, die Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik zu erleichtern, wenn ein Mitgliedstaat den Verkehrsunternehmen anderer Mitgliedstaaten bestehende Vorteile entziehen könne.157 § 1 InfrAG beschränkt zwar die Infrastrukturabgabenpflichtigkeit auf Kraftfahrzeuge der Klassen M1 oder M1G ohne besondere Zweckbestimmung im Sinne des Anhangs II Teil A der Richtlinie 2007/46/EG158 sowie auf Kraftfahrzeugen der Klasse M im Sinne des Anhangs II der Richtlinie 2007/46/EG mit der besonderen Zweckbestimmung als Wohnmobil. Mit dieser Begrenzung der Infrastrukturabgabe auf Kraftfahrzeuge der Klasse M1 und M1G sowie auf Wohnmobile der Klasse M soll „der gewerbliche Verkehr weitgehend von der Abgabepflicht ausgenommen und damit generell nicht zusätzlich belastet“159 werden. Dies alleine führt jedoch nicht ohne weiteres zu dem Ergebnis einer Konformität des geplanten Maßnahmenpakets mit Art. 92 AEUV. Die Einführung 155 Schäfer, in Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage, 2012, Art. 92 AEUV, Rn. 14; Stadler, in: Schwarze, EUV/AEUV, 2012, Art. 92 AEUV, Rn. 3. 156 EuGH, Rs C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 23. 157 EuGH, Rs C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 23 ff.; zur Kritik an der Rechtsprechung vgl. Jung, in: Callies /Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage, 2011, Art. 92 Rn. 5 f. m.w.N. 158 Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (ABl. L 263 vom 9.10.2007, S. 1), die zuletzt geändert durch die Richtlinie 2013/15/EU vom 13. Mai 2013 (ABl. L 158 vom 10.6.2013, S. 172). 159 Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des InfrAG, BT-Drs. 18/3990, S. 24. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 39 einer Infrastrukturabgabe zusammen mit einem Steuerentlastungsbetrag für im Inland Kfz-steuerpflichtige Fahrzeughalter würde bei ausländischen Verkehrsunternehmen zu finanziellen Mehrbelastungen führen, während das Belastungsniveau bei den inländischen Verkehrsunternehmen infolge der Kompensation konstant bliebe. In Anbetracht der strengen Auslegung der Stillhalteverpflichtung durch den EuGH dürfte daher die Anwendung der geplanten Infrastrukturabgabe auf Verkehrsunternehmer bei gleichzeitiger Einführung eines Steuerentlastungsbetrags für im Inland Kfz-steuerpflichtige Fahrzeughalter zu einer Verletzung des Art. 92 AEUV führen.160 4.3. Rechtfertigung Ausgehend von dem Befund, dass die Einführung einer Infrastrukturabgabe zusammen mit einem kompensatorisch wirkenden Steuerentlastungsbetrags im Rahmen der Kfz-Steuer eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bewirkt, stellt sich die Frage, ob diese Diskriminierung gerechtfertigt werden könnte. Eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist unionsrechtlich nur dann gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen zwingenden Grund des Allgemeininteresses beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimer Weise verfolgten Zweck stehen.161 Das könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn mit der Maßnahmenkombination ein rechtfertigendes Ziel verfolgt wird, welches als zwingender Grund des Allgemeininteresses anerkannt ist. Mit der Einführung der Infrastrukturabgabe könnte das legitime Ziel verfolgt werden, ein auf dem Nutzerprinzip bzw. Verursacherprinzip162 beruhendes System von Straßenbenutzungsgebühren zu errichten. Dementsprechend zielt die Infrastrukturabgabe auf eine (zusätzliche) Finanzierung von Infrastrukturkosten durch eine Abgeltung der Straßennutzung ab. Die Finanzierung der Infrastruktur ist grundsätzlich ein geeigneter Rechtfertigungsgrund im Sinne eines zwingenden Allgemeinwohlinteresses .163 Die gleichmäßige Belastung sowohl inländischer als auch ausländischer Kfz-Halter mit einer Infrastrukturabgabe ist mit Blick auf die Nutzung des öffentlichen Straßennetzes in Deutschland dem Grunde nach durch den steuer- und abgabenrechtlichen Äquivalenzgrundsatz rechtfertigungsfähig, da mit der Belastung die relativ äquivalente Gegenleistung in Form der Bereitstellung von Infrastruktur korrespondiert.164 160 Vgl. auch Zabel, NVwZ 2015, S. 186 (188 f.); Korte/Gurrek, EuR 2014, S. 420 (434 ff.). 161 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-60/84 und 61/84 (Cinéthéque), Rn. 19 ff.; EuGH, Rs. C-55/94 (Gebhard), Rn. 37; EuGH, Rs. C-224/98 (D’Hoop), Rn. 36; EuGH, Rs. C-388/01 (Kommission/Italien), Rn. 26; EuGH, Rs. C-431/01 (Mertens), Rn. 32 ff.; EuGH, Rs. C-148/02 (Garcia Avello), Rn. 31; EuGH, Rs. C-319/02 (Manninen), Rn. 28 f.; EuGH, Rs. C-209/03 (Bidar), Rn. 54; EuGH, Rs. C-265/04 (Bouanich), Rn. 26 ff.; EuGH, Rs. C-174/08 (NCC Construction Danmark), Rn. 44; EuGH, Rs. C-25/10 (Missionswerk), Rn. 29; EuGH, verb. Rs. C-338/11-C-347/11 (Santander Asset Management), Rn. 23 ff. 162 KOM(2011) 144 endg. sowie KOM(2012) 199 endg., S. 5. 163 KOM (2012) 199 endg., S. 2 f.; vgl. Kainer/Ponterlitschek, ZRP 2013, S. 198 (201); Langeloh, DÖV 2014, S. 365, (370). 164 Hufeld, Steuerstaat als Staatsform in Europa, in: Depenheuer u.a. (Hrsg.), Staat im Wort: Festschrift für Isensee, 2007, 857 (862); Kube, Finanzgewalt in der Kompetenzordnung, 2004, 59. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 40 Vor dem Hintergrund der vorstehend dargestellten Eingriffe in das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot stellt sich vorliegend nicht die Frage, ob die Infrastrukturabgabe oder der Kfz-Steuerentlastungsbetrag für sich genommen, sondern ob die aus der Kombination der Be- und Entlastungsentscheidungen im InfrAG und KfzStG resultierende Diskriminierung der ausländischen Kfz-Halter aus Gründen des Allgemeinwohls objektiv gerechtfertigt ist. 4.3.1. Rechtfertigung einer Kompensation der Infrastrukturabgabe im Rahmen der Kfz- Steuer Die mittelbare Diskriminierung, die aus der Kompensation der Infrastrukturabgabe durch einen Steuerentlastungsbetrag im Rahmen der Kfz-Steuer folgt, könnte durch den für den Bereich des Steuerrechts durch den EuGH anerkannten Rechtfertigungsgrund des Schutzes der Kohärenz des Steuersystems als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein – sofern sich die für das Steuerrecht entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragen lassen . 4.3.1.1. Die Grundsätze von Kohärenz und Lastenausgleich als Rechtsfertigungsgrund Der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz zielt im Grundsatz auf die Bewahrung von Lastengleichheit und Systemgerechtigkeit in den nationalen Regelungssystemen ab.165 Dies umfasst den Rechtfertigungsgedanken des Lastenausgleichs im Sinne einer finanziellen Privilegierung von Personen zum Ausgleich von korrespondierenden steuerlichen Belastungen, um die Kohärenz des Steuersystems aufrechterhalten zu können.166 Dementsprechend rechtfertigt die Kohärenz des Steuersystems die Versagung von bestimmten Steuervorteilen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten , wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Belastung und der lastenausgleichenden Bevorteilung besteht.167 Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang liegt insbesondere dann vor, wenn zwischen der be- und entlastenden Regelung eine strenge Wechselbeziehung besteht und die Wirkungen ein und denselben Steuerpflichtigen treffen.168 Der aus der Sicht eines 165 EuGH, Rs. C-204/90 (Bachmann), Rn. 21; EuGH, Rs. C-80/94 (Wielockx), Rn. 24; Rn. 56; EuGH, Rs. C-35/98 (Verkooijen ), Rn. 57; EuGH, Rs. C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee), Rn. 42, vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 980. 166 EuGH, Rs. C-107/94 (Asscher), Rn. 58; EuGH, Rs. C-264/96 (ICI), Rn. 29; EuGH, Rs. C-55/98 (Vestergaard), Rn. 24; EuGH, Rs. C-388/01 (Kommission/Italien), Rn. 23 ff. 167 EuGH, Rs. C-204/90 (Bachmann), Rn. 17 ff.; EuGH, Rs. C-300/90 (Kommission/Belgien), Rn. 10 ff.; EuGH, Rs. C- 107/94 (Asscher), Rn. 56; EuGH, Rs. C-251/98 (Baars), Rn. 37; EuGH, Rs. C-315/02 (Lenz), Rn. 36; EuGH, Rs. C- 157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee), Rn. 42; EuGH, Rs. C-418/07 (Papillon), Rn. 51; Vgl. Sedemund, Die Bedeutung des Prinzips der steuerlichen Kohärenz als Rechtfertigungsaspekt für Eingriffe in die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, IStR 2001, 190 (192); vgl. auch Kokott/Ost, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, EuZW 2011, S. 496 (500 ff.). 168 EuGH, Rs. C-80/94 (Wielockx), Rn. 24; EuGH, Rs. C-35/98 (Verkooijen), Rn. 57. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 41 Steuerpflichtigen bestehende Vor- und Nachteil sowie die Kompensation des Nachteils müssen innerhalb derselben Steuerart erfolgen.169 4.3.1.2. Kohärenz zwischen Kfz-Steuer und Infrastrukturabgabe Vor diesem Hintergrund müsste eine Infrastrukturabgabe, die faktisch nur ausländische Kfz-Halter betrifft, dem Ausgleich einer von in- und ausländischen Kfz-Haltern getragenen Straßenfinanzierungslast dienen. Das könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Kombination von verschiedenen Arten der Infrastrukturfinanzierung in einer Gesamtbetrachtung als zusammenhängendes Regelungssystem angesehen würde.170 Aus Gründen der Kohärenz könnte die Privilegierung der inländischen Kfz-Halter hinsichtlich der Infrastrukturabgabe jedoch nur gerechtfertigt werden, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem mit der Abgabe verfolgten Finanzierungszweck und der Zahlung der inländischen Kfz-Steuer bestehen würde.171 Das wäre insbesondere dann der Fall, wenn inländischen Kfz-Halter bereits mit ihrer Kfz-Steuer einen ausgleichbaren Beitrag für die Infrastrukturfinanzierung leisten würden und damit die besondere Belastung der ausländischen Kfz-Halter mit einer von inländischen Kfz-Haltern zu tragenden, spezifisch auf die Straßennutzung bezogene Last korrespondierte. Die geplante Infrastrukturabgabe entspricht einer Gebühr im Sinne einer nichtsteuerlichen Abgabe mit Gegenleistungscharakter zum Ausgleich eines spezifischen Sondervorteils.172 Die Infrastrukturabgabe soll nicht zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben, sondern speziell zur Finanzierung des Straßenausbaus, also für einen besonderen Finanzbedarf erhoben werden.173 Dementsprechend zielt die geplante Infrastrukturabgabe auf eine Infrastrukturteilfinanzierung durch die Nutzer ab und die Einnahmen aus dem Vignettenverkauf müssen entsprechend allgemeinen Gebührengrundsätzen der Infrastrukturerhaltung zugutekommen. Die Kompensation der Belastungen für inländische Kfz-Halter soll hingegen durch einen Steuerentlastungsbetrag im Rahmen der Kfz-Steuer erfolgen. Steuern sind öffentliche Abgaben, die als Gemeinlast ohne individuelle Gegenleistung („voraussetzungslos“) zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben werden.174 Das jährliche Aufkommen der Kfz-Steuer fällt gem. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG in die Ertragshoheit des Bundes, fließt dem 169 EuGH, Rs. C-315/02 (Lenz), Rn. 36; EuGH, Rs. C-80/94 (Wielockx), Rn. 25; EuGH, Rs. C-242/03 (Weidert/Paulus ), Rn. 25; Schlussanträge GA Kokott zu EuGH, Rs. C-319/02 (Manninen), Rn. 49 ff.; vgl. Englisch, Fiscal Cohesion in the Taxation of Cross-Border Dividends, ET 2004, 355 (356 ff.). 170 Vgl. hierzu KOM(2012) 199 endg., S. 4. sowie EuGH, Rs. C-195/90 (Kommission/Deutschland), Rn. 23. 171 Vgl. EuGH, Rs. C-303/07 (Fininvest Alpha), Rn. 71 f. 172 Siehe oben 4.2.2.3.3. 173 Vgl. BVerfGE 110, 370 (384); 124, 348 (364); Birk/Eckhoff, in: Sacksofsky/Wieland, Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat , 2000, S. 54 (57); Kirchhof, Nichtsteuerliche Abgaben, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 119, Rn. 64. 174 Vgl. BVerfGE 49, 343 (353); 110, 274 (294); 124, 235 (243); 124, 348 (364). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 42 Haushalt zweckungebunden zu und trägt damit nicht zwangsläufig zur Finanzierung der Infrastruktur bei.175 Im Bundeshaushalt besteht keine haushaltsgesetzliche Verbindung zwischen den Einnahmen aus der Kraftfahrzeugsteuer und den Ausgaben für die Straßeninfrastruktur, sodass zwischen beiden Posten kein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann. Dem entspricht die gegenwärtige Steuerbemessung, welche keinen Bezug zur Straßenbenutzung durch das Fahrzeuggewicht aufweist, sondern die Steuer nach den Umweltauswirkungen des Fahrzeugbetriebes in Form der Hubraumgröße und des Kohlendioxidausstoßes bemisst.176 Zudem berechtigt nicht erst die Entrichtung der Kraftfahrzeugsteuer, sondern die Zulassung des Kraftfahrzeugs zur Fahrzeug- und Straßenbenutzung.177 4.3.1.3. Ergebnis In der Gesamtschau lässt sich somit keine strenge Wechselbeziehung zwischen beiden Finanzierungsarten im Sinne steuerlicher Kohärenz feststellen. Die Erträge der Infrastrukturabgabe flössen zweckgebunden in die Finanzierung der Infrastruktur, während es bei der Kfz-Steuer de lege lata an einer solchen Zweckbindung fehlt und es sich mithin um rechtlich zweckungebundene Einnahmen handelt.178 Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Kfz-Steuer und der Infrastrukturfinanzierung ließe sich erst dann annehmen, wenn der Gesetzgeber das Kfz-Steueraufkommen mit einer derartigen Zweckbindung versehen oder eine Kfz-Sonderabgabe einführen würde. In einem solchen Regelungssystem der staatlichen Infrastrukturfinanzierung könnten inländische Kfz-Halter von den Infrastrukturabgabe befreit werden, da sie schon mit der zweckgebundenen Kfz-Steuer oder entsprechenden Sonderabgaben an der Infrastrukturfinanzierung beteiligt wären, sodass auch im Hinblick auf die Kohärenz ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der gebührenfreien Autobahnbenutzung und der zweckgebundenen Kfz-Steuer bestehen würde.179 Ohne das Bestehen einer konkreten haushaltsgesetzlichen Zweckbindung180 der Einnahmen aus der Kfz-Steuer im 175 Hartman, Die Mindestkraftfahrzeug-Besteuerung nach der Eurovignetten-Richtlinie, EuZW 2012, S. 413 (414 ff.); Gawel, CO 2-basierte Kfz-Steuer – eine Klimaschutzsteuer?, ZUR 2010, S. 3 (4 ff.). 176 Gawel, CO 2-basierte Kfz-Steuer – eine Klimaschutzsteuer?, ZUR 2010, S. 3 (4 ff.). 177 Hof, Straßenverkehrsabgaben und Europarecht, 1998, S. 146. 178 Reiß, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., 2013, § 15, Rn. 48. 179 Langeloh, DÖV 2014, S. 365, 372. 180 Zur Herstellung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Kfz-Steuer und Infrastrukturfinanzierung und den verfassungsrechtlichen Grenzen einer Zweckbindung von Steuern vgl. BVerfGE 7, 244 (254); 49, 343 (353); 81, 156 (186 f.); 82, 159 (179 ff.); 110, 274 (294) sowie Schmehl, Das Äquivalenzprinzip im Recht der Staatsfinanzierung , 2004, S. 227 ff.; Waldhoff, Die Zwecksteuer: Verfassungsrechtliche Grenzen der rechtlichen Bindung des Aufkommens von Abgaben, StuW 2002, S. 285 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 43 Sinne von § 7 S. 2 HGrG181 bzw. § 8 S. 2 BHO182 und damit der Herstellung eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Kfz-Steuer und der Infrastrukturfinanzierung bestünde auch keine unionsrechtliche Kohärenz als unionsrechtliche Voraussetzung für eine Rechtfertigung der mittelbaren Diskriminierung. 4.3.2. Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch den Systemwechsel von einer steuerfinanzierten zu einer vorwiegend nutzerfinanzierten Infrastruktur Ein möglicher Rechtfertigungsgrund für die Kompensation der Infrastrukturabgabe durch einen Steuerentlastungsbetrag im Rahmen des KfzStG für im Inland Kfz-Steuerpflichtige könnte darin bestehen, dass die hieraus folgende mittelbare Diskriminierung ausländischer Fahrzeughalter anlässlich eines Systemwechsels, d.h. des Übergangs von der steuerfinanzierten zur nutzerfinanzierten Infrastruktur im Bereich der Bundesfernstraßen erfolgt.183 Hierzu müsste dieser Systemwechsel einen Rechtfertigungsgrund im Sinne eines zwingenden Allgemeininteresses darstellen, der eine mittelbare Diskriminierung zu rechtfertigen vermag. Die Nutzerfinanzierung, die der Einführung der Infrastrukturabgabe zugrunde liegt, ist für sich genommen ein legitimes Ziel der mitgliedstaatlichen Verkehrs- und Haushaltspolitik. Denn die EU-Verkehrspolitik zielt auf nutzerfinanzierte Verkehrsinfrastruktursysteme einschließlich einer dementsprechenden Umstellung der verkehrsbezogenen Entgelte und Steuern ab.184 Vor diesem Hintergrund lässt sich aus Art. 7k der Richtlinie 1999/62/EG für die Einführung von nationalen Mau- bzw. Straßenbenutzungsgebühren zudem das legitime Ziel entnehmen, dass Mitgliedstaaten , die ein System von Maut und/oder Benutzungsgebühren für Verkehrswege einführen, einen angemessenen Ausgleich für diese Gebühren vorsehen können.185 Vor diesem Hintergrund steht es den Mitgliedstaaten somit frei, ihre Verkehrsinfrastrukturfinanzierung verstärkt an den von der Kommission zum Ausdruck gebrachten Zielen auszurichten. 181 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz - HGrG) vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2398). 182 Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1284), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2395). 183 Vgl. dementsprechend die Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des 2. VerkehrStÄndG, BT-Drs. 18/3991, S. 10 sowie die Begründung zum InfrAG, BT-Drs. 18/3990, S. 18 ff. 184 KOM(2011) 144 endg. 185 Langeloh, DÖV 2014, S. 365 (371 f.). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 44 Nehmen die Mitgliedstaaten einen solchen Systemwechsel vor, so bleiben sie im Übrigen ihren unionsrechtlichen Bindungen verpflichtet, zu denen insbesondere die Grundsätze der Nichtdiskriminierung zählen.186 Diesbezüglich stellt ein Systemwechsel der nationalen Infrastrukturfinanzierung jedoch weder einen ausdrücklich im Primärrecht genannten, noch von der Rechtsprechung anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, auf dessen Grundlage die von den Mitgliedstaaten vorgenommenen Beschränkungen oder Diskriminierungen der im Primärrecht garantierten Rechte und Freiheiten gerechtfertigt werden könnten.187 Folgt ein Mitgliedstaat dem von der Kommission präferierten Systemwechsel in der Infrastrukturfinanzierung, so kann er sich zur Rechtfertigung von hierbei erfolgenden (mittelbaren) Diskriminierungen nicht auf die Notwendigkeit eines Systemwechsels berufen. Abgesehen vom Bestehen eines legitimen Ziels, das zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, setzte eine Rechtfertigung zudem voraus, dass die fragliche Maßnahme geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht , was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.188 Eine nationale Regelung ist dabei nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel in köhärenter und systematischer Weise zu erreichen .189 Dementsprechend muss eine Neugestaltung der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung mit dem Ziel einer zumindest teilweisen Nutzerfinanzierung systemkonform190 und insbesondere diskriminierungsfrei erfolgen. Stellt das (künftige) System auch auf eine Nutzerfinanzierung ab, so müssen diesbezügliche Abgabenpflichten unterschiedslos an den Tatbestand der Infrastrukturnutzung anknüpfen. Soweit darüber hinaus eine (zusätzliche) Steuerfinanzierung der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung primär inländische Kfz-Halter betrifft, so liegt es im Ermessen der Mitgliedstaaten, diese auszugestalten und beispielsweise durch eine Senkung des Steuersatzes anzupassen. Die an dem Nutzerprinzip orientierte Regel kann jedoch nicht faktisch darauf beschränkt werden, zwar die Abgabenpflicht unterschiedslos für alle Nutzer zu etablieren, diese jedoch effektiv nur auf Gebietsfremde anzuwenden. Soweit die Notwendigkeit einer nutzerfinanzierten Infrastruktur auf die konkrete (zeitbezogene) Nutzungsmöglichkeit abstellt, so erfolgte 186 Vor dem Hintergrund der fundamentalen Bedeutung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit in der Unionsrechtsordnung erscheint es fernliegend, aus der Pflicht zur Wahrung dieses Grundsatzes auf ein Veränderungsverbot zu Lasten von Ausländern zu schließen und dem Diskriminierungsverbot so die Wirkung eines wettbewerbsverzerrenden Stillhaltegebots beizumessen, vgl. Hillgruber, Gutachten, S. 46 mit Verweis auf Kainer/Ponterlitschek, ZRP 2013, S. 198 (201). 187 Vgl. hierzu Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 49 AEUV, Rn. 85 ff. 188 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. C-76/90 (Säger), Rn. 15; EuGH, Rs. C-341/05 (Laval), Rn. 101; EuGH, Rs. C-222/07 (UTECA), Rn. 25. 189 EuGH, Rs. C-169/07 (Hartlauer), Rn. 55; EuGH, Rs. C-475/11 (Konstantinides), Rn. 52; EuGH, Rs. C-390/12 (Pfleger ), Rn. 43. 190 Vgl. insoweit BVerfG, Urteil vom 09. Dezember 2008, 2 BvL 1/07 u.a.: . „Die dem Steuergesetzgeber zustehende Gestaltungsfreiheit umfasst zwar von Verfassung wegen auch die Befugnis, neue Regeln ohne Bindung durch Grundsätze der Folgerichtigkeit an frühere Grundentscheidungen einzuführen. Einen zulässigen Systemwechsel kann es ohne ein Mindestmaß an neuer Systemorientierung nicht geben. Insbesondere dann, wenn bei im Übrigen unveränderten Grundentscheidungen eine von diesen abweichende Belastungsentscheidung lediglich in einem schmalen Teilbereich mit der Behauptung eines Systemwechsels begründet wird, bedarf es greifbarer Anhaltspunkte - etwa die Einbettung in ein nach und nach zu verwirklichendes Grundkonzept -, die die resultierende Ungleichbehandlung vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen können.“ Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 45 eine Nutzung unabhängig von der Herkunft der Fahrzeuge und steht für sich genommen in keinem Zusammenhang zum Ort der Kfz-Steuerpflicht. In gleicher Weise könnte auch die Annahme einer „Einmalbelastung“ ausländischer Kfz-Halter in dem Sinne, dass die einseitige Entlastung von im Inland Kfz-Steuerpflichtiger durch den Steuerfreibetrag anlässlich des Übergangs zur nutzerbasierten Infrastrukturfinanzierung kein permanentes Merkmal für das Verhältnis beider Maßnahmen bildet, die gegebene mittelbare Diskriminierung nicht rechtfertigen. In jedem Fall würde das verkehrs- und haushaltspolitische Ziel des Übergangs zu einer zumindest teilweise nutzerbasierten Infrastrukturfinanzierung nicht in köhärenter und systematischer Weise umgesetzt. 4.3.3. Rechtfertigung durch die „Belastungsgleichheit“ von ausländischen und inländischen Kfz-Haltern Die Zielsetzung, auch ausländische Autofahrer an den Infrastrukturkosten zu beteiligen und so eine potenziell bestehende Inländerdiskriminierung zu beseitigen, kann eine mittelbare Diskriminierung nicht rechtfertigen. Zwar ließe sich insoweit anführen, dass deutsche Kfz-Halter sowohl über ihre allgemeine Steuerpflichtigkeit als auch über die Infrastrukturabgabe zur Infrastrukturfinanzierung beitragen würden. Nichtsteuerliche Abgaben, die den Einzelnen über seine steuerliche Inanspruchnahme hinaus zu einer weiteren Finanzleistung heranziehen, bedürfen zur Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden besonderen sachlichen Rechtfertigung.191 Als sachliche Gründe, die die Bemessung einer Gebühr oder eines Beitrags rechtfertigen können, sind neben dem Zweck der Kostendeckung auch Zwecke des Vorteilsausgleichs, der Verhaltenslenkung sowie soziale Zwecke anerkannt.192 Das mögliche Bestehen einer Inländerdiskriminierung betrifft nur die Frage der Eröffnung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten bzw. ihres Schutzumfangs und die Anforderung eines grenzüberschreitenden Bezugs einer nationalen Maßnahme. Sie betreffen nicht den Gesichtspunkt der Rechtfertigung einer potenziell diskriminierenden Maßnahme. Jedenfalls eignet sich das Argument der Notwendigkeit der Herbeiführung eines Lastenausgleichs zwischen bereits belasteten Inländern und bislang nicht belasteten EU-Ausländern nicht als Rechtfertigungsgrund für eine künftige (mittelbare) Diskriminierung von EU-Ausländern.193 191 Vgl. BVerfGE 75, 108 (158); 93, 319 (343);108, 1 (16 f.); 124, 235 (244); 132, 334 (349). 192 BVerfGE 132, 334 (349). 193 A.A. Hillgruber, Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung am 18. März 2015, Ausschuss-Drs. 18(15)193-A, S. 11. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 46 4.3.4. Rechtfertigung der Benachteiligung von Verkehrsunternehmern Im Hinblick auf Art. 92 AEUV ist anzumerken, dass diese Norm dem Rat die Möglichkeit eröffnet , einen Mitgliedstaat mit einstimmigem Beschluss von dem Diskriminierungs- und Veränderungsverbot dieser Vorschrift zu befreien.194 Eine Rechtfertigung diskriminierender Regelungen ist auf Grundlage des Art. 92 AEUV hingegen ausgeschlossen.195 5. Zusammenfassung Die Einführung einer Infrastrukturabgabe gemäß § 1 Abs. 1 InfrAG bei gleichzeitiger Vermeidung einer Doppelbelastung für in Deutschland Kfz-Steuerpflichtige durch Einführung eines Steuerentlastungsbetrags im Rahmen der Kfz-Steuer bewirkt ein komplexes Zusammenspiel von verschiedenen Be- und Entlastungsentscheidungen mit divergierenden rechtlichen Prämissen, das das unionsrechtliche Verbot der mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit wahren muss. In diesem rechtlich komplexen Systemzusammenhang lässt die objektiv gebotene Gesamtbetrachtung der im InfrAG und im KfzStG vorgesehenen Maßnahmen den Schluss zu, dass die Maßnahmenkombination eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zulasten der nicht in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Fahrzeughalter und Nutzer der deutschen Bundesfernstraßen aus anderen Mitgliedstaaten bewirkt, die sich nicht auf unionsrechtlich anerkannte Rechtfertigungsgründe stützen lässt. Zudem führt die geplante Infrastrukturabgabe zu einer potenziellen Beeinträchtigung von Verkehrsunternehmern im Sinne von Art. 92 AEUV. 6. Ausblick Mit ihrem Mahnschreiben vom 18. Juni 2015 hat die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.196 Entsprechend den in dieser Ausarbeitung dargestellten unionsrechtlichen Erwägungen betreffen die Bedenken der Kommission hauptsächlichen den Aspekt der indirekten Diskriminierung auf Basis der Staatsangehörigkeit. Die Kommission ist der Auffassung, dass diese Diskriminierung auf zwei Ebenen stattfindet: Einerseits würden deutsche Nutzer – und allein diese – die Straßennutzungsgebühr nicht zahlen, weil ihre Kfz-Steuer um den exakten Betrag der Gebühr gesenkt wird. Dementsprechend würden sich aus der Kombination der Be- und Entlastungsentscheidungen des InfrAG und des 2. VerkehrStÄndG Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Art. 92 AEUV sowie dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV ergeben. Über die in dieser Ausarbeitung dargelegten Fragen hinaus zweifelt die Kommission auch an der Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit der Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit (Art. 34 und 56 AEUV), da die Unterscheidung zwischen im Inland und im Ausland zugelassenen Fahrzeugen auch Auswirkungen auf die grenzüberschreitende Lieferung von 194 Vgl. dazu Jung, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 92 AEUV, Rn. 5, 8. 195 Für die Diskussion über die Rechtfertigungsfähigkeit eines Verstoßes gegen die Stillhalteklausel gem. Art. 92 AEUV vgl. Zabel, NVwZ 2015, S. 186 (188 f.); Korte/Gurrek, EuR 2014, S. 420 (434 ff.); Epiney/Heuck/Schleiss, in: Dauses, 33. EL, Abschnitt L, Rn. 169. 196 Siehe hierzu die Pressemitteilung der Kommission vom 18. Juni 2015, IP/15/5200, abrufbar unter http://europa .eu/rapid/press-release_IP-15-5200_de.htm. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 68/15 Seite 47 Waren und Erbringung von Dienstleistungen habe. Im Unterschied zu der oben dargelegten Bewertung 197 vertritt die Kommission zudem die Auffassung, dass die Preise für Kurzzeitvignetten, die typischerweise für ausländische Nutzer vorgesehen sind, überproportional teuer sind, was auf eine mittelbare Diskriminierung von in anderen EU-Mitgliedstaaten zugelassenen privaten oder gewerblich genutzten Pkw gegenüber im Inland zugelassenen Pkw hindeute. In Reaktion auf das Aufforderungsschreiben hat die Bundesregierung den ursprünglich für den 1. Januar 2016198 vorgesehenen Beginn der Abgabenerhebung199 sowie die vorherige Ausschreibung und Vergabe des erforderlichen Systems zur Erhebung der Infrastrukturabgabe (§ 16 InfrAG) bis zum Vorliegen eines das Verfahren abschließenden Urteils des EuGH verschoben.200 Nach Eingang des Aufforderungsschreibens hat die Bundesregierung zwei Monate Zeit, um auf die Argumente der Kommission einzugehen. Sollte die Kommission zur Schlussfolgerung gelangen, dass die Reaktion auf dieses Schreiben nicht zufriedenstellend ist, wird sie über eine mit Gründen versehene Stellungnahme im Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV an Deutschland befinden. Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, wie sich die Bundesregierung oder der Bundesgesetzgeber zu den Einwänden der Kommission verhalten wird. 197 Siehe oben 4.2.3. 198 Vgl. http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/Strasse/pkw-maut-infrastrukturabgabe -infopapier.pdf?__blob=publicationFile. 199 Für das Recht auf Erstattung von Abgaben, die in einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Unionsrecht erhoben worden sind vgl. EuGH, Rs. C-343/96 (Dilexport), Rn. 23; EuGH, Rs. C-242/95 (GT-Link), Rn. 58. 200 Vgl. das Interview mit Bundesverkehrsminister Dobrindt vom 18. Juni 2015, abrufbar unter http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/RedenUndInterviews/2015/VerkehrUndMobilitaet/dobrindt-interviewbild _pkw-maut_18-06-15.html?linkToOverview=js.