© 2020 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 067/20 Unionsrechtliche Bewertung von Bestimmungen des dänischen Flaggenrechts Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/20 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Unionsrechtliche Bewertung von Bestimmungen des dänischen Flaggenrechts Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 067/20 Abschluss der Arbeit: 20.08.2020 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/20 Seite 3 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa wurde um eine Ausarbeitung zum dänischen Flaggenrecht unter dem Aspekt des Rechts zum Hissen der deutschen Flagge durch Angehörige der deutschen Minderheit in Dänemark und deutscher Staatsbürger gebeten. Nach dem geltenden Flaggenrecht dürfen in Dänemark nur die Nationalflaggen von Dänemark, Schweden, Island, Finnland und Norwegen ohne Erlaubnis der Polizeibehörde gehisst werden.1 Es soll erörtert werden, ob diese Ungleichbehandlung von Flaggen von EU-Staaten (Deutschland im Vergleich zu Schweden und Finnland) nach EU-Recht zulässig ist. In diesem Zusammenhang wird nach der Existenz eines Meistbegünstigungsprinzips gefragt ebenso wie überprüft werden soll, ob es bereits Rechtsprechung europäischer Gerichte zu Sachverhalten gibt, in denen ein EU-Staat einen oder mehrere andere EU-Staaten gegenüber dritten EU-Staaten begünstigt hat und dies auf Grundlage von EU-Recht als unzulässig angesehen wurde. 2. Unionsrechtliche Bewertungsmaßstäbe 2.1. Allgemeines Diskriminierungsverbot, Art. 18 Abs. 1 AEUV Als Prüfungsmaßstab kommt das Diskriminierungsverbot des Art. 18 Abs. 1 AEUV in Betracht. Dieses könnte dann einschlägig sein, wenn die unterschiedliche Behandlung von mitgliedstaatlichen Flaggen zugleich eine Ungleichbehandlung von Unionsbürger*innen mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit bewirkt. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut: (1) Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Dieses Verbot von Diskriminierungen jeder Art gilt als ein Leitmotiv der europäischen Verträge und Interpretationsmaxime aller weiteren Bestimmungen.2 Die Verbotsnorm setzt neben ihrer generellen Anwendbarkeit voraus, dass es sich bei der zu untersuchenden Maßnahme um eine Diskriminierung handelt, die nicht zu rechtfertigen ist.3 Damit die Flaggenbestimmungen des dänischen Rechts gegen dieses Verbot verstoßen, müsste Art. 18 Abs. 1 AEUV zunächst anwendbar sein. Voraussetzung dafür ist, dass der Erlaubnisvorbehalt für das Hissen ausländischer Flaggen, die nicht schwedisch, finnisch, norwegisch oder isländisch sind, in den Anwendungsbereich der Verträge fällt. Die Vorschrift verlangt somit, dass man in der Sachverhaltskonstellation einen unionsrechtlichen „Türöffner“ ausmachen kann. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) versteht diese Voraussetzung sehr weit und lässt ausreichen , dass der Sachverhalt eine „gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation“ darstellt oder „nicht 1 Informationen zur Beflaggung in Dänemark und die relevanten Rechtsakte sind auf der Website des dänischen Justizministeriums einsehbar (zuletzt abgerufen: 20.08.2020) 2 Michl, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 1. Aufl. 2017, Art. 18 AEUV Rn. 3 m. w. N. 3 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 11. Aufl. 2018, Rn. 769. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/20 Seite 4 außerhalb des Gemeinschaftsrechts“ liegt.4 Insbesondere in der jüngeren Rechtsprechung ist der Anknüpfungspunkt in den Verträgen die unionsbürgerliche Freizügigkeit aus Art. 21 AEUV.5 Dieses Recht beinhaltet die Befugnis, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei fortzubewegen und dauerhaft aufhalten zu können.6 Dafür ist grundsätzlich ein grenzüberschreitender Sachverhalt notwendig.7 Von Art. 18 Abs. 1 AEUV werden alle Regelungen erfasst, welche sich auf die rechtmäßige Wahrnehmung der unionsbürgerlichen Freizügigkeit negativ auswirken bzw. auswirken können.8 Der Anwendungsbereich der Verträge im Sinne von Art. 18 Abs. 1 AEUV wird allein durch die Betätigung der Freizügigkeit eröffnet, es sei denn, dass ein bestimmter Regelungsbereich in keiner Art und Weise vom Unionsrecht betroffen ist.9 Hinsichtlich der deutschen Minderheit im dänischen Nordschleswig fällt es schwer, überhaupt einen grenzüberschreitenden Bezug herzustellen. Die Angehörigen der Minderheit leben dauerhaft in Dänemark und sind dänische Staatsangehörige. Denkbar ist aber, dass deutsche Staatsangehörige in beruflichen oder privaten Zusammenhängen nach Dänemark einreisen bzw. sich dort dauerhaft aufhalten und eine deutsche Flagge hissen wollen, wofür eine Erlaubnis der lokalen Polizeibehörde erforderlich ist. Diese Erlaubnis muss von jeder Person beantragt werden, die eine deutsche oder andere nicht privilegierte Flagge hissen möchte – die Staatsangehörigkeit spielt hierfür keine Rolle. Es müsste sich nun beim Flaggenrecht um eine Rechtsmaterie handeln, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Unionsrecht, insbesondere dem Recht auf Freizügigkeit, steht. Mit dieser Frage hat sich bisher noch kein europäisches Gericht befasst. Die Rechtsprechung des EuGH, die zu der enormen Ausweitung des Anwendungsbereichs von Art. 18 Abs. 1 AEUV über die Freizügigkeit aus Art. 21 AEUV geführt hat, behandelt vor allem Ansprüche auf Sozialleistungen oder den Zugang zu Bildungseinrichtungen.10 Diese weisen alle einen stärkeren Bezug zur Freizügigkeit auf und sind darauf angelegt, dauerhaften Aufenthalt und die Gewährleistung gleicher Lebensbedingungen zu ermöglichen. Des Weiteren stellt die 4 Haltern, Europarecht Bd. II, 3. Aufl. 2017, Rn. 2021; EuGH, Urt. v. 2.2.1989, Rs. 186/87, Rn. 10; EuGH, Urt. v. 13.2.1985, Rs. 293/83, Rn. 19. 5 Detailliert Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 18 AEUV Rn. 15 ff.; zu den Anfängen der Rechtsprechung Kubicki, Die subjektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft, EuR 2006, S. 489 ff; Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, Tübingen 2007, S. 197 ff. 6 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 57. Aufl. 2015, Art. 21 AEUV Rn. 19. 7 Kubicki, Die subjektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft, EuR 2006, S. 489 (492 f.). 8 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 11. Aufl. 2018, Rn. 755. 9 Epiney, The Scope of Article 12 EC: Some Remarks on the Influence of European Citizenship, ELJ 2007, S. 611 (621 f.). 10 Darstellung der zahlreichen Rechtsprechungslinien bei Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 18 AEUV Rn. 19 ff.; umfassend auch Haltern, Europarecht Bd. II, 3. Aufl. 2017, Rn. 2018 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/20 Seite 5 Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG11 umfassende Anforderungen an die mitgliedstaatliche Ausgestaltung der Bedingungen des Aufenthalts für EU-Ausländer*innen, beschäftigt sich aber auch nicht mit Fragen des Flaggenrechts. Ob es sich bei der Möglichkeit, eine Flagge zu hissen, ohne vorher eine Erlaubnis zu beantragen um einen vergleichbaren Kontext handelt, ist zweifelhaft. Das Flaggenrecht ist dem ureigen-mitgliedstaatlich geprägten Bereich der Repräsentation des Staates zuzurechnen. Die Erlaubnispflicht für das Hissen einiger ausländischer Nationalflaggen ist ordnungsrechtlicher Ausfluss dieses unionsrechtlich nicht determinierten Rechtsgebiets. Diese Fragestellung hat keinen ersichtlichen Bezug zur Freizügigkeit. Einreise und Aufenthalt in Dänemark sind nicht durch die flaggenrechtlichen Bestimmungen beeinträchtigt, es handelt sich dabei um rein innerstaatliche Rechtsfragen , zu denen das Unionsrecht keine Aussagen trifft. Art. 18 Abs. 1 AEUV ist mithin nicht anwendbar, da der Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich der Verträge fällt. Eine etwaige Diskriminierung ist somit nicht an dieser Vorschrift zu messen. 2.2. Weitere Maßstäbe Weitere Bewertungsmaßstäbe sind aus unionsrechtlicher Perspektive nicht ersichtlich. Auch hinsichtlich der Existenz und möglichen Auswirkungen des angesprochenen Meistbegünstigungsprinzips auf die Europäische Union außerhalb von völkerrechtlichen Verträgen lässt sich weder einschlägige Rechtsprechung noch Literatur finden. 3. Ergebnis Da der Anwendungsbereich der Verträge im Sinne von Art. 18 Abs. 1 AEUV nicht eröffnet ist, muss sich eine etwaige Ungleichbehandlung nicht am allgemeinen Diskriminierungsverbot messen lassen. Weitere unionsrechtliche Bewertungsmaßstäbe sind nicht ersichtlich, sodass die dänischen Bestimmungen zu den Flaggen nicht als mit dem Unionsrecht unvereinbar anzusehen sind. Fachbereich Europa 11 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten , zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG.