© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 067/19 Steuerermäßigung für Expatriates im Bankensektor und EU-Beihilferecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 2 Steuerermäßigung für Expatriates im Bankensektor und EU-Beihilferecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 067/19 Abschluss der Arbeit: 26. September 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Fragestellung 4 2. Überblick über das EU-Beihilferecht 4 2.1. Materielles EU-Beihilferecht 4 2.2. EU-Beihilfeverfahren 5 2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren 5 2.2.2. Freistellung von der Notifizierung und ex-post-Kontrolle 6 3. EU-beihilferechtliche Bewertung von Steuermäßigungen für Expatriates 7 3.1. Steuerermäßigung für Expatriates als Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV 7 3.1.1. Expatriates als Unternehmen? 7 3.1.2. Steuerermäßigungen für Expatriates als Begünstigung der sie beschäftigenden Unternehmen 8 3.1.2.1. Mittelbare Beihilfen 8 3.1.2.2. Steuerermäßigung für Expatriates als mittelbare Beihilfe der anstellenden Unternehmen? 9 3.2. Ergebnis 10 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 4 1. Einleitung und Fragestellung Nach den vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Informationen sehen verschiedene Mitgliedstaaten , darunter Frankreich, Steuerermäßigungen für sog. Expatriates vor.1 Hintergrund dieser Maßnahmen sei nach den einschlägigen Informationen der bevorstehende Austritt des Vereinten Königreichs (VK) aus der Europäischen Union (EU) und das Interesse einzelner Mitgliedstaaten , insbesondere die bisher im VK beschäftigten Fach- und Führungskräfte im Bankensektor für eine Anstellung bei entsprechenden Arbeitgebern in ihrem Land zu gewinnen. Soweit ersichtlich , sind die entsprechenden Steuerermäßigungen rechtlich nicht auf Expatriates im Bankensektor begrenzt, sondern richten sich generell an Führungs- und Fachkräfte unabhängig von der Branche und der Unternehmensform, bei der die Anstellung erfolgt.2 Der Fachbereich wird insoweit um Beantwortung der Frage ersucht, ob derartige Steuerermäßigungen als Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen sind und ggf. nach Art. 107 Abs. 2 o. 3 AEUV als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können. Im Folgenden wird zunächst ein kurzer Überblick über das EU-Beihilferecht gegeben (2.), bevor im Anschluss die Beihilferelevanz solcher Steuerermäßigungen erörtert wird (3.). 2. Überblick über das EU-Beihilferecht Das EU-Beihilferecht lässt sich in materielle (2.1.) und formal-verfahrensrechtliche Bestimmungen (2.2.) aufteilen. 2.1. Materielles EU-Beihilferecht Den materiellen Kern des EU-Beihilferechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen . Diesem Normtext werden mehrere Merkmale entnommen, die kumulativ erfüllt sein müssen, um von dem Vorliegen einer Beihilfe ausgehen zu können: Neben der aus staatlichen Mitteln gewährten Begünstigung an Unternehmen gehören hierzu die Selektivität (Begünstigung nur be- 1 Hierbei handelt es sich um eine Agenturmeldung von Reuters vom 2.11.2018 sowie Informationen auf der Internetseite von „Welcometofrance.com“. Vgl. auch einen Online-Beitrag aus der Financial Times vom 16.7.2019. 2 Siehe hierzu die Angaben auf der Internetseite von „Welcometofrance.com“ zu den Voraussetzungen der Steuerermäßigungen nach französischem Recht. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 5 stimmter Unternehmen oder Produktionszweige), die Wettbewerbsverfälschung und die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.3 Fehlt es nur an einem der Merkmale, so liegt keine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV vor und das EU-Beihilferecht findet keine Anwendung .4 Sind die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV hingegen erfüllt, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme. Denn das in dieser Vertragsvorschrift geregelte Beihilfeverbot gilt nicht absolut, sondern nur insoweit, als in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen „anderen Bestimmungen“ zählt vor allem Art. 107 Abs. 3 AEUV und die dort aufgeführten Fallgruppen.5 Danach können Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen und insoweit gerechtfertigt bzw. als unionsrechtlich zulässig angesehen werden. 2.2. EU-Beihilfeverfahren Der Vollzug des EU-Beihilferechts obliegt auf Grundlage von Art. 108 AEUV vor allem der Kommission .6 In verfahrenstechnischer Hinsicht sind dabei zwei Ansätze zu unterscheiden: eine primärrechtlich vorgesehene ex-ante-Prüfung (siehe unter 2.2.1.) und eine sekundärrechtlich geprägte ex-post-Kontrolle (siehe unter 2.2.2.). 2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren Nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV sowie der sekundärrechtlichen Konkretisierung dieser Bestimmungen in Gestalt der Beihilfenverfahrensordnung (Beihilfe-VerfO)7 können mitgliedstaatliche Vorhaben zum einen vorab (präventiv) überprüft werden. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist hierbei die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beihilfen vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV8). Diese prüft sodann, ob eine 3 Siehe zu den einzelnen Merkmalen und der dazu ergangenen Rechtsprechung die sog. Beihilfemitteilung der Kommission: Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2016 Nr. C 262/1 (letztmaliger Abruf unter 26.09.19). In dieser Mitteilung erläutert die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die einzelnen Merkmale des Beihilfetatbestandes. 4 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 74, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 5 Weitere primärrechtliche Vorschriften in diesem Zusammenhang sind Art. 107 Abs. 2 AEUV (zwingende Legalausnahmen ) oder Art. 106 Abs. 2 AEUV für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. 6 Zu den wenigen, zum Teil auf Ausnahmesituationen beschränkten Kompetenzen des Rates im EU-Beihilfenrecht nach Art. 107 Abs. 3 lit. e, Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 sowie Art. 109 AEUV, vgl. allgemein, Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3: Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1224 ff. 7 Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV, ABl.EU 2015 Nr. L 248/9 (letztmaliger Abruf am 26.09.19). 8 Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO (Fn. 7). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 6 Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und – wenn das der Fall ist – ob sie insbesondere nach Art. 107 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt werden kann.9 Erst im Anschluss hieran darf der betreffende Mitgliedstaat die Beihilfe gewähren (sog. Durchführungsverbot, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV10). Von hoher praktischer Bedeutung sind an dieser Stelle zahlreiche Sekundärrechtsakte, in denen die Kommission einerseits die beihilferechtliche Rechtsprechung der Unionsgerichte zum Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV und andererseits ihre Ermessenspraxis u. a. zur Auslegung des Art. 107 Abs. 3 AEUV verschriftlicht hat, um die Rechtssicherheit (Vorhersehbarkeit) und Transparenz ihres Entscheidungsprozesses zu erhöhen.11 Zu diesen Rechtsakten gehören überwiegend nicht verbindliche Maßnahmen, die – ähnlich wie nationale Verwaltungsvorschriften – zumindest eine Selbstbindung der Kommission begründen.12 Diese nichtverbindlichen Maßnahmen werden in Form von (zum Teil bereichsspezifischen) Leitlinien, Unionsrahmen und Mitteilungen13 erlassen. Zu erwähnen ist für die tatbestandliche Seite des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegend die 2016 erlassene sog. Beihilfemitteilung, in welcher die Kommission den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV anhand der bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen Rechtsprechung erläutert.14 Sekundärrechtsakte zu den Rechtfertigungstatbeständen der Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV, die vorliegend einschlägig sein könnten, sind nicht ersichtlich. 2.2.2. Freistellung von der Notifizierung und ex-post-Kontrolle Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Anmeldung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte vorab bekannte materielle und formale Anforderungen eingehalten werden.15 Diese Anforderungen ergeben sich v. a. aus sog. Freistellungsverordnungen, die die 9 Vgl. auch Art. 4, 6, 7 Beihilfe-VerfO (Fn. 7). 10 Vgl. auch Art. 3 Beihilfe-VerfO (Fn. 7). 11 Cremer, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 107 AEUV, Rn. 4. 12 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 5.10.2000, Rs. C-288/96 (Deutschland/Kommission), Rn. 62; EuGH, Urt. v. 7.03.2002, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Rn. 52. 13 Ein Gesamtüberblick über die verschiedenen Rechtsakte findet sich auf den Seiten der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission (Stand vom 15.04.2014, letztmaliger Abruf am 26.09.19). Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der ermessenskonkretisierenden Kommissionsakte, vgl. Frenz (Fn. 6), Rn. 747 ff. 14 Siehe oben Fn. 3. 15 Dieser Bereich des Beihilferechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilferechtsreform („State Aid Modernisation “) ausgebaut, vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilferecht, NJW 2014, S. 3128 (3130). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 7 Kommission u. a. auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer sie dazu ermächtigenden Verordnung des Rates im Sinne des Art. 109 AEUV erlassen kann.16 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt . Die Kommission kann die ihr gleichwohl anzuzeigende Gewährung solcher Beihilfen jedoch nachträglich kontrollieren. 3. EU-beihilferechtliche Bewertung von Steuermäßigungen für Expatriates Im Zusammenhang mit Steuerermäßigungen für sog. Expatriates stellt sich zunächst die Frage, ob diese überhaupt den Beihilfetatbestand erfüllen. Nur soweit hierfür Anhaltspunkte bestehen, wäre der Frage nach der Vereinbarkeit mit den Rechtfertigungstatbeständen nach Art. 107 Abs. 2 o. 3 AEUV nachzugehen. 3.1. Steuerermäßigung für Expatriates als Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV Wie oben ausgeführt, enthält Art. 107 Abs. 1 AEUV mehrere Merkmale, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit eine Beihilfe im Sinne dieser Vorschrift angenommen werden kann. Vorliegend dürften den Steuerermäßigungen zwar eine Begünstigung im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV zugrunde liegen, da sie eine wirtschaftliche Vergünstigung darstellen, die man unter normalen Marktbedingungen, d. h. ohne ein Eingreifen des Staates, nicht erhalten könnte.17 Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Begünstigung in diesem Fall auch einem Unternehmen zugutekommt. Denn wirtschaftliche Vorteile an ausschließlich andere Subjekte als Unternehmen werden vom Beihilferecht nämlich nicht erfasst. 3.1.1. Expatriates als Unternehmen? Im Hinblick auf die durch die Steuerermäßigungen unmittelbar begünstigten Expatriates ist eine Unternehmenseigenschaft zu verneinen, da es sich bei diesen nicht um Unternehmen im Sinne des Beihilfe- bzw. Wettbewerbsrecht handelt. Darunter fällt nach ständiger Rechtsprechung zwar jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung,18 wobei es sich dabei auch um natürlichen Personen handeln kann.19 Als 16 Bei der Verordnung des Rates auf Grundlage von Art. 109 AEUV handelt es sich um die Verordnung (EU) 2015/1588 des Rates vom 13. Juli 2015 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, ABl.EU 2015 Nr. L 248/1, (letztmaliger Abruf am 26.09.19). 17 Siehe zum Begriff der Begünstigung etwa Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 66, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung . Die Kommission verwendet dort den – synonym verwendeten – Begriff des Vorteils. Dass beihilferechtlich relevante Begünstigungen/Vorteile nicht nur in Form von Subventionen erfolgen können, sondern – wie typischerweise bei Steuerermäßigungen – auch durch staatlichen angeordnete Minderungen von Belastungen, die normalerweise zu tragen sind, ist in ständiger Rechtsprechung anerkannt, vgl. etwa EuGH, Urt. v. 13.6.2002, Rs. C-382/99 (Niederlande/Kommission), Rn. 60. 18 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 7, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 19 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 3.3.2005, Rs. C-172/03 (Heiser), Rn. 26, im Hinblick auf einen niedergelassenen Facharzt für Zahn-, Mund- und Kiefernheilkunde. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 8 wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Unternehmensdefinition wird jedoch nur das Anbieten von Waren und Dienstleistungen auf einem Markt verstanden.20 Das ist bei Expatriates nicht der Fall, da die diese ihre Arbeitskraft nur in den Dienst ihres Arbeitgebers stellen und somit nicht in eigener Person auf dem Markt tätig werden. 3.1.2. Steuerermäßigungen für Expatriates als Begünstigung der sie beschäftigenden Unternehmen Eine unternehmensgerichtete Begünstigung könnte in der Maßnahme allerdings dann gesehen werden, wenn die Steuerermäßigung wirtschaftlich zugleich auch den Unternehmen zugutekäme , die die Expatriates anstellen. In beihilferechtlicher Hinsicht spricht man insoweit von sog. mittelbaren Vorteilen bzw. Beihilfen.21 Im Folgenden soll diese Fallgruppe zunächst näher erläutert werden (3.1.2.1.), bevor sodann untersucht wird, ob die Steuerermäßigung für Expatriates einen Anwendungsfall mittelbarer Beihilfen darstellen (3.1.2.2.). 3.1.2.1. Mittelbare Beihilfen Das auch „mittelbare Beihilfen“ den Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen können, ergibt sich bereits vertraglich aus Art. 107 Abs. 2 Buchst. a AEUV, wonach „Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher“ als mit dem Binnenmarkt vereinbar anzusehen sind. Da Verbraucher per definitionem keine Unternehmen sind, handelt es sich hierbei um solche Maßnahmen, die Verbrauchern über Unternehmen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zugutekommen.22 Und auch in der Rechtsprechung ist diese besondere Beihilfekonstellation anerkannt.23 Allerdings werden die Konturen dieser Fallgruppe als unklar und unscharf bewertet.24 In der Beihilfemitteilung formuliert die Kommission die Vorgaben zur Ermittlung mittelbarer Beihilfen und die Abgrenzung zu beihilferechtlichen irrelevanten Auswirkungen wie folgt: „[M]ittelbare Vorteile [sind] von bloßen sekundären wirtschaftlichen Auswirkungen zu unterscheiden , die zwangsläufig mit fast allen Beihilfemaßnahmen verbunden sind (zum Beispiel ein Anstieg der Produktion). Zu diesem Zweck sollte die vorhersehbare Wirkung der Maßnahme ex ante betrachtet werden. Ein mittelbarer Vorteil liegt vor, wenn die Maßnahme so ausgestaltet ist, dass ihre sekundären Auswirkungen bestimmbaren Unternehmen oder Gruppen von Unternehmen zugeleitet werden. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die unmittelbare Beihilfe de facto oder de jure davon abhängig gemacht wird, dass nur von bestimmten Unternehmen (zum Beispiel 20 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 12, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 21 Siehe etwa Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 115 f., mit Nachweisen aus der Rechtsprechung sowie der Kommissionspraxis . Vgl. aus dem Schrifttum bspw. Soltész/Hellstern, „Mittelbare Beihilfen“ – Indirekte Begünstigungen im EU-Beihilferecht, EuZW 2013, S. 489 ff. 22 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2016, Art. 107 Abs. 2 AEUV, Rn. 8 ff. 23 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 13.6.2002, Rs. C-382/99 (Niederlande/Kommission), Rn. 60 ff., ins. Rn. 62 f.; EuGH, Urt. v. 15.5.2019, Rs. C-706/17 (Achema u. a.), Rn. 75. 24 Siehe etwa Soltész/Hellstern (Fn. 21), EuZW 2013, S. 491, 493. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 9 Unternehmen, die in einem bestimmten Gebiet niedergelassen sind) hergestellte Waren oder Dienstleistungen erworben werden […].“25 3.1.2.2. Steuerermäßigung für Expatriates als mittelbare Beihilfe der anstellenden Unternehmen ? Betrachtet man die Steuerermäßigung für Expatriates im Lichte der zitierten Vorgaben aus der Beihilfemitteilung, ist – ausgehend von einer ex-ante Betrachtung – zu prüfen, ob die Maßnahme so ausgestaltet ist, dass ihre sekundären Auswirkungen „bestimmbaren Unternehmen oder Gruppen zugeleitet werden“. Daran bestehen vorliegend Zweifel. In der Sache knüpft die zitierte Formulierung an das Merkmal der Selektivität an, mit welchem solche Maßnahmen aus dem Beihilfetatbestand ausgeschlossen werden sollen, die ganz allgemein der Wirtschaft zugutekommen und eben nicht einzelnen Unternehmen oder Produktionszweigen , die hierdurch gegenüber anderen bevorzugt werden.26 Soweit bekannt, sind die hier in Rede stehenden Steuerermäßigungen für Expatriates von ihren gesetzlichen Vorgaben nicht auf Führungs- und Fachkräfte im Bankensektor begrenzt, sondern richten sich allgemein an Expatriates unabhängig von der Branche und von der Unternehmensform , an der sie angestellt werden. Dass derartige Regelungen vor dem Hintergrund des bevorstehenden Austritt des VK aus der EU erlassen werden und insbesondere auf Beschäftigte aus dem Bankensektor zielen mögen, ändert auf Grundlage einer ex-ante-Betrachtung nichts an ihrer allgemeinen Ausrichtung und dem Umstand, dass sie auch bei Anstellungen in anderen Branchen zur Anwendung gelangen. Es lässt sich somit nicht feststellen, dass die Steuerermäßigung für Expatriates „bestimmbaren Unternehmen oder Gruppen“ zugutekommt, wie dies in der Beihilfemitteilung gefordert wird.27 Aus diesem Grund kann vorliegend keine unternehmensgerichtete Begünstigung und damit auch keine mittelbare Beihilfe angenommen werden. Ob allein dieses Merkmal genügen würde, um bei seiner Bejahung die sekundären Auswirkungen auf Seiten der betroffenen Unternehmen als mittelbare Beihilfen in Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren, bedarf folglich an dieser Stelle keiner weiteren Erörterung.28 25 Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 116. 26 Siehe zum Sinn und Zweck dieses Merkmals etwa Nowak, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/AEUV/GRC, Art. 107 AEUV, Rn. 40. Vgl. auch Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 118 ff. 27 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 19.9.2000, Rs. C-156/98 (Deutschland/Kommission), Rn. 23, 22. 28 Siehe dazu aber das Gutachten PE 6 - 3000 - 76/19 „Einkommensteuerrabatte für Arbeitnehmer bestimmter Branchen und Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht“. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 067/19 Seite 10 3.2. Ergebnis Mit Blick auf die hier anzunehmende allgemeine, unabhängig vom Wirtschaftssektor sowie der Unternehmensform bestehende Gewährung der Steuerermäßigungen für Expatriates fehlt es dieser Maßnahme an einer unternehmensgerichteten Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV. Ein von dieser Vorschrift erfasster Fall sog. mittelbarer Beihilfen liegt daher nicht vor. Folglich stellt sich vorliegend auch nicht die Frage nach einer eventuellen Rechtfertigung der Steuerermäßigungen am Maßstab der Art. 107 Abs. 2 o. 3 AEUV. – Fachbereich Europa –