PE 6 - 3000 - 066/19 (6. September 2019) © 2019 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Der Fachbereich ist um Auskunft gebeten worden, ob der in einem Gesetzgebungsakt der Union vorgesehene Vorbehalt des Widerrufs einer Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte gemäß Art. 290 Abs. 2 Buchst. a AEUV eine Bestimmung enthalten darf, wonach die „Gültigkeit delegierter Rechtsakte, die bereits in Kraft sind, […] von dem Beschluss über den Widerruf nicht berührt “ werde. Darüber hinaus wird danach gefragt, in welchem Umfang bei der Gesetzgebung von einer solchen Bestimmung Gebrauch gemacht werde. Die Vorschrift in Art. 290 AEUV über die Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen wurde mit dem Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 eingeführt.1 Nach Abs. 1 der Vorschrift kann der Kommission in einem Gesetzgebungsakt (sog. Basisrechtsakt) die Befugnis übertragen werden, Rechtsakte zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen (sog. delegierte Rechtsakte). Abs. 2 der Vorschrift sieht vor, dass die Bedingungen, unter denen die Übertragung erfolgt, in dem Basisrechtsakt ausdrücklich festzulegen sind. Hierzu zählt die Möglichkeit, dem Europäischen Parlament und dem Rat das Recht einzuräumen, die Befugnisübertragung durch Beschluss zu widerrufen (Art. 290 Abs. 2 Buchst. a AEUV). Die Vorschrift regelt nicht ausdrücklich die Folgen eines Widerrufs. Rechtsprechung des EuGH liegt hierzu nicht vor. In einer interinstitutionellen Vereinbarung vom 13. April 2016 haben sich das Europäische Parlament , der Rat sowie die Europäische Kommission auf bestimmte optionale Standardklauseln zur 1 Die Vorschrift in Art. 290 AEUV entspricht in ihrer Funktion der Durchführungsrechtsetzung der Kommission im Anwendungsbereich des ehemaligen Regelungsverfahrens mit Kontrolle gemäß Art. 5a des früheren Komitologie -Beschlusses 1999/468/EG (ABl. C 203 vom 17. Juli 1999, S. 1, letzte Fassung vor seiner Aufhebung), hierzu Möllers/von Achenbach, Die Mitwirkung des Europäischen Parlaments an der abgeleiteten Rechtsetzung der Europäischen Kommission nach dem Lissabonner Vertrag, in: EuR 2011, S. 39 (41). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Wirkung des Widerrufs einer Befugnisübertragung nach Art. 290 Abs. 2 Buchst. a AEUV auf bereits in Kraft getretene delegierte Rechtsakte Kurzinformation Wirkung des Widerrufs einer Befugnisübertragung nach Art. 290 Abs. 2 Buchst. a AEUV auf bereits in Kraft getretene delegierte Rechtsakte Fachbereich Europa (PE 6) Seite 2 Festlegung der Bedingungen der Befugnisübertragung geeinigt.2 Die dritte Option regelt die Bedingungen und Wirkungen eines Widerrufsvorbehalts in der Weise, dass die „Gültigkeit delegierter Rechtsakte, die bereits in Kraft sind, […] von dem Beschluss über den Widerruf nicht berührt“ werde. Mit der, soweit ersichtlich, einhelligen Auffassung im Schrifttum ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des Unionsgesetzgebers beim Erlass eines bestimmten Basisrechtsaktes für eine solche ex-nunc-Wirkung des Widerrufs mit Art. 290 Abs. 2 AEUV vereinbar ist. Für den überwiegenden Teil des Schrifttums folgt dies bereits aus der generellen Annahme, dass ein Widerruf nach dieser Vorschrift nur Wirkung für die Zukunft entfalte.3 Soweit es von den Vertretern dieser Auffassung überhaupt als erforderlich angesehen wird, dies näher zu begründen, findet sich ein Verweis darauf, dass es sich bei dem Widerrufsrecht nach Art. 290 Abs. 2 AEUV um „kein 'Super -Einspruchsrecht'“4 handele. Für einen anderen Teil des Schrifttums folgt dies daraus, dass Art. 290 Abs. 2 AEUV die zeitliche Wirkung des Widerrufs selbst nicht regele und diese daher vom Unionsgesetzgeber im Basisrechtsakt zu bestimmen sei.5 Für diese Auffassung spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, wonach die „Bedingungen, unter denen die Übertragung erfolgt“, in dem Basisrechtsakt festzulegen sind. Dies erscheint auch sachgerecht, weil es dem Unionsgesetzgeber dadurch ermöglicht wird, die Wirkungen eines Widerrufs mit Rücksicht auf die konkret zu regelnde Sachmaterie sowie den Umfang der Befugnisübertragung auszugestalten. Aufgrund der Vielgestaltigkeit der von delegierten Rechtsakten erfassten Rechtsverhältnisse dürfte ein rückwirkender Widerruf regelmäßig zu großer Rechtsunsicherheit führen. Problematisch wäre eine solche ex-tunc-Wirkung insbesondere auch hinsichtlich der von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage delegierter Richtlinien erlassener Umsetzungsmaßnahmen. Allerdings erscheint es auch nicht von vornherein ausgeschlossen , dass sich für bestimmte Sachbereiche eine ex-tunc-Wirkung als sachgerechte Folge des Widerrufs erweisen könnte. Eine abschließende Bewertung kann an dieser Stelle offenbleiben. Denn im Ergebnis ist jedenfalls davon auszugehen, dass es mit Art. 290 Abs. 2 AEUV vereinbar ist, wenn der Unionsgesetzgeber einen Basisrechtsakt mit der Bestimmung erlässt, wonach die Gültigkeit bereits erlassener delegierter Rechtsakte von dem Beschluss des Europäischen Parlaments oder des Rats über den Widerruf nicht berührt werde. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Europäische Kommission durch ihr Vorschlagsrecht im Gesetzgebungsverfahren Einfluss darauf nimmt, in welcher 2 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission über bessere Rechtsetzung, ABl. L 123, 12.5.2016, S. 6, 13 f. 3 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 290, Rn. 11; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 290 AEUV, Rn. 18; Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 290 AEUV, Rn. 36; vgl. auch Hetmeier, in: Lenz/Borchardt, EU-Verträge, 6. Aufl. 2013, Art. 290 AEUV, Rn. 16. 4 Schmidt, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 290 AEUV, Rn. 36. 5 Gundel, in: Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, Art. 290 AEUV, Rn. 32; vgl. auch Nettesheim, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 290 AEUV, Rn. 64. Kurzinformation Wirkung des Widerrufs einer Befugnisübertragung nach Art. 290 Abs. 2 Buchst. a AEUV auf bereits in Kraft getretene delegierte Rechtsakte Fachbereich Europa (PE 6) Seite 3 Weise die Bedingungen der Befugnisübertragung in dem später von den zuständigen Gesetzgebungsorganen zu erlassenen Basisrechtsakt ausgestaltet werden. Von der in Art. 290 AEUV vorgesehenen Möglichkeit, der Kommission die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte zu übertragen, hat die Union in einer Vielzahl von Gesetzgebungsakten Gebrauch gemacht.6 Auch ohne eine Durchsicht sämtlicher Basisrechtsakte lässt sich mithilfe der Eur-Lex-Datenbank eine hinreichende Orientierung darüber gewinnen, in welchem anteiligen Umfang der Unionsgesetzgeber hierbei einen Widerrufsvorbehalt mit einer Bestimmung über die Fortgeltung bereits in Kraft befindlicher delegierter Rechtsakte versehen hat. Eine Suche mit den entsprechenden Kriterien7 deutet darauf hin, dass kein einziger Basisrechtsakt existiert, der eine Befugnisübertragung unter einen Widerrufsvorbehalt stellt, ohne zugleich festzulegen, dass die Gültigkeit bereits in Kraft befindlicher delegierter Rechtsakte von einem Beschluss über den Widerruf „nicht berührt“ wird bzw. „unberührt“ bleibt. – Fachbereich Europa – 6 Das im Jahr 2017 in Betrieb genommene Interinstitutionelle Register der delegierten Rechtsakte führt 181 in Kraft befindliche Basisrechtsakte auf (Stand: 6.9.2019). 7 https://eur-lex.europa.eu/ unter Verwendung folgender Suchkriterien: „Bereich: EU-Recht und -Rechtsprechung , Teilbereich: Rechtsakte, Nur in geltenden Rechtsakten suchen: Wahr, Ergebnisse mit folgenden Begriffen : "Ausübung der Befugnisübertragung" "jederzeit widerrufen" In Titel und Text, Ergebnisse ohne folgende Begriffe: "berührt" In Titel und Text, Suchsprache: Deutsch“.