© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 064/19 Vereinbarkeit eines Widerrufsrechts bei Pauschalreiseverträgen mit der Pauschalreiserichtlinie Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 064/19 Seite 2 Vereinbarkeit eines Widerrufsrechts bei Pauschalreiseverträgen mit der Pauschalreiserichtlinie Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 064/19 Abschluss der Arbeit: 07.08.2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 064/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Regelungen in der Pauschalreiserichtlinie 4 2.1. Vollharmonisierungsgrundsatz gemäß Art. 4 PR-RL 4 2.2. Widerrufsrecht gemäß Art. 12 Abs. 5 PR-RL 4 2.2.1. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge 5 2.2.2. Fernabsatzverträge 5 3. Ergebnis 6 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 064/19 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa ist beauftragt worden, zu prüfen, ob eine (gedachte) Regelung des deutschen Gesetzgebers, nach der einem Reisenden bei Abschluss eines Pauschalreisevertrages über ein Fernabsatzmittel ein Widerrufsrecht eingeräumt wird, mit der Richtlinie (EU) 2015/2302 (Pauschalreiserichtlinie – PR-RL)1 vereinbar wäre. 2. Regelungen in der Pauschalreiserichtlinie Der Umsetzungsspielraum des nationalen Gesetzgebers ist durch den Vollharmonisierungscharakter der Pauschalreiserichtlinie festgelegt (Ziff. 2.1.). Vor diesem Hintergrund sind die Regelungen der Pauschalreiserichtlinie zur Möglichkeit der Einführung von Widerrufsrechten für Reisende durch den nationalen Gesetzgeber in Art. 12 Abs. 5 PR-RL zu betrachten (Ziff. 2.2.). 2.1. Vollharmonisierungsgrundsatz gemäß Art. 4 PR-RL Der Vollharmonisierungsgrundsatz der Pauschalreiserichtlinie findet sich in Art. 4 PR-RL.2 Gemäß Art. 4 HS 1 PR-RL erhalten die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen der Pauschalreiserichtlinie abweichende nationale Vorschriften aufrecht noch führen sie solche ein, sofern die Pauschalreiserichtlinie nichts anderes bestimmt. Dies gilt für strengere als auch weniger strenge Rechtsvorschriften zur Gewährleistung eines anderen Schutzniveaus für den Reisenden, Art. 4 HS 2 PR-RL. 2.2. Widerrufsrecht gemäß Art. 12 Abs. 5 PR-RL Gemäß Art. 12 Abs. 5 PR-RL können die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Rechtsvorschriften bestimmen, dass in Bezug auf „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge“ der Reisende das Recht hat, den Pauschalreisevertrag innerhalb einer Frist von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zu widerrufen. Hierbei handelt es sich um eine Option des nationalen Gesetzgebers und somit um keine entsprechende Verpflichtung.3 Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, inwieweit eine Regelung eines nationalen Gesetzgebers , nach der einem Reisenden bei Abschluss eines Pauschalreisevertrages über ein Fernabsatzmittel ein Widerrufsrecht eingeräumt wird, mit der Pauschalreiserichtlinie vereinbar ist, ist nicht ersichtlich. Dies ist folglich durch Auslegung zu ermitteln. 1 RICHTLINIE (EU) 2015/2302 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, Abl. EU 2015, L 326/1 vom 11.12.2015. 2 Tonner, EuZW 2016, 95; Führich, NJW 2017, 2945. 3 Tonner, EuZW 2016, 99. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 064/19 Seite 5 2.2.1. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, welche Verträge unter den Begriff „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge“ gemäß Art. 12 Abs. 5 PR-RL fallen. Eine entsprechende Definition findet sich in der Pauschalreiserichtlinie nicht. Allerdings verweist Art. 7 Abs. 1 PR-RL im Hinblick auf den Begriff „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“ auf Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechtsrichtlinie – VR-RL).4 Gemäß Art. 2 Nr. 8 lit. c) VR-RL handelt es sich bei einem „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrag“ u. a. um „jeden Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher, […] c) der in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder durch Fernkommunikationsmittel geschlossen wird, unmittelbar nachdem der Verbraucher an einem anderen Ort als den Geschäftsräumen des Unternehmers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers persönlich und individuell angesprochen wurde“. (Hervorhebung durch den Bearbeiter) Eine systematische Betrachtung spricht dafür, dass der Begriff des einem „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags“ in Art. 12 Abs. 5 PR-RL ebenso wie in Art. 7 Abs. 1 PR-RL auszulegen ist. Daher ist es für die Möglichkeit der Einräumung eines Widerrufsrechts beim Abschluss des Vertrags durch ein Fernkommunikationsmittel erforderlich, dass der Reisende unmittelbar vor Abschluss des Vertrags an einem anderen Ort als den Geschäftsräumen des Reiseveranstalters bzw. Reisevermittlers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Reiseveranstalters bzw. Reisevermittlers und des Reisenden persönlich und individuell angesprochen wurde.5 2.2.2. Fernabsatzverträge Bei der Festlegung des Umsetzungsspielraums von Art. 12 Abs. 5 PR-RL ist jedoch auch zu berücksichtigen , dass der Europäische Gesetzgeber den Fernabsatzvertrag in der Verbraucherrechtsrichtlinie ausdrücklich geregelt hat. Gemäß Art. 2 Nr. 7 VR-RL gilt als Fernabsatzvertrag jeder Vertrag, „der zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei 4 RICHTLINIE 2011/83/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, Abl. EU 2011, L 304/64 vom 22.11.2011, konsolidierte Fassung vom 01.07.2018. 5 Zur deutschen Umsetzung vgl. BT-Ds. 18/10822 vom 11.01.2017, Seite 64; aus der Literatur Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 312 BGB, Rn. 88. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 064/19 Seite 6 bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden“. Die vom Europäischen Gesetzgeber vorgenommene Unterscheidung zwischen „Fernabsatzverträgen “ und „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen“ muss dabei aufgrund des Verweises in Art. 7 Abs. 1 PR-RL aus systematischen Gründen auch in der Pauschalreiserichtlinie Anwendung finden. Da der Richtliniengesetzgeber im Rahmen von Art. 12 Abs. 5 PR-RL Fernabsatzverträge nicht ausdrücklich berücksichtigt hat, würde ein entsprechendes Widerrufsrecht dem Vollharmonisierungsgrundsatz von Art. 4 PR-RL widersprechen .6 3. Ergebnis Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage, inwieweit eine Regelung eines nationalen Gesetzgebers , nach der einem Reisenden bei Abschluss eines Pauschalreisevertrages über ein Fernabsatzmittel ein Widerrufsrecht eingeräumt wird, mit der Pauschalreiserichtlinie vereinbar ist, ist nicht ersichtlich. Nach der hier vorgenommenen Auslegung stünde die Einführung eines allgemeinen Widerrufsrechts durch den nationalen Gesetzgeber für Pauschalreiseverträge, die als Fernabsatzverträge i. S. v. Art. 2 Nr. 7 VR-RL geschlossen wurden, nicht im Einklang mit Art. 12 Abs. 5 PR-RL.7 Aufgrund der in Art. 4 PR-RL vorgesehenen Vollharmonisierung sind Abweichungen von den Vorgaben des Art. 12 Abs. 5 PR-RL der Pauschalreiserichtlinie im Rahmen der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber nicht zulässig. Möglich erscheint dagegen die Einführung eines Widerrufsrechts für „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen“ unter Beachtung der Definition in Art. 2 Nr. 8 lit. c) VR-RL. Insoweit ist erforderlich, dass beim Abschluss des Vertrags durch ein Fernkommunikationsmittel der Reisende unmittelbar vor Abschluss des Vertrags an einem anderen Ort als den Geschäftsräumen des Reiseveranstalters bzw. Reisevermittlers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Reiseveranstalters bzw. Reisevermittlers und des Reisenden persönlich und individuell angesprochen wurde. – Fachbereich Europa – 6 Siehe dazu auch Martens, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB, 50. Edition, Stand: 01.05.2019, § 312 BGB, Rn. 55 b. 7 Tonner, EuZW 2016, 95, 99.